Friedrich Wilhelm Hackländer
Erlebtes. Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Viertes Kapitel.

Was in einem Gasthofe um die Geisterstunde geschieht.

Bei schlaflosen Nächten, deren es leider im Menschenleben so viele gibt, und deren im Gasthof wohl mehr als zu Haus auf deinen Theil kommen, denn du hast ein fremdes Bett, hast viel gegessen und viel geplaudert, dich amusirt, echauffirt, aufgeregt; also in solchen Nächten, wo du dich unmuthig von einer Seite auf die andere wälzest, wo du vergeblich nach dem Schlafe greifst, ihn, der neckisch um dich herumgaukelt, vergeblich zu erfassen strebst, hast du oft gehört, wie das Leben in dem weiten Hause allmälig abstirbt. Zuerst beruhigen sich die oberen Stockwerke, und die Stille der Nacht, bleiern und unwiderstehlich, sinkt langsam immer tiefer hinab, ertödtet das Gespräch im Speisezimmer, drückt den Kellnern die Augen zu, entwendet dem Koch sein großes Messer, löscht Gaslichter und Herdfeuer aus und läßt den Portier einnicken.

Alles ist stille um die Mitternachtsstunde, – da hört der Schlaflose, wie es langsam Treppe auf und Treppe ab schleicht und schlürft über die Vorplätze und über die langen Corridors, wie es vor jeder Thür stehen bleibt – vielleicht ein unheimliches Gespenst – als überlege es, in welchem dieser Zimmer es den Schlafenden durch seine Erscheinung außer sich bringen solle; aber es tritt zu keiner Thür hinein, es hustet hohl und dumpf, es raschelt auf dem Fußboden und entfernt sich mit denselben leisen und geisterhaften Schritten, mit denen es gekommen.

Das Gespenst aber, welches so um die Mitternachtsstunde im Gasthof herumschleicht, ist der Hausknecht oder sein Substitut, der sämmtliche Stiefel und Schuhe aller Stockwerke zusammenschleppt, um sie morgen früh vor Tagesanbruch wieder gereinigt an ihren Platz zu stellen. Aber der elegante Hausknecht eines eleganten Hotels befaßt sich mit dieser niedrigen Arbeit nicht selbst. Er hat seine Unterbeamten, welche dies Geschäft versehen, meistens arme alte Leute, die, wenn Alles schläft, hustend daherschleichen, das sämmtliche Schuhwerk zusammenzubringen. Ein alter Mann, eine Brille auf der Nase, eine Zipfelmütze auf dem Kopf, aussehend wie eine Erscheinung, – und es ist auch eine solche, da er erst in der Mitternachtsstunde sichtbar wird und mit dem ersten Hahnenschrei in den unterirdischen Räumen des Gasthofs wieder verschwindet – ein solcher hebt das Schuhwerk vom Boden auf, betrachtet durch die trübe Brille angelegentlichst die Zimmernummer und malt dieselbe mit Kreide auf die betreffenden Sohlen.

Unten in einem stillen Gemach wird das sämmtliche Schuhwerk nun sortirt und nach verschiedenen Rangklassen eingetheilt. Plebejische, beschmutzte Stiefel sind für den Wasserkübel bestimmt und werden mit der Dreckbürste bearbeitet. Anständigere Schuhe werden gleich mit der Glanzbürste gesäubert, und das geht so aufwärts bis zu der feinen Zeugbürste und dem Lackpinsel für das zierliche, liebenswürdige Geschlecht der Brodequin's. Endlich stehen alle gereinigt auf einem großen Gestelle einträchtig bei einander; der Hausknechtssubstitut zieht sich nach beendigter Arbeit zurück, es ist die Mitternachtsstunde.

Stille rings und tiefes Ruhen,
Plötzlich – horch! ein leises Flüstern,
In den Stiefeln, in den Schuhen
Lispelt es und rauscht es lüstern.

Es kracht und rauscht auf dem Gestelle, es knarrt und scharrt, es seufzt und murmelt, und nachdem ein langer, tiefer Ton durch die Stiefelreihen gezogen, sind sie wie vom drückenden Banne erlöst und im Stande, sich ihre Gedanken und Gefühle mitzutheilen. Da werden Bekanntschaften gemacht und erneuert, kleine Intriguen angefangen und fortgesponnen, und man theilt die Erlebnisse des vergangenen Tags einander mit.

»Wo waren Sie heute Mittag?« fragt ein feiner Lackstiefel einen schwerfälligen, groben Schuh, ein altes, gesetztes Wesen mit Runzeln und Falten, glänzend vor Wohlbehagen und Thran; und der Schuh antwortet mit einer rauhen, knarrenden Stimme: »Habe meine Fruchteinkäufe besorgt, auch mir ein paar neue Schimmel angeschaut, meine alten Pferde werden abgängig. – Aber wo habt Ihr Euch indessen herumgetrieben? – Was? – wieder einmal allen Mädels nachgelaufen und Euch im Theater allerhand dummes Zeug vorschwätzen lassen?«

Die Lackstiefel glänzen vergnügt bei dem Ausfall des alten Landedelmanns, und wie sie so dastehen, so herausfordernd, so außerordentlich auswärts, so siegreich, versteht man leicht das Schmunzeln, das in ihnen ertönt und das leichte Gekicher. »Haben uns superbe amusirt!« sagen sie darauf und schielen nach ein paar feinen schwarzen Stiefelchen, die bei diesem herausfordernden Blick still und beschämt vor sich niedersehen.

Etwas weiter unten auf dem Gestell klirrt ein feiner silberner Sporn so wehmüthig und leise und schmachtet aufwärts zu ein paar zierlichen hellbraunen Brodequin's und sagt mit einer Silberstimme: »Grausame Eleonore! warum zogst du dich bei meiner Annäherung heute Abend immer so scheu zurück?« und die Stiefelchen lispeln: »Konnte ich anders, mein Hugo? Du hast ja selbst gesehen, daß der Whisttisch einen einzigen pöbelhaften und dicken Fuß in der Mitte hat, und daß mein Mann beständig etwas unter den Tisch fallen ließ.«

Neben den hellbraunen Brodequin's stehen zwei Paar ehrenfeste, solide Stiefel, ehrwürdige Gebäude bei Jahren, mit soliden, dicken Fundamenten. »Ich muß gestehen,« spricht das eine Paar zu dem andern, »ich hätte diesem jungen Laffen von Offizier schon lange gesagt, wo er her wäre! – Was ist das für eine Aufführung? Rennt dir oder vielmehr deiner Frau überall nach, führt sie auf der Promenade am Arm, so daß du nebenher laufen kannst, ein vollkommen lächerlicher Elephant.«

Wieder klirrte das Spörnlein: »Ach Eleonore, dein Mann ist ein guter alter Mann, aber der Freund, den er bei sich hat, ist ein grober Esel. Sollte man nicht glauben, er sei dir zum Vormund gesetzt? Auf Ehre, ich werde nächstens mit ihm anbinden.«

»Schlechte Zeiten!« brummten unten ein paar Schuhe, zu denen Gamaschen gehörten, »auf Ehre, Herr Bruder, ganz schlechte Zeiten, fürchterliche Concurrenz! Ich erinnere mich noch ganz gut – es mögen jetzt vielleicht zwanzig Jahre her sein – da machte ich fast allein in Cigarren, und wenn ich mich sehen ließ, riß man die Ladenthüren auf und schrie: »Da ist er endlich, nur herein! nur herein!« – Jetzt aber schließt man die Ladenthüren zu und schreit mir entgegen: »Da ist er schon wieder! hinaus! hinaus!«

Die anderen Gamaschenschuhe, die nebenan standen, ein paar, arme, geflickte Wesen, seufzten recht traurig und husteten kläglich dazwischen. – »Ach,« sagten sie zum Collegen, »Ihr erfreut Euch doch einer guten Gesundheit und könnt mit Euren starken Sohlen herzhaft durch Dick und Dünn laufen. Aber seht mich an – wenn man so draußen in der Meßbude stehen muß, das greift die Gesundheit an, ich versicher' Euch, ich bin eine elende, gebrechliche Schuhkreatur, und mit mir thut's nicht lange mehr.« Dabei seufzte das arme Wesen traurig auf und schaute betrübt nach ein paar Gummi-Elasticumüberschuhen, die nicht weit davon standen, und die sein ganzes geknicktes Leben noch eine Zeitlang hätten conserviren können. Aber die Gummi-Elasticumüberschuhe waren vornehme diplomatische, achteten nicht auf das geringe Volk nebenan und unterhielten sich auf's Angelegentlichste mit ein paar russischen Pelzstiefeln über den Ausgang der Pariser Friedens-Conferenzen.

Das untere Brett des Gestelles nahm das Bedientenschuhwerk und sonstiges dergleichen Volk ein. Doch gab es sehr anständige und nette Leute darunter, namentlich bei dem weiblichen Personal. Es ist traurig, wie wenig Bedacht zuweilen die Natur auf Rang und Stand nimmt, denn hier unten im Departement der Kammerjungfern gab es aristokratischere Stiefelchen, als droben bei der hohen Aristokratie selbst, und man konnte es den Schuhen der deutschen Baronin, die so viel Platz einnahmen wie ein paar Dragonerstiefel, durchaus nicht verübeln, daß sie so erbost mit den Fußspitzen über das Brett hinabsahen auf die Brodequin's ihrer Kammerjungfer, die einem zwölfjährigen Kinde anzugehören schienen.

Unter den Gummi-Elasticumüberschuhen unterhielten sich zwei Paar Bedientenstiefel, und ein Paar derselben roch entsetzlich stark nach Juchten, hatten auch einen röthlichen Glanz und waren stark geschmiert. Sie sagten: »Wenn ich so hinten auf meinem Bocke sitze und durch das weite Land fahre, so kommt es mir immer unheimlich vor, so oft ich unter einem Telegraphendraht dahin fahre. Ich meine immer, der Blitz, der da hin und herzuckt, könnte einmal eine falsche Richtung nehmen und mir gelegentlich auf meinen Kopf fahren, deßhalb ducke ich mich auch bei einer solchen Gelegenheit soviel wie möglich.«

»Jutt noch!« entgegneten die andern Stiefel, »was ihr Russen in der Bildung zurück seid! Das sind ja keine Blitze, die an den Telegraphendraht dahinfliegen, sondern rein nichts als Depeschen.«

»Ei,« sagte der Russe, »das macht man uns mir weiß, das sind ganz andere, geheinmißvolle Geschichten! – was Depeschen!«

»Nein, ich versichere Sie, es sind einfache Depeschen! Die Diplomaten können sie ja lesen.«

»Ja, wer das glaubt!« sagte der Russe.

»Nun, auf Ehre, ich kann Sie versichern, ich habe das hundertmal mit angesehen. Wenn wir über die Landstraße dahin fuhren und bei einem Telegraphendraht vorbeikamen, da juckte es meinen Herrn Baron immer im rechten Auge, und dann nahm er ein kleines Fernglas heraus, das er sehr sorgfältig zu verwahren pflegte, und beschaute damit den Draht, und darauf sah er immer sehr geheimnißvoll und wichtig aus und wußte Alles, was in der Welt vorging, ganz genau.«

»Schrecklich!« meinten die Juchtenstiefel. »Und haben Sie nicht ein einziges Mal selbst durch dies merkwürdige Glas gesehen?«

»O ja!« entgegneten die Andern, »zweimal in meinem Leben; das war vor den Pariser Konferenzen, da fuhr ich mit dem Wagen allein voraus, und als ich auf einer weiten Ebene den Telegraphendraht sah, richtete ich das Glas dahin und sah Couriere und Depeschen in fürchterlicher Eile dahinfliegen.«

»Und das andere Mal?« fragte der Russe.

»Das war,« entgegnete der Andere, »nach den Pariser Conferenzen, da kamen sie nicht ganz so eilig von dorther zurück.«

So rauschte und knarrte es auf dem Schuh- und Stiefelgestelle Nachts um die zwölfte Stunde, und sonderbar genug hatten oben in ihren Betten die Besitzer der verschiedenartigen Schuhwerke fast dieselben Gedanken und Träume.

Der Landedelmann lachte, daß er das Korn um ein paar Kreuzer wohlfeiler erhandelt, der junge Stutzer zählte die Herzen, die er heute erobert, der alte Ehemann träumte von einer Whistpartie, er ließ alle Augenblick die Karten unter den Tisch fallen, und so oft er mit dem Kopfe wieder auftauchte, bemerkte er, wie der junge Offizier die Hand auf sein Herz legte und freundlich lispelte: »Coeur ist à tout!« Diese schrecklichen Träume ließen ihn in der Nacht oftmals erwachen, und dann machte er Licht und sah nach seiner Frau, die unruhig zu schlafen schien. – Der Cigarrenhändler aber kämpfte mit einem gewaltigen Alp, der sein reisendes Herz hart ängstigte. Er machte in Cigarren, und so oft er aus einem Laden vornen hinausgeworfen wurde, trieb ihn eine gespensterhafte Gewalt an, hinten wieder hinein zu treten. – Der arme Handelsmann aus der Meßbude hustete die ganze Nacht an Einem fort und trank zuweilen Kamillenthee. Er hatte nasse Füße bekommen, sich eine starke Erkältung geholt, und wenn er zuweilen in einen leichten Schlummer verfiel, so träumte er von ein paar neuen, schönen Gummigaloschen. Die beiden Diplomaten dagegen, der deutsche sowie der russische, hatten keine eigenen Träume, sondern beschäftigten sich merkwürdiger Weise mit dem, was ihre Kammerdiener vorhin besprachen. Der Deutsche bildete sich wirklich ein, ein solches Wunderglas zu besitzen und Alles zu wissen, was in der Welt sichtbar und unsichtbar vorgeht, und erzählte das seinem schlauen Collegen. Dieser hörte ihm pfiffig lächelnd zu, und der gute Deutsche in der Freude seines Herzens, Jemand hinters Licht gefühlt zu haben, bemerkte nicht, wie ihm der Andere allerlei seltsame Marionetten vor sein trübes Glas hielt, und berichtete darauf froh und heiter als über etwas wirklich Geschehenes und Gesehenes nach Hause.


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