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Reisen – ich weiß nicht, hat das Wort für mich allein einen so lieblichen, wunderbaren Klang, oder geht es anderen Leuten auch so – reisen. Wenn ich Abends am flackernden Kaminfeuer sitze, im halbdunklen Zimmer und mir das Wort recht eindringlich und etwas sehnsüchtig vorspreche, so ist es wahrhaftig eine Zauberformel. Ein langgezogener feiner Posthornton klingt in mein Ohr, eine lustige Fanfare, und – ich fliege durch die Nacht dahin. Vor uns sitzt der Schwager auf seinem starken Sattelpferde, er fliegt im Sitz hin und her, hüpft auf und ab, und der gelbe Federbusch auf seinem Hut karrikirt alle seine Bewegungen. Bald erhalten die beiden Vorderpferde durch einen künstlich angebrachten Hieb zu gleicher Zeit einen tüchtigen Merks. Jetzt drückt er dem Sattelgaul die Sporen ein, hebt den Peitschenstiel empor und stößt ihn dem Handgaul recht kräftig vor den Widerrist. Hurrah! wie fliegen sie dahin! Staub und kleine Steinchen wirbeln auf und verdecken die ohnehin düster brennende Lampe.– Aber wohin? Ach, bei dem Gedanken falle ich aus meinen süßen Phantasien wieder in die rauhe Wirklichkeit. Nur keine Frage: wohin? Immer zu! bald an den Ufern mächtiger Flüsse vorüber, bald durch wild romantische Thäler hin, mächtige Ruinen auf allen Spitzen, tief in den Schluchten zwischen finsteren Bäumen die hohen Mauern einsamer Klöster. Es wird Abend und melodisch klingen die Glocken empor, dazwischen Heerdengeläute, und die freundlichen Grüße heimkehrender Landleute schlagen an Ohr und Herz. Dort im Hintergrunde dampft die Stadt. Hie und da blitzen Lichter auf, dumpfes Getöse schallt mir entgegen. – Aber jetzt halt! Denn wenn auch viel Poesie darin liegt, Abends durch beleuchtete Straßen über das klirrende Pflaster zu fahren, so kommt doch jetzt des ächt Prosaischen so viel, daß ich es gern entbehre. Es gibt für mich im Leben nichts Schrecklicheres, als das Tönen einer großen Wirthshausglocke und das Rennen einer ganzen Schaar Kellner, die Serviette auf dem rechten Arm, in der Linken das Licht, alle mit verzerrt freundlichen Gesichtern. Der erste dieses Haufens, mit der Feder hinter dem Ohr, bedauert unendlich, daß entweder gar kein Platz oder nur noch im vierten Stock ein Zimmer frei ist.
Lassen wir den Postwagen in Gottes Namen fahren. Dort vor uns liegt die große Stadt, aber ich mag nicht hinein. Viel lieber wünsche ich mir den Weg frei, setze mich auf einen Stein an der Landstraße, mein Päckchen neben mir und denke nach und träume. Warm ist die Luft, süß und duftig. Endlich stehe ich auf, lasse die Stadt zu meiner Seite liegen und steige den Berg hinan, durch Olivenwälder und Zitronengärten. Droben steht eine einsame Locanda, wo man mich gern aufnimmt. Ueber der Thüre schwankt ein Dach von leichten Latten, über welches sich üppige Reben wiegen. Vater und Mutter sind nicht daheim, aber die junge kräftige Tochter fürchtet sich vor dem Fremden nicht. Sie weist ihn in's Zimmer hinein und setzt sich ihm gegenüber; den Kopf mit den schwarzen Haaren und blitzenden Augen auf beide Hände gestützt, lacht und scherzt sie mit dem Fremden und ist dabei ganz züchtig, zurückhaltend und voll Anstand.
Unterdessen ist mir die Pfeife ausgegangen, und wenn ein Raucher diese Zeilen liest, so wird er es für profan halten, mit ausgegangener Pfeife weiter träumen zu wollen. Reisen – o Gott! ja reisen! – Aber wohin? Ich fühle mich eigentlich recht unglücklich, schon so viel in der Welt herumgekommen zu sein. Die Zauberformel hat doch viel von ihrer Kraft verloren. Vor langen Jahren – es war am Rhein – da brauchte ich mich nur auf einen Haufen Stricke am Werft hinzusetzen und den Dampfschiffen zuzuschauen. Und ich muß gestehen, ich dehnte dieses Zuschauen nicht gerade zum Vortheil der Lectionen, die mir meine Lehrer aufgaben, stundenlang aus: meine Forschungen sollten gründlich sein. Oft war ich schon da, wenn der Kessel des Dampfboots den ersten knarrenden Laut von sich gab, weil er von der sanften Wärme des Feuers sich nach allen Seiten auszudehnen begann. Jetzt entsteigt dem Schornstein eine mächtige schwarze Rauchsäule, der Kapitän und der Steuermann kommen von der Stadt her und begeben sich auf's Verdeck, das von den Schiffsjungen mit einer großen Menge Verschwendung an Wasser abgewaschen wird. Der erste überflüssige Wasserdampf zischt weiß aus der Maschine empor und einer der Matrosen steht an der Glocke, das erste Zeichen zur Abfahrt zu geben. Schon kommen einzelne Passagiere an. Diese ersten, die vor den Signalen anlangen, finden sich meistens in großer Begleitung. Das Schiff geht zur Bequemlichkeit der Reisenden erst Nachmittags ab, man kommt gerade von der Tafel, und die sechs bis sieben guten Freunde, die den Abreisenden begleiten, können ihren Kaffee ebenso gut auf dem Schiff, als irgendwo anders trinken.
Dies waren aber nicht die Leute, an denen ich die Fäden meiner Phantasie anzuknüpfen pflegte.
Der Kapitän auf dem Radkasten gibt unterdessen ein Zeichen, und der Matrose vornen, nachdem er sich die Nase geputzt, faßt den Schwengel der Glocke und läßt die Töne rasch aufeinander weithin klingen. Zwischen diesem ersten Zeichen und dem zweiten kommen wenig Passagiere. Der Kapitän geht auf dem Radkasten spazieren, und die Maschinisten und Heizer stecken ihre berußten Köpfe aus den Lucken, um frische Luft zu schöpfen. Hinter einem großen Haufen Fässer und Stricke verborgen, treiben die Schiffsjungen allerhand zarte Kurzweil, geben einander Kopfnüsse oder zerren sich auf dem Verdeck umher.
Und der Kapitän winkt wieder.
Der Matrose vornen schneuzt sich abermals und gibt das zweite Zeichen.
Nun beginnt es auf dem Werft lebendiger zu werden. Es kommt jene Klasse von Passagieren, die den richtigen Grundsatz, lieber eine Viertelstunde zu früh als eine Minute zu spät zu kommen, übertreiben: junge Leute, die die erste Reise in die Welt machen, einen kleinen Ausflug in's Gebirge, mit Gamaschen, in den Händen große Stöcke, über die Schulter die grüne Botanisirbüchse, auf dem Kopfe eine brennend rothe oder blaue oder weiße Mütze, worunter das lange, hellblonde Haar. Auch viele alte Damen werden sichtbar, mit altmodischen seidenen Hüten und langen hochrothen oder hellgelben Shawls, am Arm einen weitläufigen Ridicüle und gefolgt von dem Kammermädchen, das den Mops trägt.
Das waren noch alle nicht meine Leute. Sie fahren vier oder fünf Stunden den Strom hinauf oder hinab, und da war ich ja auch schon. Ihnen kann ich nicht meine Träume und Wünsche mitgeben. Auch Engländer erscheinen, – reisende Engländer mit langweiligen Gesichtern, langen dürren Hälsen und weiten Staubmänteln. Die kommen schon weiter her, als alle die Anderen, und ihre Insel, die sie eben verlassen, schwebt mir auch interessant genug vor, aber sie sind so theilnahmlos, so kalt, sie sperren die Mäuler so auf, was, wie mein Lehrer mir sagte, ein Zeichen von Dummheit sein sollte. Dann hatte man mir ferner erzählt, sie tränken den ganzen Tag Thee und äßen Gebackenes dazu. Letzteres hätte ich mir schon gefallen lassen, aber das Erstere – ich hatte in meinem Leben ein einziges Mal Thee getrunken, und damals war ich sehr krank und sah blaß und hager aus, wie die reisenden Engländer. Nein, nein, ich ließ sie vorüberziehen, ihnen mochte ich mich nicht anvertrauen.
Oft saß ich so am Werft und wartete Stunden lang vergebens, denn was ich liebte, und woran ich so gerne meine Reisepläne und Träume knüpfte, das waren die großen, schweren Equipagen mit glänzenden Wappenschildern und bestaubten und beschmutzten Rädern, die weit herkamen und wieder weit, weit in die Ferne gingen – Reisekometen! Ach, ich erinnere mich sehr gut, wie ich lange ein Steinchen bewahrt, das ich von dem Wagen eines russischen Fürsten abgebröckelt, der direct vom Ural kam, – einen Stein vom Ural! Doch ging nach dem Norden eigentlich nicht mein Streben; meine Phantasie, mein Herz war dem Süden zugekehrt, dem Lande
Wo die Citronen blüh'n.
Italien! das Land mit seinen Orangengärten, mit seinen verfallenen Tempeln und Marmorpalästen. Dafür schwärmte ich und das liebte ich. Dahin sehnte mein Herz sich sehr. Ach, ich weiß es noch, wie sehr es mich betrübte, als mein Lehrer, der ein sehr praktischer Schulmann war, einen solchen Wunsch dahin berichtigte, daß ein Kameel eher durch ein Nadelöhr gehen würde, als ich nach Italien kommen.
Italiener kamen von jeher wenig zu uns, und nur ein einziges Mal wurde mir bei meinem Aufenthalt auf dem Werft das Glück zu Theil, eine reiche italienische Familie in ihrem Wagen zu sehen und zu bewundern. Ach, wie beneidete ich sie, daß sie zurückkehren durfte in ihr schönes Land; ich beneidete die schöne junge Dame, die in dem Wagen saß und etwas traurig aussah, ich beneidete ihr Kind, das aus dem Wagenschlag schaute und einen sehr schwarzen Lockenkopf hatte; ich beneidete den Wagen selbst und vor allen Dingen die Bedienten, die hinten recht hoch saßen, und also von der Höhe der Alpen herab Italien zuerst wieder sehen konnten. Das Kind sagte zu seiner Mutter: »madre mia,« und dies madre mia, hatte für mich einen so schönen Klang, daß ich es nie vergessen konnte. Die Mutter antwortete: »carissima, mia,« und auch das habe ich behalten und seitdem sehr häufig angewandt. – Jetzt gab der Kapitän das dritte Zeichen, und als sich der Matrose vornen zum dritten Mal geschneuzt, läutete er nochmals mit aller Kraft und that dann drei einzelne Schläge, allen Zuspätkommenden anzeigend, daß in Kurzem die Laufplanke weggenommen würde.
Hui! wie springen sie herbei, die die Abfahrtsstunde versäumt hatten! Einigen gelingt es, noch über das Gangport in's Schiff zu kommen. Jetzt wird auch dies fortgenommen, und das Schiff fluthet langsam in den Strom hinein. Noch sind ein paar zurückgeblieben. Einem gelingt es, mit einem Verzweifelten Sprung das Schiff zu erreichen, ein Anderer überlegt, zaudert, trippelt auf und ab, und bleibt jammernd am Ufer stehen. Ein trauriges Schicksal! tief mitempfunden von einem Dutzend Straßenjungen, die dem davoneilenden Schiffe und dem zurückbleibenden Passagier ein lautes Hurrah spenden.
Ach ja, reisen möcht' ich – reisen in alle Welt