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Neuntes Capitel.

Die Visitenkarte des Tischlers.

Der Wald war zurückgelegt. Zu dem Städtchen Dassel hinab ging es im raschen Trabe. Einige Regentropfen fielen schon, ohne jedoch sehr zu belästigen.

Dankmar, wie er so dahin jagte über die staubige Straße, schüttelte über sich selbst den Kopf. Er suchte einen Schatz, der ihn, wie er vielleicht scherzte, zum Millionair machen sollte, und um ihn zu finden, fuhrwerkte er eben eigenhändig einen Handwerksburschen und einen elenden abgedankten Schreiber! Es ging ihm wirklich unwirsch und ärgerlich im Kopfe hin und her. Auch der Umstand, daß er das Gespräch mit dem geheimnißvollen und ihm jetzt wieder zweideutig gewordenen Fremden gerade da abgebrochen hatte, als er – ohne das vernünftige granum salis hinzugefügt zu haben – sämmtliche deutsche Fürsten wie alten Sauerteig ausfegen wollte, drückte ihn.... Es ist so lästig, in extremen Behauptungen ohne Vermittelung dazustehen. Wir Alle leiden ja überhaupt mehr darunter, daß man uns nicht ausreden läßt, als darunter, daß man uns absichtlich misversteht. Man glaubt uns so oft zu verstehen und Das eben erscheint uns so gefährlich! Man unterbrach uns nur oder das Schicksal unterbricht uns in Augenblicken, die uns gerade die wichtigsten waren. Der Tod, welche schreckliche Unterbrechung für einen Menschen, der sich noch aussprechen, seine Gefühle rechtfertigen, seine Gedanken erläutern möchte! Und doch ist der Tod noch der geduldigste unserer Zuhörer. Selten, daß er uns mitten in einer Periode einer Auseinandersetzung für unser ganzes Leben überrascht. Die ungeduldigsten und quälendsten Störer sind aber gerade die, die uns immer vortrefflich verstanden haben wollen und gleich in die Rede fallen. Sie verlassen uns wie in schönster Übereinstimmung und wir bleiben mit dem Gefühle stehen: Der geht doch mit einer Voraussetzung von uns fort, die nicht zutrifft! Es sind doch nicht meine Gedanken, die er da als die meinen mit fortnimmt! Himmel, er wird sie verbreiten, er wird mich nach ihnen beurtheilt machen, er hat mich nicht ausreden lassen und macht mich unglücklich.

So lagen auch offene Gewaltthätigkeiten Dankmar's politischen Meinungen ganz fern. Er wollte immer nur das Nothwendige und Vernunftgemäße und hier fühlte er nun, daß er doch weit mehr noch hätte sagen müssen, um ganz verstanden zu sein. Diesem drückenden Gefühle half etwas die Ankunft in Dassel ab. Es zerstreute doch, durch eine kleine gewerbfleißige Stadt zu fahren, und wenn auch nur im Vorüberfluge hier und da von einem freundlichen Gesichte begrüßt zu werden.

Hinter Dassel belustigte Dankmarn, der sich eine Cigarre angezündet hatte und um zu gleicher Zeit fahren und rauchen zu können, schweigen mußte, ein Gespräch, das Hackert mit dem Fremden anfing. Hackert hielt diesen für Das, was er gleich anfangs vermuthet hatte, einen Spion, redete ihn aber für Das, für was er sich ausgab, an und sagte ganz dreist:

Tischlergesell bist du?

Tischlergesell – wiederholte nach einigem Zögern der Fremde.

Wo bist du her?

Hier aus dem Hohenbergischen.

Wo standest du zuletzt in Condition?

In Paris.

Donnerwetter, Das ist weit. Von da kommst du direct und verlegst dich nicht aufs Fechten? Hast wol in Paris geschafft? Ich seh' es. Deine Mütze ist bei Noack in der Fischerstraße ganz neu gekauft und deine Blouse, glaub' ich, hab' ich schon 'mal auf dem Maskenball im Opernhause gesehen.

Diese Wendung frappirte den Fremden.

Dankmar lachte in sich hinein:

Siehst du! dachte er; du kommst da an den Rechten.

Tischler ist kein übles Handwerk, fuhr Hackert behaglich fort. Aber immer Wiegen zu machen, wäre mir zu läppisch, und immer Särge, zu schwermüthig. Wobei hast du denn am meisten den Hobel angesetzt?

Ich bin ein Kunsttischler, mehr zum Luxus....

Aha! Luxus... Mahagony? Nicht wahr? Drum gefiel dir auch wol die neue Dreschmaschine beim Heidekrüger?

Der Fremde ließ sich durch diese verschmitzte Frage nicht irremachen, sondern setzte umständlich das Getriebe einer solchen Maschine auseinander, trotzdem, daß sie nicht von Mahagony war. Er wollte eben zeigen, daß er die Praxis verstand.

Dankmar, der aufmerksam zuhörte, mußte fortgesetzt lachen; denn Hackert verstummte plötzlich über die Schrauben, Ventile, Stempel, von denen der Fremde sprach. Sein Plan, den verkleideten Regierungsassessor Müller aufs Glatteis zu führen, war gescheitert.

Das darauf eintretende Stillschweigen währte längere Zeit. Dankmar rauchte. Hackert schickte sich zum Schlafen an. Der Fremde sah auf die Gegend und notirte sich zuweilen Etwas, was ihm plötzlich einzufallen schien, in einem kleinen zierlichen Buche. Das dauerte so fort, bis er hinter einem Dorfe, das sie wieder zurückgelegt hatten, Namens Helldorf, zu Dankmar sagte:

Da sind wir jetzt in einem Lande, wo ja mit einem Fürsten, wie wir vorhin sagten, reiner Tisch gemacht worden ist! Es ist wahr, es lebt sich darin nach wie vor. Die Menschen gehen und wandeln, die Bäume tragen schwer an den Ästen, die Ernte ist reif, das Gras schon zum zweiten male gemäht. Es hat sich nichts verändert.

Wo wären wir denn da? wandte sich Dankmar um.

In dem Fürstenthume Hohenberg, sagte der Fremde; hier beginnt die kleine Herrschaft, die so verschuldet ist, daß selbst eine Lotterieanleihe sie nicht mehr retten konnte. Heben Sie den Glanz und das Glück der kleinen Herrscher auf und sie gehen von selbst.

Und die großen? fragte Dankmar, der nicht abgeneigt schien, das begonnene Gespräch fortzusetzen.

Halten Sie es für möglich, sagte der Fremde, unbekümmert um den in politischen Dingen schweigsamen und nun schlafenden Hackert; halten Sie für möglich, daß jemals Staaten wie Preußen, Österreich, Baiern ganz aufhören können? Diese Sondergeschichte ist nicht auszulöschen und in den Fürsten erhalten sich die Erinnerungen der Völker und werden durch sie getragen.

Dankmar antwortete ironisch:

Ich bewundere, wie Sie glauben, die Hebel der Gesellschaft, die Organe der Menschheit in Bewegung setzen, neue Sitten, neue Gesellschaftsformen bilden zu können und doch an dem Bestande von Dynastieen wie an etwas Ewigem haften! Wie gern auch söhnt' ich mich mit diesem Bestande aus, wenn ich darin nur die Fortbildung unserer Freiheit gesichert sähe! Wissen Sie, was mir durch diese Monarchieen allein gesichert scheint? Ein Übel, das mir noch gefährlicher dünkt als die von Ihnen gerügte allgemeine Genußsucht. Es ist Dies die allgemeine persönliche Eitelkeit, begründet auf eine durchgreifende Erniedrigung des Menschengeschlechts. Wir hörten ja gestern vom Reubunde. Wie erscheint der Ihnen?

Ein wenig lächerlich, war die Antwort.

Mir scheint er gefährlich, sagte Dankmar. Gefährlich deshalb, weil er mit einigen guten Eigenschaften des civilisirten Menschen ein unverantwortliches Spiel treibt. Liebe und Hingebung sind himmlische Thätigkeiten der menschlichen Seele, aber sie haben ihre Grenzen. Sagen Sie selbst, ob nicht in jener Monarchie, zu deren Erhaltung und Unterstützung der Reubund gestiftet wurde, das eigentliche Hinderniß freier Entwickelung die tief in den Institutionen und den Erinnerungen des Volks wurzelnde Eitelkeit das Hinderniß der wahren Freiheit ist? In diesem Staate entwürdigt sich der Mensch als Gattungsbegriff, um sich als bürgerliche Person hochzustellen. Das Individuum will bedeutend sein auf Kosten des Geschlechts. Oder woher denn sonst dieses rastlose und die Menschenwürde beschämende Drängen nach Auszeichnung? Eine Unzahl von Ehrenzeichen und Titeln wird in Massen verschleudert, die allgemeine Militairpflicht untergräbt das kräftige Selbstgefühl der Heimat und ordnet Jeden einer abstracten Ehre, der Soldatenehre, unter. Wo Sie im Bereich dieser Monarchie hinkommen, überall bilden sich die Menschen ein, in unmittelbarer Beziehung zum Fürsten zu stehen. Jeder glaubt sich von ihm persönlich gekannt; Jeder drängt sich vor, um irgendwie zur Notiz der hohen Behörde genommen zu werden. Wie eilt nicht Alles zu Unterschriften, zu namentlicher Nennung bei jeder Gelegenheit! Streiten Sie mit diesen Menschen, so hat Jeder eine Meinung für sich, Jeder weiß es besser als der Andere, und wenn man sich unterordnet, so ist es nur einem hochgestellten und betitelten Manne. Einer Berühmtheit die Schleppe zu tragen, die Kundschaft einer Excellenz zu genießen, von einer erlauchten Person angeredet zu werden, Das ist dort wie in Rußland der Bindekitt des öffentlichen Geistes und die Bedingung seiner Formen. Wenn Montesquieu die Ehre als das Wesen der Monarchie bezeichnete und er es aufrichtig meinte und nicht etwa damit seinem Souverain ein leeres Compliment machen wollte, so kommt dieses Merkmal, das nur aus Mangel eines tiefern Begriffes erfunden zu sein scheint, in jenem Staate zu seiner kleinlichsten, aber auch gefährlichsten Anwendung.

Der Fremde schwieg eine Weile. Dann nahm er, als er Hackert wirklich schlafend fand, das Wort und sagte:

Auch ich hasse die gedankenlose Hingabe an den flüchtigen Glanz des Bestehenden, nur um an diesem Glanze theilzuhaben; besonders ist mir, trotz meiner conservativen Gesinnung die Coquetterie mit dem Heere unerfreulich. Es ist Dies ein Stolz, der denn doch auf nur höchst unglückliche, den großen Menschheitszwecken widerstrebende Anomalieen sich begründet! Nie wird ein Staat eine Zukunft haben, der sich nur auf die Institutionen der Gewalt stützt und darauf hinarbeitet, im Volke das Staatsleben nur wie einen Formel- und Götzendienst zu begründen. Auch das Beamtenwesen ist eine solche morsche Stütze des dauernden Bestandes. Eine einzige verlorene Schlacht stürzt alle diese blankgeputzten und zierlichen Götzen und was nicht unendlich Wichtigeres mit ihnen! Aber dennoch sind Sie ungerecht, wenn Sie glauben, daß die Dynastie von dieser Hingebung allein zehren will. Ich hoffe doch, sie strebt nach der Befestigung durch jene tiefer wirkenden Hebel der Industrie, des Handels, der Ackerbauerleichterungen. Freilich auf gewöhnlichem Beamtenwege wird hier nichts bewirkt. Solange nicht die Arbeit selbst an den Thron für sich redend tritt und die Bureaukratie aufhört, der Dolmetscher der Interessen der Arbeit zu sein, kann es nicht besser werden. Es fehlen uns Staatsmänner, die ihre Schule im Volke gemacht haben.

Dankmar fühlte sich durch die Ideen seines Reisegefährten oft so angezogen, daß er sie für die seinen erkannte, oft aber auch wieder ganz von ihnen abgestoßen. Er schwieg eine Weile und überlegte das Gesagte. Als ihn darauf der Fremde ersuchte, anzugeben, wie er sich's denn möglich dächte, jenen Geist der eitlen ehrsüchtigen Selbsterniedrigung in der Monarchie zu dämpfen, antwortete er:

Dadurch, daß man diesen falschen und unwürdigen Royalismus auf seine wahren Quellen zurückführt, die Quellen der Eitelkeit und der speculirenden Selbsterhaltung. Denn leider auch deshalb wird jetzt ein so übertriebenes Spiel mit monarchischen Formen getrieben, weil man einen Damm sucht gegen die drohenden Fluten der allgemeinen Zerstörung, gleichviel aus welchem Material gebaut. Ehrlich sind unter den Reubündlern nur Die, welche sich einbilden, vom Glanz der Monarchie falle etwas auf sie selbst, und unehrlich alle Die, welche zum Royalismus aus Angst für ihr Eigenthum flüchten oder die sich, wie dieser Schlurck, vor dem Auffallenden fürchten und der Mode folgen, weil sie Mode ist. Es muß Etwas erfunden werden, mein' ich, was das Individuum vernichtet, ohne die Person zu zerstören.

Das ist ein tiefes, aber dunkles Wort! unterbrach ihn der Fremde. Das Individuum vernichten, ohne die Person zu zerstören?

Wir müssen, erläuterte Dankmar, eine andere Gleichheit predigen als z. B. die der Volksversammlungen. Gleichheit mit dem Pöbel ist die Sehnsucht der Denkenden nimmermehr. Gleichheit der Ansprüche auf die große Ehre, die in einem Allgemeinen, uns Alle Bindenden liegt, Ehre, zurückstrahlend auf Alle von einem Begriff aus, der Ehre verdient, da ist Etwas zu suchen, zu erfinden, was uns rettet vor dem Rückfall in die Barbarei, daß wir aus Furcht vor Revolutionen der Anbetung des Bestehenden verfallen.

Als Schlurck's Name genannt wurde, erwachte Hackert. Die beiden Andern schwiegen, und die Nothwendigkeit, dem Pferde einige Ruhe zu gönnen, trennte vor einem am Wege gelegenen Wirthshause auf einige Zeit die drei Gefährten. Als der Fremde, um nach einem Mittagsimbiß zu fragen, ins Haus getreten war, winkte Hackert Dankmarn und zeigte ihm ein Taschentuch, das Jener hatte liegen lassen. Mit geheimnißvoller Miene bedeutete er ihn näher zu treten und hielt ihm verstohlen den Zipfel des Tuches hin. Es war sehr fein eine Krone mit dem Zeichen 100 und dem Buchstaben  E darin gestickt.

Das heißt, sagte Hackert, der Mensch, von dem er dieses Taschentuch gestohlen, hatte deren hundert, war mindestens kein Tischler und fängt in seinem Vornamen mit einem E an.

Oder es gehört ihm wol selbst, sagte Dankmar.

Das ist auch möglich, antwortete Hackert trocken und rief einen Knecht, für das Pferd zu sorgen. Dann knöpfte er sich den Rock zu, streifte Beinkleider und Rockärmel glatt und benahm sich affectirt genug wie ein Gentleman.

Schneiden Sie kein so schlimmes Gesicht! sagte er zu Dankmar; jetzt, wo wir Hohenberg näher kommen, wird's mit meinem Fahren freilich nicht mehr viel werden. Wenn Sie indessen in Ihrem eleganten Costüm fahren, weiß man, daß Sie es nicht nöthig haben und es nur aus Vergnügen thun. Wenn ich es aber thue, so sagt jede Canaille, Das wäre mein Beruf. Wenn wir in Hohenberg sind und Sie leichten Herzens, aber schwerer im Wagen mit Ihrem Schrein zurückfahren, so sag' ich Ihnen, warum das Alles so sein muß, wenn Sie nämlich Lust haben, es zu hören.

Es ist eine verkehrte Welt, meinte Dankmar kopfschüttelnd nachgiebig und steckte das Tuch zu sich. Wir wollen sehen, ob wir da auch Etwas zu essen finden.

In der Wirthsstube trafen sie einen Jäger. Ein stattlicher Fünfziger, wie es schien. Seine Jagdtasche hing ihm mit langen Troddeln um die Schultern. Sein grauer Rock mit grünen Aufschlägen war von leichtem Sommerzeug und wohlerhalten. Das gebräunte mit fuchsrothem Barte umschattete Antlitz trug einen unverkennbaren Ausdruck offenster Ehrlichkeit und treuherzigsten Vertrauens. Seine großen wasserblauen Augen grüßten die Ankömmlinge ebenso freundlich, wie er schon unterhaltend und unterhalten im Verkehr mit dem schöngewachsenen jungen Mann in der Blouse war. Eine Menge kleiner Kinder tobten um ihn her, spielten mit seinem Hunde, zupften an den Troddeln und dem Netzwerk seiner Jagdtasche und während er mit der Blouse, ja schon mit Dankmar und Hackert sprach, ging er doch dabei zu gleicher Zeit freundlich auf die Scherze der Kinder ein, die er hinterwärts mit den offen gelassenen Fingern haschte und neckte.

Sie sind hier im Gelben Hirsch! erklärte er den Ankömmlingen. Ihr Mittagsmahl müssen Sie nehmen, wie Sie's finden. He da, Lenchen! Jungfer Drossel!

Ein junges hübsches Mädchen, die die Wirthstochter schien, brachte schon für den jungen Mann in der blauen Blouse einige Teller von ihrem eigenen Mittagsmahle. Nun mußte aber auch noch genug für die beiden Andern da sein.

Ja, sagte der Jäger, wenn der Drossel nicht immer im Busch säße und seine politischen Lieder pfiffe!

Wie? erstaunte Dankmar, auch hier, wie auf dem Heidekrug, die Politik Störerin der häuslichen Ordnung?

Das nicht, meinte der Jäger begütigend; die Frau und das schmucke Lenchen da sehen schon nach dem Rechten. Aber es ist Alles mehr vollauf, wenn der Hausherr selbst für seine trockene Zunge sorgt. Wer viel spricht, muß auch sich und dem Magen viel bieten. Wir im Wald sind immer allein und reden nur einmal mit unserm Phylax oder mit den Grünspechten oder den Maulwürfen und da thut ein Stück Brot, ein Trunk Wasser oder einer aus der Korbflasche seine Schuldigkeit. Zur Nacht freilich gibt ein Jägersmann seinem Magen auch volles Gehör. Da knurrt der und will für sein Tagewerk ein kräftiges Futter....

Das Euch wohl bekommt... sagte Dankmar, auf des Jägers frisches Aussehen deutend.

Besser als vielleicht Herrn Drossel das Essen auf sein vieles politisches Reden, fiel der Fremde ein, der sich bei Seite gesetzt hatte.

Ach nein, meinte begütigend der Jäger, es folgt Jeder seinem Geist.

Damit wandte er sich zur bedienenden hübschen Lene, den Kindern und dem Hunde Phylax. Er wollte es wol vermeiden, den Wirth zum Gelben Hirsch so anzuklagen, wie die Liese den Heidekrüger angeklagt hatte.

Lenchen, sagte er ablenkend, wirst immer schmucker! Blitzaugen hat das Mädel! Ganz wie ihre selige Tante! Bist aus einem Tiegel mit ihr geschmolzen! Gott verzeihe mir die Sünde, daß ich von Feuer rede....

Die letzten Worte brummte der Jäger mehr vor sich hin.

Warum nicht vom Feuer? meinte Dankmar, eine dargereichte Weinkarte musternd. Die Menschen sind mehr durchs Feuer als durchs Wasser geschaffen.

Er bestellte eine Flasche Hochheimer.

Lenchen ging mit dem ganzen Kindertroß, der sie in den Keller begleiten wollte. Auch Phylax würde gefolgt sein, wenn ihn der Jäger nicht zurückgehalten hätte.

Das Feuer im Wein laß' ich mir gefallen, sagte der Jäger freundlich, die Bestellung gleichsam lobend. Aber, setzte er mit zusammengedrückten Augen hinzu, das Feuer, das ich meinte, ist ein anderer Brand. Hier das Haus ging vor nunmehr sechzehn Jahren einmal in Feuer auf und mit ihm... die Schwester Drossel's... ein junges Wesen....

Verbrannte?

Verbrannte.

Der Jäger wandte sich auffallend erschüttert zum Fenster hinaus. Die Reisenden aßen. Lenchen kam bald mit dem Wein zurück. Die Kinder lärmten wieder und litten nicht, daß der Jäger nach der Flinte griff, die an der Wand hing, und gehen wollte.

Ei, Onkel Heunisch, schon fort? sagte Lene Drossel. Vater und Mutter müssen von Schönau bald zurück sein. Ich dachte, Sie erzählen uns noch von Franziska's letztem Brief....

Komm ins Jägerhaus, Lenchen! Kannst ihn selbst lesen!

Ins Jägerhaus komm' ich nicht.

Fürchtest dich?...

Vor der Eule nicht.

Vor der Ursula. Ich weiß es. Bist ein Kindskopf.

Dabei lachte er wieder und verharrte dabei, daß er gehen müsse. Es wär' eine tüchtige Strecke nach Hause, meinte er.

Dann grüßen Sie aber die Fränz und danken Sie ihr für das hübsche Band! sagte Lenchen.

Solltest ihr selbst schreiben, Lenchen! Legst es an die Tante bei –

Das dürfen wir nicht!

Die Tante Pfannenstiel? Ist die so ungefällig? Die reiche...

Die!

Sieh! sieh! So schreib' der Fränz durch die Post. Sie hört gern Etwas von Hohenberg, vom Wald und Gelben Hirsch. Mein Schreiben ist nicht viel nutz. Franziska Heunisch, beim Tischlermeister Märtens auf der Wallstraße....

Franziska Heunisch? unterbrach Hackert das Verzehren seiner Mahlzeit, ein Geschäft, daß er mit vielem Appetit verrichtete.

Kennen Sie die Fränz Heunisch, Herr? fragte der Jäger, angenehm überrascht.

Hackert kaute und antwortete nicht. Er schien nicht das Gemüth zu besitzen, dem Onkel, der seine Nichte zärtlich zu lieben schien, eine Auskunft zu geben, die den freundlichen Waldbewohner glücklich gemacht hätte.

Als der Jäger die Frage: Ei! Kennen Sie die Fränz Heunisch? nochmals wiederholt hatte, stieß Dankmar ärgerlich mit dem Ellenbogen den kauenden Hackert an und sagte:

Hören Sie denn nicht?

Fränzchen Heunisch, antwortete Hackert mit zweideutigem Lächeln; eine angenehme kleine Putzmacherin....

Ja, Herr, sagte der Jäger, sie macht Putz.

Dann aber, da er Hackert's Lächeln sonderbar fand, setzte er, indem ihm das Blut in die Wangen schoß, mit unterdrücktem Zorn hinzu:

Wissen Sie von Fränz Heunisch etwas Unrechtes?

Ich weiß von ihr nichts, bester Jägersmann, sagte Hackert, als daß sie allerliebste Zähne, hübsche rothe Wangen, braune Augen, schwarzes glattes Seidenhaar und um die Augen eine gewisse reizende Haut wie von Wachs hat und in der Wallstraße Nr. 14 im zweiten Hofe links eine Treppe hoch wohnt.

Herr, da wohnt sie! sagte der Jäger und warf sich jetzt die Flinte so zornig über die Schulter, daß die Jagdtasche hin- und herflog. Was aber nun? Was nun?

Was nun? Nun? Nichts nun! Sie wollten ja die Adresse genau wissen. Wallstraße Nr. 14 im zweiten Hofe links. Ist's nicht so?

Der Fremde, der an dem Jäger Wohlgefallen zu finden schien und einen üblen Ausgang dieser Reibung fürchtete, hielt es für das Angemessenste, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.

Eilen Sie schon so? sagte er zu dem kirschroth gewordenen Mann, der auf Hackert Blicke schoß, die im Grunde doch mehr rührend als erschreckend waren. Er fürchtete sicher, Franziska Heunisch möchte wirklich auf schlimmen Wegen sein.

Die Jagd kann Sie nicht rufen, fiel Dankmar ein, der in dem Jäger den über seine Nichte aufsteigenden Verdacht gleichfalls zerstreuen wollte; ich denke, in den Wäldern hier mag es im Herbst lustig zu pirschen sein...

Es gibt nicht mehr viel Wild in den fürstlichen Wäldern, sagte der Jäger, sich sammelnd, aber noch mit zitternder Stimme.

Sind Sie Hohenbergischer Jäger? fragte der Fremde.

Das bin ich.

Früher Militair?

Militair.

Dem alten Feldmarschall nahe gestanden? Nicht wahr?

Nicht so nahe. Der selige Feldmarschall war kein Jäger.

Und doch kein Wild? bemerkte der Fremde, der sich so benahm, daß ihn Niemand mehr für einen wandernden Handwerker halten konnte.

Doch kein Wild! fiel der Jäger, der sich rascher beruhigte, als Dankmar erwartet hatte, ein. Das machen die Finanzen....

Wie so die Finanzen? sagte Dankmar.

Weil die Juden den alten Fürsten ganz in Händen hatten. Wie ihm kein Strohhalm mehr im Lande gehörte, ließen sie dann auch frisch aufs Wild losschießen, Reh' und Haas, Alt und Jung, nur um Geld herauszuschlagen. Jetzt sind sie ja in Hohenberg All' versammelt; sie wollen zur Jagd wiederkommen, sagten mir neulich ein paar Steifböcke; aber ich lachte und dachte mir: Bringt wieder, was Ihr schon Alles in unserm Wald vertilgt habt, dann wird sich's der Mühe lohnen. Übrigens schwieg ich; denn kein Mensch weiß, was aus der Herrschaft werden soll und wer uns inskünftige was zu befehlen hat.

Wer ist denn Alles oben? fragte Dankmar, der den etwas frugalen Fremden in der Blouse gebeten hatte, sich des Weins gemeinschaftlich zu bedienen.

Ich kenne sie nicht Alle, die geputzten Leute, sagte der Jäger. Aber Das weiß ich, solche sind's nicht, wie Die, die zur Zeit, als der Fürst und die Fürstin im Glanze lebten, da zu Besuch gekommen sind. Der Fürst ist in der Residenz gestorben, kam auch nie hinaus nach Hohenberg, schon die zwölf Jahre nicht, daß die Fürstin da wohnte. Als die fromme Frau noch lebte, durfte sich Niemand von den Creditores auf dem Schlosse sehen lassen. Das war so ausgemacht. Als sie aber die Augen zuthat, es sind nun zwei Jahre her, da ging's lustig los. Erst fing's auf den Wirthschaftshäusern herum und in der Rechnungskammer an zu rumoren. Hui, was für fremde Vögel, die da durcheinander zwitscherten: Das ist für meine Kralle, Das für meinen Schnabel! Das Schloß blieb noch unangefochten, aber seit den drei Monaten, daß nun auch der Fürst in Gott entschlafen ist – ja, ja! – in Gott – Gott hab' ihn selig, es war ein guter, aber auch wieder ein recht schlimmer Herr – Da – Hurrah! Da kamen sie denn Alle an, in großen Staatskutschen. Ritsch! Ratsch! Jetzt zerhackt und zerstückt das Ganze! Wenn sich Keiner findet, der die halbe Million zahlt, die allein schon als Schuld auf dem Ganzen steht, ist's aus! Es ist nun drei Wochen her. Schnedderedeng! Trarara! Das ganze Dorf unten - es heißt Plessen – kam zusammengelaufen und gaffte die Postillone all und Kuriere an, und die Herrschaften stiegen aus. Das sind nun Die, die viele Jahre lang erst auf den Boden, dann auf den Wald, zuletzt auf Geräth, Leinenzeug, Tisch- und Bettzeug und den letzten Spahn Holz im Schlosse Geld geliehen haben. Der Fürst ließ ja – Gott sei's geklagt! – seine alte kostbare Lebensart nicht, brauchte zehn mal mehr als er einnahm und so war er zuletzt dermaßen herunter, daß sein Sohn in Paris die Erbschaft nicht antreten will und.. nicht antreten kann und.. nicht antreten wird.

Während der Förster so plauderte, verzehrten die drei Reisenden vollends ihr bescheidenes Mahl. Dankmar hatte in der Zerstreuung das Taschentuch an den Fremden zurückzugeben vergessen. Hackert blinzelte ihm deshalb einige mal mit den Augen zu, ohne sich aber Dankmarn verständlich machen zu können.

Liegt nicht am Fuße des Hohenbergs, fragte Dankmar, seine eigenen Angelegenheiten erwägend und darin, daß der Fremde in tiefes Nachdenken versunken schien, nichts Auffallendes erblickend, liegt nicht in Plessen eine Schmiede?

Ja wol, lautete die Antwort.

Kennen Sie den Schmied?

Er heißt Zeck! Ist blind und sein Sohn ist taub.

Hackert lachte und fügte hinzu:

Und hoffentlich sind bei ihm recht viel Pferde lahm?

Der Jäger sah den Witzmacher finster an und wandte sich in seinen Erläuterungen zu den Andern, Hackert den Rücken kehrend.

Die Zeck'sche Schmiede war sonst in Flor. Alle Fuhrleute haben da angesprochen und sparten ihre Reparaturen auf die plessener Schmiede; jetzt kommt selten noch ein Wagen den Berg herunter.

Wenn jetzt da oben Alles aus Rand und Band ist, fragte Dankmar, so gibt es wol viel verrufenes Gesindel auf der Herrschaft?

Das doch nicht! Dann und wann einmal ein Wilddieb. Und Das selten, weil nichts zu dieben da ist. Ja! Holz wird gestohlen....

Und Das tüchtig! schaltete Lenchen ein, die ab- und zuging und manchmal ein Wort dreinredete, wie es einem resoluten Mädchen zukommen mag.

Ja! sagte der Jäger lachend; mehr als billig.

Aber wie reimt sich Das, bemerkte der Fremde, mit der allberühmten Frömmigkeit, durch die sich ja die ganze Gegend auszeichnen soll?

Der Jäger lächelte nicht ohne Feinheit.

Es wird wol so dick damit nicht aussehen, meinte Lenchen und lachte, indem sie abdeckte.

Ich will Ihnen sagen, nahm der Jäger das Wort; es mag mit der Frömmigkeit, die man so offen zur Schau trägt, nicht weit her sein; Das lernt man im Walde, wo man an jedem stillen Plätzchen denkt: hier ist's so gut wie in der Kirche! Aber wenn's auch nicht mehr sehr lange nachwirken wird, die selige Fürstin hielt doch viel auf's Christenthum. Sie theilte Bibeln aus und sammelte jeden Sonnabend die Leute um sich und las irgend was Andächtiges vor, oder irgend ein fremder Herr mußte vorlesen und die Leute sangen dazu. Manchmal kamen Menschen, die früher ein Handwerk gelernt hatten, dann aber, wie sie's nannte, die vortreffliche Dame, die Erleuchtung bekommen hatten und Missionäre wurden, für die Heiden zu bekehren. Die stellte sie dann Sonnabends der Gemeinde vor und Alle mußten beten, daß Gott die frommen Apostel, wie sie sie nannte, in Gnaden beschützen und behüten möchte. Ach, Das war oft recht rührend, so einen guten Menschen zu sehen, der nun da hinaus muß ins Hottentottenland und die Buschmänner bekehren. Alle mußten weinen und Jeder gab ihm die Hand und sah den armen Menschen sich noch einmal erst an, ehe er gespießt und gebraten war. Manche freilich....

Der Jäger machte eine schlaue Miene.

Nun, Manche? fragte Dankmar.

Manche von den Missionären gingen gar nicht hin zu den Hottentotten! sagte der Jäger pfiffig und kratzte sich hinterm Ohr. Wenn Die das Gute genossen hatten und recht ausstaffirt waren mit allerhand kostspieligen Geschenken, blieben sie in Bremen oder Hamburg ganz geruhig liegen oder schrieben, sie hätten schon bei England herum Schiffbruch gelitten und müßten wieder umkehren oder es müßte was Neues nachkommen. Ach, lieber Heiland, was sind da für Sachen vorgefallen!

Der Jäger war so gutmüthig, daß er diese Worte in einem entschuldigenden Tone und wie über den Lauf der Welt kopfschüttelnd vortrug.

Kein Missionär, erzählte er weiter, ging von Hohenberg fort, ohne nicht noch einen ganzen Koffer voll Hemden und Strümpfe mitzunehmen. Die ließ die gute Frau Fürstin im Ländchen herum weben und stricken. Sie theilte das Garn und die Wolle aus, aber nur an Die, welche in die Betstunden kamen. Wer fromm zugehört und andächtig seinen Vers gesungen hatte, kriegte nachher, wenn die Andacht aus war, einen Napf voll Warmbier und etwas frisches Weißbrot – was die alte Brigitte schön backen kann – und beim Nachhausegehen bekam jede Frau und jedes Mädchen einen Korb voll Arbeit für die Heiden mit.

Hackert lachte über diese Schilderung so unverschämt laut auf, daß es ihm Dankmar fast verwies. Dennoch mischte er sich dreist in das Gespräch und sagte:

Ich kenn' einen ehemaligen Missionär. Der Schlingel hat mir's erzählt, wo die Strümpfe und Hemden all' hinkommen, die man ihnen nachschickt. Die Augenverdreher verkaufen sie an das erste beste Kauffahrteischiff, das sie am Meere antreffen. Nach Hause aber schreiben sie: Dank für das Übersandte! Die Heiden wandeln bereits im Licht und auf euren Strümpfen. Schickt nur mehr von der Sorte!

Hackert hatte die Genugthuung, daß seine Anekdote gefiel. Der Fremde aber verließ das Zimmer. Die Erzählung des Jägers schien ihn wol zu interessiren, ihre heitere Wendung aber zu verletzen. Da sein Ranzen liegen blieb, so war nicht anzunehmen, daß er sich schon wieder auf den Weg gemacht hatte.

Und wer zahlt nun die Leute aus, die noch im Dienste der Herrschaft stehen? fragte Dankmar.

Der Justizrath Schlurck, antwortete der Jäger. Der ist schon seit zehn Jahren der eigentliche Fürst von Hohenberg. Der administrirt mit dem Director von Zeisel Alles durch- und übereinander. Die Creditores halten sich an Schlurck. Noch gestern war er auf dem Schloß, muß aber rasch eine Ordre gekriegt haben, so schnell ist er auf und davon. Seine Frau aber, die ist noch da mit dem Commerzienrath von Reichmeyer und Frau Commerzienräthin von Reichmeyer und Herr Bartusch und mit Respect zu vermelden...

Der Jäger sah sich nach den Kindern um.

Diese spielten mit dem Hunde, und da er auch Lenchen Drossel nicht sah, so flüsterte er:

Drossel's Schwester ist auch dort.

Wer?

Frau Pfannenstiel.

Auch eine Creditorin?

Durch ihren Mann. Frau Wirthschaftsräthin Pfannenstiel. Ihr Mann war früher Pachter bei dem Fürsten, brachte dabei sein Schäfchen ins Trockene, zog in die Residenz, bekam den Titel Wirthschaftsrath durch den Fürsten und wurde gerade sein schlimmster Blutsauger. Kurz, Sie finden da allerlei Volk, Christen und Türken und...

Melanie Schlurck, des Justizraths Tochter, hat sich also einen ganzen Hof mitgebracht? schloß Dankmar.

Von Der wissen Sie schon? Ja! Das ist ein Engel oder ein Satan. Die macht Alle verdreht. Zu Fuß, zu Pferde, bald im Feld, bald im Walde, und hol' mich Dieser und Jener, sagt' ich noch neulich zur Ursula; sollte man nicht glauben, sie tanzte immer? Noch hat Die kein Mensch mit ruhigem Fuß gesehen und Augen hat sie im Kopf, Zähne im Mund..... Ja! Die hat's Allen angethan, und was man ihrem Vater für Fluch und Malefiz nur anwünschen mag, der Mamsell kann man nicht gram sein; sie macht Alles wieder gut. Auch ein feiner junger Herr aus der Stadt ist mitgekommen... er heißt... ich weiß es nicht... kurz und gut, so lustig ist's seit zwanzig Jahren da nicht hergegangen. Jemine! Säh' es die alte Fürstin, sie drehte sich im Grabe um.

Der Jäger trank seinen Labetrunk Bier aus, wünschte den Herren gute Verrichtung, schüttelte Dankmarn sogar die Hand und ging. Dankmar erwiderte freundlich, faßte aber Hackert ins Auge, da er dessen Angesicht plötzlich wie mit Blut übergossen sah; seine Wangen glühten, seine Stirn schien heiß; von der Farbe des Haares und der Haut entdeckte man kaum einen Unterschied mehr. Dankmar's erster Gedanke war, da von dem Jäger Lasally angedeutet wurde, an sein Pferd. Er glaubte in der Verlegenheit, die er auf Hackert's Antlitz bemerkte, als der junge fremde Herr, der wol nur Lasally sein konnte, erwähnt wurde, das Zugeständniß der Befürchtungen zu finden, die er seinem Bruder Siegbert geäußert hatte, als dieser für Hackert's Ehrlichkeit gutsagen wollte. Aufs allerheftigste wurde er wieder von dem Gedanken ergriffen, daß zuletzt dieser Hackert doch wol nur ein Gauner sein möchte, der sich ihm noch zu irgend einem bösen Zweck angeschlossen hätte. Und dennoch fühlte er Mitleid mit ihm. Der Nachtwandler stand wieder vor ihm; der wüste schauerliche Eindruck, wie Hackert mit halb herabgefallenen Kleidern, mit Stroh und Heu im Haar, mit offenem Hemd, in der Hand die verlöschende Laterne vor ihm stand und Schlurck vor Entsetzen das Wort ausstieß, das ihn weckte! Die Erinnerung an diesen Anblick trat ihm so mächtig in diesem Augenblicke vor die Seele, daß er fast erschrak, Hackert möchte eben wieder in einen ähnlichen Zustand verfallen. Denn er bemerkte, daß Hackert wie in Gedanken verloren zur Thür hinausging, geduldig den schon zur weitern Reise gerüsteten Gaul bediente, geduldig die Peitsche ergriff und, als wüßte er es nicht, vorn auf dem Bocke saß. Alles Das hatte er mechanisch, ohne Überlegung gethan. Seine Absicht, in der Nähe von Hohenberg Jedes zu vermeiden, was seine Eitelkeit in ein falsches Licht stellen konnte, hatte er in dieser träumerischen Abwesenheit ganz vergessen, und Dankmar stand und staunte, diesen Zustand still beobachtend.

Was ist dem Menschen? dachte er.

Der angebliche Tischler hatte sich inzwischen draußen mit dem Jäger noch einige Augenblicke unterhalten und dann seinen leichten Ranzen geholt. Er wollte den weitern Weg zu Fuß machen und verabschiedete sich von Dankmarn. Dieser hielt ihn aber zurück und sagte:

Wir haben jetzt nur noch drei Stunden bis Hohenberg zu fahren; es hat inzwischen geregnet, der Weg ist zu feucht für Ihre dünnen eleganten Stiefel. Bleiben Sie bei uns!

Der Fremde stieg nachgebend ein, Dankmar bezahlte für sich und Hackert die Rechnung, folgte dann in den Wagen und rief: Fort! Hackert schien nicht zu wissen, wo er war, sondern gab sich willenlos dem Thiere preis, das im raschen Trabe weiterfuhr.

Der Regen hatte in der That mit einem einzigen und gewaltig starken Erguß die Natur erfrischt. Wie erhob sich Baum und Blatt, wie blickte der Grashalm so gekräftigt zu der Sonne auf, die hier und da schon aus den grauen, sich zertheilenden Wolken wieder hervorbrach! Auch die Gegend nahm jetzt einen viel gefälligern Charakter an. Die großen Flächen hörten auf. Der Boden hob sich wellenförmig, am Rande des Horizonts stiegen schon die blauen Conturen einer nicht hohen, aber anmuthig geformten Bergkette empor. Hier und da verrieth sich ein hinter Büschen geborgenes Dorf durch seine Kirchthurmspitze. Der Weg war mit Obstbäumen besetzt, die Äpfel und Birnen in reicher Ernte versprachen. Auf den Feldern war fast überall schon die Frucht geborgen, sodaß man mit dem Blicke weithin ausschweifen und die Krümmungen kleiner Bäche verfolgen konnte, die den Boden fruchtbar bewässerten und die Gegend lebendiger machten.

Der Fremde betrachtete die Flur mit einem ernsten, sinnenden Blick.

Es ist meine Heimat, sagte er. Ich bin in diesen Thälern geboren. Früh schon verließ ich sie und doch kenn' ich jedes Dorf, jede Anhöhe wieder.

Wie traurig, sagte Dankmar, daß so schöne Besitzungen von einem leichtsinnigen, weltlustigen Herrn verschleudert wurden! Die Bauern haben sicher die Vortheile der neuen Zeit hier wahrgenommen, sie haben sicher die Laudemien und Gefälle abgekauft. Vielleicht ist die Summe, die dadurch auf einem Brete gezahlt wurde, für den künftigen Unterhalt des Prinzen Egon ausgesetzt, das Einzige, was ihm sein Vater zu erben mag hinterlassen können. Die übrigen gewöhnlichen Abgaben von Grund und Boden laufen ohne Zweifel in die Kasse der Gläubiger, die in den jetzigen schlimmen Zeiten wol sich vergebens nach einem reichen Capitalisten umsehen, der hier das ganze Besitzthum mit Activen und Passiven übernimmt!

Es ist wenig Heil noch auf Grund und Boden, sagte der Begleiter trübe gestimmt. Die Masse der Lasten drückt zu sehr. Wo der Staat etwas gewinnen will, denkt er immer gleich an das Erdreich und Den, der es anbaut. Immer den Zollstab an die Erde gelegt! Warum nicht an den Handel? Die Kaufleute, die jetzt die Welt regieren, wissen sich zu schonen. Da sie meist von den Handwerkern leben, so schützen sie allenfalls diese noch eine Zeitlang und auch mit Recht. Weil aber dem gefräßigen modernen Staate die Mittel der Existenz immer knapper werden müssen, so sagen die regierenden Kaufleute und Börsenmenschen: Haltet Euch an Grund und Boden! Grund und Boden sind ewig! Welche Ungerechtigkeit aber! Es ist wahr, die alten aristokratischen Regierungen haben es möglich gemacht, daß Grund und Boden bei den großen Ansprüchen des Fiscus an die Staatskräfte oft steuerfrei durchschlüpften und meist mit einem blauen Auge davonkamen. Es ist wahr, daß der Grund und Boden in den Katastern oft falsch veranschlagt ist. Allein diese relativen Vortheile sind im Preise von Grund und Boden schon mit angeschlagen, und wie ich jetzt zwei mal mehr Steuern geben soll, so vergißt man, daß ich das Gut nur in der Voraussetzung kaufte, daß es beim Alten bleiben sollte und nur einfach zu zahlen hätte.

Ich kenne diese Streitfrage, bemerkte Dankmar; aber ich weiß nicht, ob man es nicht darauf könnte ankommen lassen, einmal der Aristokratie des Grundbesitzes die nothwendigen Folgen ihrer alten Regierungsmethode fühlbar zu machen. Man spricht von der Nothwendigkeit des isolirten Reichthums. Ich kann sie in diesem Sinne nicht anerkennen. Die gefährlichste Aristokratie bleibt die des Blutes, wenn sie sich auf einen großen und möglichst ungehemmt verwalteten Grundbesitz stützt. So lange wir, aufrichtig gestanden, das Adelsinstitut behalten, seh' ich kein Heil für die Menschheit. Der Adel ist hier und da zuweilen liberal aufgetreten und hat sich dem Volke angeschlossen; aber wie selten diese Ausnahmen! Ich anerkenne den Unterschied der Menschen, den die verschiedenen Stufen der Bildung und auch des Besitzes mitsichbringen, aber einen durch die Geburt, durch Namen, durch Ahnen begründeten Unterschied sollte die Aufklärung nicht mehr dulden.

Ich theile Ihre Ansicht in gewissem Sinne, erwiderte der Fremde. Nicht daß ich den Adel ausrotten will; denn ich halte Das für unmöglich; ich halte die Umwandelung eines berühmten Geschlechts in eine einfache bürgerliche Familie höchstens für eine komische Episode der Geschichte, die nur auf kurze Zeit möglich ist. Aber man soll erstens die Überwucherung des Adels beschneiden durch das Erstgeburtsrecht und zweitens den Nachwuchs des Adels edler anpflanzen als es unsere Fürsten thun. Den Adel für Geld ertheilen oder für höchst zweifelhafte bureaukratische Verdienste, Das ist eine tägliche Herabsetzung desselben Instituts, auf das sich doch die feudale Monarchie so gern stützen möchte. Der Adel an sich kann nicht verdächtig sein. Man verdächtigt ihn nur dem Volke durch die Art, wie man neuen Adel macht. In jedem Wald und jeder guten Waldhutung herrscht ein natürliches System des Nachwuchses; nur beim Adel hat man dieses Nachwuchssystem nie beobachtet und deshalb sank die Achtung vor demselben.

Das ist eben das Wort, das ich verbannen möchte, rief Dankmar; Achtung des Adels! Wozu eine Kaste von Menschen, die sich eines Vorrechts vor Andern berühmt! Der Staat schafft die Vorrechte vor dem Gesetz ab. Das ist wahr. Der Bürgerliche kann alle Rechte genießen wie der Adelige. So heißt es in den Gesetzbüchern! Und doch bleibt diese sonderbare geheime Verbindung unter den Adeligen. Es bleibt dieser geschlossene Bund, der sich immer wieder mit seinen Maximen hervordrängt, wenn ihn auch noch soviel Revolutionen zurückgeworfen haben. Sie wollen den Adel vermindern durch englisches Erstgeburtsrecht und besser anpflanzen durch Adelserhebungen wahrscheinlich an einen tapfern Krieger, einen geschickten Arbeiter, einen glücklichen Erfinder. Aber die Nachkommen der Letztern werden ebenso Aristokraten werden, wie es die Nachkommen der weiland zu Rittern geschlagenen Knappen und Kaufleute wurden. Es ist eben ein Institut, das ewig auf die Vegetation der Freiheit wie Mehlthau sich ansetzen und sie verderben wird.

Die Französische Revolution hat den Adel abgeschafft, sagte der Gefährte, und er ist wiedergekommen. Napoleon hat ihn noch mit seinen geadelten Corporalen vermehrt, und die jetzigen Börsenmäkler ließen sich mit Freuden adeln, wenn sie nicht fürchteten, sich lächerlich zu machen....

O, so wünscht' ich, wallte Dankmar halb zornig halb lachend auf: daß einmal eine kleine Sündflut käme und dieses närrische Menschengeschlecht wenigstens partiell verschlänge! Es ist nichts mit ihm anzufangen.

Das Gespräch ging jetzt über leichte Dinge hin und weckte Hackert endlich aus der Betäubung, in die er so plötzlich verfallen war. Jetzt erst schien er sich zu besinnen, daß er wieder als Kutscher galt. Er wurde über diese unwillkommene Entdeckung unruhig, blickte bald zur Seite, bald hinterwärts, maß den Fremden bald mit einem wüthenden Blick, bald begann er etwas an dem Riemzeug und der Peitsche zu bändeln und zu knüpfen, bis er plötzlich ganz still hielt. Auf ein starkes Nun? das ihm Dankmar zurief, hieb er zwar wieder gewaltig auf das ermüdete Thier, dem die allmälige Annäherung an Hohenberg ebenso noththat, wie dem immer unruhiger und gereizter werdenden Dankmar, aber Dieser wußte nun in der That nicht mehr, wessen er sich noch Alles von Hackert zu versehen und worauf er sich zu rüsten hatte......

Es war schon vier Uhr. Die Sonne lachte wieder freudig vom Himmel. Alle Wolken hatten ihn verlassen. Das schönste Ultramarin erquickte das Auge, wenn man empor, das lachendste Grün der Wiesen und Büsche, wenn man zur Seite blickte. Die Gegend wurde immer reizender. Nach jeder Anhöhe, die das müde Roß erklimmte, öffnete sich ein immer lieblicheres Thal. Die Vegetation, statt gebirgig zu werden, wurde eher südlicher. Kastanien-, Ahorn- und Nußbäume standen auf kleinen Anhöhen am Wege neben Kirchen und Pachthöfen. Der weiße Flieder, der sich traulich an Ställe und Scheunen schmiegte und jeder verfallenen Mauer einen malerischen Reiz verlieh, konnte wol den Fremden bewegen, auszurufen:

Wie erinnern mich diese weißblühenden Gebüsche an das südliche Frankreich, wo es freilich der Feigenbaum ist, der mit seinen großen Blättern, seinen labyrinthischen Ranken und den versteckten grünen Früchten sich so an jede nackte Felsen- und jede kahle Mauerwand lehnt, sie verschönernd durch seine trauliche Ansiedelung!

Vor den Reisenden lag dann auch endlich auf eine Stunde Weges entlegen das Schloß Hohenberg. Schon lange konnten sie das im Geschmack der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts errichtete stattliche Gebäude unterscheiden. Je näher sie diesem ihrem gemeinschaftlichen Reiseziele kamen, desto unruhiger wurde Hackert, desto heftiger seine Antworten, desto ungeduldiger das Seufzen, das ihm zuweilen entfuhr. Er wandte sich jetzt wieder zu Dankmarn und äußerte:

Bis hierher, Herr! Fahren Sie jetzt!

Dankmar beherrschte sich und erwiderte:

Bis ich die Cigarre fertiggeraucht habe!

Die Aussicht auf das Schloß verschwand. Man war in einem anmuthigen Buchenwalde, der sich bis nach Plessen hinzuziehen schien. Welch frisches Laub! Welche zauberhaften Lichter, wenn die Baumgattungen abwechselten und Tannen sich an Birken reihten, um gemeinschaftlich dann die Buchengruppen zuweilen zu unterbrechen! Welcher Smaragdschimmer, wenn grünbewachsene Plätze zwischeninnelagen und von der Sonne beschienen wurden, die schon großer Öffnungen bedurfte, um mit ihren sich senkenden Strahlen hier durchzudringen! Da sprangen ja noch Rehe erschreckt von ihrem grünen Lager unter einem großen freistehenden Eichbaum auf! Es mußte mit des Jägers Kummer über die ausgeschossene Belebung dieser Wälder nicht so schlimm stehen.

Der Fremde war im Anblick dieses stillen Friedens wie verloren.

In dem Augenblicke hörten sie in der Ferne Pferdegetrappel. Hackert springt auf. Man sieht einen Zug von etwa fünf Reitern dahertraben, in der Mitte eine Dame, wie man an dem in der Luft fliegenden blauen Schleier erkannte. Hackert wirft Peitsche und Zügel fort, springt vom Sitz, schießt wie besessen über den Chausseegraben und ist im Nu im Wald verschwunden. Der Gaul, erschreckt von der heransprengenden Cavalcade, bäumt sich. Die Zügel schleifen schon an der Erde. Dankmar wirft eiligst die Cigarre fort. Der Fremde hält ihn, damit er nicht hinausspringt. In dem Augenblick jagt die Dame mit ihren Begleitern, an deren Spitze Dankmar den Stallmeister Lasally erkannte, vorüber. Es war Dies ein Glück für den bescheidenen Einspänner; denn dem stutzigen Gaul wurde die Gelegenheit zum Durchgehen genommen. Die Cavalcade nahm sie im Vorbeireiten in die Mitte. Die Dame lachte vielleicht über die komischen Capriolen des zügelfreien Thieres und die verlegene Besorgniß der beiden Männer. Mit einem Sprung war Dankmar, als der Gaul glücklicherweise stand, hinaus und griff nach dem Zügel. Mit Verwünschungen gegen den Betrüger, der sie hier so plötzlich im Stich gelassen und ihm auch die Gelegenheit genommen hatte, die Dame zu fixiren, hieb er auf das erschreckte Thier zu und ohne sich weiter um Hackert's Rückkehr zu bekümmern, jagte er auf und davon.

Was hatte nur der tolle Mensch? fragte der Fremde, über das Zusammentreffen aller dieser Vorfälle erstaunt.

Ich sehe, er ist verrückt, antwortete Dankmar.

Ich glaubte diese Eigenschaft schon längst an ihm bemerkt zu haben.

Es erleichterte Dankmarn, seinem Begleiter zu erzählen, wie er an diesen Gesellen gekommen wäre. Als er dabei einen Bericht über den eigentlichen Zweck seiner Reise erstattete und den Schrein erwähnte, den er in Hohenberg verloren und dort suchen wollte, unterbrach ihn der Fremde mit den Worten:

Einen Schrein? Etwa von drei Fuß Länge?

Wie? fragte Dankmar gespannt; allerdings... etwa drei Fuß Länge...

Eiserne Bänder an dem Deckel?

Wohl! Und am Boden...

Zwei Fuß breit mit ausgefelgten Rändern?

Zierlich geschnitzt...

Auf dem Deckel in erhabener Holzarbeit ein Kreuz...

Himmel, wo haben Sie diesen Schrein gesehen? Er ist es!

Wo hab' ich ihn gesehen! fragte sich der Fremde selbst. Besinn' ich mich wol, wo mir noch gestern dieser Schrein auffiel!

Ich beschwöre Sie, rief Dankmar, forschen Sie in Ihrem Gedächtniß. Die wichtigsten Angelegenheiten knüpfen sich für mich an diesen Schrein.

Das Kreuz hatte nicht die gewöhnliche längliche Form der Kirche...

Doch! doch!

Es war ein Malteserkreuz!

Ähnlich!

Ganz recht! Es war ein Kreuz an den Enden mit kleeblattförmigen Rundungen.

Das ist er!

Dankmar war wie auf glühenden Kohlen. Das Pferd hielt er an, da der Fremde ohnehin gewünscht hatte, aussteigen und nach Plessen einen Seitenweg einschlagen zu dürfen. Endlich, als Dankmar fast krampfhaft und erwartungsvoll des Fremden Hand ergriffen hatte, rief Dieser aus:

Ich weiß es. Den Schrein sah ich gestern Abend im Hofe des Heidekrugs auf Schlurck's Wagen.

Auf Schlurck's...? wiederholte Dankmar und stockte.

Auf Schlurck's Wagen, versicherte der Fremde, der sich ihm in diesem Augenblick in einen Boten des Himmels verwandelte; es war nach vier Uhr. Es dämmerte aber noch sternhell, als ich im Heidekrug ankam. Anfangs wollt' ich die Nacht benutzen und nach einer Erfrischung weiterwandern. Da sah ich im Hof einen Reisewagen stehen, leicht bepackt, elegant. Der Kutscher zündete die beiden Laternen an, als wollte er weiterfahren. Der Wagenschlag hatte eine Chiffre, die mich fesselte. Ich blieb in der Nähe stehen. Ich sah dem Kutscher zu, wie er die Laternen befestigte. Dann ordnete er an seinem Fuhrwerk Dies und Jenes. Unter seinem Sitze hatte sich in einer dort befindlichen Vache Stroh gelockert. Er riß es vollends ab und rief den Hausknecht um neues an. Einen in der Vache liegenden Gegenstand schien er frisch emballiren zu wollen. Bei der Gelegenheit sah ich deutlich jenen Schrein, der mir wegen seiner alterthümlichen Form und des auf ihm sehr zierlich angebrachten Kreuzes, da der Deckel zur Seite lag, auffiel. Ich würde mich an dem Wagen nicht solange verweilt haben, wenn mir nicht das verwischte fürstlich Hohenberg'sche Wappen an dem Schlage und das frisch und lebhaft darunter aufgetragene F. S. aufgefallen wäre. Ich fragte, wem die Kalesche gehörte. Es hieß: Dem Justizrath Schlurck. Ein lebhaftes Interesse, das ich an diesem Namen nehmen muß, veranlaßte mich zu bleiben und hinaufzusteigen in den Saal, wo Sie mich später fanden. Unten rief mich der Kutscher, ein brutaler Mensch, als ich ihm zusah, wie er den Schrein mit frischem Stroh umwand, mit groben Worten an. Ich gedachte meiner Blouse, blieb demüthig und machte die Bekanntschaft Schlurck's, der mir für mein Leben ebenso wichtig ist, als er es jetzt vielleicht auch Ihnen werden kann.

Und auf wessen Zeugniß, fragte Dankmar im Ausbruch seiner jubelnden Freude, auf wessen Namen kann ich mich berufen, wenn ich von Schlurck mein Eigenthum zurückfodern werde?

Muß Dies sein? sagte der Fremde zögernd und stieg von dem Wagen herab, während Dankmar die Zügel stark, aber auch den Fremden sanft festhielt.

Daß Sie der Tischler nicht sind, sagte er dabei, der Tischler, für den Sie sich ausgaben, ist gewiß. Sie müssen mir das Zeugniß ausstellen, daß ich discret war und nicht in Ihr Geheimniß drang. Aber jetzt durch Ihre mir ewig dankenswerthe Entdeckung wird es mir zur Pflicht, Sie um Ihren Namen zu bitten; denn ich weiß nicht, es ist mir, als wenn ich mit dem Finder nicht leichten Kauf haben werde. Schlurck ist ein Mann, der mir vorkommt, als könnte man ohne Zeugen und Proceß kein vor seinen Augen verlorenes Taschentuch wiedererhalten.

Wie der Fremde noch zögerte und mit verlegenem Lächeln sich wegen seines Geheimnisses entschuldigen zu wollen schien, griff Dankmar, der nicht ohne Grund das Beispiel vom Taschentuche gewählt hatte, rasch in seinen Frack und langte das dem Fremden gehörende Tuch hervor:

Hier! sagte er, dieser Verlust muß uns näherbringen.

Mein Taschentuch! bemerkte der Fremde.

Ihr Taschentuch? Wirklich das Ihrige? Das eingestickte Zeichen... die Krone? E. und die Zahl 100? Wohlan, mein Herr! Ich will Ihnen das Geständniß erleichtern. Tauschen wir unsere Karten?

Damit zog Dankmar sein Portefeuille hervor und überreichte dem Fremden seine Karte.

Dankmar Wildungen, sagte er, indem der Fremde seine Karte las; Dankmar Wildungen, ein obscurer, junger Mensch, Prätendent des Glücks, wo er es findet, ein junger Jurist, Bürger kommender Jahrhunderte, ein Posa, den König Philipp mit dem entschuldigenden Titel: Sonderbarer Schwärmer! entlassen haben würde, wenn er gerade in der Laune gewesen wäre, einmal von seinen Autodafés sich auszuruhen.

Nun denn, Sie junger, lieber Malteser! sagte der Fremde, so will ich Ihr Carlos sein; unter der Bedingung, daß Sie feierlichst geloben, mich nicht zu kennen, wo Sie mir hier auch in und um Hohenberg begegnen werden....

Mein Ehrenwort genügt! sagte Dankmar mit ernstem Nachdruck.

Lassen Sie uns Freunde bleiben, fuhr der Fremde fort. Ihre Offenheit kam aus edlem Herzen. Der Menschheit kann eine Zeit nicht verloren gehen, wo noch solche Flammen lodern wie in Ihrem Herzen, selbst wenn sie sich und Ihre Träume verzehren sollten. Aber nochmals...

Schwören soll ich? sagte Dankmar lächelnd. Wobei wünschen Sie?

Der Fremde schüttelte den Kopf. Er hatte ein elegantes Portefeuille geöffnet, Dankmar's Karte hineingelegt und die seine hervorgezogen. Er überreichte sie Dankmarn mit einem herzlichen Händedruck, klopfte, wie zum Abschiede und Dank dem Gaul ein paar mal auf den schweißgebadeten Rücken und verschwand dann rasch hinter einem ganz in der Nähe befindlichen Gebüsch, von dem sich nach Plessen zu ein kleiner Fußweg durch die Wiesen schlängelte.

Als Dankmar, unendlich glücklich über die vorläufige Beruhigung wegen seines ihm so werthvollen Verlustes, vorzog, nun erst am Fuß des Schlosses Hohenberg über Nacht auszuruhen, bis er zu der ihn jetzt magnetisch wieder zurückziehenden Hauptstadt umkehrte und er dann in leichtem Trabe nach dem unter dem Schlosse Hohenberg friedlich von der Abendsonne beleuchteten Flecken hinabfuhr, las er auf der Karte einen Namen, der ihn nach Allem, was er seither auf dieser Reise selbst erfahren und von Andern erzählt bekommen hatte, auf das angenehmste überraschen mußte. Die Visitenkarte lautete ganz einfach: Le Prince Egon de Hohenberg. 7 Rue d'Auteuil.


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