Karl Gutzkow
Der Zauberer von Rom. III. Buch
Karl Gutzkow

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77 11.

»Wenn man etwas vorhat«, ist ein schöner Sonnenaufgang noch einmal so schön. An dem Anblick der Insel Lindenwerth schien das große blaue Gottesauge des Himmels am folgenden Morgen selbst seine Freude zu haben. Die schimmerndweißen Birken, die Hängeweiden, die Buchen, Akazien-, Nuß- und Kastanienbäume, die Büsche, die Pflanzen des Gartens: alles schien Festkleider angezogen zu haben. Die Welle plätscherte an die Uferränder noch einmal so lockend als sonst. Und schwiegen in den Bäumen auch – da es September ist – die Singvögel, weil sie in ihren Nestern mit ihren Jungen und mit ihren neuen Kleidern für den Winter zu thun haben, so hörte man doch ihr Aufflattern und ihr Aufschwirren, sah die Spatzen in so räuberischer Thätigkeit, daß man nur zu huschen brauchte und überall schoß Diebesvolk wie mit bösem Gewissen auf. Goldene Käfer und Wespen summten; sie waren in voller Thätigkeit, mitzuernten von dem reichen sonnenglänzenden Blumen- und Fruchtsegen.

Um die fernerweit liegenden Schönheiten eines solchen Sonntagsmorgens hängen noch allerlei, den Bewohnern von Lindenwerth wohlbekannte und theilweise prophetische Toilettenschleier. Die hohen Berge und grünen Waldlehnen hinter ihnen putzen sich erst langsam aus dem Nebel heraus zu einem 78 Sonntagsstaat, dessen Annäherung in aller Frühe schon und von allen Richtungen her die Glocken verkündigen. Die Geschäftsglocke der Dampfschiffe mit ihrem kurzen groben Mahnruf hat heute fast etwas Störendes; man gedenkt sogleich der Ueberzahl von Städtern und Städterinnen, die bei so schönem und allenfalls nur dem eingeweihten Wetterkundigen bedenklichen Himmel gleichfalls kommen und sich überall hin ausbreiten werden, oft störend genug.

Um neun Uhr schiffte die Pension, neunundzwanzig junge Mädchen – eines, ein wenig unpäßlich, blieb daheim – und vier Erzieherinnen, in zwei Kähnen ins Enneper Thal hinüber, nach der drusenheimer Kirche zur Messe. Heute ruderten Tönneschen's Aeltern, mit ihnen ein anderer alter Schiffer, Tönneschen's Großvater. Auch noch ein paar Vettern, Gevatter und Kinder und Kindeskinder aus einem Halbdutzend baumversteckter Hütten der Insel begleiteten die Fahrt. Galt es doch heute, den Antonius Hilgers mit dem Rauchfaß zu sehen, im Beginn seiner von Michahelles eingeleiteten Carrière zum künftigen Vater der Gesellschaft Jesu. Tönneschen war schon lange voraus, um beim Meßner die Toilette zu machen. Das ganze Stift fühlte den Stolz der Mutter nach, die ihre beste Haube aufhatte, mit einem Strich so lang, daß er ihr fast über die Nase fiel.

Die jungen Pensionärinnen, mit ihren goldgeschnittenen Brevieren, mit dem Einerlei ihrer, heute am Sonntag weißroth oder weißblau gesprenkelten, Kleider und den einfachen runden Strohhüten, durften ihre Wonne über den Sonntag nicht zu laut aussprechen. Jetzt ging es in die Kirche, ja, für die, die schon gefirmelt waren, an den Tisch des Herrn.

Die Glocke der alten, nächstens in Ruhestand zu versetzenden baufälligen Dorfkirche, welche die Maler, ihrer prächtigen Lage wegen, gut zeichnen hatten, sie, die nicht sahen, wie die Wände des altern Gebäudes schon morsch geworden und die Sakristei 79 bedenkliche Risse zeigte, hatte schon zweimal ihr, wie die Mädchen ihr immer nachsummten: »Ei, so komm' doch! Ei, so komm' doch!« durch die Lüfte gerufen. Man wußte aber, beim Pfarrer Engeltraut, der sonst ein gar trefflicher Diener Gottes war, ging es mit den Messen nicht eben besonders präcis. Ausgestiegen am Ufer, konnten die Mädchen noch immer einen Rundweg machen, ehe sie zur Kirche gingen. Sie sahen das, aus der Ferne betrachtet, wie dicht am Waldesrand liegende, aus gelbem Sandstein gebaute, hellleuchtende Landhaus des Bankiers, umschlossen von hohen, an den Spitzen vergoldeten Eisengittern. Mehr in der Nähe lag die neue hochragende byzantinische Kirche. Alles winkte geheimnißvoll und gastlich und zu allerlei heimlichem Spaß für den Nachmittag. Durch Feld und Flur, über Wiese und Stoppeln, am Hagebucheneck und die Weingärten entlang war's doch noch ein anderes Wandeln jetzt, als drüben auf der Insel, die schön, aber eng war und auf der man sich zuweilen wie ein Gefangener vorkommen konnte.

Schwester Aloysia corrigirte auch jetzt auf dem Wege zur Kirche unablässig die falschen Subjonctivs und Angelika lehrte auch jetzt im Wandeln ihre Mathematik und die Naturwissenschaften, denn eine sandige Stelle findet sich in der schönsten Gegend, eine Heide von zwanzig Fuß, wo eine Immortelle blühen kann oder Blümlein Mannstreu, über welches letztere gleich sieben oder acht neugierige Mädchen wissen wollten, woher der Name käme. Die Lehrerin wußte keinen Rath. Schon vom Walde bei Westerhof kannte Armgart den Spottnamen des kleinen zierlichen Pflänzchens und sagte: Es ist ja Vogelfuß, Angelika!

Nun sagte diese: Ornithopus? Hülsenblume! Geschlecht der Heuhechel!

Die jungen Mädchen lachten, als Armgart ganz treuherzig 80 und ohne alle Anklage fortfuhr: Mannstreu und Vogelfuß sind eins und dasselbe –! Die größern deuteten sich das harmlos gesprochene Wort bitter satirisch. Beide Englische Fräulein wandten sich und geboten Ruhe und Sammlung.

Wann sprichst du den Pfarrer? flüsterte Armgart und drückte den linken Arm der Freundin an ihre Brust.

Ich sprech' ihn nicht allein! sagte diese. Die Vorsteherin wird dabei sein! Ich denke, nach der Predigt!

Heute auch noch eine Predigt!

Geduld!

Jenes Wort, mit dem man Armgart doch bereits wieder auf zehn Schritt verjagen konnte –! Sie hatte sich nun ja schon an das, was sie gestern so erbeben und ergeben machte, gewöhnt. Sie entschlüpfte und sah nach Westen hinüber, dorthin, wo die weißblauen Wassernebel noch am dichtesten schwammen. Den Roland, wo Benno vielleicht übernachtet hatte, sah man nicht vor dem dichten, goldsonnigen Nebel.

Die endlich nicht mehr umgangene und nun wirklich im Zuströmen der Landleute mitbetretene Kirche war überfüllt. Man erkannte recht, wie groß das Verdienst war, das sich Bernhard Fuld durch die Erbauung einer neuen erworben. Das Pensionat der Englischen Fräulein genoß eine Auszeichnung. Jeden Sonntag blieben ihm die vordern Stühle reservirt. Bei der Messe ging es dann, wie es gehen soll und überall bei ihr geht in römisch-katholischen Landen. Vielleicht nicht ganz nach jener Schnur, welche die Kanoniker in Rom vor tausend Jahren gewunden haben, aber doch auch ohne besondere Verwickelung. Pfarrer Engeltraut war, wie die römischen Priester sein sollen, keine zu sehr mit sich allein beschäftigte Persönlichkeit. Er verrichtete ein Opfer, das ganz von ihm unabhängig war. Hätte es einem strengen Kenner des Ritus auch nicht entgehen können, 81 daß sich hier mancherlei Fehler einschlichen, so sah das doch so obenhin von den Versammelten niemand. War der Blick, mit dem der Priester aus der Sakristei trat, gesenkt genug? War die Haltung des Körpers gerade und aufrecht? Trug der Opferer eine Brille, von welcher Gregor der Heilige noch nichts vorzuschreiben wußte, als er sein Oremus sang, und Abraham und Melchisedek, die Voropferer der Messe, noch weniger? Pastor Engeltraut trug eine Brille, und sonderbar genug, er legte sie gerade beim Lesen ab, legte sie auf sein Taschentuch. Dann war er ganz einfach im Vortrag und ebenso einfach in der Geberde. Er machte die Kreuzeszeichen allerdings nicht, wie wenn er sie für heute zum ersten male machte, aber auch nicht so, wie vornehme Damen am Weihbecken beim Betreten der Kirche, welche, zum Jammer frommer Seelen und wie Beda Hunnius einmal in einer seiner Predigten zum Dank der gerade damals zuhörenden Angelika und in seinem Abraham a Sancta Clara-Stil gesagt hatte: »sich beim Benetzen einen Schnörkel angewöhnt haben, als wenn unser Herr und Heiland auf irgendeiner runden Drehscheibe oder einem andern Zickzack und nicht an dem so tief sinnvoll von ihm gewählten Kreuze gestorben wäre!« Nichts auch verwirrte er von dem, was laut und was leise zu sprechen, was zu singen oder nur zu sagen war. Auch jagte er nicht in seinen Abschnitten und ging nicht wieder wie eine Schnecke so langsam. Er wußte auch auswendig, was er nur zu lesen schien.

Wenn dann irgendetwas vorhanden war, was anfangs den würdigen Gang des Opfers heute hätte unterbrechen können, so war es des Priesters Hinblick auf den heutigen Thuriferar Antonius Hilgers, der nebst zwei andern Knaben zum ersten mal diesem schwierigen Geschäft des Administrirens vorstand. Aber gerade Antonius hielt sich vorzugsweise wacker, zum Stolz seiner Angehörigen, zum Wohlgefallen des englischen Instituts. 82 Wenigstens dünkte er sich ein ebenso kundiger Lootse durch die Untiefen und Schwierigkeiten des lateinischen Missale, wie er es unbestreitbarer drüben durch die Strudel und Schnellen des herrlichen Stromes war. Nie stand er auf der Epistelseite des Altars, der linken, wenn er auf der Evangelienseite, der rechten, stehen sollte. Mit Ruhe, ohne sich vor Angst zu übereilen, reichte er dem Priester das Gefäß mit dem Weihrauch, hielt ihm das geöffnete Thuribulum dar, und wenn der Opferer Weihrauch eingelegt hatte, reichte er ihm das Gefäß, indem er es vorsichtiglich und behutsamst mit der rechten Hand unter dem Ring, mit der linken in der Mitte der Kette anfaßte. Das von ihm dabei gesprochene Latein war allerdings mehr als welsch und nicht im mindesten ciceronianisch. Doch niemand der Anwesenden, selbst der Schullehrer nicht, war im Stande, die Correctheit nach Zumpt's Grammatik zu prüfen. Mit seinen stehenden Fehlern – spiritus nach der zweiten Declination und tuus nach der vierten – klang es darum doch ganz so hoch und hehr und so fremdartig, wie das Volk es eben hören will. So wie so blieb es die richtige Sprache der Engel, die, in welcher Gott und seine Heiligen sich unterhalten oder bei feierlichen Audienzen angeredet sein wollen, die Hof- und Kanzleisprache des Himmels.

Dann kam der Augenblick des Allerheiligsten. Als da alle knieten, durch die Gemeinde alle Schauer der persönlichen Anwesenheit des Heilandes in der Wandlung rieselten – die Kinder und alten Frauen und in großen Kirchen eine gewaltige musikalische Note sorgen schon dafür, daß das ganz so wie in mächtigster Bezauberung hingenommen und empfunden wird, wie es Innocenz III. aller Welt und aller Zeit hinzunehmen und zu empfinden geboten – als dann die Erwählten und in der gestrigen Beichte Bestandenen herantreten durften und von dem Gottesleib mitgenossen, während der Priester von dem Gottesblut für alle 83 trank, – da vergaß denn auch Armgart für einige Zeit das Träumen und Sinnen und es legte sich ihr die Fülle von Sünden, die sie dem neuen westerhofer Geistlichen, Norbert Müllenhof, wer weiß in wie kurzer Zeit, oder wem sonst und in welcher Ferne bald würde beichten müssen, schwer aufs Herz! Sie sah, daß Zerstreutheit während des heiligen Hochamts, Abwesenheit der Gedanken beim Lesen im Brevier nicht mehr allein die nagenden Vorwürfe ihres Innern waren, mit denen sich ihr Gewissen bisher so oft belastet gefühlt –

Nach dem Hochamte hielt denn der Pfarrer auch richtig noch eine »Application«. Diese sprach er von der Kanzel herab. Ueber die bevorstehende Einweihung der neuen Kirche äußerte er im allerlöblichsten Volkston, daß auch täglich im innern Menschen die Sakristeien Risse hätten, täglich die Glockenstühle der Seele verfaulten und den Regen der Sünde durchließen, ja daß mindestens viermal auch des Jahres im Menschen ein echtes und rechtes Kirchweihfest müßte gefeiert werden, nicht etwa nur zu Ostern, wo »ihr glaubt, euch für ein ganzes Jahr reinigen zu müssen, sowie die Schwelger, die Ueppigen und Reichen alle Jahre einmal ins Bad reisen und sich ihren sterblichen Leib reinfegen vom Schlamm ihrer Sünden«! »Das wird dann«, fuhr er fort, »jährlich so ein Kirchweihfest, wie ihr's allüblich zu feiern pflegt mit Essen, Trinken, Jubeln, Fluchen, Würfelspielen, Tanzen, Todtschlagen der Zeit und allen denen Sünden, die ihr dann voll Verzweiflung dahergelaufen kommt, im Beichtstuhl los zu werden, wo sich oft das todte Holz erbarmen möchte über den Kummer, den ihr euerm grundgütigen himmlischen Vater und unserer gnadenreichen Mutter bereitet!« – Doch sagen wir nur, er fegte die Herzen, wie man soll, nicht mit Staubwedeln, sondern mit Besemen. Und manches sprach er, wie Beda Hunnius, geradezu in eine Ecke hinein oder auf einen Pfeiler, wo 84 Dieser stand oder Jene saß oder wem er sonst, ohne darum die Beichte zu verletzen, persönlich mit seiner Mahnung zu Leibe rücken wollte. Und wie er sich dabei von Hunnius nur durch den Mangel an Eitelkeit und an theils forcirtem, theils natürlichem Cynismus unterschied, so sprach der treffliche Redner auch heute wieder von dem unendlich süßen Gnadenzustande, von einer wahren Liebeswonne im Bunde mit dem Gekreuzigten, von der sogenannten Rechtfertigung durch den Glauben, und in wahrhaft herzansprechender Weise. Aber zuletzt kamen ihm doch die folgenden sonderbaren und für die ganze Gemeinde überraschenden Worte: »Was ist das nun? Gerechtfertigt sein durch den Glauben! Ich will es euch sagen. Sehet euch doch um! Ja hier in dieser Kirche! In eurem Kreise weilt ein nun auf Erden Gerechtfertigter! Ein Kind dieser Gemeinde, welchem hier der Weg der Gnadenmittel von früher Jugend gezeigt wurde, setzte einst mein Herz in Trauer und euch alle in Bestürzung, als man vor Jahren von ihm hören mußte, seine Hand wäre ruchlos genug gewesen und hätte sich in ferner Gegend, wo er weilte, gegen das Leben eines seiner Mitmenschen erhoben und diesen getödtet! Ein Jahr lag er, da alle Anzeigen eines Mordes gegen ihn sprachen, in Ketten und Banden, bis seine Unschuld erkannt wurde und er im lichten Gewande der Gerechtigkeit aus seinem Kerker hervortreten konnte! Voll Scham und Schmerz kam er damals über Nacht zu mir, zu mir, dem Seelsorger seiner schon reiferen Jahre, und weinte seine bekümmerte Seele aus! Er mochte nicht bleiben in dem Ort, wo das Mistrauen ihn dennoch verfolgte, wo sogar ein Bruder ihm den treuen Handschlag der Liebe versagte! Der kaum zu nennende Ertrag seines kleinen väterlichen Erbes ging durch meine Hand; nun ist ihm von dem braven Herrn, der diese Gemeindemarkungen hier ringsum an sich gekauft hat, – zu hohen Preisen, weil unsere Gegend ihren Werth hat, 85 doch auch Männer, ehrenwerthe Männer, die diesen Werth zu schätzen wissen, – [in der Kirche war wol nicht einer, der diese benevolentiae zu Gunsten der neuen jüdischen Gutsherrschaft ganz so zu würdigen verstand, wie es das Verfahren des klugen Geistlichen verdiente] aber ich sage euch, nun ist ihm der Antrag gekommen, sein Erbe mit den Besitzungen der Herrschaft des Ortes zu vereinigen, und vielleicht zur Erhebung des Kaufschillings befindet er sich heute in dem Orte seiner Geburt! Nicht, daß ihr glauben sollt, er entweiche aus Scham vor euch! Nicht, daß eure Zunge sich unterstünde, zu sagen, sein Fuß wäre hier endlich dennoch wankend geworden! Ruchlose Anschuldigung, daß euer jetzt ausscheidender Mitbürger den Vater jenes frommen Mönches erschlagen hätte, der im Gewand der Ordensregeln Sancti Francisci schon zu öftern malen in diesen Markungen begrüßt worden ist! Seht euch die Glorie eines Gerechtfertigten an! Das ist der glückliche, frohe, von euch allen zu ehrende und mehrende und nicht länger anzuzweifelnde und bei ernster Strafe von eurer Mutter, der Kirche, zu respectirende Zustand eines vor Menschen Gerechtfertigten! Nun aber – [der Nachhall dieser Worte und das allgemeine Schauen auf den in diesem Augenblick wie mit Krone und Purpur bekleideten Stephan Lengenich bedingte ein mehrmaliges Hervorheben des Ueberganges zum Zusammenhange]. Nun aber – [noch murmelte alles und konnte sich nicht fassen]. Nun aber – hört jetzt zu und macht ein Ende! – nun aber, wie viel größer ist der Stolz, mit dem wir einst, durch die Fürbitte seiner Heiligen, vor den Thron des Allmächtigen werden treten können, falls wir sagen dürfen: ›Herr, wir sind auf Erden keineswegs Könige gewesen, keineswegs Helden und Gewaltige der Reiche, wir haben nichts gethan, was den Namen des Außerordentlichen verdiente, aber – wir erfüllten deine Gebote, wir gingen die Wege. die deine 86 heilige Kirche uns zu unserer künftigen Seligkeit gezeigt hat, nun gib uns also auch den Lohn, den du allen denen versprochen hast, die deinen Willen thun –!‹« – Ein kräftiges, elektrisirendes Wort! So verweist ein richtiger Seelenhirt die Gläubigen an den Zahltisch Gottes! Der Bauer will dereinst mit Gott stehen, als brächte er ihm im Jenseits keinen Pachtzins, sondern holte sich nun auch welchen – nachdem er so lange Jahre hier auf Erden seine Schuldigkeit gethan. Ein richtiger katholischer Priester lehrt nicht blos Gottes Rechte, sondern auch Gottes Pflichten.

Die Erwähnung des allbekannten Küfers Stephan Lengenich, der hier »in seinem Orte«, besonders auf Anstiften eines ihm schon lange feindseligen und neidischen Bruders, nimmer einen Gruß bekommen konnte, ließ zu keiner weitern Sammlung kommen. Der »Gerechtfertigte« kam fast jeden Sonntag zum Trotz nach Drusenheim, auch wol zuweilen in die Kirche, wo ihn alles scheu zu meiden pflegte. Man wußte nicht, daß Stephan heute schon in aller Frühe beim Herrn Pfarrer Empfehlungen aus den Umgebungen des Kirchenfürsten abgegeben. Nur nach der Gewährleistung des Ortsgeistlichen hatte sich Stephan plötzlich durch irgendeine Begebenheit, vielleicht auf Löb Seligmann's feurige und sonntagsfreudige Ueberredung hin, entschlossen, seinen »Blutacker« loszuschlagen.

Es war halb elf. Die Kirche war nun aus. So heilig auch das Debut des Tönneschen gewesen, dem Gebrauche, dann auf einen Trunk Drusenheimer, womit keineswegs das alldasige Wasser gemeint war, herzhaften Bescheid zu thun, entzog man den jungen Novizen, der sich so brav und tapfer gehalten und dafür allgemein belobigt wurde, nicht im mindesten. Alles strömte ins Wirthshaus. Und mag auch die Frau Baronin von Cepeda (bekannter unter dem Namen der heiligen Therese) noch so schön und gewohntermaßen geistreich und vornehm gesagt 87 haben: »Verlieren wir doch nicht die gute Gelegenheit, die wir nach der heiligen Communion haben, uns Schätze zu erwerben! Nicht mit geringem bezahlt Se. göttliche Majestät die Herberge, in welcher sie eine gute Aufnahme gefunden –!« – dennoch entschuldigt man auch wol in dem brennend heißen Hispanien, dem Vaterlande der liebeglühenden Therese, nach der Messe das Verlangen nach dem Labsal einer kühlen Posada. Die Schiffer von Lindenwerth, Tönneschen's Alte und Großalte, tranken trotz aller Warnungen der österlichen »Applicationen«, daß man den eben genossenen Leib des Herrn in ungestörter Wirkung erhalten solle, im »Hahnen« auf des Debutanten Wohl und lebendigst war dabei der halbe Ort betheiligt. Auch der »Gerechtfertigte« fehlte heute nicht und bot allen die Hand, die nicht mehr unangenommen blieb. Man war verwundert über sein Abziehen; niemand wollte ihn nun gekränkt haben. Dafür theilte er dann auch Athanasiusmedaillen aus und erläuterte durch bald hohe, bald seltsam tiefe Reden deren Bedeutung und Wunderkraft.

Das Pensionat machte inzwischen noch einen weiter den Bergen zugewandten Spaziergang, während Angelika und Schwester Aloysia zurückblieben, um womöglich den Pfarrer zu sprechen, in Angelegenheiten der wie in Lüften schwebenden Armgart, die nun ohnehin auch den Roland erglänzen sah, so hell, so deutlich, als müßte sie jeden erkennen, der drüben aus seinen Fenstern und etwa unter den schönen herabgelassenen, roth und grau gestreiften Markisen hervorsah – Ahnte sie, daß der heutige Sonntag Benno glücklich machen würde? Und nicht auch Thiebold de Jonge? Manchmal konnte sie bei Thiebold's Namen, der oft genug von den Mitpensionären heute schon ausgesprochen war, so erröthen, daß man hätte glauben mögen, ihre Schwärmerei für Benno – cachire nur die – für Thiebold de Jonge –

Aber den Hoffnungen, den Erwartungen, mit welchen schon 88 um neun Uhr, mit dem ersten Dampfboot, im Enneper Thale ein gewisser Mann in schwarzem langschösigem Frack, in Nankingpantalons, in kameelgarner Weste, in hellgelbseidnen Handschuhen gelandet war, denen kommt die Erwartung keines anderm gleich, selbst die seines Begleiters nicht, Stephan Lengenich's, der sich heute unter gewissen Bedingungen von Drusenheim hatte loskaufen wollen. »Speisen Sie nächsten Sonntag bei mir in Drusenheim!« Diese Worte waren auf dieser Erde jemanden am Donnerstag, Vormittags elf Uhr, gesprochen worden. Es war in der Residenz des Kirchenfürsten gewesen. Sie wurden in dem Folio der Weltgeschichte gebucht – in den Moppes'schen Kellern, dann bei Veilchen Igelsheimer in der Rumpelgasse; sie waren hinübergeschrieben worden gen Kocher am Fall, wo gewiß bereits David Lippschütz mit seiner lebhaften Phantasie der Mutter auseinandersetzte, was wol alles der Onkel zu essen kriegen würde bei den reichen »Vettern«, den Millionären, auf ihrem feenhaften Lustschlosse im Enneper Thale. Ja, Löb Seligmann sang bereits seit Donnerstag keine Arie lieber, als die des Leporello im »Don Juan«: »Ihr Herr Koch, der kocht ganz vortrefflich!« Selbst das Zwischenspiel der Violinen begleitete er mit den feurigst eingeworfenen Sechszehntelnoten: »Ganz vortrefflich, ganz vortrefflich, ganz vortrefflich!«

Allerdings ist einzuräumen, daß er allmählich einem gewissen innern Flüstern gewisser innerer Stimmen Gehör gab, die ihm sagten: Seligmann, bilde dir doch nicht ein, daß es so gemeint war, wie der Oberpräsident seine Regierungsräthe zu Tisch ladet! An seine eigene Tafel wird dich Ritter Bernhard Fuld nicht placiren – unter die Grafen und die Barone! Du wirst lediglich in der Küche beim französischen Koch oder bei der alten Regine, die Madame Bernhard Fuld aus Wien als orthodoxe Köchin mitbekommen hat von ihren Aeltern, vor oder nach dem Diner 89 abgespeist werden! Aber – der Schwung der Seele, der blieb darum doch! Man hatte ihn einer Ehre gewürdigt! Man hatte ihm Erlaubniß gegeben, sich verwandtschaftlicher Annäherungen zu rühmen! Man hatte nicht hindern können, daß von Donnerstag bis zum Sonntag jeder, der geschäftlich oder nichtgeschäftlich einige Worte mit Löb Seligmann wechselte, von ihm die gelegentlich nur so hingeworfenen Worte zu hören bekam: »Nächsten Sonntag – richtig – aha, Sonntag, wo ich bei den Fulds in Drusenheim speisen werde –!« Nie wurde dann den Staunenden, die ein so fallengelassenes Wort überrascht aufhoben, eine Genealogie gründlicher vorgetragen, als die Abstammung und Verwandtschaft, in welcher seit Abraham, Isaak und Jakob die Seligmann, die Lippschütz, die Igelsheimer und die Perl zu den Fulds standen.

Am Samstag sah Löb Seligmann im Stadttheater noch den »Zampa«. Diese wilde Räuberoper mit ihrer rauschenden Musik, mit ihren üppigen Trinkgelagen und schwelgenden Tafelfreuden weckte ihm wieder den ganzen Humor der sonntäglichen Erwartung, den er fast infolge eines Streites mit Veilchen verloren hatte. Dieser Streit betraf einen Gegenstand, der ihn, wie wir sogleich hören werden, in die Lage versetzen konnte, sich seinem Gastgeber Herrn Bernhard Fuld in einer Weise zu Tisch einzuführen, die diesen selbst dafür belohnte, so einmal seinen bescheidenen Vetter ausgezeichnet zu haben.

Auf dem Dampfschiffe hielt sich Löb mit Stephan Lengenich so herausfordernd und kühn, wie der wilde Held der gestrigen Oper. Wäre er auch beim Landen, als er inzwischen, angeregt durch die Schifferkähne, zur »Stummen von Portici« übergegangen war und nicht achtend des schmalen Steges und des Menschengedränges trällerte: »Auf, singt die Barcarole!« beinahe in den Fluß gefallen, so kehrte doch nach dem ersten Schrecken seine ganze Erwartungsfreudigkeit zurück. Während Lengenich 90 zum Pfarrer ging, umkreiste er die stolze Villa seines Vetters und rüstete sich zum Eintritt.

Bernhard Fuld inzwischen finden wir in der behaglichsten Stimmung eines geschäftsfreien Sonntagvormittags. Jeune homme von einigen dreißig Jahren, hat er seinen hie und da schon grauenden Bart mit großer Kunst übermalt und à la mécontent geordnet. Auf seine Veranda begibt er sich in türkischem Schlafrock, mit Fes auf dem Haupte und mit ungarischem Tschibuk in der mit einem goldenen Siegelring geschmückten feinen, etwas magern Hand. Er ist nicht allein. Seine Gesellschaft ist ein gestern angekommener Gast, Baron Wenzel von Terschka, ein ihm geschäftlich von einem Freunde der Familie seiner Frau dringend Empfohlener. Und während sich diese noch hinter einem blumengeschmückten Fenster oben bei ihrer Toilette befindet, bei Costümen, die neu für sie aus Paris gekommen waren, da sie ein größeres Diner, Nachmittags großen Kaffee hatte, ergingen sich der Wirth und Herr von Terschka (dieser schon in vollständigster Mise) in Naturbewunderung, Börsencursen, in Metternich und Louis Philippe-Politik und Pferdezucht. Der neue Stall war besehen worden. Terschka's Kennerwort vernommen, homburger und baden-badener Grafen und Barone, die sich vielleicht als Traineurs auszeichneten und von zwei alten magern Pferden, d. h. Wettrennern, mit denen sie Preise gewannen, jahrein jahraus lebten, waren mannichfach als Autoritäten für diese oder jene Fütterungsmethode citirt worden, kurz, man konnte sich jetzt mit Behaglichkeit dem Blumenduft und der zauberischen Aussicht hingeben, ausgestreckt in zwei allerliebst geformten gußeisernen Lehnstühlen.

Die Besitzung hatte schon beim Ankauf, wie heute von der Kanzel bereits bemerkt worden war, viel Geld gekostet. Mehr noch hatte man gesteckt in die Verschönerung derselben. Das Landhaus 91 war, wie Herr von Terschka sagte, würdig am Comersee zu stehen. Allerdings hatte die nahe Kirche ihrem Erbauer auch schon manchen Verdruß bereitet. Auch heute in erster Frühe schon hatte sie ihm vor seinem Schreibtisch einige, wie er zugestand, »unangenehme Viertelstunden« verursacht. Sie bot die Unbequemlichkeit, daß sie nie fertig wurde. Immer wieder gab es zu vervollständigen und zu ergänzen. Bald fehlten noch mehr Chor- und Beichtstühle, Schränke in der Sakristei, allerlei von jenen Mechanismen, von denen man bei Aufbewahrung der heiligen Geräthschaften, der praktikablen Benutzung z. B. nur der Leuchter beim Hochamt als Laie keine Vorstellung hat. Was hatte nicht schon der israelitische Patron der Kirche des heiligen Dionysius für unheilige Sacrebleus in die Holzschnitzereien, die Vergoldungen, die Stickereien und die Gelbgießerrechnung (allein für die beiden Glocken –!) hineingerufen! Wir wollen nicht wünschen, daß die mehreren Donnerwetter, die auch heute schon wieder auf die in frühester Morgenstunde vor dem fleißigen Rechner ausgebreiteten Noten und vorzugsweise auf die des Gelbgießers fielen, irgendeinen Einfluß auf die hehren Ruferinnen der Lüfte ausüben mögen. Bernhard Fuld unterwarf sogar die Inschriften der Glocken einer Kritik, denn der Formenbildner ließ sie sich buchstabenweise bezahlen – Pfarrer Engeltraut hatte großen Werth darauf gelegt, die Worte des Psalmisten: »Wohl denen, die in deinem Hause wohnen, die loben dich immerdar, Sela!« auf die große Glocke und die Worte des Propheten: »Wie lieblich sind auf den Bergen die Boten, die da Frieden verkündigen!« auf die kleine zu setzen. Der von ihm sogar noch beantragten, aber von Fuld gestrichenen dritten Glocke hätte er hingehen lassen, daß sie nur einfach die Jahreszahl brachte.

Bernhard's Gast, welcher die Cigarren seines tschibukrauchenden Wirthes ebenso zu würdigen versteht, wie die pittoreske Lage 92 der Veranda, ist kein Jüngling mehr und doch besitzt Herr von Terschka etwas außerordentlich Jugendliches. Von etwa vierzig Jahren, die man ihm nach dem untrüglichen Merkmal des Alters, den Runzeln, die von den Schläfen nach den Augen zulaufen, geben mußte, hatte er noch ganz das Wesen eines Jünglings. Jedenfalls noch immer die Elasticität jener Zeit, als er mit seinem Freunde, dem Grafen Hugo von Salem-Camphausen, unter den Offizieren zu Kiel saß, dazumal, als des Kronsyndikus Trauer von diesen feierlich beim Weine geehrt werden sollte und gerade Terschka es war, der bei Vergleichung der Nase Lucindens und eines Bildes auf einem herumgereichten Armbande die Veranlassung wurde, an eine Römerin zu erinnern, über welche der Kronsyndikus in jene nächtliche Aufregung gerieth, die ihn seine noch lebende »zweite Frau« sehen ließ – es war bereits eine Reihe von Jahren her. Schlank und behend von Gestalt, mager, wie ein Armenier so wachsbleich, mit schwarzem Haar, weißen Zähnen, leidenschaftlichen schwarzen Augen, befliß sich Wenzel von Terschka, wie man bald beobachtete, immer wie unbedeutend zu erscheinen, kindlich, gutmüthig, wie dies nur eben einem gebornen Czechen möglich ist. Mit Gewandtheit folgte er jedem Gedanken seines Wirthes und ließ sich beim Genusse seiner Cigarre auf jede Aeußerung desselben mit der liebenswürdigsten Selbstentäußerung ein. Mit den Zwischenreden: »Ah!« – »In der That!« – »Meinen Sie wirklich?« – folgte er allen Ansichten, die Bernhard Fuld über die große Erbschaft aussprach, die demnächst der Auftraggeber Terschka's, Graf Hugo, antreten wollte. Immer wieder kehrte dies über einen ihm sicher hochwichtigen Gegenstand angeknüpfte Gespräch auf Harmlosigkeiten zurück, auf die Gegend, das Stift Lindenwerth, die Pferde seines Wirths, die Preise des Heus und der Fourrage in hiesiger Gegend, auf das neuerdings erst eröffnete Bad zu Homburg, wo 93 vor wenig Wochen Bernhard Fuld mit seiner jungen Frau die erste Saison durchgemacht und nicht genug zu erzählen wußte von einer durch die Spielpächter veranstalteten Jagd im Costüm der Zeiten Ludwig's XIII. und einer andern im Geschmack rothgekleideter englischer Fuchspreller. Wenzel von Terschka verstand auf die geschickteste Art zu unterhalten, vom Hundertsten ins Tausendste zu springen, und doch lenkte er das Gespräch immer wieder auf den Beistand zurück, den er für des Grafen große Erbschaft und vielleicht für die zweckmäßigste Entäußerung derselben in dem Fuld'schen Hause zu finden hoffte.

Bernhard, der ohne seinen, erst aus der Stadt noch erwarteten, sicher zum Diner kommenden Bruder Moritz niemals etwas Geschäftliches unternahm oder zusicherte, ja nicht einmal eingehend etwas erörterte, war mit der gleichgültigen Bemerkung hervorgetreten, daß vielleicht eine Parcellirung das Rentabelste wäre und sich dann zu einer Recognoscirung des Terrains niemand besser eignen würde, als par exemple – hätte der Betreffende es doch gehört! – ein erfahrner Landwirth und Gütermakler Namens Löb Seligmann –

Gerade in diesem Augenblick wurde der Betreffende von einem in schöner, bunter Livree auftretenden Bedienten angemeldet.

Terschka, der alles nur leicht zu nehmen schien, doch sich sogleich zweimal den Namen des Agenten nennen ließ, setzte Privatgeschäfte voraus und ging auf sein Zimmer. Er besaß die Klugheit, die Dringlichkeit seines Anliegens mit nichts zu verrathen, sondern die nur scheinbar ebenfalls so passiv sich gebende Geschäftswelt an sich herankommen zu lassen. Fast könnte es scheinen, als hätte dies für das lebhafte Naturell des Wieners keine kleine Aufgabe sein müssen.

Mit seinen hellgelben seidenen Handschuhen steht nun der glückliche zu Tisch Geladene vor dem dem Baronisirtwerden nahe 94 gerückten »Vetter« Bernhard Fuld und äußert ihm zuvörderst durch einen trunkenen Blick die schon oft ausgesprochene Bewunderung seiner reizenden Besitzung – Nicht elegischer singt Graf Rudolf in der »Nachtwandlerin« auf die schöne Gegend blickend. »Hier das Bächlein, dort die Mühle!« – als sich Löb Seligmann rund umschaute.

Bernhard Fuld hatte die Gewohnheit, beim »Unter uns« nicht die vornehme Reserve zu beobachten, die ihm sonst eigen war. Er sagte: Bringen Sie die Quittung über die – wie viel Thaler waren es –?

Herr Fuld, Sie werden doch sagen, daß ich meine Sache habe gut gemacht! begann Seligmann. Sie sollen sich bauen auf den Berg den schönsten Pavillon und eine Treppe hinauf mit so viel Stufen, als ich Ihnen wünsche Jahre zu leben! Hundert Stufen sind mir nicht genug, Herr Fuld!

Wer sagt Ihnen, daß ich einen Pavillon will bauen mit Stufen? erwiderte Fuld und fand sich schnell in die so höchst angenehme Nachricht. Ich will nur einen Weinberg haben und mein eignes Getränk auf den Tisch. Drusenheimer Ausbruch! Denken Sie, die Papiere stehen so, daß ich alle Tage Champagner trinke?

Champagner! . . . Seligmann ahnte eine bedeutsame Anspielung auf das heutige Diner, ließ seine gelbseidnen Handschuhe nicht wenig in der Sonne spielen und verzichtete still für sich auf den Champagner, vollkommen befriedigt von gewöhnlichem – Johannisberger Cabinet, Auslese, Goldlack oder ähnlichen – »Mittelsorten« – wie er in witziger Weise beinahe herausgeplatzt wäre.

Wie ist denn diese plötzliche Umwandelung des verrückten Küfers gekommen? fragte Fuld, aufblinzelnd zu seiner vielleicht schon oben lauschenden Gattin.

Wie sie ist gekommen? Seligmann zuckte die Achseln, holte 95 einen tiefen Seufzer und erwiderte: Herr Fuld, das ist ein Roman! Wenn ich's erzählte, Sie glaubten's nicht!

Erzählen Sie nur! sagte Bernhard Fuld. Mit seiner Toilette hatte es noch Zeit.

Löb Seligmann machte eine mysteriöse Miene.

Sie wollen mich überraschen! sagte Fuld, als sein Vetter schwieg. Mit einem Tone, der selbst Scherze in der immer ihm gleichen blasirten Art aussprach, setzte er erläuternd hinzu: Wahrscheinlich, weil ich jetzt die ganze Geschichte um sechshundert Thaler kriege!

Nein umsonst! parodirte denn doch Löb Seligmann und nicht ohne eine gewisse Aufwallung über den Vetter, der der Mann war, solche Scherze ernst zu nehmen. Er kannte ihn von dieser Seite.

Sie haben, fuhr Fuld in der That fort, das Geschäft mit sechshundert Thalern fertig gekriegt und wollen als Courtage noch dreihundert? Revanchiren Sie sich bei anderer Gelegenheit! Ich lasse Sie sonst gern was verdienen.

Herr Fuld –! entgegnete Löb zurückfahrend. Meine armseligen fünf Procent – die sind mir fast an Freiheit und Leben gegangen!

Mit einem halb zugedrückten Auge erwiderte Bernhard blinzelnd: Hanswurst!

Straf' mich Gott! Um den Küfer herumzubringen, hab' ich eine Komödie gespielt, die, wenn man die Hand umdreht, wär's ein Trauerspiel geworden und Sie wissen, Herr Fuld, ich bin für die Oper –

Fuld staunte denn doch und würde auf die weitere Auslassung des Vermittlers mehr gedrängt haben – schon vielleicht wegen eines Stoffes für die Unterhaltung beim Diner – wenn nicht dieser von der Veranda aus, wo sie sich befanden, im Sonntagsstaate den Küfer hätte herkommen sehen, umringt von 96 Alt und Jung, die ihn aus dem »Hahnen« her als einen nunmehr wahrhaft erleuchtet und ganz unglaublich wunderbar erkannten Mann begleiteten. Stephan Lengenich sah sich wie ein Feldherr oder ein hier entthront gewesener Monarch um. Jetzt erst recht hätte er, unter dem Schutz der geistlichen Rede und dem feurigen Anschluß der Dorfbewohner, den Fuß in der Gemarkung behalten mögen; doch hatte er Seligmann in seinen Kellergewölben einen Schwur gethan, der rings in den Gewölben und an den Fässern widerhallte: um einen gewissen Preis wolle er das Geschäft zu Stande kommen lassen, einen Preis, bei dessen Anblick es ihm doch war, als wäre aus der Wand oder aus einem Faß heraus auf ihn zugetreten geradezu der Bote der ewigen Gerechtigkeit! Was da Stephan geschworen hatte, als er die Laterne in die Höhe gehoben und athemlos gesprochen: Mensch! wo hast du das Stück Tuch her? – als Seligmann mit der rechten Hand, während die linke das Bewußte schnell wieder verbarg, seine Vatermörder in die Höhe zupfte, weil sie in der feuchten Kellerluft ihre stärkehaltige Positur verloren – was er geschworen, als er alles liegen ließ, wie es lag, über Dauben, Setzreifen, Bandhaken, Visirstäbe, Stellzirkel hinwegsprang, die linke Hand Seligmann's ergreifen wollte, dieser aber retirirte und ihn so mit sich zog, wie er ging und stand und wie an einem Köder, bis in die Rumpelgasse zu Veilchen Igelsheimer – was er dort dann wieder geschworen, der lange, breitschultrige Mann, mit seinem gerötheten Antlitz, den wackelnden Ringen in den Ohren, das knatternde Schurzfell über den Lenden, als er vor dem alten kleinen, zarten Mädchen stand und im Geiste sich an seinem Schutzpatron Sanctus Stephanus, dem Gesteinigten, festhalten mußte, um nur nicht im Glauben wankend zu werden vor Bewunderung einer Beredsamkeit, die ihm bewies, daß er den Fluch der Kirche auf sich laden würde, wenn 97 er sich nicht darein ergäbe, jenen Anblick vorläufig nur einmal gehabt zu haben, den Anblick jener vom Jagdkleid des Kronsyndikus vom Deichgrafen im Ringen losgerissenen grünen Kragenklappe – was er da geschworen: den Löb Seligmann zum Lohne dafür »und bis auf weiteres« das von ihm vermittelte Geschäft des Verkaufs zu Stande bringen zu lassen, das hielt er denn nun auch.

Stephan Lengenich, im Geist sich bis auf die Spitze des Geierfelsen hinangipfelnd und das ganze Enneper Thal zum Schemel seiner Füße nehmend, kam näher. Seligmann rief ihn von der Terrasse grüßend an . . . Lengenich zog den Hut – und fast lässig wie ein Fürst – Hatte er doch den Tuchfetzen wieder, der zu seinem Kleide nicht gehört haben konnte, als der Deichgraf mit seinem Mörder rang.

Bernhard erklärte sich bereit zum sofortigen Abschluß des Geschäfts und zur Ausstellung einer Anweisung auf sein Comptoir in der Stadt. Doch war seine kurze und geschäftliche Begrüßung dem inzwischen auf die Veranda eingetretenen Handwerker wenig genehm; denn wenn Leute aus dem Volk etwas ihnen Wichtiges unternehmen, so wollen sie es auch mit einem entsprechenden großen Umstand vollzogen sehen. Ehe Stephan nur erst die Anrede gemacht hatte: Lieber Herr! war schon Bernhard mitten in dem Gegenstand. Und ehe jener nur erst sein: Lieber Herr! wiederholt, dann von seiner Geburt her, »in dem Hause da drüben hinter den Wallnußbäumen am dritten Fenster rechts Anno Eintausendsiebenhundertundsechsundneunzig«. begonnen hatte, da bezweifelte schon wieder Bernhard Stephan Lengenich's wirkliche Absicht, bei neunhundert Thalern stehen zu bleiben und nicht auf Billigeres zurückzugehen. Und wie nun gar erst der Küfer von dieser Seitenschwenkung, die er jedoch schon rascher parirte, im Context irre wurde und zu seiner Wanderschaft überging als 98 Gesell und von jenen oft von ihm erwähnten fünf Groschen sprach, »die er manchmal nicht in der Tasche gehabt hatte«, und dann immer noch die Straße bis zum Düsternbrook bei Schloß Neuhof in unendlicher Perspective lag, da waren schon alle drei aus der Veranda einige Stufen, über welche eben im seidenen, duftenden Kleide dahinrauschend ein allerliebstes kleines Frauchen, mit einem großen weißen Spitzenteller auf dem rabenschwarzen Haare, ihnen begegnete, in Bernhard's Arbeitszimmer angekommen und hatte dieser schon in der Hand eine Feder und setzte eine Verständigung auf, die Lengenich unterschreiben sollte. In der Pracht und Eleganz der Umgebung war jetzt die Biographie des Küfers vollends verschüttet; dennoch hatte er für sein umständliches Gemüth einen Vorsprung gewonnen. Er sollte etwas unterschreiben! Das mußte nun doch erst von ihm abgewartet werden! Da lag nun wenigstens ein Bogen Papier, unter den er seinen Namen setzen sollte, während ein andrer darauf warten mußte! Das ist ein großer Vorsprung! Da kann Napoleon oder Alexander der Große stehen, er muß jetzt ruhig zuhören, wenn sein Wirth, ob er gleich vielleicht nur im Keller seines eignen Hauses wohnt, beim Schließen eines Miethcontractes die Pause benutzt und die gegenwärtige Höhe der Steuern auseinandersetzt! Lengenich las jede Zeile mit Aufmerksamkeit; ihn störte nicht das heitere Lachen der kleinen Frau und ihr Scherzen draußen mit Wenzel von Terschka; ihn störte nicht, daß Bernhard Fuld noch gar nicht einmal angekleidet war. Der Preis war noch offen gelassen, in Erwartung, Lengenich würde sich vor Seligmann in der unter beiden abgemachten Summe verrathen. Wirklich Siebenhundert? sagte Bernhard. Haben Sie sich nicht verschwören müssen. Herr Lengenich –?

Siebenhundert –?

Seligmann trommelte auf den Fensterscheiben. Die berühmte 99 Auctionsarie aus der»Weißen Dame« bekam er in seine beleidigten Finger.

Inzwischen hörte man leichtes Fuhrwerk im Kieselsande anfahren – bald war es zwölf Uhr – vor Tisch war noch manche Anordnung zu treffen – Bernhard sagte: Ich stelle also eine Anweisung auf – achthundert Thaler?

Seligmann trommelte und pfiff sogar leise die Verzweiflung des Schloßverwalters aus der »Weißen Dame« –

Na, richtig, neunhundert! sagte endlich Fuld ärgerlich, nur um zum Ziele zu kommen und erschreckend über den immermehr zurückhufenden und sich purpurn verfärbenden Küfer – Als er geschrieben, mußte er dann auch zur Strafe noch so lange aushalten, bis Stephan Lengenich nach der auch von ihm endlich vollzogenen Unterschrift ihm die Hand reichte, gleichsam eine ewige Freundschaft mit ihm schloß, sich freute, ihn »persönlich kennen gelernt zu haben«, seine kostbare Einrichtung bewunderte, einige Bilder betrachtete, nach dem Preise der Rahmen fragte, dreimal den Hut suchte, während er ihn doch schon in der Hand hielt, und nicht fortkonnte – Seligmann unterstützte ihn in diesem Laviren – Denn Eines fing doch an, auch für ihn höchst sonderbar zu werden. Der Vetter machte gar keine Miene, sich zu erinnern, daß er heute »bei ihm speisen« sollte – Schon rief Bernhard Fuld: Jean! und der Bediente kam und half ihm bei Abschluß der Toilette – Stephan Lengenich bewunderte noch immer einige Porträts und verglich bei einer der ringsum aufgehängten Damen die Augen mit denen Veilchen Igelsheimer's – Excuse! sagte jetzt Bernhard ärgerlich und zog ohne weiteres den Schlafrock aus – Aber kein Wort vom Diner?! – Nein, sehen Sie, Herr Seligmann, diese weißen Hände mit den Ringen! Dort! – Bitte recht sehr! bemerkte Bernhard immer verdrießlicher und doppelsinniger und ließ seine weiten rothen Beinkleider 100 niedersinken, um ganz enge schwarze anzuziehen – Und nichts vom Diner!?

Jetzt besann sich Stephan Lengenich, was hier der Anstand erforderte. Er war nicht der Mann, der nicht verstanden hätte mit den Großen umzugehen, mit feinen, gebildeten Herren wie Schnuphase, mit Secretären von Kirchenfürsten und ähnlichen Lebensstellungen – Jetzt empfahl er sich und verwechselte nur noch die Thüren – Da, da, lieber Mann! zeigte Fuld und wie auf der Folter . . . Aber nichts vom Diner! . . Löb Seligmann steht wie angewurzelt –

Ja aber, was wollen Sie denn noch? fuhr jetzt sogar noch Bernhard Fuld heraus, in der That zornig über den Mann mit dem schwarzen Wollenkopf, und hatte nicht übel Lust hinzuzusetzen: Haben Sie denn Pech an den Stiefeln? . . . Dabei zog er schon den Frack mit dem rothen Band der Ehrenlegion an.

Das wurde denn nun doch dem Vetter zu viel. Vor Stephan Lengenich, der schon draußen war, compromittirte er jetzt weder sich noch den Vetter. Mit einem Tone, der gleichfalls unerschrocken dem »Unter uns« entsprach, sagte er: Herr Fuld! Ich wollte nur gefragt haben: Wann ist die Stunde, wo bei Ihnen gespeist wird?

Darauf sah Fuld ihn groß an und besann sich. Lange mußte er kopfschütteln und lachen. Endlich rief er gezogenen Tone: Schlemihl! . . . Es ist ja wahr! . . . Wissen Sie was? Gehen Sie in die Küche, Seligmann! Fragen Sie Reginen, wie viel Minuten vor zwei Uhr die gespickte Rehkeule irgendwo zum Anschneiden ist, daß man's nicht sieht, wenn sie auf die Tafel kommt!

Löb Seligmann hob voll Trotz das Haupt aus den Schultern und warf es wieder mit einer gewissen schiefen Senkung in den Nacken. Die Art, wie er von dannen ging, sagte geradezu: Ich denke, Sie haben sich meiner nicht zu schämen, Herr Fuld; denn 101 es steht geschrieben: Alle Jüden sind geborne Prinzen –! Und so schritt er denn fort.

Sein Gemüth löste sich aber dann allmählich in Elegie auf. Er mußte gedenken: Gott, wenn du nun nach Kocher am Fall hättest schreiben müssen, du warst auf der Fuld'schen Villa und sie hatten die Einladung vergessen! Dieser Gedanke goß über sein Antlitz die äußerste Wehmuth. Lengenich, der ihn draußen erwartete, begriff nicht, warum so weich die Worte von seinen bleichen Lippen kamen: Gehen Sie jetzt, guter Mann! Versöhnen Sie sich mit Ihrem Herrn Bruder, der, wie Sie wol wissen, ist Ihr ärgster Feind gewesen! Ich bleibe auf der Villa! Sie wissen! Ich speise heute – bei – meinem – Vetter –!

Der Küfer besann sich. Auch er war in verwandter Stimmung. Er wußte ja, daß im alten, Anno 1830 renovirten Hause der Aeltern eben jetzt sein Bruder Melchior zu Tische ging mit seiner Familie. Er wußte, daß es seit einem Jahrhundert dort heute Klöße, gekochte Birnen und Speck gab. Er verlangte nicht, nach der Rechtfertigung des Pfarrers sofort mit Darreichung des Handschlags vom Bruder empfangen zu werden. Dazu war zwischen ihnen beiden der Berg zu hoch gewesen. Aber ein kurzes: »Stephan, du bist's?«; ein aufrichtiges, ehrliches, deutsches: »Melchior, ich bin's!« dann ein Schweigen von Seiten Melchior's und ein Deuten blos auf den Mittagstisch und die Worte: »Willst du mithalten?« – mehr verlangte Stephan nicht. Mehr bedurft' es auch nicht zur Aussöhnung. Endlos ist das Volk in Verstandesdingen, kurz in Herzensdingen.

Seligmann versuchte alle Sorgen abzuschütteln. Die entferntern entlud er auf die Weisheit, hochherzige Besonnenheit und Beredsamkeit Veilchen's. Er hatte von ihr gehört, daß der Mönch Sebastus jenes Portefeuille verloren hatte. Eine Weile hatte er gedacht, sich zu rächen für die bei Meister Klingelpeter erlittene 102 Behandlung. Bald aber trat das Stadium der Ergebung bei ihm ein – er überließ die ganze Enthüllung und Untersuchung der Bedeutung, welche der Inhalt des Portefeuilles für den Küfer haben durfte, dem klugen und besonnenen Mädchen. Für jetzt aber warf er auch die nächsten Veranlassungen zum Unmuth aus seinem Gemüth. Er stieg in das Souterrain der Villa, wo neben dem französischen Koch, Herrn Jülien, Regine waltete, die der jungen Madame Fuld ihre Aeltern von Wien mitgegeben, um zu sorgen, daß sie nicht zu sehr den Zusammenhang mit den Vorschriften des Talmud dem vornehmen Weltleben ihres Gatten opferte. Waren keine Gäste da, so hatte Regine den Oberbefehl und duldete am Kalbsbraten keine Butter, am Rehbraten keinen Rahm, nie Aale, nie die Verwechselung der Geschirre, je nach dem Inhalt, der darin gewesen, und wie sonst die Vorschriften eines Glaubens lauten, der – die Grundlage unsers eigenen ist.

Seligmann lächelte sanft, die Freude Reginens zu beobachten, wie sie einen »Vetter« ihrer Herrschaft kennen lernte, wenn auch nur im Souterrain. Sie kannte das auch schon von Wien, wie die Verwandtschaften der Reichen buntgemischt sind. Allerdings sagte der Koch streng abweisend: Der Rehbraten sein erst dann zu dividir, wenn er zurückspazir' da le Table! Aber Seligmann war es nicht gerade um den Rehbraten, sondern nur um die Ehre zu thun. Er wartete den Gang der Ereignisse ab. Das freundliche Plauschen der alten Wienerin weckte ihm allmählich wieder eine frohere Musik der Seele.


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