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Sechstes Capitel.

Geisterfurcht.

Herr Pax, fing Charlotte Ludmer mit schmunzelnder Freundlichkeit an, Herr Pax ist verreist –

Ihr Herr Neveu – In Amtsgeschäften, antwortete Hackert, die Alte musternd...

Und wird bald zurückkehren?

Unbestimmt, Madame...

Vortrefflicher Staatsdiener, Pax! Ja, mein Neveu –

Hat glücklichen Griff –

Die Alte lachte über den humoristischen Agenten. So liebte sie die Menschen. Nur lustig, lustig! Sie liebte den Spaß, fast ebenso sehr wie den Schnupftaback. Ihre Dose fuhr aus dem Rockschlitz hin und her. Sie nahm eben eine Prise...

Pax, fuhr sie fort, hat für die Zeit seiner Abwesenheit mir gerathen, etwaige Aufträge Ihnen zu ertheilen, Herr Hackert –

Schmeichelhaftes Vertrauen –

Ich vermuthe daher, daß Sie über die Angelegenheit unterrichtet sind, die mich mit meinem Neveu –

Hackert dachte an die vom Justizrath gegebenen Andeutungen über den entwendeten und im Auftrage der Ludmer gesuchten Taufschein des Paul Zeck – er glaubte daher mit einiger Bestimmtheit, um die alte Dame sicherer zu machen, mit Ja! antworten zu dürfen:

Ich meine in der bewußten Angelegenheit – wiederholte die Ludmer.

Vollkommen! sagte Hackert mit der ihm eigenen Dreistigkeit.

Man hat diesen zweideutigen Mann eingebracht, einer der dazu verwandten Gerichtsdiener, Herr Kümmerlein war bereits – Aber haben Sie denn nicht getrunken? Bischof: nach einem Recept von mir selbst. Bischof! Trinken Sie doch!

Bitte – Ihr Auftrag, Madame!

Es ist wahr, ich nahm Ihre Geduld schon zu lange in Anspruch. Also, mein Bester, von diesem Kümmerlein erfuhr ich denn vorläufig Alles, was sich bei seiner Verhaftnahme am Hohenberg zutrug –

Hackert, sich schnell orientirend, verstand jetzt, daß nicht von Paul Zeck, sondern von jenem Manne mit der schwarzen Augenbinde die Rede war...

Er ist eingebracht, der falsche Engländer – sagte er forschend.

Auf unsre Veranstaltung! Ich weiß, daß dieser zweideutige Mann erst mit einem jungen vom Fürsten Egon protegirten Handwerker sich auf dem Schlosse verborgen hielt, dann mit einem blinden Schmied, Namens Zeck –

Hackert staunte, daß nun doch Zeck genannt wurde. Doch milderte er sein Befremden.

Zeck oder ähnlich! Genug, ich weiß, daß jener Murray mit Louis Armand von der Schmiede mit dem blinden Zeck an das Forsthaus ging, dort mit der alten Haushälterin des Jägers Heunisch, Ursula Marzahn, der Schwester des Blinden, in Wortwechsel gerieth und den blinden Bruder tödtlich verwundete –

Mit einem Messer – ergänzte Hackert, als wüßte er Alles.

Mit einem Pistol –

Die kleinen Details sind unerheblich; verbesserte sich Hackert. Es wird eine sehr scharfe Untersuchung geben – die Macht der Gesetze ist zurückgekehrt.

Hm! Hm! sagte die Alte und nahm eine Prise. Untersuchung? Hm – hm –

Dies Wort war Das, woran sie Anstoß nahm. Der Reubundsausdruck: die rückkehrende Macht der Gesetze, sonst ihr so geläufig, schien der Alten nicht angenehm.

Wohl! sagte sie, gewisser Zeitungsartikel sich entsinnend. Es ist ein Trost, endlich wieder die Richter in ihren »Funktionen« zu wissen; allein betrübend bleibt es doch immer, wenn bei solchen Vorfällen Familienangelegenheiten zur Sprache kommen sollten, von denen man wünschen möchte, daß sie geschont bleiben –

Der Oberkommissär ist in dieser Hinsicht von einer allgemein anerkannten Diskretion... Die Zeck's können...

Bitte!

Hackert tastete etwas zu kühn in seinen luftigen Voraussetzungen herum.

Ich bin erst seit Kurzem im Vertrauen des Oberkommissärs – sagte er, sich verbessernd.

Kennen Sie die Fortunabälle, die man hier in der Nähe der Willing'schen Maschinenfabrik gibt? begann die Alte forschend.

Hackert nickte.

Dort wurde jener Murray zuerst festgenommen. Er war einer der letzten Schwärmer auf jenen unsittlichen Bällen und führte eine Person am Arm, der er kurz vorher mehrere Tage lang Geschenke über Geschenke gemacht haben sollte –

Hackert hörte fast nur halb hin. Die Erinnerung an Die, die auf den Fortunabällen die Letzten sind, überfiel ihn düster.

Jenes Mädchen ist eine Verwandte zu mir – fuhr die Alte fort – eine Auguste Ludmer –

Sie war schön, liebte die Musik, den Tanz und Alles, was Freude macht.

Sie wissen...

Sie ist todt. Auguste Ludmer wurde toll und stürzte sich aus dem Fenster eines Narrenhauses.

Wissen Sie diese Geschichte?

Die Drehorgeln spielen sie.

Die Alte nahm eine Prise. Hackert's rasche Antworten echauffirten ihren so behende nicht denkenden Geist. Hackert kam ihr durch eine Artigkeit zu Hülfe.

Ich hörte immer, sagte er, daß bejahrtere Leute wie dieser Murray, im letzten Aufflackern ihrer Liebe, ehe sie ganz erlischt, gefährlich sind und die oberflächliche und treulose Jugend übertreffen. Pax ist auch der Meinung.

Er trug diese Worte bezüglich vor. Die Alte schmunzelte und mußte unwillkürlich sagen:

Herr Hackert! Mein Bischof! Warum trinken Sie nicht?

Er macht mir zu viel Feuer, sagte Hackert so kokett, so durchtrieben listig, daß die Ludmer ihre Dose versteckte, sich gerade aufrichtete und ein Benehmen annahm, als wollte sie an die Zeiten erinnern, wo man sie zu den gefährlichen Schönen rechnete und sie junge Soldaten in die Carrière bringen konnte... Um sich zu sammeln, nahm sie etwas Kuchen vom Teller und steckte kleine Brocken in den zahnlosen Mund. Während sie durch die Bewegung der beiden Kinnladen fast Ähnlichkeit mit einem Exemplar aus der wiederkäuenden Race empfing, fuhr sie fort, über ihre Verdachtgründe gegen Murray wegen gewisser Äußerungen über die Verwandten der Auguste Ludmer ausführlich sich zu ergehen.

Endlich, sagte sie, reist er in eine Gegend, wo Menschen wohnen, zu denen ihn irgend eine auffallende Absicht ziehen muß...

Pax schickte ihm zwei Aufpasser nach...

Sie wissen Das.

Der Vorfall im Forsthause, das ich sehr gut kenne, bestätigt, wie gegründet Ihre Warnung war.

Sie kennen das Forsthaus?

Einen Wald kenn' ich, der es umgibt, eine Wiese, an deren Rande es liegt, einen Ebereschenbaum in seiner Nähe...

Ursula Zeck kennen Sie nicht?

Hackerten brannte es nun auf den Lippen zu sagen: Schon wieder Zeck? Die Mutter Paul Zeck's, der im Jahre 1825 in der Kirche zu Seehausen vom Pfarrer Lattorf die Nothtaufe erhielt? Doch beherrschte er sich und suchte durch seine harmlosen Äußerungen aus der alten Dame noch mehr Geständnisse zu locken. Diese rückte den Stuhl, auf dem Hackert saß, mit ihrem kleinen, beweglichen Kanapee etwas näher, blickte an die Thür und überzeugte sich, daß die große Gesellschaft in den vordern Sälen ganz sich selber lebte. Es wurde laut gesprochen, gelacht, musicirt. Sie waren unbelauscht...

Ist es nicht möglich, Herr Hackert, begann sie, daß Sie den Gefangenen sprechen?

Schwierig...

Der Oberkommissär würde es können –

Kaum anders als in Gegenwart des Untersuchungsrichters –

Gott! wie ist das Alles so weitläuftig!

Inzwischen beginnen die Verhöre –

Wirklich? Schon die Verhöre?

Sie fürchten, daß hinter Murray's angenommenem englischen Namen ein Deutscher steckt, der Ihnen nicht gleichgültig ist...

Das ist es...

Sein Interesse für Auguste Ludmer schien Ihnen verdächtig... er geht nach Hohenberg, hat ein Anliegen im Forsthause, vielleicht eine Anfrage an Ursula Zeck... vielleicht ist es der Vater eines Kindes, das Ursula Zeck einst geboren, ohne ihn zu nennen...

Die Ludmer sprang fast auf bei diesen tollkühnen Worten, riß die weißen unheimlichen Augenwimpern bis hoch an die Stirn und fragte:

Wie kommen Sie zu diesem Verdacht?

Ich stelle nur Vermuthungen auf, sagte Hackert ruhig und scharf die alte Dame beobachtend. Ich übe mich in der Kunst des Inquirirens, in der ich kein Neuling bin. Wer weiß, was Murray im Forsthause wollte! Vielleicht ist es ein Bruder der alten Ursula...

Das war für die Ludmer fast zu viel. Sie hielt die Dose krampfhaft in der Hand, wollte aufstehen, setzte sich wieder und gerieth in eine Unruhe, die Hackerten bewies, daß hier irgend ein interessantes Geheimniß auf dem Spiele stände, vielleicht eines, wonach diese Alte die Mutter jenes Paul Zeck war und es nicht sein wollte.

Um ihr aber kein Mistrauen einzuflößen, sagte er mit ruhiger Miene:

Warum fragen Sie nicht bei dem Franzosen an? Bei Louis Armand, der so viel Theilnahme für Murray zu haben scheint, vielleicht in seine Pläne eingeweiht ist, vielleicht nicht ganz zufällig die Veranlassung war, daß Murray ihn begleitete, mit ihm das Forsthaus besuchte... Wer weiß Das?

Die Ludmer lehnte sich ganz entschieden dagegen auf, irgendwie noch den Kreis ihrer Vertrauten zu erweitern. Auch war ihr Alles, was sie von Louis Armand wußte, zuwider.

Aber die Aufgabe? drängte Hackert, als sie zögerte...

Würden Sie sich wol der Aufgabe unterziehen, flüsterte die Ludmer endlich mit gedämpfter, heiserer Stimme, indem ihr zahnloser Mund süßsäuerlich und verführerisch schmunzelte; würden Sie wol auf irgend eine Art vor der gerichtlichen, wie Sie wissen, langsamen Prozedur, zu erfahren suchen können, welches Geheimniß hinter diesem Murray steckt... ob es ein wirklicher Engländer ist... welche Absicht ihn hierherführte... welches sein Interesse an Auguste Ludmer, meiner Nichte, war... warum er nach Hohenberg reiste... was ihn in das Forsthaus führte, in Begleitung des Blinden... welches seine Beziehung zu Louis Armand, vielleicht gar zu den Brüdern Wildungen und all' den Männern ist, die nicht werden ertragen können, daß Prinz Egon sich Paulinen von Harder, meiner Gebieterin und ich kann wohl sagen, meiner Pflegetochter, anschließt... warum ist Murray mit einem Pistol bewaffnet? Warum das Attentat auf einen unglücklichen Blinden? Warum hat man Murray hier im Hotel garni bei Helene d'Azimont gesehen, bei der schönen Gräfin, von der Sie gehört haben werden, daß sie mit dem Prinzen Egon liirt war? Warum schloß sich Murray mit dem Jesuiten Rafflard ein, der sich zu allen nur erdenklichen Intriguen hergeben soll und sich auch wol nicht wird gescheut haben, gegen die Geheimräthin, aus Rache für den Bruch mit Helene d'Azimont und dem Prinzen, irgend eine Schlechtigkeit zu unternehmen, kurz, Herr Hackert, die Welt ist so böse, so böse, und es ist nothwendig, daß man weiß, wer unsre Freunde und Feinde sind!

Die Last war abgeschüttelt. Die lauernde, grübelnde Umsicht der Alten stand nach diesen Worten in schwefelgelber Glorie da. So hatte diese Frau im Stillen über ihre geliebte Pauline gewacht! So hatte sie beobachtet, zusammengereimt und schweigend die Schärfe ihrer durchbohrenden Augen geübt! Pauline tändelte und phantasirte so hin. Die Ludmer wachte und lieh ihr den Verstand, der der klugen Geheimräthin, wenn sie das Eine ganz beschäftigte, für das Andere ganz fehlte. Sie hatte immer die Katastrophe erwartet, die jetzt hereinzubrechen schien. Bartusch's Anzeige, daß ihm der Taufschein Paul Zeck's, den sie haben wollte, um ihn zu vernichten, von einer wunderbaren unsichtbaren Gewalt geraubt worden war, hatte sie schon stutzig gemacht. Von Paul Zeck wußte sie nur so viel, daß er todt war. Die Ursula hatte diese Versicherung gegeben, hatte sich dann verheirathet und war ihr verschollen. Nun geschah so viel Räthselhaftes, die Scene, die im Forsthause von Kümmerlein und Mullrich überrascht wurde, war so verworren, daß die Ludmer ein andres Licht begehrte, als das die Gerichte aufstecken konnten, und wenn es das rechte Licht war, das sie fürchtete, wollte sie es früher wissen! Pauline schien ihr allmächtig. Pauline konnte nach ihrer Vorstellung, unterstützt von dem Ministerpräsidenten und dem des Obertribunals, ihrem Schwiegervater, Alles zu Stande bringen, was bei Andern an dem Vorbau der neuen »Justizunabhängigkeit« scheiterte. Deshalb wollte sie, ehe sie Paulinens Ruhe aufschreckte, rasch und sicher wissen, wer hinter jenem räthselhaften Fremden verborgen war.

Hackert besaß eine Art von Vertraulichkeit, die jeden Gebildeten und feiner Erzogenen beleidigt haben würde. Bei der Ludmer war sie ganz am Platze. Sie kicherte, als er ihre Hand faßte und dies alte knöcherne Geripp streichelte. Aber so wohl ihr der Kitzel that, sie ließ sich mit der Frage, wer jener Murray denn nun sein sollte, nicht fangen, sondern sagte:

Sie schlimmer, junger Mann! Sie sind ein Rechter!... Wo hab' ich Sie nur schon einmal gesehen... Sie ähneln recht...

Warum vertrauen Sie nicht, Madame? bemerkte Hackert wieder mit einer schmachtenden Miene.

Ich begreife, warum Pax so große Stücke auf Sie hält! Ihre Handschrift soll wie in Kupfer gestochen –

Sie unterbrach sich bei diesen Worten der Schmeichelei selbst und stockte über das Bild, das sie vom Kupferstechen brauchte.

Worauf soll ich forschen? erinnerte sie Hackert und rief sie aus ihren Träumen wach. Und nun flüsterte sie:

Sehen Sie, ob dieser Mann am Auge, das er verbirgt, wirklich einen Fehler hat oder ob er nur die Binde trägt, um seine Züge zu verstellen?

Hackert nickte.

Beobachten Sie das Haar, ob es schwarz wie die Perrücke, oder ob es mehr röthlichblond, wie das Ihrige...

Blondröthlich... warf Hackert bitter ein.

Nein, nein, so foncirt war es nicht –

Legen Sie sich keinen Zwang an! Ich kenne mich, Madame. Aber ich fürchte, das wahre Haar jenes Mannes wird weiß sein...

Ich weiß nicht, ob Sie dem scheinbaren Alter trauen dürfen. Ich höre von gebückter Haltung. Wer weiß, ob dieser Rücken sich nicht erheben kann und dann etwa eine Statur herauskommt –

Wie die meinige! sagte Hackert, da die Ludmer nach einem ungefähren Maße suchte.

Wie die Ihrige, ganz recht, Herr Hackert!

Kein besonderes Merkmal?

Ohrlöcher, an denen vor Jahren, vielleicht als Kind, Ringe getragen wurden...

Keine Narbe? Kein Maal?

Vielleicht statt der Augenbrauen ein kahler Fleck – möglich, daß die Binde –

Doch kein Feuerarbeiter gewesen? Kein Soldat? Offizier? Madame, ich wette, Sie vermuthen einen Deserteur, der Ihrer Fahne durchging...

Ha, ha! Nein! Spielen Sie auf Ihre eigne schöne Handschrift an! Forschen Sie, ob er Uhrmacher, Kupferstecher oder dergleichen...

Ah so! Civil! Und der Charakter, die Art und Weise sich zu geben...

Keck, frech, übermüthig –

Seines Siegs gewiß?

Brutal! Arrogant! Dünkelhaft! Eitel!

Wenn er erhört wurde?

Aufgeblasen! Spieler! Lügner! Ein Mensch, der die Verstellungskunst auf den höchsten Gipfel getrieben hat.

Hackert war überzeugt, daß die Ludmer einen ehemaligen Verehrer fürchtete...

Lassen Sie etwas Geld fallen, klimpern Sie mit Gold und Silber, er kann dem Klange nicht widerstehen... Da, Herr Hackert, nehmen Sie!

Bitte, sagte Hackert und lehnte das Geld, das die Ludmer aus dem Brusttuche nahm, ab... Bitte! Bitte!

So ein paar Dukaten, wie diese, sagte die Alte aufdrängend, werden machen, daß er die Ohren spitzt. Beobachten Sie die Wirkung, wenn Sie von Geld sprechen, von Münzen, vom überhandnehmenden Papiergelde...

Sie haben einen ehemaligen Falschmünzer im Auge.

Die Ludmer erschrak. Sie war zu weit gegangen...

Nein, nein, um Gotteswillen nicht, rief sie. Das nicht! Aber Sie werden ihn schon aus seiner Verstellung herauslocken. Sie haben Verstand, Herr Hackert. Sie verdienen das Vertrauen des Oberkommissärs. Nehmen Sie! Nehmen Sie!

Hackert sah die eingewickelten Dukaten. Er steckte sie zu sich und versicherte, daß er Alles aufbieten würde, dieser Person sich zu nähern.

Sowie Sie Etwas erfahren haben – sagte die Ludmer im Aufstehen so freundlich und graziös, daß die drei ihr noch erhaltenen Zähne sich in völliger anmuthigster Isolirung darboten...

Hab' ich die Ehre aufzuwarten...

Schon hatte Hackert den Hut in der Hand, schon hatte er eine Verbeugung versucht, die ihm nicht recht stehen wollte, schon wollte er einen Handkuß versuchen, als die entgegengesetzte Thür, die zu dem türkischen Zelte führte, rasch geöffnet wurde und eine hohe stolze Dame im Turban mit herabhängenden Perlenschnüren stürmend eintrat, um den in diesem Zimmer befindlichen Klingelzug zu ergreifen und den Bedienten zu schellen, die es vielleicht in der rauschenden Gesellschaft irgendwo fehlen ließen. Es war die Geheimräthin selbst. Wie sie aus dem hellen Lichtmeere ihrer Salons in dieses stille, nur dämmernd erhellte Kabinet trat, wie sie hier Menschen sah, die sie nicht erwartete und mit dem ersten Blick auf Hackert fiel, schrak sie bebend zurück...

Und Hackert ging in diesem Augenblick...

Um Gotteswillen, was ist denn hier? Was war denn Das für ein Mensch? sagte die Geheimräthin als sie sogleich zu ihrem Troste die Ludmer entdeckt hatte. Allmächtiger Gott! Ja, du bist's. Du bist hier. Ich wollte nach dem Eise schellen! Ich fühle den Schreck in allen Gliedern...

Mein Himmel, wie kann man aber so erschrecken –

Aber dieser grinzende, abscheuliche Kopf? Dacht' ich doch zu meinem Entsetzen, Wer vor mir stünde –

Das röthliche Haar?...

Die Figur, die Gesichtszüge – eine gräßliche Ähnlichkeit!... Wie wird mir? Es ist, als hört' ich die Explosion –

Die Ludmer hielt die Freundin, beruhigte sie und rief dann zur Thür hinaus nach den Bedienten...

Mit was für Menschen du dich ziehest! stöhnte Pauline fast keuchend. Wer war denn Das?

Ein Agent der geheimen Polizei, sagte die Ludmer nicht ohne Stolz.

Aber was ist denn wieder im Werke? Was hast du denn vor?

Komm', Täubchen! Komm'! sagte die Alte mit künstlichem Scherz und zog ihre Gebieterin, ihre Freundin, ihr Kind durch das Zwischenkabinet in das türkische Zelt. Komm' in deine Sphäre! Laß mir die meine! Du weißt, ich krame gern!

Erst unter den lachenden, rauschenden, streitenden, neckenden Eindrücken ihrer heut' überfüllten Salons sammelte sich Pauline von Harder, die einen von den Todten Erstandenen, eine der grauenhaftesten Erinnerungen ihres Lebens gesehen zu haben glaubte... Die Ludmer sorgte für die Bedienung... Hackert ging, von den Bedienten wegen seiner langen Entrevue mit der allmächtigen Frau Ludmer (auch »Hausdrache« genannt), mit vieler Rücksicht behandelt... Es war kalt... Er hatte einen Paletot unten hängen, den ihm Franz selber anziehen half... Vor'm Hause suchte er unter den Wägen den des Justizraths Schlurck, in den er einst vor diesem eisernen Portal so listig eingeschlüpft war... Er fand ihn nicht und besann sich, daß Schlurck seine Equipage abgeschafft hatte...

So wird sie der Prinz Egon nach Hause fahren! dachte er...

Er wandte noch einen Blick auf die hellen Fenster zurück, dann ging er der Stadt zu, heute für seine träge und gleichgültig gestimmte Natur fast überfüllt mit Anregungen und den merkwürdigsten Thatsachen... Die Geheimräthin aber hatte für den Abend alle Fassung verloren und benahm sich so verwirrt, so beängstigt, daß Schlurck hätte sagen können, auch sie hätte wol Gespenster gesehen. Er sagte es aber nicht. Er war schon längst nach seiner geheimnißvollen Unterredung mit dem Premierminister aus dem türkischen Zelte blaß und ernst hervorgetreten, hatte einen wehmüthigen, von Melanien mitten unter Scherzen wohlaufgefaßten, wohlverstandenen Blick auf sie geworfen und war in einem gemietheten Fiaker in aller Stille nach Hause gefahren... Melanie folgte ihm eine Stunde später, nicht im Wagen des Prinzen Egon, sondern in dem der Geheimräthin, den diese ihrer jungen Freundin für diese Abende regelmäßig zu Gebote stellte.


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