Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreizehntes Kapitel.
Zwei Seelen und Ein Gedanke


Es war gewiß keine Viertelstunde vergangen nach dem Eintritte der beiden sehr pünktlichen Lieutenants, als beinahe die ganze eingeladene Gesellschaft um die Theetische, welche in Salon und Wohnzimmer aufgestellt waren, einträchtig bei einander saß. Die Namen aller derer zu erfahren, die hier versammelt waren, würde für den geneigten Leser langweilig sein, und wäre überdies auch nicht im Stande, den Gang unserer Geschichte wesentlich zu fördern. Glaube man daher nur unserer Versicherung, daß es ein Thee war, wie viele dergleichen Thee's auch: man trank, man aß, man zerschnitt Kuchen mit der gleichen Leichtigkeit, wie den guten Namen des Nächsten; man versüßte einander das Leben durch Darreichen der Zuckerdosen, während man bei sich selber dachte: »O, könnte ich dir doch Herz und Tasse voll Wermuth gießen!«

Im Salon war der Tisch für die älteren Damen und Herren, da saßen Hof-, Kanzlei- und Regierungsräthinnen in stiller Majestät, Frauen angesehener Kaufleute und Gattinnen von Aerzten mit großer Praxis. Die betreffenden Männer befanden sich auch dabei, aber sie wandten sich bald hierhin, bald dorthin, sprachen mit dieser oder jener Dame ihrer Bekanntschaft, und nahmen sich aus, wie vom Winde bewegte Bäume und Gesträuche zwischen ernsten, zackigen und unbeweglichen Felspartien. Mancher dieser ehrwürdigen Felsen war freilich noch mit freundlichem Grün und Blumen geschmückt, andere aber sahen schon recht verwittert und ausgewaschen aus und zeigten durch allerlei Sprünge und Furchen ihr respektvolles Alter.

Wie durch Zauberei verschwand die dem Auge so wohlthuende Symmetrie der Theekannen und Tassen, der Torten und des Backwerks. Die Tafel stellte in kurzer Zeit ein Schlachtfeld vor, auf dem es heiß zugegangen; ganze Zucker-Batterien waren demontirt, geschlagene Tassen-Bataillone hatten Löffel bei Fuß genommen; von Bretzel-Schwadronen sah man nur noch einzelne zerstückelte Glieder, und große Torten befanden sich im Zustande eroberter Schanzen mit zerstörtem Pfahlwerk, klaffenden Breschen und traurigen Ueberresten des einst so runden und wohlgefälligen Walles.

Aber auch andere Breschen und andere Wunden waren schon geschlagen worden, und von den starren Felsenkronen herab wehte öfters ein so schneidender Wind, daß arme Blümchen im Thale zusammenknickten und verdorrten. Die ehelichen Gesträuche mochten denn auch diesen Wind zuweilen zu anzüglich und scharf gefunden haben – genug, sie hatten sich einer nach dem anderen in das Nebenzimmer verpflanzt, wo die jüngere Generation thronte, und wohin auch wir uns später zu begeben die Ehre haben werden.

Es gibt bei jeder Thee- und Kaffee-Gesellschaft Gesprächs-Themata, die sich mit einer entsetzlichen Regelmäßigkeit folgen und die wie gemacht sind, um der rollenden gefräßigen Zeit zur willkommenen Speise zu dienen. Zuerst wird das Feld der freundlichen Nachrede im Allgemeinen durch Stadt- und Tagesneuigkeiten bebaut, man streut den bösen Samen des »Man sagt,« oder »Haben Sie auch schon gehört?« in empfängliche Herzen; man sieht daraus ein Pflänzchen erwachsen, welches befruchtet und gedüngt mit vielen heuchlerischen »Unmöglich,« oder »Es muß wohl so sein,« oder »Das war vorauszusehen,« zum stattlichen Giftbaume und zum Verderben ganzer Generationen heranwächst. Man geht darauf ins Spezielle über, nimmt einzelne Familien und Fälle vor, knickt einen guten Namen oder einen Ruf, der bis dahin untadelhaft war, und läßt erst ab, wenn nichts mehr zu thun, als um die gefallenen Schlachtopfer menschlicher Grausamkeit einen frohlockenden Reigen zu tanzen.

Gibt es gutmüthige Seelen in der Gesellschaft, so lenken diese das Thema auf ein anderes Opfer; man führt das Theater in die Arena und läßt Stücke und Künstler zerfleischen. Ein äußerst dankbares Feld findet sich auch in der Klage jeder Hausfrau über die Dienstboten, und wenn das betreten und durchgepflügt wird, so fühlen bis jetzt ganz schüchterne Zuhörerinnen, daß ihre Zeit gekommen, um ebenfalls ein vollwichtiges Wort zu sprechen.

»Haben Sie denn auch schon von der merkwürdigen Geschichte gehört, die mit dem Schneider Schwörer geschehen sein soll?« fragte eine kleine Regierungsräthin mit beweglichem Wesen und sehr freundlichen Augen. »Eine ganz eigenthümliche Geschichte! Mein Mann hat sie vor einigen Tagen vom Casino mit nach Hause gebracht. Haben Sie davon gehört, Frau von Weibel?« wandte sie sich speziell an die Mutter der Hausfrau.

»Wir hören wenig der Art,« sagte die würdige Dame mit einem Blicke auf Emilie; »mein Schwiegersohn ist leider zu beschäftigt, um viel dergleichen zu erzählen.«

Glücklicher Weise hatte der Rechtsconsulent vor ein paar Minuten einen Besuch im Nebenzimmer gemacht und entging so dem stechenden Blicke seiner Schwiegermutter.

»Ah, mit dem Schwörer!« sprachen ein paar andere Damen, und machten dabei so befriedigte Mienen, daß man ihnen deutlich ansah, sie wüßten um die Geschichte, während andere sich erwartungsvoll vorbeugten und die Hälse streckten.

»Wer ist Schwörer?« fragte eine dürre Justizräthin, die am oberen Ende der Tafel präsidirte und in diesem Augenblicke wie das Bild der Gerechtigkeit aussah. Sie hielt einen Apfel am Stiele schwebend zwischen den Fingern der linken Hand, während sie in der Rechten ein langes Tafelmesser schwenkte.

»Schwörer ist ein Herrenschneider,« entgegneten mehrere Stimmen, »und – der – es war vor einiger Zeit –«

Doch hatte die Regierungsräthin ein viel zu gutes Organ, verbunden mit großer Zungenfertigkeit, um sich diese köstliche Geschichte nehmen zu lassen, weßhalb sie ihre Stimme erhob und berichtete, daß Meister Schwörer allerdings ein Herrenkleidermacher sei, dem in einer gewissen Nacht der Teufel erschienen sein solle.

»Mehrere Teufel,« verbesserte sie eine schüchterne junge Frau in aller Unschuld, da ihr eine gute Freundin von mehreren Teufeln erzählt, die dem Schneidermeister erschienen seien.

»Es ist an Einem genug,« sagte mit bestimmtem Tone die Gerechtigkeit am oberen Ende des Tisches. »Erzählen Sie weiter, Frau Regierungsräthin.«

»Also es war in einer gewissen Nacht,« fuhr diese fort, »da kann der Meister Schwörer, der ein frommer Mann sein soll, nicht schlafen, liest im Gesangbuch und denkt an Dies und Das, als sich auf einmal die Zimmerwand aus einander thut und dort der Teufel erscheint mit zwei Pferdefüßen, ungeheuer langen Hörnern, glühenden Augen, feurigem Athem, und ihm entgegen brüllt: »Ich bin gekommen, um dich zu holen!«

»Ah! dummes Zeug!« sprach die Justizräthin, die an keinen Teufel mit Hörnern und Pferdefuß glaubte.

»Nein, nein, Frau Regierungsräthin!« riefen nun die Stimmen der Damen, die bis jetzt aus Respekt vor der oben thronenden Gerechtigkeit geschwiegen, »so war es doch nicht – es war ganz anders!«

»Mir hat es mein Mann so erzählt,« entgegnete die Andere. »Es sei der leibhaftige Teufel gewesen, der ihn habe holen wollen.«

»Das bringt man dem armen Meister Schwörer auf,« lispelte eine blasse Kaufmanns-Wittwe, von der man im Geheimen sagte, daß sie eifrig die Betstunde besuche und sich stark nach einem zweiten Manne umsehe.

»Nun, mir kann's recht sein!« lachte lustig die Erzählerin.

»Wer weiß die Geschichte genau?« fragte die Justizräthin, worauf mehrere Stimmen antworteten: »Ich glaube, daß ich« – »Mir wurde sie von guter Hand erzählt«– »Jemand, der sie von Meister Schwörer selber hat, sagte mir –«

»Die beste Quelle haben wir vielleicht bei der Hand,« sprach die blasse Kaufmanns-Wittwe mit einem süßen Lächeln, indem sie sich umschaute. »Wenn der Herr Doktor Plager so freundlich sein wollte –«

»Mein Mann?« fragte Emilie verwundert. »Was kann der mit Meister Schwörer zu schaffen haben?«

Das Organ der blassen Kaufmanns-Wittwe hörte sich ziemlich schwach an; doch wenn sie so mit sanfter Stimme sprach, so that sie das so bestimmt, so fest, so unaufhaltsam, so mit dem Ausdrucke Jemandes, der durchaus nicht gewillt ist, sich unterbrechen zu lassen, daß man ihr das Wort gab.

»Es handelt sich eigentlich,« sagte sie, »um einen kleinen Lehrling des Meisters Schwörer.«

»So ist es! – Richtig!« – bekräftigten ein paar andere Stimmen.

»Aber es ist etwas vom Teufelholen dabei,« sprach die Regierungsräthin kopfnickend, »das lass' ich mir nicht nehmen. Wenn ich auch den Anfang nicht richtig erzählt habe, die Fortsetzung wüßte ich ganz genau; es kommt später eine Teufelsbeschwörung vor, die ganz schauerlich ist.«

Die Kaufmanns-Wittwe zuckte fast unmerklich zusammen, dann erwiderte sie: »Es ist allerdings eine etwas unbegreifliche Geschichte.«

»In der Ordnung! in der Ordnung!« rief die Justizräthin. – »Also, der Lehrling –?«

»Ja, ein Lehrling,« fuhr die Kaufmanns-Wittwe fort, – »ein kleiner Taugenichts, der nie zur rechten Zeit nach Hause kam und deßhalb schon oft ohne Erfolg abgestraft worden war.«

»Und wie hieß dieser Lehrling, wenn ich Sie unterbrechen darf?« fragte Madame Weibel.

»Gottschalk, wenn ich nicht irre, Gottschalk Brenner,« versetzte die Andere, »von einer etwas verrufenen Familie. Sein Vater ist herrschaftlicher Jäger; von der Mutter der Frau munkelt man allerlei.«

Der Blick, den in diesem Moment Madame Weibel ihrer Tochter zusandte, konnte, obgleich er mit einem Lächeln verbrämt war, ein fürchterlicher Blick genannt werden. – Hörst du, Emilie? sprach dieser Blick, da haben wir's! Jetzt gib nur Achtung!

Der Bube kam eines Tages wieder spät nach Hause und vor die geschlossene Thür, und mußte dort im Regen stehen.

»Wie ihm gesund war,« meinte die Schwiegermutter.

»Endlich klopfte er ans Fenster, und Meister Schwörer in seiner Gutmüthigkeit will ihm gerade den Hausschlüssel hinaus reichen, wobei er ihm noch eine Ermahnung hält und dabei sagt: wenn er in seinem Leben so fortmache, so werde er später gewiß einmal dem Bösen verfallen – und wie er das sagt, da –«

»Mir grieselt's!« sprach eine sehr alte Jungfer aus dem Honoratiorenstande.

»Da erscheint auf einmal vor dem Fenster eine räthselhafte Gestalt in einem rothen Mantel, emporgesträubtem, wie flammendem Haar, leuchtenden Augen und sonst noch allerlei, was dazu gehört. Die Gestalt krallt die Finger nach Meister Schwörer, worauf er zurücktaumelt, das Fenster schließt und überzeugt ist, er habe den Teufel gesehen.«

»Und der Knabe?« fragten, mehrere Stimmen.

»War in dem Augenblicke, als die Gestalt erschien und wieder verschwand, nicht mehr zu finden.«

»Das ist eben das Unbegreifliche,« bekräftigte wichtig die Regierungsräthin, »daß der Bube seit jener Stunde nicht mehr zum Vorschein gekommen ist. Das allein hat mich an der ganzen Geschichte erschreckt.«

»Um so etwas sollte sich aber die Polizei bekümmern,« meinte die Gerechtigkeit oben am Tische.

»Es ist nicht so arg, es ist nicht so arg,« sprach lächelnd die blasse Kaufmanns-Wittwe. »Allerdings war der Knabe für den Augenblick verschwunden, aber er hat sich wieder gefunden und lebt; darüber können sich die verehrten Damen beruhigen. – Liebe Emilie, wo ist Ihr Mann? Er soll uns Auskunft darüber geben; denn so viel ich gehört, hat er den kleinen Gottschalk auf die Schreibstube genommen.«

»Herr Rechtsconsulent! – Herr Rechtsconsulent! – Herr Doktor Plager!« tönte es von mehreren Seiten des Tisches.

Die Schwiegermutter saß da, finster anzuschauen; ihre Blicke kreuzten sich Blitzen gleich mit denen ihrer Tochter Emilie. Sie war durch das, was die blasse Kaufmanns-Wittwe erzählt, aufs, tiefste gekränkt. Was! ihr Schwiegersohn hatte es gewagt, einen Schreiber ins Haus zu nehmen, der im Geruch stand, als habe schon einmal der Teufel den Versuch gemacht, ihn zu holen, – einen Buben aus einer verrufenen Familie, der obendrein eine schöne Schwester hatte? Solche Leute engagirte er in ein Haus, wo nur Mägde geduldet wurden aus vornehmen Häusern, mit den besten Leumunds-Zeugnissen versehen? – O, das war niederdrückend!

Auf den allgemeinen Ruf beeilte sich übrigens der Hausherr, aus dem Nebenzimmer hervorzukommen, und er that das händereibend und schmunzelnd.

Es war dem Rechtsconsulenten schmeichelhaft, von so vielen Stimmen dringend verlangt zu werden. Die vielen Stimmen wollten alle auf einmal anfangen, ihn zu examiniren, als die Justizräthin oben am Tische ihr spitzes Kinn erhob und das Schwert der Gerechtigkeit – die Wage war längst verspeist – so Aufmerksamkeit fordernd, schwang, daß Alles verstummte.

»Es handelt sich da,« sagte sie, »um eine Geschichte von einem Lehrling, den der Teufel geholt haben soll, worüber Sie, bester Herr Doktor, uns die richtige Auskunft nicht versagen werden.«

Das Antlitz des Herrn Plager verfinsterte sich bei diesen Worten ein wenig, er warf einen raschen Blick auf Schwiegermutter und Frau, und es war ihm unangenehm, diese Geschichte, von der er früher nie etwas erzählt, hier vor deren Ohren erörtern zu müssen. Doch suchte er so gut als möglich über diese Klippe zu kommen, indem er versetzte: »O, das ist nicht der Mühe werth, – ein Zusammentreffen von unbedeutenden Zufälligkeiten! Ich weiß übrigens die Sache nicht einmal ganz genau, und wenn Sie die beste Quelle wollen, so will ich meinen Sekretär, Herrn Larioz, rufen,« – damit machte er eine bezeichnende Handbewegung nach dem Nebenzimmer,– »der das Glück gehabt hat, bei jener Geschichte den Teufel vorstellen zu dürfen.«

»Also war es kein wirklicher Teufel?« sagte eine Stimme im Tone getäuschter Erwartung.

Und eine andere meinte: »Aber wie kann man Herrn Larioz für einen bösen Geist ansehen?«

»Wollen Sie ihn selber darüber hören?« fuhr der Rechtsconsulent fort, der froh war, die Sache von sich abwälzen zu können.

Doch die Schwiegermutter sprach in leisem, aber bestimmtem Tone:

»Das wird gewiß nicht die Absicht der verehrten Damen sein.«

»Das ist in der That überflüssig,« warf die blasse Kaufmanns-Wittwe dazwischen. »Nicht wahr, die Sache verhält sich, wie ich gesagt?«

»Allerdings, es ist so etwas daran,« entgegnete Herr Plager.

»Und der kleine Lehrling ist auf Ihrem Bureau?« fragte die Justizräthin.

»Ich habe ihn zum Abschreiben genommen,« antwortete der Hausherr. »Ein armer kleiner Mensch, schreibt eine ordentliche Hand. Herr Larioz hat ihn mir dringend empfohlen.«

Während das der Rechtsconsulent sagte, blickte er auf die Schwiegermutter, um deren Lippen ein fatales Lächeln spielte.

»Sie kennen die Familie des jungen Menschen?« fragte eine Kanzleiräthin die Kaufmanns-Wittwe.

»Was man davon kennen kann,« entgegnete diese achselzuckend. »Der Vater ist ein herrschaftlicher Jäger, die Mutter ist die Tochter einer gewissen Kammerfrau einer Gräfin – einer Gräfin – der Name fällt mir gerade nicht ein, – von der man allerlei spricht.«

»Ist es so, Herr Schwiegersohn?« fragte Madame Weibel in einem ganz besonderen Tone.

»Damit kann ich wahrhaftig nicht dienen,« erwiderte der Gefragte; »ich habe mich um die Familie nie bekümmert. Wie gesagt, Herr Larioz hat mir den jungen Menschen vorgeschlagen, ich habe ihn angenommen – das ist das Ganze.«

»Und hat er Geschwister?« fragte Madame Weibel. Und diese Frage klang dem Rechtsconsulenten wie ein leicht hinrollender Donner, der sich plötzlich an einem klaren Frühlingstage hören läßt.

»O, freilich hat er Geschwister!« lächelte die Kaufmanns-Wittwe, »unter Andern eine wirklich auffallend hübsche Schwester; ich habe sie schon gesehen; sie besorgt weibliche Handarbeiten.«

Bei der Erwähnung der schönen Schwester flog ein leichtes Lächeln über die hölzernen Züge der Justizräthin; Madame Weibel hustete in ihr Taschentuch, und Emilie sagte verwirrt zu einer Nachbarin:

»Ist Ihnen nicht vielleicht noch ein Stückchen Torte gefällig, Frau Oberrevisorin?«

Gleich darauf schwebte ein Engel durchs Zimmer, wie man zu sagen pflegt, oder ein Polizeidiener, denn so war es dem Rechtsconsulenten plötzlich zu Muth, der nun mit einem Male anfing, die merkwürdigen Gesichter seiner Frau und Schwiegermutter zu begreifen.

Madame Springer aber, die ebenfalls in den Zügen ihrer theuren Anverwandten gelesen, fühlte Mitleid mit ihrem Schwager und warf einen anderen tüchtigen Brocken in die Unterhaltung.

»Ich habe gestern meiner Köchin aufgekündigt,« sagte sie; »die Person trieb gar zu dumme Sachen. Schon mehrmals hatte ich bemerkt, daß sie Morgens mit ganz mehligem Gesicht in der Küche war, und als ich das Stubenmädchen darüber befragte, sagte mir diese, Katharine schmiere sich jeden Abend das Gesicht mit Gänsefett ein und reibe es dann mit Mehl wieder ab, um einen guten Teint zu bekommen.«

»Nun sehe einer an!« rief die Justizräthin. »Es ist doch über alle Beschreibung!«

»Das ist aber noch nicht Alles,« fuhr die Frau des Banquiers fort, »und deßhalb allein hätte ich sie vielleicht nicht weggethan; als ich sie aber zur Rede stellte, gab mir die Person zur Antwort, sie sei freilich nicht reich genug, um sich Goldcream zu kaufen. Hat man je so etwas gehört?«

»Es ist über alle Beschreibung!« lispelte die Kaufmanns-Wittwe; »wo das mit den Dienstmädchen hinaus will, mag der liebe Gott wissen.«

Der Rechtsconsulent indessen segnete im Stillen den Einfall der Köchin seines Schwagers, sich mit Gänseschmalz und Mehl einzureiben, da ihm die Erzählung dieses Vorfalls Veranlassung gab, sich sachte ins Nebenzimmer zu verlieren, wo die meisten seiner Leidensgefährten und Collegen wie alte Krystalle um den Tisch der jungen Generation angeschossen waren und sich hier wohl sein ließen, und wo es auch bei Weitem lustiger war als drinnen bei der Felspartie.

Hier schien von weiblichen Theilnehmerinnen nur geduldet zu sein, was sich noch des Mädchennamens erfreute, natürlich dem Alter nach in sehr weiten Grenzen; es lag ein Drittel Menschenalter zwischen der jüngsten und der ältesten der hier anwesenden Damen. Es erlaubt uns die Delicatesse nicht, näher auf die Altersverhältnisse selbst einzugehen.

Fräulein Clementine Weibel hatte sich, als wolle sie bescheiden sein, mit ein paar Bekannten von dem großen Tische hinweg an ein Nebentischchen gezogen, wo sie den Thee für beide Zimmer zubereitete. Doch waren ihr die angenehmsten jungen Männer dorthin gefolgt und hatten somit den ersten Platz gebildet, der doch der letzte hätte sein sollen.

Von unseren Bekannten sehen wir mit einigem Erstaunen den Schreiber des Rechtsconsulenten, Herrn Larioz, der bei solch' großen Gelegenheiten ebenfalls gebeten wurde und wie immer, mochte er sein, wo er wollte, zu Hause, im Bureau, auf der Straße oder in Gesellschaft, eine außerordentlich anständige, ja würdevolle Figur spielte. Wir müssen aber dabei nicht glauben, als sei der Schreiber nur wie jeder andere Gast geladen gewesen – im Gegentheil, durch das Recht, in der Gesellschaft sein zu müssen, hatte er auch kleine Verpflichtungen übernommen: er regierte mehr oder minder als eine feine Art Haushofmeister, er nahm einer Dame ihren Teller ab, um ihn auf das Nebentischchen zu setzen, er ging mit gravitätischen Schritten an die Thür, um Babette zu veranlassen, daß sie frisches Wasser hereinbringe, er zog die Moderateurlampen auf, wenn sie in ihrem Glanze nachließen, er verschwand auf halbe Stunden gänzlich, und dann finden wir ihn im Kinderzimmer wieder, wo ein einziger Blick, das leiseste Wort hinreicht, um Fritzchen und Louise aus dem wildesten Rumoren zur tiefsten Stille zu bringen. Obgleich Herr Larioz den Kindern nie ein hartes Wort gesagt, so hatten sie doch einen fast unbegreiflichen Respekt vor ihm; schon daß er in der Nähe war, vermochte sie, ihre Spiele weniger lärmend einzurichten, weßhalb dann auch besonders aus diesem Grunde der Schreiber bei keiner größeren Festlichkeit vergessen wurde.

Herr Larioz war im untadelhaften schwarzen Frack; sein kurz geschnittenes Haar trug er aufwärts gestrichen, die Enden seines Schnurrbarts waren stark in die Höhe gedreht, und auf seinem langen Gesichte mit dem dunkeln, fremdartigen Teint lag wie immer eine gewisse Feierlichkeit, man könnte sagen: ein melancholischer Ausdruck, der beständig bei ihm sichtbar wurde, wenn er sich in Gesellschaften befand, wie die heutige im Hause seines Principals, wo so viele Worte gesprochen wurden, die weder ernstlich gemeint, noch zu irgend Jemandes Nutzen oder wahrem Vergnügen waren.

Wenn Herr Larioz so da stand in seiner stattlichen Größe, den Kopf hoch erhoben, so machte er den Eindruck einer vornehmen Persönlichkeit, und wenn er sich herumwandle, hätte man versucht sein können, nach dem Ordensstern auf seiner Brust zu schauen. Er hatte sich aus der Unterhaltung zurückgezogen und stand an eines der Fenster gelehnt, wo er ruhiger Beobachter dessen war, was sich vor ihm begab. Da blickte er dann kopfschüttelnd in viele der kleinen Intriguen hinein, die sich vor seinen Augen abspielten; da sah er, wie die Blicke hinüber und herüber flogen, trafen und zu zünden schienen, wie der betreffende Er, in der Absicht, recht schmachtend und angeregt auszuschauen, oft ein höchst albernes Gesicht zog, und wie Sie nach einem verwüstenden Blick auf die gewisse Art ihre Augen niederschlug, um es dann aus den Winkeln derselben hervorblitzen zu lassen, wobei ein stiller Seufzer zu sagen schien: Ich hab' dich verstanden.

Auch Finger- und Zeichensprache bemerkte er, er sah das gesuchte Berühren zweier Hände, die sich eine unschuldige Tasse Thee reichten oder einen harmlosen Teller mit Backwerk, und er erfuhr die verschiedenen Wirkungen davon: er sah, wie sie im ersten Augenblicke mit der Hand zurückzuckte, während sie bei der zweiten Berührung gar nicht wählerisch genug sein konnte im Aussuchen irgend eines Backwerks. Er verstand auch das an sich ganz unschuldige Umschlingen einer Stuhllehne mit ihren Folgen; er fragte sich selbst: Wird die Dame mit den weißen Schultern bei der ganz unwillkürlichen Annäherung zurückweichen, oder wird sie sich fester in ihren Sessel schmiegen, ohne es dabei zu unterlassen, einen gegenübersitzenden Gegenstand mit ihren Blicken zu bombardiren? Wenn das Letztere geschah, so lächelte er wie spöttisch in sich hinein, faßte an sein Herz und sprach zu sich: Gnade Gott dem wirklich Fühlenden, der in dieses wilde Chaos hineinfällt, um von Augen, Lippen, Zungen, Händen und Mienen zerfleischt zu werden!

Auch Herr Schilder war da, den Herr Larioz bei einer früheren Gelegenheit hatte kennen und schätzen gelernt. Heute Abend aber schien derselbe keine Sekunde Zeit zu haben, um sich mit etwas Anderem, zu beschäftigen, als mit dem kleineren Theetisch, den seine Blicke beständig umflatterten, wie die arme Mücke das strahlende Licht. Herr Schilder war allerdings ein wenig hellblond, hatte auch gerade kein sehr ausdrucksvolles Gesicht, dafür aber hübsche klare Augen, die, sowie ein angenehmes Lächeln des Mundes, große Ehrlichkeit und Gutmüthigkeit verriethen. So gewandt er auf seinem Comptoir und in seiner Fabrik war, so wenig wußte er sich mit jener sichern Unbefangenheit, die wir elegante Tournure nennen, auf Bällen, in Theegesellschaften und andern Soireen zu bewegen. Auch die hier herrschende Conversation, die tausenderlei Variationen über die Schönheit des heutigen Abends und die Häßlichkeit des gestrigen Wetters konnte er sich durchaus nicht angewöhnen; er schämte sich, mit einer ganz gewöhnlichen banalen Phrase an eine junge Dame heran zu treten, er überlegte vorher, um ihr etwas Gescheidtes, etwas Ansprechendes zu sagen, und wenn sie nun nicht so erwiderte oder ihre ganze Antwort auf das gewisse eigentümliche Lächeln beschränkte, so verlor er leicht die Contenance, man blickte einander ein paar Sekunden lang an, man vernahm ein paar Ja oder Nein, und dann wandte sich die junge Dame zu ihrer Nachbarin, um derselben zuzuflüstern, wenn Herr Schilder unterdessen in Verlegenheit abgezogen war: »Es ist schade, man kann mit ihm gar nicht reden, er ist zu hölzern.« Auch tanzte der Unglückliche nicht, wußte wenig von Gesellschaftsspielen, noch weniger vom Theater, da er keine Zeit hatte, das letztere zu besuchen, und wurde deßhalb von der Mädchenwelt, wenn auch für eine gute Partie, doch für ziemlich unbedeutend gehalten.

Die Mütter dagegen sahen Herrn Schilder schon mit ganz anderen Augen an. Aber was sind die Augen einer Mutter? – prosaisch, kalt, berechnend! Eine Mutter denkt nur an die Zukunft ihrer Tochter, sieht, ob ein junger Mann derselben eine sorgenfreie Existenz machen kann, ob er von bravem und solidem Charakter ist. – Das sind aber alles unbedeutende Nebensachen in den Augen mancher jungen Mädchen. Wie er tanzt, wie er eine Conversation führt, vor allen Dingen wie er aussieht! Ob er sein Halstuch auf nachläßig elegante Art zu knüpfen versteht, und hauptsächlich, ob er im Verdacht steht, schon vielen Mädchenherzen gefährlich geworden zu sein – das zieht an, das besticht!

Es war schade um Herrn Schilder, daß er nicht einen guten Freund hatte, der ihn aufmerksam machte auf die Fehler, die er zeigte, und auf die Vorzüge, die er hätte bestrebt sein sollen, sich anzueignen. Es war ein guter Stoff in ihm vorhanden, um allem, was ihm mangelte, nachzuhelfen. Ein blonder Schnurrbart wäre bald da gewesen; hübsche Zähne hatte er auch, und mit seinem schlanken, wohlgewachsenen Körper hätte er es in kurzer Zeit dahin bringen können, selbst ein vortrefflicher Tänzer zu werden.

Wenn er auch zur Intimität des kleineren Theetisches nicht zugelassen war, so widmete ihm doch Fräulein Clementine Weibel, eingedenk der Ermahnungen ihrer Mutter und ihrer Schwester, größere Aufmerksamkeit, als er sich sonst wohl zu erfreuen gehabt hätte, und ließ deßhalb sein Herz vor Freude stärker schlagen.

Die junge Dame verstand es, mit ihren Blicken zu wuchern; sie hatte dunkle, glänzende Augen und wußte damit den naturgemäßen Gebrauch zu machen; alle Variationen des Auf- und Niederschlagens waren ihr geläufig, und wenn sie zu Jemand sagte: »Darf ich um Ihre Tasse bitten?« so konnte das durch die gehörige Begleitung die größten Hoffnungen erregen, oder auch alle Wünsche mit einem Male niederschlagen. Und nicht nur, daß sie am heutigen Abend dem Herrn Schilder einige ermunternde Blicke zusandte, wenn sie ihm irgend etwas anbot, nein, sie schaute auch sonst wohl im Laufe des Gesprächs nach ihm hinüber mit dem unverkennbaren Ausdruck ihres Auges, das sagen wollte: Wenn ich auch hier mit Andern spreche, so wäre es mir doch fast lieber, in deiner Nähe zu weilen. Ja, einige Mal trat sie auf ihn zu, reichte ihm irgend eine Kleinigkeit, wobei ihre Hand die seinige berührte oder sie mit ihrem Kleide ihn streifte, nicht ohne alsdann fast erschrocken ihn um Verzeihung zu bitten. Da aber diese Blicke und Berührungen der jungen Dame wie Funken waren und sich sein Herz im Zustande eines sehr trockenen Zunders befand, so flammte er so in Liebe auf, daß die Gluth seine etwas bleichen Wangen färbte und sein Athem zuweilen ziemlich schwer ging.

Das alles bemerkte Herr Larioz von seinem Standpunkt am Fenster aus, und da er sonst noch mehr bemerkte, so trug das nicht dazu bei, seine sehr geringe Freundschaft für Fräulein Clementine Weibel zu verstärken; er bemerkte nämlich, daß sie zu gleicher Zeit, wo sie so viele Zeichen der Innigkeit mit Herrn Schilder wechselte, sich mit Worten und Geberden mit einem jungen Offizier zu schaffen machte, der ihr an dem kleinen Tischchen zur Seite saß, und daß sie nicht weniger einen Maler bedeutend ermuthigte, der sich freilich an den großen Tisch, aber so gesetzt hatte, daß er, um uns eines gewöhnlichen Ausdruckes zu bedienen, Fräulein Clementine Weibel mit seinen Augen verschlingen konnte. Ja, wenn das Auge zu dergleichen fähig wäre, so hätte von der jungen Dame bald nichts mehr übrig geblieben sein müssen, so unverwandt und hartnäckig starrte der langhaarige Künstler herüber.

Der Lieutenant saß, wie schon bemerkt, zur Seite der Angebeteten des Herrn Schilder, und sein Schmachten war ein hartnäckiges zu nennen. Zuweilen lächelte er mit einem nichtssagenden, fast blödsinnigen Gesichtsausdruck, und dann gab auch sie im gleichen Moment irgend ein Zeichen von sich, eine zusammentreffende Bewegung; entweder blickte sie plötzlich neben sich, oder sie lächelte ebenfalls, aber sehr beruhigt, oder sie sagte vielleicht zu ihrer Nachbarin: »Morgen gehe ich ins Theater, ich freue mich recht sehr darauf.«

Woher diese Bewegungen kamen, konnte Herr Larioz unmöglich mit Gewißheit bestimmen, denn er sah von den beiden jungen Leuten nur die obere Hälfte, die untere wurde von Tisch und Tischtuch verdeckt.

Mag eine Theegesellschafts-Conversation anfänglich noch so animirt geführt werden, es gibt doch Augenblicke, wo eine Erschlaffung sämmtlicher Geisteskräfte einzutreten scheint. Wenn es auch hier aufopferungsfähige Wesen genug gibt, die sich mit Leib und Seele in die Conversation werfen, die aus ihren Herz- und Gehirnkammern die letzten Körnchen suchen und herbeibringen, um sie auf dem Taubenschlag der allgemeinen Unterhaltung zu opfern, so gehört doch immer etwas Neues dazu, um diese nicht gänzlich erlahmen zu lassen – sei es ein jeu d'esprit oder ein sonstiges geistloses Pfänderspiel.

Auch hier bei dem gemischten Thee des Rechtsconsulenten gab es schon Augenblicke, wo die Felspartien starrer und schweigsamer dazusitzen schienen, wo keine murmelnden Bächlein mehr herab flossen, wo man selbst keinen gierigen Raubvogel mehr erblickte, der um manche kahle Höhe schwebend nach irgend einem unglücklichen Thierlein in der Tiefe spähte, auf daß er es zerfleische. Sogar die Gespräche bei der jüngeren Generation wollten nicht mehr so recht gedeihen wie zu Anfang; statt einer allgemeinen Conversation gab es nur noch einzelne Gruppen, die sich flüsternd zusammen unterhielten; ja, man bemerkte schon ein unterdrücktes Gähnen, und selbst Fräulein Clementine Weibel, die doch selten um eine Rede verlegen war, sprach nur noch wenig mit ihren Nachbarn, ja, ihre Augen schienen müde geworden zu sein, denn alles, was sie noch damit leistete, war ein gelindes Auf- und Niederschlagen, höchst selten nur sah man noch einen verderbenbringenden Seitenblick.

Da tönte die Klingel laut und vernehmlich, und das frischte schon sämmtliche Lebensgeister ein klein wenig auf. Es konnte ja vielleicht etwas Absonderliches gemeldet werden, was in der Stadt geschehen, es konnte zu irgend Jemand eine telegraphische Depesche kommen, die willkommenen Stoff zur Unterhaltung bot.

Obgleich es aber in diesem Augenblicke weder das Eine noch das Andere war, was der Ruf der Klingel verkündete, so erschien doch zum Auffrischen des gemischten Thee's etwas noch weit Zweckmäßigeres. Die Thür öffnete sich langsam, und herein trat eine fremde Persönlichkeit, welcher Herr Banquier Springer folgte und sie zuerst dem Kreise der älteren Damen als seinen Bekannten, den Herrn Grafen Czrabowski, vorstellte.

Der Herr Graf war ein Mann in den mittleren Jahren, leidlich conservirt, mit einigem dunklen Haar, einem schwarzen, gut gepflegten Schnurrbart und lebhaften, brennenden Augen; er hatte einnehmende Manieren, verbeugte sich auf ungezwungene, fast elegante Art vor den Damen, wobei er mit etwas fremdem Accent sein Vergnügen aussprach, gegenwärtige Gesellschaft kennen zu lernen, auch einen Stuhl neben der Justizräthin annahm und dieselbe gewandter Weise schon im nächsten Augenblicke in ein interessantes Gespräch verwickelt hatte, woran er so freundlich war, auch die übrigen Damen Theil nehmen zu lassen, indem er bald diese, bald jene durch eine Frage zu irgend einer Aeußerung veranlaßte.

Man sah es den Mienen sämmtlicher aus der Felspartie an, daß sie mit dem neuen Gaste nicht unzufrieden seien. Hatte er doch etwas so unendlich fremdländisch Interessantes, was man hier leider so wenig fand! Wie verstand er es, die Unterhaltung zu drehen und umzuwenden, und dabei wiegte er sich so graziös auf seinem Stuhl, wackelte so anmuthig mit dem Kopfe – ganz Eleganz, ganz tanzende Bewegung, daß man fast überzeugt war, es bedürfe nur eines einzigen plötzlichen Geigenstrichs, und er säusele tanzend durchs Zimmer, dabei immerfort Conversation machend, immer unnachahmlich gewandt, graziös und behende.

Die starre Justizräthin zeigte ein Lächeln; freundlich wollen wir es gerade nicht nennen, aber sie gab, was sie konnte. Sie hatte dieses Lächeln ihrem Manne, dem Justizrathe, abgelernt; es war wie das Leuchten eines Richtschwertes.

Die blasse Kaufmanns-Wittwe hielt den Athem an bei den Reden des Fremden, nicht aus Spannung über das, was er sagte, sondern weil sie aus ihrer Praxis wußte, daß es möglich ist, durch stark angehaltenen Athem eine sanfte Röthe aus die Wangen zu zaubern. Sie mischte sich einige Mal mit Glück in das Gespräch – mit Glück sagen wir, denn Graf Czrabowski, der von dem scharfen Blick seiner glühenden Augen jeder der Damen etwas zukommen ließ, schien etwas Sympathisches in ihr zu finden und fixirte sie zuweilen so scharf, daß es in ihr klang, wie jene Stelle aus dem Nachtlager von Granada:

Sein Blick, mir zugewendet,
Ist Blitz und Schlag zugleich.

Ja, sie fühlte Blitz und Schlag und affektirte ein Zusammensinken, wie die vom wilden Sturm überrauschte und schon halb geknickte Lilie.

Das Herz der Madame Weibel hatte Graf Czrabowski durch die ausgesprochene feste Ueberzeugung gewonnen, daß sie die Hausfrau sei, und ebenso verband er sich Emilie durch die Vermuthung, daß er in ihr eine der Töchter des Rechtsconsulenten verehre. Dabei blieb natürlicher Weise für Herrn Plager nicht viel Schmeichelhaftes übrig, was das einzig Unpolitische in der Handlungsweise des ausgezeichneten Fremden war. Der Hausherr hatte ihm ohnedies nur ein sehr steifes Compliment gemacht, und als er die Zungenfertigkeit des Herrn Grafen bemerkte, vergrub er sein Kinn in der Halsbinde, zwinkerte mit den Augen und sah in diesem Moment weder lebensfroh noch glücklich aus.

Auch im Nebenzimmer bei der jüngeren Generation war die Ankunft des interessanten Grafen ruchbar geworden. Von achtzehn Damen, die sich dort befanden, gelang es wenigstens vierzehn, durch Anwendung der umständlichsten Manöver einen Blick in den einzigen Spiegel des Zimmers zu werfen; die vier anderen, denen das, ohne zu auffallend zu werden, nicht gelingen wollte, ergaben sich in ihr Schicksal und suchten wenigstens, so viel es möglich war, sich mit der Hand zu überzeugen, ob Scheitel, Chemisette und dergleichen mehr noch in bester Ordnung seien. Dabei unterhielten sie sich eifrig flüsternd, und die, welche etwas von dem unternehmenden Fremden wußten, gaben das zum Besten, versteht sich von selbst, mit dem nöthigen Zubehör.

Wie wir schon früheren Aeußerungen des Fräulein Clementine Weibel entnommen haben, konnte diese über den fraglichen Gegenstand wohl die beste Auskunft geben; bei zwei Besuchen, die der Graf Czrabowski bei ihrem Schwager gemacht, hatte er sich jedes Mal eine halbe Stunde mit ihr unterhalten und ihr dabei zwei Mal die Hand geküßt, einmal beim Kommen, einmal beim Gehen.

Ja, er war deliciös, wirklich interessant, ein vollkommener Gentleman! – Fräulein Weibel hatte einige englische Romane gelesen. »Er führt eine Conversation,« sagte sie, »die hinreißend genannt werden kann. – Und wie der tanzen muß, ah!« – Dabei warf sie einen schwärmerischen Blick an die Zimmerdecke, genau an die Stelle, wo über einer Hängvase mit Epheu ein bedeutungsvoller Kranz von Gänseblümchen zu sehen war.

Herr Larioz hatte über diesen Blick auf seine eigene Weise gelächelt; Herr Schilder aber war schmerzlich zusammengezuckt und fühlte wohl, daß die schönen Stunden des heutigen Abends nun für ihn vorüber sein würden. Wenn er auch wohl früher einen der gefährlichen Blicke Clementinens beobachtet hatte, die sie dem Lieutenant gespendet oder dem langhaarigen Maler – sein edles Herz mit den guten und soliden Absichten dachte immer nur an eine Heirath und setzte das bei jedem anderen fühlenden Wesen voraus; er hatte sich selbst achselzuckend getröstet, indem er sagte: Zwischen ihr und einem Lieutenant steht die unerschwingliche Caution, und was den Maler anbelangt, so ist das ein Hungerleider, und da hat's gar keine Gefahr. – Aber der Graf Czrabowski, der polnische Graf Czrabowski, der, Gott weiß welche Güter besaß mit wahrhaft erschreckenden Revenuen, der in die Stadt gekommen war, der sich bei Herrn Banquier Springer hatte vorstellen lassen, der heute Abend diesen gemischten Thee besuchte, bloß um Clementine Weibel zu sehen, sie kennen zu lernen, sie zu heirathen – o, das war mit den geschilderten Eigenschaften, mit dem interessanten Haarmangel, mit dem kühnen Schnurrbart, den weißen Zähnen und dem untadelhaften Anzuge nach der neuesten Mode ein gefährlicher Nebenbuhler.

Herr Fabrikant Schilder hatte weder Haarmangel, noch Schnurrbart aufzuweisen, und seinem Frack war durch Einsetzung neuer weiter Aermel nur nothdürftig nachgeholfen worden. Es wurde ihm unter der Weste zu eng, denn er fühlte mit jeder Sekunde mehr und mehr, daß der polnische Graf Czrabowski eigens von Polen hieher gereist sei, um Fräulein Clementine Weibel zu heirathen. Wie konnte es auch anders sein! Glaubte doch der arme Fabrikant nicht anders, als daß sie, wie sie seinen Augen erschien, umflossen von Schönheit und Liebreiz, auch gerade so jedem Anderen vorkommen müsse. Ach! und ist sie nicht schön und liebenswürdig? sprach Herr Schilder zu sich selber; gibt es etwas Reizenderes als den Blick ihrer Augen, namentlich wenn sie zu mir herüberschaut, als die Haltung ihres schlanken Körpers, als ihre Art zu reden, als ihre süßen, süßen Worte, wenn sie freundlich spricht? Und alle diese leiblichen und geistigen Vorzüge hatte er, schon als sein eigen gedacht, glaubte schon verschiedene Ungeheuer in Gestalt von Lieutenants und Malern, die ihm den Weg zu seinem Zauberschloß versperrten, besiegt zu haben, und sollte nun, ermattet wie er war, einen neuen Kampf eingehen, und zwar mit einem fürchterlichen Drachen!

Und wie sich Alle auf die Ankunft dieses Drachens freuten, Alle, Alle, oder ihr wenigstens erwartungsvoll entgegen sahen – das bemerkte er an den Augen, die fest auf die Thür gerichtet waren; ja, Alle schauten dorthin – – doch nein, nicht Alle. Wie Herr Schilder seine Blicke umherfahren ließ, sah er sich gegenüber an die Fensterbrüstung gelehnt Herrn Larioz, den langen Schreiber des Rechtsconsulenten, der ihn selbst, Herrn Schilder, einen Augenblick anschaute, dann aber mit fast verächtlichem Gesichtsausdruck vor sich nieder blickte, als wollte er sagen, was Herr Schilder dachte: »Es ist doch wohl der Mühe werth, darauf so viel Aufmerksamkeit zu verwenden!«

Dieser Blick, dieser Gesichtsausdruck that dem Herrn Schilder so wohl, er fühlte, der lange Mann dort am Fenster war, ihn selbst und Clementine vielleicht ausgenommen, hier unter Larven die einzig fühlende Brust.


 << zurück weiter >>