Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

 

13. Uebersetzungs-Angelegenheiten

Der junge Mann, der unter die Thür des Zimmers trat und sich in diesem einen Augenblick umschaute, ehe er näher kam, war der Maler Arthur, der dem geneigten Leser bereits bekannt ist. Er überzeugte sich durch einen Blick, daß sich Herr Blaffer auf seinem Comptoirstuhl befand, dann nahm er seinen Hut ab und trat in das Gemach.

»Ah! Sie sind's, mein vortrefflicher junger Freund!« rief der Prinzipal, indem er von seinem Sitz herabhüpfte und mit vorgestreckten Händen und Knieen auf den Eingetretenen zurutschte. »Ah! Sie sind pünktlich, wie ich es liebe und wie ich es selbst in allen Geschäften bin. Schlag elf Uhr. Wollen wir nicht in mein Wohnzimmer spazieren?«

»Ich meines Theils befinde mich ganz gut hier,« sagte der Maler, nachdem er für die freundliche Begrüßung mit einem Kopfnicken gedankt, ohne jedoch den doppelten Händedruck besonders stark erwidert zu haben. – »Geschäfte macht man am besten im Geschäftslokal ab, und Anderes führt mich nicht daher.« Bei diesen Worten trat er an den Pult, um Hut und Stock abzulegen; und als er sich darauf umwandte, entdeckte er erst den alten Mann, der den Griff der Thüre erfaßt hatte und sich eben hinausschleichen wollte.

Herr Blaffer sah sich genöthigt, die beiden Herren miteinander bekannt zu machen. – »Herr Staiger,« sprach er, »einer meiner Uebersetzer, – Herr Arthur Erichsen, einer unserer talentvollsten, geachtetsten jungen Maler, ein Talent, welches so Großes verspricht, und sich dennoch herablassen will, unser geringes Werk zu illustriren.«

Arthur schüttelte unmuthig den Kopf über diese Worte des Buchhändlers; doch konnte einem aufmerksamen Beschauer nicht entgehen, daß er dies eigentlich nur that, um eine augenblickliche Verlegenheit, ja eine gelinde Röthe, die sich über sein Gesicht verbreitete, zu verbergen. Er kannte ganz genau den alten Mann, der vor ihm stand, und er hatte eigentlich gehofft, ihn hier zu treffen. Daß ihn der Vater der schönen Tänzerin, die er so sehr liebte, noch mit keinem Auge gesehen, machte er sich gewissermaßen zum Vorwurf und ging deßhalb auf den alten Mann mit einiger Befangenheit zu, wobei er ihm aber freundlich seine Hand entgegen reichte.

»Ich freue mich in der That, Sie zu sehen,« sagte Arthur; »recht sehr freue ich mich, und obgleich Sie wohl im Begriff zu sein scheinen, wieder hinweg zu gehen, so bitte ich Sie doch, da zu bleiben, indem mir Ihre Ansicht bei der Unterhandlung mit Herrn Blaffer von Wichtigkeit ist.«

Herr Staiger blickte einigermaßen überrascht in das freundliche Gesicht des unbekannten jungen Mannes, der seinem Aeußern nach offenbar den besten Ständen angehörend, sich nicht an sein abgeschabtes Röckchen zu kehren schien und ihm so freundlich entgegen kam.

Der Buchhändler zuckte leicht die Achseln, bat den Maler, ihm gegenüber den Platz des Herrn Beil einzunehmen, und kletterte dann ebenfalls wieder auf seinen Schreibbock hinauf.

Arthur blickte fragend auf den alten Mann, der hinter der Thüre neben der Kiste stehen geblieben war, dann wandte er sich an den Lehrling und sagte ihm ruhig und bestimmt: »Bringen Sie doch dem Herrn einen Stuhl; Sie sehen ja, daß wir sitzen und Herr Staiger uns zu Liebe da bleibt.«

Der Buchhändler nickte verdrießlich mit dem Kopfe, und der junge blonde Mensch eilte nicht ohne ein kaum bemerkbares Lächeln in's Nebenzimmer, von wo er alsbald mit einem der besten Stühle seines Prinzipals zurückkam.

In diesem Augenblicke trat Herr Beil in das Zimmer, wollte sich aber wieder zurückziehen, da er seinen Platz besetzt fand.

Arthur blickte in die Höhe und als er den Commis sah, der ihm wohl bekannt war, nickte er ihm freundlich entgegen und sagte: »Sie werden entschuldigen, lieber Herr Beil, daß ich einen Augenblick Ihren Stuhl eingenommen, ich werde übrigens nicht lange Gebrauch davon machen, da wir bald im Reinen sein werden.«

Bei diesen Worten flog an diesem Morgen das erste freundliche Lächeln über das Gesicht des Buchhändler-Commis. »Ah, Sie sind es!« versetzte er; »freut mich recht, Sie zu sehen. Warten Sie, ich will Ihnen gleich einen Bogen Papier unterbreiten, denn ich sehe, Sie haben schon den Bleistift in der Hand; sonst zeichnen Sie mir wieder allerlei Ungeheuer in mein Hauptbuch.«

»Seien Sie unbesorgt,« entgegnete Arthur lächelnd, »ich habe mir Ihre Lektion von neulich gemerkt.«

»Nun endlich zur Sache!« rief ungeduldig der Buchhändler. »Lassen Sie uns in Frieden, Herr Beil! Schauen Sie lieber diesem jungen faulen Schlingel da zu, der mit einer Langsamkeit einpackt, daß es wahrhaftig zum Erbarmen ist. – Also, Herr Staiger,« wandte er sich an den alten Mann, »da Sie nun einmal da sind, ist es mir lieb, wenn Sie zuhören, auch vielleicht Ihren Rath geben. Herr Erichsen will also die Freundlichkeit haben, zu unserer Ausgabe von Onkel Tom's Hütte vortreffliche Illustrationen zu machen. Es ist mir ein Bedürfniß, Originalzeichnungen zu erhalten, denn ich hasse den Nachdruck, selbst wenn er vollkommen erlaubt ist wie hier, wo es sich nur darum handelt, englische Originale zu benutzen.«

Während dieser Rede sah Herr Blaffer so salbungsvoll an die Decke des Zimmers empor und machte ein so merkwürdig ehrlich sein sollendes Gesicht, daß sich Arthur nicht enthalten konnte, diese herausfordernden Züge mit einigen kecken Umrissen auf das Blatt Papier zu skizziren.

»Was meinen Sie nun,« fuhr der Buchhändler fort, »sollen wir zu jeder Lieferung eine Illustration geben, was allerdings acht für den Band machen würde, oder wollen wir uns damit begnügen, für zwei Lieferungen eine herzustellen? – Was meinen Sie dazu, Herr Staiger?«

»Wenn man zu jeder Lieferung eine Illustration machte,« sagte dieser schüchtern, »so würde das wohl die Kosten bedeutend erhöhen.«

»Auf die Kosten kommt es Herrn Blaffer nicht an,« versetzte der junge Mann, während er ruhig fortzeichnete, »wenn die Arbeit nur gut wird.«

»Allerdings,« meinte kleinlaut der Prinzipal; »nur ist das Holzschneiden eine sehr theure Geschichte.«

»Dafür kosten Sie ja aber die Zeichnungen fast gar nichts,« warf der Maler leicht hin. »Sie haben mich gebeten, sie zu machen, und da ich mich gerade einmal in dem Genre versuchen möchte, so zeichne ich Ihnen die Illustrationen für eine Kleinigkeit.«

»Ja, ja,« sprach mühsam lachend der Buchhändler, »was ihr Herren Kleinigkeiten nennt. – Nun, es kommt mir ja nicht darauf an. Also machen wir zu jeder Lieferung eine Illustration und Sie werden sie mir gleich auf's Holz zeichnen.«

Arthur nickte mit dem Kopfe.

»So wären wir vorderhand im Reinen,« fuhr Herr Blaffer fort und sagte, indem er sich an den alten Mann wandte: »Jetzt hätten wir für heute nichts mehr miteinander abzumachen; besorgen Sie mir also das Manuskript zur fünften Lieferung und Sie sollen alsbald haben, was Sie gewünscht. – Guten Morgen, Herr Staiger!«

»Noch einen Augenblick!« bat der Maler, ohne aber von seinem Papier in die Höhe zu sehen. »Im Interesse der Illustrationen wäre es mir sehr erwünscht, mich zuweilen mit dem Herrn Staiger besprechen zu können. Wir wollen doch nicht gerade die gleichen Scenen, wie in der englischen Ausgabe illustrieren; der Ansicht werden Sie doch auch sein, Herr Blaffer?«

»Jedenfalls etwas ganz Neues,« antwortete der Buchhändler. »Herr Staiger wird gewiß gern zuweilen in Ihre Wohnung kommen.«

»Gewiß,« sagte der alte Mann, »wenn Herr Erichsen mir nur sagen will, wenn ich ihn zu Hause treffe.«

»Gott bewahre!« entgegnete eifrig der Maler, indem er sich aber noch tiefer auf das Blatt Papier niederbeugte. »Das werde ich nimmermehr zugeben, daß Sie Ihre kostbare Zeit in Gängen nach meiner Wohnung verschleudern. Ein Künstler wie ich, der bald hier bald da ein Stück von der Außenwelt gebraucht, schlendert viel in den Straßen umher, und wenn Sie mir – – Ihre Wohnung angeben und mir sagen wollen, wann ich Sie am besten treffe, so mache ich mit dem größten Vergnügen, – gewiß mit dem größten Vergnügen hie und da einen Sprung zu Ihnen.«

»Es wird mir eine große Ehre sein,« antwortete Herr Staiger, »wenn Sie meine Dachkammern aufsuchen wollen; aber sie sind etwas entlegen – Balkengasse Nummer vierzig über vier Stiegen. – Was die Zeit anbetrifft, wo Sie mich zu Hause finden, so bin ich gemeiniglich den ganzen Tag da; wenn ich je einmal ausgehe, so geschieht das zwischen zwölf und ein Uhr nach meinem Mittagessen.

»Balkengasse Nummer vierzig,« sprach der Maler mit leiser Stimme, während er eifrig fortzeichnete. »Ich will mir's gewiß merken.«

Unterdessen war Herr Beil an den Pult getreten, und während er that, als betrachte er sich die Zeichnung, welche Arthur auf das Blatt Papier hinwarf, schob er diesem unbemerkt ein kleines Zettelchen zwischen die Finger, worauf die Worte standen: ›Erkundigen Sie sich unbefangen nach dem Honorar, welches für eine Übersetzung bezahlt wird.‹

Herr Staiger hatte bereits den Drücker der Thüre in der Hand und wollte sich entfernen.

»Apropos,« sagte Arthur ganz gleichgiltig, »das Übersetzen muß doch eigentlich ein gutes Geschäft sein. Man braucht keine Vorstudien zu machen, man schreibt eigentlich nur ab, man bezahlt gute Honorare: es muß doch etwas dabei zu verdienen sein. Nicht wahr, Herr Staiger?«

»O gewiß, wenn man fleißig ist,« entgegnete statt des Gefragten der Buchhändler, »wenn es einem rasch von der Hand geht.«

»Wäre es indiskret von mir,« fuhr der Maler fort, »wenn ich Sie fragte, wie viel zum Beispiel für einem solchen gedruckten Bogen dieser Onkel Tom's Hütte bezahlt wird?«

Diese Frage mußte allerdings an gegenwärtigem Orte sehr indiskret erscheinen, denn Herr Blaffer zog seine Augenbrauen finster zusammen, Herr Staiger blickte zur Erde, und während Herr Beil eine ungemein freundliche Grimasse zog, sperrte der blonde Lehrling seinen Mund vor Verwunderung und Freude weit auf.

»Das ist eigentlich schwer zu sagen,« nahm der Buchhändler nach einer längeren Pause das Wort; »ich bemerkte schon: wer fleißig ist, wem's von der Hand geht, der kann es schon zu was bringen.«

»Da wäre also die erste Frage,« fuhr der Maler unerschütterlich fort, während er die Gesichtszüge des Prinzipals in einer erschreckenden Ähnlichkeit auf das Papier feststellte, »wie lange schreibt man an so einem Druckbogen? – Nun, Herr Staiger, Sie sind doch gewiß ein recht fleißiger Mann, was bringen Sie also an einem Tage vor sich?«

Der Gefragte wußte nicht recht, ob und was für eine Antwort er geben sollte. Er blickte auf den Buchhändler, der ein Lineal heftig zwischen den Fingern drehte, dann sah er den Herrn Beil an, der ihm so heftig und eindringlich zunickte, daß er sich eines kleinen Lächelns nicht erwehren konnte.

»Nun?« fragte der Maler.

»Ja – a, ja – a – a, es ist eigentlich so, wie Herr Blaffer sagt,« meinte der alte Mann, »wenn man viel arbeitet, so kann man etwas verdienen: ich zum Beispiel –«

»Aber was kann Sie das interessiren!« warf der Buchhändler dazwischen. »Kommen Sie einen Augenblick in meine Wohnstube, wir wollen unsere Konditionen wegen der Zeichnungen festsetzen, und dann will ich Ihnen auch wohl gern Einiges über die Übersetzungsgeschichten sagen.«

»Lassen Sie doch den Herrn Staiger sprechen,« entgegnete Arthur gleichgiltig. »Gott! mein verehrter Herr Blaffer, wir kennen ja einander. Wenn Sie zu Papa auf die Kasse kommen, so weiß ich, daß man Sie dort gern über alles Mögliche belehrt.« – Dies war eigentlich ein Stich auf den Buchhändler; denn wenn er Geldgeschäfte hatte, Wechsel umsetzte oder fremde Papiere einhandelte, so studirte Niemand genauer die Kurszettel als der Herr Blaffer, der oftmals unbescheiden genug gewesen war, wegen einiger Gulden die Einsicht in Korrespondenzen zu verlangen.

»Nun also –?«

»Gewöhnlich stehe ich des Morgens um vier Uhr auf,« sagte der alte Mann, »mache mir ein kleines Feuer an, rücke meinen Tisch an den Ofen, und wenn meine Finger, die während der ebengenannten häuslichen Geschäfte etwas einfrieren, wieder warm geworden sind, so nehme ich meine Feder und fange an zu arbeiten. Allemal aber habe ich schon eine Stunde vorher in meinem Bette einige Kapitel durchlesen müssen, damit mir die Arbeit nicht ganz fremd ist. So arbeite ich fort bis um sieben Uhr, wo die Kinder aufstehen und – nach ihrem Frühstück verlangen.« – Dies sagte Herr Staiger mit einem trüben Lächeln. – »Darum habe ich mich aber nichts zu bekümmern,« fuhr er fort – »denn meine älteste Tochter Clara sorgt dafür, weßhalb es mir auch keine Zeit wegnimmt. Diese fünf Stunden nun, von Vier bis Neun, sind mir aber die kostbarsten, denn da Clara um neun Uhr fortgeht, so befinde ich mich von der Zeit an mit den kleinen Kindern allein und werde alle Augenblicke von ihnen gestört, besonders von meinem Buben, der noch nicht in die Schule geht. Bald muß ich ihn vom Fenster wegholen, bald ihm irgend ein Spielzeug machen, damit er ruhig sitzt, und wenn es elf Uhr geworden ist, so muß ich auch sehen, daß das Feuer wieder besser brennt, damit Clara, welche um Mittag kommt, in sehr kurzer Zeit unser Essen fertig bringt. Von Zwölf bis Eins nun ist meine Erholung; nach dieser Zeit fange ich wieder an zu arbeiten, und schreibe dann so fort bis neun, zehn, auch wohl elf Uhr.«

»Und was haben Sie dann vor sich gebracht,« fragte eifrig der Maler, »in der Zeit eines solchen langen Tages?«

»Wenn es mir gut von der Hand geht, einen ganzen Bogen,« antwortete Herr Staiger. »Wissen Sie, mein lieber Herr, sechzehn enggedruckte Seiten, wie das hier, sind keine Kleinigkeit.«

»Das kann ich mir denken,« sagte Arthur seufzend. »Gott! wenn ich mir das vorstelle, Unsereins, so an Luft und Freiheit gewöhnt, sollte so hinsitzen über das Papier gebeugt, Stunde um Stunde arbeiten, mit dem Geiste und mit der Hand, immer in zwei Sprachen denken; ah! ich bin überzeugt, ich meines Theils würfe die Feder nach der ersten Stunde weg! – Nun aber haben Sie einen ganzen Bogen beendigt. Jetzt hoffe ich doch, Sie wissen warum? Sie werden nun doch ein Anständiges verdient haben, so daß Sie zum Beispiel nach dreitägiger angestrengter Arbeit in der Woche die übrige Zeit Ihrer Erholung widmen oder Etwas zurücklegen können für Ihre Kinder.«

Dem Herrn Blaffer war diese Unterredung offenbar peinlich und unangenehm; er rückte mißmuthig hin und her, er schnappte nach rechts und nach links, er zog an seiner ohnedies sehr langen

Nase, und sagte endlich, indem er es, aber nicht ganz logisch, versuchte, ein anderes Thema anzuschlagen: »O, was wollen Sie, bester Freund! arbeiten muß ein Jeder, ich, Sie, der große Theil der Menschen, die da leben, und wenn auch Manche von uns angestrengter arbeiten müssen, als die Andern, so leben sie dafür in einem wohlgeordneten, civilisirten Staate, der ihr Eigenthum schützt, ihren Herd, Weib und Kind beschirmt vor roher Gewalt. – Das muß man einsehen; man muß mit seinem Schicksal zufrieden sein, man muß bedenken, wie viele Tausende von Menschen schlimmer daran sind als wir, wie Unzählige in einer Sklaverei leben, gegen deren Leiden unsere Mühe und Noth wahrhaftes Labsal zu nennen ist, – wahrhaftig, aus dem Gesichtspunkte kann man dies vortreffliche Buch der amerikanischen Dame nicht genugsam preisen und loben. Freilich, materielle Entbehrungen haben jene unglücklichen Sklaven im Allgemeinen nicht zu ertragen; sie wohnen gut, sie essen und trinken nicht schlecht, sie sollen sich auch, wie aufmerksame Beobachter versichern, bei der Arbeit nicht übermäßig anstrengen, und überhaupt nur da arbeiten, wo sie durch Drohungen hiezu angehalten werden – eine Erscheinung, die aber rein aus ihrem geknechteten Zustand herzuleiten ist. Sie dürfen Sonn- und Festtage halten, sie haben freilich ihre Tanz- und anderen Vergnügungen; der größte Theil der Herren pflegt seine Sklaven, wenn sie krank werden, hält meistens einen eigenen Arzt hiezu auf seiner Pflanzung, füttert sie aus der Vorrathskammer, wenn zufällig einmal Mißwachs eintritt; – und gerade in dieser guten Behandlung liegt das Empörende. Denn glauben Sie nicht, daß der Pflanzer mit seinen Sklaven aus Mitleid so umgeht! Nein, er thut es nur, weil sie ihm als bloße Waare gelten; er nährt, kleidet, pflegt sie, sorgt auch, wie gesagt, für ihr Vergnügen, aber er thut das nur, um sie, als Waare betrachtet, nicht unter ihren Werth herab zu bringen.«

»Aber er thut es,« versetzte ruhig Herr Beil, »und da er es nun einmal thut, sind die Schwarzen jenseits des Ozeans wahrhaftig nicht so schlimm daran, wie ihre weißen Brüder diesseits.«

»Das ist ihr materielles Wohl, das thierische, gemeine Leben. Sehen wir aber die andere, die Schattenseite dieses Bildes, wie sie uns die geistreiche Amerikanerin in diesen vortrefflichen Heften schildert!«

»Bei Johann Christian Blaffer und Compagnie,« murmelte der Commis.

»Halten Sie gefälligst Ihr Maut, Herr Beil,« entgegnete der Buchhändler-Prinzipal, der für sein Buch die Lanze eingelegt hatte, und nun, ein zweiter Don Quixote, gegen etwelche Windmühlen loszurennen im Begriff war. – »Also die andere Seite, die eigentliche Knechtschaft! Man achtet nicht das Heiligste, was der Mensch besitzt, die Familienbande; man reißt sie gewaltsam auseinander, damit der Vater hier untergehe in Noth und Jammer, die Mutter dort, die Kinder verkümmern unter der Peitsche ihrer Peiniger.«

»Das kommt auch bei uns vor,« sagte gedankenvoll der alte Mann, »nur daß es nicht gerade öffentlich geschieht auf dem Sklavenmarkt unter dem Hammer des Auktionärs, aber dafür desto mehr im Geheimen. Auch sind es nicht wohlbeleibte Pflanzer, die hier so die Familien zerreißen und Mutter von Kind trennen, sondern viel schlimmere Gebieter: Hunger, Noth und Laster aller Art; und ich möchte in der That wissen, ob jene schwarze Mutter, deren Kind man verkauft, das also den Herrn wechselt, ohne aber deßhalb schlecht gehalten zu werden, schlimmer daran ist, als eine weiße, die gezwungen ist, ihr Kind zum Betteln herzugeben, und die sehen muß, wie es siech und elend wird, langsam dahin stirbt oder sich durchreißt, um später jedem Laster in die Hände zu fallen.«

»Auch kauft man bei uns Kinder genug,« sagte gleichmüthig Herr Beil, »namentlich Kinder weiblichen Geschlechts, wenn sie über sechzehn Jahre alt sind.«

Der Blick des Prinzipals, welchen er für diese Bemerkung seinem Commis zuschleuderte, war ein entsetzlicher Blick, und die Bewegung, die er hervorgerufen, brachte den würdigen Buchhändler ganz aus seinem Vortrag heraus. Er fuhr mit der Hand über die Stirne, schnappte nach Luft und bemerkte nach einem augenblicklichen Stillschweigen mit erzwungenem Lächeln: »Es ist eigentlich sonderbar, wie so ein gewaltiger Stoff einem die Nerven aufregt.«

»Ja, ja,« erwiderte Arthur, der unterdessen die Gestalt des Buchhändlers, den er als Sklavenhändler skizzirt, mit ein paar Strichen vollendete, »wir sind dadurch ganz von unserem Thema abgekommen.«

»O, es ist nicht der Mühe werth,« meinte Herr Blaffer, worauf der Commis halblaut sagte: »Es ist freilich nicht der Mühe werth, das Honorar nämlich; – aber er muß es Ihnen aussprechen; dringen Sie nur darauf.«

»Nun, Herr Staiger,« fuhr der Maler fort, »was bringt Ihnen so ein mühevolles Tagewerk? Was verdienen Sie bei der Übersetzung eines Bogens?«

»Das Honorar ist ein Gulden und dreißig Kreuzer,« sagte der alte Mann.

Diese Worte wiederholte Arthur mit einem Tone, als habe er nicht recht gehört. – »Ein Gulden und dreißig Kreuzer für vierzehnstündige mühevolle Arbeit des Geistes und des Körpers! Ein Gulden dreißig Kreuzer, die Ihnen nur so lange bezahlt werden, bis Ihr Verstand die Marter nicht mehr erträgt, Tage, Wochen lang die Punkte und Striche hinzumalen, die man Buchstaben nennt! die Sie sogar nicht erhalten, wenn es Ihnen einmal einen Tag nicht gelingt, Ihre Frohnarbeiten zu vollenden, die Sie an Sonn- und Festtagen nicht haben, wenn Sie auch diese Tage, die doch zur Ruhe bestimmt sind, nicht ebenfalls mit Ihrer schweren, schweren Arbeit ausfüllen!«

»Aber, mein lieber Herr,« entgegnete der alte Mann mit einem sanften Tone, »ich theile da das Schicksal von Tausenden und aber Tausenden meiner Mitmenschen, von allen Denen, die um Taglohn arbeiten, und bin am Ende weit besser daran als diese. Mich hindert doch keine Witterung an meiner Arbeit, ich kann an meinem Schreibtisch sitzen, mag die Sonne scheinen oder mag es regnen oder schneien.«

»Ja, das ist wahr,« versetzte der Maler; »was das anbelangt, leben Millionen unserer Arbeiter in traurigeren Verhältnissen als Sie, verehrtester Herr, aber auch als jene Schwarzen, deren Jammer uns so nachdrücklich vor Augen geführt wird, den Sie übersetzen, den ich illustrire. Mag ihnen dort die Sonne scheinen oder mag Sturm und Regen den Himmel verfinstern, das ist jenen Sklaven gleichgiltig: ihr Herr sorgt für sie und ihre Kinder, und ihnen ist es ganz recht, wenn sie Wochen lang im angenehmen Nichtsthun vor ihren Hütten sitzen können; ihnen schmilzt nicht jeder fallende Regentropfen das Brod im Schranke wie unserem Taglöhner. – Ah! es wären wahrhaftig für unsere deutschen Leser keine Übersetzungen und keine Illustrationen nothwendig; sie sollten nur verstehen, auf Straße und Feld zu lesen und zu schauen; aber das Elend, das wir täglich vor uns erblicken, hat für die empfindsamen Leser und Leserinnen jenes Romans nicht das Pikante, das Appetitliche, nicht das wollüstig die Nerven Kitzelnde, wie die Geschichte der jungen schönen Mulattin, die von ihrem Herrn verfolgt wird und bereit ist, eher ihr Leben herzugeben als ihre Ehre. – Ah! das liest sich vortrefflich und sieht sich außerordentlich schön an. Aber wie schon gesagt, um auch das lebendiger und wahrer zu haben, dazu braucht man nicht nach Onkel Tom's Hütte zu gehen; das haben wir Alles bei uns ebenso schön in der lieben Heimath.«

»Sehr wahr,« meinte Herr Beil, wobei er es nicht unterlassen konnte, einen festen Blick auf seinen Prinzipal zu werfen, der unterdessen von seinem Stuhl herabgerutscht war, und nun der ernsten Konversation durch ein ziemlich mißtöniges Lachen eine heitere Wendung zu geben versuchte.

»Eigentlich haben Sie mit Ihrem Lachen Recht, Herr Blaffer,« fuhr Arthur fort. »Warum auch trübselige Gedanken! Kurz ist das Leben, treten wir so viel wie möglich auf die Sommerseite desselben, und wenn wir je einmal durch schwarze Schatten hindurch müssen, nun, so wollen wir uns bemühen, auch daraus Etwas zu lernen. – Jetzt ersuche ich Sie aber, einen Augenblick mit in's Nebenzimmer zu kommen, ich will Ihnen da in der Geschwindigkeit meine Bedingungen wegen der Illustrationen mittheilen. – Herr Staiger,« wandte er sich an diesen, »Sie bitte ich, noch einen Augenblick zu bleiben; wir gehen zusammen fort, wenn es Ihnen recht ist.«

Was nun der Künstler im Nebenzimmer mit dem Buchhändler verkehrte, halten wir nicht für unsere Pflicht, dem geneigten Leser genau anzugeben: nur das Resultat der Unterredung soll er erfahren, weil es für den alten Mann draußen ein angenehmes war. Der Buchhändler nämlich, als er in's Comptoir zurückkam, schritt mit einem gerade nicht zu sauren Gesichte gegen seinen Pult, öffnete die Kasse und händigte dem überraschten Herrn Staiger den gewünschten Vorschuß von vier Gulden ein, wobei er lächelnd sagte: »Sehen Sie, mein Verehrtester, ich mache mir

eigentlich ein Vergnügen daraus, Ihren Wunsch zu erfüllen; es ist nur meine Gewohnheit, jede Sache reiflich vorher zu überlegen. Wahrhaftig, ich bin nicht unerkenntlich für Ihre an sich gar nicht so schlechte Übersetzung, und sowie sich die Zahl der Abnehmer unseres Romans auf zweitausend steigert, mache ich es mir zur Pflicht, Ihr Honorar auf drei Gulden zu erhöhen, ja, sobald sich die Abnehmer vermehren, was voraussichtlich in den nächsten Monaten geschehen kann – wollte sagen in den nächsten Wochen,« verbesserte sich Herr Blaffer, denn er fing einen bedeutsamen Blick des Malers auf, »ja vielleicht mit dem nächsten Posttage; wir wollen sehen, wir wollen sehen!«

Herr Blaffer hatte durch all' das Vorangegangene einen anstrengenden Morgen gehabt, und als sich nun der alte Mann mit Arthur unter vielen Danksagungen entfernt hatte, zog der Prinzipal einen dicken Paletot an, verschloß seinen Pult sorgfältig, nahm Hut und Stock und entfernte sich, um, wie er sagte, noch einen wichtigen Geschäftsgang zu machen. Dergleichen wichtige Geschäftsgänge kamen übrigens um die Essensstunde einigemal in der Woche vor; Herr Blaffer war nämlich Junggeselle, also ließ er nicht die zarte Hälfte seines Ich's zu Hause zurück und konnte sich beruhigt in das Wirthshaus begeben, um dort etwas Besseres zu verzehren, als dem Herrn Beil, der ebenfalls im Hause beköstigt wurde, und dem Lehrling vorgesetzt zu werden pflegte.

Der Buchhändler verließ also sein Haus, und der blasse Lehrling, der bis jetzt Bücher eingepackt, eilte an ein Fenster, das auf die Straße ging, und wartete da, bis der Prinzipal um die nächste Ecke verschwunden war.

Herr Beil hatte sich wieder auf seinen Comptoirstuhl gesetzt und nahm mit triumphirendem Lachen das Blatt in die Hand, welches Arthur zurückgelassen. »Sehen Sie,« rief er seinem schmächtigen Untergebenen zu, »da steht er, wie er leibt und lebt, der Sklavenhändler Blaffer, und auch wir sind nicht vergessen, mich hat er auf Ehre als Onkel Tom da hinconterfeit, und da unten das miserable Ding mit den auffallend gekrümmten Schienbeinen und dem verwahrlosten Kopfe gleicht Ihnen wie ein faules Ei dem andern.«

Der Lehrling schien aber keine besondere Lust zu haben, auf diese Spässe einzugehen. Er setzte sich auf die Kiste hinter der Thüre, ließ den Kopf melancholisch aus die Brust sinken und stieß einen tiefen Seufzer aus.

»Nun,« sagte Herr Beil, indem er über den Bogen Papier hinwegsah, »wo fehlt's Ihnen, junger Buchhändler? Sehen Sie nicht wahrhaftig aus wie unser würdiger Chef, wenn er einen Retourzettel erhält, auf dem geschrieben steht: Wird nur gegen Baar expedirt! – Hat Sie die Unterredung von heute Morgen angegriffen?«

Der Lehrling schüttelte betrübt den Kopf.

»Oder ist Ihr Hunger stärker als gewöhnlich? – Auch das nicht? – Nun, dann weiß ich nicht, was Ihnen fehlt. Bitte, sprechen Sie sich deutlicher aus, theuerster Anton!«

»Sie wissen wohl, daß ich nicht Anton, sondern August heiße,« entgegnete betrübt der Lehrling. – »Haben Sie den Herrn Erichsen gesehen?«

»Sonderbare Frage!« meinte Herr Beil, indem er den Bogen Papier weit von sich abhielt, um den Totaleindruck der Zeichnung besser zu genießen.

»Ach! ist das nicht ein angenehmer junger Mann!« fuhr August fort, »so elegant gekleidet, seine helle Handschuhe, so ein schönes und freies Benehmen, und hat was gelernt. Wenn ich dagegen unsereins ansehe –«

»Unsereins!« entgegnete der Commis scheinbar entrüstet, indem er die eine Spitze seines gewaltigen Schnurrbarts in die Höhe drehte. – »Unsereins! Nun ich denke, meine Repräsentation ist auch nicht ganz ohne, und wenn Sie fleißig Broschüren verpacken, pünktlich Ihre Pakete austragen, und wenn einstens Herr Blaffer stirbt und Sie zum Erben einsetzt, so können Sie auch gute Paletots tragen und seine Handschuhe.«

»Ach, machen Sie doch nicht immer Ihre Spässe, mit denen es Ihnen doch nicht Ernst ist!«

»Das ist mein blutiger Ernst, Sie junger Wortklauber; ich halte was auf mich, und wenn ich einmal zufälligerweise in die rechte Carrière hineingerathe, so sollen Sie Ihr blaues Wunder sehen. – Der Buchhandel,« setzte er mit anderem Tone hinzu, »ist freilich auch nicht das, was mir in meinen süßen Träumen vorschwebt.«

»Ach, Herr Beil,« fuhr der Lehrling fort, ohne seinen Blick vom Boden zu erheben, »hätte man mich nur was Rechtes lernen lassen, glauben Sie mir, ich habe den Kopf dazu. Wollte ich doch auch ein Zeichner und Maler werden, und als ich noch in die Schule ging, da sagten die Lehrer, ich hätte ein schönes Talent und es könnte auch einmal etwas Gutes aus mir werden.«

»Immer die alte Jeremiade!« antwortete Herr Beil, indem er das Papier sinken ließ und den Lehrling nicht ohne Interesse betrachtete. – »Sie sind aber ein junges Ungeheuer,« fuhr er nach einer Weile im früheren Tone fort; »lehrt Sie der Herr Blaffer nicht täglich und stündlich etwas Gutes und Neues, Sie und Ihre Schwester Marie?«

»Ich kann eigentlich nicht verlangen, daß er mich hätte sollen viel lernen lassen,« entgegnete der Andere, »aber so ein paar Privatstunden hätte ich wohl noch haben sollen.«

»Wie nahe ist Ihnen der Herr Blaffer verwandt?« fragte nachdenkend der Commis, der die vorige Rede überhört zu haben schien.

»Eine eigentliche Verwandtschaft existirt gar nicht zwischen uns, nur war er mit meinem Vater sehr befreundet.«

»Und als Ihre Mutter starb, hatte unser ehrbedürftiger Prinzipal, den Gott erhalten möge, diverse Forderungen an sie zu machen. Sie aber hatten keine lebende Seele, weßhalb Sie in's Blaffer'sche Haus kamen!«

»Mit meiner Schwester Marie –«

»Und Ihrem Vermögen, was schon lange darauf gegangen sein soll für Ihren Lebensunterhalt. – So sagt man nämlich, und damit ihr Beide auch als nützliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft herangebildet würdet, avancirten Sie zum zehnjährigen Lehrling, und sie – Marie nämlich – versieht die Stelle unseres Dienstmädchens.« – Diese letzten Worte sprach Herr Beil mit einer merkwürdigen Weichheit, während er nachdenkend an die Ecke des Zimmers blickte. – Einige Augenblicke darauf aber kehrte er wie gewaltsam zu seinem früheren Humor zurück, indem er laut lachend nochmals auf die Zeichnung schaute, sie alsdann zusammenfaltete und in die Tasche steckte. »Meiner Seel'!« sagte er, »es ist zwölf Uhr vorüber, jetzt will ich einmal Hausinspektion halten und nach Küche und Köchin sehen.«

Ehe Herr Beil hierauf das Comptoir verließ, zog er einen bessern Rock an, der hinter der Thüre hing, brachte Haar und Bart in Ordnung und ging in's Nebenzimmer, von wo man unterdessen Tellergeklapper vernahm.

Hier befand sich die Schwester des Lehrlings, welche wir dem Leser mit einigen Worten vorzustellen uns veranlaßt sehen. Es ist das ein junges Mädchen von vielleicht achtzehn Jahren, von feiner Gestalt, kleinen Händen und Füßen, einem runden, frischen Gesicht, welches dunkelblondes Haar umgibt, kurz von einem Äußeren, das eigentlich gar nicht zu der groben Kleidung paßt, die es bedeckt. Noch weniger harmonirt damit ihr eleganter, schlanker Oberkörper, der an der Taille zu umspannen ist, und der gegen oben zu einer wahrhaft bewunderungswürdigen Breite und Fülle auseinander geht. Wenn man die Schwester neben dem Bruder, dem Lehrling nämlich, sah, so hätte man ihrem Wesen nach glauben können, er sei das Mädchen und sie der Knabe. August war zärtlich, erschrocken, von weichem, biegsamen Gemüth, sie dagegen keck, lustig, ja trotzig und widerstrebend.

Herr Blaffer hatte mit dem Mädchen eine gar eigenthümliche Erziehungs- und Behandlungsweise eingeschlagen, welche übrigens nicht dazu beitrug, ihren Charakter weicher zu machen. Bald schien er in ihr die Tochter eines Freundes zu sehen und redete ihr lieblich, ja schmeichelnd zu, ja auffallend schmeichelnd, wie Herr Beil behauptete; bald aber behandelte er sie mit der größten Härte, ließ sie alle niedrigen Dienste verrichten und strafte sie unnachsichtlich für die kleinsten Vergehungen. Er behauptete, sie habe ein etwas leichtsinniges Temperament und ein sehr undankbares Gemüth, was sie namentlich darin bewies, daß sie die Freundlichkeit, mit der sie meistens die Männer behandelte, die mit ihr in einige Berührung kamen, durchaus nicht auf ihren Umgang mit ihrem Herrn und Meister ausdehnen wollte; sie war eine widerspenstige Sklavin, wie sich der Buchhändler schon hatte vernehmen lassen, wenn er nämlich nicht daran gedacht, daß sich Herr Beil in seiner Gehörweite befand. Der Commis aber befand sich oft in dieser Gehörweite, ohne daß es der Prinzipal wußte, und wir können dieses an sich tadelnswerthe Betragen nur dadurch entschuldigen, daß sich Herr Beil auf's Heftigste in das Mädchen verliebt hatte und in beständiger Angst lebte, die Zwistigkeiten zwischen Herr und Dienerin, die oftmals ausbrachen, könnten einmal für das Mädchen auf sehr unangenehme Art endigen.

Das mußte schon wahr sein, Marie gab sich häufig nicht einmal die Mühe, ihre Scheu, ja ihren Widerwillen vor ihrem Herrn zu verbergen, namentlich in jenen Tagen nicht, wo er es versuchte, sie durch Liebe und Sanftmuth zu erziehen. Dann war ihre Laune unerträglich, wogegen sie ordentlich aufzuleben schien und sich auf ihrem schönen Gesichte Frohsinn und Heiterkeit abspiegelten, wenn sie Scheltworte und die schlechteste Behandlung mit oder ohne Veranlassung zu ertragen hatte.

Seit einigen Tagen war in dem Hause vollkommen ruhiges Wetter gewesen, ja Herr Blaffer hatte sich auffallend sanft benommen und sogar einmal die Äußerung gethan, er sehe ein, das passe sich eigentlich nicht, daß Marie in seinem Hause alle die niedrigen Dienste versehe, und er finde es angemessen, nächstens ein wirkliches Dienstmädchen anzustellen. Diese Äußerung hatte dein Herrn Beil einen Stich in's Herz gegeben, und er setzte seine Beobachtungen um so eifriger und genauer fort, als Marie ihm sichtlich auswich, oft in tiefen Gedanken vor sich hinstarrte und sich durch keinen lustigen Einfall aufheitern ließ.

Obgleich der Commis, wie schon gesagt, das Mädchen liebte, so sind wir doch durchaus nicht berechtigt, an eine Gegenliebe zu glauben. Sie benahm sich gegen ihn nicht freundlicher und zuvorkommender als gegen jeden Anderen, und Herr Beil warf während vieler schlimmer Stunden in seinem Kopfe die schreckliche Vermuthung umher, irgend ein unternehmender junger Mann habe sich vielleicht in ihr Herz geschlichen und mache es unempfänglich für all' die Beweise von Zuneigung und Liebe, die er ihr schon gegeben.

Unterdessen hatte sie den Tisch gedeckt, das mehr als bescheidene Essen aufgetragen, und die Drei setzten sich dazu hin, ziemlich stumm und einsilbig; der Lehrling ließ; den Kopf hängen, der Commis hatte keine guten Einfälle, und wenn er einen höchstens halbwegs ordentlich zu Tage brachte, so hatte dieser nur die Wirkung, daß das Mädchen, das, ohne einen Bissen anzurühren, auf ihren Teller hinstarrte, erschrocken in die Höhe fuhr und mit einem sehr erkünstelten Lächeln um sich schaute.

 


 << zurück weiter >>