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Achtes Kapitel.
Eugenie


Der große blonde Mann, dem das schöne Landhaus und der hübsche Garten gehört, welch letzteren er so eben auf seinem hohen Engländer verlassen, war der Baron George von Breda. Einst als Rittmeister bei den königlichen Kürassieren der »wilde George« genannt, hatte er übrigens, wie guter Wein, ziemlich frühzeitig ausgegohren und war, um uns so auszudrücken, zu einem klaren und verständigen Getränke geworden, mit recht vielem inneren Gehalte, aber ohne sprudelnde Eigenschaften. Es ließ sich angenehm mit ihm umgehen, seine Freunde konnten sich auf ihn verlassen, und er half Jedem gern, wenn er nämlich erst einmal in Bewegung gesetzt war. Früher außerordentlich schlank, fast dünn, war er zu Anfang der Dreißiger, in denen er sich jetzt befand, stärker geworden und hatte mit diesem äußeren Umfange eine ziemliche Gemächlichkeit angenommen, die erst überwunden sein wollte, ehe man ihn recht zum Handeln brachte. Zog er aber einmal für irgend eine Sache, die ihm recht und gut dünkte, so wurde er wieder ganz Kürassier und machte auf die Hindernisse, die sich ihm entgegenstellten, einen so unwiderstehlichen Choc, daß er meistens für sich oder seinen Schützling Alles niederwarf und eine freie Bahn brach.

Ziemlich unbegütert, hatte man es begreiflich gefunden, daß er, ein schöner und Ausgezeichneter Offizier, seine jetzige Frau, die, wir können das nicht verschweigen, vielleicht zehn Jahre älter war, aber ein außerordentliches Vermögen besaß, geheirathet hatte. Erleben wir doch fast täglich ähnliche, für uns oft ganz unbegreifliche Fälle. Auch den Kameraden und näheren Bekannten von George von Breda erschien diese Heirath vollkommen passend; denn er war im Punkte weiblicher Bekanntschaften selbst in seiner wilden Zeit immer außerordentlich zurückhaltend gewesen; man konnte ihm keine Liebschaften nachsagen, und wenn er in Gesellschaften und auf Bällen war, so sah man den jungen Offizier adorirt von älteren Damen seiner Bekanntschaft, denn gegen diese benahm er sich in der That aufopfernd. Er konnte sich Stunden lang mit Geheimräthinnen oder verwittweten Baronessen aufs Angelegentlichste unterhalten; ja, wenn er tanzte, so geschah das meistens nur, um ältlich gewordene Schönen, deren Schifflein auf eine trügerische Balluntiefe oder eine Sandbank gerathen war und sitzen zu bleiben drohte, wieder flott zu machen.

Mit der Baronin, seiner Frau, lebte er vortrefflich. Er behandelte sie aufmerksam, achtungsvoll, hatte sich aber gleich zu Anfang der Ehe auf einen solchen Fuß mit ihr zu setzen gewußt, daß er unumschränkter Herr seiner Zeit und ihres Vermögens war. Doch trieb er mit dieser Herrschaft durchaus keinen Mißbrauch, er war weder ausschweifend, noch verschwenderisch, noch geizig; ja, man mußte ihm nachrühmen, daß er ein vortrefflicher Haushalter sei, denn er verwaltete das Vermögen, welches ihm seine Frau zugebracht, trotzdem, daß sie auf einem ziemlich großen Fuße lebten, so musterhaft, daß er jährlich bedeutende Ersparnisse zurücklegen konnte. Wie schon früher bemerkt, war er seiner Freunde Schutz und Hülfe, und man konnte bei verwickelten Angelegenheiten diesen und jenen der jungen Herren sagen hören: »Mein Rath ist, du gehst zu George und trägst ihm die Sache vor. Findet er nichts Faules daran und verspricht er dir seine Hülfe, so hast du halb gewonnenes Spiel. Denn wenn George seine Schraube ansetzt, dann kommt er durch; darauf kannst du dich verlassen.«

Daß ein so eigenthümlicher und vortrefflicher Charakter seine Schattenseiten haben mußte, verstand sich von selbst. Wer ihn nicht näher kannte, hielt ihn für über alle Maßen hochmüthig und für einen Menschen, der die Welt nur so von oben herunter betrachtet; und daran war sein schroffes Aeußere, seine aufrechte militärische Haltung mit stolz erhobenem Kopfe und sehr hoch getragener Nase schuld. Einer allzu großen Zuvorkommenheit gegen Fremde pflegte er sich nicht zu befleißigen; es war ihm lästig und unbequem, neue Bekanntschaften zu machen, und er hielt sich diese häufig durch ein steifes, fast unangenehmes Wesen fern.

So ritt er dahin; Lord ging im Schritte, und der Baron führte mit der linken Hand nachläßig die Zügel, während er mit der Rechten zuweilen die Cigarre aus dem Munde nahm. Der Weg führte auf der großen Straße eine Zeit lang an den schon früher erwähnten Landhäusern vorbei, die in großer Mannigfaltigkeit die Stadt umgaben. Wo sich aber die Chaussee von der Stadt entfernte, hörten auch diese zerstreut liegenden Wohnungen auf, und als der Baron die letzten derselben hinter sich gelassen, setzte er sein Pferd in Trab und folgte auf diese Art der sich rechts wendenden, sanft ansteigenden Landstraße.

Bald hatte er eine kleine Anhöhe, die vor ihm lag, erreicht, und blieb dort einen Augenblick halten, um einen Blick rückwärts auf die Stadt zu werfen, die in Qualm und Dunst unzähliger Schornsteine, sowie im Morgennebel, der noch nicht ganz verschwunden war, vor ihm ausgebreitet da lag. Dort sah er auch sein Haus und erkannte es an einer kleinen rothen Fahne, welche von dem hohen Dache flatterte. Eigentlich schien ihm dieses Betrachten der Stadt Nebensache zu sein; denn der Blick, welchen er hinabwarf, war außerordentlich gleichgültig; es war Gewohnheit von ihm, hier oben bei seinen Ritten eine kleine Weile anzuhalten; auch dieses Mal dauerte dieser Aufenthalt höchstens ein paar Sekunden, worauf er Lord wieder vorwärts gehen ließ, in raschem Trabe seine Straße verfolgend, die von hier abwärts führte, einem weiten Thale zu, mit so dichtem und hohem Buschwerk bedeckt, daß man es wohl einen Wald hätte nennen können.

Unten in diesem Thale angekommen, verließ er die Straße, die auf der anderen Seite abermals eine Anhöhe erstieg, um darauf zu verschwinden, und lenkte links in einen ziemlich verwahrlosten Weg ein, der durch das oben erwähnte Thal führte. Es war dies eine Straße, einst breit angelegt, auch mit Wassergräben versehen, welch letztere aber im Lauf der Zeiten nicht nur einestheils ganz verschwunden waren, sondern auch anderntheils sich durch angesammelten Regen ein neues Bett in der Straße selbst gesucht und diese allmälig dadurch verengt hatten; auch umgeworfene Bäume waren bald rechts, bald links liegen geblieben, hatten sich in den nach und nach eingeweichten Grund dieses Weges eingesenkt und waren dann von der freundlichen Natur gleich diesem mit grünem Moose überzogen worden, oder nährten zur Sommerzeit allerlei Schling- und Schmarotzer-Pflanzen, die lustig aus ihnen emporwuchsen, um nach bestem Willen und Vermögen den Weg zu kreuzen.

Was diese Straße eigenthümlich, fast traurig machte, waren ehemalige Ruheplätze, unter den überhängenden Zweigen hochstämmiger Bäume angelegt, die jetzt so gar ruinenhaft und wehmüthig aussahen; denn die steinernen Bänke dieser Ruheplätze waren theils gar nicht mehr vorhanden, theils verwittert und von ihren Unterlagen herabgestürzt.

Der Baron folgte diesem Waldwege eine kleine halbe Stunde so schnell wie möglich und erreichte alsdann ein ehemaliges Parkthor, das vollkommen zu den eben erwähnten Ruheplätzchen paßte und einen würdigen Schluß zu dieser verwahrlosten Straße bildete. Vor demselben befand sich eine gewölbte steinerne Brücke, die über einen ehemals breiten Graben führte, dessen Wände aber auch mit der Zeit eingestürzt waren und nur noch ein schmales Bett voll sumpfigen, stehenden grünen Wassers zeigten, in dem sich die überhängenden grünen Zweige kaum abspiegelten. Das Thor bestand aus zwei großen, massiven Steinpfeilern, die vielleicht einst mit einem Gitter verschlossen gewesen waren, wovon aber jetzt nichts mehr zu sehen war. Auch hatten diese Steinpfeiler in besseren Tagen das Wappen des Hauses getragen, und noch jetzt sah man auf dem rechten Pfeiler einen schildhaltenden Löwen, dem aber der Kopf und die Vordertatzen fehlten.

Dabei war es so stille rings umher, daß man hätte glauben können, man betrete die Grenzen eines zauberhaften Reiches. Auf dem breiten Fahrwege, der hinter dem Thore wieder anfing, war vom ehemaligen Steinkörper der Straße auch nicht die geringste Spur mehr zu sehen; Moos, Gras und Schlingpflanzen von hüben und drüben hatten sich freundlich die Hände gereicht und sich nachbarlich vereinigt. Als der Baron so dahin trabte, hörte man die Hufschläge von Lord nicht auf den Boden schallen, sondern es klang so dumpf und hohl, als führte der Weg über ein mit Erde bedecktes Kellergewölbe. In dem Park, der hinter dem Thore anfing, sah man uralte, hochstämmige Bäume, und ihre eigenthümliche Stellung unter einander zeigte wohl an, daß sie einst nach einem bestimmten Plane gepflanzt worden und eine vielleicht zierliche Anlage gebildet hatten; jetzt aber sah das Ganze aus wie ein ziemlich öder ausgehauener Wald, und denselben Eindruck machte die Stille rings umher, die durch nichts unterbrochen wurde, als durch das heisere Gekreisch des Raubvogels, der von den nicht weit entfernten Bergen über das Thal dahin strich.

Bald änderte sich übrigens in etwas die Scene. Bei einer Biegung des Weges hörte die Wildniß des Parkes einigermaßen auf; man sah vor sich einen breiten Rasenplatz, mit zwei Reihen hoher Bäume eingefaßt, die einst den großen Fahrweg zum Schlosse, das man am Ende dieser Allee liegen sah, begrenzt hatten. Von dieser ganzen Fahrstraße war jetzt nichts mehr übrig als ein schmaler Fußweg; rechts und links zwischen den hohen Bäumen erblickte man abermals Zeugen ehemaliger Pracht und Herrlichkeit. Da waren Statuen aus Stein, Götter, Menschen und Thiere darstellend; aber sie, die einst dem gut erhaltenen Parke gewiß zur Zierde gereicht hatten, blickten jetzt in ihrer Verstümmelung aus dem wuchernden Grase so befremdet und sonderbar hervor, daß sie jemandem, der nicht darauf vorbereitet war, einen kleinen Schrecken hätten einjagen können. Sie paßte so gar nicht mehr hieher, diese respektable feine Gesellschaft, theils kopflos, theils mit herabgefallenen Armen und verstümmelten Füßen. Am besten hatten sich die Thiere erhalten; da waren von wilden Bestien Löwen und Tiger, von Hausthieren Pferde und Kühe, und diese letzteren, die der Künstler ruhend dargestellt, hatten sich noch am dauerhaftesten erwiesen.

Der Baron, der diesen Anblick schon unzählige Mal gehabt hatte, konnte sich trotzdem nicht enthalten, lächelnd nach beiden Seiten zu schauen, indem er sein Pferd langsamer gehen ließ. Jetzt trat auch das Schloß unter uralten mächtigen Bäumen deutlicher hervor. Es war ein mäßiges, viereckiges Gebäude, aus zwei Stockwerken bestehend, von denen das erste auf den vier Ecken Erker hatte, die in Form von Thürmen über das Dach hinaus ragten. Welche Gedanken und Erinnerungen den Reiter beim Anblick des kleinen Schlosses beschleichen mochten, sind wir nicht im Stande anzugeben und können nur so viel der Wahrheit gemäß berichten, daß er seinem Pferde die Zügel ließ, indem er die linke Hand auf den Sattelknopf stützte und träumerisch zu Boden blickte. Daher mochte es denn auch wohl kommen, daß er ein fröhliches Lachen überhört hatte, das hinter ihm erscholl, als er in die Allee mit den Steinfiguren eingebogen war. Plötzlich aber schrak er aus seinen Phantasien empor, da er hörte, wie sich das Pferd Friedrichs gegen alle sonstige Gewohnheit im Galopp näherte. Er schaute um sich, doch war ein einziger Blick genügend, um ihn zu veranlassen, sein eigenes Pferd, herumzuwenden; denn hinter ihm drein kam in kurzem Galopp freilich das Pferd des kleinen Reitknechts, doch saß eine Dame quer im Sattel, die mit lustigem Zungenschlage den Schimmel zu schnellerem Laufe anfeuerte.

»Da kann man sehen,« rief sie schon von Weitem, »daß Onkel George nie an uns denkt. Bist du doch am Eingange der Allee so nahe an mir vorbei geritten, daß ich dich hätte mit Blumen werfen können, wenn ich welche gehabt hätte. Pfui, Onkel George, das ist nicht schön. Aber du siehst meine Anhänglichkeit an dich, denn ich bin dir gleich so schnell nachgeeilt, wie ich konnte.«

»Ja, ja, das seh' ich freilich, du Wildfang,« entgegnete der Baron, mit einem außerordentlich freundlichen Gesichte. »Ich glaube fast, du bist auf Amazonenart über meinen kleinen Friedrich hergefallen und hast ihn aus dem Sattel geworfen.«

»Nein, nein, er räumte ihn gutwillig, als er sah, wie sehr es mir darum zu thun war, dir nachzueilen. – Sonst vielleicht« –, setzte sie schalkhaft lächelnd hinzu, »aber es ist dem Kleinen kein Leides geschehen. Dort kommt er.«

Sie winkte mit dem Kopfe rückwärts nach dem Groom, den man in einiger Entfernung so eilig herantraben sah, als es seine kurzen Beinchen erlaubten.

Die junge Dame hatte unterdessen den Schimmel dicht an den großen Engländer gebracht und legte jetzt ihre feine weiße Hand auf den Arm des Barons, blickte ihm schmeichelnd in die Augen und sagte: »Guten Morgen, lieber Onkel George. Wie geht es dir und was macht die Tante?«

Das Mädchen mochte achtzehn Jahre alt sein. Sie war von schlankem, untadelhaftem Wuchs, zu dem der edel geformte Kopf mit dem jugendlich frischen Gesichte vollkommen paßte. Ihr Haar war dunkelbraun, ebenso ihre großen leuchtenden Augen. Ueberaus reizend war ihr Mund mit den frischen rothen Lippen, hinter welchen hervor eine wahre Pracht von weißen Zähnen glänzte, wenn sie lachte. Und sie lachte häufig, bald über dies, bald über das, jetzt indem sie versicherte, wie außerordentlich sie sich freue, daß Onkel George heute doch noch gekommen sei; dann, indem sie mit einer Haselnuß-Gerte, die sie in der Hand trug, eine komische Verbeugung nach irgend einer kopflosen Göttin machte; nun, während sie mit ihrer kleinen Hand auf die beiden Leder-Futterale an ihrem Sattel klopfte, dann wieder, indem sie auf den kleinen Groom wies, der wie ein Frosch durch das Gras hüpfte und die außerordentlichsten Anstrengungen machte, um nicht gar zu weit zurück zu bleiben.

So langten die Beiden vor dem Schlosse an. Dasselbe hatte vorne an der Eingangsthür einen ehemals gepflasterten Hof, der aber jetzt ebenfalls zu einem Rasenplatz, untermischt mit kleinen Steinpartieen, geworden war; eine halbrunde; zwei Fuß hohe Mauer schloß ihn auf dieser Seite ein und bildete mit zwei Pfeilern in Obeliskenform eine Eingangspforte. Hinter derselben stand ein kleiner, alter, gebückter Mann, der sich um die Ankommenden nicht viel zu bekümmern schien, wenigstens schaute er nicht ein einziges Mal in die Höhe, sondern betrachtete aufmerksam einen kleinen Scherben, den er in der Hand hielt. Er beschaute denselben von allen Seiten, hob ihn auch zuweilen in die Höhe und klopfte mit den gekrümmten Fingern daran. Der Klang, den das irdene Gefäß von sich gab, schien ihn zu erfreuen, und erst als er diesen mehrere Male gehört, ließ er die Hand sinken und blickte dem heranreitenden Paare entgegen.

»Siehst du, Onkel George,« sagte das junge Mädchen, »Papa hat so eben wieder ein ganz bedeutendes Geschirr gefunden. Er wird dir gleich sagen, woher es stammt. Drüben haben sie eine Lehmgrube aufgedeckt, und da hab' ich ihm geholfen, und schon ganze Schürzen voll Ziegel und Scherben herüber getragen.«

Der Baron schüttelte lächelnd mit dem Kopfe, und dicht bei dem alten Herrn angekommen, schwang er sich aus dem Sattel, worauf er seiner Begleiterin die Hand reichte, die nun ebenfalls leicht und gewandt auf den Boden sprang. Der alte Herr hielt seine beiden Hände und also auch das Geschirr, welches ihn beschäftigte, auf den Rücken und bewillkommte seinen Besuch mit einem freundlichen Kopfnicken. Es war, wie schon bemerkt, ein kleiner und dabei sehr magerer Mann, ziemlich nachläßig angezogen; seine einst schwarz gewesene Kleidung sah etwas rostig aus und zeigte hier und da erdfarbene Streifen, und wenn wir dabei sagen, daß der alte Herr in seiner guten Zeit ein eifriger Numismatiker gewesen, der in diesem Fache reiche Sammlungen besessen, so mag vielleicht diese Leidenschaft daran schuld gewesen sein, daß der ganze Kopf mit den wenigen Haaren, besonders das fahle Gesicht, einen Grünspanschimmer hatte und dem Portrait eines ehemaligen Kaisers oder Gelehrten auf einem halbverwitterten, uralten silbernen Schaustücke frappant ähnlich sah.

»Einen Fund gemacht, Schwager?« fragte der Baron. »Das müssen Sie mir zeigen.« Dabei sah er sich aber nach seinem Reitknechte um, der noch ziemlich weit zurück war. In diesem Augenblicke kam aus einem Nebengebäude ein junger Mann, mit sehr kokettem und affektirtem Gange. Obgleich er keine Livree trug, so sah man doch an seinem Anzuge in dieser Morgenstunde, dem schwarzen Fracke und der weißen Halsbinde, sowie an seinem ganzen Wesen, namentlich an der Art, wie er den Kopf trug, daß er zur dienenden Classe gehöre; und gerade da er dies durch einen elegant nachläßig sein sollenden Gang und seine Haltung zu verdecken suchte, trat es nur um so schärfer hervor.

Der Baron hatte ihn nicht so bald erblickt, als er ihm zurief: »He, François, Sie sehen vielleicht, daß Niemand da ist, meine Pferde zu halten, bis Friedrich kommt. Wollen Sie wohl die Freundlichkeit haben, einen Augenblick hieher zu kommen?«

Diese außerordentlich höflichen Worte waren aber in so befehlendem Tone gesprochen, daß sie Monsieur François veranlaßten, eine halbe Wendung gegen den Baron zu thun, aber auch nur eine halbe; dann lenkte er augenblicklich um und rief herüber: »Ich werde dem Herrn Baron im Augenblick Jemanden schicken.«

»Wenn es Ihnen gefällig wäre, selbst zu kommen,« sprach nun der Baron mit lauter Stimme, »so würden Sie sich jedenfalls eine Unannehmlichkeit ersparen. Ich ersuche Sie darum.«

»Er wird nicht kommen,« sagte das junge Mädchen, und dabei funkelten ihre Augen eigenthümlich und sie preßte die zuckenden Lippen zusammen, so daß es fast erschreckend anzusehen war, wie sich ihr gutes liebes und freundliches Gesicht in diesem Augenblicke verändert hatte. Es leuchtete dabei ein so tiefer Haß, eine solche Entschlossenheit aus demselben hervor, daß man hätte glauben können, im nächsten Momente geschähe etwas ganz Außerordentliches.

»Machen wir keine Umstände,« sprach begütigend der alte Herr, »übergeben Sie mir die Pferde und spazieren Sie mit Eugenien voraus.«

Dabei erhob er die eine Hand, um die Zügel zu fassen; doch machte der Baron mit dem rechten Arme eine leichte abwehrende Bewegung, ohne übrigens ihn oder das junge Mädchen anzusehen; vielmehr blickte er mit einem eigenthümlichen Gesichtsausdruck nach dem sogenannten Kammerdiener, der sich durch diesen Blick und die entschlossene Haltung angezogen fühlen mochte; wenigstens wandte er sich abermals gegen die Gruppe am Thore herum. Mit einem Male beschleunigte er aber seine Schritte, denn unter der Thür des Schlosses erschien eine Dame, die befehlend mit der Hand hinausdeutete und ihm zurief: »Schnell, François, warum beeilen Sie sich nicht?«

Jetzt kam auch der kleine Groom herangekeucht, und als er sah, daß François sich den Pferden nähern wollte, stürzte er athemlos mit einem Sprunge auf dieselben los und riß dem Andern so zu sagen die Zügel aus der Hand. Das junge Mädchen hatte sich abgewandt und legte nun ihren Arm in den des Barons, worauf alle Drei über den Hof gingen und in das Schloß traten.

Das Vestibül hinter dem Eingange war eine traurige Fortsetzung des Waldweges und des Parkes; die Wände, einst gemalt und mit Wappenschildern versehen, zeigten an kahlen Stellen und langen weißfarbigen Streifen unbefugte Feuchtigkeit, die den Weg durch das schadhafte Dach und die schlechten Fenster gesucht und gefunden. Die Scheiben der letzteren waren theils erblindet, theils gar nicht mehr vorhanden; und da, um den Windzug abzuhalten, manche Fensterläden geschlossen waren, so hatte dieses weite Vorhaus ein ungemein trübseliges, ja, trostloses Aussehen.

Die Dame, welche an der Thür erschienen war, bewillkommte den Baron ebenfalls aufs freundlichste, und da er ihr seinen Arm anbot, so trat das junge Mädchen zu ihrem Vater, legte ihren Arm um seinen Hals und stieg hinter den beiden Anderen ebenfalls die Treppen hinan. Oben sah es in so weit schon wohnlicher aus, als man hier noch keine so offenbaren Spuren der Zerstörung durch Wind und Wetter erblickte. Daß das Haus durch lange Vernachläßigung überhaupt gelitten hatte, bemerkte man auch hier an den unebenen Fußböden, so wie an den Thüren und Fenstern, die wie verquollen waren und nicht mehr recht in ihre Einfassung passen wollten. Je mehr man sich aber dem Zimmer der Frau vom Hause näherte, um so mehr verlor das alte Gebäude von diesem Charakter der Vernachläßigung, und nachdem man die Vorzimmer mit ebenen Fußböden durchschritten, von denen eines sogar mit einem freilich verschossenen Teppich bedeckt war, kam man in ein paar Gemächer, wo man das Schalten und Walten einer weiblichen Hand sah, und die sich ausnahmen, wie ein angenehmer Kern in einer rauhen, zerrissenen Schale. Hier erblickte man ziemlich ordentliche Teppiche, Holzlambrisen mit wohlerhaltenen Tapeten, ein Kamin mit freundlich loderndem Feuer, und all die kleinen unnöthigen Sachen, welche, ohne daß man sie gebraucht, doch für den, der sie hat, durchaus nothwendig sind.

Freilich stammten alle diese Sachen, wie das ganze Ameublement, Sessel und Fauteuils in den verschiedensten Gestalten, aus einer früheren Zeit her, und Eines paßte wenig zum Andern, gab dem Ganzen aber eben dadurch den Anstrich einer malerischen Unordnung, die man in den kleinen Salons unserer Damen findet und gern sieht.

Das Gemach, wo sich die Frau des Hauses am Kamin niederließ und den Gast bat, neben ihr Platz zu nehmen, lag auf der hinteren Seite des Schlößchens und hatte ein einziges großes Fenster, das auf eine in ihrer Wildniß reizende Waldpartie ging. Dort im Hintergrunde standen die uralten hohen Bäume dichter beisammen, und wo sich Wege unter ihnen zeigten, schlichen sich dieselben wie verstohlen durch das Dickicht und waren wenige Schritte von ihrem Anfang durch die laubenartig zusammen hängenden Zweige schon nicht mehr sichtbar. Unmittelbar an diese Seite des Hauses stieß ein ehemaliger kleiner Blumengarten mit einem vertrockneten Springbrunnen, eine Art Terrasse, die mit vielleicht zwei Fuß hoher Brüstung an den malerischsten Punkt dieser Ansicht führte, einen kleinen See nämlich, der das Haus von der Waldpartie trennte.

Dieser See war eine von jenen so melancholischen und doch lieben Wasserflächen, in die man gern träumend hinabblickt und die sich eine rege Phantasie so leicht mit den verschiedensten Gestalten bevölkern kann. Die Ufer waren theilweise mit Schilf eingefaßt, zwischen dem das Wasser in einzelnen Punkten hervor leuchtete. Seine Ränder schillerten wegen der nahestehenden, jetzt im Winter durch dicht geschlungenen Epheu bedeckten Baumstämme gleichfalls in grüner Farbe, welche gegen die Mitte zu, wo das Bild des blauen Himmels klar auf den ruhigen Wasserspiegel fiel und aus ihm freundlich zurückstrahlte, heller und glänzender und so klar wurde, daß das leiseste Wölkchen, welches oben am Himmel dahin zog, unten im Wasser wieder erschien. In einer kleinen Bucht lag ein Nachen unbeweglich still, wie die ganze Natur rings umher, so still, daß man hätte glauben können, jetzt werde irgend ein majestätischer Hirsch aus dem Walde treten, um seinen Durst in den klaren Fluten zu löschen.

Das junge Mädchen war einen Augenblick hinter dem Fauteuil des Barons gestanden, hatte sich aber, als dieser mit der Frau des Hauses ein Gespräch begann, zu ihrem Vater begeben, der ans Fenster getreten war und wieder aufmerksam das kleine irdene Gefäß betrachtete, das er in der Hand hielt, bald hineinsah und bald mit den Aermeln da und dort putzte und abwischte.

»Siehst du, Eugenie,« sagte der alte Herr nach einer Pause mit großer Befriedigung, »das ist das kostbarste Gefäß, welches ich seit langer Zeit gefunden, ja, fast das werthvollste, welches ich in meiner Sammlung habe.«

Als er das sprach, schmiegte sich Eugenie so liebevoll an ihn und öffnete ihre großen glänzenden Augen so weit vor Aufmerksamkeit und Erstaunen, daß man wohl sah, sie empfinde deutlich die Freude ihres Vaters und glaube ihm aufs Wort, daß der Schatz, den er gefunden, wirklich so kostbar sei.

»Ist es recht alt, Papa?« fragte sie, nachdem sie einen ziemlich altklugen Blick auf das Gefäß geworfen.

»Sehr alt, mein Kind, außerordentlich alt. Ich werde darüber nachschlagen, um mit Gewißheit zu erfahren, ob es von den Römern, von den Celten oder Germanen stammt.«

»Und wir geben ihm einen sehr schönen Stand,«, fuhr das junge Mädchen freundlich fort. »Du schneidest wieder so einen kleinen hölzernen Untersatz, und ich überziehe ihn dir mit violettem Sammt; ich habe noch davon.«

Der alte Mann hielt das kleine Gefäß in seiner Hand, blickte aber bei den Worten seiner Tochter über dasselbe hinaus, durch das Fenster, über den See, über den Wald hinweg, weit, weit in unendliche Fernen und lächelte dabei recht wehmüthig.

»Ja, ja, mein Kind,« sagte er dann nach einer Pause, »wir werden es sehr schön aufstellen, auch numeriren, und dazu schreiben, wo wir es gefunden. Aber,« setzte er seufzend hinzu, »das ist denn auch Alles.«

»Wie so Alles, Papa?«

»O, ich meine nur, da wird es dann stehen auf seinem violetsammtnen Untersatz, einsam und allein, und Niemand wird kommen, um es zu betrachten. Siehst du, meine liebe gute Eugenie, das ist ja die Freude und der Stolz von uns Sammlern, daß wir unsere Schätze zeigen können.«

Das schöne Mädchen nickte mit dem Kopfe, als wenn sie sagen wollte: »Ich verstehe.«

»Früher,« fuhr der alte Mann fort, – »viel früher, als ich noch ein schönes Münz-Cabinet hatte, und so manches Andere noch, da verging fast kein Tag in der Woche, wo nicht Jemand kam, der mit großer Aufmerksamkeit meine Schätze betrachtete und mir Complimente darüber machte. Jetzt ist das ganz anders geworden, o, ganz anders!«

»Mein guter, guter Papa!« antwortete Eugenie mit leiser Stimme und lehnte schmeichelnd ihren Kopf an seine Schulter.

Darauf setzte der alte Mann behutsam das Gefäß auf die Fensterbank, legte alsdann die Hand auf das weiche, schwellende Haar seines Kindes und hob den Kopf etwas in die Höhe, um ihr in die klaren Augen zu sehen. Er schüttelte mit dem Kopfe, und auf seinem Gesichte war tiefe Traurigkeit, ja, fast Schmerz zu lesen, als er sprach: »O, meine Eugenie, du verstehst es nicht, wie schmerzlich es für mich ist, daß Niemand, so gar Niemand kommt, um das Schöne und Gute zu betrachten, was wir still und verborgen unter uns hegen und pflegen.«

Was unterdessen der Baron mit der Frau des Hauses gesprochen, sind wir nicht im Stande, ganz genau anzugeben; denn sie führten ihr Gespräch ziemlich leise. Doch mochte der Inhalt desselben wichtiger sein, als eine Unterhaltung über gewöhnliche Tagesereignisse; die Dame schüttelte auf das Achselzucken des Barons zuweilen ziemlich heftig mit dem Kopfe und preßte auch bei eindringlichen Worten, die er ihr sagte, die Lippen fest über einander. Erst als der alte Herr mit dem jungen Mädchen das eben Erwähnte ziemlich laut sprach, ohne daß es von den Anderen beachtet worden wäre, erhoben auch diese ihre Stimmen mehr und mehr, und man hörte den Baron zu seiner Nachbarin sagen: »Aber ich versichere Sie, Schwägerin, es ist großes Unrecht von Ihnen, sie hier so in der Wildniß – verzeihen Sie mir den Ausdruck – festhalten zu wollen. Ein junges Mädchen muß die Welt sehen und von ihr gesehen werden; und eine bessere Gelegenheit dazu gibt es doch wahrhaftig nicht, als wenn Ihre Schwester, meine Frau, sich anbietet, Eugenie wie an Kindes Statt anzunehmen.«

Bei diesen Worten hatte sich die Dame in den Fauteuil zurückgelegt, sich einschmiegend in die Kissen desselben. Sie blickte in das spielende Kaminfeuer, und nur zuweilen, während der Baron sprach, wandte sie ihm wie im Blitz ihre Augen zu und sah ihn mit einem forschenden, seltsamen Ausdrucke an.

Daß diese Dame um mehrere Jahre jünger war als ihre Schwester, die Baronin von Breda, wissen wir bereits; und daß ihr Kopf interessanter, ja, um vieles schöner war, müssen wir dem Leser sagen; trotzdem aber sah sie, namentlich in Augenblicken der Abspannung, deren sie sehr viele hatte, fast älter aus. Einst mußte sie in der That sehr schön gewesen sein; ihre Gesichtszüge waren fein, der Teint, einst blendend weiß, jetzt freilich von einer krankhaften Blässe; dazu hatten die Augen einen unbeschreiblich müden Blick, und wenn sie trotzdem noch ziemlich glänzend aussahen, so kam das wohl daher, weil sie eingefaßt waren mit einem krankhaften, dunkeln, fast bräunlichen Kreise.

Sehr häufig brachte diese Frau ihre weiße, fein geformte, nur sehr magere Hand an die Stirn und fuhr alsdann leicht über ihre Augen, als schmerze sie das Tageslicht, oder als wolle sie sich selbst ermuntern.

Nachdem der Baron ausgeredet, stützte sie ein paar Sekunden den Kopf in die Hand, indem sie diese wie einen Schirm vor ihre Augen hielt, und entgegnete nach einer kleinen Pause, ohne ihre Stellung zu verändern: »Und was mache ich in dieser Wildniß, wie Sie eben ganz richtig bemerkten, wenn mich das Mädchen verläßt? O, glauben Sie mir, George, so einsam ohne sie zu leben, – ich könnte das unmöglich aushalten. Gewiß, ich könnte nicht.«

»Also ist es schon, wie ich vorhin gesagt,« erwiderte der Baron. »Sie halten das Mädchen nur aus Egoismus zurück.«

»Ja, wenn Sie die Liebe einer Mutter zu ihrer Tochter Egoismus nennen, so haben Sie Recht.«

Der Baron schüttelte sonderbar lächelnd mit dem Kopfe.

»In diesem Falle möchte ich es fast Egoismus nennen,« sprach er; »denn – Sie verzeihen mir die offenherzige Rede – Mutterliebe pflegt sich nicht in einem einzigen Punkte zu zeigen, sondern sorgt im Allgemeinen für das Beste ihrer Kinder.«

»Sie wissen, George,« entgegnete die Dame nach einer augenblicklichen Pause, »daß ich nicht im Stande bin, mit Ihnen zu streiten. Sie sind mir überlegen, und –«

»Sie fühlen dagegen, daß ich vollkommen Recht habe.«

»O ja,« erwiderte erregter die Frau des Hauses; »o ja, Sie haben Recht, vollkommen Recht; ich will Ihnen das am allerwenigsten leugnen. Wiederholen Sie mir auch, mein Widerstreben, Eugenie von mir zu geben, sei keine Liebe zu dem armen Mädchen, nennen Sie es meinetwegen Egoismus; ich will Ihnen sogar zugeben, es ist Egoismus; aber dagegen sage ich Ihnen zum hundertsten Male: ich kann das Mädchen nicht von mir lassen, ich kann nicht, gewiß, ich kann nicht.«

Der Baron zuckte mit den Achseln und blickte mit einem leisen Seufzer in die Gluth des Kaminfeuers.

Sie fuhr fort: »Verstehen Sie mich, George, wenn ich Ihnen sage, ich kann nicht. Ist es Ihnen in Ihrem Leben nie begegnet, daß Sie eine abergläubische Furcht hatten, im Falle Dieses oder Jenes geschehe, treffe schweres Unglück auf Ihr Haupt? – Sie werden mir in meinem Falle vielleicht entgegnen,« sprach sie wehmüthig lächelnd, »daß hier in diesem Hause etwas mehr Unglück gerade nicht von Belang wäre; ich will mich also anders ausdrücken. Haben Sie nie ein Wesen um sich gehabt, das Ihnen wie ein Schild erschien gegen die Schläge des Schicksals, die Sie zu zerschmettern drohten? Wie ein Schutzgeist, vor dessen Anblick, vor dessen schirmender Hand sich das Unglück zurückzog und, wenn es Sie auch drohend umlagerte, doch nicht über Sie herzufallen wagte? – Ein solcher Schutzgeist ist mir Eugenie. Wenn sie in meiner Nähe ist, so kann ich mit Innigkeit zurückdenken an die schöneren Tage, die einst gewesen; wenn sie sich nur momentan von mir entfernt, so ist es, als verdichtete sich die Luft um mich, als umgäben mich trübe Nebel, aus denen zuckende Hände nach mir griffen. O, das ist schrecklich!«

Bei diesen Wortes senkte sie den Kopf tief herab und drückte beide Hände vor das Gesicht.

»Ihre erregte Phantasie ist allerdings schrecklich,« erwiderte der Baron von Breda, »aber vielleicht beherrscht Sie dieses unangenehme Gefühl nur für die ersten Stunden und Tage. Ja, ja, das kann nicht andauernd sein, wenn Sie Eugenie heiter und glücklich wissen. – Und, Frau Schwägerin, glauben Sie mir, es ist Ihre Schuldigkeit, etwas für das arme Mädchen zu thun. Was soll sie hier in der Oede, inmitten dieses verfallenen Parkes, dieses einsamen Hauses?«

»Lassen Sie mir Zeit, darüber nachzudenken, mich daran zu gewöhnen,« entgegnete die Frau des Hauses nach einem längeren Stillschweigen; »für jetzt kann ich und will ich Eugenie nicht von mir lassen. Wer will bestimmen, was die nächste Zeit bringt? Kann nicht die nächste Sekunde schon unser Schicksal ändern?«

»Es ist aber ein eigenthümlicher Trost, darauf zu warten und zuzusehen, bis uns irgend ein Ereigniß fortschiebt. Ich habe es nie so gehalten, ich griff immer frisch in das Leben hinein und befand mich wohl dabei.«

Mittlerweile war der alte Herr mit Eugenien, vielleicht aus Discretion, um dem Gespräche seiner Frau mit dem Baron freien Lauf zu lassen, ins Nebenzimmer gegangen, von wo er aber in diesem Augenblicke zurückkehrte, gefolgt von François der auf einem Präsentirbrett einige Platten trug, welche das bescheidene Frühstück der Familie bildeten.

»Onkel George wird mit uns frühstücken!« rief das junge Mädchen, die an dem Bedienten vorbei eilig aus dem Nebenzimmer in den Salon sprang. »Freilich nicht so compendiös, wie bei sich zu Hause, dafür aber heute in unserer Gesellschaft, was, wie ich hoffe, auch schon Einiges Werth ist.«

Monsieur François, der Kammerdiener, befand sich augenscheinlich in einer sehr schlechten Stimmung; er rollte mit mehr Lärm als gerade nöthig war, einen kleinen Tisch aus der Ecke des Zimmers vor den Kamin, stellte einen Stuhl vor Fräulein Eugenie, und überließ es dagegen dem alten Herrn, sich selbst einen zu holen; doch sprang das junge Mädchen ihrem Vater eilfertig zu Hülfe, nicht ohne auf den Diener abermals einen jener Blicke zu werfen, die wir schon vorhin vor dem Schlosse an ihr bemerkten.

Der Baron von Breda that durchaus nicht, als gewahre er die geräuschvolle Art, mit welcher der Bediente den Tisch hin und her rückte, das Tischtuch auflegte und die Platten nicht darauf hinsetzte, sondern mit einer außerordentlich widerwärtigen Manier vor die Umsitzenden hinschob.

Wie Eugenie vorhin sagte, so war das Frühstück allerdings sehr einfach, eine Tasse Thee, Butter, Brod und etwas kaltes Fleisch; doch wäre das vollkommen genug gewesen, um bei etwas mehr Heiterkeit der Theilnehmer eine fröhliche Stimmung hervorzubringen; so aber lag es seit dem Eintritte des Dieners wie ein kalter Hauch über den Anwesenden; die Baronin preßte die Lippen auf einander, und wenn dabei auch ihr Mund zu lächeln versuchte, so sah man doch an dem unruhigen Umherzucken ihrer Augen und dem eigenthümlichen finsteren Ausdruck derselben, daß ihr Kopf keine freundlichen Gedanken hegte. Der Baron von Breda sprach mit dem alten Herrn und Eugenien über ganz gleichgültige Dinge und schien außerordentlich ruhig gestimmt; wir sagen: schien; wer ihn genau kannte, wußte sich die Art zu deuten, mit der er seinen langen blonden Schnurrbart wiederholt mit der Hand zu beiden Seiten des Gesichts hinausstrich. Eugenie blickte auf ihren Teller und schaute nur zuweilen forschend ihren Vater an oder auch den Baron, wenn er mit ihr sprach. Am unbefangensten war aber wohl der alte Herr, der ruhig seinen Thee trank und, während er sein Butterbrod aß, von der neu entdeckten Lehmgrube erzählte, die ihm eine Ausbeute von seltenen Gegenständen der verschiedensten Art versprach. Das kleine irdene Gefäß hatte er von der Fensterbank sorgfältig auf einen Tisch gestellt, der in der Mitte des Zimmers stand, und während er von seinem Funde sprach, unterließ er es nicht, zuweilen sehr innige Blicke dort hinüber zu senden. Auch Eugenie schaute häufig nach der kleinen Vase, aber mit einem besorgten Ausdruck in den Blicken, denn François, der dort am Tische mit seinem Geschirr hantirte, kam der kleinen Kostbarkeit oft gar zu verdächtig nahe.

»Wenn Sie auf so reiche Beute hoffen,« meinte der Baron, »so muß in der Nähe der Lehmgrube ein alter Begräbniß- oder Lagerplatz gewesen sein.«

»Auf das Letztere weisen alle Spuren hin,« entgegnete eifrig der alte Herr. »Sie erinnern sich, daß ich Ihnen schon früher einmal bei unseren Spaziergängen im Walde die sehr deutlichen Spuren der alten Römerstraße zeigte, die sich durchs Thal zieht. Nun gut, wenn Sie an dem Punkte, wo sie für uns verschwindet, ihre muthmaßliche Richtung fortführen, so treffen Sie gerade auf meine kostbare Lehmgrube. – François, etwas Wasser!«

François schien durchaus nicht zu hören.

»Weiter rechts von dem eben erwähnten Punkte,« fuhr der alte Herr fort, »haben wir vor ein paar Jahren die prachtvoll erhaltenen römischen Gräber gefunden, von deren Ausbeute ich, leider, leider! den besten Theil an die Regierung abgeben mußte, da dort genau an jener Stelle die herrschaftlichen Waldungen an unsern Park stoßen. Mit einiger Spitzfindigkeit hätte ich freilich beweisen können, daß die kostbaren Gräber noch zu meinem Territorium gehörten; aber,« setzte er achselzuckend hinzu, »man will seine Nachbarn nicht zu Feinden machen, und mit großen Herren ist bekanntermaßen schlecht Kirschen essen.«

Schon bei den letzten Worten hatte der alte Herr sein Glas seitwärts vom Tische gegen François gereicht und wiederholte nun seinen schon vorhin ausgesprochenen Wunsch um etwas Wasser.

Der Bediente klapperte aber so außerordentlich lebhaft mit seinen Tellern, daß man bei einiger Harthörigkeit seinerseits vielleicht hätte voraussetzen können, er habe den zweimal so höflich ausgesprochenen Befehl überhört.

Eugenie, deren Augen zum dritten Mal so seltsam funkelten, wollte aufspringen, um das Verlangte für den Vater zu holen; doch legte der Baron von Breda ruhig seine Hand auf ihren Arm und sagte mit ziemlich lautem und gebieterischem Tone: »Wasser!«

Die Frau vom Hause hustete hinter der vorgehaltenen Serviette ziemlich vernehmlich und so verständlich, daß François sich bewogen fand, augenblicklich mit einer Caraffe herbeizueilen und das Glas des Herrn von Breda voll zu gießen. Darauf aber schob er dieselbe Flasche auf die gleiche insolente Art, wie früher die Teller, vor den alten Herrn hin und ging mit erhobenem Kopfe, gespitztem Munde und tänzelndem Gange wieder an seinen Nebentisch zurück.

Warum eigentlich der Baron von Breda seine Hand auf dem Arme des jungen Mädchens ruhen ließ, wissen wir nicht ganz genau anzugeben; vielleicht fühlte er ein leises Zittern in demselben, und wohl aus diesem Grunde wandte er sein Gesicht gegen Eugenie und blickte sie freundlich, fast wie bittend an.

Der alte Herr schien dieses Wasser-Intermezzo entweder nicht verstanden zu haben, nicht verstehen zu wollen, oder wenn dies doch der Fall war, keinen Werth darauf zu legen. Er wandte sich sogar im nächsten Augenblick abermals an den Bedienten und sagte nicht ohne Freundlichkeit: »Nehmen Sie mir doch mein kleines Gefäß in Acht. Wenn mir etwas daran geschähe, so wäre das ein unersetzlicher Verlust.«

»Ich will es hieher holen, Papa,« sprach das junge Mädchen, indem sie hastig aufstand, »Onkel George hat es ja überdies noch nicht genau betrachtet.«

Nun hatte indessen Monsieur François die Worte des alten Herrn wahrscheinlich überhört, auch vielleicht das irdene Gefäß nicht gesehen, oder war der Monsieur François, und wir glauben fast das Letztere, eine außerordentlich boshafte Creatur; genug, während Eugenie aufstand, hob er die Teller von dem Nebentische in die Höhe und streifte dabei wahrscheinlich mit der Serviette, die er auf dem Arme trug, an die kleine Vase, so daß sie zu Boden fiel und in unzählige Stücke zerbrach.

»Um Gottes willen! das ist ja ein großes Unglück!« rief der alte Herr, indem er voll Schrecken in die Höhe sprang.

Eugenie preßte, während sie wie erstarrt stehen blieb, ihre bebenden Lippen fest auf einander; und selbst der Baron von Breda zuckte auf eine eigenthümliche Art zusammen, worauf er aber einen langen und sehr festen Blick auf die Frau des Hauses warf.

»Das ist ja eine große Ungeschicklichkeit, François,« sagte diese. »Machen Sie, daß Sie hinaus kommen.«

»O nein, Mama,« rief Eugenie mit zitternder Stimme, »das ist keine Ungeschicklichkeit!«

Der Bediente, ohne nur einen Ausdruck des Bedauerns oder Schreckens von sich zu geben, machte obendrein noch ein hochmüthiges, unverschämtes Gesicht und hatte schon ein paar Schritte gegen die Zimmerthür gethan, als er seine Frechheit so weit trieb, bei den Worten des jungen Mädchens stehen zu bleiben, sich herumzudrehen und mit kaltem Tone zu fragen: »Was belieben das gnädige Fräulein?«

»Gehen Sie – augenblicklich!« rief ihm die Frau des Hauses zu, indem sie sich mit blitzenden Augen aus ihrem Stuhle erhob; »ich will hoffen, daß an diesem Vorfalle nur Ihre grenzenlose Ungeschicklichkeit schuld ist.«

»Ein so kostbares Gefäß!« jammerte der alte Herr, indem er sich bemühte, die Trümmer aufzulesen.

Hätte in diesem Augenblicke François das Weite gesucht, so wäre es besser für ihn gewesen; so aber wollte das Schicksal, daß er seinen Kopf ein wenig auf die Seite neigte, verächtlich auf den Boden blickte und die halblauten Worte hören ließ: »O, es gibt dergleichen Scherben noch mehr als zu viel.«

Eugenie hatte die Hand auf den Tisch gestützt und stand anscheinend ruhig da, doch war ihr Gesicht mit einer furchtbaren Blässe bedeckt, und ihre großen Augen glänzten unheimlich. Kaum hatte François die eben erwähnten Worte vernehmen lassen, so zuckte sie zusammen, stürzte vor, riß von dem Nebentische die schwere Reitpeitsche des Barons von Breda an sich, und ehe Jemand das von diesem Auftritte erschütterte und empörte Mädchen zu hindern vermochte, führte sie mit ihrer vollen jugendlichen Kraft einen so furchtbaren Hieb über den Kopf des Unverschämten, daß quer über dessen Gesicht augenblicklich eine fingerdicke blutige Schramme sichtbar wurde.

Die Frau des Hauses war emporgesprungen, konnte aber nichts thun, als ihre Hände ausstrecken, was sie denn auch so heftig that, als sei sie hiedurch im Stande, Eugenie zurück zu halten.

Diese hatte nicht sobald ihren Schlag geführt, als die plötzlich aufgeflammte Röthe ihres Gesichtes der vorigen tiefen Blässe augenblicklich wich und sie ihre Hand öffnete, so daß die Reitpeitsche zu Boden siel, worauf das arme Mädchen sichtlich zu schwanken begann und mit einem Schrei des Entsetzens in die Arme ihres Vaters fiel, der auf sie zusprang, um sie zu halten.

Dem Bedienten war eine solche Behandlung noch nie zu Theil geworden. Daß er sämmtliches Geschirr, welches er in der Hand trug, zu Boden fallen ließ, finden wir vollkommen begreiflich, ebenso, daß er, als Italiener, sich blitzesschnell bückte und nach einem der Messer griff, die zwischen den Porzellantrümmern lagen. Doch hatte er das Heft desselben nicht sobald erfaßt, als auch schon die gewaltige Faust des Barons seine Finger umspannte und dieselben so furchtbar zusammendrückte, daß er nicht nur das Messer fallen ließ, sondern sich auch mit einem lauten Aufschrei bis auf den Boden niederkrümmte. Es bedurfte jetzt nur noch eines befehlenden Blickes des Herrn von Breda, und François taumelte mehr, als er ging, zur Thür hinaus.

Der alte Herr hatte Eugenie auf einen nahestehenden Stuhl niedergelassen, worauf das Mädchen schon nach ein paar Sekunden die Augen langsam wieder öffnete, um sich blickte und dann, als sie sich dessen, was eben vorgefallen, erinnerte, die Hände vor das Gesicht preßte und laut zu weinen anfing.

»Nach dem, was so eben geschehen,« sagte der Baron von Breda zu der Frau des Hauses, »wird es Ihnen selbst angenehm sein, wenn ich meinen Reitknecht nach Hause schicke und einen Wagen kommen lasse, um Eugenie – wenigstens für einige Zeit zu ihrer Tante zu bringen.«

Statt aller Antwort nickte, die Mutter mit dem Kopfe, und der alte Herr, der die Worte seines Schwagers ebenfalls gehört, winkte zustimmend eifrig mit der Hand.

Daß hierauf das Beisammensein der Familie nicht viel Erquickliches mehr bot, brauchen wir dem geneigten Leser nicht zu sagen, dürfen aber, um im Laufe unserer Geschichte keine Lücke entstehen zu lassen, nicht verschweigen, daß der kleine Friedrich nach erhaltenem Befehl seinem Schimmel die Sporen gab und in gestrecktem Galopp durch den einsamen Park und den verwahrlosten Waldweg nach der Stadt zurückkehrte; ferner daß er, während zu Hause ein leichtes Coupé eingespannt wurde, den Gärtner auf die Seite nahm und ihm, während er sich wichtig das Kinn strich, rapportirte, François sei ihm mit einer außerordentlich schönen Schmarre im Gesicht erschienen, und er müsse jetzt wieder nach dem alten Waldschlosse zurückeilen, um das gnädige Fräulein hieher zu holen. Dann schwang er sich wieder auf seinen Schimmel und hatte beim Hinausgaloppiren abermals das Glück, von der Kammerjungfer der gnädigen Frau erblickt zu werden.

Der Gärtner schaute dem abfahrenden Wagen gedankenvoll nach, nahm bedächtig eine Prise und sagte, indem er den Deckel seiner Dose zuklappte: »Das gnädige Fräulein kommen also doch hieher! – So, so! – ei, ei!«


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