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Zehntes Capitel.

Der Gläubiger vom Throne.

Das Schloß Hohenberg liegt auf dem ersten Vorsprung eines allmälig oberhalb des Fleckens Plessen sich erhebenden, unten mit Wiesen, oben mit Tannenwäldern bedeckten nicht unansehnlichen Bergrückens. In einem etwas schnörkelhaften Stile gebaut, besteht es aus einem dreistöckigen Hauptgebäude mit zwei fast gleich hohen hervorspringenden Seitenflügeln. Beide Flanken sind vorn durch ein etwas verwahrlostes, aber einst kunstvoll aus getriebenem Eisen verfertigtes Gitter verbunden. Das fürstlich Hohenberg'sche Wappen aus verwittertem Sandstein gehauen, ziert oberhalb des Säulenportals die Spitze der über den Fenstern mit behelmten Römerköpfen gezierten Hauptfront. Im untern Stock gehen die Fenster wie Thüren auf den gepflasterten schattigen Hof, den in schöneren Tagen Orangenbäume zierten in großen buntgestrichenen Kübeln. Nach dieser durch große grüne Holzjalousieen noch gehobenen sehr stattlichen Vorderseite ist der emporgehende Fußweg unmittelbar von der Kirche und dem Pfarrhause zu Plessen her ziemlich steil. Sanfter aber dacht sich nach hinten der Berg so abwärts, daß man von dorther mit einem Umweg, der gleichfalls an der Vorderfront mündet, auch zu Wagen sehr bequem in dies einfache würdige Schloß gelangen kann.

In den Zeiten der Fürstin Amanda, besonders als sie durch ihren religiösen Hang noch nicht zu sehr zur Verachtung der Weltfreuden verleitet war, übertraf die hintere Seite des Schlosses noch die stolze vordere beiweitem an traulicher Wohnlichkeit. Dort schloß sich dem Bau unmittelbar ein kunstvoller Garten an. Die Fenster des Erdgeschosses waren im Sommer geöffnet und führten unmittelbar aus etwas steif gegipsten und bemalten, aber doch anmuthigen Sälen ins Freie. An den Fenstern, wo große hellgrüne Vorhänge sich niedersenkten, wohnte die Fürstin im Sommer selbst und hatte um sich den ganzen Reichthum von Erinnerungen und Andenken, die sie so sehr liebte, ausgebreitet. Damals standen in dem von einem plätschernden Springbrunnen heiter belebten schattigen Quadrat des hintern Hofs und besonders an der Spitze des einen Flügels (während an dem andern sich einige unerläßliche Wirthschaftsgebäude anlehnten) kleine gefällige Statuen auf zierlichen Postamenten. Ein wohlunterhaltenes grünes Heck zeigte an, daß hier die stille trauliche Gartenwelt der Besitzerin begann, zu der die Abends und Morgens geöffneten Fenster dieses Flügels unmittelbar den Eintritt erlaubten. Auf leichten, vom Regen zwar verwitterten, aber doch bequem ebenen Steinstufen kam man, während sich links am kleinen Anbau der Fahrweg hinunterschlängelte, rechts in diesen wohlgehaltenen, terrassenförmig sich abdachenden Garten, von dem aus dem Bassin des obern Springbrunnens herab ein künstlicher Wasserfall sich in immer behendern Sprüngen bis in das Bächlein ergoß, von dem die plessener Mühlen getrieben wurden, die liebliche, baumbeschattete Ulla, die aus dem Ullagrunde herunterhüpfte. Diese Welt war schön. Die Natur bot der nachhelfenden Kunst die Hand, um sie liebevoll ansichzuziehen. Während rings die Berge schweigsam und feierlich herniederblickten, aus der Ferne Glocken läuteten, die Kühe auf den grünen Wiesenabhängen am Fuße der Berge weideten, war auch das Nächste hier innig und das Herz erhebend. Diese nähere Umgebung des Schlosses war halb ein Park, halb ein Garten. Man hatte Das, was die Natur bot, nur geordnet und zur Unterlage der Kunst gemacht. Da standen Beete von stolzen Feuerlilien und violetten Iris dicht unter einem Gebüsch von Hängeweiden, das man nicht erst zu pflanzen nöthig gehabt hatte. Da schimmerten weiße Birken neben Rosen oder diese rankten sich freigelassen an eine einsam stehende Tanne empor und umschlangen den trauernden Winterbaum so zärtlich, als wollten sie ihn tröstend erheitern mit duftender Frühlingsumarmung. Dann kam zum Ausruhen und Genießen gleich eine steinerne Bank dicht unter dem Schatten einer Hollunderhecke, die in sich selbst einen artigen Versteck barg, wenn man nur in den dicht zusammengewachsenen Zweigen genauer forschen wollte und den Eingang da suchen, wo man ihn am wenigsten vermuthete. Jetzt lag auf der Steinbank freilich Moos und Verwitterung. Die Spuren des letzten Regens blieben tagelang in dem Gestein, bis sie verdufteten oder eingesogen waren. Aber man fand doch auch neuere, grüngestrichene hölzerne Ruheplätze. Zu den Feldern und Wiesen abwärts hin, die dann wieder zu dem höhern und waldumkränzten Gebirge hinauf sich lehnten, dehnte sich der Garten in die Breite, aber noch immer ebenso traulich wie oben auf den sich allmälig abdachenden Terrassen. Da lag das von wildem Wein ganz eingehüllte Haus des Gärtners, lagen Treibhäuser, Ställe, Remisen, aber Alles versteckt durch sorgsam gepflegte Anpflanzungen. Eine Mauer, dann und wann von einem Graben oder einem alten Gitterwerk unterbrochen, umzog hier die ganze Besitzung. Freilich entdeckte man gerade auch hier die meisten Spuren des Verfalls. Ein Wasserbassin, eine ehemals gewiß lustig und schwatzhaft genug belebt gewesene Volière mit jetzt durchbrochenem Drahtgitter und ausgeflogenem Gefieder, kleine Pavillons, Postamente, auf denen Götter standen, die wol schon in den letzten Zeiten der Fürstin Amanda verschwanden, alles Das hatte sein früheres Leben verloren und stand wie müßige Denkmale des Vergessens da. Aber besonders gefällig ist doch noch immer ein kleiner Tempel am Rande der Grenzmauer, von dem aus man die Aussicht halb in die Thalebene, halb in das Gebirge genoß, das hier ein Echo wiedergab. Um sich mit dem ursprünglich heidnisch gedachten Bau dieses Tempels zu versöhnen, hatte die Fürstin, die ihn liebte, ein schönes, noch wie neu strahlendes goldenes Kreuz auf der runden Kuppel errichten lassen. Hier, erzählte man, hatte sie stundenlang gesessen und die Grüße der Vorübergehenden entgegengenommen und meist mit einem gewissen strengen Ernst erwidert, als wollte sie Jedem tief hinunter in den Grund der Seele blicken und fragen: Bist du auch nicht etwa dir selbst gerecht, oder fühlst du, daß du nur durch die Gnade Gottes lebst? Hier hatte sie Greise, Männer, Frauen, Kinder angehalten, nach ihren Schicksalen, Wünschen und Hoffnungen befragt und sie oft mit Unterstützungen, immer aber mit einem Fingerzeige auf den Erlöser, der Alles zum Besten kehren würde, entlassen. Dabei las sie meistens ein Buch ihres gewählten Geschmacks, blickte über die Gitter des Tempels zum düstern Walde hinüber, wo die Ulla aus den grünen Berglehnen hervorbrach, ließ die alte Brigitte hinter sich plaudern, nahm des alten Winkler Berichte über die Gartenanlagen entgegen und hob sich doch, obgleich sie bei noch nicht funfzig Jahren sehr krank war, immer höflich empor, wenn der Pfarrer, Guido Stromer, ihr täglicher Umgang, zur gewohnten Stunde eintraf. Als sie unter diesem durch das goldene Kreuz entsündigten heidnischen Tempel nicht mehr sitzen, die Vorübergehenden nicht mehr grüßen und im Herrn ermahnen konnte, nahte sich ihr Ende auch in raschen, von dem drüben in Randhartingen wohnenden Doctor Reinick nicht mehr abzulenkenden Schritten.

Hier, in der Nähe dieses nun heute vom Abendlichte besonders schön angestrahlten Tempels, erblickte man noch die meiste Pflege der im Ganzen verfallenen und vernachlässigten Besitzung. Der alte Gärtner Winkler, der für einen Gärtner galt, weil ihn die Fürstin in den Zeiten, wo schon ihr Sinn für die geschmückten Schönheiten der Natur zu ersterben anfing, für einen Gärtner nehmen wollte, der alte Winkler, sonst nur in jungen Tagen ihr Kammerdiener (in den Tagen der Hoffahrt, wie sie sie nannte), hatte den Gartenrechen in der Hand und zog mit Zittern und kaum sich aufrechthaltend im Sande die kleinen Striche, die hier Pflege und Ordnung bedeuten sollten. Die alte Brigitte, sonst die allgewaltige Beschließerin des Hauses, sah ihm, auf einer Bank sitzend, zu und seufzte einmal über das andere. Sie wehklagten, was ihnen Beiden die nächste Zukunft bringen würde. Noch war Brigitte schwarz gekleidet, noch trug sie die Trauerkleider über die vor zwei Jahren heimgegangene Gebieterin, die ihr testamentarisch angefertigt wurden, trotzdem, daß es an solchen düsterfarbenen Kleidern im Nachlaß der Fürstin nicht fehlte.... Die Trauer sollte echt sein und aus der Fülle des Herzens fließen.... Der alte Winkler aber nahm sich in seiner hellblau-rothen Hohenberg'schen Livrée schon recht abgeschabt und verkommen aus.

Gott walt' es, sagte die alte Brigitte; der Herr hat die Haare auf unserm Haupte gezählt....

Der schon etwas kindisch gewordene Gärtner entblößte seinen kahlen Scheitel, auf dem keine Haare mehr standen, und meinte auch:

Ja, ja; er hat die Haare auf unserm Haupte gezählt... und kein Sperling fällt vom Dache ohne seinen Willen; setzte er hinzu.

In dieser Weise hatten die Dienstleute der Fürstin Amanda sich auszudrücken gelernt.

Wenn sie uns hinausstoßen, begann Brigitte mit praktischer Anwendung.... Was thun wir? Wer nimmt uns arme Sünder auf?

Der Herr wird ihre Herzen lenken, meinte der alte Gärtner. Und der Prinz wird's nicht geschehen lassen....

Ich hab' ihn auf meinen Knieen geschaukelt... er wird's aber vergessen haben....

Er wird's nicht vergessen haben....

Als er vor sechs Jahren noch einmal da war, sah er uns nicht mehr an....

Sah er uns nicht mehr an...

Er war noch zu jung....

War noch zu jung..

Sein Herz lag noch im Argen....

Es lag im Argen....

Die Fürstin sah's wohl....

Die sah's wohl....

Und sie weinte darüber....

Der alte Winkler bestätigte alle diese rhapsodischen Bemerkungen und weinte auch, als Brigitte die Schürze nahm, um sich das Auge zu trocknen.

Aber die Fürstin sagte doch, fuhr dann nachdenklicher die alte Beschließerin fort, sagte doch: Auch seine Stunde wird schlagen....

Sie wird schlagen...

Und die Erleuchtung kommt von oben!

Kommt von oben! wiederholte Winkler und harkte wieder und fügte sich wieder in Geduld und überließ wie immer die praktische Seite ihrer Verhältnisse der geisteskräftigern Brigitte.

Wie die alten Diener des Hohenberg'schen Hauses, für die der verstorbene Fürst, der berühmte Generalfeldmarschall Waldemar von Hohenberg, wenig gesorgt zu haben schien, noch so ihre bangen Sorgen aussprachen, welche Zukunft ihnen bei dem rathlosen Zustande der Verwaltung dieser schönen Besitzungen werden würde, redete sie plötzlich ein langer, feingekleideter, mit steifer Haltung einherschreitender Herr an und lächelte dabei mit einem sonderbaren Ausdruck.

Excellenz! riefen Beide erschrocken aus einem Munde und wandten sich bestürzt um.

Der lange Herr nickte sehr gnädig und ging ruhig lustwandelnd auf dem frisch geharkten Wege, ihn mit seinen Fußstapfen vertretend, weiter.

Das wäre eine Herrschaft für uns, sagte die alte Brigitte, als dieser lakonische Herr vorüber war und Winkler sich anschickte, wieder jene Fußstapfen zu überharken.... So vornehm, so apart! O die Zeit, da nur solche Menschen hier verkehrten! Ja, ja, Das ist eine Excellenz!

Hochmuth kommt vor dem Falle! meinte Winkler.

Er hatte eine Meinung geäußert, die jedoch hierher nicht zu passen schien.

Wie so Hochmuth? meinte Brigitte, die in dieser selbständigen Antwort nicht viel Vernunft fand.

Als der Alte schwieg, schüttelte sie den Kopf und flüsterte vor sich hin:

Er wird recht schwach!

Der Gärtner hatte kaum die Fußstapfen des Mannes, den sie so ehrerbietig mit Excellenz begrüßt hatten, ausgeglichen, als diese gemessene steife Figur wieder zurückkehrte. Brigitte stand wieder auf, knixte wieder, Winkler zog wieder sein Käppchen und Beide sagten wieder:

Excellenz!

Der große zugeknöpfte Herr nickte herablassend mit dem kleinen Kopf, blieb, ohne etwas zu sagen, einen Augenblick stehen und entfernte sich mit einem Ausdruck, als wollte er äußern: Ich freue mich, daß ihr mir die Hochachtung erweist, die ihr meinem Stande schuldig seid! Doch sagte er nichts, sondern schwieg und lächelte.

Brigitte setzte sich und der geduldige Winkler harkte zum zweiten mal die Fußstapfen der Excellenz aus....

Wenn's nach mir ginge, meinte Brigitte, ich wünschte, so eine Excellenz kaufte das Schloß....

Kann man das Schloß kaufen? meinte Winkler, plötzlich ganz verdutzt.

Natürlich kann es Einer kaufen. Aber reich muß er sein, fuhr Brigitte fort, ohne auf die Narrheit der Winkler'schen Einwürfe zu hören. Der wär' es da! Sein Bedienter... der Franz... hat's gesagt; die Meubles alle kauft er schon; aber für den König.

Für den König? die Meubles? verwunderte sich Winkler und mit Recht.

Alle Schlösser vom König hat ja die Excellenz da zu regieren, erklärte Brigitte.

Wer regiert die Schlösser? fragte Winkler.

Der da! Und alle Gärten! fuhr Brigitte fort. Alle Schlösser und Gärten des Königs und viele hundert Gärtner und Gärtnermädchen stehen unter ihm....

Jetzt bekam der alte Mann einen Einfall. Nun fühlte er sich. Er glaubte mit seinem verwilderten Garten, der doch so schön grün noch aussah, der doch soviel bunte Blumen noch trieb, eine Ehre einzulegen, vielleicht Anerkennung, Beförderung zu finden. Aber bis zu dem Muth, Frau Brigitte aufzufodern, sich nach des vornehmen Herrn, den sie nur als Excellenz kannten, Namen zu erkundigen, die Idee auszusprechen, ob er nicht noch ein Plätzchen im Staatsdienst offen hätte für eine alte zitternde Gärtnerhand, soweit reichte sein, wie man wol annehmen kann, durch die formelle Religionsübung und die systematische Selbstbeschränkung verengter Horizont nicht, obschon ihm in der That die Auszeichnung zutheilwurde, daß der herablassende vornehme Herr zum dritten male zurückkam, wieder den geharkten Weg zertrat, wieder sich eines beifälligen Nickens befleißigte, endlich aber doch mit Kennermiene sich als ein mit Sprachwerkzeugen begabter Sterblicher zeigte und dahin äußerte, daß er ganz kurz und gar leise, gar leise die Worte flüsterte:

Schön geharkt! Richtiger Strich Das! Seid's braver Gärtner! Kenne Das! Schön geharkt! So fortgefahren! Brave alte Leute!

Brigitte dankte für sich und für den alten Winkler, der ganz sprachlos vor Spannung dastand und die leisen Worte nicht gehört hatte.

Ach, Excellenz sind gar zu gnädig, ergriff sie, sich Muth fassend, rasch das Wort; gar zu gnädig gegen uns geringe Leute. Gott wird Excellenz dafür lohnen, zeitlich und ewiglich, denn bei Dem da oben gilt kein Ansehen der Person. Aber wenn Excellenz (die vorige Phrase choquirte weder ihn noch sie), wenn Excellenz das ganze Schloß kaufen sollten und nicht blos das Mobiliar der in Gott ruhenden Fürstin, der ich funfzig Jahre treu gedient habe, wenn Excellenz dann zwei alte Diener nicht verstoßen möchten, die jeden Riegel hier im Schlosse kennen –

Schön geharkt! Richtiger Strich! Braver Gärtner! Ich kenne Das!

Diese Worte waren Alles, was der vornehme Herr, sie unterbrechend, als Antwort gab. Er lächelte dabei sehr herablassend und ging, nachdem er Winkler und Brigitte auf die Schultern geklopft hatte, vorüber, ohne sich auf ein Dienstgesuch einzulassen, daß man ihm wahrscheinlich schriftlich einreichen mußte. Ein Gefühl, daß er da Menschen zurückließ, von denen er mit vollem Rechte annehmen durfte, daß er sie außerordentlich glücklich gemacht und durch seinen Beifall mit einer der angenehmsten Hoffnungen für ihre noch kurze Lebenszeit erfüllt hatte, überkam ihn dabei wol mit einschmeichelndem Behagen, aber nur flüchtig, nur obenhin.

Dieser vornehme Herr war nun, wie wir bald bestätigt erhalten werden, Se. Excellenz der Herr Intendant sämmtlicher königlicher Schlösser und Gärten, eine im Lande wohlbekannte und gefürchtete Persönlichkeit, der wirkliche Geheimrath Kurt Henning Detlev von Harder zu Harderstein, zweiter Sohn jenes neunzigjährigen Obertribunalpräsidenten, der bei Tempelheide mit Anna von Harder, der Witwe seines ersten Sohnes, in so stiller Zurückgezogenheit lebte. Der neunzigjährige Hohepriester der Themis hatte bekanntlich zwei Söhne; einen feurigen, höchst talentvollen, unternehmenden, aber früh verstorbenen, den Gatten eben jener Anna von Harder, die Frau von Trompetta als ein so seltenes Muster edler Weiblichkeit gerühmt hatte und nach Allem, was wir jetzt schon von ihr wissen, ein solches wol auch sein mußte. Der jüngere dagegen war diese sogenannte »junge Excellenz von Harder«, die nicht ganz in die Richtung des Harder'schen Hauses paßte. Der alte Vater war ein scharfsinniger und sehr bedeutender Kopf, dem der ältere Sohn in jeder Hinsicht entsprach; der Jüngere dagegen, früh etwas verwöhnt, wurde durch einen Zufall, den der Vater ewig bereute, für den Hof erzogen, war anfangs Kammerpage, dann Kammerjunker, zuletzt Kammerherr und hatte keine andere Bildung sich angeeignet als die, die er auf Reisen mit dem verstorbenen Monarchen, dem Vater des jetzt regierenden, sich sammeln konnte. Es war durch die Richtung, die der Kammerherr Kurt Henning Detlev von Harder nahm, eine große Spannung zwischen Vater und Sohn eingetreten. Berührungen fanden seit Jahren zwischen ihnen nicht mehr statt und konnten es um so weniger, als sich der wunderliche alte Herr nur auf seine Gerechtigkeitsübung beschränkte, in frühern Jahren allenfalls noch nebenbei die Maurerei, die er sehr liebte, eifrig trieb, gegenwärtig aber auf seine sonderbaren psychologischen Studien über die Thierseele, die ihn von den Menschen ganz abzog, sich beschränkte. Spötter bei Hofe, die den später zum wirklichen Geheimrath und Intendanten der königlichen Schlösser avancirten Kammerherrn von Harder nach seinem Geistesgrade kannten, behaupteten, daß sein Vater, als dieser sein Sohn von Reisen mit dem verstorbenen Landesfürsten und besonders von einer mehrjährigen Abwesenheit in Paris zurückkehrte, gerade durch das Wiedersehen desselben auf die Idee gekommen wäre, sich künftig nur noch mit den Geistesanlagen der Thiere zu beschäftigen. Ehemalige Spötter behaupteten Das. Denn wie wir bald sehen werden, in der Nähe des gegenwärtigen Herrscherpaares durften sich solche Plaisanterien, Wortspiele und kleinen Frivolitäten nicht mehr hörbar machen. Nach anderer Version verdankte Henning von Harder seine Stellung nicht den Rundreisen mit dem verstorbenen Monarchen, sondern dem eminenten Geiste seiner Gattin, die zufälligerweise auch seine Schwägerin war. Die beiden Harders hatten Schwestern geheirathet, die geborenen Freiinnen Anna und Pauline von Marschalk. Wie Dem auch sein möge – die Zukunft wird uns über diese in unsere Geschichte eingreifenden Persönlichkeiten Aufklärung geben – wie Dem auch sein möge, Se. Excellenz der Geheimrath von Harder war auf dem Schlosse Hohenberg als Gläubiger vom Throne erschienen und hatte in der That den Befehl zu vollziehen, sich das Mobiliar der verstorbenen Fürstin Amanda vollständig anzueignen.

Fürst Waldemar von Hohenberg, der Verstorbene, zu allen Zeiten Verschwender und geldbedürftig, verkaufte nach einer Sinnesart, die wir noch deutlicher werden kennen lernen, auf seinen Gütern das Ei unterm Huhne und wie dann auch das Huhn dazu, so auch sogar die letzten Erinnerungen an seine Gattin. Zu diesem Schritt entschloß er sich einige Wochen vor seinem vor drei Monaten erfolgten Tode. Wie die Intendantur der königlichen Schlösser eigentlich darauf kam, sich so geflissentlich diesen Erwerb anzueignen, war dem Publicum noch ein Räthsel. Die Einen fabelten von einer wunderbaren Einrichtung, die jedoch Andere gänzlich in Abrede stellten. Viele sagten, die Einrichtung der Fürstin Amanda von Hohenberg war zwar nicht kostbar, aber sie war sinnig und geschmackvoll. Sie liebte Rococomöbeln, sagten die Einen. Im Gegentheil berichtete Frau von Trompetta (und sie, die zu den Wenigen gehörte, die Hohenberg besucht und sich der verschollenen frommen Fürstin manchmal erinnert hatten, konnte es wissen); im Gegentheil, ihre Wohn-, Schlaf- und Betzimmer wären ganz in altdeutschem Geschmack gewesen: man fände daselbst nur große Tische und gewaltige Schränke mit gewundenen Füßen und Säulen, Alles pechbraun oder rabenschwarz gebeizt; ausgezeichnet, gestand sie zu, sind die Gegenstände, die auf einem rings an den Wänden angebrachten zierlichen Holzsimse ständen. Da sähe man Schnitzarbeiten von Elfenbein und Hirschhorn, gußeiserne Crucifixe, das Abendmahl von Leonardo da Vinci aus Wachs bossirt, ein Meisterstück von einem tiroler Mönche.... Ja! fügte die Trompetta in ihrer Weise erregt hinzu, und der vielen Lithophanieen an den Fenstern und all der bunten Glasbehänge nicht zu gedenken, die ihren Zimmern einen wahrhaft heiligen, das Gemüth sanft zur Ruhe wiegenden Dämmerschein gaben! Nach dieser Mittheilung der Frau von Trompetta kam dann eine mysteriöse Schalkheit dieser Frau. Frau von Trompetta, behauptete man, hätte bei einer Audienz, wo sie die Königin zur Theilnahme an einem neu von ihr begründeten Kleinkinderbewahrinstitute aufgefodert, sich erlaubt, der erlauchten hohen Dame eine solche Schilderung von Hohenberg zu entwerfen, daß diese eine große Neigung faßte, die Hinterlassenschaft zu erwerben. Man liebte ja bei Hofe die Dämmerungszustände.... Man hüllte sich ja so gern in diese bunten Lichter des Räthselhaften und Ahnungsvollen ein.... General Voland von der Hahnenfeder, der berühmte militairische Diplomat, hatte ja den Hof und dessen Liebhabereien mit seinen Sammlungen von Glasmalereien, Elfenbeinschnitzarbeiten, Handschriften ganz in der Gewalt und auch für diese Idee, obgleich sie vielleicht von der ihm nicht sehr zusagenden quecksilbernen Frau von Trompetta angeregt, von dem geistreichen artistischen Tonangeber, dem Probste Gelbsattel, den Voland wie alles lutherisch Kirchliche nicht gern zu üppig und breit aufkommen ließ, unterstützt war, lautete sein Votum doch durchaus empfehlend. Für den Leonardo da Vinci aus Wachs hatte Voland sogar schon einen Platz in der Privatkunstkammer des Königs, wo bereits mehre Kunstwerke standen, die Voland bei seinen Reisen durch österreichische Klöster gesammelt hatte. So vermutheten die Tiefern, die Bedeutenden und Ahnungsvollen.... Doch gestehen wir, daß es auch noch eine andere sehr nüchterne, kalte und rationalistische Partei bei Hofe gab, die diese Acquisition ganz vom finanziellen Standpunkte beurtheilte. Diese sahen eine dem überschuldeten Fürsten Waldemar von Hohenberg aus der königlichen Chatulle gezahlte Summe von dreitausend Thalern rein als eine einfache Unterstützung an, die man dem vom höchstseligen Landesfürsten abgöttisch verehrten tapfern Husaren Waldemar von Hohenberg, einem der glorreichsten Haudegen der Armee, in dieser harmlosen Form wollte zufließen lassen, und darauf das Mobiliar der Fürstin als eine Verpfändung. Um den Bruder des Königs, den Prinzen Ottokar, der den Oberbefehl der Armee führte, gruppirten sich Diejenigen, die sich für diese nüchterne Auslegung verbürgen wollten und die Mission des Geheimraths Henning von Harder zu Harderstein als eine einfache, nur dem königlichen Kämmerer, der die Chatulle verwaltete, bekannte finanzielle Eintreibung einer verfallenen Schuld ansahen.

Dann begreif' ich aber nicht, hatte Bartusch, das Factotum des Justizraths Schlurck zu diesem noch vor einigen Tagen auf Schloß Hohenberg gesagt, dann begreif' ich nicht, wie Herr von Harder mit so ungestümer Eile, mit so ängstlicher Sorgfalt von dem Inhalt dieser drei Zimmer Besitz nehmen konnte. Wie rasch die Siegel an die Zimmer gelegt wurden! Kaum, daß der Fürst die Augen geschlossen, lag schon das Siegel der Hofkanzlei auf Thür und Fenster. Jetzt, statt einfach einen Commissar zu senden und den Inhalt auf Treu und Glauben verladen zu lassen für dasjenige Schloß, wohin jene Schnurrpfeifereien nun bestimmt sein mögen, kommt die Excellenz da mitten in der Nacht in höchst eigener Person, einen Tag darauf folgt ein großer Meubles- und Transportwagen, wie für ein Paar Elefanten, und jetzt soll Einer die Angst sehen, mit der zwei Bediente über die drei Zimmer wachen, daß auch nicht eine Stecknadel hinaus kann. Was steckt dahinter?

Sie kennen, hatte dagegen Schlurck zu seinem treuen Bartusch gesagt, Sie kennen die ängstliche Gewissenhaftigkeit dieses musterhaftesten aller Staatsdiener. Henning von Harder, der nichts von Dem sehen und hören will, was die närrische Pauline in seinem Hause täglich anrichtet und in der Welt schon Alles angerichtet hat, weiß dennoch mit genauester Bestimmtheit, ob gerade in dieser Minute ein Rhododendron in dem königlichen Schlosse zu Buchau am Rheine blüht oder geblüht hat oder blühen wird. Dieser Mensch ist eine Uhr. Im Gefühl seiner Pflicht einmal aufgezogen, schnurrt er sich in mathematischer Genauigkeit Minute um Minute ab, bis er sich mit dem Gefühl seiner Würde wieder neu aufzieht und wieder da anfängt wo er geendet hat.

Hm! Hm! Hm! hatte damals der kluge und schlaue Vertraute aller Schlurck'schen Geheimnisse für sich in den Bart gebrummt und dann noch diese oder jene Vermuthung einstreuen wollen..... Schlurck aber hatte kurz vor seiner schnellen Abreise nach der Residenz einfach die Weisung gegeben:

Bartusch, behandeln Sie die Excellenz mit all der Achtung, die ihrem einflußreichen Stande, noch mehr aber der gefährlichen Intrigue seiner uns sonst innigst zugethanen Frau gebührt! Ich würde fürchten, nicht mehr lachen zu können, wenn diese leicht verletzbare Frau, die mich jetzt verehrt und schätzt, zufällig meine Feindin würde. Lassen Sie ihn die besten Zimmer bewohnen, bieten Sie den beiden Schlingeln von Bedienten die freundlichsten Worte und getrost soviel Wein wie sie wollen. Mein Princip ist auch das, immer die Häuser von unten aufzubauen. Wissen Sie noch, Bartusch, ich habe darüber einmal in der Loge zu den drei Triangeln eine Rede gehalten, als das beste Princip aller zünftigen und unzünftigen Maurerei? Mit der übrigen Gesellschaft, die sich hoffentlich auch bald verzieht, wird sich der vornehme Herr wenig in Gemeinschaft setzen. Darauf aber mach' ich Sie aufmerksam: Einen gewaltigen Fehler hat er – alle königlichen Gärtnermädchen wissen davon zu erzählen – der schon alte Knabe ist sehr verliebt. Melanie liebt Späße... und die, hoff' ich, werden nicht in Ernst ausschlagen. Ich will keinen Kastellanposten in Buchau oder Sansregret oder Solitude haben, verstehen Sie, Bartusch! Sagen Sie Melanie Das: Ihr Vater will nicht königlicher Schloßkastellan werden. Und noch Eins! wenn die Zimmer geöffnet sind, so behalten Sie...

Die Familienbilder, fiel Bartusch mit Nachdruck ein.

Wohl, sagte Schlurck, die Familienbilder. Denn die Clausel steht in der Verkaufsurkunde: die Familienbilder gehen sämmtlich an den Prinzen Egon zurück.

Damit hatte sich Schlurck seinem treuen Geschäftsbeistand Bartusch empfohlen und in der That raffte Dieser, ein sonst nicht sehr glatter, wenn auch geriebener Weltmann, alle ihm ungewohnten, nur aus alten dienenden Zeiten ihm erinnerlichen Höflichkeitsformen zusammen, um gegen den Intendanten der königlichen Schlösser und Gärten möglichst unterwürfig zu sein. An diesem Morgen, nach Schlurck's rascher durch irgend ein ihm unbekanntes Erlebniß veranlaßten Abreise hatte Herr von Harder die drei Zimmer öffnen und mit Unterstützung des Justizdirectors von Zeisel, der unten in Plessen wohnte, ein Inventar aufnehmen lassen, das mit dem vom Fürsten Waldemar vor nunmehr etwa fünf Monaten übergebenen verglichen wurde und stimmte. Das Geschäft war im Laufe des Vormittags beendigt. Die Verpackung sollte morgen vorsichgehen und den Tag darauf wollte Herr von Harder abfahren, als Sauvegarde jenes ungeheueren Transportwagens, der unten noch im Dorfe stand. Man hätte glauben sollen, die unruhige Gesellschaft, die eben das Schloß bewohnte, müßte ihm bei dieser wichtigen Staatsaction sehr störend gewesen sein und Bartusch, der eben zu ihm herantrat, als er die alte Brigitte und den greisen Winkler durch seine Herablassung so glücklich gemacht hatte, sagte auch:

Ew. Excellenz werden froh sein, endlich einmal einen ruhigen Augenblick genießen zu können.

Der Intendant lächelte und meinte bedeutungsvoll:

Hm!

Bartusch entschuldigte den verwahrlosten Zustand des Gartens, der einem Kennerblick gewiß sehr misfallen müsse.

Hm! Hm!.. Bleiben recht lange aus; war darauf die ganze Antwort.

Bartusch wußte aus Schlurck's großer Praxis, daß vornehme Menschen selten auf Das Acht haben, womit sie Einer zu unterhalten sucht, und ahnte sogleich, daß Excellenz einen andern Gedankengang verfolgten. Es war, Das sah er wohl, die Cavalcade gemeint, der Dankmar im Walde begegnet war.

Excellenz werden doch den kleinen Abendcirkel durch Ihre Gegenwart verschönern, bemerkte Bartusch unterthänigst.

Abendcirkel? wiederholte der Intendant. Wie gestern so etwas? Hm! Gesellschaft – ein Bischen gemischt – Was?

Leider! sagte Bartusch, sich dem wandelnden und zuweilen nach der an der Mauer sich hinziehenden Straße hinausblickenden Cavalier anschließend. Das bemerk' ich nirgend mehr als in meinen Büchern, wo wir nun diese schreckliche Confusion einer höchst zerrütteten Verlassenschaft zu ordnen haben. Da stehen Jud' und Christ nebeneinander, Civil und Militair, Kaufmann und Handwerker, wer nur was zu geben hatte und sechs Procent von dreieinhalb unterscheiden konnte.

Der Intendant lächelte wieder und meinte:

Recht schlimmer Herr gewesen – der Fürst Waldemar Durchlaucht; – aber viel Bravour im Kriege gehabt – hoch gespielt in den Bädern – aber – höchstselige Majestät ihn sehr geliebt - bewundernswürdiges Attachement gewesen....

Und die Damen, nicht wahr, Exzellenz? bemerkte Bartusch lauernd. Auch davon wissen die Bücher in Zahlen zu erzählen, die in alle Brüche gehen.

Der Intendant erwiderte hierauf blos ein schmunzelndes Lächeln, was indessen einer jener Gesichtszüge war, mit denen er in gewissen Fällen Ermuthigung bezeichnen wollte.

Die Tänzerin Persiani! sagte Bartusch; die Polin Sobolewska – die Kunstreiterin La Houppe – die drei Wandstablers – Dore, Flore, Lore –

Ein leichtes Meckern, ziegenartig, verrieth, daß Excellenz sich dieser Namen wohl erinnerten und piquanten Antheil nahmen. Doch schien sie das Gehen zu echauffiren. Herr von Harder nahm den feinen weißen Castorhut ab und strich einige mal sehr behutsam über seine außerordentlich glatt anliegende Tour vom glänzendsten pariser Bagnohaar... ein sehr schönes südeuropäisches Schwarz bezieht man mehr aus Toulon als aus Brest... Herr von Harder war zwar schon in den Sechzigen, doch hatte er sich Haltung und Wesen eines beiweitem jüngern Mannes bewahrt und konnte auf den ersten Blick jeden Prüfer zweifelhaft lassen, ob er ihn der noch anspruchsvollen, unternehmenden Generation zurechnen sollte oder der schon entsagenden.

Er fing nun von der »Gesellschaft« an.

Da ist eine Frau von Pfannenstiel... Wer ist Das? fragte er.

Madame Pfannenstiel? antwortete Bartusch achselzuckend; Wirthschaftsräthin.

Nicht üble Frau – ein bischen dumm. Was?

Excellenz wissen in diesem Punkte gewiß das Richtige zu treffen....

Aber reich?

Leider!

Wie so leider?

Weil sie Geld hat, ist sie hier. Dumme Menschen sind lästig. Mir wäre lieber, ihr Mann wäre da. Es läßt sich leben mit ihm.

Warum ist der Mann nicht da?

Wagt's nicht. Da er früher hier wirthschaftete und das Volk geschunden hat, wie seinen armen Fürsten, so traut er sich nicht herzukommen.

Ah!... Madame Schlurck ist eine charmante Frau... fuhr der Geheimrath fort, der nun gesprächiger wurde.

Bartusch schlug die Augen nieder, aus Gründen, die der Geheimrath nicht zu kennen schien und die auch wir erst später kennen lernen werden.

Die muntere Blondine... sehr charmant....

Frau von Sänger....

Frau von?...

Frau von Sänger, die dritte Gemahlin des alten ehemaligen Rentmeisters von Sänger. Sind nach Randhartingen zurückgereist.

Wohin?

Randhartingen, Excellenz! Dort hinüber – zwei Stunden weit – rechts beim Ullagrund.

Ah!... Allerliebste Frau.

Bartusch ließ dem Geheimrath Zeit, sich zu besinnen. Er kam, da er eine junge erwähnt hatte, jetzt auf eine ältere.

Die magere? sagte er.

Welche, Excellenz?

Die mit der – die mit dem – die...

Mit den großen Zähnen, wenn sie lacht....

Ah! Ja!

Frau Pfarrer Stromer.

Keine schöne Frau.

Gute Frau. Hat viel Kinder.

Und die starke? Wissen Sie, die kleine runde?

Frau von Reichmeyer, die Schwester des Herrn Lasally...

Nein, die nicht!

Sie meinen die Justizdirectorin von Zeisel, eine geborene von Nutzholz-Dünkerke.

Nutzholz-Dünkerke? Gute Familie! Apropos. Was will denn der famose Stallmeister Lasally hier?

Der Geheimrath fragte fast unmuthig und nicht ohne besondern Nachdruck.

Es ist des Commerzienraths Schwager, Bruder der Frau von Reichmeyer, wie Sie vielleicht wissen; Reichmeyer hat 50.000 Thaler noch von der großen Lotterie her zu fordern....

Lasally hat doch wol schwerlich dabei eingeschossen... meinte der Geheimrath; sein Stall ist ja, soviel ich weiß, sequestrirt; seine Pferde auf dem Rennen gewinnen nicht mehr. Lasally muß ganz im Misère stecken....

Weiß ich nicht, antwortete Bartusch diplomatisch – die Pferde, die er mitbrachte, reiten sich gut. Dies bemerkte gestern Fräulein Melanie....

Hat Pferde mitgebracht! Famose Idee! Warum – Pferde?

Man glaubte, der Aufenthalt würde sich in die Länge ziehen, man rechnete auf ein fröhliches Beisammenleben. Da sollten Bälle gegeben werden, soweit die Jahreszeit und die plessener Musik das Tanzen möglichmachte, da sollte gehüpft, gesprungen, gesungen und geritten werden. Jeder versprach seine rosenfarbene Laune mitzubringen und Freunde, soviel deren von verträglicher Sorte nur aufzutreiben waren. Was ist nun geworden? Einer versteht den Andern nicht und mit Schlurck's Abreise ist Alles wie auseinandergesprengt.

Der Intendant sagte:

Brave Leute Das hier, aber kein Ton! Graf Bensheim, Frau von Sengebusch eingeladen – wie war Das möglich! Pure Dissonanz! Haltung – Haltung ist viel – sehr viel ist Haltung. Feste zu arrangiren, erfodert Kopf und wie gesagt.... Geburt....

Was Feste arrangiren heißt, sah man am letzten Geburtstage der Königin, bemerkte Bartusch mit höflicher Verbeugung. Das arkadische Schäferfest suchte seines Gleichen, Excellenz....

Recht schön gewesen, äußerte der Intendant geschmeichelt und fast gleichgültig. Ich war wegen der Costüms selbst in Dresden – wissen Sie – um mir die Porzellansammlung anzusehen. Alle Menschen... sehr hübsch wie von Porzellan gewesen – war sehr niedlich und richtig! Alles nach echtem meißner Porzellan. Professor Lüders hat Alles sehr richtig gefunden.

Nur eine Stimme darüber! bemerkte Bartusch. An uns gewöhnliche Menschen kommt davon nur so ein Blick durchs Gitter und auch der ist verboten; aber Excellenz sollen sich in dem Porzellanball wirklich selbst übertroffen haben.

Als der Intendant lächelte, verbeugte sich der schlaue Graurock, der es in der Kunst, mit allerlei »Gemenschel«, wie er zuweilen verächtlich sagte, umzugehen, weit gebracht hatte. Doch kaum hatte er sich empfohlen, kehrte er, da er Etwas vergessen zu haben schien, zurück und sagte zu dem Intendanten, der seinen Blick unverwandt in die Gegend schweifen ließ, von wo die Cavalcade zurückkehren mußte:

Noch ein Wort, Excellenz. Die Bilder wollt' ich doch gehorsamst erinnert haben –

Bilder? Was für Bilder?

Die Familienbilder! – Morgen bei der Verpackung! betonte Bartusch.

Welche Familienbilder? sagte Herr von Harder plötzlich mit Amtsmiene und fast ungehalten.

Bleiben bei der Masse – testamentarische Verfügung –

Weiß Alles. Schon gut –

Dürft' ich mir erlauben, diese Stücke an mich zu nehmen und zur weitern Verfügung zurückzubehalten?

Verfügung? Zurückzubehalten? Wer verfügt? Ich verfüge!

Bartusch erstaunte über diese kategorische Antwort, die von einem so bösen Blick begleitet war, daß die ganze freundliche Herablassung des vergangenen Gesprächs wie in Nichts verronnen erschien. Bartusch stand einen Augenblick rathlos, ob er unterwürfig bleiben sollte oder entschieden auftreten. Noch zog er den ersten Ton vor und sagte:

Excellenz kennen des seligen Fürsten letzte Bestimmung, daß die Familienbilder von dem Kauf ausgeschlossen sind. Es war das Gewissen, das aus ihm sprach, die Ehre....

Familienbilder! sagte der Intendant mit großem Nachdruck, und verrieth durch seine Sicherheit, daß er hier nicht aus sich, sondern nach einer Instruction sprach. Se. Majestät werden den letzten Willen Sr. Durchlaucht wohl zu ehren wissen,... indessen, mein lieber Herr – was reden Sie von Gewissen, von Ehre? Herr –...

Bartusch! ergänzte dieser, als der brüske Intendant den Namen suchte.

Bartusch, mein lieber Herr Bartusch! Der Intendant sprach diese Worte mit einem Anflug von Schlauheit, der den starren Zügen etwas höhnisch Lächelndes gab – Was sind Familienbilder?

Bilder der Fürstin, des Fürsten, des Prinzen Egon – fiel Bartusch erregter ein.

Haben Sie den Fürsten gekannt?

Ich denke wol – antwortete Bartusch malitiös.

Die Fürstin haben Sie nicht gekannt.

Wenn nicht ich, so kennt sie im Dorfe jedes nicht zu kleine Kind.

Kind... im Dorfe? Ist das eine Autorität? Eine Autorität für einen allerhöchsten Specialbefehl, den ich zu vollziehen die Ehre habe? Kannten Sie die geborene Gräfin von Bury, welches die Mutter der Fürstin gewesen ist? Kannten Sie den k. k. österreichischen Generalfeldzeugmeister Grafen von Hohenberg, der in zweiter Linie mit dem Fürsten von Hohenberg Durchlaucht verwandt war? Familienbilder sind ein sehr allgemeiner Begriff – mein lieber Herr Bartusch – ein sehr allgemeiner. Man wird die Bilder nach der Residenz nehmen, alle – alle – alle – und Prinz Egon, Prinz Egon wird entscheiden, welche davon zur Familie gehören oder nicht. Haben sie verstanden, Herr Bartusch?... Wer verfügt? Ich verfüge! Verstanden?

Mit diesen kurz abgestoßenen, kalten, schneidenden, bösen Worten entfernte sich der vornehme impertinente Mann. Bartusch hatte Mühe, ansichzuhalten. Er besaß Verstand genug, einzusehen, daß diese Überlegung nicht aus Herrn von Harder's Kopfe kam, sondern der Wortlaut einer ausdrücklich ihm gegebenen Instruction war. Die Wendung, die so kräftig betont wurde: »Familienbilder sind ein allgemeiner Begriff« entsprach den Begriffen des Intendanten keineswegs.

Das hat ihm Jemand so oft vorgesagt, bis er das schwere Wort behielt und sich Etwas darunter vorstellen konnte! murmelte Bartusch vor sich hin, und in der Überzeugung, daß es mit den Zimmern der Fürstin eine doch sonderbare, seine ganze Neugier spannende Bewandtniß haben müsse, lenkte er nachdenklich seinen etwas schlorrenden und schleichenden Schritt dem Tempel zu, wo er mehre von den Damen, die jetzt das Schloß bewohnten, Andere, die es eben besuchten, erblickte, wie sie nickend mit Tüchern in die Ferne wehten. Dieser Gruß galt Melanie und ihren Begleitern, die soeben von ihrem Spazierritt im vollen Trabe zurückkehrten.


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