Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Sie waren bei der Fürstin Wäsämskoi, Egon? begann Pauline und lauschte behutsam auf die Stimmung ihres geliebten jungen Freundes, der in schwarzem Frack und weißer Halsbinde zwar erschöpft, fast leidend, aber mit der ihm eignen Würde und Haltung an seiner gewohnten Stelle saß und sich langsam die Handschuhe auszog.
Ich hielt es für meine Pflicht, einmal wenigstens meine Karte abzugeben, sagte er mit fast tonloser Stimme, heiser, angegriffen. Rudhard ist so aufmerksam gegen mich, besucht mich, wenn er nur eine Minute erübrigen kann –
Sind Das aber auch immer die Minuten, die grade Sie frei haben? Belästigt Sie der Mann nicht?
Die Geheimräthin strich mit der Hand des Fürsten Stirn. Sie erschrak über seine Abspannung.
Ich höre Rudhard gern. Es gibt mir Muth, meinen weiland Lehrer, den ich so hochachte, mit mir in Übereinstimmung zu wissen.
Die Geheimräthin wagte, um den Fürsten zu zerstreuen, an persönliche Angelegenheiten zu erinnern, ob Olga geschrieben hätte, ob Helene wirklich in Italien wäre, ob Heinrichson sich ihnen schon angeschlossen hätte... Rudhard spräche darüber nicht, sagte Egon und erwähnte Dystra, der Aufsehen mache durch seine Sonderbarkeiten. Es wäre ein sittlicher Polytheist, ein Ideen-Gourmand, wie er sie nicht leiden könne diese Allesschmecker und Nichtsverdauer. Bären, Affen und Hunde sind, wie ich höre, ihm lieber als die Menschen. Er sollte die Bekanntschaft Ihres Schwiegerpapas suchen, den die Menschen in seiner juristischen Praxis so anwiderten, daß er zuletzt weniger daran verzweifelte, Hunde und Katzen auszusöhnen, als die Leidenschaften unsrer Race.
Kommen Sie zu Tisch, Egon! sagte die Geheimräthin, erschreckend über die tonlose, fast krächzende, trockne Stimme des Staatsmannes, der heute viel geredet zu haben schien. Sie sind ermüdet! Stärken Sie sich an meinen kleinen Mahlzeiten, die Sie noch diesen Winter liebgewinnen sollen. Wenn Sie erschöpft sind von der Politik, Egon, wenn das Ceremoniell des Hofes, ja Ihres eignen Hauses Ihnen selbst die Freuden der Tafel verleidet, so kommen Sie zu mir! Pauline servirt ihrem Freunde eine kleine, verschwiegene, stille, trauliche Existenz! Die Ludmer ist eine Künstlerin in der Sphäre Vatel's: Harder's einz'ge Region, in der man sich auf einige Kenntnisse von ihm verlassen kann, ist sein Keller... kommen Sie, Egon!
Die Bedienten brachten Austern, Caviar, geröstete Brotschnitte...
Als sie gingen, sagte Egon lächelnd und sich am Tische, wo er Paulinen gegenüber Platz genommen, mit lassen Händen selbst bedienend:
Mais à deux? Wer versprach denn –?
Ich schrieb Melanie und lud sie ein, sagte Pauline, ohne im Mindesten die Mienen zu einem Lächeln oder einem Spotte zu verziehen, sondern wie im Drange des aufrichtigsten Bedauerns, daß ihr die Lösung einer sehr ernsten Aufgabe nicht gelungen; ich schrieb Melanie und lud sie ein. Sie wird erst den Abend kommen. Zu diesem Diner nicht, die Gründe soll ich mündlich hören.
Ohne spröde zu sein, weiß sie doch gut zu rechnen, sagte Egon lächelnd. Sie fürchtet die Vertraulichkeit eines solchen kleinen Mahles à la Régence.
Die Bedienten hinderten eine weitre Erörterung dieses Themas. Sie schenkten Madeira ein und boten dem sonderbaren, sich hier gegenüber sitzenden Paare davon in zierlichen kleinen geschliffenen Gläsern.
Nachdem kam eine fast überkräftige Suppe und überhaupt ein so ausgesuchtes, gewähltes Diner, daß wir die einzelnen Gänge ebenso wie die Unterbrechungen durch die Diener mit Stillschweigen übergehen können. Das Gespräch, das sich in den Zwischenpausen frei ergehen konnte, kam etwa auf folgende Äußerungen hinaus:
Ich habe darüber nachgedacht, sagte Egon mit träumerischem Sinnen, worin ich eigentlich den Zauber dieses reizenden Mädchens finden soll. Der Glanz ihrer Schönheit scheint dauerhaft, er wird nicht zu bald erblinden. Aber selbst eine ewige Schönheit wäre in dem Falle etwas Vorübergehendes, wenn die Schönheit nur ihrer Schönheit allein bewußt wäre. Ich finde Das so liebenswürdig an Melanie, daß sie sich mit einer Leichtigkeit gibt, als wäre sie nur lachend, nur graziös, nur munter. Sie macht kein steifes Wesen von ihrer Schönheit. Zuletzt ein gewisser gutmüthiger Zug, eine gewisse...
Nennen Sie's nur grade zu, sagte Pauline, wie es ist. Melanie gefällt Ihnen deshalb so sehr, Egon, weil sie bequem ist.
Bequem? Ja, theure Pauline, fast glaub' ich, daß Sie das rechte Wort sagen. Wenn man so wie ich Jahre lang die Liebe behandelt hat wie die erste Aufgabe unsres Lebens, wenn man Frauen gefunden hat, die, indem sie Liebe gewährten, unsern ganzen Menschen dafür in Anspruch nahmen und verbrauchten, so lernt man ein Wesen schätzen, das keine Gefühlswühlerin ist, keine Gedankengrüblerin, keine heimliche, versteckte, sondern eine offne, gutmüthig ihre Schwächen eingestehende Kokette. Ich weiß wahrlich, das Kapital, das am Ende ein Weib zu vergeben hat, ist sehr klein und allen Frauen liegt daran, daß sich die Sage von der unendlichen Größe ihrer Schätze erhält. Man lobt und preist die Dichter, die Frauenliebe als etwas Unendliches und einem im tiefsten Grunde des Meeres zu suchenden Schatze nur Vergleichbares darstellen. Lieber Himmel, Das ist eine Verabredung unter diesen Phantasten! Die Angelegenheit, um die es sich zwischen Männern und Frauen handelt, ist eine so außerordentlich einfache und ich gestehe Ihnen, ich bewundere und schätze grade die Natürlichkeit, die diese Wahrheit eingesteht.
Pauline lächelte und betrachtete sich jetzt erst genauer ihr Tête-à-Tête. Egon war seit vierzehn Tagen Staatsminister, dirigirender Chef des Landes; er hatte die Kammern entlassen und große energische Grundsätze ausgesprochen. Er saß nun da so einfach vor ihr, derselbe Mann, der alle Gedanken in Anspruch nahm, alle Leidenschaften beschäftigte. Er aß an ihrem kleinen Tisch, erholte sich bei ihr von seiner auch äußerlich schon sichtbaren Erschöpfung! Wie fühlte sie Das nach! Wie machte sie diese Erholung glücklich! Egon war hoch, schlank, wie immer, seine Gesichtszüge edel und fein, seine Haltung fürstlich, seine Kleidung zwar noch durch keinen Stern geziert, aber doch wie die eines Hofmannes. Wie blaß aber die Mienen des Antlitzes! Wie hoch die Stirn, der oben und zu beiden Seiten Morgens die Haare in Büscheln entfielen! Wie zuckten die Lippen so spöttisch! Wie krampfhaft gereizt waren seine Bewegungen, wenn er nach einer Schüssel griff! Wie bitter der Humor, wenn er den kleinen Schnurrbart mit der Serviette reinigend und ein Glas Eremitage an die Lippen bringend, sagte:
Ah, Pauline! Dieser süße Genuß, doch wenigstens etwas zu wissen, was fest steht und gewiß bleibt! Dieser feurige Burgunder ist die einzige feste Thatsache, die ich seit lange unter den Händen gehabt habe. Was hab' ich Schwankendes gesehen und was gleitet mir nicht alle Tage flüssig und unhaltbar durch die Finger! Diese vierzehn Tage, wie reich an Hoffnungen, wie gesegnet an Täuschungen! Sehen Sie, auch Das ist an Melanie schön. Man weiß, was man an ihr besitzt. Sie ist eitel und gesteht es. Sie will gefallen und sagt es. Sie verräth uns, daß sie sich mir nur unter großen Bedingungen ergeben könne. Auch diese Offenheit lernt man schätzen, wenn man wie ich in der Lage ist, nichts, nichts mehr mühelos aufzufinden! O Gott, Pauline, wie oft mocht' ich schon in diesen vierzehn Tagen mit dem Kopf an die Wand rennen! Nichts ist mühelos, die einfachste Erörterung nicht! Bei Gott, es verstehen mich nur drei oder vier Menschen, der König, die Königin, Sie und Melanie –
Waren Sie heute mit dem Hofe zufrieden?
Mit dem Monarchen immer, mit seinen Umgebungen niemals. Diese Menschen fragen nach jedem Begriff, was er bedeute, nach jeder Maßregel, was sie nützen oder schaden könne. Dem Monarchen sagt' ich: Ich ehre die Monarchie. Der Fürstin: Ich ehre die Sitte – nun verstehen mich doch diese Beide, in allen Fragen wissen sie, daß ich ihr Bestes will. Aber die Andern!
Die Sitte? bemerkte Pauline lächelnd und befahl den Bedienten, jetzt schon den Champagner zu öffnen. Als eingeschenkt war und die Diener sich entfernt hatten, sagte Egon:
Warum zweifeln Sie an meiner Sittlichkeit?
Pauline schwieg, warf ungläubig die Lippen auf, Egon aber fuhr fort:
Ist Das unsittlich, daß ich hier Ihnen gegenüber mein Mittagsmahl nehme und mich glücklich fühle, irgendwo einen Ort zu haben, wo ich mich ausruhen darf und wo man mir die Ruhe gönnt?
Pauline reichte ihm fast gerührt die Hand über den Tisch...
Geben Sie mir nicht die Hand, Pauline! sagte Egon, sie sanft zurücklehnend. Ich verdiene es vielleicht nicht um Sie, denn gestern Abend, als in den kleinen Cirkeln von Ihnen die Rede war –
Von mir?
Und nicht in den freundlichsten Andeutungen –
In der That?
Was erwarteten Sie wol von mir?
Daß Sie mich vertheidigten.
Ich that es, aber mit Waffen, die Sie vielleicht misbilligen.
Nennen Sie sie!
Ich nehme Anstand...
Ich muß Alles hören, was man in den kleinen Cirkeln von mir gesprochen hat. Also?
Nun denn, Pauline! Ich nannte Sie alt. Ich sagte ferner, Sie hätten das edle Bedürfniß, sich mit dem Sohne einer Mutter, mit der Sie verfeindet waren, auszusöhnen und ich schätzte an Ihnen diese Reue und liebte, da ich keine Mutter mehr besäße, Sie als die Stellvertreterin derselben. Nicht wahr, Das war eine sehr liebevolle Impertinenz?
Paulinen zuckten in der That die Nerven. Sie war denn doch von einer so heroischen Aufrichtigkeit zu sehr überrascht. Sie stand allerdings schon an dem Scheidewege, sich eine Matrone zu nennen. Aber hindrängen mußte man sie darauf so schroff nicht, so jäh und abschüssig nicht.
Sind Sie mir böse? fragte Egon.
Die Geheimräthin faßte sich erst allmälig, biß sich die Lippen und sagte dann lächelnd:
Warum sollt' ich? Sie haben Recht, ich bin alt. Im Übrigen glaub' ich, daß Sie ganz gut thun, den Jargon dieser kleinen Cirkel zu sprechen, wenn Sie doch einmal an ihnen Theil nehmen müssen und Jemanden dort nützen wollen.
Ich muß, um Doppelpolitik zu hintertreiben.
Dann wünscht' ich aber doch, fuhr Pauline noch etwas gereizt fort, die Gräfin Altenwyl käme einmal auf Melanie Schlurck zu sprechen und früge den tugendhaften jungen Premier, den Abgott aller pietistischen Hofdamen, wie er verantworte, seit dem Tage, wo er eine berühmte junge Kokette auf dem Wege nach Solitüde zu Pferde gesehen, sich sogleich in sie zu verlieben und bei der chère Maman Pauline von Harder, täglich nach einem Rendezvous, nach einem Tête-à-Tête mit ihr zu schmachten?
Die Bedienten brachten eben ein aus den vollendetsten Herbstfrüchten bestehendes Dessert. Als sie fort waren, sagte Egon, eine Melone pfeffernd:
Bitt're Wahrheit! Unser Magen verdaut das Süßeste nicht, wenn wir es nicht durch die Vernunft unterstützen. Ich gebe Ihnen das heilige Versprechen, daß ich auch in Betreff Melanie's auf jenem Tugendpfade bleiben werde, den Sie belächeln, Freundin! Der Verhältnisse, Sie wissen, was das Wort bezeichnet, bin ich überdrüssig. Ich habe mit einer Grisette wie in der Ehe gelebt und habe Lust, Liebe, Leid im reichsten Maaße genossen. Ich hatte dann eine zweite Ehe. Ich bedarf, ich seh' es wohl, der Frauen...
Pauline drohte ihm schalkhaft; denn Egon that, als wäre sie seine dritte Ehe.
In der That, fuhr er fort, wenn ich meinen kleinen Roman mit Melanie fortsetzen sollte, würd' ich in die Lage kommen können, sie zu heirathen –
Prinz, welche Thorheit! rief Pauline und sprang auf. Fürst Egon von Hohenberg wird Melanie Schlurck, die Tochter eines in seinen Vermögensverhältnissen, wie es scheint, zerrütteten Advokaten, die ehemalige Verlobte eines Stallmeisters nicht zur Fürstin erheben!
Fürst von Hohenberg! sagte Egon bitter. Wiederholen Sie dies Wort, seit wir die Denkwürdigkeiten meiner Mutter lasen, noch mit so würdevollem Nachdruck?
Welche Sorge! entgegnete Pauline mit einem eignen Anflug von triumphirender Überlegenheit. Sie sind trotz der puritanischen Buße, die sich Ihre Mutter glaubte auferlegen zu müssen, der Sohn des Fürsten Waldemar von Hohenberg und werden den Glanz Ihres Namens nicht erlöschen lassen –
Doch! Doch! Pauline! erwiderte Egon sehr ernst und trübe. Wenn ich Minister bleibe und mir Melanie sich als Bedürfniß so erhält, wie sie es zu meinem Entsetzen schon geworden ist, so werd' ich sie heirathen müssen.
Unglaublich!
Dann gut! Ich will Melanie nicht mehr sehen, nur Sie, Pauline, nur mit Ihnen will ich reden, mit Ihnen debattiren, diniren; aber diese jungen Schönheiten, die Sie um sich versammeln, diese reizenden Gestalten entfernen Sie! Ich kann mich nicht mehr an diese vorübergehenden Irrthümer, an die eitlen Naivetäten, an die sentimentalen Koketterieen preisgeben oder ich wähle ein Weib und Sie haben Recht, ich habe allerdings Ursache, eine aus den höchsten Ständen zu suchen.
Man räumte die Tische hinweg. Egon nahm auf dem Sopha Platz und stützte das Haupt auf.
Sie sind heute wieder einmal ein Grillenfänger, begann Pauline von Harder und fuhr dem jungen Fürsten durch die Locken, von denen sie bemerkte, sie würden ihm immer lichter werden, wenn er so seinem Trübsinn nachgäbe und dem Beispiele einer Mutter folge, die ihm ihr selbstquälerisches Temperament vererbt zu haben schiene.
Ach, sagte Egon, welch' ein drückendes Gefühl bleibt es doch, so an sich selbst nicht mehr glauben zu dürfen und sich als ein Andrer zu wissen, als der man von den Menschen genommen wird! Seit ich die Denkwürdigkeiten meiner Mutter las, ist mein Innerstes zerstört. Diese verblendete, von der Leidenschaft der Wahrheit bis zur Grausamkeit hingerissene Frau! Um Buße zu thun, um ihre Reue zu bekennen, um ihren Sohn zur Nachfolge Christi, zur Demuth zu bewegen, muthet sie ihm für sein ganzes Leben eine Lüge zu, einen Betrug gegen sich selbst und die Welt!
Man brachte den Kaffee. Pauline winkte den Bedienten, die an rasches Serviren gewöhnt waren, sich zu entfernen.
Lassen Sie diese Erinnerungen! sagte die nächst der Ludmer einzige Mitwisserin des Geheimnisses, daß Egon nicht der Sohn des Feldmarschalls von Hohenberg war. Es gibt nur ein Wesen, das in die Geschichte der Verirrungen Ihrer Mutter eingeweiht ist –
Verirrungen! griff Egon träumerisch das Wort auf. Als ich die Denkwürdigkeiten meiner Mutter las, fühlt' ich, sie kommen, so grausam sie für mich sind, doch von einer andern Welt als der, wo wir irren. Pauline, ich hätte Sie damals tödten können, weil Sie sich mit so verschlagner List diesen Besitz aneigneten –
Erlaubte Selbsthülfe, Prinz!
Nein, fuhr Egon gesteigerter fort, ich segnete Sie schon nachher selbst in meinem Schmerz. Ich war zu Thränen gerührt, als Blatt für Blatt diese Geständnisse aufflogen und ich in den Grund eines das Unmögliche suchenden, verzweifelnd ringenden Herzens blickte. Ach, als ich heute die Altenwyl in bequemer Behaglichkeit so albern religiös sich gebehrden sah, so sicher in ihrem Christenthum, wie eine Predigthörerin im bequemen Kirchenstuhl, als man mir zumuthete, die Erbschaft der Johanniter getrost der Stadt zu überlassen und den vom vorigen Ministerium begonnenen Prozeß zu Gunsten einer pietistisch-jesuitischen Coterie – die ich klar durchschaue – fallen zu lassen, wie ging mir da beim Anhören dieses Nebelns und Schwebelns kindisch bornirter Gemüthsgründe das Bild meiner Mutter auf! Wer ist unter Euch, der mich einer Sünde ziehe, so konnte sie sagen solchen absolut Tugendhaften gegenüber! Sie, die sich, um sich ganz verachtet zu machen, sich ganz zu entkleiden, ganz zu stäupen und zu demüthigen, selbst anklagte, sie, die keine gleißnerische Falte in ihrem Leben dulden wollte und in mir dieselbe Demuth, dieselbe Entsagung und Gottergebung durch irgend einen großen Entschluß wirken wollte! Ich hatte sie gekränkt von Kindesbeinen an...
Aber, Egon! So entschuldigen Sie diese Mutter? rief Pauline. Sie konnte Jedem ihren Fehltritt, der mich damals namenlos unglücklich machte, beichten, warum Ihnen? Sie hat Ihre Ruhe vergiftet, sie hat Ihnen den Glauben an sich selbst genommen...
Denken Sie sich in diese Verirrung nicht hinein! unterbrach Egon. Sie verstehen diesen Trieb nach Wahrheit und diese Auffoderung zur Demuth nicht!
Ich finde in der Manie der Wahrheit keine Tugend mehr.
Sie wollte mit keiner Lüge aus der Welt gehen! Sie wollte ganz zerknirscht sein, ganz gedemüthigt vor den Menschen und vor mir, dem sie die Grenze des Selbstgefühls wies! Einmal flammte noch die Angst in ihr auf. Sie schrieb an Rudhard, er sollte ihre Geständnisse prüfen...
Ihren Namen, den Namen Ihres Vaters schänden!
Nein! Nein! Pauline! Wenn die Todte Das sähe! Ich sitze auf den schwellenden Polstern ihrer Feindin!
Was ist Ihnen, Prinz?
Als ich diese Denkwürdigkeiten, die unter Thränen geschrieben wurden, las, dankte ich dem Zufall, daß sie Rudhard, der Ansprüche darauf machte, nicht erst gelesen. Sie allein kennen sie. Sie allein, Pauline, wissen, daß die junge Gräfin Hohenberg ihre erste Freiheit von einem brutalen, rohen, sinnlichen, gewöhnlichen Gatten, dem berühmten Krieger, zu einer Badereise benutzt und in dem Jubel einer endlich einmal erlösten Existenz, in dieser Freiheit von vier Wochen so schwach war, den Schmeicheleien eines liebenswürdigen jungen Mannes nachzugeben, den auch eine Kette band, auch ein Schicksal drückte...
Sie sind so grausam wie Ihre Mutter!
Vergeben Sie, Pauline, ich muß es mir oft vorführen, um es von einer Mutter verstehen zu können. Ich möchte von Heinrich Rodewald, meinem wahren Vater, eine gute Vorstellung haben. Die Mutter schildert ihn wie einen Gott. Aber die Erinnerung mag verschönert haben. Ist es doch ein Frühlingshauch, der über diesen Blättern weht! Welche Seligkeit, wie sie ihre Freiheit in der Landecker Badereise schildert! Die erste Freiheit! Der erste Strahl des erwachenden Selbstbewußtseins! Sonst Nacht, sonst Nebel, Qual täglich, Pflicht stündlich, nur Sklaverei! Und nun dieser erste Lichtstrahl! Und wen verklärt er? Einen Rodewald! Sagen Sie, verdiente er dies Entzücken?
Sie sind sein Ebenbild!
Besaß er seltnen Geist?
Mehr den Geist der Entwickelung als den der Synthese.
Mehr Denker also als dichterisch. Die Frauen lieben die Analyse. Ach, ich sehe Das! Pauline von Ried ist krank, elend, sie badet, um zu genesen. Ihr Freund und Verehrer begleitet indessen stündlich Paulinen's Jugendfreundin, findet Gefallen an der reizenden jungen Frau, die in Wonne schwelgt über einen Kieselstein aus dem Bache, über eine Blume, einen Käfer. Sie denkt, das Alles wäre der Zauber einer Badereise; da müsse man einsaugen für das ganze Leben, jeden Grashalm genießen, jedes Vögelchen bewundern, aus allen Schnüren und Bändern die trunkene Seele erlösen. Und dieser junge Schwärmer sagt ihr, daß er von Pauline von Ried sich trennen müsse, um zu leben, sie quäle ihn, sie morde ihn...
Ha! Wie verwandt sind Sie ihm! Ja, ja, Das ist die Sprache eines Don Juan, der kein andres Mittel, Amanda von Hohenberg zu bethören, wußte, als Das, mich herabzusetzen!
Egon lächelte und sprach fast in sich hinein: Heinrich Rodewald ist wie ich. Er konnte also das Glück nicht ertragen! Ha, ha, Euer Glück! Das Glück, Euch und Eure Liebe zu besitzen. Und Amanda, die glaubt, die liebt zum ersten Male, die jubelt, einen Mann gefunden zu haben, der ihr eine edlere Vorstellung von unserm Geschlechte einflößt als jener rohe, mit Orden behangene Landsknecht! Sie beschließen eine Trennung von dem damaligen Grafen von Hohenberg. Rodewald, ein Gelehrter, schien ihr der reinsten Gegenliebe würdig. Sie scheidet von dem Badeorte, voll edelster Vorsätze –
Falsch, heimtückisch gegen ihre Freundin –
Aber wahr gegen meinen Vater und wahr gegen den Grafen, ihren Gatten. Amanda kommt nach Hohenberg – eben im Begriff, dem General ihre ganze Schuld einzugestehen, den Beistand eines Rechtsfreundes zu einer legitimen Trennung anzurufen, das Band, das sie an Rodewald knüpfte, kirchlich einsegnen zu lassen... fällt dem zerrütteten Finanzwesen des großen Kriegers jene halbe Million der österreichischen ausgestorbenen Linie unsres Hauses zu! Sie stockt nun. Nicht aus Gefallen am Glanze für sich, sondern aus Erwägung, Rücksicht, aus Liebe zu dem Kinde, das sie unter'm Herzen trägt. Verlorne Stunden bei guten Vorsätzen sind verlorne Tage, verlorne Tage da verlorne Jahre. Mistrauen gegen Rodewald ergreift sie. Sie sieht ihn wieder. Wieder faßt sie neues Vertrauen. Wieder will sie sich dem General entdecken, wieder von ihm die Einwilligung zu einer Trennung begehren, will wieder wahr sein, tugendhaft, wenigstens bereuend, da erhebt der Monarch seinen Liebling in den Fürstenstand. Fürst Waldemar von Hohenberg! Das Kind, das sie unter'm Herzen trägt, nun ein Fürst: reich und ein Fürst! Ein Kampf der Rücksichten! Gegensatz auf Gegensatz! Die Mutterliebe streitet mit der Liebe zu Rodewald, die Furcht, die Besorgniß übermannen sie. Die Entschließung verzögert sich. Der Augenblick des Geständnisses wird verschoben, verschoben die Möglichkeit einer Ehrenrettung vor der Welt und endlich ganz versäumt. Die Fürstin Amanda, damals noch weltlich, noch flatternd wie ein Schmetterling, denkt an die Zukunft ihres Kindes, träumt, daß es eine glänzende, glückliche sein könnte, und auch Rodewald... nicht wahr, er ist an seine Kette zurückgekehrt?
Nein, Sie Grausamer! unterbrach Pauline den vor sich hinstarrenden und diese Geständnisse nur kurz so ausstoßenden Egon. Nein, zurückgekehrt an ein Sterbebett! Ich war dem Tode nahe... Ich erfuhr von Rodewald's Untreue, aber ich glaubte nicht. Ich wollte nicht glauben. Noch jetzt, Egon, wenn nicht Heinrich's Auge, seine Stirn, sein Gang, sein eigenstes Wesen sich in Ihnen abspiegelte...
In der That? bemerkte Egon seufzend und richtete das Haupt zu Paulinen auf, indem er sagte:
Wie bin ich doch gefangen, Pauline! Der stolze, ehrgeizige, weltstürmende, weltschirmende Egon hat eine Meisterin über sich, die ihm, wie Sie einmal sagten, die Hölle werden könnte!
Sie sind der Sohn Ihres Vaters!
Bastard von Hohenberg! Wie mich Das schüttelte! Wie mich Das eingeengt hat! Wie bin ich sogleich stolzer, eitler geworden, als in meiner Natur liegen durfte. Ich hatte sogleich einen stillen Mahner in mir, den ich nicht anders betäuben konnte als durch Luxus und adlige Anmaßung. Die Wahrheit der Legitimität, die in der Form, im Zugeständnisse liegt, hab' ich erst jetzt verstanden, jetzt erst gewürdigt. Ja, die Thatsachen entscheiden, nicht die Untersuchungen. Von dem Tage an, wo ich erfahren mußte, daß ich nicht des Fürsten echter Sohn bin, hab' ich den Fürsten, meinen scheinbaren Vater, angefangen beinahe hochzuehren, beinahe liebzugewinnen, bin den Spuren seiner rohen Bildung fast mit Interesse gefolgt: Ich war Fürst mit Leib und Seele, des Fürsten echter Sohn im Geiste. Wie räthselhaft ist doch Alles im menschlichen Gemüth!
Wenn diese Geständnisse Ihrer Mutter, sagte Pauline, bewirkt haben, daß Sie Ihres Standes und Berufes eingedenk wurden, unpassende Freunde und Genossen aus Ihrem Umgange entfernten, Ihre Stellung behaupteten, so haben Sie mehr erreicht, als Amanda beabsichtigte –
Ich bin reif in ein Kloster zu gehen oder den Propheten zu spielen und die Welt in Flammen zu setzen um meines Glaubens willen...
Geben Sie mir die Hand, Egon! Seien Sie besonnen! Was verdank' ich Ihnen nicht? Sie erquicken mein verschmachtendes Gemüth, Sie stillen noch einmal den Durst eines verzweifelnden Gefühles der Nichtbefriedigung! Wie leb' ich mit Ihnen! Wie folg' ich Ihrer großen, bewunderungswürdigen Bahn! Wie sonn' ich mich in Ihrem Glanze! Diese Leidenschaften, die mich sonst darüber unglücklich gemacht haben würden, daß ich in Ihnen die Züge Heinrich Rodewald's wiederfand, schlummern nun... Wie können Sie von einer Hölle reden!
Egon schwieg, blickte nieder und sagte zuletzt träumend:
Wo mag mein Vater jetzt weilen? Lebt er wol noch? Wer ist das junge Mädchen gewesen, das Sie, Pauline von Ried, ihm selber gaben, um zu verhindern, daß er zur verhaßten Amanda zurückkehrte?...
Wie treu Ihr Gedächtniß ist, Egon! Sie müssen diese Blätter oft lesen!
Ja, Pauline, sagte Egon gerührt, ich lese sie oft, sie sind ein Gedicht. Sie sind die Bekenntnisse einer wirklich schönen Seele. Ein junges, unerzogenes Mädchen, dumpf hinlebend, verheirathet, weil sie schön war, ohne Vermögen, ohne viel Bildung, ohne viel Lebensansprüche, nun gequält und die Qual ihres Looses für das allgemeine Frauenloos nehmend... Da endlich jene Reise nach Landeck! Die Stelle, wo die Mutter mir schreibt, daß sie von Heinrich Rodewald zum ersten Male auf den Schlag der Nachtigall wäre aufmerksam gemacht worden, les' ich täglich; denn ich kann sie auswendig. »Philomele scheidet nun, sagte Heinrich und auch wir werden uns trennen! Unbekanntes Land, das uns die Sängerin des Haines birgt, bis sie wiederkehrt! Ach, wir kennen unsre Heimat, wir kennen das Land unsres Winters, aber wir werden uns nicht wiedersehen.« Pauline, diese Denkwürdigkeiten... ich lese sie oft; sie stärken, sie erheben mich. Ich begreife jetzt, warum sich meine Mutter zuletzt in die Fluten einer ungewöhnlichen Andacht warf. Sie wollte nicht blos die Sünde, sie wollte auch das nur einmal blühende Lebensglück vergessen. Sie wollte vergessen, wie die Erde so schön ist! Und gestehen Sie, waren Sie nicht erstaunt, daß ich nicht beschämt sage, als Sie auch nicht ein Wort der Anklage, nicht eines des vernichtenden Vorwurfes für Sie in jenen Papieren entdeckten?
Pauline schwieg finster; denn fremde Güte drückt...
Über die Lösung des Knotens, fuhr Egon fort, fand ich nichts als die Worte: »Pauline erkrankte auf's Neue. In dem Glauben, sie würde ihrem Übel erliegen, in der Voraussetzung, mein Geliebtester würde schonungsvoll und edel meine Schwäche verzeihen und sich zu mir, der Treulosen, die dem Reichthum und Glanz ihres Kindes zu Liebe ihren Schwur brach und Alle, Alle betrog, in Vergebung zurückkehren, gewann sie eine junge, liebenswürdige, kindliche Anverwandte und bestimmte sie zu Rodewald's künftiger Gattin. Ich habe nichts mehr von Beiden, die sich wirklich verheiratheten und diese Länder verließen, gehört, nichts mehr hören mögen, ich wandte mich bald, da ich an dem Fürsten den gehofften Halt verlor, zu dem einzigen Hort des Lebens, dem Tröster aller Leiden, unserm Herrn und Heiland, der mir Gnade widerfahren ließ, aber auch stündlich zuruft: Demuth und Kreuz auf Erden ist allein Erhöhung zum Himmel!«
Pauline runzelte die düstren Augenbrauen. Dies ernste Gespräch kam ihr zu unerwartet. Es weckte zuviel der schmerzlichsten Erinnerungen aus vergangnen Tagen. Sie wollte der Gegenwart leben, den Augenblick genießen. Sie haßte alle Rück- und alle Vorblicke, sie floh die Reflexion und behauptete, Egon hätte eine verdrießliche Erfahrung gehabt und wäre nicht aufrichtig gegen sie.
Sie haben ein Rencontre mit dem Herrn Voland gehabt, sagte sie. Ich weiß es, daß Sie ihn ungern in den »kleinen Cirkeln« sehen und ihm nicht verzeihen können, daß er das von Ihnen ihm dargebotene Portefeuille ausschlug. Die Beamten intriguiren? Die Provinzialpräfekten? Nicht?
Egon schwieg. Er wollte nicht antworten. Er weilte in den Erinnerungen seiner Mutter. Man brachte ihm hierher Briefe, Zeitungen. Er sah sie noch nicht an. Pauline kannte seine ernste Natur und mußte ihn schonen, um ihn nicht zu erzürnen. Sie las in den Blättern. Dann und wann ließ sie eine Bemerkung fallen, eine Notiz laut werden. Egon antwortete einsylbig. Erst als Pauline leise ging, aus einem Kästchen an ihrem Schreibtisch eine Cigarre mit Grazie hervorzog, sie über dem Cylinder der Lampe behutsam anzündete und mit wirklicher Anmuth sie dem Träumenden entgegenhielt, lächelte er, stand auf, nahm die dargebotene Licenz, sich es hier so bequem wie in seinem Hause zu machen, entgegen und wurde mit der ersten Wolke, die er hinausblies in das erwärmte, behagliche stille Gemach von dem Drucke, der auf seinem Herzen lastete, befreit.
Was bringen die Blätter? sagte er. Was fragten Sie mich vorhin über General Voland? Oder von Rochus vom Westen, dem Gesandten? Oder dem Präsidenten von Flottwitz? Sprachen Sie nicht?
Er war zur Gegenwart zurückgekehrt.