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Neuntes Capitel.

Die Stadt Rom.

Auf einem seidnen Kanapé, den Kopf in ein Rückenkissen gelehnt, ein großes Kupferwerk durchblätternd, lag ein nicht mehr junger Mann wie ein Taschenmesser zusammengeklappt. Der fast haarlose Kopf war von einer eigenthümlichen spitz zulaufenden Bildung. Die hohe Stirn, die freien Schläfe leuchteten fast chinesenhaft, dagegen war die Pflege des Bartes türkisch. Die Augen zwinkerten aus mehr ovallänglichen als runden Höhlen und lagen tief versenkt. Um den Mund, der zuweilen aus einer Bernsteinspitze eine Cigarre wieder neu anblies, erkannte man trotz des reichen gefärbten Bartwuchses die zuckenden Schlänglein der Ironie und Satyre, die sich zuweilen in große Falten verwandelten, wenn der Sonderling das Buch fortlegen, die Cigarre aus dem Munde nehmen und über irgend etwas, was ihm plötzlich einzufallen schien, laut lachen mußte. Ein dunkelblausammetner Schlafrock mit gelben Schnüren besetzt hüllte die kleine Figur des kahlköpfigen Schwarz-Bärtlings behaglich ein und vermehrte den orientalischen Typus, der noch durch die Vorhänge des Zimmers und den mit gewirkten Teppichen bedeckten Fußboden erhöht wurde.

Das große von dem die behaglichste Siesta genießenden Manne durchblätterte Kupferwerk waren die Abbildungen der in Niniveh ausgegrabenen Denkmäler. So sehr ihn diese abenteuerlichen Steinmassen, diese kolossalen Thier- und Götzen-Steinbilder zu interessiren schienen, so frisch und rege mußte doch auch noch ein andrer in ihm nachwirkender Gegenstand ihn ergreifen. Dieser war komischer Art, zum Lachen reizend, zum lautesten Lachen...

Vor ihm, der zusammengekauerten, mit einem türkischen Fez auf dem Haupt bedeckten Gestalt, stand auf einem runden Tische eine, wie es schien, längst ausgetrunkene Chokoladentasse und eine Karaffe frischen Wassers, die ebenfalls fast ganz geleert war. Der weiße Porzellanofen verbreitete eine angenehme Wärme und die Größe der Fenster bewirkte, daß trotz der Vorhänge und der unfreundlichen düstren November-Witterung das Zimmer noch leidlich hell war, obgleich es schon weit über Mittag schien.

Der kleine Bewohner dieser behaglichen, durch Treibhausblumen geschmückten Räumlichkeit klingelte nun. Ein Schellenzug hing grade über seinem etwas zu vollkommenen Rücken.

Ein Neger in phantastischem, doch warmem Anzuge trat ein. Er hatte eng anliegende, rothe Unterkleider, die bis zu den Füßen gingen. Die Füße waren mit gelben Stiefeln bedeckt. Doch über den warmen Unterkleidern hing eine griechische kurze Jacke und noch ein eben solches sehr weites, aber kurzes Beinkleid. Die Jacke und das zweite Beinkleid reich mit Goldtressen geschmückt. Um den Hals hing dem Schwarzen ein stark vergoldeter Reifen, der doch wohl inwendig weich gefüttert war und eine Cravatte von Metall vorstellen konnte.

Nun, Spartakus, wurde der Neger von seinem im Lachen sich endlich beruhigenden Herrn angeredet, ist Alles bereit, wenn meine Gäste kommen und mit mir speisen werden?

Spartakus nickte.

Noch immer traurig? sagte der Andre. Siehst du nicht, daß ich lachen muß?

Damit lachte sein Herr und rief den Diener näher.

Zerstreue dich, Spartakus, sagte er und zeigte ihm einige von den Bildern in dem großen Kupferwerke. Siehe, so bauten die Menschen ihre Kirchen, als noch der gute Prophet Jesus nicht auf Erden war –

Spartakus verneigte sich bei dem heiligen Namen.

Damals, Spartakus, als man so baute, war vom Taufen noch nicht die Rede. Die Menschen waren blinde Heiden, wie es du und deine Alten in Angora waren. Aber Priester hatten sie doch und in einer solchen Zelle, wie du da siehst, zählten sie vielleicht, was der Klingelbeutel eingebracht hatte, der sicher auch bei jenen Götzendienern, wie hier, herumging.

Spartakus nickte stumm zu diesen in englischer Sprache geäußerten kirchlich archäologischen Bemerkungen.

Ist Cicero noch nicht zurück? fragte der Freund der babylonischen Baukunst.

Spartakus schüttelte den Kopf.

Du bist sprachlos, armer Spartakus! Du hast unsre treuen Reisegefährten verloren. Die Papageyen sind fort, die Affen und die Meerkatzen nun auch. Wer weiß, ob ich nicht auch...

Spartakus warf sich Otto von Dystra – denn dies war der humoristische, kleine Cigarrenraucher, der Türke im Schlafrock – auf dies gezogene: »Ob ich nicht auch« mit leidenschaftlicher Gebehrde zu Füßen...

Wetter, was soll Das? rief Dystra und brachte mit gespitztem Munde einen Laut, etwa wie: Huit! hervor, den man mit dem Klange einer kräftig geschwungenen Peitsche vergleichen konnte.

Die Wirkung war elektrisch. Spartakus sprang nach diesem Huit! auf, als wäre er wirklich von einer Peitsche getroffen worden.

Da – aqua fresca – Huit!

Spartakus hatte die leere Caraffe von seinem Herrn bezeichnet erhalten, ergriff sie und sprang hinaus wie ein Hund, der zum Apportiren dressirt ist.

Wie er die Thür zum Vorzimmer öffnete, stand draußen ein Mann in einem mit Pelz verbrämten grünen Schnurrock, eine Mütze in der Hand...

Spartakus wollte ihn nicht einlassen...

Ein kräftig gepfiffenes wiederholtes Huit! aber unterbrach wieder seine dienstfertige Zurückweisung und der Fremde, der es für Dystra nicht war, trat ein.

Willkommen! Willkommen! sagte Dystra mit freudiger Begrüßung und reichte dem Eintretenden, einem schlankgewachsenen, nicht mehr jungen Manne mit kräftigem rothem Bartwuchse die zarte, fast weiblich weiche Hand. Willkommen, Inspektor! Meine Vorzimmerteufel haben doch sonst kein so schlechtes Gedächtniß...

Es muß wol der Andre sein, sagte der Eintretende, den ich in Buchau gesehen habe... wie soll man diese beiden geputzten Schornsteinfeger nur unterscheiden –?

Der Eine, sagte Dystra und nöthigte den Besucher sogleich zum Sitzen, der Eine ist so alt wie der Andre, gleicher Wuchs, gleiches Haar, gleiche Nüstern und Zähne haben sie auch. Aber der Andre, den Sie von Buchau kennen, hat ein Mahl wie eine Erbse groß am Kinn, eine sogenannte Kichererbse und der zu Liebe nannt' ich ihn Cicero...

Cicero! Ganz Recht! Ich glaubte, Sie hätten ihm diesen Namen seiner stummen Beredtsamkeit wegen gegeben.

Englisch macht Cicero seinem Namen Ehre, aber das Deutsche will sich ihm nicht recht abgurgeln. In Deutschland mag er seinem Namen durch die Kichererbse Ehre machen, von der Markus Tullius den Beinamen empfing. Der Schlingel da heißt Spartakus. Ich gab ihm diesen Freiheitsnamen, als ich ihn von einem Pflanzer in Charlestown loskaufte. Spartakus und Cicero sind Brüder, Kinder eines Kammerdieners bei Sr. Majestät dem Kaiser irgend eines Negerstammes in Angora. Wenn diese Majestät gern einen neuen Rock anziehen will, verkauft sie regelmäßig die Kinder ihrer Lakaien wie junge Katzen. So kamen Beide nach Charlestown, wurden da getauft, gingen zehn Jahre bei der Peitsche in die Schule und wurden von mir angekauft, weil ich ein sehr tyrannischer Herr bin. Ich dachte mir, Lakaienkinder, die die Launen einer afrikanischen Majestät kennen, werden sich mit Geduld in die meinen finden. Statt der Peitsche brauch' ich aber nur den Laut davon zu geben und habe dieselbe Wirkung. Wie geht es Ihnen, Inspektor? Ich freue mich, daß Sie so bald Wort hielten! Bringen Sie mir die Möglichkeit, daß ich die alte Ruine an dem malerischen Strome ankaufen kann?

Herr Baron, wirklich, das alte Steingeröll? Was wollen Sie mit einem so unwirthbaren Boden?

Ich bin kein Ökonom, Mangold. Ich komme zum ersten Male wieder nach längerer Trennung auf diese deutschen Fluren und bin vom Anblick der liebenswürdigen feudalen Erinnerungen so hingerissen, daß ich mir eine solche Ritterburg rein als mittelalterlicher Dilettant ausbauen möchte. Ich denke mir es reizend, in einem mittelalterlichen Gebäude mit allem Comfort und den Gedanken der neuen Zeit zu wohnen. Ein Kapitel von Voltaire, gelesen auf einem Burgsöller, Caviar und Austern verzehrt in einem Ahnensaal! Die Zeiten entwickeln sich spiralförmig. Gehen, Kommen, Altes, Neues. Ich finde die Lage jener alten zerstörten Burg reizend. Der Blick über den Strom, zu den fernen blauen Bergen hin weckt allein schon jenen Frieden, den man nicht so leicht unter andern geographischen Bedingungen erwerben kann. Nein, nein, es ist mein fester Ernst, ich kaufe diesen Felsen, diese Zerstörung, diese Steinmassen, und bitte Sie, den Inspektor der königlichen Gärten, den Aufseher des königlichen Schlosses Buchau, Ihren ganzen Einfluß anzuwenden, daß ich jenen Punkt in Deutschlands äußerstem Westen erobere.

Ich verspreche Ihnen, mein Möglichstes zu thun, Herr Baron.

Wie kommen Sie so rasch wieder in die Residenz zurück, Mangold?

Sie erinnern sich, daß ich, als Sie Buchau besahen und den nahegelegenen Tempelstein erstehen wollten, um ihn auszubauen – Sie erinnern sich, daß ich sagte: Ich folge Ihnen bald, ich bin gezwungen, die Residenz, die ich kaum vor vierzehn Tagen verlassen, schon wieder zu sehen...

Dystra verfiel jetzt wieder in jenes Lachen, das schon vorhin seine archäologischen Studien über die alten Bauten von Niniveh unterbrochen hatte...

Mangold (es war jener Inspektor des Gartenschlosses Solitude, der Auguste Ludmer von der Residenz entfernen sollte, nach Buchau versetzt und wirklich dorthin abgegangen war) Mangold fragte lächelnd nach der Ursache seines Humors.

Sie wissen, Inspektor, sagte Dystra, daß ich Ihnen schon in Buchau, als Sie von Ihrem frühern Chef, dem Geheimrath von Harder erzählten, bemerkte, ich glaubte gewiß zu sein, daß dieser Harder ein ehemaliger Bekannter von mir ist, als ich noch hier studirte und leider zu sehr nur mit dem talentlosen Theile der exclusiven Gesellschaft zusammenkam. Richtig, es ist derselbe. Heute früh, vor wenigen Stunden, hatt' ich die Überraschung seines Besuches. Er umarmte mich mit Förmlichkeit und rückte mit der Bitte heraus, ich möchte ihm meine Affen und Meerkatzen, die ich von Amerika mitgebracht, leihen, um Goethe's Faust zweckmäßiger in Scene zu setzen.

Er ist Intendant des königlichen Theaters geworden und hat mich in dieser Eigenschaft per Expressen zum dritten Male auffordern lassen, hieherzukommen. Ich mußte willfahren...

In dieser Eigenschaft? Sollten Sie vielleicht die Gartenscene in Faust arrangiren?

Bitte, ich unterbrach Sie, Herr Baron...

Sie müssen wissen, ich habe dieses Gethier aus Amerika mitgebracht, nur um es zu verschenken. Es ist mir persönlich zur Last. Ich dachte: du hast eine Menge Freunde und Bekannte, die sich inzwischen verheiratheten und vielleicht keine Kinder haben. Da verschenkst du Papageyen. Einige Mädchen blieben unvermählt, wurden alt und sehnen sich nach Gegenständen ihrer Zärtlichkeit. Für diese bracht' ich einige Exemplare einer vorzüglichen Sorte Windspiel-Pinscher mit, die in Boston durch eine Über-Kreuzbegattung sehr gut gezogen werden. Die Affen und Meerkatzen hofft' ich bei einigen alten Junggesellen, die sich selber rasiren und bei diesem edlen Geschäfte stundenlang zubringend ohne Unterhaltung sind, loszuwerden. Die Papageyen bin ich los. Die Boston'schen Windspiel-Pinscher gleichfalls. Aber meine Affen und Meerkatzen blieben mir auf dem Halse. Wo ich hinhorchte, um sie an Kindesstatt auszusetzen, hört' ich: Bester Freund, das Ablösungsgesetz! Personalsteuer! Unsre Grundgefälle! Die Laudemien! Einschränkungen! Verringerung des Hausstandes! Drei Stallknechte entlassen! Genug die verdammten Meerkatzen blieben mir; da half Ihr ehemaliger Chef aus der Noth. Er wollte diese verteufelten Thiere nur haben, damit sie das Ballet als Modell studirt. Ich habe ihm aber klar und deutlich bewiesen, daß die dramatische Kunst in einer solchen Entwickelung überall in Europa, Asien und Afrika begriffen wäre, daß sie ohne ein Hülfs- und Ergänzungspersonal von lebendem Geflügel und vierbeinigem Gethier nicht bestehen könne. Er würde sich ein Verdienst erwerben, wenn er die Zauberflöte, die hoffentlich in Deutschland noch nicht vergessen ist, mit einer wirklichen Menagerie neu in Scene setzte. Diese Idee schien ihm im höchsten Grade einleuchtend. Ich schilderte ihm, welches Aufsehen er machen würde, wenn er die unsterbliche Zauberflöte Mozart's neu ausstattete mit Dekorationen, neuen Kostumes, Wasserfällen (da ich den Niagara kenne, würd' ich ihn unterstützen) mit Feuergluten, besonders aber mit wirklichen lebenden Thieren, höchstens die Schlange ausgenommen, die dies herrliche ägyptische Freimaurermärchen eröffnet...

Excellenz sind Freimaurer –

O ich sage Ihnen, Mangold, es erschien ihm im höchsten Grade plausibel. Die Bewegungen einer sterbenden Schlange, sagt' ich ihm, würden sowol meine beiden Bedienten, wie ich selbst, der ich solchen Scenen genugsam beiwohnte, ihm höchst anschaulich vormachen. Dann bewies ich ihm, wie die Thiere, die das Glockenspiel bändigt, wie die Bestien, die den Papageno erschrecken, wie die Gestalten, die dem Tamino zurufen: Zurück! durch ihre Natürlichkeit den Reiz des Abends nur vermehren würden. Genug, es ist beschlossen, daß ich meine Affen und Meerkatzen für immer los bin. Die Kosten für deren dauerndes Engagement beim königlichen Hoftheater – ich nannte ihm alle alten Stücke, wo sie könnten angebracht werden – hofft er aus Ersparungen bei Dichterhonoraren zu bestreiten. Ich hoffe, die deutsche Literatur leidet nicht darunter, sonst nähm' ich die Thiere, die Cicero eben in den Dekorationsspeicher des königlichen Theaters gefahren hat, gern wieder zurück, so unausstehlich mir auch nachgrade ihre Capriolen und ihre menschenähnlichen Vertraulichkeiten wurden.

Ein lautes Schluchzen im Vorzimmer unterbrach diese von dem kleinen im Vorzimmer gravitätisch auf und abschreitenden Mann launig vorgetragene Erzählung.

Mein Himmel, was ist denn Das wieder? rief der Tourist, der sich gern einen Weltspaziergänger nannte; heulen diese schwarzen Kaiserlakaiensöhne um meinen verringerten Hofstaat?

Damit öffnete er, pfiff sein: Huit! und fragte auf Englisch: Was gibt es da? Cicero, was plagt dich wieder? Kommt dir wieder was vom bösen Geiste vor, den ihr schwarzen Engel in Angora als weiß angebetet habt?

Obgleich Cicero der Beredtsame hätte sein sollen, so war es doch Spartakus, der das Wort ergriff und mit untermischtem Schluchzen die Worte vorbrachte:

Popo fort – Wauwau fort – Zickzick fort – Prinzeß Pompadour fort – Alles fort –

Um diese Kameraden macht Ihr den Lärm? Ihr Narren! Hol' Euch der weiße Geist und noch ein aschgrauer! Die ganze Stadt Rom hier wird über Euer Heidenthum zusammenlaufen – Schämt Euch –

Nicht die Thiere kneipen uns, sagte der beredte Spartakus mit der goldnen Ringcravatte (Cicero trug eine silberne), nein, Massa! Du sagst auch: Spartakus fort! Cicero fort!

Ah, Das ist Euer Kummer? Ihr denkt, ich nahm Euch nur mit, um Euch an meine alten Freunde zu verschenken, wie meine Papageyen und Boston'schen Windspiel-Pinscher?

Spartakus und Cicero schluchzten bejahend und verriethen, daß Das ihr ganzer Kummer wäre.

Hat Euch vielleicht der Geheimrath von Harder scharf in's Auge genommen?

Ja, Massa! sagte Cicero.

O Das ist einzig, wandte sich Dystra zu Mangold. Die Zauberflöte scheint Ihrem Chef zu Kopf zu steigen. Es ist ihm etwas von einem Mohren Namens Monostatos eingefallen. Geben Sie Acht, er hat es in seinem wüthenden Gründlichkeitseifer auf meinen Cicero abgesehen, um die Vorstellung vollkommen zu machen. Nein, nein, Ihr schwarzen Krausköpfe, ich hatte zwar so etwas im Sinne, dich Cicero an die Fürstin Wäsämskoi, dich Spartakus an Comtesse Olga zu verschenken, allein da Ihr doch so dumme Teufel seid und die Menschen liebt, die Euch nur ein moralisches Huit! mit der Zungenpeitsche geben, so will ich Mitleid haben und Euch so lange bei mir behalten, als wir Alle zusammen das Klima von Buchau hinterm Rheine vertragen können.

Wie die beiden Neger diese Trostesworte hörten, stießen sie ein heulendes Freudengeschrei aus, küßten Dystra's Hände und wollten sich vor ihm niederwerfen, was er aber mit den Worten verhinderte:

Gut! Gut! Es ist schon abgemacht! Sorgt für unser Diner und betrinkt Euch erst, nachdem Ihr servirt habt, hört Ihr?

Mit diesen Worten schloß Dystra die Thür und konnte nicht anders, als Mangolden Recht geben, der über diese Scene seine Freude äußerte...

Welche Dankbarkeit! sagte Mangold. Welche Hingebung und Liebe! Sie würden lange bei uns suchen dürfen, bis Sie so viel Anhänglichkeit fänden.

Diese Treue steht hoch und niedrig, wie man es nimmt, antwortete Dystra. Es ist die magnetische Gewöhnung dieser Menschen an meine Persönlichkeit und nicht nur die moralische Persönlichkeit, sondern gradezu die physische. Wir ignoriren in der That den Körper zu sehr, wir achten ihn zu gering und sind darum auch im Geiste zurückgeblieben. Wenn man die Menschheit immer nur dem Geiste nachjagen sieht, so kommt sie aus der Bahn ihrer Natur und verirrt sich aus lauter intellectuellem Drange oft in's Grausame und Unnatürliche. Mir ist dieser ganze Wirrwarr in Europa ein unnatürlicher, dem innersten Menschenthum entrückter. Wir haben uns zu sehr auf die Potenzirung unsrer Empfindungen verlassen, sind in den feinen Sonnenstäubchen der idealischen Welt zu sehr verloren! Niemand will irren, Jeder will wahr sein und Alles lügt. Ich suche Menschen, die das Geheimniß des Daseins in sich selber suchen, in der Entwickelung der Natur, die ihnen die Geburt einmal mitgab, ich finde sie nicht. Ein Gespinnst von Ideologie, das hier Alle in Kirche, Staat, Gesellschaft beherrscht, umwickelt die Handlungen dieser ganzen Generation, die in himmlischen Leibern schon auf Erden wandeln will und in Zorn und Wuth geräth, wenn sie an die Bedingungen ihres Daseins, die Luther doch den alten Madensack nannte, erinnert wird. Aber was wollte denn mein alter Freund der Intendant? Ich staune, wie gehänselt und genarrt ich diesen ehemaligen unanstelligen Mann verließ und was für ein großes Thier ich in ihm wiederfinde! Diesem Manne überträgt die unverbesserliche Etikette des Hofes die Fürsorge für ein geistiges Institut! Das erinnert mich an die russischen Generale, die man in Moskau zu Direktoren der schönen Künste und Wissenschaften macht.

Ich habe, berichtete Mangold, zehn Jahre mit diesem Manne gemeinschaftlich die Gartenkultur der königlichen Lustschlösser gepflegt und ihn als einen zwar beschränkten und in der Erziehung vernachlässigten, aber dennoch ehrgeizigen und in seiner Art wirklich thätigen Menschen kennen gelernt. Da er das Große nicht fassen und übersehen kann, hält er sich an das Kleine und zieht alle Gegenstände seiner Amtssorge in diese geringe Sphäre herab, in der er vermittelst seiner adligen und Hofwürde doch groß erscheint. Als gehorsamst Untergebener ließ ich ihn walten und schalten und that doch Das, was gethan werden mußte. Meine Ideen wurden, wenn er sie mir gegenüber auch bestritt, andern Menschen gegenüber die seinigen und regelmäßig geschah es, daß er sie dann auch mir gegenüber als seine Befehle ertheilte, indem er entweder seine fr&üuml;her abweichende Ansicht vergessen hatte oder sich seines klugen Handgriffes schon bewußt war. Denn ohne Schlauheit ist er nicht und von der Vorstellung, daß alle Menschen im Grunde schlecht sind und gegen ihn konspiriren könnten, entlehnte er noch die ganze Thatkraft, deren er fähig ist. Ich spreche scharf über ihn, weil man mir in seiner Umgebung übel mitspielte. Ich dankte meinem Schicksal, von ihm frei zu sein. Da läßt er mich durch einen Expressen von Buchau holen, bezahlt die Eisenbahn, alle Kosten der Reise und bietet mir an... Was denken Sie wol?

Daß Sie ihm seine eignen Gewächshäuser vor dem Winterfrost schützen sollen?

Nein, Herr Baron! Ich möchte meinen Posten, dem ich vorstehe, aufgeben und mich von ihm in seiner neuen Verwaltung anstellen lassen.

Hören Sie, sagte Dystra, Das erinnert an die Anhänglichkeit meiner Mohren! Darin find' ich Naturwärme, Liebe, Geistesinstinkt!

Wenn es Das wäre! Nein! Er gestand mir offen, daß er sich nicht ganz sicher in seiner Sphäre fühle. Er hätte einen Sachkundigen sich empfehlen lassen. Der aber wäre ein Spötter, lache oft sonderbar und blinzle den Andern zu, die mit ihm in einem Komplotte zu stehen schienen. Das Kunstwesen lerne sich! Weg mit diesen Intriguanten! Ich brauche nur ehrliche Menschen um mich, Menschen, die nicht hinter meinem Rücken Verschwörungen machen! Ich bin die Hauptsache an dieser Kunstanstalt! Sie kenn' ich, Mangold, Sie sind treu und brav. Bleiben Sie bei mir. Ich brauche unter diesem geriebenen Volke Einen, der es mit dem Chef wahrhaft gut meint, und Das sehen Sie doch selbst, der Chef muß der Chef sein, der Chef ist immer das Ganze, der Chef ist die Anstalt selbst!

Und was thaten Sie auf diese Bitte, die charakteristisch ist?

Ich schlug sie ab.

Sie sind hartherzig, Mangold!

Ich kehre nach Buchau zurück. Diese adlige Familie, der ich Treue und Anhänglichkeit genug bewies wie ein Hund, hat mich auch mishandelt wie einen Hund.

Sie sind erregt, Mangold?

Mit Füßen hat sie mich getreten – im Herzen fühlbar – o, Herr Baron – ich sagte schon, ich bin ein Mensch ohne Raffinement und passe nur nach Buchau. Kaufen Sie sich den Tempelstein! Auf dem königlichen Gartenamt hört' ich, daß kein Geld da ist, jetzt Ruinen auszubauen. Sie bekommen den Felsen, bekommen die Steine, die Wiesen am Berg, auch die Ruinen der alten Tempelabtei, die noch Jeden feierlich stimmten – wir leben da ruhig als Nachbarn und Sie erzählen von Ihren Reisen, den tausend Denkwürdigkeiten, die Sie gesehen...

Darf ich nicht wissen, Mangold, warum Sie die Menschen fliehen... ich habe die große Schwäche, an Andern praktische Psychologie zu treiben. Im gewöhnlichen Leben nennt man Das neugierig sein.

Ich fliehe nur die schlimmen – vielleicht finden sich gute, die wir mitnehmen –

Mangold sagte diese Worte mit einem vertraulich blinzelnden Auge, sodaß Dystra lachte und sagte:

Mangold, Sie sind mindestens vierzig Jahre, aber ich sage Ihnen, Schwab, Sie sind verliebt! So kann nur ein Verliebter blinzeln.

Mangold strich seinen rothen Bart und die wasserblauen, klaren Augen leuchteten vor innerer Bewegung.

Sie sind ein gereister und kluger Herr, rathen Sie mir, Herr Baron – sagte er und erzählte ihm nun zuvörderst die Anknüpfung seines Verhältnisses mit Auguste Ludmer und das Ende desselben. Otto von Dystra hörte theilnehmend zu und fand die Intrigue, ihn zur Entfernung einer lästigen Anverwandten zu benutzen, abscheulich, seine Leichtgläubigkeit aber, wie er ihm offen gestand, komisch. Über das Gewissen, das sich Mangold wegen Augusten's Selbstmord machte, tröstete er ihn mit den Worten:

So ist nun einmal unser Leben, daß Einer des Andern unbewußter Mörder wird! Die größte Liebe kann sich zur Veranlassung wechselseitigen Verderbens werden. Darüber, daß man zum Werkzeuge der Vorsehung gewählt wurde, hat der Mensch sich kein Gewissen zu machen.

Da ich nun doch einmal hier war, fuhr Mangold fort, so führte mich's wieder den Spuren des unglücklichen Mädchens nach. So hört' ich auf einem einsamen Kirchhofe, daß sie hier eingescharrt wurde und ein alter Mann den Sarg begleitet hätte. Mit einer schwarzen Binde? fragt' ich. Ganz recht, hieß es. So war es Derselbe, den ich an jenem Abende bei ihr traf und mit dem sie früher gegangen war. Daß er ihrem Sarge hatte folgen können, überraschte mich doch. Ich beschloß, den Mann aufzusuchen. Auf nähere Erkundigungen hört' ich, daß er Murray hieß und ein Engländer sein sollte...

Wie nannten Sie ihn? fragte Dystra aufmerksam.

Murray, wiederholte Mangold und fuhr, da Otto von Dystra nichts weiter zu erinnern fand, fort:

Ich glaubte, ein so leichtsinniger alter Mann, der an ein unglückliches Wesen dieser Art Ringe und Armspangen verschwendete, würde im Glanz und Wohlleben, wenigstens anständig wohnen. Wie erstaunt' ich, als ich ihn aufsuchte und mich in die dunkelsten und entlegensten Gassen verlor. Endlich Brandgasse Nr. 9 fand ich in einem Hinterhofe über drei schwindelerregenden Treppen, mitten in Armuth und Elend, seine Wohnung, aber ihn selber nicht. Er war verreist. Diese Auskunft gab mir seine Vermietherin, bei der er zwei elende Kämmerchen auf einer offnen Gallerie hinter Eisenstäben bewohnte. Das Mädchen wußte wenig mehr von Master Murray, als daß er ein Geizhals sein müßte, der in Anfällen von Großmuth schöne Geschenke mache. Sie zeigte mir einen kostbaren Ring, den sie von ihm für ein Glas Wasser bekommen hätte...

Das ist Diogenes in der Tonne! sagte Dystra. Er zieht ein Glas Wasser allen Capweinen vor. Man kommt zuletzt dahin.

Freilich auch, fuhr Mangold mit einer Art schamhafter Verlegenheit fort, freilich auch dargebracht von so weißen, zarten Händen, mit so freundlicher Miene, unter so rührenden Umgebungen! Dies Mädchen, Louise Eisold ist ihr Name...

Teufel! sagte Dystra; Sie sind sehr verliebter Natur, Inspektor! Und die neue Bekanntschaft schlug ein, sie geht mit nach Buchau und wir sind vom Frühjahr an zu Drei Nachbarn?

Das ist noch weit im Felde!

Neue Schwierigkeiten?

Das Mädchen lachte mich aus, als ich ihr gleich nach dem dritten Worte sagte: Ich möchte sie heirathen...

Sie hielt Sie mit Recht für einen Don Juan.

Mangold seufzte und verrieth, daß er noch nicht am Ziele seiner Wünsche war. Leider, sagte er, ist schon Einer da, der die Hand auf sie gelegt hat...

Lassen Sie sich nur nicht wieder wie bei der Auguste –

Nein! Das hatt' ich gleich weg, ich gefiel ihr besser als der...

Mangold nahm Anstand, Danebrand's Wuchs zu erwähnen. Der Baron war eine Miniaturausgabe von dem Schleswiger Kanonenträger. Er unterbrach sich:

Eins, sagte sie, gefällt mir an Ihnen!

O die Kokette!

Ihr Amt, sagte sie, Ihr Wohnort, fern von hier, weit weg, in der schönen Gottesnatur – weg von diesen elenden Menschen, von diesen Dachkammern, diesen Katzen und Nachteulen – die aber doch noch besser als die Menschen sind...

Sprach sie so? Haben Sie in Buchau auch eine Leihbibliothek, Mangold! Viel Bücher werden Sie für die Dame nöthig haben.

Wirklich! Manchmal wie ein Buch! Sogar in Redensarten, die sich reimen –

Mangold, Mangold, vorsichtig! Die Emancipation der Frauen fing bei den Grisetten an und scheint jetzt bei ihnen wieder aufzuhören...

Vorsichtig Herr Baron? Diesmal bin ich's. Sie sollten sie sehen, unter ihren kleinen Geschwistern – fünf, sechs Geschwister... wie wir vorgestern Abend Alle Punsch tranken... da...

Was? Schon Punsch? Und doch noch Tugend?

Herr Baron, wenn ich wo sage: hier gefällt's mir, dann muß es lustig hergehen. Ich legte gleich Hut und Stock ab, die Geldbörse heraus, Kaffee, Kuchen, Alles herbei!... was konnte sie machen? Die Kinder sprangen ja deckenhoch. Sie hungern ja halb. Ich nahm Besitz von der Familie, als wär's schon meine eigne. Sie weinte fast, erst vor Zorn, dann vor Scham und zuletzt vor Kummer und Liebe zu den Kindern. Die leckten und schleckten! Ich pfiff ihnen Liedchen. Das jüngste nahm ich auf den Schooß und küßt' es mit meinem garstigen rothen Bart und küßt' es ganz wund. Aber es strampelte und zauste mich und ich gefiel dem Würmchen. Die Louise weinte und bat mich zuletzt flehentlich, ich sollte gehen; es käme Einer, den sie selbst nicht möchte, der sie aber liebe und den sie würde nehmen müssen. Da ging' ich und am Morgen war ich doch wieder da und saß wieder bei ihr am Nähtisch, sie mocht' es leiden oder nicht und die Taschen hatt' ich wieder voll Äpfel, voll Nüsse, voll Birnen. Da wurde denn ausgetheilt, gesprungen, gesungen. Danebrand, so heißt mein Nebenbuhler, kam gar nicht. Ich will ihn in der Willing'schen Maschinenfabrik besuchen und ihm aufrichtig meine Vorstellung machen. Er wird in sich gehen, er ist... er hat... Kurz, Baron, ich bring's schon dahin, daß ich ein gesundes, gutes, frisches, saubres, gescheutes Mädchen heimführe und gleich das ganze Nest mit Kindern auch ausnehme und in Buchau Alles lebendig damit mache. Halten Sie sich nur dran! Das Gartenamt schlägt Ihnen den Tempelstein zu. Man braucht Geld, um die Erinnerung an Herrn von Harder's Verwaltung zuzudecken! Dann bauen Sie aus und was die Frau Liebste anlangt, mein' ich fast, es wäre nun auch für Sie Zeit, Herr Baron...

Dystra schwieg. Der Jubel des Mannes rührte ihn.

Nichts für ungut, Herr Baron...

Es wäre Zeit! sagte Dystra. Er nahm den Fez ab. Sehen Sie nur meinen chinesischen Kopf, den die Jahre geschoren haben, vielleicht auch ein wenig der Sonnenstich von Nubien und Abyssinien...

Cicero trat bei diesem Akte der Selbsterkenntniß, den Otto von Dystra vor dem Spiegel ausführte, bestürzt ein und meldete mit Staunen und Befangenheit, daß es erst vier Uhr und einer der Gäste schon da wäre.

Es war der Pfarrer Rudhard, der dem Schwarzen folgte.

Erschrecken Sie nicht, Baron – sagte Rudhard, der in schwarzem Frack und noch weißerem gebleichten Haar, als wir früher an ihm sahen, eintrat – erschrecken Sie nicht, Baron! Ich weiß, Sie diniren um fünf –

Bester Pfarrer, ich habe noch keine Toilette gemacht...

Thun Sie Das in meiner Gegenwart! Legen Sie sich keinen Zwang an! Ich komme früher, weil ich Sie –

Er sah auf den Inspektor, der schon im Begriff gewesen war, sich zu empfehlen...

Adieu, Herr Baron, sagte Mangold.

Stör' ich? war Rudhard's höfliche Entschuldigung.

Wir waren schon nahe daran, grade den Pfarrer zu brauchen, bemerkte Dystra mit Beziehung auf den heirathswüthigen Mangold...

Nein, nein, sagte Mangold, so weit sind wir noch nicht. Aber Sie sollen's bald erfahren. Noch einige Tage bleib' ich. Wegen dem Tempelstein können Sie getrost oben anfragen. Und nun Adieu, Herr Baron!

Damit empfahl sich der gute Mangold bis auf Weiteres und ließ den ihm so wohlwollend gesinnten Baron mit Rudhard und Cicero allein.

Schon gut, schon gut, Cicero, bemerkte Dystra, beruhige dich nur! Noch eine Stunde ist Zeit. Liegen da meine Kleider? Gut! Jetzt geh!

Cicero ging erleichtert. Die beiden Männer, die uns an die fern in Italien unter Goldorangen schwärmende Olga Wäsämskoi erinnern und die ganze Verwickelung einer zu tragischen Konflikten reifen Familie zurückrufen, standen sich allein gegenüber. Otto von Dystra schlug die großen Kupferwerke zu, räumte den Tisch in Ordnung, trug Rudhard selbst einen Sessel zu und verrieth, daß er doch nicht moderner Philosoph genug war, um über Das, was zwischen diesem ehrwürdigen, ruhigen, gefaßten Besucher und ihm jetzt zu verhandeln sein mußte, ganz ohne Erregung zu bleiben.


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