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Wenn du ein Mann bist, geliebter Leser – und in diesem Falle ist die Einleitung zu vorliegendem Kapitel absonderlich für dich geschrieben – so hast du gewiß in deinem Leben schon Gelegenheit genug gehabt, Widerwärtigkeiten aller Art zu ertragen, Kummer und Verdruß über dich ergehen zu lassen, und warst stark genug, dich den Schlägen des Schicksals muthvoll entgegenzustellen. Du hast Verluste erlitten, schwere, unersetzliche; sie haben dich erschüttert, aber nicht gebeugt. Du sahst dich fast erdrückt von Verhältnissen, die feindlich auf dich einstürmten; du hattest die Kraft, sie einzeln zu beseitigen, dich aus einem gefahrvollen Labyrinthe zu befreien. Dein Muth stählte sich an den Hindernissen, die dir in diesem Leben entgegentraten, deine Energie wurde scharf wie ein Rasirmesser, und wenn dich Jemand über den Löffel barbieren wollte, so kamst du ihm zuvor, und er verließ dich mit langer Nase und sehr glattem Kinn.
Ja, geneigter Leser, wer halbwegs ein Mann ist in der schönen Bedeutung des Wortes, wem ein frisches und kräftiges Herz in der Brust schlägt, der läßt sich nicht leicht niederbeugen von dem, was wir Schläge des Schicksals nennen. Er gleicht einem Bogen von sehr gutem Stahle, der freilich jetzt der Gewalt nachgebend, sich zusammendrücken läßt, um aber gleich darauf kräftig aus einander schnellend, den scharfen Pfeil in das Herz seiner Feinde zu schleudern. Mag sich sein Himmel noch so finster überziehen, er wartet getrost auf gutes Wetter; mag er augenblicklich unterliegen, er wird sich wieder aufrichten, um mit neuem Muthe seine Bahn zu wandeln.
So ist ein kräftiges Gemüth bei den großen Widerwärtigkeiten des Lebens. Aber wie das edle Roß, den Sporn nicht achtend, über Gräben und Hecken hinwegfliegt und alle großen Hindernisse, die ihm entgegentreten, übersetzt oder durchbricht, und dagegen nicht im Stande ist, die Stiche blutdürstiger Insekten zu ertragen, sondern fort und fort wider sie schlagend und beißend sich abmüht und abplagt, bis es endlich ermattet zusammensinkt, was ihm selbst nie geschah nach Beendigung der längsten und hindernißvollsten Bahn: so sind es auch für uns, geneigter Leser, nicht die gewaltigen Schläge des Schicksals, die uns darniederwerfen, sondern die kleinen, feinen Nadelstiche, die uns nach und nach mürbe machen.
Nadelstiche in dieser Bedeutung sind die kleinen, an sich wenig sagenden Ereignisse, die, im Einzelnen wohl erträglich, dagegen sich immerwährend folgend zu einer Kette bitterer Qual werden. Diese Nadelstiche entstehen oft aus den geringfügigsten und lächerlichsten Ursachen, sind aber im Stande, ein Leben zu vergiften. Leider kann man diese Nadelstiche nicht in ein System bringen; sie sind rein individuell; sie springen hervor aus den Worten, ja, Mienen deines Nächsten; sie treffen dich aus heiterer Luft, sie kommen aus dem Kissen, aus dem du sitzest; sie sind für dich Unglücklichen verborgen in Wasser, Feuer und Erde, kurz, in allen Elementen; sie lauern unter einem unerwiderten Gruße, sie stecken in einem zur Unzeit abgerissenen Hosenknopfe, sie machen sich fühlbar in engen Stiefeln, in einem plötzlichen Regenwetter, wenn du ohne Parapluie ausgehst, in einem Kothspritzen, wenn du, um einen Wagen zu ersparen, in lakirten Stiefeln zu Fuß zu einem Balle oder Diner gehst. Für den, der für diese Plagen inclinirt, sind sie miasmatisch; sie verfolgen ihn wie die Bremsen das arme Pferd, und wenn er selbst einmal einen ganzen Tag Ruhe gehabt hätte, so haben sie sich beim Zubettegehen vielleicht unter sein Lager versteckt, dessen Bretter aus einander brechen und ihn unfreiwillig auf den Boden niederlegen, oder sie dringen aus seinem Kopfkissen hervor und überfallen ihn in Gestalt aufgeregter Nerven und lassen ihn während der ganzen Nacht keine Viertelstunde die heißersehnte Ruhe finden.
Aber wie es in dem Sprichwort heißt: Bewahre mich vor meinen Freunden, mit meinen Feinden will ich schon fertig werden, oder wie der Dichter sagt:
Der See kann sich, der Landvogt nicht erbarmen –
so sind die uns vom Schicksal und von den Verhältnissen gespendeten Nadelstiche nicht so tief treffend und schmerzhaft, als die, womit uns liebe Angehörige fortwährend bewirthen.
Ein trüber Tag, wenn rings am Himmel Regenwolken drohen und ein scharfer Wind durch die Straßen saust, ist nicht so geeignet, beim Aufstehen einen gleich frohen Muth zu verleihen, als wenn draußen vom klaren blauen Himmel die Sonne herab scheint, die ganze Welt freundlich küßt und mit einem so lieben Gruße erweckt, daß man nothgedrungen ebenso antworten und mit einem heiteren Gesicht in den jungen lachenden Tag hinein blicken muß.
Es ist also ein ziemlich bewölkter Himmel, die Straßen sind naß und schmutzig vom gestrigen Regenwetter, und der Rechtsconsulent Plager steht vor einem kleinen Handspiegel, den er an dem Fenster aufgehängt, eben im Begriffe, eine schwarze Halsbinde anzulegen. Er hat die beiden Enden derselben erfaßt, zieht sie rechts und links von sich ab und scheint nicht dazu kommen zu können, den gewöhnlichen künstlichen Knoten zu machen. Auch blickt er neben dem Spiegel vorbei in den grauen Tag, und wenn man seine finstere, verdrießliche Miene betrachtet, die vorgeschobene Unterlippe und die zusammengezogenen Augenbrauen unter den tiefen Stirnrunzeln, so könnte man auf die erschreckliche Vermuthung kommen, der Rechtsconsulent habe gar nicht im Sinn, seine Halsbinde zu knüpfen, sondern er mache, an den beiden Enden ziehend, einen gelinden Selbstmordversuch.
Doch ist nach ein paar Sekunden die gefahrvolle Krisis überstanden. Der Rechtsconsulent spitzt seinen Mund, blickt seufzend in den Spiegel, und gleich darauf ist einer der zierlichsten Halstuchknoten fertig, welche man nur sehen kann. Das Zimmer, in dem sich der Rechtsconsulent befindet, ist hoch, geräumig, sanft erwärmt, und die Möbel in demselben zeugen von Wohlhabenheit. Es ist ein Schlafzimmer, das beweist das Bett in der ersten Ecke, und da in der linken Ecke noch ein anderes Bett steht, von seinem Besitzer augenscheinlich erst vor Kurzem verlassen, so kommen wir auf die Vermuthung, daß auch eine Rechtsconsulentin vorräthig ist, und diese Vermuthung wird zur Wahrscheinlichkeit, da wir auf dem Fußboden vor dem zweiten Bette allerlei weibliche Kleidungsstücke – leider müssen wir sagen, etwas unordentlich zerstreut – umher liegen sehen.
Ja, es existirt eine Frau Rechtsconsulentin; wir hören sie aus dem Nebenzimmer mit lautem Lachen einigen Kinderstimmen antworten, die mit sehr vielem Geschrei ihre kleinen Bedürfnisse anzeigen. Der Rechtsconsulent hat indessen seine Toilette so weit hergestellt, daß er sie vermittelst einer Haarbürste vollenden kann. Doch sucht er dieses Instrument lange vergeblich auf seinem Toilettentische und sonst in seiner Stube herum, und als er es endlich unter einem Unterrocke findet, umdüstert sich seine Stirn wieder gewaltig, indem er bemerkt, daß die Haarbürste zum Abputzen von Stiefeln benutzt worden war. Nachdem er sie sorgfältig gereinigt, vertheilt er sein etwas dünnes Haar so kunstreich auf dem Kopfe, daß nirgends eine allzustarke Blöße sichtbar bleibt. Dann nimmt er den Spiegel von dem Fenster weg, öffnet die Flügel desselben und schaut einen Augenblick auf die Straße hinab, ehe er sich zum Frühstücke ins Nebenzimmer begibt, wobei er jedoch nicht vergißt, die entweihte Haarbürste unter dem Arme mit sich zu nehmen. Daß er zu gleicher Zeit über Damenstiefel, Strümpfe und sonstige umherliegende Kleidungsstücke wegsteigen muß, dient auch keineswegs dazu, seinen üblen Humor zu zerstreuen.
Besser wäre es übrigens gewesen, der Rechtsconsulent hätte noch etwas länger zum Fenster hinausgeschaut; denn das Nebenzimmer, wo sich die Familie zum Kaffee zu versammeln pflegte, war noch von einem Chaos beherrscht, das die Freuden eines behaglichen Frühstücks gerade nicht erhöhte. Auf einem großen runden Tische befanden sich Tassen, Kannen, Gläser, auch Brod und silberne Löffelchen; doch schien alles das Platz genommen zu haben, wo es der Zufall eben hingeworfen. Dabei hatten sich diese Gegenstände scheu auf eine Seite des Tisches zurückgezogen, während an der andern zwei Kopfkissen lagen, auf welchen die beiden Kinder des Rechtsconsulenten, ein Knabe und ein Mädchen von fünf und sechs Jahren, noch sehr im Negligé saßen. Während die Rechtsconsulentin beschäftigt war, den einen Fuß des Mädchens mit einem Strumpfe zu bekleiden, versuchte eine ältere Frau, deren Bekanntschaft wir später ebenfalls machen werden, dem Kinde an dem andern Fuß den Schuh anzuziehen und das Band an demselben zu knüpfen, was ihr erst nach einigen Schwierigkeiten gelang, da dasselbe gestern Abend beim Ausziehen abgerissen war und jetzt wieder zusammengeknüpft werden mußte. Dem Knaben widmete sich die Magd des Hauses und bearbeitete sein Gesicht mit einem großen Schwamme; doch mußte sie dabei viel Kunst und Ausdauer anwenden, denn der Kleine fuhr schreiend mit dem Kopfe nach allen Seiten, was zur Folge hatte, daß die Wassertropfen aus dem Schwamme und vom Gesichte weit umher auf Kaffee, Milch und Brod spritzten.
Als der Rechtsconsulent ins Zimmer trat, blieb er wie erstaunt stehen und räusperte sich laut. Dann zuckte er die Achseln und sagte: »Aber, liebes Kind, wie oft soll ich dir es wiederholen, daß es denn doch beim Himmel nicht passend ist, die Kleinen auf dem Frühstückstische anzuziehen! Abgesehen davon, daß in ihrem Schlafzimmer vollkommen Platz dazu ist, finde ich es sehr unappetitlich, mit Seife und Waschwasser neben Butter und Brod zu verkehren.«
»Du weißt aber auch, daß das selten geschieht,« entgegnete die Rechtsconsulentin, ohne aufzublicken. »Gott! man kann nicht immer, wie man will. Babette hat im Schlafzimmer aufgeräumt, weil dort gleich geputzt werden soll.«
»Das hätte man vorher thun können,« meinte der Rechtsconsulent. »Ich bemerkte dir nur, das Eßzimmer sei kein passender Ort zum Anziehen.«
»Es geschieht ja auch nie im Eßzimmer,« entgegnete die Frau in etwas gereiztem Tone.
»Nie?« fragte der Rechtsconsulent mit einem seltsamem Lächeln.
»Nie,« erwiderte bestimmt die Frau; worauf die ältere Dame, die noch immer an dem Schuh knüpfte, hinzusetzte: »Nein, Herr Schwiegersohn. Man zieht die Kinder nie im Eßzimmer an.«
Der Rechtsconsulent blickte duldend gen Himmel und murmelte, wie zu sich selber sprechend: »Also was ich mit meinen Augen sehe, ist nicht geschehen!«
»Und wenn es wirklich einmal geschehen wäre,« fuhr die Schwiegermutter fort, so sind es ja Ihre Kinder, und da kann von unappetitlich doch keine Rede sein.«
»Ja, Mama,« setzte die Frau hinzu, »wenn man aber seine Kinder nicht besonders lieb hat, so findet man natürlicher Weise an den Würmern alles unappetitlich.«
»Das habe ich aber durchaus nicht gesagt, daß meine Kinder unappetitlich seien,« erwiderte der Rechtsconsulent mit sehr finsterem Blicke und indem er die Haarbürste wie einen Dolch faßte.
»Gesagt nicht, aber gedacht,« fuhr die Schwiegermutter fort, während sie sich erhob und dem kleinen Mädchen einen schmatzenden Kuß auf den Mund gab, wonach sie sagte: »Du armes Kind! wir mögen dich recht sehr, wenn dich auch dein Vater nicht leiden kann.«
Wieder blickte der Rechtsconsulent gen Himmel und begann nach Luft zu schnappen, wie ein Fisch auf dem Sande. Darauf erhob er drohend die Haarbürste und schien in Betreff derselben eine furchtbare Anklage formuliren zu wollen. Doch besann er sich eines Besseren und sprach mit ziemlich sanfter Stimme: »Ich habe bitten wollen, künftig meine Haarbürste nicht mehr zum Schuhabputzen zu gebrauchen.«
»Die Haarbürste zum Schuhabputzen!« rief Madame Plager scheinbar mit großem Erstaunen, – doch war dieses Erstaunen offenbar etwas erkünstelt. – »Babette, weiß Sie was davon?«
Babette blickte in die Höhe und schüttelte den Kopf ebenfalls mit größter Verwunderung, daß es überhaupt nur möglich sei, eine Haarbürste zu etwas Anderem zu benutzen, als die Haare damit zu bürsten, wobei sie aussah wie ein Bild der Unschuld. Die Schwiegermutter aber zuckte mit den Achseln und sagte halblaut zu ihrer Tochter: »Laß es gut sein, Emilie. Er hat wieder einmal seinen schlimmen Tag!« Worauf Beide auffallend seufzend wieder an ihre gemeinschaftliche Arbeit gingen, das kleine Mädchen anzuziehen, mit welchem Geschäfte sie denn auch nach einiger Zeit glücklich zu Stande kamen.
Nicht so gut gelang es der Babette, mit dem kleinen Schreihals fertig zu werden, der sich in den Kopf gesetzt hatte, ein gewisses Paar Beinkleider, schöne vortreffliche Höschen, durchaus nicht anziehen zu wollen.
»Aber, Fritzchen,« sagte schmeichelnd die Magd, »das sind ja dieselben Höschen, die du so gern anhast. Siehst du, mit Herrentaschen! Darin kannst du deine Pfennige und deine Bretzeln aufheben.«
»Ich will die anderen Hosen!« heulte Fritzchen.
»Aber die anderen Höschen sind noch von gestern naß und haben auch keine Herrentaschen,« schmeichelte Babette. Dann setzte sie leiser hinzu, um den Spektakel zu Ende zu bringen: »Wenn du die Höschen anziehst, so schenk dir Mama einen Pfennig. Willst du?«
»Nein, ich mag nicht!« schrie sehr entschlossen der Sprößling des Herrn.
Dieser hatte sich nach der glänzend abgeschlagenen Haarbürstenattaque finster und grollend nach Art der Schildkröten, so viel als möglich, in sich selbst zurückgezogen, d. h. er hatte das Kinn in die Halsbinde vergraben, die Schultern sehr in die Höhe gezogen und seine Hände unter die Schöße des Fracks gesteckt, zwischen denen aber die Haarbürste hervorragte, hin und her wedelnd im zornigen Auf- und Abschreiten des Rechtsconsulenten, wie der Schweif eines erzürnten Bullenbeißers. – Ueberhaupt nicht besonders rosenfarben gelaunt, hatte die kleine Scene mit Frau und Schwiegermutter seinen Ingrimm merkwürdig gesteigert, und als in diesem Augenblicke sein Stammhalter und Erbe das zweite bedeutungsvolle: »Ich mag nicht!« ertönen ließ, wandte sich der Rechtsconsulent so heftig auf dem linken Absatz herum, daß die Frackschöße hinausflogen und zu gleicher Zeit die Haarbürste, deren Griff er losgelassen, um beide Hände frei zu bekommen.
Er brauchte aber auch in diesem Augenblicke seine beiden Hände. Mit dem rechten Arme hob er Fritzchen in die Höhe, worauf er mit der linken Hand einen unnennbaren Theil von dessen kleinen Körper kräftig zu bearbeiten begann, dabei ausrufend: »Ei, du magst nicht, mein Sohn? – Ei, du magst nicht? Wirklich, du magst nicht?«
Wir würden in diesem Augenblicke Fritzchen Unrecht thun, wenn wir behaupten wollten, sein Geschrei habe sich verstärkt bei dieser unzarten Behandlung; im Gegentheil, die so plötzlich entwickelte väterliche Autorität wirkte in jeder Beziehung niederschlagend. Fritzchen schluchzte nur noch, aber so stark, daß ihn, wie man zu sagen pflegt, der Bock stieß, und dabei wandte er seine mit Thränen bedeckten Wangen der Babette zu, die sprachlos vor Erstaunen da stand und auf deren Gesicht man deutlich die Entrüstung darüber las, daß der Vater gewagt, sein unartiges Söhnchen abzustrafen.
Das kleine Mädchen aber, welches sich hinter den Tisch geflüchtet hatte, nahm sich begreiflicher Weise ihres Bruders an und schrie, als ob sie am Spieße stecke: »Mama, Mama, Großmama! der Papa bringt Fritzchen um!«
Der Papa aber hatte nach geschehener Züchtigung seinen Sprößling auf das Kissen niedergesetzt, und da der Zorn bei ihm gewachsen war, so achtete er nicht die drohenden Blicke seiner Schwiegermutter, mit welchen diese würdige alte Dame eilig herbeikam, Fritzchen in ihre Arme nahm und abküßte, eben so wenig den vorwurfsvollen Ausruf seiner Frau: »Geht denn der ewige Spektakel und das Lärmen über uns unschuldige Geschöpfe schon wieder los?« Er legte die Hände abermals auf den Rücken zusammen, dieses Mal ohne Haarbürste, und schritt im Zimmer heftig auf und ab, mit einigermaßen wilden Blicken, ungefähr wie die des Löwen, welcher Blut schmeck.
Daß sich Fritzchens stilles Weinen unter den Trostesworten von Mama und Großmama zum lauten Geheul steigerte, braucht nicht bemerkt zu werden. Fritzchen war absolut nicht zu beruhigen und gab sich erst dann zufrieden, als Großmama mit einem majestätischen Blick auf ihren Schwiegersohn den Ausspruch that, »daß die anderen Höschen nicht anzuziehen seien, weil – weil – weil –«
»Sie inwendig zerrissen wären,« setzte Babette hinzu.
Umsonst warf der Rechtsconsulent einen drohenden Blick hinüber. Was konnte er machen? Einer gegen Drei! und obendrein Ein Mann gegen drei Frauenzimmer! Er verbarg die Rechte unter seinem Frack auf der Brust, seufzte tief auf und verschwand zu seiner eigenen Beruhigung im Nebenzimmer.
Mittlerweile erhielten Mutter, Tochter und Magd die Zeit, der Kinder Toilette zu beendigen. Waschwasser, Schwämme und Kopfkissen wurden weggeräumt, die Tassen und Kannen an ihren Platz gerückt, und dann wurde berathschlagt, ob der Herr des Hauses überhaupt zum Kaffee zu rufen sei oder nicht, Großmama meinte, das Beste sei, sein eigenes bischen vorher mit Ruhe zu genießen; denn wenn er sich an den Tisch setzte, so wollte sie Hundert gegen Eins wetten, daß das Gezänke augenblicklich wieder losginge.
»Daran wird es nicht fehlen,« meinte seufzend und achselzuckend die Tochter. Babette sagte, »so ein Herr sei ihr noch nicht vorgekommen,« und das Töchterchen setzte hinzu: »Papa brummt immer.« Auch wollte sich die Letztere, nachdem der hohe Rath endlich beschlossen, der Rechtsconsulent sei doch zum Kaffee zu rufen, durchaus nicht dazu verstehen, diesen Auftrag auszuführen, und wer weiß, ob Papa seinen Kaffee nicht später aufgewärmt erhalten hätte, wenn er nicht in diesem Augenblicke von selber aus dem Schlafgemach ins Eßzimmer zurückgekommen wäre. Er hatte drinnen abermals zum Fenster hinaus geschaut, die frische Morgenluft hatte seine heiße Stirn gekühlt, der Gedanke an den langen Tag, den er vor sich hatte, an welchem er doch zu verschiedenen Malen seine Wohnung betreten mußte, und wo es alsdann hart sei, immer die gleichen trotzigen und verdrießlichen Gesichter zu sehen, hatte ihn versöhnlicher gestimmt, ja, ihn wirklich so weit beruhigt, daß er mit einem gleichgültigen Gesichte beim Kaffee erscheinen konnte, mit einem Gesichte, das sich sogar zu einem wohlwollenden Lächeln hätte verändern lassen, wenn sich eine passende Gelegenheit geboten haben würde.
Leider aber schien die Göttin der Zwietracht, Madame Eris, es heute Morgen auf das Haus des Rechtsconsulenten abgesehen zu haben, und wenn sie auch keinen goldenen Apfel ins Zimmer rollen ließ, so brachte sie doch eine andere Kleinigkeit herbei, die den Familienzwist aufs Neue aufflammen machte. Der Kaffee war eingeschenkt, und während Großmama stolz, unbeugsam, mit dem Gesicht einer Siegerin ihre Nase erhob und um sich schaute, hatte sich die Tochter so weit besänftigt, um ihren Mann zu fragen, ob er vielleicht eine gute Nacht gehabt. Diese Frage beruhigte seine aufgeregten Nerven augenscheinlich, und er antwortete nicht nur: »O ja, recht ordentlich,« sondern fragte auch seinerseits: »Wie hast du geschlafen?« wobei er sogar hinzusetzte: »mein Kind.«
So weit war also Alles in bester Ordnung; es wurde Kaffee getrunken, Weißbrod eingetunkt, und wenn auch Louise zur Genugthuung der Großmama ihrem Vater halb den Rücken zukehrte, und Fritzchen sogar die Anspielung wagte, die Schläge, die er von Papa erhalten, thäten ihm gar nicht mehr weh, wenn auch Babette, ab- und zugehend, hinter dem Rücken des Rechtsconsulenten Zeichen des Erstaunens und der Geringschätzung mit der Großmutter wechselte, so schien doch das Frühstück ohne besonderen Unfall zu Ende gehen zu wollen.
Da geschah es, daß Herr Plager, dessen Kaffee in der Tasse auf die Neige ging, im Reste mit dem Löffel umherrührte, und dieses mehrere Male that, wobei sich auf seinem Gesichte ein forschender und erstaunender Ausdruck kund gab. Offenbar hatte sein Löffel etwas gefunden, das weder Kaffee, Milch noch Zucker war. Nach abermaligem Umherrühren fischte er dieses Etwas glücklich heraus und fand, daß es eine braune Masse war, deren Substanz er nicht augenblicklich zu erkennen vermochte.
»Was hast du denn?« fragte Madame Plager, die mit argwöhnischem Blicke zusah.
»Ich finde da etwas in meinem Kaffee,« erwiderte der Rechtsconsulent, »was eigentlich nicht dahin gehört; doch kann das vielleicht vorkommen,« setzte er mit außerordentlicher Sanftmuth hinzu, »und es sei fern von mir, Vorwürfe machen zu wollen.«
»O Gott, er findet wieder etwas!« sagte halblaut die Großmama.
»Das werden Sie mir doch erlauben, Frau Schwiegermutter?« entgegnete der Hausherr. »Sieh doch zu, Emilie, was es sein kann. Man muß der Babette Sorgfalt und Reinlichkeit anempfehlen. Es ist etwas Zähes; sieh nur.«
Madame Plager betrachtete das im Kaffeelöffel Dargebotene und war schon im Begriff, es wegzunehmen, um alle Erörterungen abzuschneiden, als die Schwiegermutter entschieden sprach: »Darüber braucht man, weiß Gott, keinen Lärm zu machen. Es ist nichts als etwas Rahm von der Milch mit Kaffee.«
»Von Lärmen ist keine Rede, Frau Schwiegermutter,« entgegnete, schon etwas gereizt, der Rechtsconsulent. »Daß es übrigens keine Milch und kein Kaffee ist, darauf können Sie sich verlassen.«
»Ich verlasse mich auf meine beiden Augen und auf sonst nichts,« versetzte die würdige alte Dame. »Sei so gut, Emilie, und sieh nach, ob ich nicht Recht habe.– Rahm und Kaffee,« setzte sie mit dem entschiedensten Tone von der Welt hinzu.
Madame Plager zuckte mit den Achseln und sagte dann: »Es scheint mir in der That, Mama hat Recht.«
»Diesesmal hat Mama nicht Recht,« erwiderte bestimmt der Rechtsconsulent. »Und um den Beweis zu führen, will ich das Corpus delicti hier in dieses Wasserglas tauchen und dann vorlegen.«
Ehe er dies aber that, blickte der Hausherr beide Damen fragend an, und es hätte nur eines begütigenden Wortes bedurft, eines freundlichen: »Laß nur gut sein; ja, es ist etwas Ungehöriges, Babette muß sich künftig in Acht nehmen,«– so hätte der Rechtsconsulent die Sache augenblicklich fallen lassen. Als aber die Schwiegermutter wiederholte: »Milch mit Rahm, vielleicht auch ein bischen Weißbrod,« und hinzusetzte: »Man ist ja glückselig, etwas zum Streiten zu finden,« fuhr das unbekannte Etwas ins Wasserglas und zeigte sich beim Herauskommen als ein ziemliches Stückchen Schwamm, dessen Herkunft wir dem geneigten Leser alsbald verrathen wollen. Fritzchen hatte es nämlich von dem Waschschwamm abgerissen Und zu seinem Zeitvertreib in die Kaffeekanne geworfen.
»Nun, ist das Rahm und Kaffee oder Weißbrod?« fragte triumphirend der Rechtsconsulent.
»Was sonst?« entgegnete die Schwiegermutter mit der größten Unbefangenheit, nachdem sie es einen Augenblick betrachtet. »Sieh doch zu, Emilie, es ist vom Obersten der Milch mit Kaffee.«
Und dieses ist betonte sie so entschieden und sah dabei ihre Tochter so herausfordernd an, daß diese, obgleich mit etwas schüchternem Tone beistimmte.
»Das ist mir doch zu viel!« rief der Rechtsconsulent, wobei er sich mühsam bezwang; »ich will euch sagen, was es ist! – Schwamm ist es.«
»Aber wie soll der Schwamm hier auf den Frühstücktisch kommen?« meinte Madame.
»Das ist eine eigentümliche Frage! Sind die Kinder nicht eben hier mit ihrem Schwamm gewaschen worden?«
»Gewaschen meine ich nicht, nur angezogen.«
»Nur angezogen, Herr Schwiegersohn. Wir wissen auch, was sich schickt, darauf können Sie sich verlassen.«
»Babette!« rief zornig der Rechtsconsulent, »hat Sie den Buben hier auf dem Tische gewaschen?«
»Ich?« entgegnete die Magd, nachdem sie einen schnellen Blick mit der Großmutter gewechselt; »angezogen, mein' ich, hätt' ich den Kleinen hier, nicht wahr, Fritzchen? Deine Höschen von gestern habe ich dir angezogen.«
»Ja,« heulte der Knabe, denn er fürchtete eine neue Scene.
»Das geht doch bei allen Himmeln über jede Beschreibung!« rief nun zornig der Hausherr. »Ich sehe mit meinen eigenen Augen, wie die Kinder hier auf dem Frühstückstische gewaschen werden, und man will mir das abstreiten! Ich finde Schwamm in meinem Kaffee, und man will mich überreden, es sei Weißbrod mit Kaffee.«
»Schwamm im Kaffee!« rief Babette im Tone des größten Erstaunens. »Das ist ja rein unmöglich, Herr Doktor; das muß ich mir wahrhaftig verbitten. Ich bin sehr reinlich, das haben alle meine Herrschaften gesagt. Schwamm in einem Kaffee, den ich gemacht!«
»Ja, Schwamm, ins Teufels Namen!« schrie nun der Rechtsconsulent im höchsten Zorne. »Da schau' Sie her, Sie ordentliche Person!«
Mit diesen Worten hielt er der Magd das gewisse Etwas unter die Augen, worauf diese die Großmutter mit einem schnellen Blicke befragte.
»Es ist etwas vom Obersten der Milch mit Kaffee,« sagte die Schwiegermutter mit unverwüstlicher Ruhe.
»Ja, das ist es, Herr Doktor,« bekräftigte Babette in großer Eile. »Das kommt oft vor; ich habe es häufig schon in meiner eigenen Kaffeetasse gefunden. Nicht wahr, Frau Doktor, ich habe es Ihnen erst gestern gezeigt?«
Madame Plager nicke leicht mit dem Kopfe, dann wandte sie sich an ihren Mann, dessen Augen vor Zorn funkelten und der seine Hände zusammenballte.
»Aber laß es doch gut sein, Christian,« sagte sie alsdann, »das sind ja nur Kleinigkeiten. Wer wird sich um Kleinigkeiten streiten!«
»Um den Streit ist es ihm zu thun,« sprach großartig die Schwiegermutter.
»Nein, Madame, um den Streit ist es mir nicht zu thun!« rief der Hausherr mit lauter Stimme, »es ist mir nur darum zu thun, mich in meinem eigenen Hause nicht zum Narrn machen, mir nicht meine gesunden Augen wegdisputiren zu lassen. Die Sache an und für sich ist freilich eine Kleinigkeit; aber es ist keine Kleinigkeit, Ihre ewigen Rechthabereien anhören zu müssen. Ja, Madame, was ich hier in meiner Kaffeetasse gefunden, ist Schwamm und bleibt Schwamm in alle Ewigkeit!«
Wir können leider hierbei nicht verschweigen, daß der Rechtsconsulent, aufs Höchste gereizt, bei diesen Worten so heftig auf den Tisch schlug, daß die Kaffeetassen erschreckt in die Höhe fuhren, daß ein silberner Löffel klirrend zu Boden fiel, daß er selbst, zornig wie er war, aufsprang, seinen Stuhl, wenn auch unabsichtlich, mit großem Gepolter umwarf, daß die Kinder anfingen zu heulen und zu schreien, und daß die Schwiegermutter mit starker Stimme dazwischen rief: »Ich sage dir, Emilie, in deinem Hause ist es nicht mehr zum Aushalten!«
»O, wenn Sie das endlich einmal einsehen würden!« schrie ihr der Rechtsconsulent zur Antwort entgegen. »Das wäre freilich ein Segen für mich und das Haus!«
Wahrscheinlich würde sich dieser Streit noch länger fortgesponnen haben, wenn nicht in diesem Augenblicke die Klingel an der Hausthür ertönt wäre. Babette stürzte eilig hinaus, um zu öffnen, und der Rechtsconsulent, mühsam nach Fassung ringend, verließ ebenfalls das Frühstückszimmer und trat in den sogenannten Salon, der sich daneben befand.
Draußen auf dem Gange fragte eine tiefe Stimme, ob der Herr Doktor einen Augenblick zu sprechen sei, worauf Babette hereinkam, um diese Frage zu wiederholen. Doch richtete sie die Worte, im Gefühl ihrer tiefgekränkten Unschuld, an den Ofen des Salons, obgleich ihr Herr auf der andern Seite des Zimmers mit heftigen Schritten auf und ab ging, und setzte im mürrischen Tone hinzu: »Der Schreiber ist draußen.«
»Der Schreiber soll hereinkommen!« herrschte der Rechtsconsulent, wobei er die Rechte wieder unter den Frack schob und sich bemühte, mehr finster und mürrisch als zornig auszusehen. Die Thür öffnete sich langsam, und der geneigte Leser wird einiger Maßen überrascht sein, einen Bekannten eintreten zu sehen. Es war der lange Mann im Mantel, mit dem wir gestern Nacht gewandelt; doch hatte er dieses Kleidungsstück draußen abgelegt und zeigte sich jetzt in einem einfachen Tuchrock, den er bis unter das Kinn zugeknöpft hatte. Er drücke die Thür leise hinter sich ins Schloß, machte seinem Chef eine tiefe Verbeugung und übergab ihm alsdann mehrere Briefe, die er, wie des Morgens sein Amt mit sich brachte, von der Post geholt.
»Es scheint mir nichts besonders Wichtiges darunter,« sagte er, während der Rechtsconsulent die Adressen überflog. »Nur Geschäftssachen im engsten Sinne des Wortes, durchaus nichts Privates.«
»So ist es,« erwiderte der Chef, indem er die Briefe zurück gab. »Legen Sie sie in der Schreibstube auf meinen Tisch, ich komme sogleich, und werde nachsehen. – Haben Sie sonst noch etwas auf dem Herzen?« fragte er nach einer Pause, als er bemerkte, wie der Schreiber gegen seine sonstige Gewohnheit nicht sogleich ging, sondern den Kopf erhob und ihn anblicke.
»Nur eine Kleinigkeit,« gab der lange Mann zur Antwort. »Der Herr Doktor sprachen schon einige Mal davon, einen Incipienten annehmen zu wollen, der, ohne große Kosten zu verursachen, etwas zu leisten im Stande sei. Auch wünschten der Herr Doktor dazu keinen Schreiber anzustellen, der sonst wo gedient.«
»Ja, ja, ich erinnere mich,« versetzte mürrisch der Rechtsconsulent. »Doch was soll das jetzt?«
»Weil ich durch einen Zufall,« sprach bescheiden der Andere weiter, »einen jungen Menschen fand, eigentlich noch einen Knaben, der aber eine hübsche Handschrift besitzt, von ordentlichen Eltern ist und für dessen Treue und Verschwiegenheit ich in jeder Hinsicht wie für mich selber bürgen zu können glaube.«
Der Rechtsconsulent hatte während des Vortrags seines Schreibers seinen hastigen Spaziergang durch den Salon nicht unterbrochen, und wir müssen gestehen, daß er nur mit halbem Ohr auf die Rede desselben hörte. Seine Aufmerksamkeit war hauptsächlich den Reden der Schwiegermutter und der Frau zugewandt, die begreiflicherweise das Kaffeegespräch mit den ausgedehntesten Variationen fortsetzten. Zuweilen zuckte etwas auf dem Gesichte des Hausherrn, als bemühe er sich, milder gestimmt zu werden und als hege er sogar die Absicht, den häuslichen Frieden vielleicht durch ein begütigendes Wort wieder herzustellen. Wenn er aber alsdann die Ursache dieses Streites, die er zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand fest hielt, zufälliger Weise wieder betrachtete, so warf er den Kopf in die Höhe, sein Schritt beschleunigte sich, und er schnaubte gewaltig durch die Nase.
»Und was meinen der Herr Doktor von meinem Vorschlage?« fragte der Schreiber nach einer Pause, offenbar in der Meinung, sein Chef ziehe die Sache, so heftig auf und ab rennend, in Erwägung.
Hätte nur nicht in diesem Augenblicke die Schwiegermutter sehr laut und sehr vernehmlich gesagt: »Und er mag sagen, was er will, und streiten, so lange er Lust hat, es ist doch nichts als eben diese Lust zum Streiten, und was er in seiner Tasse gefunden, war harmloser Kaffee und etwas Sahne.«
Bei diesen Worten hielt der Rechtsconsulent mit einem förmlichen Ruck in seinem Spaziergang inne, und schien sich heftig ins Eßzimmer hineinbewegen zu wollen. Doch besann er sich gleich darauf eines Andern, fuhr mit der Rechten, wie um sich zu besänftigen, von der Stirn herab über sein ganzes Gesicht und trat dann nahe vor seinen Schreiber, indem er demselben mit der linken Hand das Corpus delicti unter die Augen hielt.
»Wollen Sie mir gefälligst sagen,« sprach er darauf mit merkwürdig ruhiger Stimme, »was ich hier zwischen meinen Fingern halte.«
Der lange Mann blickte hin und antwortete: »Das ist ein Stückchen Schwamm.«
»Nicht wahr – Schwamm?«
»Ja wohl, Herr Doktor, Waschschwamm.«
»So ist es! – Waschschwamm.«
Und dies sagte er mit erhobener Stimme, indem er den Kopf gegen das Nebenzimmer wandte.
Dort war es mit Einem Male still geworden und diesen Augenblick benutzte der Schreiber, um seine Frage wegen des anzustellenden Încipienten zu wiederholen, worauf der Rechtsconsulent, offenbar milder gestimmt durch das Zeugniß seines Untergebenen, demselben zur Antwort gab: »Lassen Sie Ihren Empfohlenen gelegentlich in die Schreibstube kommen, ich will ihn dort ansehen.«
Der lange Mann verbeugte sich tief und verließ geräuschlos das Zimmer.
Da der Rechtsconsulent einen Unparteiischen gefunden, der ihm vollkommen Recht gegeben, und der dieses Urtheil mit so lauter Stimme gesprochen, daß es die Damen im Nebenzimmer nothwendig hören mußten, so fühlte er sich mit Einemmale zur Versöhnung geneigt und war im Begriff, ins Eßzimmer zurückzukehren und sogleich die Hand dazu zu bieten. Hätte nur die unglückselige Schwiegermutter in diesem Augenblicke nicht gesagt: »Daß er seinem Schreiber ein Stück Schwamm gezeigt, ist wohl möglich; aber wo er diesen Schwamm hergebracht, mag Gott wissen! Daß im Kaffee kein Schwamm war, dafür will ich meinen Kopf verwetten!«
Als der Rechtsconsulent das hörte, stand er erstarrt, und alle menschlichen Regungen schmolzen aus seiner Brust hinweg, wie nächtiger Schnee an einem warmen Aprilmorgen. Er trat festen Schrittes ins Eßzimmer, halb und halb mit der Absicht, fürchterliche Musterung zu halten. Doch als er Frau und Schwiegermutter sah, namentlich die Letztere mit hoch erhobener Nase, um den Mund einen Zug kühler Verachtung, da zuckte er gelinde mit den Fingern und war im Zweifel darüber, sollte er heftig losbrechen oder gelinde anfangend sich in einen tüchtigen Zorn hineinsteigern. Er wählte das Letztere, war aber kaum über den unglückseligen Waschschwamm hinausgekommen, als ihn Mama mit Ernst und Strenge unterbrach.
»Herr Schwiegersohn,« sagte sie aufstehend und indem sie mit halb zugeschlossenen Augen und herabhängender Unterlippe auf eine eigenthümliche und sehr bekannte Art mit dem Kopfe wackelte, »Herr Schwiegersohn, es handelt sich jetzt nicht mehr um Waschschwamm oder nicht. Die Sache ist an sich vollkommen gleichgültig. Du lieber Gott (dabei blickte sie schmerzlich in die Höhe), wir sind Ihre Heftigkeiten schon so gewohnt, daß es uns einerlei ist, wegen welcher Kleinigkeit Sie gerade losbrechen. Wissen Sie, Herr Schwiegersohn, losgebrochen muß einmal sein, und wenn Sie gerade nichts loszubrechen haben, so brechen Sie was vom Zaun, um loszubrechen.«
Bei dieser Redewendung warf sie einen triumphirenden Blick auf ihre Tochter, schüttelte aber dabei ihre Hand heftig gegen den Eidam, um ihn zum Schweigen zu veranlassen, und fuhr fort: »Ja, Herr Schwiegersohn, es handelt sich nicht mehr um die bewußte Kleinigkeit.«
Der Rechtsconsulent, der sich ordentlich duckte unter diesem heftigen Wörtersprudel, blicke seine Frau an, welche mit schmerzlicher Ergebung hinzusetzte: »Ja, Christian, das hättest du nicht thun sollen. Wenn wir uns auch viel von dir gefallen lassen, und uns gern in deine Launen fügen – Gott! und wir müssen uns in viele deiner Launen fügen –«
»In unzählbare,« sagte die Schwiegermutter.
»So hättest du doch das nicht thun sollen,« fuhr die Frau fort.
»Ja, ums Himmels willen, was denn?« fragte fast bestürzt der Rechtsconsulent, indem er in seinen Gedanken hastig um Sekunden, Minuten, Stunden, ja, Tage zurückwühlte, um etwas zu finden, vorauf diese Rede passen könnte.
»Er fragt noch!« sagte groß die Schwiegermutter.
»Gewiß, so kann man nicht leben,« meinte die Frau, wobei sie wie gekränkt und getäuscht den Kopf schmerzlich bewegt in die Hand sinken ließ.
Der Rechtsconsulent wußte nichts Besseres zu thun, als ein Bild des höchsten Erstaunens darzustellen, indem er beide Hände ausspreizte, den Mund etwas öffnete, die Augen weit aufriß und mit dem Kopfe schüttelte.
»Was in der Familie geschieht, Herr Schwiegersohn,« fuhr die Großmutter nach einer augenblicklichen Pause fort, »das bleibt in der Familie und ist, wenn es auch unsere Herzen lief verwundet hat, für die äußere Welt doch so gut wie nicht geschehen. Aber was soll man von einem Manne denken, der fremde Personen, seine Untergebenen, zwischen sich und die Familie stellt, der ein Unrecht offenkundig macht, das er freilich selbst begangen, der sich selbst und die Seinigen blamirt, indem er aller Welt zuruft: Seht her, so lebe ich in ewigem Zank und Streit mit den Meinigen! – Pfui, Herr Schwiegersohn! Ich habe viel von Ihnen erwarten können, aber das geht doch über alle Beschreibung.«
Die letzten Sätze hatte sie schneller und mit gesteigerter Stimme gesprochen und auf diese Art ihrem Schwiegersohn kaum ihre Meinung so zu sagen an den Kopf geworfen, als sie sich umwandte und ins Nebenzimmer rauschte und, so siegreich abziehend, dem Missethäter und ihrer Tochter das Feld ließ, welch' letztere aber augenblicklich den Faden des Gespräches aufgriff und, ehe der Rechtsconsulent zum Worte kommen konnte, hervorschluchzte: »Ja, Christian, das hättest du nicht thun sollen. Das haben Mama und ich nicht um dich verdient. Gott! ich kann mich ja vor keinem Menschen mehr sehen lassen. Muß man nicht mit Fingern auf mich zeigen? Und dir ist es nicht genug, daß es Nachbarn und Dienstboten erfahren, wie du Frau und Kinder mißhandelst, nein! du sorgst auch in deiner unverständigen Wuth dafür, daß es die Stadt und das Land erfahre. O, ich armes, unglückliches, tiefgekränktes Weib!«
Damit fing sie an zu weinen und stürzte ins Schlafzimmer, wo die Kinder nur auf diesen Moment gewartet zu haben schienen, um ein allgemeines Geheul anzustimmen, das von der Schwiegermutter in den Zwischenpausen durch entrüstetes Räuspern und sehr bezeichnenden Husten accompagnirt wurde.
Dieses war einer von den schrecklichen, schon öfter dagewesenen Augenblicken, wo das Ungeheuer von einem Rechtsconsulenten im Zweifel war, ob er nicht in der That wirklich zu schlecht für diese Welt sei und sich nach einem Ausweg aus derselben umzusehen habe, oder ob er nicht mit geraden Füßen in die Höhe springen, sich verschiedene Male im Kreise herumdrehen und mit dem Kopfe irgend eine beliebige Thür einrennen solle.– Doch entschied er sich nach einiger Ueberlegung für keinen dieser Ausbrüche wilden Zornes, vielmehr dämmerte eine stille, aber innige Wuth in seinen Blicken auf; er biß die Zähne über einander, legte die Hände auf dem Rücken zusammen und spazierte ein paar Mal im Zimmer auf und ab. Dieses Mittel wirkte beruhigend, und als er sich noch zu größerer Besänftigung mehrere Male an die Stirn geklopft, konnte er ziemlich gelassen seinen Hut nehmen, ja, er vermochte es über sich, draußen auf dem Hausflur, als er des tief entrüsteten Dienstmädchens, der Babette, ansichtig wurde, und als er bemerkte, daß die Thür seiner Schwiegermutter ein wenig offen stand, mit zarter Beziehung die sanfte Melodie zu pfeifen:
Wenn die Schwalben heimwärts ziehn.
Damit hatte er die nothwendige Fassung errungen, um ohne Aufsehen bei den Hausleuten drunten vorbeigehen zu können und so auf seinem Bureau zu erscheinen, wie es die Welt von einem glücklichen Gatten und Familienvater verlangt. – Doch wehe in solchen Augenblicken irgend einem juridischen Gegner! Da saß er hinter den trüb angelaufenen Fenstern seiner Schreibstube, eine erzürnte, brummende, aber fleißige Biene, aus vergilbten Aktenbündeln – Gift und Galle zusammentragend.