Friedrich Wilhelm Hackländer
Erlebtes. Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Gefährliche Blumensträuße

Wer die Freuden des Herbstes recht genießen will, der muß sich im Monat Oktober einige Zelt in einer Stadt aufhalten, die von Weinbergen umgeben ist. Kann er sich zu seinem Besuch ein vortreffliches Jahr auswählen, so ist das um so besser, denn nur wenn der Trauben viele sind, wenn die Sonne sie recht gezeitigt und gebraten hat, strahlt alles in besonderer Lust und Freude und ist das Fest des »Herbstes« ein wahres Volksfest. Ist alsdann doch schon der Kreuzer in der Hand des Schulknaben eine ganz genügende Summe, um sich ein paar gute Weintrauben anzuschaffen, und sieht man den vergnügt lächelnden Gesichtern derselben wohl an, daß die Beeren weich, der Saft süß ist. Das gewöhnliche Getreibe auf den Straßen hat sich um diese Zeit noch durch eine Menge einspänniger Karren vermehrt, auf denen ein großes Faß ruht, welches von einem gewöhnlichen Arbeitspferde, meistens in schwerfälligem Trabe, zu den Thoren herein durch die Straßen geführt wird. Das Faß ist von dem überfließenden Most rosig gefärbt, ebenso das Gesicht des Fuhrmanns, der überhaupt vor Wonne und jungem Wein strahlt, und nun den Vorüberwandelnden zunickt, die dem neuen Bacchus lachend nachblicken, der mit gespreizten Beinen vor seinem Fasse steht. Alle Höhen, welche die Stadt umgeben, sind belebt; Spaziergänger klettern aufwärts, neben ihnen Weingärtner mit den schweren Bütten auf dem Rücken, um die Trauben zusammen zu tragen. Hier auf einem Kreuzwege sind große Fässer aufgestellt, bis zum Rande mit den glänzenden, farbigen Beeren angefüllt, auf denen ein paar Buben lustig herumtreten, um sie zu zerquetschen und den Saft zu befreien. Diese kleinen Arbeiter werden beneidet von den Stadtkindern, die vorübergehen, denn, denken sie, jene brauchen sich nur zu bücken, und können essen so viel sie wollen.

Zwischen den grünen und gelben Blättern der Weinstöcke hervor jauchzt und jodelt es, auch Schüsse knallen, denn man schießt mit Schlüsselbüchsen, mit Pistolen und kleinen Kanonen. Dazu macht der Himmel ein recht freundliches Gesicht und spannt sich glänzend blau und klar über die vergnügte Menschheit aus. Goldener Sonnenschein liegt über Berg und Thal, die Fernen sind tiefblau und doch so herrlich klar, in den näher liegenden Wiesen und Wäldern zeichnet sich scharf jede Biegung des Terrains, sowie einzelne Gebüschgruppen, ja hie und da erkennt man jeden Baum an der eigenthümlichen Färbung, die er angenommen; dieser scheint röthlich, jener gelblich, andere Blätter sind noch frisch und grün wie in den ersten Tagen ihrer glücklichen Jugend.

Ja, die Sonne ist lieb und freundlich; wie glänzen in ihrem Strahle dort die schönen Augen und die weißen Zähne, wenn der liebliche Mund sich schelmisch lachend öffnet, wie färbt sie das ganze Gesichtchen so reizend, das, halb unter dem Rebenlaub versteckt, durch einzelne Streiflichter der Sonne so prächtig beleuchtet wird. Aber auch ernstere Dinge bescheint sie. Die weiße Weste des Herrn Stadtdirectors und die röthliche Nase des Obertribunalraths, nicht zu vergessen die bunten flatternden Bänder von deren Ehegattinnen und die forschenden Blicke junger, beutelustiger Assessoren und Offiziere, die so gern unter das Rebenlaub schauen, weniger auf die Trauben, als auf die hübschen Augen, von denen wir vorhin sprachen. Zu ihrem Privatvergnügen kokettirt die Sonne noch mit dem funkelnden Wein, ihren lieben Kindern früherer Jahre in Gläsern und Flaschen, vergißt aber dabei nicht, auch einen Blick dem Säuglinge von diesem Jahre zu schenken, der noch unbeholfen und ungelenkig ist wie alle Neugeborenen. Die gleiche Lust herrscht aber in guten Jahren um diese Zeit überall; mag das Besitzthum groß oder klein sein, man veranstaltet seinen Freunden einen Herbst, ja, wer nur ein Kartoffelland sein eigen nennt, mit einer Laube von wildem Wein oder Feuerbohnen überrankt, der bittet einige Bekannte zusammen und sollte er auch den nöthigen Korb voll Trauben beim benachbarten Weingärtner kaufen müssen. Und hier amüsirt man sich vielleicht ebensogut wie dort bei dem reichen Baumeister, der seine achtzig Eimer jedes Jahr macht und den Eingeladenen nur vortrefflichen 1846er vorsetzt; ja, an diesen Tagen ist die Lust gleich groß hier unter dem Bretterdache wie dort im schönen Garten des Landhauses oder wie auf den Terrassen jener Villa, die nicht weit von den Thoren der Stadt auf einem kleinen Hügel liegt. An all den Orten wird der Herbst gefeiert, und sobald es anfängt dunkel zu werden, erreicht die Lust ihren Gipfel. Da zischen Schwärmer und werden übertönt von dem Knallen der Frösche, die wieder überschrieen werden von lustigen Mädchenstimmen, welche um Hülfe rufen, weil irgend ein brennendes Ungethüm in ihrer Nähe loskracht. Zuweilen sieht dann die ganze weite Fläche rings um uns aus wie der Garten eines Zauberers, auf dessen Geheiß feurige Blumen überall empor sprossen, rothe, blaue, gelbe und grüne Leuchtsteine, dazwischen flimmert rothglühendes oder weißglänzendes Blätterwerk, und über alles hinaus erheben sich feurige Raketenblumen, hoch in die Höhe wachsend, oben den Stengel zierlich neigend, um alsdann vor den erstaunten Augen einen Blüthenbüschel in den glühendsten Farben zu entfalten. So sproßt und leuchtet es auf allen Punkten, hier spärlich, dort reicher; auf diesem Punkte sind kleine Schwärmer und Frösche vorherrschend und eine einzelne Rakete ein Ereigniß, dort steigen diese massenhaft auf und werden überboten von Kanonenschlägen und überstrahlt von gewaltigen Sonnen.

In letzterer Beziehung zeichnet sich die Villa aus, von der wir vorhin sprachen. Zu ihr gehören zahlreiche Weinberge und ein weitläufiger Park; letzterer stößt an das Wohnhaus, und auf dem freien Platze, in welchem das zierliche Gebäude liegt, prasselt und kracht eine solche Menge von Feuerwerk empor, daß alles, was sich auf den umliegenden Höhen befindet, mehr dorthin schaut, als auf die eigenen mageren Schwärmer und Frösche.

Die kleine Villa gehört einem liebenswürdigen jungen Mann, dem Baron von C., seit einem Vierteljahr glücklicher Gatte; er hatte zur Feier des Herbstes einige befreundete Familien zum Diner eingeladen, und nach Beendigung desselben wurde das Feuerwerk abgebrannt, dessen wir eben erwähnten. Hier waren die Gäste denn auch mehr Zuschauer als Theilnehmer. Doch hat auch dies manch Angenehmes, ja noch mehr als das, wenn man sich in liebenswürdiger Gesellschaft befindet, wenn man aus einem halbdunkeln Räume zuschauend bei dem aufflammenden Lichte mehr nach den Augen der Nachbarin, als nach der emporzischenden Rakete blickt, und wenn man bemerkt, daß sich eben diese Augen im gleichen Momente auch nach uns richten. Das ist ein süßes und liebes Spiel und wiederholt sich, so oft aufs Neue die Flammen drunten aufzucken. Vielleicht stützen wir uns auch ganz harmlos auf die Brüstung der Terrasse und berühren dabei eine kleine Hand, die dort ebenfalls ruht. – Ah! superb! außerordentlich schön! ruft aber in diesem Augenblick der Kreis der Zuschauer, wir zucken zurück, ja wir klatschen, um ganz unbefangen zu scheinen, begeistert in die Hände, mit klopfendem Herzen, außer uns vor Entzücken – natürlicher Weise nur der bunten Flammen wegen. So haben wir denn zwei Feuerwerke, und wenn draußen die Raketen erlöschen, so erfüllt sich unser Herz mit einem anderen, weit gefährlicheren Feuer.

So fühlten denn auch auf der Terrasse der benannten Villa zwei junge Leute, die sich gewiß ganz zufällig dort zusammen gefunden. Er war ein schöner junger Mann von vielleicht dreißig Jahren, ein genauer Freund des Hausherrn, war Maler, hatte einen berühmten Namen, ein großes Einkommen, und wenn er in Gesellschaft ging, so konnte er seine gewählte Toilette dadurch vervollständigen, daß er sich ein Band von irgend einer beliebigen Farbe ins Knopfloch steckte; dagegen war er, wenn auch von anständiger, doch von sehr einfacher Geburt; kein Wörtchen »von« hatte ihm die Thüren zu der – Gesellschaft geöffnet, die es sich jetzt zur Ehre macht, ihn zu empfangen, und hatte ihn leider dieser Gesellschaft, wenn er auch die Meisten derselben an innerem Gehalt weit überragte, doch nicht ebenbürtig gemacht. Wir sprachen das leider nur für den vorliegenden Fall aus, in Betreff der beiden Arten von Feuerwerk, mit welchem er sich heute Abend beschäftigte; denn sie, die neben ihm stand und die Berührung seiner Hand so gern duldete, gehörte eben dieser – Gesellschaft an. Sie war ein zwanzigjähriges, reizendes und geistreiches Mädchen, aber – leider die Tochter eines alten Generals, der noch obendrein Baron von W. hieß. Wenn man die beiden jungen Leute bei einander stehen sah, so war man versucht, Bravo! zu rufen über das prächtige Doppelwerk, welches die Natur hier geschaffen, und Unbefangene von Geschmack und Einsicht mußten unwillkürlich ausrufen: welch schönes Paar! Beide hatten sich früher wohl gekannt, sich, auch wohl allerlei Schönes denkend, betrachtet; daß sie sich aber näher kennen lernten und aufs Innigste liebten, daran war die Unvorsichtigkeit des alten Generals Schuld, der ein lebensgroßes Porträt seiner Tochter befohlen. Der Maler hatte sich Anfangs gegen diesen Auftrag gesträubt und dringende Arbeiten vorgeschützt – vergebens! Doch ließ er sich endlich zwingen nachzugeben, das Gemälde wurde ein Meisterwerk, aber das Original nahm er so tief in sein Herz auf, daß er sich nicht mehr davon los machen konnte. Eugen, der Maler, hatte es seinem Freunde, dem Baron von C., öfter gesagt, daß die junge Dame oft stundenlang, wenn gleich im elterlichen Hause, mit ihm allein sei, worauf dieser lachend erwiderte: »Das ist ein schlimmes Compliment für deine Liebenswürdigkeit; der General hält dich für gänzlich ungefährlich, und dafür würde ich mich an ihm rächen.«

»Und dann,« hatte der Maler gefragt.

»Nun, und dann? sieht man weiter.«

Am heutigen Tage hatte sich übrigens die ganze intimere Mittheilung zwischen den Beiden auf das beschränkt, dessen wir soeben erwähnten, einen innigen Blick, einen leichten Druck der Hand, – so unendlich viel – und doch so wenig. Vergebens hatte Baron von E. es eingerichtet, daß Eugen die junge Dame zu Tisch führen durfte und nach der Tafel in den Garten; hatte ihm auch in den Glashäusern bald hier bald dort allerlei seltene oder unbedeutende Blumen gezeigt. Vergeblich, Julie von W. war wie die Bienenkönigin: wohin sie sich wendete, folgte ihr ein ganzer Schwarm. Und doch hätte ihr Eugen so gern eine Frage gestellt, er war bekümmert, denn er hatte in ihrem sonst so klaren und freundlichen Auge einen Schatten bemerkt, er hatte in unbedeutenden Worten, die sie an ihn gerichtet, einen Kummer entdeckt, der auf ihrem Herzen lastete. Das Feuerwerk war unterdessen beendigt, und nachdem der Raum um das Schloß einen Augenblick dunkel gelegen, ward er plötzlich wieder erhellt, diesmal von der rothen Gluth der Fackeln, welche die Dienerschaft am Portal aufsteckte, um den Weg für die anfahrenden Equipagen zu erhellen. Auch das Zimmer und die Terrasse, wo sich die Gesellschaft befand, wurden plötzlich erleuchtet, doch nicht so schnell, daß es Eugen nicht noch gelungen wäre, durch eine schnelle Wendung eine alte Hofdame zwischen sich und Julie zu bringen.

Der Vater General, der sich zum Gehen eines Stockes bediente, hinkte herbei, um seiner Tochter zu sagen, daß ihr Wagen vorgefahren sei. Mit Ausnahme einiger weniger Herren, worunter auch Eugen, die noch dablieben, um bei der liebenswürdigen Wirthin des Hauses eine Tasse Thee zu nehmen, empfahlen sich die Uebrigen, und plaudernd und lachend rauschte es über die breiten Korridors nach der Treppe des Hauses hin. Auch hier war der Hausherr wieder für seinen Freund thätig. Denn unter dem Vorwand, dem alten General das Gehen zu erleichtern, nahm er ihn unter dem Arme und machte in seiner liebenswürdigen Sorgfalt unendlich kleine Schritte, so daß Julie, von Eugen geführt, schon fast auf der untersten Stufe war, ehe der Papa noch die oberste erreicht hatte. Das Treppenhaus war auch der Glanzpunkt der kleinen Villa; von Marmor waren Stufen und Wände, letztere mit weißen Säulen gekrönt, die leicht den kühnen Bogen der Wölbung trugen. Dort oben hatte Engen für seinen Freund ein reizendes Bild gemalt, ein Bild, das ohne Uebertreibung den Werth der Villa bedeutend vergrößerte. Auf der untersten Stufe der Treppe befanden sich auf passenden Piedestalen zwei Knaben aus Bronze in Lebensgröße, welche aufrecht Füllhörner hielten, aus denen Lichter-Bouquete flammten. Julie war schon auf der zweiten Stufe; sie hatte ihre kleine feine Hand auf den Arm eines der Knaben gelegt, während Eugen tiefer vor ihr stand, beide aber angelegentlich das Deckengemälde, sein Werk, betrachteten und darüber zu sprechen schienen; in Wahrheit aber beschäftigte sie nicht die Schaar der Götter dort oben, und wenn auch der Maler die Hand erhoben hatte, und bald auf diese, bald auf jene Gestalt deutete, auch sein Gesicht lächelnd und ruhig erschien, so drangen doch die Worte, die er sprach, hastig zwischen den Lippen hervor.

»Julie, es ist etwas geschehen, was Sie bekümmert. Ich habe das im Verlaufe des Nachmittags wohl bemerkt, und es hat mir den sonst so herrlichen Tag verdorben.«

Sie nickte mit dem Kopfe, wobei sie aufwärts blickte, als habe sie seine Erklärung, die Figuren betreffend, wohl verstanden.

»Was ist es denn, Julie? Muß es ein Geheimniß für mich bleiben?«

»O nein, gewiß nicht,« entgegnete sie, »wenn ich es nur selbst genau wüßte; Papa hat während dem Hieherfahren einige Worte zu mir gesprochen, die mich aufs Tiefste erschreckten.«

»Um des Himmels willen, Julie, was sagte er?«

»Er sprach von meiner Zukunft, daß es Zeit sei, daran zu denken, daß eine Verbindung, die er projectirt, mir gewiß passend und annehmbar erscheinen würde.«

»O Gott, das habe ich schon lange erwartet,« murmelte er durch die zusammengepreßten Zähne.

»Sie meinen die Pferde des Sonnengottes,« sagte sie plötzlich sehr laut, während sie lächelnd den Kopf schüttelte und mit der rechten Hand emporzeigte; »und man macht Ihnen einen Vorwurf, daß Sie die arabische Race anzeigen? O, das ist in der That komisch. Apollo hat sich ja gewiß zu seiner Zeit des schnellsten, feurigsten Gespanns bedient. Und das sind Eigenschaften, die man den Arabern nicht absprechen kann.«

»Nicht schlecht geurtheilt, Julie,« hörte man jetzt die tiefe Stimme des Generals, der nun dicht hinter dem Paare stand. »Doch habe ich nie gehört, daß man unserem Künstler darüber einen Vorwurf gemacht. Scharfe Kritiker fanden dagegen das Gesicht der Liebesgöttin etwas zu nachdenkend, ja traurig; die Göttin der Liebe soll heiter und glücklich sein.«

»Ganz recht, Papa,« erwiderte Julie, »das wollte ich auch soeben anführen, denn man sagt, ihre Macht sei groß, nichts könne derselben widerstehen.« Dies sprach das junge Mädchen mit einem innigen Blick auf Eugen, der sich mit der Hand über die Augen fuhr und wie aus einem tiefen Traum erwachte. So schnell als möglich fuhren die Wagen vor, doch da der des Generals nicht der erste in der Reihe war, so mußte die Gruppe noch einen Augenblick an der Treppe stehen bleiben, und gerade als seine Equipage vorfahren wollte, zeigte sich unerwartet ein neues Hinderniß, ein Reiter nämlich, der im Jagdgalopp über den Hof daher kam und die Rampe hinaufritt, vor dem Treppenhause anhielt, und vom Pferde stieg. Draußen, wo es ziemlich dunkel war, sah man nur seine lange Gestalt, die sich eilig der Treppe näherte und nun, als sie in den Lichterschein trat, vom General erkannt zu werden schien, denn dieser machte sich plötzlich vom Arme des Hausherrn los und rief freudig aus: »Bester Graf, welch angenehme Ueberraschung!«

Der also Angeredete, der ziemlich steif und förmlich näher trat, hatte ein langes, dünnes Gesicht, das zu der mageren Gestalt vollkommen paßte; auch die Stirne war hoch und schmal, ja, so hoch, daß wenn man das sorgfältig behandelte Haar ansah, man auf die Vermuthung kommen konnte, dasselbe habe einstens weiter hinabgereicht. Der Graf schaute im Kreise umher, machte eine leichte Neigung mit dem Kopfe und reichte dem General die Hand, welche dieser herzlich schüttelte.

»In der That eine liebenswürdige Ueberraschung,« wiederholte der General. »Sie erfuhren wohl in der Stadt, daß wir hier außen seien.«

»Allerdings,« erwiderte lächelnd der Fremde, »und ich säumte nicht, mich so schnell wie möglich hieher zu begeben, will aber Ihre Rückfahrt, welche Sie soeben anzutreten im Begriffe sind, nicht um eine Sekunde verzögern.«

»Meiner Tochter werden Sie sich noch erinnern,« sagte der General mit einer Handbewegung gegen Julie, welche sich erröthend verneigte und die Augen niederschlug, da sie bemerkte, wie die Blicke des Grafen fest auf ihr hafteten. Dieser hatte sich dem jungen Mädchen mit einer tiefen Verbeugung genähert und versetzte: »Wenn ich mich auch noch lebendig jener Zeit erinnere, wo ich das Glück hatte, Fräulein Julie zu sehen, so muß ich doch eingestehen, daß ich Sie unter andern Verhältnissen nicht wieder erkannt hätte.«

»Erlauben Sie, bester Graf, daß ich Sie dem Herrn dieser gastfreien Villa, dem Baron von C. vorstelle.«

»Mir scheint,« entgegnete der Fremde lächelnd, »ich erneuere da auch eine Bekanntschaft aus früherer Zeit.«

»So ist es, Herr Graf,« entgegnete der Baron, »wenn ich nicht irre, trafen wir in Italien zusammen.«

»Ja, ganz recht, in Neapel.«

»Und an den Wasserfällen von Terni?«

»Ah! das ist wahr, Sie haben ein vortreffliches Gedächtniß.«

»Ich behalte manches,« erwiderte lächelnd der Hausherr. Und während sich der General seinen Paletot umgeben ließ, näherte sich der Graf der jungen Dame, wobei der Hausherr nach seinem Freunde schaute, der während des kurzen Gesprächs von vorhin unsichtbar geworden war. Doch hatte Eugen die Treppe nicht verlassen, sich nur hinter die bronzenen Lichthalter zurückgezogen, und indem er den rechten Arm auf einen der Träger stützte, hatte er die Stirn auf die Hand gelegt und blickte nachdenkend zu Boden.

»Eugen!« sprach leise der Baron, und als Jener aufblickte, zeigte er ein bleiches, verstörtes Gesicht.

»War denn nicht vorhin unser Maler da?« rief laut der General, »da hätte ich bald was vergessen, wo ist Herr Eugen?«

Der Maler trat vor, der alte Herr hinkte ihm hastig entgegen, faßte seinen Rockknopf und zog ihn ein paar Schritte abseits. »Lieber Freund, Sie müssen mir einen großen Gefallen thun.«

»Mit Vergnügen, Herr General.«

»Sagen Sie das nicht, denn mein Verlangen ist Künstlern Ihres Ranges gerade nicht angenehm. Aber verzeihen Sie, ich kann mich nur an Sie wenden. Es betrifft das Bild, welches Sie von meiner Tochter gemalt haben; ich brauche davon eine Copie, eine kleine, zierliche Copie.«

»Eine zierliche Copie, Excellenz; ich verstehe.«

»Nicht wahr, Sie verstehen mich. Sie find ein verständiger junger Mann; ich versichere Sie, ich setze ein unbegrenztes Zutrauen in Sie. Es muß eine Copie sein in einem kleinen hübschen Format, die man – Jemand zum Geschenk machen kann.«

»Einem Bräutigam zum Beispiel, Herr General,« sagte der Maler mit leiser, tonloser Stimme.

»Parbleu! Sie haben Recht,« erwiderte lachend der General, setzte aber hinzu, indem er den Zeigefinger aufhob: »Das bleibt aber vor der Hand ganz unter uns.«

Der Maler verbeugte sich, dann versetzte er nach einer kleinen Pause: »Und wann wünschen Sie, Herr General, daß ich die Copie anfange?«

»Anfangen? Wenn Sie mich lieb haben, längstens morgen, und beendigen so schnell wie möglich.«

»Ah! es ist eilig,« sprach der Maler, indem er sich die Lippen fast blutig biß.

»Recht eilig, also ich verlasse mich auf Sie.«

Unterdessen hatte der vorhin Angekommene mit Julie und dem Hausherrn ebenfalls einige Worte gewechselt, glücklicher Weise aber sprachen sie über die reizende Besitzung, auf welcher man sich gerade befand, und so war es der jungen Dame erlaubt, bei Erwähnung des Treppenhauses auch mit großem Interesse die Bronzefiguren zu betrachten, neben welchen Eugen und der General standen. Wie hatten sich die Züge des jungen Mannes, die während des Feuerwerks noch so glücklich und heiter strahlten, jetzt verändert! Wie zuckten seine Lippen, wie suchten seine Augen ihre Blicke, nachdem der General dem Maler die Hand geschüttelt und sich von ihm entfernte. Wie hastig griff Eugen nach dem bronzenen Arm des Knaben, es schien, er müsse etwas suchen, um sich daran zu halten.

»Allons, Kinder!« rief der General. »Wir haben unseren liebenswürdigen Wirth jetzt lange genug zwischen Thüre und Treppe in der kühlen Nachtluft hingestellt, machen wir, daß wir nach Hause kommen. Und Sie, Graf, Sie fahren doch mit uns?«

»Wie könnte ich ohne gegründete Ursache eine solche Einladung ausschlagen!« entgegnete dieser. »Doch verzeihen mir Excellenz, ich muß es doch thun, denn ich habe mich warm geritten und gestehe, daß ich mich in Ihrem offenen Wagen vor der kalten Nacht fürchte.«

»Und nicht mit Unrecht,« sagte der General. »Daran dachte ich wahrhaftig nicht.«

»In der Eile noch zeitig hieher zu kommen,« fuhr der Andere lächelnd fort, »vergaß ich durch den Reitknecht meinen Ueberzieher mitnehmen zu lassen, bedaure das aber jetzt aufs Schmerzlichste.«

»Aber ich bitte Sie, bester Graf!« rief eifrig der Hausherr, »dem ist ja augenblicklich abzuhelfen; darf ich Ihnen einen Paletot von mir anbieten? Ich hoffe, Sie werden mir das nicht abschlagen, haben wir uns doch auch schon früher kleine Dienste geleistet.«

In diesem Augenblicke eilte auch schon einer der Bedienten, welche hinter den Herrschaften auf der Treppe warteten, die Stufen hinan. »Du wirst meinen weiten dicken Paletot vor meinem Zimmer finden!« rief ihm der Hausherr nach; »ich habe ihn dort auf den Tisch gelegt.« Dann setzte er lächelnd gegen den Anderen gewendet hinzu: »Ich muß schon das weiteste Kleidungsstück geben, das ich habe, um die fehlende Länge zu ersehen.«

Der Paletot, der augenblicklich gebracht wurde, erwies sich übrigens als zur Genüge passend, der Graf wickelte sich hinein, Julie verabschiedete sich von dem liebenswürdigen Wirthe, nicht ohne die herzlichen Worte, mit welchen sie dies that, durch einen innigen Blick anderswohin zu dirigiren. Die Pferde zogen an, der Wagen rollte dahin.

Der Baron von C. trat zu seinem Freunde hin, der noch immer wie in tiefem Traume dastand, faßte seinen Arm und sagte mit weicher Stimme: »Komm, Eugen, gehen wir hinauf. Sei ruhig, mein Freund; glaube mir, ich verstehe deinen Schmerz. Ah! das ist eine schreckliche Lage.« Darauf stiegen Beide schweigend die Treppen hinauf, und als sie oben auf das Vestibul kamen, schritt der Maler einem großen Fenster zu, welches eine weite Aussicht gewährte. Da lag vor ihnen in der Dunkelheit die Stadt mit einem weißen Nebelschleier bedeckt, durch welchen die Lichter von den Straßen und aus den Häusern hervorblitzten und sich ausnahmen wie glänzende Stickereien. Hie und da leuchtete und blitzte es noch ans den Höhen, man sah bald nah, bald fern sprühende Schwärmer und hoch aufsteigende Raketen. Ringsum herrschte noch Lust und Freude, nur ein Herz, welches vorhin alles das noch so warm und glücklich mitempfunden, fühlte sich jetzt kalt und elend. Eugen lehnte die brennende Stirn an die kühlen Scheiben, der Baron stand neben ihm und legte die Hand sanft auf seine Schulter. »Sei ruhig, Eugen,« sagte er. »Wohl begreife ich, wie schwer dein empfängliches Gemüth von dem Schlag getroffen wurde. Aber wenn er auch unerwartet kam, so mußtest du doch darauf vorbereitet sein. Wie oft sprachen wir darüber, wie oft sagtest du selbst dies Ende deinem stillen Glücke voraus.«

»O ja, das that ich,« entgegnete der Andere mit zitternder Stimme, »aber jetzt, wo sich so plötzlich die fürchterliche Kluft vor meinen Füßen öffnet, jetzt ist mir, als könne ich das Unglück nicht ertragen. O meine Julie!« fuhr er schmerzlich fort, indem er sein Gesicht mit beiden Händen bedeckte, »so habe ich dich also verloren! O mein süßes Mädchen, so hat man dich also von mir weggerissen ohne Gnade und Barmherzigkeit! Nicht wahr?« wandte er sich hastig an seinen Freund, »das ist auch deine Ansicht? Alles ist für mich verloren.«

»Ich glaube, ja, mein armer Eugen,« erwiderte sanft der Baron von C. »Nimm es auf wie ein Mann; gestehe mir zu, daß du selbst an einem guten Erfolg gezweifelt. Erinnere dich, wie oft wir dir sagten, Elise und ich, in Gottes Namen einen versuchenden Schritt zu thun, obgleich,« setzte er beruhigend bei, als er sah, daß der Andere sich heftig gegen ihn umwandte, »wir gewiß an ein Gelingen nimmermehr glaubten.«

»Und ich ebensowenig,« murmelte Eugen. »Hätte ich denn im anderen Falle jenen Schritt nicht schon längst gethan? Und doch redete ich mir selbst Hoffnungen ein. O es war für mich so süß zu hoffen, ich fühlte wohl, was ich leiden würde, sobald ich die traurige Gewißheit meines Unglücks hätte. Und jetzt habe ich sie, und jetzt leide ich – furchtbar.«

Abermals lehnte er sich gegen das Fenster und blickte in die Nacht hinaus. Und wieder faßte der Baron seinen Arm, ihn sanft emporziehend. »Lass' uns nicht hier stehen bleiben, Eugen,« bat er mit bewegter Stimme. »Komm, gehen wir zu meiner Frau, sie erwartet uns.«

»Aber sie ist nicht allein.« sprach Eugen. »Sieh mein Gesicht an; wie kann ich mich so vor Menschen blicken lassen! Auch wäre es wohlthuend für mich, allein sein zu können.«

»Im Gegentheil, Eugen,« erwiderte der Baron, »ich kenne das; zwinge dich, für eine Stunde an unserer Unterhaltung Theil zu nehmen. Glaube mir, es ist besser für dich, du wirst doch nachher lange genug allein sein.«

»Ja, sehr allein!« entgegnete der Andere mit einem tiefen Seufzer.

»Auch werden dich ein paar gute Freunde, die du in meinem Zimmer findest, nicht geniren. Aber nimm dich zusammen; weißt du, lieber Freund,« setzte er flüsternd hinzu, »mau soll dich ruhig sehen, man soll nicht sagen, du seiest wie ein Unglücklicher davon gerannt; man soll nicht über dich spotten.«

»Und wer weiß denn schon bei dir um die für mich fürchterliche Geschichte?«

»Komische Frage! der Vicomte, der droben ist, war auf der Treppe, als der Graf unten vom Pferde stieg. So ein Diplomat ist neugierig; er war es ja auch, der schon unlängst eine Anspielung fallen ließ über eine projectirte Heirath im Hause des Generals. Wir lachten darüber.«

»Und du sagtest mir nichts davon?«

»Ich versichere dich, wir lachten darüber.«

»Und doch hatte er recht,« sprach Eugen mit tiefem Schmerze.

»So scheint es; aber der kleine Vicomte hatte nun gewiß nichts Eiligeres zu thun, als meiner Frau die Ankunft des Bräutigams mit großem Geräusch zu verkünden, und daran würde er ohne Zweifel von seinen pikanten Bemerkungen reihen, wenn du, von dem man weiß, daß er noch eine Stunde dableiben wollte, plötzlich verschwunden wärest.«

Eugen biß die Zähne fest auf einander.

»Also komm und sei verständig.«

»Vielleicht auch lustig?« fragte der Andere bitter, »gesprächig mit der Hölle im Herzen? doch sei es darum. Was ich heute nicht thue, müßte ich morgen doch thun. Und darin hast du recht: einen lauernden Blick oder das leiseste Wort des Spottes – bei Gott! ich ertrüg' es nicht.« Damit raffte er sich auf und Beide schritten durch das Vestibul nach dem Zimmer der Hausfrau, einem kleinen heimlichen Salon, welcher durch dicke Teppiche, die den Boden bedeckten, durch zugezogene Vorhänge von schwerem Seidenzeuge und durch ein flackerndes Feuer in dem zierlichen Kamin von polirtem Eisen einen so angenehmen Gegensatz zu der kalten Nacht bildete, daß Jeden, der von draußen hineintrat, schon auf der Schwelle ein behagliches Gefühl überschlich.

Die Baronin von C., eine junge, schöne und heitere Frau, saß auf einem Divan, der sich in der Ecke des Zimmers befand. Vor sich hatte sie einen Lichtschirm und war so gedeckt vor den grellen Flammen des Kaminfeuers, an welchem drei Herren saßen, von denen der Eine, eine kleine bewegliche Figur, etwas Komisches erzählt haben mußte, denn die Baronin lachte so herzlich, daß man beide Reihen ihrer schönen weißen Zähne sah. »Hören Sie auf, Vicomte!« rief sie lustig, »man kennt Ihre Übertreibungen. Dort kommt George, der wird uns die nackte Wahrheit sagen.«

»Wenn er das thut, gnädige Frau,« rief der Vicomte, »so werden Sie erfahren, daß ich mit keiner Sylbe übertrieben.«

»Von Allem, was sich drunten zugetragen, sollt ihr einen genauen Bericht haben,« sagte der Hausherr, »ich bin das ja meiner Frau schuldig.« Damit ging er zu ihr hin, küßte sie auf die Stirn und sagte ihr leise: »Laß Eugen neben dir Platz nehmen.« Sie sah einen Augenblick fragend in das Gesicht ihres Mannes, dann aber preßte sie die Lippen auf einander und ein leichter Schatten überflog ihre vorher so heiteren Züge. Sie hob hastig ihre Rechte und reichte sie dem Maler, der sich darauf niederbeugte und die kleine Hand küßte.

Der Hausherr hatte sich in diesem Augenblicke zu den anderen Herrn an das Kamin gestellt. Der Handkuß des Malers mußte übrigens von etwas Außerordentlichem begleitet gewesen sein, denn die Baronin blickte fast erschrocken auf die seltsam glänzenden Augen des jungen Mannes, dann sagte sie heiter und lustig, wobei aber ihre Stimme kaum merklich bebte: »Also endlich lassen Sie sich auch in meiner Nähe sehen? den ganzen Nachmittag sind Sie nur so herum geschwärmt, bald hier, bald dort, und haben mich total vernachlässigt. Zur Strafe dafür nehme ich Sie jetzt für mich in Beschlag.« Sie zog ihn sanft auf einen kleinen Fauteuil nieder, der neben dem Divan stand.

»Das ist eine schöne Strafe,« meinte lachend der Vicomte, »und hätte ich das früher gewußt, so würde auch ich mich den ganzen Nachmittag fern gehalten haben, um Abends so angenehm bestraft zu werden.«

»O was das anbelangt,« lachte die schöne Frau, »so kann man bei mir auf verschiedene Art Buße thun. Sie hätte ich vielleicht doch an den Kamin verwiesen, Sie lieben es, in die Flammen zu schauen, aber die kostbaren Augen unseres Freundes hier muß ich schonen. Deßhalb,« wandte sie sich an Eugen, »bekommen Sie auch die Hälfte meines Lichtschirmes – so – jetzt wird Ihnen die Gluth des Feuers nicht wehe thun.« Damit hatte sie den kleinen Schirm, der vor ihr stand, so gedreht, daß der Schatten, den derselbe warf, zum größten Theile auf das Gesicht des Malers fiel.

»Ja, diese Künstler werden doch auf jede Art bevorzugt,« meinte der Vicomte. Und das Gleiche mochte auch Eugen fühlen, denn er heftete auf die Baronin einen Blick mit dem Ausdruck der innigsten Dankbarkeit.

»Aber jetzt will ich von dir hören, George, was sich drunten zugetragen. Hat uns doch der Vicomte Sachen erzählt, die ganz außerordentlich sind.«

»Ich wette, er hat falsch gesehen,« meinte einer der anderen beiden Herren, ein Rittmeister von B., der wenig sprach und von dem man fast sicher sein konnte, daß unter dem Wenigen, was er sagte, fast jedesmal die Proposition zu einer Wette war. – »Zehn gegen fünf,« fuhr er fort, »der Vicomte hat componirt.« Dieser streckte sich bei der Behauptung des Rittmeisters so lang wie möglich, erhob feierlich seine Hand und sagte mit der Ruhe eines guten Gewissens: »Eine solche Wette wäre wenig besser als Diebstahl. Hören wir den Hausherrn, und dann urtheilt.«

»Nun so Außerordentliches hat sich nicht zugetragen,« versetzte lachend der Baron, indem er sich in ein Fauteuil niederliß. »Als wir den General die Treppen hinab begleiteten – Eugen war bei mir –«

»Und führte die schöne Julie, wette ich,« warf der Rittmeister dazwischen.

»Eben als sie drunten in den Wagen steigen wollten,« fuhr der Hausherr fort, »erschien ein Reiter.«

»Ein langer Reiter, Graf Rieden, der Mann mit dem Blumenstrauß,« sagte der Vicomte.

»Den der General aufs Freundlichste empfing, wobei er von großer Freude und Ueberraschung sprach. Auch ich erneuerte eine alte Bekanntschaft. Erinnerst du dich noch, Julius, an den Wasserfall von Terni?« wandte er sich an den dritten der Herren, der schweigend in die Flamme des Kamins schaute und jetzt mit dem Kopfe nickte. »Da sah ich diesen Graf Rieden und erinnerte mich seiner sogleich. Nachdem drunten die ersten Begrüßungen vorbei waren, nöthigte der General den eben Angekommenen in seinen Wagen, um ihn nach der Stadt zurückzubringen. Der Graf war zu Pferde gekommen, und da er scharf geritten und erhitzt war, so bot ich ihm meinen Paletot an, den er auch annahm. Das ist die ganze Geschichte.«

»Ja, das Gerippe der Geschichte. Aber ich habe ungeheuer viel mehr gesehen.«

»Wenigstens viel mehr erzählt,« sagte lachend die Baronin.

»Nein, nein,« erwiderte der Andere, »keine Uebertreibung, nur die Wahrheit. Schon vor einigen Tagen erfuhr ich vom .... schen Gesandten, Graf Rieden werde hieher kommen, und man spreche von einer Verbindung zwischen ihm und der Tochter des General von W. Ob die schöne Julie dabei dem Zuge ihres Herzens folgt, ist eine andere Frage, die ich nicht entscheiden kann. Daß sie aber beim Anblick des Grafen, von dessen bevorstehender Ankunft sie unterrichtet war, kein entzücktes Gesicht machte, das kann ich beschwören. Ja ich versichere nochmals, ich habe nie den heiteren Ausdruck eines so lieben, freundlichen Gesichts wie das der kleinen Baronin sich so plötzlich in Schrecken verwandeln sehen. Sie schauderte ordentlich zurück, und wandte ihre Augen flehend unserem lieben Wirthe zu, als wolle sie bei ihm Hülfe suchen.«

»Par exemple!« rief lachend der Baron von C. »Vicomte! Vicomte! wissen Sie wohl, daß Sie damit sehr viel gesagt haben?«

»Aber da ich es in Ihrer Gegenwart und in der der Baronin sage, hat es weiter keine Bedeutung, das werden Sie zugeben. Und nun, habe ich vorhin zu viel gesprochen, als ich behauptete, der Bräutigam sei angelangt, der Bräutigam sei nichts weniger als liebenswürdig und angenehm, und die schöne Julie sei förmlich vor ihm zurückgeschaudert? Weiß der liebe Gott,« fuhr er lustig fort, »weßhalb ich in den Ruf gekommen bin, als übertreibe ich gern. Und es hilft der armen kleinen Julie nichts, sie wird den Grafen doch heirathen müssen.«

»Ich wette nein,« sprach der Rittmeister mit großer Ruhe.

Worauf Alles lachte und Julius sich veranlaßt sah, den Kopf seinem Nachbar zuzuwenden und ihm zu sagen: »Ich wollte doch wahrhaftig, es fände sich Jemand, der dich und deine Wetten einmal beim Wort nähme.«

»Ich stehe zu Befehl für Jeden, der Lust hat; alles Ernstes, eine gleiche Wette: der Graf wird die Baronin nicht heirathen.« »Und weßhalb?« fragte der Hausherr.

»Das weiß er ebenso wenig als wir Andere; Gründe hat er nie. Er will nur wie gewöhnlich eine Wette vorschlagen.«

»Die ich annehme,« rief Eugen vom Eckdivan herüber. »Aber gleich gegen gleich hat zu viel Chancen für mich,« setzte er mit seltsam klingender Stimme hinzu, »weßhalb ich Ihnen vorschlage, lieber Rittmeister: Zehn gegen Eins, der Graf wird die Baronin heirathen.«

»Wenn Sie wollen, verlange ich es nicht besser,« erwiderte der Rittmeister lachend. »Also zehn Louisd'or gegen hundert, wenn es Ihnen so recht ist. Heirathet der Graf, so zahle ich sie und umgekehrt erhalte ich die hundert Louisd'or.«

»Abgemacht!«

»Womit du für heute Abend befriedigt sein wirst,« sagte Julius. »Glaube mir, Eugen, die zehn Louisd'or sind dir sicher. Es ist eigenthümlich,« fuhr er nach einer Pause fort, »wie ein Name, der uns mit einemmal aufs Neue wieder anklingt, so lebendige Erinnerungen längstvergangener Zeiten wach rufen kann – Graf Rieden. Ist mirs doch gerade, als stände ich wieder vor dem alten Posthause in Terni, wo die lange Gestalt dieses Herrn vor mich hintrat und seinen Namen nannte, – Graf Rieden, der sich ein Vergnügen daraus machen würde, uns zu den Wasserfällen zu begleiten.«

»Ja, das waren schöne Zeiten,« seufzte der Vicomte; »so was kommt nur einmal im Leben.«

»Ich wette, Sie waren damals verliebt,« sprach der Rittmeister.

»Dagegen kann er nie wetten,« bemerkte lachend der Hausherr, »denn der glückliche Vicomte fällt von einer Rosenkette in die andere.«

»Aber damals,« sagte Julius.

»Ja damals,« seufzte der Vicomte.

»Das müssen ja fürchterliche Erinnerungen sein,« mischte sich die Baronin ins Gespräch, »und jetzt begreife ich vollkommen, daß Sie der Anblick des Grafen Rieden so erschüttert hat und Sie ihn mit gebrochenen Herzen in Verbindung brachten.«

»Es war eine komische Zeit,« meinte Julius nachdenkend.

»Ich habe doch auch schon viel über jene Reise gehört,« sagte die Baronin, »aber an etwas besonders Merkwürdiges erinnere ich mich nicht; George, George, du scheinst mir von deinen Erlebnissen viel verschwiegen zu haben!«

»Aber was Terni anbelangt, gewiß mit Unrecht, gnädige Frau,« sprach Julius; »da war er liebenswürdiger Freund und mehr nicht.«

»Nun, wie war denn die Geschichte?« warf die junge Frau hin. »Der Hauptheld derselben soll erzählen.«

»Das ist der Graf Rieden,« sagte lachend der Vicomte, »und der ist Gott sei Dank zu weit entfernt, um uns unterhalten zu können. Ihm aber folgt Julius im Range, und er soll uns mit seiner bekannten Schärfe den Tag von Terni und was darauf folgte vor die Augen führen.«

»Wofür wir außerordentlich dankbar sein werden,« sagte die Baronin. – »Ehe aber unser freundlicher Erzähler beginnt, bitte ich eine Tasse Thee anzunehmen, er muß im Augenblicke kommen.« Sie zog an einer Klingelschnur, die neben ihrem Platze hing, und wenige Minuten nachher stellte der Kammerdiener das Theeservice vor der Dame des Hauses auf. Die Baronin besaß eine eigene Fertigkeit, das duftende Getränk zu bereiten, und es war nebenbei ein wahres Vergnügen, sie so zierlich und elegant ihre schwere silberne Batterie bedienen zu sehen. Jeder empfing die volle Tasse aus ihren Händen, der Eine oder der Andere ließ sich auch eine zweite geben, dann wurden die leeren auf einen nebenstehenden Marmortisch geschoben und hierauf alles von der Dienerschaft wieder geräuschlos abgeräumt.

»So,« sagte die schöne Frau, »jetzt bin ich bereit zum Zuhören.«

»Und ich zum Erzählen, aber unter einer Bedingung,« entgegnete Julius. »Nehmen Sie den Vicomte von meiner Seite, ihm zucken schon die Mundwinkel, und ich bin fest überzeugt, er wird mich jeden Augenblick mit irgend einer Bemerkung unterbrechen, oder wenn das nicht ist, wenigstens so merkwürdige Gesichter schneiden, daß ich meinen Faden nicht ruhig abwickeln kann.«

»Pfui, Vicomte! seien Sie artig!« rief die Baronin. Doch erwiderte dieser: »Nein, nein, ich will unartig sein und in Folge davon Buße thun. Eugen dort neben Ihnen hat sich auffallend gebessert, er soll seinen Platz einem ärgeren Sünder überlassen.«

»Gott soll mich bewahren,« antwortete die Baronin, »daß ich es versuchen sollte, Sie zu bekehren. Alles, was ich leisten kann, ist der Versuch, Sie unter Aufsicht zu nehmen, und zu dem Ende will ich mich ebenfalls ans Kamin setzen. Kommen Sie, Eugen.« Damit waren Alle einverstanden, man rückte zusammen, die Baronin setzte sich in eine Kaminecke, der Maler stellte sich in die andere und zwar so, daß der vorspringende schwere Spiegelrahmen einen leichten Schatten auf sein Gesicht warf; doch hatte er sich gefaßt, und wenn er auch etwas bleich aussah, so las man doch in seinen Zügen nichts von dem tiefen Weh, das in seinem Herzen wühlte.

»Also wir sind in Terni,« sagte die Baronin.

»So ist es, gnädige Frau, und wir kamen dorthin am frühen Morgen, und zwar in zwei Wagen. George und ich zusammen in unserer Calesche, der Vicomte dort in der seinigen. Terni ist ein kleines ächt italienisches Nest; es liegt tief im Thale der wild strömenden Nera, bekanntlich an der Straße von Perugia nach Rom, und würde wohl nie genannt werden, wenn sich nicht in seiner Nähe die wunderbaren Wasserfälle befänden, vielleicht die schönsten und malerischsten in Europa. Da ist Eugen, der muß mir das bezeugen.«

»Sie sind in der That wunderbar und herrlich,« sagte dieser.

»Der Ort selbst ist finster und schmutzig,« fuhr der Erzähler fort, »hat aber interessante Häuser. Ich weiß nicht, wie die Italiener es machen, aber fast jedes ihrer Gebäude gäbe ein kleines Bild. Die altersgrauen Mauern mit den unregelmäßig angebrachten Fenstern, das flache Dach mit einer Brustwehr, die hier hoch, dort niedrig ist, und auf die eigensinnigste Art verziert, vorn durch eine Reihe halbzerbrochener Blumentöpfen mit Aloen und kleinen Granatbäumen, rechts mit flatternder Wäsche, und auf den andern Seiten durch die überragenden Zweige eines mächtigen Lorbeerbaums, dessen saftiges Grün auf der Schmutzfarbe des ganzen Gebäudes so unendlich wohl thut. Am hübschesten aber machen sich an diesen Häusern die zahlreichen Veranden, die so willkürlich kunstlos angebracht sind und wohl nur dadurch einen so malerischen Effekt erreichen; ein paar roh aufgemauerte Pfeiler, darüber einige Stangen, eine colossale Weinrebe am Hause, die weit und breit ihre Zweige ausstreckt und mit einer Fülle von breiten Blättern das Ganze zudeckt: das ist überall so einfach und schön, daß wir es mit aller Kunst nicht zu erreichen vermögen.«

»So war auch der Gasthof in Terni, vor welchem wir abstiegen. Unsere beiden Caleschen hatten kaum Platz im Hofe, denn dort befand sich das Coupeé des Grafen Rieden, sowie ein colossaler Reisewagen, schwer bepackt, mit hohem, verdecktem Hintersitz; wo an letzterem irgend noch ein Platz war, sah man große, mit Leder überzogene Schachteln aufgeschnallt. Diese Equipage mußte doch offenbar mehr als eine Dame beherbergen, das merkte man ihrem Aeußeren wohl an.«

Der Vicomte schnitt eine Grimasse, wagte es aber nicht, den Erzähler zu unterbrechen.

»Man gab uns Zimmer, einen ungeheuren Saal zum Speisen, die Wände von dunklem Holzwerk mit alten Vergoldungen und einem so nachgedunkelten Deckengemälde, daß George, der damals die Bilderliebhaberei hatte, nicht unterscheiden konnte, ob das eine Landschaft oder eine Historie behandle. Wir frühstückten und verlangten Führer zu den Wasserfällen, sowie Pferde, um hinauf zu reiten. Der Wirth rieb sich die Hände, und versicherte, es thue ihm unendlich leid, aber mit Pferden könne er uns nicht dienen. Drei Damen, die vor einer Stunde mit ihrer Dienerschaft hinauf seien, hätten seinen Stall ausgeleert, und was er uns anschaffen könne, seien zwei kleine Wagen, jeder mit einem, übrigens sehr soliden Maulthier bespannt, die aber nicht zum Reiten tauglich seien. Was war zu machen? Bekanntlich hat der Gastwirth und Postmeister von Terni das Recht, alle Reisenden nach den Wasserfällen zu befördern.«

»Ja,« unterbrach der Vicomte lachend den Erzähler, »er hat das vom römischen Governo theuer genug erkauft, bringt aber seine Auslagen mit hundert Prozent wieder von den Fremden ein.«

»Wir ließen die Wagen vorfahren, und sie hatten das Aussehen von alten russischen Drotschken und stießen bedeutend, weßhalb denn auch unser Vicomte mit dem Grafen den seinigen nach kurzer Zeit verließ, um mit dem Führer einen näheren Weg auf den Berg zu machen. Es drängte ihn gewaltig vorwärts.«

»Ich wette, er wollte baldigst die Damen sehen,« lachte der Rittmeister.

»Darauf wette ich ebenfalls,« sagte lustig der Vicomte, »und Sie hätten es, glaube ich, gerade so gemacht.«

»O nein,« entgegnete der Andere ruhig, ich wäre in einem ähnlichen Falle nicht gelaufen; ich hätte das Maulthier ausgespannt und mich hinaufgeschwungen, was gilt die Wette?«

»Und der gute Graf, der mich mit seiner Gesellschaft beehrte?« fragte der Vicomte. »Ich danke für einen Ritt à la demi Haimonskinder.«

»Der Vicomte ging also mit dem Grafen zu Fuß und unsere soliden Maulthiere kletterten so langsam aufwärts, daß wir die Beiden bald aus dem Gesicht verloren. Wir befanden uns übrigens vortrefflich, – denkst du daran, George?«

»Allerdings,« erwiderte dieser, »es war eine herrliche Umgebung.«

»Zuerst kamen wir durch dichte Olivenwälder,« fuhr der Erzähler fort »es war gerade Ernte, an der fast die ganze Bevölkerung von Terni Theil nahm, Männer, Weiber, Kinder sah man plaudernd und lachend unter den Bäumen, man hätte glauben können, sie feierten ein Volksfest. Um die Stämme herum lagen am Boden große Tücher, um die reifen Oliven aufzunehmen, die man herabschüttelte und mit langen Stangen herabschlug. Dazu erscholl rings umher lautes Gelächter, und wenn die Männer mit Schlagen oder Schütteln einen Augenblick ruhten, so stellte sich alsbald das junge Volk in Gruppen und tanzte zu den Klängen einer schnarrenden Guitarre, die alsdann zum Vorschein kam. Bald aber stieg der Weg aufwärts und die üppige Vegetation, welche, von der Fluth der Nera und der Wasserfälle hervorgerufen, dies Thal wie keins sonst in Italien auszeichnet, blieb hinter uns. Wie ist das Thal so prächtig, wie entwickeln sich seine Schönheiten, je mehr man aufwärts steigt! Terni liegt in einem Wald von Orangen, und in den Schluchten der felsigen Gründe, wo dieser edle Baum nicht fortkommt, breiten mächtige Steineichen ihre immergrünen Blätter aus. Und wie phantastisch ist das Flußbett, das sich die Nera gebahnt, wie rauscht und schäumt das hellgrüne, klare Wasser daher, mit dieser Farbe an den heimathlichen Rhein erinnernd. Wie glitzert es im Sonnenschein, wie liebend beugen sich Schlingpflanzen, selbst die Zweige mächtiger Bäume nieder auf seinen krystallnen Spiegel!«

»Ei, ei,« sagte lächelnd der Hausherr, »deine lebhafte Beschreibung des schönen Thales scheint mir nicht allein aus der Erinnerung an die Fluthen der Nera, an Orangen und Steineichen herzustammen. Für dich war gewiß alles das noch eigenthümlicher belebt.«

Der Erzähler ließ sich auf keine Antwort ein, sondern fuhr fort: »Der gute und breite Weg, auf dem wir fuhren, wand sich an der nackten gelben Felswand in die Höhe, und bald hörten wir das Rauschen und Toben des Falles und erreichten endlich das Plateau, über welches der Velino gegen die Schlucht strömt, in der dreizehnhundert Fuß tiefer die Nera fließt. Prächtig ist von hier der Anblick der Gebirgsgegend rings umher. Erinnerst du dich wohl daran, George, wie öde und einsam uns die Zacken der Felsgebirge erschienen und wie die gewaltige Natur gleichsam ohne alles Leben war? Ich werde nie den Augenblick vergessen, als wir die Höhe erreicht hatten und über die breiten Felsenplatten durch Brombeergestrüpp gegen den Fluß hinkamen. Und wie überrascht es so seltsam, hier, wo man glaubt, daß nur die Natur geschafft und gewirkt, großartige Spuren von Menschenhänden zu erblicken, welche den wilden Wassern ihren Weg bahnten. Man findet hier staunend ein Römerwerk, wahrlich nicht geringer als die colossalen Bauten in Rom oder die Wasserleitungen in der Campagna. Der Vicomte wird uns genau sagen können, welcher alte Römer sich hier verewigt.«

»Ich will euch meine Schulweisheit nicht vorenthalten,« entgegnete dieser. »Es war Manius Curius Dentatus, Samniums Besieger, derselbe Mann, welcher, wie die Geschichte erzählt, gerade Rüben zu seinem Mittagsmahl in der Asche briet, als meine samnitischen Collegen ihn mit schwerem Golde vergeblich versuchten.«

»Ich wette,« sagte der Rittmeister, »daß der Vicomte heute zufällig im Conversationslexikon gelesen.«

Worauf der Andere achselzuckend erwiderte: »Ihr vom Säbel begreift freilich nicht, daß man noch Einiges aus der Schule gerettet. Aber weiter, Julius.«

»Ehe Sie fortfahren, verzeihen Sie mir eine Frage,« sagte die Baronin. »Aus welchem Grunde half man denn dem Flusse nach und ließ ihn nicht in die Schlucht hinabstürzen, wie und wo er gerade wollte?«

»So ganz zuverlässig kann ich das nicht angeben, gnädige Frau,« entgegnete der Erzähler, »aber den alten römischen Republikaner trieben gewiß triftige Gründe zu der colossalen Arbeit. Einige behaupten, der Fluß hätte sich, ehe er über die Felsen herabstürzt, nach und nach einen tiefen See gewühlt und darauf Miene gemacht, umzukehren und den Sprung in das Nerathal zu vermeiden. Andere meinen, der Fluß habe durch Ansetzung von Kalkstein im Verlauf der Zeit das natürliche Felsenwehr, über das er in die Nera stürzt, selbst erhöht, ans diese Art sein Wasser gestaut und den ebengedachten See gebildet. Genug, der Römer brach durch die Felsen einen breiten und tiefen Kanal über eine Meile lang bis an den Rand des Thales, und zwang nun den Fluß, da hinabzustürzen.«

»Es ist ein wunderherrlicher Anblick, die Wassermasse zu sehen, wie sie weit ausgebreitet über die Hochebene daher kommt, schäumend und strudelnd an unzähligen Steinen anprallt und endlich den Anfang jenes Kanals erreicht. Hier ist es, als stutzten die Wellen einen Augenblick, wie die gewaltige steinerne Fessel ahnend, die ihrem freien Laufe nun angelegt wird. Dumpf grollend und murmelnd drängt sich das Wasser zusammen und stürzt mit einer rasenden Schnelle über den ebenen Boden und zwischen den glatten Wänden des Felsenkanals dahin. Man sieht keine Bewegung mehr in der Wassermasse, kein Tanzen und Spielen einzelner Wellen: wie eine feste, geschlossene Masse von grünlichem Krystall mit ganz glatter Oberfläche rauscht der Strom dem Abgrunde zu. Es ergreift uns ein eigentümliches Bangen, ein Schwindel, wenn wir hart am Rande stehend irgend etwas in das Wasser werfen und zuschauen, wie selbst ein schwererer Körper pfeilgeschwind viele Schritte fortgerissen wird, ehe er zu Boden sinken kann.«

»Einen hübschen Anblick gewährten Schlingpflanzen und Sträucher, die an den Rändern des Kanals wuchsen und ihre Blätter und Zweige auf das Wasser niedersenkten. Die waren in einer ewig zitternden, ich möchte sagen, aufschreckenden Bewegung, denn sobald ein Blatt den Spiegel des Flusses berührte, wurde es hastig wieder emporgeschnellt, um gleich darauf abermals niederzusinken. Wenn man übrigens hier am Kanal steht, so sieht man natürlicher Weise vom Velinofalle nichts als eine glänzende, glatte, abgerundete Wasserfläche, die hinter dem Felsenkamm verschwindet, und einige Wasserstaubwolken, die aus der grünen Schlucht langsam aufsteigen und im Sonnenlichte wie glänzende, leuchtende Schleiermassen ausschauen.«

»Dafür aber sahen wir etwas Anderes da oben,« meinte der Hausherr, indem er den Vicomte lachend anblickte.

»Unsere beiden vorausgeeilten Gefährten nämlich,« fuhr Julius fort; »sie standen am Kanale, statt aber in Betrachtung der Wassermasse versunken fanden wir sie im Gespräch mit drei Damen, den Besitzerinnen des colossalen Reisewagens drunten.«

»Daran war der Graf Rieden schuld,« sagte der Vicomte; »schon unterwegs hatte er mir erzählt, wenn er sich nicht sehr irre, so habe er die Equipage – er wollte das Wappen wieder erkannt haben – bereits auf der See zwischen Genua und Neapel gesehen. Es seien Engländerinnen, sagte er, eine interessante, noch sehr hübsche Mutter mit zwei reizenden Töchtern. Das zur Erklärung; jetzt kannst du fortfahren, Julius.«

»Nein, nein,« erwiderte dieser, »in dem Departement bist du besser zu Haus. Ihr kamt, ihr saht und siegtet, nicht wahr?«

»Kalter Spötter, das weißt du besser. Nun denn, der Graf hatte sich nicht geirrt, angenehmer Weise war er den Damen bereits vorgestellt worden und konnte uns den gleichen Dienst erzeigen.«

»Uns?« fragte die Baronin mit komischem Ernste.

»Nun ja, wir wurden alle aufgeführt,« versetzte lachend der Vicomte. »Aber was George anbelangt, meine Gnädige, so beschäftigte ihn das blitzende Wasser mehr als die glänzenden Augen der schönen Engländerinnen.«

»Wie wir im Verlauf der Geschichte erfahren werden,« schaltete Baron von C. ein.

»Wir wurden also bekannt,« erzählte Julius weiter, »Graf Rieden erwies der Lady alle Aufmerksamkeiten, und wir hatten das Glück, die beiden Misses geleiten zu dürfen. Ich sage: das Glück, denn die Schönheiten einer herrlichen Natur lassen sich nur dann recht genießen, wenn man sich an der Seite eines geistreichen und schönen weiblichen Wesens befindet. Und beide Eigenschaften besaßen die Damen, dabei waren sie heiter und lustig, sie empfanden alles Schöne, das sie umgab, und ihre frischen Lippen strömten über zum Lobe desselben.«

»Und wie angenehm klettertet ihr den Berg auf der Seite der Wasserfälle hinab, je enger der Weg und je steiler er war, um so deliciöser fandet ihr ihn.«

»Natürlich,« sagte der Erzähler; »die Damen hatten sich in unseren Schutz begeben und waren dankbar für die Sorgfalt, mit der wir sie die gefährlichen Stellen hinabgeleiteten.«

»Ihr hattet übrigens keine Augen für die Schönheiten dieses Weges,« bemerkte der Hausherr, »aber mir steht das heute noch lebendig vor der Seele. Die Felsen, droben so nackt und kahl, waren hier, wo die Wasser hinabstürzten, mit dem frischesten, saftigsten Grün bedeckt; ich habe nie schöneres Moos, prächtigere Farrenkräuter gesehen. Und die herrlichsten Steineichen, zwischen welchen sich der schmale Fußweg hinabschlängelte, und die oben angehaucht waren von dem Dunste des Wassers, und wo sie dem Falle nahe standen, leicht erzitterten und prächtig glänzten; dazu der herrliche Tag, den wir hatten, ein klarer Himmel, der sich dunkelblau über die grüne Schlucht ausspannte, die glühende Sonne in einem Streiflicht hereinfallend, wo sie die niederstäubende, gewaltige Wassermasse berührte und den weißen, silberglänzenden Schaum mit allen Farben des Regenbogens aufs Brillanteste durchwirkte.«

»Ach, George,« sprach träumerisch die schöne Frau, »wie gerne hätte ich das mit dir genossen.«

»Und dann wäre ich in der That glücklicher gewesen, als meine beiden Freunde,« entgegnete der Baron mit strahlendem Blick. Worauf der Erzähler mit leiser Stimme sagte: »Vollkommen zugestanden!« und der Vicomte das Gleiche mit einem tiefen Seufzer ausdrückte.

Der Baron hatte einen Moment seine Augen mit der Hand bedeckt, dann redete er: »Wenn man einmal angefangen, den Schleier der Vergangenheit von einem Tage, wie der eben erzählte, wegzuziehen, so treten nach und nach wieder tausend Kleinigkeiten lebendig vor unsere Seele, seltsam geformte Bäume, die wir betrachteten, kleine gebrechliche Brücken oder große Felsblöcke, vermittelst welcher wir die Abläufer des Wasserfalls überschritten, ja ein einzelner mächtiger Steinblock mit dickem Moos, von dem wir ein Stück abrissen. Und dann erinnert ihr euch selbst wohl noch der vielen bildschönen Kinder, die ärmlich gekleidet vor und neben uns hersprangen, die uns bald einen glänzenden Kiesel, bald eine seltene Blume anboten und den Weg hie und da mit Zweigen und Reisern zugedeckt hatten, welche sie bei unserem Näherkommen eilig wegräumten, um dafür ein paar Kupfermünzen zu erhalten. Ah, die Erinnerung ist schön!« »Erst wenn man im Grunde der Schlucht ankommt,« fuhr er nach einer Pause ruhiger fort, »genießt man den Anblick des ganzen majestätischen Wasserfalles. Neben dem Hauptfalle, der wie ein breites, silbernes Band zwischen dem dunklen Grün herabstäubt, befinden sich noch andere Wasserstreifen, die das Ganze dadurch noch lebendiger machen, daß sie ein paarmal an die Felsblöcke prallen, wo sie große Schaummassen nach allen Seiten hinaufspritzen. Tief unten treffen aber sämmtliche Wasser mit donnerähnlichem Getöse grollend und murmelnd zusammen, wo denn auch der Wasserdunst über tausend Fuß hoch gen Himmel steigt. So oft Freunde aus Italien kommen, die Terni besuchten, erkundige ich mich jedesmal, ob an diesem wunderbaren Punkte auch noch die kleine Hütte steht, in einer engen Felsspalte mit dem Dach von alten morschen Stangen, welches die Natur mit Jelängerjelieber- und Brombeergesträuch zugedeckt. Wie ruht man hier so behaglich aus; der Körper ist angenehm ermüdet, das Herz, weit geöffnet, so empfänglich und schlägt schneller als gewöhnlich, nicht wahr?«

»Das in Parenthese,« warf der Vicomte dazwischen, »denn es gehört eigentlich nicht zur Geschichte.«

»Bald mußten wir indessen an die Heimkehr denken. Der Sonnenschein hatte uns längst verlassen, und Wasserstand und Nebel, welche vor einer Stunde noch Alles mit Licht und Glanz erfüllt, färbten nun die Felsen und Schluchten mit bläulichen, dunklen Tinten. Durch eine herrliche Kastanienallee bei einem alten Schlosse vorbei, welches auf einem schwarzen, rings von der Nera umflutheten Felsen stand, kamen wir nach Terni zurück, wo wir mit den drei Damen, gemeinschaftlich dinirten. Dann wurde über die Abreise berathschlagt welche noch am selben Abend stattfinden sollte, da es uns Alle drängte, am nächsten Tage Rom zu erreichen. Die Gegend um Terni, namentlich der Weg nach Narni und Otricoli, war uns schon in Perugia als wieder einmal unsicher geschildert worden. Den Damen hatte man recht Angst gemacht, und unser Wirth in Terni, dessen Meinung wir ebenfalls hören wollten, war klug genug, bedeutsam die Achseln zu zucken und ein sehr bedenkliches Gesicht zu machen. Natürlicher Weise wäre es ihm viel lieber gewesen, wenn wir in seinem Gasthof übernachtet hätten, weßhalb er uns auch die Nachtfahrt abrieth und meinte, es sei auf jeden Fall sicherer, die vorhin genannten Räubernester Narni und Otricoli bei Tage zu passiren. Doch ließen wir uns nicht so leicht einschüchtern und da wir den Damen für alle Fälle unseren Schutz versprachen, so entschlossen sich diese ebenfalls, Terni noch heute zu verlassen. Graf Rieden entwarf einen Feldzugsplan, der nicht ohne Geschick war.«

»Namentlich für euch,« sagte Baron v. C. lachend. »Und du mußt mir gestehen, Julius, daß ich mit Vergnügen die mir zugedachte Rolle annahm?«

»Das ist nicht zu läugnen, und du wirst dich erinnern, wie warm wir Dir beim Abschiede die Hand drückten.«

»Also Ihr trenntet euch?« fragte die Baronin.

»Nur für wenige Stunden,« antwortete der Erzähler; »George ging mit seinem Bedienten als Avantgarde voraus, und der Reisewagen der Damen, sowie die Calesche des Vicomte und des Grafen bildeten das Hauptcorps. Zum Schutze der Damen blieben wir drei bei ihnen, indem abwechselnd Einer im Wagen selbst Platz nahm, während die beiden Andern hinten auf den Bedientensitz kletterten. In der Calesche des Vicomte folgte sämmtliche Dienerschaft. So fuhren wir gegen zehn Uhr ab und –«

»Halt, halt!« rief der Baron, »ich kann die höchst merkwürdige Fahrt, welche ich in jener Nacht machte, nicht so vorübergehen lassen, ohne ihrer mit ein paar Worten zu gedenken. Um halb neun sandte ich eine Staffete voraus, welche aber, um kein Aufsehen zu erregen, nur die drei Pferde für meinen Wagen bestellen sollte. Ich, der um eine halbe Stunde später folgte, war dann wieder der Andern Courier und Reisemarschall. Mit vielem Halloh und Peitschengeknall ritt dann auch der Postillon, den ich vorausschickte, durch die schon stillen Straßen von Terni; ich folgte wie gesagt, eine halbe Stunde später. Es war eine klare Nacht mit hellem Mondschein; oft wenn ich den Gipfel eines höheren Berges erreicht hatte, sah ich die weißbeglänzte Straße meilenweit vor mir. Meine Staffette mußte gut geritten sein, ich entdecke nirgends eine Spur von ihr. Vor Mitternacht erreichte ich Narni. Alles lag hier im tiefsten Schlaf, das einzige Geräusch, welches man hörte, war das Murmeln eines Springbrunnens, und nirgends sah man ein Licht, selbst nicht einmal am Posthofe, vor dessen Thüre übrigens mein Postillon stand und mit einem Stein auf dieselbe loshämmerte. Nach meiner Rechnung hatte er schon fast eine Stunde dort sein können, und es war mir unbegreiflich, warum es ihm nicht gelungen war, in all der Zeit seine Kameraden zu erwecken. Endlich erschien oben im Hause ein Licht, welches jetzt im ersten Stocke und dann an der Hausthüre sichtbar wurde, eine schlaftrunkene Stimme fragte, was wir wollten. »Corpo di bacco!« rief mein Kerl, »schon fast eine Stunde stehe ich hier und klopfe, Pferde wollen wir.« – »Ah! du bist's, Giuseppe!« entgegnete der drinnen und riegelte die Hausthüre auf. Mein Vorreiter hatte mich gar nichts genützt, denn es dauerte eine halbe Stunde, ehe man frische Pferde für mich eingespannt. Doch hatte ich vor allen Dingen eine neue Staffette abgeschickt, und derselben eingeschärft, daß ich bei meiner Ankunft auf der nächsten Station die Pferde aufgeschirrt zu finden hoffe. Er versprach es hoch und theuer und galoppirte mit demselben Spektakel wie der erste davon. Ich machte meine Bestellungen für euch und folgte ihm. In Otricoli dieselbe Geschichte; kein Mensch im Posthause wach, geschweige denn ein Pferd bereit. Das war mir verdächtig. Ich ersuche meinen Vorreiter, mir doch sein warm gerittenes Pferd zu zeigen. »Ja,« sagte er, »das habe ich im andern Theil des Orts eingestellt. Schweißtriefend, wie es war, mochte ich es nicht hier in der kalten Nacht stehen lassen. Bin ich doch fast schon eine halbe Stunde hier, und Sie sehen selbst, die Spitzbuben im Hause wollen gar nicht aufwachen.« Gut. Ich that, als glaube ich ihm vollkommen, und schickte abermals eine Staffette voraus, beschloß aber jetzt der räthselhaften Geschichte mit meinen Postillons auf den Grund zu sehen. Ich warf mich in den Wagen, wir fuhren davon. Meine Calesche hatte ein Halbdeck, hinten mit einem Fenster, durch welches ich nach halbstündiger Fahrt vorsichtig hinausschaute; meine Vermuthungen hatten sich bestätigt und meine Staffetten mich auf die frechste Art von der Welt betrogen. Diese Kerle waren nämlich nur jedesmal bis vor die Station geritten, hatten dort ihr Pferd einem Kameraden gegeben, der es zurückführte, während sie ihren Weg auf weit bequemere Art fortsetzten, nämlich hinten auf meinem aufgeschraubten Koffer, den sie heimlich bestiegen, sobald mein Wagen bei ihnen vorbeirollte. Den Augenblick hatten sie aber im Chausseegraben versteckt abgewartet.«

»Verfluchte Kerle!« rief der Vicomte. »Und du sprangst wohl heraus, um ihn tüchtig abzustrafen?«

»Im Gegentheil,« fuhr der Baron fort, »wozu hätte mich das genützt? ich fuhr ruhig weiter bis zur nächsten Station. Vor dem Orte war der Bursche natürlich herabgesprungen und hatte auf einem näheren Wege das Posthaus vor mir erreicht; wie ihr wißt, liegen die Nester dort meistens auf der Spitze eines Berges, den die Pferde nur im langsamsten Schritt ersteigen; gewöhnlich muß man noch Ochsenvorspann nehmen, und dabei hatte mein Gauner genügend Zeit, mir vorzukommen. Am Poststall wiederholte sich die nämliche Geschichte der früheren Stationen, meine Staffette polterte mit aller Macht gegen die Thüre, was er seiner Behauptung nach schon über eine halbe Stunde gethan. Endlich wird geöffnet, ich laß ihn ruhig in den Stall gehen, um seine Bestellung auszurichten. Ihr wißt, mein damaliger Bedienter war ein baumstarker Mensch, auf den ich mich schon verlassen konnte. Ich fürchtete mich auch nicht, und so waren wir wohl im Stande, es mit einem halben Dutzend dieser lumpigen Italiener aufzunehmen, denn so viel waren ihrer mindestens herbeigeeilt, sobald die Nachricht im Posthof erscholl, es komme eine große Herrschaft, welche viele Pferde brauche. Mein Bedienter nahm eine unserer doppelläufigen Reisepistolen in den Arm und so traten wir Beide in den Stall, wo die wild aussehenden Kerle in den tollsten Costümen mit vielem Geschrei ihre Pferde aufschirrten. Meine Staffette lehnte an einem Ständerpfosten, freundlich grinsend, als ich näher trat, und seine rechte Hand zuckte vor, als wolle er sein Trinkgeld in Empfang nehmen. ›Du bist wohl gut geritten?‹ fragte ich ihn. – › Per Dio, Signor, das will ich glauben,‹ entgegnete er mir. ›Und das ist eine ganz verfluchte Straße, immer Berg auf und ab, man riskirt bei jedem Schritt seinen Hals. Glaubt mir, ich habe ein gutes Trinkgeld verdient.‹ – ›Und wo ist dein Pferd?‹ – ›Mein Pferd? Dort hinten in der Ecke stehts. Aber um der Mutter Gottes willen gehen Sie nicht nah zu ihm hin, es schlägt und beißt.‹ – Die Frechheit war mir denn doch zu viel, der Zorn übermannte mich, ich faßte den schlanken Römer bei seiner Halsbinde, schüttelte ihn tüchtig durch, und während ich ihm eine ziemliche Maulschelle gab, flog er in das Stroh des Ständers. Natürlicher Weise kam der ganze Stall in Aufruhr, von allen Lippen erschallten maledetto's, die wild aussehenden Kerle zogen die Messer aus ihren Hosentaschen und drangen auf mich ein. Ich kann euch versichern, es waren die ausgeprägtesten Räuberphysiognomien, deren sich kein Bild von Horace Vernet hätte zu schämen brauchen; zwischen den halb geöffneten Lippen glänzten die weißen Zähne hervor, die großen Augen blitzten mir wild entgegen, kurz sämmtliche gelben Gesichter mit den kohlschwarzen Haaren und den beiden langen Locken, die meistens an den Schläfen des römischen Postillons herabhängen, schauten mich blutgierig, ja teuflisch an, ihr hättet für mein Leben keinen Kreuzer bezahlt. Mein vortrefflicher Schabel mit seiner merkwürdigen Gelassenheit ließ unterdessen ruhig die Hähne seiner Doppelpistole knacken und richtete sie bedächtig über meine Schulter nach dem tollen Haufen, aus dem hervor einer der Wildesten schrie: ›Ein Römer läßt sich nicht ungerächt schlagen, das fordert Blut.‹ – ›Halt!‹ rief ich ihnen entgegen, ›da habt ihr vollkommen recht, aber der da‹ – ich wies auf meine Staffette – ›ist kein Römer, das ist ein Birbante, Gott weiß aus welcher Provinz; ein ächter Römer betrügt keinen Fremden. Und der da hat mich auf doppelte Art betrogen, um meine Zeit und um mein Geld.‹ Und nun erzählte ich ihnen mit kurzen Worten, wie ich ihn als Staffette gedungen, ihm ein sehr gutes Trinkgeld versprochen, wie er aber, anstatt zu reiten, hinten auf meinem eigenen Wagen gefahren. Ich versichere euch, meine kleine Rede war des Antonius würdig, und als ich mit der Frage schloß: ›kann das ein Römer sein?‹ hatte ich sämmtliche Postillons für mich gestimmt, sie steckten ihr Messer ein, und Jeder von ihnen, der mir wahrscheinlich ohne diesen Auftritt den gleichen Streich gespielt hätte, schwor hoch und theuer, das sei eine ganz niederträchtige Handlung und ich habe volles Recht gehabt. So war denn der Friede wieder hergestellt, ich schickte abermals einen Postillon voraus, und als ich ihm kurze Zeit darauf folgend nach vielleicht zwei Stunden die andere Station erreichte, stand dort bereits der Postmeister unter der Thüre, meine Pferde waren herausgezogen und die neue Staffette befand sich schon im Sattel.«

»Vortrefflich!« rief der Vicomte, »dem schuftigen Römer geschah sein Recht.«

»Ich wette, der Kerl hat sich auf keinen Wagen mehr gesetzt,« sagte der Rittmeister.

»Bald darauf,« fuhr der Hausherr fort, »brach der Tag an, für mich ein unvergeßlicher Morgen, denn ich sah zum erstenmal die herrliche Campagna sich vor mir ausdehnen, diese gewaltige Einöde so stumm und doch so beredt, so eintönig und doch wieder so mannigfaltig und prächtig gefärbt. Glücklich wer sie zum erstenmale so erschaut wie ich, wenn der erste Strahl der Sonne über sie dahinblitzt, und wenn sich aus dem tiefen, dunstigen Blau, das sie noch so eben bedeckte, langsam die glühenden Farben entwickeln, die ihr eigen sind und die man sonst nirgends erblickt. Rechts auf der Höhe bemerken wir vielleicht einen riesenhaften Trümmerhaufen, aus dem ein einziger Pfeiler hervorragt, doch:

Auch dieser, schon geborsten,
kann stürzen über Nacht, –

wie der Dichter sagt; aber der Anblick dieser Stätte wird gemildert durch eine Ziegenheerde, die mit ihren Glocken klingelnd das magere Grün zwischen den Steinen emsig heraussucht. Der Hirt in seinem weißen Schafpelze schaut lange, lange dem Wagen nach und hat dabei gewiß ganz seltsame Gedanken von manchen Freuden dieser Welt, die für ihn unerreichbar bleiben. Links von uns reiht sich ein Hügel an den anderen, und getäuscht durch die verschiedenen Farben vom dunkelsten Violett bis zum hellsten Gelb glaubt man ein wogendes Feld zu sehen. Und doch ist alles unbeweglich und still, weit, weit hinaus ohne eine menschliche Wohnung, und was man hier von Werken der Menschenhand sieht: die majestätischen und ernsten Bogen einer zertrümmerten Wasserleitung oder ein verfallenes Bassin, von riesenhaften Quadern eingefaßt, dessen Wasserspiegel in der aufgehenden Sonne leuchtet und strahlt, vermehrt noch die tiefe Oede und Melancholie.«

»So,« unterbrach sich der Erzähler mit einer gefälligen Handbewegung gegen Julius, »jetzt habe ich euch glücklich die bewußte Nacht durchgebracht, von der ihr uns doch wahrscheinlich keine interessanten Daten zu berichten wissen werdet, und hoffe ich nun von dir ein öffentliches Lob zu erhalten über meine vortrefflichen Arrangements.«

»Die waren in der That über alles Lob erhaben,« entgegnete der Andere. »Wir fanden während der Nacht überall unsere Pferde in Bereitschaft und kamen sehr rasch von der Stelle.«

»Außerordentlich rasch,« seufzte der Vicomte.

»Und dann das vortrefflich arrangirte Frühstück krönte deine Verdienste als Reisemarschall. Du wirst übrigens zugestehen, daß wir dich bei unserer Ankunft dankbarst umarmten.«

»Ja, ja, ihr waret Alle außerordentlich erfreut und glückselig,« sagte der Baron mit einem leichten, seltsamen Lächeln, »und ich muß gestehen, unsre Fahrt nach Rom an dem damaligen Tage gehört zu meinen angenehmsten Reiseerinnerungen.«

»Ja, wenn die Reise nur länger gedauert hätte,« bemerkte nachdenkend der Vicomte. »Allen Scherz bei Seite! die drei Damen waren ebenso liebenswürdig wie schön, ebenso fein gebildet wie angenehm in der Unterhaltung.«

»Wer will das läugnen?« erwiderte der Hausherr.

»Ich gewiß nicht.« sprach bedächtig Julius, »und weiß Gott was geschehen wäre ohne die Geschichte mit den Blumensträußen.«

»Ah! die gefährlichen Blumensträuße,« seufzte der Vicomte.

Und darauf trat einen Augenblick tiefe Stille ein. Julius und der Vicomte waren in der That sehr nachdenkend geworden, der Baron konnte sich eines abermaligen Lächelns nicht erwehren, und selbst über das Gesicht Eugens leuchtete es wie die Erinnerung an eine komische Begebenheit.

»Ah, meine Herren,« sagte die Baronin nach einer Pause, »wenn auch Ihre Schilderungen von Terni und der Campagna nicht so ganz übel waren, so finde ich es doch mir gegenüber unverantwortlich, daß Sie die drei Damen, deren ferneres Schicksal mich interessiren muß, so ohne Umstände vor den Thoren Roms sitzen lassen. Auch wünschte ich die Geschichte der Blumensträuße zu erfahren, wenn – damit wandte sie sich an ihren Mann – »die Geschichte erzählbar und meine Forderung nicht indiscret ist.«

»Das letztere gewiß nicht,« erwiderte Julius, und der Hausherr setzte hinzu: »Es ist ein recht hübscher Nachtrag zu der Reise von Terni, den Jedermann hören kann.«

»Der Vicomte mag das erzählen,« sprach Julius entschieden, indem er sich in seinen Fauteuil zurücklehnte und vor sich hin in die glühenden Kohlen schaute.

»Und warum soll ich das erzählen?«

»Weil dabei ein bischen Ausschmückung nichts schadet, da die einfache Thatsache weniger interessiren könnte.«

»Nun denn, Vicomte,« rief die junge Frau, »seien Sie liebenswürdig!« »Meinetwegen, es ist eine alte Geschichte, doch –«

»Ohne Citate, Vicomte!« sagte Julius.

»Auch das,« fuhr Jener fort.

»Wir kamen also nach Rom, leider waren unsere Quartiere im Voraus bestellt, leider, denn die Damen wählten einen anderen Gasthof. Wir erhielten übrigens die Erlaubniß, sie besuchen zu dürfen und machten davon einen umfassenden Gebrauch. Graf Rieden war uns dabei unbezahlbar, denn er machte der Lady aufs Bestimmteste seine Cour, und er war der Erste, der von einer Verbindung mit ihr als einer ganz passenden Partie sprach.«

»Sie war ungeheuer reich,« schaltete Julius ein. »Grade wie die Tochter unseres Generals, die schöne Julie,« fuhr boshaft der Vicomte fort, wobei Eugen einen leichten Seufzer nicht unterdrücken konnte. – »Ob die Damen unsere Bewerbungen günstig aufnahmen, bin ich nicht im Stande zu sagen; Keiner hatte noch eine direkte Annäherung gewagt, aber Jeder bereitete im Stillen einen heftigen Sturm vor auf das Herz seiner Auserwählten.«

»Per Blumenstrauß,« sagte der Baron.

»Ja, es ist sonderbar, wie wahr das Sprüchwort ist, daß sich die schönen Geister finden. Eigentlich fanden sich jedoch nur Graf Rieden und Julius, ich war Nachahmer. Will ich doch Zeit meines Lebens den Augenblick nicht vergessen, als ich an meinem Fenster stehend den Bedienten des Grafen über den Hof kommen sah, einen wunderbaren Blumenstrauß in der Hand, gleich darauf den von Julius mit einem nicht minder schönen Bouquet. Aha, dachte ich, für die Lady und für Miß Eveline! in der That, eine hübsche, kleine Aufmerksamkeit, bei der es Miß Elisabeth höchlich übel nehmen würde, wenn du zurückbliebest. Ich klingelte dem Lohnbedienten. ›In wie viel Minuten,‹ rief ich ihm zu, ›kann ich den prachtvollsten Blumenstrauß haben, der aufzutreiben ist? Für jede Minute weniger als die angegebene Zeit zahle ich einen Paolo.‹ Das wirkte ungemein; der pfiffige Italiener verlangte eine Viertelstunde, verdiente sich aber acht Paolo, denn schon nach einer halben Viertelstunde hielt ich mein Bouquet in der Hand. Es war sehr schön und der Platz in der Mitte zwischen einer rothen und weißen Camelie schien mir außerordentlich passend, um ein Zettelchen anzubringen, auf dem ich im besten Englisch, welches ich vermochte, Miß Elisabeth von den Flammen meines Herzens in Kenntniß setzte. Mich zu unterzeichnen hielt ich für unpoetisch und überflüssig, denn ich fügte meine Karte bei, die der Lohnbediente zu gleicher Zeit übergeben sollte.«

Julius nickte lächelnd mit dem Kopfe.

»Der Lohnbediente kannte Miß Elisabeth. Zum Ueberflusse gab ich ihm noch eine Personenbeschreibung, deren sich kein deutscher Polizeibeamter zu schämen gebraucht hätte. Ich fügte noch als besonderes Kennzeichen hinzu, daß sie die schönste der drei Damen sei und wahrscheinlich in Verwirrung gerathen und lächeln würde, wenn er Bouquet und Karte übergäbe. So instruirt entließ ich ihn, indem ich ihm große Strafe oder große Belohnung in Aussicht stellte, ich sah ihn die Straßen dahineilen und blieb zurück in spannender Erwartung. Erst nach Verlauf einer Stunde kam er wieder. ›Nun?‹ rief ich ihm entgegen. – ›Richtig besorgt, Euer Gnaden,‹ antwortete er. – ›Und was sagte die Dame?‹ – ›Sie hat freundlich gelacht.‹ – ›Gelacht, Unglückseliger! Laut gelacht oder nur sanft gelächelt? Besinne dich darauf.‹ Er konnte sich aber nicht darauf besinnen, oder verstand vielmehr nicht den großen Unterschied zwischen Lachen und Lächeln. Ich war verstimmt und kam so in schlechter Laune zum Diner. Hier fand ich denn nun, daß Julius und der Graf nicht besser aufgelegt seien. Aha! dachte ich, für die ist auch vielleicht gelacht statt gelächelt worden. ›Gehen wir ins Theater?‹ – ›Ich mag nicht.‹ – ›Auf den Ball zum Herzog Torlonia?‹ – ›Das ist ennuyant.‹ – ›Bitten wir um eine Tasse Thee bei der Lady?‹ fragte ich endlich schüchtern. – ›Ich nicht.‹ – ›Ich auch nicht,‹ liefen beide aufs Bestimmteste. Jetzt war ich sicher, daß man auch für sie gelacht und nicht gelächelt hatte.« »Nun, an Uebertreibungen lässest du's nicht fehlen,« sagte Julius. »Ich bitte dich, Vicomte, komm einmal zum Abschluß.«

»Bis dahin verging noch eine qualvolle Nacht,« entgegnete dieser lustig. »Mir träumte von Teufeln, die lächelten, und von Engeln, die lachten. Wir trafen uns am anderen Morgen wie gewöhnlich beim Frühstück und zum Dessert brachte der Lohnbediente einen ziemlichen Korb von Seiten der Lady.«

»Es war eine Schachtel,« sagte Julius ernst.

»Meinetwegen. In der Schachtel waren drei kleine Körbe

»Schachteln!« wiederholte Julius.

»Du sollst recht haben, aber mir kamen sie gleich Körben vor. Auf jeder stand die Adresse von einem von uns, und wir nahmen schweigend die ominösen Geschenke in Empfang. Ehe wir aber die Schachteln öffneten, lächelten wir zuerst alle drei wie ertappte Schulbuben, und dann als die Deckel abgehoben waren, brachen wir in ein gemeinsames Lachen aus. Ich erhielt den Blumenstrauß des Grafen Rieden, den dieser an die Lady adressirt und den der Lohnbediente mit meiner Karte abgegeben hatte. Elisabeth sandte dem Grafen das Bouquet von Julius, und Eveline verehrte diesem das meinige. War je eine solche Confusion erhört worden? Daß wir uns gewaltig ärgerten, wird uns Niemand übel nehmen, die Sache hatte sich in der That unangenehm entwickelt, und wem verdankten wir die ganze Bescheerung? – Der Unachtsamkeit unserer Bedienten.«

»Aber das ist köstlich, Vicomte,« rief heiter die Baronin. »Verzeihen Sie mir, daß ich nicht lächle, ich muß gegen allen Anstand laut lachen. Aber wie die Verwechslung eigentlich geschah, begreife ich immer noch nicht recht.«

»Es war das Schicksal roh und kalt,« sprach der Vicomte, »das Schicksal in Gestalt unserer Bedienten und eines Weinhauses. Die Gesandten unseres Freundes Julius und des Grafen glaubten sich zu ihrer Botschaft durch ein Glas guten Orvietos stärken zu müssen, und da der Lohnbediente der gleichen Ansicht war, fand sich das liederliche Kleeblatt in einer Locanda zusammen. Daß es hier diesen Herren sehr überflüssig erschien, die drei Blumensträuße von drei verschiedenen Personen überbringen zu lassen, begreife ich vollkommen; Einer übernahm die Commission allein und machte sich kein Gewissen daraus, Bouquets und Karten zu verwechseln. Ich hätte an dem Tage einen Mord begehen können.«

»Laß es gut sein, Vicomte,« bemerkte Julius achselzuckend. »Du hast dich bald getröstet.«

»Nicht früher als du,« fuhr der Andere fort, »und ich muß gestehen, dem Grafen Rieden ging die Geschichte am längsten nach. Indessen vergaß ich zu sagen, daß die zurückgeschickten Blumensträuße von einem Handschreiben der Lady begleitet waren, worin sie uns im Augenblick ihrer Abreise aufs Verbindlichste dankte für alle ihr bewiesenen Aufmerksamkeiten; was die Bouquets anbelange, so müsse sie dieselben zurückschicken, da sie vielleicht verwechselt worden seien, – das »vielleicht« ärgerte mich am meisten, – und sie unmöglich im Stande sei, die eigentliche Bestimmung derselben zu errathen.«

»Das war boshaft,« sagte die Baronin.

»So dachte ich auch,« erwiderte der Vicomte. »Daß sie wirklich abgereist waren, erfuhren wir durch den Grafen, der wahrscheinlich dem Reisewagen lange nachgeblickt hatte, als derselbe durch die Porta del popolo gegen Florenz fuhr.«

Damit endigte der Vicomte, Julius zuckte die Achseln, der Rittmeister lachte nachträglich und die Baronin lächelte still in sich hinein. Eugen allein schien dem Erzähler nur bis zu dem Punkte mit völliger Aufmerksamkeit gefolgt zu sein, wo er des kleinen Briefchens erwähnte, das er zwischen die Blumen geschoben. – – – – Da veränderte sich plötzlich der Gesichtsausdruck des Malers; er preßte die Lippen auf einander, bedeckte seine Augen mit der Hand und fuhr darauf mit derselben an die linke Seite seines Frackes, wo er zu untersuchen schien, ob sich in der Brusttasche desselben noch ein Gegenstand befände, dessen er sich erinnerte. Das Resultat seiner Nachforschungen mußte aber kein günstiges gewesen sein, denn er zuckte zusammen, richtete sich hoch auf, sein Gesicht nahm einen nachdenkenden Ausdruck an, worauf er leicht mit dem Kopfe schüttelte, sich unbemerkt aus der Kaminecke entfernte und geräuschlos das Zimmer verließ, gerade im Augenblicke, als der Rittmeister heftig lachte. »Ich wette,« rief dieser nach einer Pause, »die Geschichte hat den Damen doch am Ende leid gethan. Zehn gegen Eins möchte ich wetten, denn abgesehen von Graf Rieden waret ihr beide doch ganz famose Partien. Uebrigens ist mit solchen Blumensträußen nicht zu spassen, das kann ich euch versichern, und bei der Verheirathung eines genauen Freundes von mir spielt auch ein solcher eine große Rolle. Mein Freund war der einzige Sohn seiner Mutter, einer Wittwe, ein reicher Gutsbesitzer. Eine andere Wittwe hatte eine Tochter, aber gar kein Vermögen. Die Tochter war, versichere ich euch, merkwürdig schön. Na, ich kann nicht mehr sagen, als daß ich selbst 'mal in sie verliebt war.«

»Das ist ein Beweis,« meinte Julius, indem er aufstand.

»Nun gut, beide Wittwen waren befreundet, und mein kleiner Gutsbesitzer hatte schon lange sein Auge auf das Mädchen geworfen, aber nicht den Muth, sich ihr zu nähern. Ihre Mutter hätte begreiflicher Weise die Partie gar zu gern gesehen. Da zeigt sich auf einmal ein schon etwas ältlicher Kanzleirath, der das schöne Mädchen heimzuführen gedenkt. Gut. Die pfiffige Mutter rechnet: du willst doch vorher noch einmal zu deiner Freundin hinausfahren, ihr die Sache mittheilen, vielleicht daß das Veranlassung zu einer Erklärung gibt. Ich wette aber Hundert gegen Eins, daß keine Erklärung erfolgt wäre, wenn sich nicht ein Blumenstrauß ins Spiel gemischt hätte. Mutter und Tochter fahren nämlich auf der Eisenbahn, und als sie aussteigen wollen, bemerkt letztere ein prachtvolles, ganz frisches Bouquet, das im Gedränge liegen geblieben war. Der befragte Conducteur zuckte die Achseln und sagte, sie sollten es nur mitnehmen. Das geschieht, sie kommen auf dem Gute an, und mein kleiner Gutsbesitzer, der sie im Hofe empfängt, schielt so bedeutsam nach dem Blumenbouquet, daß man es ihm anbieten muß. Während die Mama die Gäste ebenfalls begrüßt und unterhält, eilt mein junger Tectosage mit dem Blumenstrauß auf sein Zimmer, und da er irgendwo gelesen haben muß, daß so ein Ding oft merkwürdige Sachen verbirgt, so reißt er die Blüthen aus einander und findet einen Papierstreifen, auf dem deutlich geschrieben steht: Hast du es denn nicht schon lange gemerkt, wie sehr ich dich liebe und wie unglücklich es mich macht, daß ich mich von dir trennen soll? – Das war in Versen gesagt, aber die habe ich vergessen. Gut. Mein kleiner Freund geht nach den Zimmern seiner Mutter, läßt sie herausrufen und sagt ihr, er wolle die Auguste heirathen und sonst keine. Was war da zu machen? Mama sagt: in Gottes Namen, und so sind sie denn jetzt ein glückliches Paar, und das alles durch einen Blumenstrauß. – Ich wette, das ist keine schlechte Geschichte.«

Die Baronin als freundliche Wirthin hatte der Erzählung mit Aufmerksamkeit gelauscht. Der Hausherr schien sie schon gehört zu haben, auch mochte ihn das Verschwinden Eugens beschäftigen, genug, er sah einigermaßen zerstreut aus, lehnte sich weit in seinen Fauteuil zurück und blickte nach der Thüre. Julius, der gewöhnlich auf seine Nebenmenschen nur so viel Rücksicht nahm, als ihm gerade beliebte, hatte sich schon erhoben, als der Rittmeister anfing zu erzählen und war ans Fenster getreten, vor welchem er stehen blieb und in die Nacht hinaus schaute, während er einen der Vorhänge auf die Seite drückte: »Wenn mich nicht alles trügt,« sagte er nach einer Pause, »so kommt dort noch ein Wagen. Oder haben Sie vielleicht eine Droschke herausbestellt, Vicomte?« wandte er sich an diesen, welcher neben der Baronin saß und eifrig mit derselben über die erwähnte Heirath sprach.

»Ich nicht,« antwortete der Vicomte kurz, »ich gehe wie abgeredet mit euch zu Fuß.«

»Es ist ein niederes Coupé,« fuhr der am Fenster fort, »ich erkenne das an der Stellung der Laternen; jetzt biegt der Wagen von der Landstraße ab, er kommt hieher. Sieh doch, George, wer kann das sein?«

Der Hausherr trat nun ebenfalls ans Fenster, währenddem auch schon die Anderen im Zimmer das dumpfe Rollen eines Wagens hörten, welcher die Rampe hinauffuhr und vor dem Treppenhause still hielt. Im gleichen Augenblicke trat Eugen ziemlich aufgeregt in das Zimmer, schritt eilig zu dem Hausherrn hin und wollte ihn abseits ziehen, indem er hastig sagte: »Du, George, ich bitte dich dringend, höre nur zwei Worte.«

»Gleich, gleich, lieber Freund,« erwiderte der Baron, wobei er sich jedoch, ohne den Maler anzuhören, der Thüre näherte, durch welche der Kammerdiener eintrat. Dabei hielt er Eugens Hand fest, wie um ihm anzuzeigen, daß er in der nächsten Sekunde ganz für ihn sei.

»Seine Excellenz, der Herr General von W. sind soeben angefahren und kommen schon die Treppen herauf,« meldete der Kammerdiener.

»Das habe ich mir gedacht!« rief erschreckt der Maler. »Nur einen Augenblick, George.«

»Gleich, gleich,« versetzte der Baron. »Seine Excellenz ist mir sehr willkommen, ich werde ihm entgegen eilen.«

»Aber, George, es ist wichtig, daß du mich hörst.«

»Aber, lieber Eugen, im Augenblick; ich muß doch dem alten Herrn entgegen gehen. Da ist er schon.«

»Ja, da ist er schon,« wiederholte der Maler, stützte sich mit der Hand auf den Tisch und obgleich auch seine Züge ruhig schienen, sah man doch, wie er schwer und mühsam athmete.

Der alte General trat in das Zimmer, und der Ausdruck seines Gesichtes war so ganz anders als vor einer Stunde, wo er das Haus verlassen. Jetzt hatte er die Augenbrauen finster zusammen gezogen, die Lippen auf einander gepreßt, und die Verbeugung, welche er den Anwesenden machte, war steif und förmlich. An der Thüre blieb er übrigens stehen, wandte sich zu seinem Bedienten, der ihm folgte, und nahm demselben einen Paletot ab, den er nun über seinen eigenen Arm hing und darauf langsam vorwärts schritt. »Sie waren so gütig, Herr Baron,« sagte er mit ernster Stimme, »meinem – dem Grafen Rieden wollt' ich sagen, – einen Paletot zu leihen, den ich mir erlaube Ihnen selbst zurückzubringen.«

»Aber, Excellenz,« erwiderte der Hausherr mit einer tiefen Verbeugung, »Sie bringen mich wahrhaftig in Verlegenheit.«

»Das könnte möglich sein,« meinte ruhig der General.

»O, George, wenn du mich nur einen Augenblick angehört hättest!« flüsterte der Maler.

Seine Excellenz schaute indessen ernst im Kreise umher, und sagte dann noch förmlicher als früher: »Herr Baron von C., ich würde Sie dringend um ein paar Worte unter vier Augen ersuchen.«

Alle Anwesenden waren aufs Höchste überrascht, ja erstaunt. Die Baronin hatte sich bei diesem Vorgange einigermaßen verlegen erhoben und stand neben ihrem Fauteuil; der Vicomte schaute mit großen Augen darein, und selbst Julius hatte sich erwartungsvoll umgewandt.

»Eure Excellenz werden mir verzeihen,« sprach befremdet der Hausherr, »ich bin natürlicher Weise ganz zu Ihren Befehlen, doch wenn das, was ich hören soll, nicht ein Geheimniß Eurer Excellenz betrifft, so würde ich vorziehen, es hier vor meinen Freunden anzuhören.«

»Wie Sie wünschen,« entgegnete kalt der General. »Doch würden Sie mir vielleicht Dank wissen, wenn ich einer unangenehmen Sache nicht gerade vor Madame und diesen Herren erwähnte.«

»Nach diesen mir unbegreiflichen Worten,« versetzte lächelnd der Baron, »muß ich ganz besonders auf Oeffentlichkeit bestehen. Darf ich Euerer Excellenz einen Fauteuil anbieten und Sie geziemend ersuchen, mir zu sagen, wovon die Rede ist?«

Der General machte, was das erstere anbelangte, eine abwehrende Handbewegung, dann sagte er ziemlich ruhig, aber ernst: »Wie schon bemerkt, hatten Sie die Freundlichkeit, dem Grafen Rieden einen Paletot anzubieten, den er dankbar annahm und mit mir nach der Stadt zurückfuhr.«

»Ganz richtig,« bemerkte der Baron.

»Zu Hause,« fuhr der General fort, »übergab ich dem Grafen einige Briefe, die für ihn angekommen waren und die er erbrach, flüchtig durchlas und in die Tasche eben dieses Paletots steckte. Er begab sich in sein Hotel, um eine Viertelstunde nachher in größter Aufregung wieder zu mir zu kommen. In größter Aufregung, und er hatte Ursache dazu; ich weiß nicht, ob die Frau Baronin oder einer der anwesenden Herren etwas darüber hörten, daß eine Verbindung zwischen dem Grafen Rieden und meiner Tochter projectirt sei? O doch, es muß so sein, denn ich erinnere mich, daß Herr Eugen mich sogleich zu verstehen schien, als ich ihn um ein kleines Porträt meiner Tochter bat.«

»Ich, Herr General?« sprach der Maler aufs Höchste bestürzt und mit bleicherem Gesicht, als selbst in jenem Augenblicke drunten an der Treppe. »Ach, ja, ich erinnere mich, aber Euere Excellenz erklärten sich so deutlich, daß ich – die Sache nicht mißverstehen konnte.«

»Das ist auch höchst gleichgültig, ich gestehe das Faktum ein, und Sie können sich deßhalb meinen Schrecken, meinen Schmerz denken, als er mir den verhängnißvollen Paletot zurückbringt, – den Ihrigen, Herr Baron von C. – als er mir erzählt, er habe arglos seine Briefschaften aus der Tasche nehmen wollen und – zu – gleicher Zeit – etwas Anderes – gefunden.«

Der Hausherr zuckte die Achseln mit dem Ausdrucke des größten Erstaunens, während die Baronin näher trat und erschreckt ausrief: »Um Gotteswillen, was soll denn das, George? O, Herr General, halten Sie ein!«

»Ich bitte dagegen, fahren Sie fort,« sagte ruhig der Baron.

Der Maler wollte vortreten, doch hielt ihn Julius am Arme fest, indem er ihm trocken zuflüsterte: »Misch dich nicht in Sachen, die dich durchaus nichts angehen.«

»Hier sind die Briefe des Grafen,« fuhr der General fort, indem er Papiere aus der Brusttasche zog, »und zwischen denselben befand sich ein kleiner Blumenstrauß.«

»Teufel, ein Blumenstrauß!« brach der Vicomte aus.

»Ja, ein Blumenstrauß,« sprach der General mit erhöhter Stimme, »und in demselben versteckt ein Briefchen, ein Schreiben meiner – Tochter Julie – an Sie, Herr Baron.«

»O George!« rief die junge Frau mit einem Ausdruck des Schmerzes und des Vorwurfes, indem sie sich an ihren Mann wandte. Dieser stand einen Augenblick ruhig, ja lächelnd, dann zog er die Klingel, die neben dem Divan hing, wobei ihn alle erstaunt anblickten, und als der Kammerdiener herein trat, sagte er: »Friedrich soll kommen.« Der Bediente erschien augenblicklich. »Du hast vorhin einen Paletot von mir herunter geholt; wo fandest du ihn?«

»Wo der Herr Baron mir gesagt, vor dem Zimmer auf dem Tisch.«

»Sonst lag keiner da?«

»O ja, Herr Baron, noch mehrere.«

»Darf ich Euere Excellenz nun bitten, mir den Paletot übergeben zu wollen? Schau ihn an, Friedrich, aber diesmal genauer, das muß ich mir ausbitten; ist das mein Paletot?«

Der Bediente nahm das Kleidungsstück in die Hand, beschaute es von allen Seiten, und er hätte nicht nöthig gehabt, eine Antwort zu geben, sein Gesicht sagte genug, sowie auch das Kopfschütteln des Kammerdieners, welcher die Garderobe seines Herrn genauer zu kennen schien. Der Baron machte eine Handbewegung, worauf die Diener sich zurückzogen, dann sprach er ruhig: »Sie sehen wohl, Excellenz, daß hier eine Verwechslung vorgegangen.«

»Allerdings,« erwiderte dieser aufs Höchste bestürzt, »aber Einem muß doch dieser unangenehme Paletot gehören.« Er blickte fragend im Kreise umher, während der Vicomte der Baronin zuflüsterte: »Wenn ich mich dazu bekenne, so käme ich vielleicht unverhofft zu einer schönen Braut. Was meinen Sie, gnädige Frau?« Diese aber winkte ihm abwehrend mit der Hand und schaute athemlos auf Eugen, der langsam vortrat und nach einer Pause ruhig sagte: »Ich kann und will Euerer Excellenz nicht verschweigen, daß der Paletot mir gehört.«

Der General trat einen Schritt zurück. »Und Blumenstrauß und Brief?« fragte er im Tone höchsten Erstaunens.

»Gleichfalls, Excellenz.«

»Und damit die Liebe Ihrer Tochter, Herr General,« meinte Julius sehr trocken, »und wenn man die Sache bei Licht besieht, so –«

»Und das Licht, bei dem wir sie betrachten,« fiel ihm der General heftig ins Wort, »ist so scharf, daß mich die Augen beißen. Verzeihen Sie, Baron, meinen Ueberfall, und vor allen Dingen Sie, gnädige Frau; weiter habe ich hier nichts zu sagen, und wünsche allerseits eine geruhsame Nacht.« Damit wandte er sich zornig um und hinkte zum Zimmer hinaus.

Der Baron eilte ihm nach, Eugen wollte ebenfalls folgen; doch hielt ihn Julius am Arme fest und sagte mit seiner gewöhnlichen Ruhe: »Bleib da, unbesonnener Kerl, du machst schöne Geschichten.«

»Laß mich, laß mich!« rief der Maler hastig, »ich muß ihn zu besänftigen suchen, sonst fällt all' sein Zorn auf die arme Julie.«

»Bah!« erwiderte der Andere, »sie hat auch ihr Theil verdient. Aber bleib nur, bleib; wie ich den General kenne, ist das jedenfalls besser. Vor allen Dingen aber sage, ist Juliens Liebe für dich so groß, daß sie dem Papa gegenüber fest bleiben wird?«

»O mein Gott ja, ich glaube und hoffe es,« antwortete Eugen, während die Baronin leicht mit dem Kopfe nickte.

»Dann wird sie mit ihm fertig,« fuhr Julius mit unerschütterlicher Ruhe fort, »und wenn du einen Brautführer brauchst, so stehe ich zu Befehl.«

»Hat aber dieser Graf Rieden mit seinen Blumensträußen Unglück!« rief lachend der Vicomte. »Apropos,« wandte sich der Rittmeister an Eugen, der im tiefen Nachdenken dastand, »ich wette Hundert gegen Eins, daß ich meine Wette mit Ihnen gewonnen; Baronin Julie wird den Grafen nicht heirathen, hundert Louisd'or, das ist keine Kleinigkeit. Aber, bester Freund, Sie werden so gefällig sein und mir die Art der Zahlung überlassen, und Sie würden mich glücklich machen, wenn dies in Leinwand und Farben geschähe; so ein hübsches Porträt von mir, wissen Sie zu Pferde vor der Schwadron, auf irgend einen beliebigen Feind einhauend.«

»Ja, ja,« meinte Julius trocken, »an einem Schlachttage, der kein Datum hat; thu' ihm den Gefallen. Ich bin überzeugt, er bietet dir eine Wette an, du werdest niemals ein schöneres Bild malen.«

»Und die Veranlassung dazu!« lachte der Rittmeister, »es ist das Pendant zu meiner Geschichte. Ja, es gibt gefährliche Blumensträuße.«

»Himmlisch ist das allerdings,« sagte der Vicomte, indem er sich die Hände rieb. »Wenn ich es nur bald irgendwo erzählen kann.«

»Nach einer gewissen Hochzeit bekommst du die Erlaubniß dazu,« sprach Julius.

Und um den geneigten Leser nicht länger zu ermüden, wollen wir nur noch sagen, daß der General, welcher seine Tochter zärtlich liebte und den jungen Künstler achtete, mehrere Tage vergeblich getobt und gemurrt, und daß in Folge hiervon Eugen von dem großen Bilde keine kleine Copie zu machen brauchte, indem Papa mit komischem Zorn ausgerufen: »Die Mühe mit Leinwand und Farben kann er sich jetzt sparen!« und daß endlich der Vicomte nach einem halben Jahre wirklich die Erlaubniß erhielt, und nun überall und zwar mit vielen Ausschmückungen die Geschichte auch dieses gefährlichen Blumenstraußes erzählte.

Uebrigens wünschen wir ähnliche gefährliche Blumensträuße allen unsern geneigten, liebenswürdigen Leserinnen.


 << zurück weiter >>