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Als vor ein paar Jahren der Kriegslärm in Oberitalien losbrach und Marschall Radetzky seine Soldaten zu Kampf und Sieg führte, konnte ich es nicht lassen, mit dem österreichischen Adler zu ziehen und unter diesen glorreichen Fahnen, wenn auch nur als Arzt, hinten bei der Bagage, statt mit dem Säbel mit dem Verbandzeug, für die braven Truppen nach besten Kräften zu wirken.
Ich hatte gute Briefe und Protektionen, und so ward es mir gestattet, bei dem Auszuge aus Mailand mit dem Hauptquartier ziehen zu dürfen; ich ward zur Disposition gestellt, um mich später einem Truppenkörper, bei dem es gerade an Aerzten fehle, anschließen zu können. So kamen wir nach St. Angelo, den zweiten Tag darauf nach Pavia, wo der große Feldherr mit Einem Mal seine ganze Armee in das feindliche Land hinüber warf, zur großen aber nicht sehr angenehmen Ueberraschung der Piemontesen, die in dem festen Glauben standen, es werde hier am Tessin nur ein kleines Corps zur Beobachtung aufgestellt.
Der Uebergang über diesen Fluß, der Mittags um zwölf Uhr begann und bis tief in die Nacht hinein dauerte, war das großartigste von militärischen Schauspielen, denen ich in meinem Leben beigewohnt, und ich werde auch wohl nie wieder etwas Aehnliches zu sehen bekommen. Diese Masse Infanterie und Kavallerie, die lustigen Jägerbataillone mit ihren grünen Büschen, die schwere und leichte Artillerie und Raketenbatterieen, das alles dröhnte und rasselte in den engen Straßen Pavia's, und eine unzählige Menschenmenge schaute dem Einzuge der österreichischen Armee zu. Der Feldmarschall stand an der Ecke der Hauptstraße Stundenlang auf dem kleinen Balkon des ersten Gasthofes der Stadt, der sich hier befindet, und ließ die Truppen an sich vorüber ziehen. – Aber ihr habt das alles in den Zeitungen gelesen, von dem Enthusiasmus der Soldaten, als sie den geliebten Feldherrn da droben stehen sahen, von ihrem unendlichen Jubelgeschrei in so und so vielen Sprachen, das die Lüfte wahrhaft zerriß. – Es war ein unvergeßlicher Anblick.
Das Hauptquartier befand sich in dem Gasthause, von dem ich eben sprach; die Pferde desselben standen in den Ställen und im Hofe, und mehrere Offiziere, die gerade nicht beschäftigt waren, hielten sich am liebsten am großen Thore auf, um da vorüberziehenden Bekannten ein freundliches Wort zu schenken. – Aber der ganze Tag verging. Das Vorbeiziehen dauerte immer fort. In dicht geschlossenen Kolonnen folgten sich Kompagnieen, Bataillone, Regimenter. Es wurde Abend, und fort und fort klirrte und rasselte es am Hause vorbei.
Die jungen Offiziere des Hauptquartiers hatten hinten nach dem Hofe zu ein paar leere Zimmer aufgefunden, und dort saßen wir, der Dinge erwartend, die sich heute noch ereignen würden. Es waren kleine Stuben mit weißen Wänden, kleinen vergitterten Fenstern und einem sehr spärlichen Ameublement; ein paar grobe hölzerne Tische und Bänke war alles, was von dergleichen vorhanden war. Hiezu ein grobes Tischtuch auf einem der ersteren, das in italienischen Gasthäusern unentbehrliche Essig- und Oelfläschchen und einige strohumwundene Flaschen. Aber Alles war heiter und guter Dinge. Im Herde brannte ein lustiges Feuer, was uns allen sehr wohl that; denn es war Mitte März, und der freundliche Sonnenstrahl, der draußen über die Ebene glänzte und sich wohlgefällig in den zahllosen Bayonetten und Helmen spiegelte, konnte nicht eindringen in diese Hinterzimmer, und deßhalb hatten wir sie bei unserer Ankunft recht unheimlich und frostig gefunden. Cigarren dampften, Gläser klirrten; Niemand wußte, wie lange wir hier verweilen würden. Bald hieß es, das Hauptquartier setze noch im Laufe des Nachmittags mit den ersten Truppen über den Tessin; dann sagte man wieder, wir werden Pavia erst bei einbrechender Nacht »erlassen; kurz, wir wußten nicht, was heute aus uns werden sollte; – nur der alte Herr draußen auf dem Balkon wußte es, der mit fester Hand und sicherem Blick das Schicksal dieser sechzigtausend Menschen leitete, die heute hier vorüber zogen. In dieser Ungewißheit blieben die Pferde gesattelt, und die Offiziere saßen bei einander in Wehr und Waffen, Helm und Tschako auf dem Kopf, Säbel und Säbeltasche an der Seite.
Im Felde ist man gleich eingerichtet, und nachdem sich so in den beiden hinteren Zimmern kleinere und größere Gruppen gebildet hatten, ging das Glas und die Conversation lustig im Kreise. Auch mit Neuigkeiten wurden wir bedacht; denn jeder der Ordonnanzoffiziere und Adjutanten, der vom anderen Ufer mit einer Meldung herüberkam, trat, sobald er droben verabschiedet war, wenn auch nur auf wenige Augenblicke, in unser Zimmer und nahm eine Cigarre und ein Glas Orvieto. – Nun, wie geht's? rief man ihm entgegen. – Wir haben ein paar Vorposten gesehen, aber sie zogen sich schleunigst zurück; unsere braven Jäger hatten nicht einmal Zeit, ihre Büchsen abzufeuern, – Bleiben wir hier? – Weiß nicht, sind noch keine Befehle ausgegeben worden. Nun, mir scheint, ihr könnt's hier schon aushalten. – Warum nicht? Aber es wäre drüben doch besser. – Na, lebt wohl! Ich muß wieder hinaus. – Adieu, auf Wiedersehen!
Von Zeit zu Zeit ging wohl auch der Eine oder der Andere zur Hinterthüre des Gasthofes hinaus, einige Straßen weiter, auf eine alte Bastion, wo man den Tessin vor sich sah und weit in das Piemontesenland hineinblicken konnte. Es war ein herrlicher Anblick! Auf drei Brücken zog die prächtige Armee über den Fluß, – ein unendliches Gewimmel von Menschen, Pferden und Fahrzeugen; dazu spielten die Musiken auf allen Punkten, die Soldaten riefen ein kräftiges Hurrah, als sie den feindlichen Boden betraten, wo alsdann Regiment um Regiment, Infanterie, Kavallerie und die zahlreichen Batterieen auf verschiedenen Straßen abmarschirten. Doch lange noch erblickte man sie drüben ziehen; zwischen den Bäumen an den Ufern des Tessin sah man im röthlichen Scheine der Abendsonne Geschütz und Waffen glänzen, und weiter hinaus, wie sich die Kolonnen gleich gewaltigen Strömen in das feindliche Land ergossen.
Von einer solchen Promenade kehrte man gern wieder zurück in die hinteren Zimmer des Gasthofes und erzählte den Zurückgebliebenen, was man draußen alles gesehen.
Es gibt wohl in der ganzen Welt in keiner Lage des Lebens glückseligere und zufriedenere Leute, als Offiziere beim Beginn eines Feldzuges, an einem Tage wie heute, wo vielleicht morgen schon eine Schlacht zu erwarten ist. Mit blitzenden Augen und wahrem Entzücken spricht man vom bevorstehenden Kampfe; wer schon dabei gewesen, erzählt kleine Züge von einer tüchtigen Attaque, aus einem lustigen Reitergefecht; und der, welcher noch keinen feindlichen Säbel blinken sah, noch nicht das Sausen der Kugeln gehört, lauscht aufmerksam und mit Befriedigung den Worten der Anderen; denn er braucht wahrscheinlich nach diesem Genusse nicht lange mehr zu schmachten; vielleicht morgen schon schlägt seine Stunde, eine gute oder eine schlimme – sei's darum!
So saßen wir beisammen, erzählend, lachend, plaudernd. Schon einige Mal hatten wir unter dem allgemeinen Gewühle draußen, das unter dem großen Thorgang herrschte, einen jungen Mann bemerkt, dessen Aeußeres uns einigermaßen aufgefallen war. Dieses Aeußere war so einnehmend, sein Kopf, ja seine ganze Haltung so elegant und gar nicht passend zu den Leuten des Gasthofes oder den Ordonnanzen und Reitern, zwischen denen er stand, daß ich ihn schon mehrere Mal aufmerksam angesehen hatte. Er trug einen grauen Rock mit grünem Kragen, wie man bei uns die Förster sieht, dazu graue Beinkleider und elegante Stiefel; auf dem Kopf hatte er eine Art Tyrolerhut von dunkelgrauer Farbe. Jetzt lehnte er an dem Thore und sah dem Vorbeiziehen der Truppen zu, zuweilen kam er auch an die Thüre der hinteren Zimmer, wo sich die Offiziere befanden; doch schien er nicht den Muth zu haben, einzutreten. Meistens aber hielt er sich an der großen Treppe auf, die in den oberen Stock führte; er schien von dorther angelegentlich etwas zu erwarten. Der junge Mann hatte dunkles Haar, ein angenehmes, etwas blasses Gesicht und einen stark hinaufgedrehten Schnurrbart; seine Augen waren braun, lebhaft und freundlich. Ein paar Stunden später, als ich wieder in dem hinteren Zimmer am Kamine saß und die Flamme desselben mit dürrem Olivenholz nährte, bemerkte ich den Adjutanten des Feldmarschall's, Major E., der in das Zimmer trat, hinter ihm der junge Mann, dessen ich soeben erwähnt. Neben mir am Kamine stand ein junger Jägeroffizier von einem Bataillon, das bereits vor einer Stunde vorbeimarschirt war. Er war beordert worden, zurückzubleiben, um seinem Chef später einen Befehl des Hauptquartiers überbringen zu können. An diesen wandte sich der Adjutant und stellte ihm den Unbekannten im grauen Jägerrocke vor.
»Herr so und so,« sagte er – ich verstand den Namen nicht – »hat sich mit guten Papieren und Empfehlungen im Hauptquartier gemeldet und wünscht den Feldzug als Freiwilliger mitzumachen. Da er Ihrem Bataillon zugetheilt wurde, so wollen Sie ihn gefälligst instruiren, wohin er sich morgen in aller Frühe zu wenden hat, Ihr Bataillon bleibt ganz in der Nähe, und wenn Sie einmal genau den Ort wissen, wo Sie hin marschiren, bitte ich, es ihm zu sagen, so kann er morgen mit weiter marschiren.« Der Major ging hinaus, und der Jägeroffizier sagte zu seinem neuen Freiwilligen: »Halten Sie sich in der Nähe auf, bleiben Sie im Hause, und sobald ich etwas über den Namen des Ortes erfahre, wo sich unser Bataillon befindet, so werde ich es Ihnen augenblicklich mittheilen.«
Der junge Mann zog sich bescheiden nach der Thüre zurück und setzte sich dort an einem Tische nieder, wo ihm ein paar Offiziere aufs Freundlichste und Bereitwilligste ein Plätzchen einräumten. Später ging er wieder hinaus, und ich verlor ihn vorderhand aus dem Gesichte; nachher machte ich mit mehreren Offizieren, da unterdessen die Nachricht gekommen war, das Hauptquartier bleibe in Pavia, einen größeren Spaziergang, und als wir zurück kamen, war es bereits Nacht geworden.
Noch immer zogen die Truppen am Gasthofe vorbei, noch immer war der Thorweg unseres Hauses mit einer Menge von Leuten vollgepfropft. Man hatte uns zu einem gemeinschaftlichen Nachtessen einen größeren Saal im Vorderhause eingeräumt, dort bekamen wir unsere Quartierzettel – ich war in das weiße Kreuz gewiesen, in einer Straße gelegen, deren Namen ich begreiflicher Weise in meinem ganzen Leben früher nicht gehört.
Nachdem wir noch ein paar Stunden bei einander gesessen unter lustigem Lachen und Scherzen, war es spät geworden, und Jeder suchte sein Quartier auf. Für meine Pferde hatte ich durch den glücklichsten Zufall einen kleinen Winkel im Gasthause selbst gefunden, und nachdem ich mich überzeugt, daß sie nebst dem Reiter, der sie unter Aufsicht hatte, gut versorgt seien, warf ich meinen grauen Paletot über die Schulter, nahm meinen Säbel unter den Arm und wollte das Haus verlassen.
Hier war es unterdessen bedeutend stiller geworden, die Zuschauer hatten sich verlaufen, Ordonnanzen und Reiter ihre Stuben und Ställe aufgesucht, und ich bemerkte unter dem Thorwege nur noch einen einzigen Menschen, der, in einen weiten blauen Mantel gewickelt, auf einem Steine saß und zu schlafen schien.
Als ich näher trat, bemerkte ich, daß es jener junge Mann, jener Freiwillige war. Ich konnte mich nicht enthalten, einen Augenblick bei ihm stehen zu bleiben.
Er schlief nicht, sondern blickte in die Höhe, als ich vor ihn hintrat.
»Warten Sie auf Jemand?« fragte ich ihn teilnehmend. »Wünschen Sie vielleicht noch einen der Offiziere zu sprechen? – Wenn ich Ihnen da dienlich sein kann, will ich es recht gern thun.«
»Ich danke Ihnen herzlich,« sagte der junge Mann, indem er seine Hand grüßend an seinen Hut erhob, »ich warte auf Niemand; ich habe meine Instruktionen erhalten.«
»Sie wurden heute Mittag als Freiwilliger einem Jägerbataillon zugetheilt?« forschte ich weiter.
»Ganz recht!« entgegnete er mir, »es liegt bei La Cava, wo es auch morgen wahrscheinlich bleibt, und wohin ich mich mit dem Frühesten begeben werde.«
»Aber unterdessen« – sagte ich lächelnd – »wollen Sie unter dem Thorwege bleiben?«
Ei zuckte mit den Achseln und versetzte ebenfalls lächelnd:
»Was will man da machen? Ich bin sehr glücklich, daß man mich meinem Wunsche gemäß einem Jägerbataillon zugetheilt; ich kann doch gewiß nicht verlangen, daß man mir obendrein noch Quartier gebe.«
»Sie sind ein Deutscher?«
»Ja wohl,« sagte er, »aus Bayern.«
»Aber die Nacht ist lang,« entgegnete ich, »und Sie haben hier wahrhaftig einen schlechten Aufenthalt.«
»Das wird noch oft so kommen,« meinte er, »und vielleicht noch schlimmer als hier. Da bin ich doch vor Regen und Wind geschützt; mein Mantel ist auch warm genug.«
»Wissen Sie was?« sagte ich ihm, »ich befinde mich fast in der gleichen Lage wie Sie; ich bin ebenfalls Freiwilliger, ein Deutscher, Arzt, und dem Hauptquartier zugetheilt. Ich habe hier eine Anweisung auf ein Quartier, wahrscheinlich auch auf ein Bett, und außerdem werden wir gewiß noch eine Matraze oder ein Sopha auftreiben. Kommen Sie mit mir, ich kann einen Landsmann unmöglich unter dem Thorwege lassen.«
Er sah mich einen Augenblick erstaunt an und sagte darauf: »Ich will wahrhaftig Ihre freundliche Einladung nicht abschlagen. Sie haben Recht; es ist in der Stube, besser als hier.«
»So kommen Sie, wir wollen gehen.«
Wir verließen das Haus und gingen die breite Hauptstraße von Pavia hinab.
Fort und fort zogen die Truppenmassen noch immer durch die Stadt, es war, als sollte das niemals aufhören. In diesem Augenblicke war die Straße, so weit man sehen konnte, mit Geschützen bedeckt, eines hinter dem anderen. Auf den Laffetten saßen die Leute in ihren Mänteln, dunkel und gespensterhaft; die Lunten glimmten, die Geschützröhre glänzten in falbem Scheine, die Pferde gingen in langsamem Schritte, und die ganze gewaltige Masse dröhnte auf dem Pflaster dahin, daß die Fenster erzitterten.
Das weiße Kreuz lag in einer engen Nebenstraße und erwies sich als ein sehr bescheidenes Gasthaus. Doch führte man uns in ein großes Zimmer, und da wir zu zwei kamen, so sah der aufwartende Kellner die Notwendigkeit ein, neben dem vorhandenen Bette noch eine Lagerstatt einzurichten, was er auch aufs Bereitwilligste that. Mein junger Freiwilliger legte seinen Mantel ab, sowie ein kleines Felleisen, das er unter demselben getragen.
»Sie werden müde sein,« sagte ich, »und nach Ruhe verlangen?«
»Durchaus nicht,« entgegnete er mir; »ich komme heute von Mailand und habe diesen Weg mit einem Einspänner zurückgelegt, auch hielt ich mich unterwegs ein paar Stunden in der Certosa auf. Ein prächtiges Bauwerk, voll der herrlichsten Kunstschätze!«
»Das will ich meinen!« erwiderte ich einigermaßen erstaunt. »Sie sind ein Verehrer der Kunst?«
»Ein Verehrer und Ausüber derselben,« antwortete er mir; »ich bin selbst Künstler – hoffe es wenigstens zu sein,« setzte er lächelnd hinzu – »ich bin Bildhauer.«
»Ah!« sagte ich überrascht; »und Sie verlassen Ihre schöne Kunst, um dem wilden Kriegsleben nachzugehen? – Das finde ich einigermaßen unbegreiflich.«
Er zuckte die Achseln und sprach: »Ich verstehe Sie vollkommen; aber es gibt Verhältnisse im Leben, wo es einem die größte Wohlthat ist, sich in einen wilden Strudel zu stürzen, wenn man auch vielleicht darin untergeht; ein wildes, brausendes Leben aufzusuchen, von dem man wenigstens das hat– so hoffe und glaube ich – daß es die Sinne betäubt und das Andenken an frühere Tage vergessen macht.« »Ei, ei!« entgegnete ich lächelnd; »haben Sie denn so schreckliche Erinnerungen, die Sie nicht anders als durch ein solch überkräftiges Mittel aus Ihrem Gedächtnisse verbannen können, und find diese Erinnerungen wirklich der Art, daß Sie Gesundheit und Leben auf das Spiel setzen, um sie und sich selbst zu vergessen?«
»Ja und nein,« antwortete er mir; »es ist eine jener Geschichten, die nur für den, welchen sie betreffen, die größte Wichtigkeit haben, die aber Anderen unbedeutend, vielleicht fade erscheinen können.«
»Also eine Liebesgeschichte!« sagte ich lächelnd.
»Man könnte es so nennen.«
»Und wegen einer solchen werden Sie Ihrer göttlichen Kunst untreu und stürzen sich in dieses Treiben hier – Sie, den die geringste körperliche Verletzung, die Sie erhalten, vielleicht für immer untauglich machen wird, je wieder den Modellirstab und den Hammer in die Hand zu nehmen?«
»So arg ist es auch wohl nicht,« entgegnete der junge Mann. »Zum Krüppel geschossen zu werden, wäre mir freilich entsetzlich; aber eine Kugel, die einen so mitten aus der Sturmattaque abruft und einen dahin wirft in Gras und Blumen, ist nicht zu verachten; man sieht nur noch den letzten betrübten Blick des Kameraden, dann umflort sich das Auge, und nur das Ohr ist noch der Vermittler zwischen dem Sterbenden und der äußeren Welt, und in dieses Ohr, das aufmerksam lauschende, bringt ein plötzliches Hurrah! ein Siegesjubel! – die feindliche Batterie ist genommen.«
»Das ist alles sehr schön und gut,« antwortete ich dem jungen Freiwilligen; »für Jemanden, der des Lebens müde ist, wäre ein solcher Tod freilich der angenehmste; aber erstens kann ich mir in der That nicht denken, daß Sie sich in dem Falle befinden, und zweitens vergessen Sie nicht, daß sich ein jugendliches Leben, wie das Ihrige, schwer von einem so kräftigen Körper losreißt. Da liegen Sie in Schmerzen und Todesangst – keine Hülfe weit und breit. Die Liebe zum Leben findet sich mächtig wieder ein – umsonst! es fehlt die hülfreiche Hand, welche Sie aufrichtet und sorgsam pflegt!«
»Das ist wohl alles wahr,« meinte düster der Bildhauer; »warum aber das Schlimmste glauben? – Ich sagte vorhin: wenn eine Kugel meinem Leben ein Ende macht, wohlan, so geschehe es! Ich will aber damit nicht aussprechen, daß ich das für unbedingtes Resultat meines Feldzuges ansehe und herbeiwünsche; gewiß nicht! Ich will nicht als eine Art von Selbstmörder vor Ihnen stehen, von Ihnen scheiden – was ich vorhin sagte, ist wahr: ich will eine traurige Periode meines Lebens vergessen, vielleicht gelingt es mir, vielleicht putzt der Kriegslärm und das Getöse der Schlacht Kopf und Brust wieder hell und rein – wie sie ehedem waren,« setzte er schmerzlich hinzu, »und dann habe ich meinen Zweck auch erreicht; ich habe diesen Beschluß einmal gefaßt, und würde um keinen Preis zurücktreten.«
Der junge Künstler gefiel mir, trotz des sonderbaren, für einen ruhigen Menschen nicht vollgültigen Motives, das ihn hieher nach Italien rief. Es lag etwas so Frisches und Gesundes in seinem Aeußeren, und auch in der Art, wie er mir alles das erzählte. Da war nichts Sentimentales, nichts Geziertes, keine Empfindelei; er schaute mich mit seinen glänzenden Augen hell an und drehte seinen Schnurrbart keck in die Höhe, während er mit mir im Zimmer auf und ab schritt.
Ich bin sonst ein Feind aller Liebesgeschichten und danke für jede Mittheilung einer solchen; aber hier war ich wirklich neugierig, zu erfahren, was diese anscheinend so gesunde Natur denn so Schlimmes erlebt habe, um sie zu diesem Beschlusse hieher zu treiben.
»Wissen Sie was?« sagte ich ihm, »Sie sind nicht ermüdet, ich auch nicht, wir wollen uns ein Glas Punsch bestellen, und dann erzählen Sie mir Ihre Geschichte.«
»Warum nicht?« entgegnete er; »aber erwarten Sie nicht, etwas Bedeutendes zu hören.«
Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie immer neu –
Und wem sie just passiret,
Dem bricht das Herz entzwei.
Der Punsch kam, wir steckten uns Cigarren an und mein junger Freund erzählte.