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In der Steinstraße derselben Residenz, von der wir in den vorigen Kapiteln sprachen, stand ein altes, ehrwürdiges Haus, welches das seltene Glück oder Schicksal gehabt hatte, daß es seit unvordenklichen Zeiten, wo es entstanden, derselben Familie, deren Stammvater es erbaut, verblieben war.
Es sah aber auch außerordentlich stolz und respektabel aus dieses Gebäude. Vorn an der Straße präsentirte es einen riesenhaften Giebel, der mit zackigen Seitenwänden und in den kühnsten Schnörkeln bis zur Spitze hinauf stieg, wo eine große, seltsam geformte Wetterfahne das Ganze krönte. Das Haus war von unten bis oben massiv aus Stein gebaut, hatte unten kleine vergitterte Fenster, die ein sehr weites Treppenhaus beleuchteten, welches nach der Straße zu von einem großen Thor verschlossen wurde. An diesem Thore hatte die Phantasie des Baumeisters in der Mitte einen außerordentlich großen Thürklopfer angebracht, der, mit einer Reihe von Zähnen versehen, einem aufgesperrten Maule glich, und dazu hatte er oben auf beiden Flügeln zwei runde Einschnitte machen lassen, die wie Augen aussahen, was dem Thore vollkommen das Ansehen eines Riesenhauptes gab. Namentlich Abends, wenn das Treppenhaus innen beleuchtet war, glänzte das Licht so unheimlich aus diesen beiden Augenöffnungen, daß sämmtliche Straßenjungen sich ordentlich davor fürchteten und nur in einem großen Bogen bei dem alten Hause vorbei gingen. Alsdann schielten aber auch die beiden feurigen Augen in der That so sonderbar den Vorüberwandelnden an und schienen ihm zu folgen, soweit er das alte Thor im Gesicht behalten konnte.
Im Innern war dieses Haus nach alten Begriffen wohnlich, ja prächtig eingerichtet. Die Treppen, welche in die oberen Stockwerke führten, waren massiv aus Eichenholz, und Geländer und Pfosten bestanden aus kunstreich geschnitzten Figuren. Die Zimmer waren hoch, einige sogar gewölbt, die Decken reich mit Stuccaturarbeiten versehen, die Wände mit alten Ledertapeten bedeckt, und Fußböden und Getäfel bestanden aus hartem, ganz dunkelbraun gewordenem Holze.
Dies alles zugleich mit der Stille, welche über dem alten Hause ruhte, gab ihm etwas Oedes, ja Unheimliches, und wenn Jemand die Treppen hinaufschritt und sich zufällig räusperte, so klang das durch das ganze Haus, und in allen Ecken und Winkeln niesten unsichtbare Nasen im hohlen Echo nach. Still war dieses Haus über alle Beschreibung, und aus dem einzigen Grunde, weil in allen den weitläufigen Stockwerken nur eine einzige Dame wohnte, die jetzige Besitzerin, die verwittwete Staatsräten Stillfried. Diese – eine Dame hoch in Fünfzigen – hatte ihre Zimmer im zweiten Stock und lebte sehr ruhig und eingezogen. Ihre Dienerschaft wohnte theils unten, theils im vierten Stock, und da dies meistens alte und lang gediente ruhige Leute waren, so machten sie in dem stillen Hause ebenso wenig Spektakel wie ihre Gebieterin.
Der alte Staatsrath Stillfried war schon vor langen Jahren gestorben. Er hatte einen einzigen Sohn hinterlassen, und die Wittwe, eine sehr schöne, stattliche Frau, schien große Lust zu haben, sich wieder zu verheirathen. Die ganze Stadt bezeichnete auch schon ihren zweiten Mann, und das war ein damals junger Advokat, der schon zu Lebzeiten des seligen Staatsrathes in dessen Hause wohlgelitten war. Aber es kam zu keiner zweiten Heirath. Das Warum, so sehr es die Köpfe aller Neugierigen beschäftigte, wurde nicht bekannt, und das war mancher alten Klatschschwester um so unangenehmer und unerklärlicher, weil, trotzdem, daß die Staatsräthin ihren Hausfreund nicht heirathete, dieser doch nach wie vor ins Haus kam, und weil selbst nach langen Jahren das freundschaftliche Verhältnis zwischen den Beiden durchaus nicht abzunehmen schien. Der Doktor Werner, welcher unterdessen zum Justizrath ernannt worden war, verwaltete das Vermögen der Staatsräthin, wie er schon zu Lebzeiten ihres Gemahls gethan, nach wie vor, speiste wöchentlich verschiedene Mal in dem Hause, fuhr mit der alten Dame spazieren, kurz, er galt sowohl bei der Dienerschaft als auch bei den Leuten der Stadt, die sich darum bekümmerten, für das Faktotum der Staatsräthin und für den Allgewaltigen dieses reichen Hauses.
Wenn wir vorhin von der Verwaltung des Vermögens sprachen, so verstehen wir natürlicher Weise nur das eigene Vermögen der Staatsräthin, welches sie mit in die Ehe gebracht, das aber an sich sehr ansehnlich war. Das Erbe des Vaters war einem einzigen, nun majorenn gewordenen Sohne ausbezahlt worden und belief sich auf eine Rente von vielleicht zehntausend Gulden jährlich.
Obgleich der Justizrath Werner, wie schon gesagt, in dem Hause der Staatsräthin unumschränkt seine Befehle ertheilte und überhaupt handelte, wie es ihm gefiel, so kann man dagegen nicht behaupten, daß ihn die Dienerschaft deßhalb hiezu berechtigt hielt oder ihm gern und willig dieses Recht zuerkannte. Wenn sie auch seinen Befehlen Folge leisten mußte, so geschah dies doch mit großem Widerwillen, den sich die Aeltesten dieser Dienerschaft, ergraute, erprobte Leute, zu verhehlen auch durchaus keine Mühe gaben.
Die Staatsräthin hatte den zweiten Stock ihres Hauses, dessen Zimmer früher so bestanden wie die des ersten Stockes, für sich wohnlicher einrichten lassen. Die alten dunklen Tapeten hatten freundlicheren, helleren Platz gemacht, die schweren Möbel waren mit leichten, nach neuerem Geschmacke vertauscht worden; kurz, die ganze Wohnung hatte man nach unseren Begriffen elegant und comfortabel hergestellt. Die großen Fenster mit ihren tiefen Nischen hatte man allerdings nicht ändern können; doch verwandelte der Geschmack der Staatsrätin diese früher etwas finsteren Winkel in angenehme Ruheplätze, und auf einem derselben, welcher einen freien Blick über einen großen Theil der Stadt gestattete, war ihr Lieblingssitz, wo sich denn auch die alte Dame den größten Theil des Tages aufhielt. Es war ein kühles heimliches Plätzchen, die dicken Mauern des Hauses erlaubten der Sonne nur, sich von außen auf die Scheiben zu lagern und, statt in übermäßiger Hitze einzudringen, dieses Plätzchen sanft zu erwärmen. Ein weicher violetsammtner Fauteuil stand in der Vertiefung dieses Fensters, vor demselben ein kleiner Tisch, worauf Bücher und Zeitungen lagen, mit welchen sich die Staatsräthin beschäftigte, wenn sie es müde war, auf die Straßen hinab zu schauen oder auf die Berge, die, mit Wäldern gekrönt, rings die Stadt umgaben.
Die Dienerschaft der Staatsräthin führte ein äußerst behagliches Leben; sie war nicht zahlreich und bestand nur aus einem alten Kutscher, einem Manne an die Sechszig, einem ebenso alten Bedienten, der bei dem seligen Staatsrate die Stelle eines Kammerdieners versehen, einer Köchin und einem Stubenmädchen, welches letztere zugleich die Verpflichtung hatte, der Staatsräthin vorzulesen, oder, so oft die alte Dame dies ausdrücklich verlangte, ihr Gesellschaft zu leisten.
Diese sämmtliche Dienerschaft betrachtete sich wie eine Familie und führte neben einem, wie schon gesagt, behaglichen auch ein sehr einträchtiges und auf diese Art äußerst vergnügtes Leben. Die große Küche im unteren Stockwerk des Hauses war das Hauptquartier derselben, und auch an dem Tage, an welchem unsere Geschichte beginnt, finden wir sie sämmtlich dort versammelt. Sonst sind gewöhnlich die Köchinnen außerordentlich eifersüchtig und lassen durchaus keine Entheiligung des Terrains zu, auf welchem sie ihre Kunst zu entfalten pflegen. Mit der alten Martha des staatsräthlichen Hauses dagegen war das ganz anders, und wenn sie so ganz allein in der Küche war, so befand sie sich in übler Laune, und kein Geschäft ging ihr recht von der Hand. Wenn aber, wie heute, ihre sämmtlichen Getreuen um sie her gruppirt oder beschäftigt waren, so flog das Fleischmesser oder die Spickgabel in ihrer Hand, die Kartoffeln schälten sich fast von selbst, und man hätte meinen können, das Geflügel sei in einer ganz unerklärlichen Mauser begriffen, denn die Federn stäubten nur so davon, und im Umsehen war es kahl und glatt.
Martin, der Kutscher, saß hinter der Thüre unter der alten Schwarzwälderuhr und stickte mit Beihülfe des Stubenmädchens an einer alten Pferdedecke, deren Risse und Löcher er mit allerhand buntfarbigem Zwirn aufs kunstreichste zu vertilgen suchte. Er hatte eine Schwäche, einen Aberglauben für seine langgebrauchten Stallrequisiten, und hätte sich um Alles in der Welt nicht dazu entschließen können, seinen Pferden etwas ganz Neues aufzulegen. Ja, wenn er im Laufe der Zeiten einmal neue Geschirre bekommen hatte, so mußten wenigstens ein paar gebrauchte Riemen oder eine alte Stange mit hineingeschnallt werden, sonst wäre Martin nicht auf den Bock geklettert.
Der alte Jakob, zu Lebzeiten des Staatsrates dessen Kammerdiener und einziger Vertrauter – denn das zwischen dem Staatsrath und dem Doktor Werner anfangs bestandene genaue Verhältniß hatte sich in späterer Zeit ziemlich gelöst – saß auf einem hölzernen Küchenstuhle und hatte die heutige Nummer der Zeitung beendigt. Das Stubenmädchen aber half der Köchin Erbsen für den Mittagstisch herrichten.
»So,« sagte der Kutscher nach einem längeren Stillschweigen, während dessen man nichts vernommen, als das Krachen der Erbsenschoten und das Picken der Uhr, »jetzt hält die Geschichte wieder für ein paar Monate.«
»Es wäre doch besser,« meinte Jakob, »wenn Ihr bald einmal neue kaufen wolltet, Meister Martin. Weiß der Herr, wie lange ich nun schon die blau und schwarz gestreiften Decken kenne! Das muß ja dem Vieh gar nicht mehr recht warm geben.«
»Er hat ja ganz neue,« entgegnete das Stubenmädchen lachend, »und die schnallt er den Pferden oben auf die alten Decken hinauf.«
Diese Bemerkung wurde von Seiten des Kutschers mit einer Miene voll Geringschätzung, ja fast Verachtung beantwortet. Er zuckte die Achseln und sagte: »Na, Jungfer Nanett, Ihrer Jugend muß man schon etwas zu Gut halten.«
Das Stubenmädchen, bei Weitem die Jüngste dieser ehrwürdigen Gesellschaft, wurde in solchen streitigen Fällen immer noch wie ein unmündiges Kind behandelt. Sie war vor etwa zwanzig Jahren in einem Alter von sechszehn in das Haus gekommen und die übrige Dienerschaft konnte oder wollte nicht begreifen, daß man in zwanzig Jahren um eben so viel älter wird.
Nach einer längeren Pause sagte Jakob zum Kutscher: »Gestern habe ich zufällig unseren jungen Herrn gesehen.« – Und auf dieses Wort hin legte die Köchin ihre Arbeit aus der Hand und schaute fragend auf den alten Bedienten.
»Ja, gestern bin ich ihm begegnet,« fuhr dieser fort, »es ist doch Jammerschade um den Herrn.«
»Jammerschade?« sagte die Köchin leidenschaftlich; »o es ist herzzerreißend, wenn man von guten Bekannten hört, was der unglückliche Mensch für Streiche treibt, und ich kann Euch versichern, man muß viel über ihn hören! Du gerechter Gott, was wäre aus dem Herrn nicht alles geworden, wenn der selige Staatsrath am Leben geblieben wäre! es gab kein folgsameres und gescheidteres Kind, als den kleinen Eugen. Und wenn man jetzt hört, was sie alles in der Stadt über ihn sagen, da muß es einem ordentlich weh thun, daß man ihn einmal gekannt.«
»Dummes Geschwätz!« brummte Jakob; »nun ja, man spricht genug über ihn, aber was kann man denn so Böses von ihm sagen? Jugend hat keine Tugend, und ein junger Mensch, der mit vierundzwanzig Jahren über zehntausend Gulden jährlich zu befehlen hat, schlägt leicht über alle Stränge. Das ist einmal nicht anders. Und was ihr Frauenzimmer einander erzählt, das ist gar nicht einmal der Rede werth. Wenn er auch hie und da einem Mädel nachlauft, pah! darum drehe ich keine Hand um.«
»Nun, recht ist das doch gerade auch nicht,« antwortete die alte Köchin.
»Aber das Schlimmste ist,« sagte Martin, »daß er nichts thut und nichts treibt, daß er all' das Viele, was er gelernt hat, wieder vergißt, und daß er kein ordentliches Geschäft anfängt, sondern sein Geld auf eine wirklich erschreckende und leichtsinnige Art durchbringt. Zehntausend Gulden jährlich, die alle in den Wind hinaus gehen, und er hat nicht einmal Wagen und Pferde!«
»Aber dafür desto mehr gute Freunde,« versetzte bitter lachend der alte Diener, »die wie Blutegel an ihm hangen und ihn förmlich aussaugen; denn was der junge Mensch von einer Freigebigkeit ist, von einer Herzensgüte und ...«
»Von einem Leichtsinn,« ergänzte Martha und schlug gewaltig und ingrimmig auf ein großes Stück Fleisch los, »das ist gar nicht an den Himmel zu malen.«
Draußen wurde die große Hausglocke gezogen. Jakob, der sich darauf hin schon halb von seinem Stuhle erhoben hatte, ließ sich langsam wieder nieder, zog eine kleine silberne Dose aus der Tasche, nahm bedächtig eine Prise und sagte, nachdem er einen Blick auf die Schwarzwälderuhr geworfen: »Ah so! er wird es sein! Da pressirts mir gar nicht.«
»Mir auch nicht,« sagte der Kutscher und faltete ruhig seine Decke zusammen.
»Und mir erst recht nicht,« meinte lachend das Stubenmädchen.
»Er muß das Warten schon gewohnt werden,« brummte die Köchin und machte ein ungeheures Gepolter, indem sie mit dem Stücke Holz, das sie in der Hand hielt, mehr auf den Tisch als auf das Fleisch schlug.
Draußen wurde aber zum zweiten Mal und heftiger geklingelt.
»Er wirds doch nicht sein,« sagte jetzt Jakob, indem er von seinem Stuhle aufstand und sich der Küchenthüre näherte: »so heftig schellte er niemals. Das geht alles langsam und ruhig, feierlich und abgemessen.«
»Ja, es muß Jemand anders sein,« meinte die Köchin, »für ihn ists noch zu früh. Geschwind, Nanett, mache Sie die Hausthüre auf! Bleibe Er sitzen, Jakob, das Mädel hat junge Beine.«
Nanette eilte gehorsam diesem Befehle zur Küche hinaus, zog draußen den schweren Thürflügel auf und begleitete die Person, welche zweimal geschellt und welche halblächelnd meinte, man solle in einem ordentlichen Hause Niemanden zweimal schellen lassen, nach der Küche.
Diese Person aber war Niemand anders, als Madame Schoppelmann, die sich nun in der Küche in ihrer ganzen Breite aufpflanzte und mit einem lächelnden Gesicht ihre, dem Stubenmädchen so eben ertheilte Vorwürfe wiederholte. »Ei, ei!« sagte sie lachend, »da ist die ganze Familie beisammen und läßt mich zweimal schellen, und so eine arme, alte Person, wie ich bin, der das Stehen unendlich sauer wird, muß draußen vor der Hausthüre warten, bis es den gnädigen Herrschaften gefällig ist. Das ist ja ganz entsetzlich. Ja, Jakob,« fuhr sie lachend fort, »man wird alt, und da gilt man bei dem Mannsvolk nichts mehr. Ich weiß noch sehr genau die Zeit, wo der damalige junge Jakob vier Treppen auf einmal herab sprang, um der Jungfer Margarethe die Thüre aufzumachen. He! ist dem nicht so?«
»Das kann ich in der That nicht läugnen,« sagte ebenfalls lachend der alte Diener. »Aber Ihr müßt gerecht sein, Frau Schoppelmann: wie hätten wir euch um zehn Uhr erwartet? Ihr kommt nie so spät, und wenn Ihr dagegen Morgens um acht Uhr an der Hausthüre schellt, so dauert es gewiß nie eine Minute, bis man Euch herein läßt.«
»Ja, ja, Kinder, das ist schon wahr,« sprach die Gemüsehändlerin; »aber laßt mich niedersitzen. Das Stehen und Laufen wird mir, absonderlich in der Hitze, außerordentlich beschwerlich.«
»Nanett, gib den großen Stuhl her!« befahl die Köchin; und als sich hierauf Frau Schoppelmann auf diesen großen Stuhl niederließ, krachte derselbe bedeutend und stöhnte laut auf, obgleich er aus dem dicksten, solidesten Eichenholze gemacht war.
Die Gemüsehändlerin hatte ihren Anzug von heute Morgen durch eine Haube mit dunkelbraunen Florbändern besetzt, sowie mit einem schwarzen Umschlagtuch vervollständigt, und trug in ihrer Hand ein weißes, zierlich geflochtenes Körbchen voll der größten und schönsten Erdbeeren.
»Ei, ei,« sagte lachend die Köchin und zeigte auf dieses Körbchen, »solche Erdbeeren habt Ihr uns lange nicht besorgt, und Ihr wißt doch, Frau Schoppelmann, daß unsere Herrschaft die Erdbeeren außerordentlich liebt. – Sie sind doch für uns? – Nanett, nimm der Frau die Erdbeeren ab!«
Die Gemüsehändlerin aber wehrte das Stubenmädchen mit der Hand von sich ab und erwiderte: »Diese Erdbeeren sind für Euch und nicht für Euch, wie man will, d. h. ich habe sie allerdings für die Frau Staatsräthin bestimmt, doch will ich sie ihr zum Geschenk machen, möchte sie aber auch dafür selbst übergeben.«
»Ah, das ist was Anderes!« entgegnete die Köchin; »dann müßt Ihr Euch hinauf bemühen, Frau Schoppelmann, die Frau Staatsräthin sind oben in ihren Zimmern.«
»Und will der Herr Jakob die Freundlichkeit haben, mich der Herrschaft droben anzumelden?« sagte die Gemüsehändlerin und machte den Versuch, ihren breiten Kopf auf dem dicken Halse nach dem alten Bedienten, der fast hinter ihrem Rücken saß, herumzudrehen. Doch gelang ihr dies nur unvollkommen, vielmehr befiel sie bei dieser unnatürlichen Bewegung ein heftiger Husten, den Jakob achtungsvoll für die alte Bekannte ruhig vorübergehen ließ und in dieser Zwischenzeit aus seiner silbernen Dose abermals eine Prise nahm.
»Ah, geh' Sie nur hinauf,« meinte freundlich und sehr herablassend die Köchin, »die Frau Staatsräthin wird sich ein Vergnügen daraus machen, Sie einen Augenblick zu sehen.«
»Wer weiß?« sagte pfiffig lächelnd die dicke Frau und erhob sich mühsam von ihrem breiten Stuhle.
Jakob ging ihr voraus, und Beide stiegen die Treppen des stillen Hauses hinauf.
Drunten in der Küche hustete der alte Kutscher, pickte die Schwarzwälderuhr und klopfte die Köchin ihr Fleisch. Das hörte man noch auf der Treppe, die in den ersten Stock führte; war man aber dort oben angekommen, so vernahm man von allem dem nichts mehr, und eine tiefe Ruhe und Einsamkeit lag auf dem weitläufigen Gebäude.
Auf dem kleinen, heimlichen Ruheplatz in der Fenstervertiefung, von der wir oben sprachen, saß die alte Staatsräthin in ihrem weichen Fauteuil, und eine Zeitung, in der sie vorhin gelesen, war mit der rechten Hand, welche sie bis jetzt gehalten, in ihren Schooß gesunken und von da herab unbeachtet auf den Boden gefallen, indem die Morgenlekture der alten Dame wahrscheinlich durch andere Sachen, die ihren Geist beschäftigten, unterbrochen worden war. Sie lehnte sich in ihren Fauteuil zurück und schaute unverwandten Blickes durch das Fenster auf die Straßen der Stadt und die im Sonnenschein funkelnde und lachende Gegend, die sich hinter dem Häusermeer vor ihren Blicken ausbreitete. Sie trug ein schwarzes, seidenes Kleid, eine leichte Mantille von demselben Stoff und derselben Farbe, um den Hals schlang sich ein kleiner, weißer Kragen, und ihr feines, bleiches Gesicht stach kaum von dem weißen Stoffe ab. Ihr Haar war ergraut und bedeckt mit einem Netz aus dunkelblauen Seidenfäden, das unter dem Kinne zugebunden war.
Die Staatsräthin, welche früher sehr schön gewesen war, erschien heute noch als eine stattliche, gut aussehende Frau. Ihr Körper, voll und rund, sah nur fast zu kräftig aus für die bleichen, krankhaften Züge ihres Gesichts, für den leidenden, schmerzlichen Ausdruck in demselben. Doch war dieser kränkliche Ausdruck nicht Theilnahme erweckend: man fühlte sich von diesem Gesichte nicht angezogen. In den hellen, klaren Augen und um den kleinen, meistens fest verschlossenen Mund lag ein unbeschreiblicher Zug von Festigkeit, ja Härte, der aber vollkommen zu der Redeweise der alten Dame paßte. Wir haben früher schon gesagt, daß die Staatsräthin in einem Alter von stark fünfzig Jahren war. Oftmals sah sie dafür sehr gut aus, ja man hätte sie für weit jünger halten können; ein anderes Mal dagegen erschien sie wie eine vollkommen alte, stumpfe, abgelebte Frau.
Madame Schoppelmann war durch Jakob, den Bedienten, gemeldet worden und stand ehrerbietig an der Thüre des Zimmers. Eine Handbewegung der Staatsräthin lud sie ein, näher zu treten. Die Gemüsehändlerin trat darauf hin an die Fensternische und überreichte der alten Dame das Körbchen mit den schönen Erdbeeren.
»Ich danke sehr,« sagte diese, »daß Sie sich meiner erinnert; diese Erdbeeren sind in der That von einer seltenen und ausgezeichneten Schönheit.«
»Ja, es sind ausgesuchte,« entgegnete die Gemüsehändlerin; »ich habe mir gedacht, wenn ich einmal etwas selbst zu Ihnen bringe, so muß es schon was Rechtes sein.«
Die alte Dame nickte ernst aber wohlwollend mit dem Kopfe.
»Es macht mir in der That ein großes Vergnügen,« fuhr Madame Schoppelmann fort, »wenn ich der Frau Staatsräthin mit etwas aufwarten kann, was Ihnen angenehm ist. Es ist freilich nur eine Kleinigkeit, aber ich habe sonst nichts gewußt; Blumen lieben die gnädige Frau nicht besonders, sonst hätte ich mir schon erlaubt, ein schönes Bouquet zu bringen.«
»Ich danke recht sehr!« antwortete die alte Dame und versuchte eine der Erdbeeren.
»Nun, es ist mir ganz recht,« sagte die Gemüsehändlerin, »daß ich Euer Gnaden wieder einmal sehe und in so gutem Wohlsein; mir scheint doch, die Frau Staatsräthin befindet sich gegenwärtig recht wohl.«
»Es geht so, meine gute Frau, ich kann nicht klagen.«
»Ei, was das Klagen anbelangt,« fuhr lächelnd die dicke Frau fort, »so glaube ich das recht gern; das Klagen kommt uns zu, gnädige Frau, Leute wie ich, die den ganzen Tag fest hin stehen und arbeiten müssen, von Morgens bis in die Nacht hinein immer zu thun, immer Geschäfte haben, Angenehmes und Unangenehmes, wie es gerade fällt. Aber man thut's ja gern, so lange man weiß, wofür man arbeitet, und wenn man sieht, daß Segen dabei heraus kommt.«
»Ja, ja, es ist so,« sagte ernst die Staatsräthin. »Das Klagen nützt nicht viel.«
»Nein, das Klagen nützt in der That nicht viel,« wiederholte Madame Schoppelmann. »Euer Gnaden haben da einen ganz richtigen Grundsatz. Ich klage auch eigentlich nie, Gott soll mich bewahren! und ich wollte auch gar nichts klagen, nur so ein paar Worte sprechen, wenn es die Frau Staatsräthin nicht ungnädig aufnehmen wollten.«
»Mit mir wollten Sie sprechen?« fragte ruhig die Staatsräthin. »Wenn ich Ihnen vielleicht mit etwas dienen kann, das in meiner Macht steht, so soll es gern geschehen.«
Madame Schoppelmann war mit der festen Absicht in das Haus gekommen, etwas von sehr delicater Natur mit der Staatsräthin zu sprechen. Sie, die um eine ganze Legion passender oder unpassender Worte, wie es gerade kam, nicht verlegen war, hatte es sich außerordentlich leicht vorgestellt, mit der alten Staatsräthin, der Mutter jenes Herrn Eugen, eine gewisse Sache ganz ruhig zu besprechen. Sie war in dem besten Glauben gewesen, daß die alte Dame es ihr sehr Dank wissen müsse, wenn sie ihr über jenes Verhältniß einmal mit voller Wahrheit die Augen öffne. Freilich wußte sie ganz genau, wie gespannt Mutter und Sohn zusammen standen, daß letzterer nicht im elterlichen Hause wohne, daß er vollkommen als sein eigener Herr lebe und sich vielleicht gar nicht einmal nach mütterlichen Ermahnungen sehne, noch viel weniger aber Lust haben würde, dieselben irgendwie zu befolgen. Das wußte sie, wie gesagt, ganz genau; doch seit sie diesen Morgen von Hause fortgegangen war, hatte sie auf dem Markte noch Einiges erfahren, was sie in dem Vorsatze bestärkte, mit der Staatsräthin ein ernstliches Wort zu sprechen. Ihr Sohn, der Fuhrmann, hatte theilweise Recht gehabt mit seiner Anklage gegen die Schwester, und wenn die Mutter auch von ihrer Tochter überzeugt war, diese würde sich nie etwas Unrechtes zu Schulden kommen lassen, so sprach man doch auf dem Markte und in der Stadt davon, die schöne Katharina habe wirklich ein genaues Verhältniß mit dem Sohne der Staatsräthin Stillfried.
Daß aber die Leute hierüber die Achseln zuckten und lachten, das wußte die Mutter nicht; denn ihre Bekannten hatten ihr gesagt: »Die Katharine weiß schon, was sie treibt; er ist ein lediger, reicher, unabhängiger Mensch, und wenn er das Mädchen absolut heirathen will, so könnt Ihr wohl nichts dagegen haben.« Dies war nun ein Grund weiter, weßhalb Madame Schoppelmann es für ihre Pflicht hielt, mit der Staatsräthin ein Wort über diese Geschichte zu sprechen.
Doch stand sie lange vor der alten Dame, ohne den Anfang zu diesem Worte finden zu können. Madame Schoppelmann kam selten oder nie in Verlegenheit: hier aber befand sie sich in einer sehr großen. Sie hatte schon das Gespräch mit der Staatsräthin auf ungebührliche Weise in die Länge gezogen, hatte sich mehrere Male über das gute Aussehen derselben gefreut, hatte die allerliebsten Wachtelhunde gelobt, die knurrend und augenscheinlich mit bösen Absichten ihre dicken Beine umkreisten, hatte sogar von ihrer Tochter Katharina angefangen, ohne Sinn und Verstand und ohne weiter fortfahren zu können; denn die Staatsräthin gab auf Alles, wenn gleich keine unfreundlichen, doch ziemlich kurze Antworten.
Ihr letzter Nothanker in dieser Verlegenheit war unter vielen Miniaturbildern, die in der Fenstervertiefung hingen, das Portrait eines kleinen blondgelockten Kindes, das mit seinen klaren blauen Augen die Betrachtenden so freundlich anblickte.
»Ach,« sagte sie nach einer Pause, und nachdem sie das Bildchen längere Zelt aufmerksam angesehen, »das ist der kleine Herr Eugen; wie das vor langen Jahren ähnlich war! ich erinnere mich dessen noch ganz genau.«
Die Staatsräthin preßte ihre Lippen fester auf einander, maß die Frau mit einem sonderbaren Blick, ohne jedoch eine Sylbe zu antworten.
»Ja, ja, das ist der Eugen,« fuhr die Gemüsehändlerin mit lauterer Stimme fort, wie um sich selbst Muth zu machen, »das kann gar nicht fehlen. Ach, ich habe ihn so gut gekannt – wie viel Aepfel hat mir der kleine Schelm hier und auf dem Markt abgelockt. Und was ist der seit jener Zeit groß und hübsch geworden! Nicht wahr, gnädige Frau?«
»Wahrscheinlich,« sagte finster die alte Dame. In zwanzig Jahren kann man was erleben!«
Diese Worte sollten Gleichgültigkeit ausdrücken, aber sie klangen wie der bitterste Hohn.
Jetzt oder nie! dachte Madame Schoppelmann: einmal muß ich doch sprechen, und wenn sie es auch nicht gern hört, was ich ganz deutlich bemerke, so muß die Sache doch heraus. – »Ja, ja, gnädige Frau,« fuhr sie fort, »über den Herrn Eugen hätte ich ein paar Worte mit Ihnen zu sprechen. Nicht über den kleinen Eugen dort, sondern über den jetzigen, groß gewordenen.«
»Damit kann Sie mich verschonen!« sagte sehr ernst die Staatsräthin.
»Ja, was das Verschonen anbelangt,« entgegnete die dicke Frau, »das wäre mir auch schon recht; ich wäre auch gern mit Manchem verschont, und muß doch als Mutter Vieles anhören, was mir gerade nicht angenehm ist.«
»Aber ich sehe nicht ein, weßhalb ich Sachen anhören soll, die mir unangenehm sind!« antwortete die Staatsräthin und sah die Gemüsehändlerin bei diesen Worten mit einem festen und ziemlich unfreundlichen Blicke an. »Lass' Sie das gut sein, Frau Schoppelmann!« fuhr sie nach einer Pause mit minderer Strenge fort, »wenn ich Ihr, wie gesagt, sonst wo dienen kann, so bin ich für eine langjährige Bekannte gern zu Befehl; aber was den Herrn Eugen Stillfried anbelangt ...«
»Ihren Sohn, Ihren einzigen Sohn ...«
Die Staatsräthin zuckte mit den Achseln und zog dabei den Mund in die Höhe als wollte sie sagen: Wie zudringlich doch diese gemeinen Leute sind! Dann entgegnete sie nach einer Pause mit kalter, ganz strenger Stimme: »Sie, meine gute Frau, geht hier in diesem Hause seit so vielen Jahren aus und ein, daß ich wohl voraussetzen kann, Sie sei mit den ... eigenthümlichen Verhältnissen desselben vollkommen bekannt. Da dieses der Fall ist und ich auch nicht glauben kann, daß Sie mir absichtlich eine unangenehme Stunde bereiten will, so bitte ich recht sehr: lassen wir dieses Gespräch fallen!«
»Verzeihen Sie, gnädige Frau,« antwortete nach einer kleinen Pause der Ueberraschung die Gemüsehändlerin, »verzeihen Sie recht sehr und erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß es freilich sehr angenehm ist, unangenehme Dinge nicht hören zu müssen. Das geht mir in meinem Stande – verzeihen Sie, gnädige Frau – wahrhaftig gerade so. Aber das läßt sich nicht immer machen, und ich bitte um Entschuldigung, aber ich bin nun einmal hierher gekommen, um der Frau Staatsräthin etwas mitzutheilen, der Frau Staatsräthin als Mutter ihres Sohnes nämlich, was mir, als Mutter meiner Tochter, schwer auf dem Herzen liegt.«
Die alte Dame hatte, nachdem sie eben gesprochen, ihren Kopf gleichgültig abgewandt und blickte eifrig und, wie es schien, ganz theilnahmlos zum Fenster hinaus. Doch hätte ein sehr aufmerksamer Beobachter wohl gewahren können, daß bei dem letzten Worte der Gemüsehändlerin ihre Augenwimpern ein ganz klein wenig zuckten.
»Ja wohl,« fuhr Madame Schoppelmann fort, nachdem sie Athem geschöpft, »als Mutter meiner Tochter, und wenn ich auch ganz genau weiß, daß die Frau Staatsräthin mit Ihrem Herrn Sohn in einem Verhältniß stehen, wie ich als eine gewöhnliche Bürgersfrau mit meinem ganz schlichten Verstand nicht gut begreifen kann, so bleibt es doch einmal Ihr Sohn, das können Sie mir nicht abstreiten, gerade so, als wie die Katharine meine Tochter bleibt.«
»Aber was geht mich Ihre Tochter an?« sagte nach einer Pause die alte Dame, wie es schien, ziemlich ärgerlich und ungeduldig. Doch las man hiervon nichts auf ihrem unbeweglichen Gesichte; nur der Ton ihrer Stimme erschien einigermaßen gereizt.
»Was meine Tochter Sie angeht?« versetzte die Gemüsehändlerin, und ihre Stimme erhob sich ein wenig; auch zuckte sie mit ihren beiden Armen, und ihre dicken Fäuste, die des Herabhangens schon lange müde sein mochten, schienen sich nach dem gewöhnlichen Stützpunkte, ihrer Hüfte, zu sehnen. Doch unterließ die Frau auf den Augenblick noch eine solche respektwidrige Haltung. »Was meine Tochter Sie angeht?« wiederholte sie: »ei, gerade so viel und so wenig, wie mich Ihr Sohn.«
»Nun, wenn Sie das einsieht, liebe Frau,« entgegnete die Staatsräthin mit erzwungenem Lächeln, »so können wir dieses Gespräch auf jeden Fall abbrechen; denn mir ist es vollkommen gleichgültig, was Ihre Mamsell Tochter macht, und ebenso wenig ist es mir interessant, etwas Näheres über den Herrn Eugen Stillfried zu vernehmen.«
Jetzt begann die Geduld und Ruhe der Gemüsehändlerin auf die Neige zu gehen. »Erlauben Sie mir,« antwortete sie, und ihre Stimme fing an laut und schneidend zu werden, »erlauben Sie mir, Frau Staatsräthin, ich verlange wahrhaftig nicht nach der Ehre, daß Euer Gnaden sich für die Jungfer Katharine Schoppelmann interessiren sollen, aber es ist denn doch in diesem Punkte ein großer Unterschied zwischen mir und Ihnen. Sie bekümmern sich nicht um das Treiben Ihres Herrn Sohnes, weil Sie nichts davon hören und wissen wollen. Ich aber muß mich darum bekümmern, da dieses Treiben mich oder vielmehr meine Tochter etwas genauer angeht. Genug« – hier hatte ihre Stimme die gehörige Stärke erlangt, und ihr röthliches Gesicht begann einen bläulichen Schimmer anzunehmen – »genug, Ihr Sohn, der Herr Eugen Stillfried, lauft meiner Tochter Katharine auf allen Wegen und Stegen nach, was ich nicht leiden will, und ich habe es einmal für meine Schuldigkeit gehalten, Sie davon in Kenntniß zu setzen. Er ist und bleibt doch einmal Ihr Herr Sohn, und Sie so wenig wie ... andere Leute sind im Stande, dies abzuläugnen.«
»Ei, Frau Schoppelmann,« sagte die alte Dame mit der vollkommensten, wieder erlangten Ruhe, »Sie ereifert sich zu sehr.«
»Da muß man sich ereifern!« fuhr die dicke Frau fort. »Zum Teufel! gnädige Frau, nehmen Sie mir es nicht übel, aber Sie behandeln mich in einer so wichtigen Sache als sei ich eine Bettlerin und wolle einen Kreuzer geschenkt haben. Das ist aber durchaus nicht der Fall und ich bin nur gekommen, Ihre Ansicht zu vernehmen.«
»Ich glaube Ihr schon gesagt zu haben, daß ich über den Herrn Eugen Stillfried durchaus keine Ansichten mehr habe.«
»Aber über Ihren Sohn, Madame!«
»Ich habe keinen.«
»Aber über jenen jungen Herrn, der Ihren Namen trägt.«
»Man hat hier in der Stadt schon lange gelernt, die Namen von den Personen zu trennen,« sagte die Staatsräthin im Tone tiefer Verachtung.
»Also etwas Anderes,« entgegnete von dieser Hartnäckigkeit bestürzt und überrascht die Gemüsehändlerin, »haben Sie mir nicht hierüber zu sagen? So bin ich also ganz vergebens gekommen?«
»In dieser Angelegenheit ja, meine beste Frau,« sprach unbefangen und ruhig lächelnd die alte Dame. »Für diese wirklich vortrefflichen Erdbeeren sage ich Ihr nochmals meinen herzlichsten Dank; sie sind außerordentlich gut.« – Bei diesen Worten nahm sie eine aus dem Körbchen und verspeiste sie anscheinend mit großem Appetit; doch zitterte ihre Hand.
Die Gemüsehändlerin überlief ein leichtes Frösteln, und es begann ihr bei dieser Frau unheimlich zu werden. Sie zuckte ihre Achseln so sehr wie möglich, zog ihr Umschlagtuch fest an sich und sagte: »Ich habe meine Schuldigkeit gethan, Frau Staatsräthin«. Seien Sie versichert, ich werde mich um meine Tochter bekümmern, und jetzt auch in gewissen Angelegenheiten aufs Sorgfältigste um Ihren Herrn Sohn. Erscheint mir die Sache unrichtig, so werde ich gegen zudringliche junge Leute, die den Versuch machen, die Ruhe meines Hauses zu stören, schon irgendwo Schutz und Hülfe finden. Geht aber die Sache auf anständigem und redlichem Wege zu – Sie werden mich verstehen. Frau Staatsräthin?«
Diese Pause, welche die Gemüsehändlerin hier absichtlich machte, benutzte sie, um forschend auf die alte Dame zu blicken, die aber so aufmerksam zum Fenster hinaussah und so theilnahmlos schien, als sei außer ihr Niemand im Zimmer.
»Wenn also,« fuhr Madame Schoppelmann mit lauter Stimme fort, »Herr Stillfried solide und redliche Absichten auf meine Tochter hat, so sehe ich in diesem Falle nicht ein, weßhalb ich deren Glück im Wege stehen soll, und werde alsdann recht gern erlauben, daß der Herr Eugen Stillfried die Jungfer Katharine Schoppelmann zu seiner Frau nimmt. – Ich habe die Ehre, mich der Frau Staatsräthin bestens zu empfehlen«
Damit ging die dicke Frau, jetzt ihres Theils außerordentlich stolz und hochmüthig, zur Thüre hinaus. Kaum aber waren ihre Tritte auf der Treppe verklungen, so sprang die Staatsräthin heftig von ihrem Fauteuil in die Höhe, stieß ihn mit dem Fuße zurück und eilte mit gefalteten Händen im großen Zimmer auf und ab. Aus ihren Augen blitzte ein wildes Feuer, den Kopf hatte sie stolz erhoben, doch bebten ihre Lippen. Bald wurde ihr Schritt minder hastig, bald blieb sie an diesem Fenster, bald an jenem einen Augenblick stehen; das Feuer ihrer Augen erlosch unter hervorbrechenden Thränen, sie preßte die rechte Hand fest auf ihr Herz und sank endlich mit einem lauten Ach, das wie ein schneidender Wehruf klang, in ihren Fauteuil zurück. Das Körbchen mit den Erdbeeren war vom Tisch auf den Boden gerollt, die Früchte lagen hie und da auf dem Fußboden und wurden von den kleinen Wachtelhunden aufs eifrigste verzehrt.
Eine kleine halbe Stunde mochte die Staatsräthin, in tiefes Nachsinnen versunken, in ihrem Fauteuil geruht haben, und während dieser Zeit hatte sie vollkommen das Aussehen einer achtzigjährigen Frau; dann aber glätteten und veränderten sich ihre Züge mit einer wunderbaren Schnelligkeit, ihre Lippen preßten sich wieder fest auf einander, das Auge wurde ruhig, klar und kalt wie früher, und sie zog mit fester Hand die Klingel, welche in das Bedientenzimmer führte.
Jakob erschien unter der Thüre.
»Sagen Sie der Köchin,« befahl die Staatsräthin mit ruhiger, sanfter Stimme, »es sei mein Wille, künftig nichts mehr von jener Frau, die eben hier war, zu kaufen. Ich will sie nicht mehr in meinem Hause wissen; man soll einen andern Lieferanten anschaffen.«
»Die Frau Schoppelmann soll nichts mehr für die Küche besorgen?« fragte der alte Bediente mit einem wahren Schrecken, worauf die Dame entgegnete: »So ist es, Jakob, nicht das Geringste mehr – sagen Sie es der Köchin.«
Jakob eilte die Treppen hinab, sichtlich erregt von dem Befehle, den er soeben erhalten und den er drunten dem sämmtlichen Dienstpersonale wiederholte.
Die Köchin war außer sich und wollte hinauf, um Gegenvorstellungen zu machen. Doch Jakob, der das Gesicht der Staatsräthin schon länger als dreißig Jahre studirt hatte, hielt sie von diesem fruchtlosen Versuche ab. Ihm war es nicht entgangen, daß die Dame droben, trotz der Ruhe ihres Aeußern, sich in einer großen Gemüthsbewegung befand. Er zuckte die Achseln und bat die alte Martha, ruhig zu sein – in dieser Angelegenheit sei wenigstens für heute nichts zu ändern.
Da wurde abermals die Glocke an der Hausthüre gezogen, und Jakob, der sehr ernst gestimmt war, öffnete sogleich.