Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Nun wohlan, sagte der Heidekrüger und warf sich dabei gewichtig in die Brust; hier und anderwärts sind Viele aufgestanden und haben gesagt: Seht den Justus, den Heidekrüger, der einst jedes verbotene Buch las, einst für die Polen sammelte, in ewiger Untersuchung stand, Justus, der...,
Der selbstzufriedene Mann stockte.
Nein, nein, half Schlurck nach, sagen Sie offen, daß Sie der Mirabeau der Provinziallandtage waren, der Schrecken der Landräthe, der O'Connell des alten Liberalismus...
Er ist doch recht schlimm! bemerkte Justus mit einem Blicke auf Dankmar und meinte den satyrischen Justizrath.
Doch gestand Dankmar die Bedeutung des Heidekrügers vollkommen zu und machte ihm damit Muth, sich in seinem ganzen Werthe zu fühlen.
Nun meinetwegen, sagte Justus, ich bin ein Landwirth, habe mir einige Kenntnisse erworben, die über die Pflugschar hinausgingen, und lag mit dem alten Polizeisysteme in Hader, seit...
Ihre Frau todt ist, schaltete Schlurck ein. Doch hörte Justus nicht darauf, sondern fuhr fort:
Kinder hab' ich nicht und los und ledig muß Eins sein, wenn man nicht erschrecken will vor einer Haussuchung durch Gendarmen oder ähnliche Visiten bei Nacht und Nebel. Nun gut! Die neue Zeit ist gekommen. Nun sagen die Leute: der Heidekrüger galt sonst für einen dreisten Mann und gab der Regierung etwas zu rathen auf. Warum rückt er jetzt nicht mehr mit der Farbe heraus? Warum hat er einen Bund mit dem Feinde gemacht?
Warum will er Minister werden? schaltete Schlurck parodirend ein und stieß mit Dankmars Glase an.
Ja! Auch Das haben sie gesagt, fuhr Justus fort. Aber ich, Justus...
Der Heidekrüger...
Sage! Das ist erlogen...
Und dreimal gelogen!
Die Loyalitätsadresse aus dem schönauer Kreise kam vom Herzen...
Und vom Geldbeutel...
Nein, Justizrath!...
Unterbrechen Sie Herrn Justus nicht so oft, Herr Schlurck, sagte Dankmar lächelnd.
Nein warum? meinte Schlurck. Ist der Mann denn nicht reich? Gehört ihm nicht der Heidekrug mit Wald, Wiese und so und soviel Morgen Kornland? Hat er nicht da unten in seinem grünbewachsenen Stübchen neben einem Schranke weiland verbotener, jetzt erlaubter Bücher, mehre Ausgaben des Conversations-Lexikon nebst einem eisernen feuerfesten Schranke voll kostbarer Provinzialcreditkassenscheine und den frequentesten Eisenbahnactien? Die Loyalitätsadresse...
Kam vom Herzen, sag' ich nochmal, rief Justus, sich erhebend mit donnernder Stimme und ganz mit dem Feuer und der Stentorbrust eines zu einem Präsidentenstuhle sich eignenden parlamentarischen Löwen. Sie kam nicht vom Geldbeutel, Justizrath! Auch nicht von der Furcht! Kein Gendarm hat uns Fünfhundert dazu gezwungen, wie's anderwärts geschehen ist, wo die Leute um Gotteswillen gequält wurden, ein gutes Zeichen vonsichzugeben und den Landesvater durch Zustimmung zu retten. Allein, wenn wir in unserer festen Gesinnung eine Erklärung gegen die Wühlerei, die Demokratie und den Communismus abgaben, so ist darum noch nicht gesagt, daß wir Reubündler sind.
Was wollen Sie nur mit Ihren Reubündlern?
Wenn Justus etwas beginnt, so kennt er die Grenze, wo er aufhört. Vor ein paar Tagen hat man mir einen Brief geschickt, ich sollte mich in den Reubund aufnehmen lassen. Graf Bensheim lobte unsere Fünfhundert-Adresse. Herr von Sengebusch kam selbst von Randhartingen, um mir die Statuten des Reubundes zu bringen. Der fürstlich hohenberg'sche Rentmeister von Sänger schickte einen Expressen...
Hätte Ihnen der Alte seine reizende junge Frau geschickt... unterbrach Schlurck den salbungsvollen Redner, der sich als das Wahrzeichen der ganzen umliegenden Landesgesinnung darstellte.
Justus hörte nicht auf diese Zwischenrede, da es ihm eben war, als wenn sich der Tischler in der Ecke in seinem Schlafe regte.
Nun? Sie blieben beim Rentmeister von Sänger stehen, rief ihm Dankmar zu, als er auf den Schläfer blickend stockte.
Als dieser sich nur auf einen andern Arm gelegt hatte, fuhr Justus fort: Ja, man verhieß mir die besonderste königliche Gnade, wenn ich diese ganze Gegend auf zehn Meilen in der Runde für den Reubund gewönne...
Der Orden ist da! meinte Schlurck ironisch.
Er ist nicht da, Justizrath! schlug Justus auf den Tisch. Ich habe geantwortet: Ich wüßte zur Zeit noch nicht, was ich zu bereuen hätte, und wem's hier, ich zeigte aufs Herz, reumüthig auf der Seele brenne, Der solle in sein Kämmerlein gehen und auf die Knie fallen und Gott um Gnade und Vergebung seiner Sünden bitten. Aber so vor aller Leute Augen sich auf die Brust schlagen und ich weiß nicht, was öffentlich bereuen, Das möchten Die thun, die die Komödie bezahlt kriegen. Das hab' ich geantwortet und das ist meine Meinung von dem Reubunde.
Bester Freund, sagte jetzt Schlurck, da haben Sie sehr thöricht gehandelt.
Wie so? fragte der Heidekrüger, erhitzt von innerer Glut, vom Weine und vom Selbstgefühl. Soll ich Ihnen sagen, was hinter dem Reubund steckt? Muckerei steckt dahinter. Es ist die alte pietistische Betkammer wieder, aber in neuer Form. Alle Offiziere, die früher beteten, stehen an der Spitze.
Sie irren sich!
Was? General Voland von der Hahnenfeder? Leitet der nicht auch den Reubund?
Sie irren sich!
Probst Gelbsattel...
Täuschung!
Stehen nicht Frauen an der Spitze? Die Geheimräthin Pauline von Harder?
Die auch eine Betende? lachte Schlurck. Sie verwechseln Pauline von Harder mit ihrer Schwester, Anna von Harder. Nein, nein, bester Heidekrüger, fuhr Schlurck fort, Sie mögen vortrefflich über die Hypotheken, Creditbriefe und Vicinalwege dieser Provinz unterrichtet sein...
Ich halte sieben Zeitungen...
Deswegen eben!... Aber Sie werfen Namen zusammen wie Kraut und Rüben! Namen, die mit dem Reubunde nichts zu thun haben! Pauline von Harder... ich muß lachen...
Ist sie nicht Großmeisterin?
Wohl, wohl! Aber, bester Freund, Pauline von Harder ist Alles, nur keine Betschwester.
Irr' ich nicht, bemerkte Dankmar, so ist Pauline von Harder eine geistvolle Schriftstellerin.
Allerdings, sagte Schlurck. Nein, nein, Justus, da reimen Sie sich hier auf Ihrem Freihofe, unter den Tannen, Birken und beim schönen Gesange des Kukuks zuviel ungereimte Dinge zusammen...
Ich bleibe dabei, sagte Justus, der Reubund ist Muckerei.
Möglich, sagte Schlurck pfiffig, aber nicht in Ihrem alten lichtfreundlichen Sinne! Bester Heidekrüger, Sie nehmen mir nicht übel, Sie sind etwas zäh, etwas starrköpfig in Ihren alten Anschauungen...
Im Reubund ist Muckerei!
Ja, ja, in gewissem Sinne, aber nicht in Ihrem! Ich sag' es ja! Sie denken noch immer an die alten Provinziallandtage und Ihre dummen verbotenen Bücher...
Im Reubund ist Muckerei.
Er ist nicht zu widerlegen, meinte Schlurck zu Dankmar gewandt. Er bleibt bei seinem Satz und wird Recht behalten, trotzdem, daß im Reubund die lustigsten Leute essen, trinken, tanzen und an Alles, nur nicht ans Beten denken.
Justus brummte nichtsdestoweniger immer für sich fort.
Im Reubund ist Muckerei.
Der Heidekrüger war so befangen in den alten Voraussetzungen seiner improvisirten Bildung, daß er zwar conservativ geworden war, aber in die Fußangeln des Mysticismus, als alter Gegner desselben, den Reactionairen nicht folgen wollte.
Ich bin aber doch begierig, bemerkte Dankmar nun zum Justizrathe gewandt, Ihre Analyse des Reubundes zu hören. Sie werden ihn wirklich vertheidigen?
Wenn Justus conservativ geworden ist, antwortete Schlurck mit ernster Miene, so mußte er auch keinen Anstand nehmen, in den Reubund zu treten.
Warum? donnerte Justus und hob sein mit dem Käppchen geziertes rundes, starkgeröthetes Antlitz wie ein erzürnter Olympier oder der Präsident irgend einer »verfassunggebenden« Nationalversammlung.
Weil jede Zeit ihre eigene Sprache hat, bester Mann, begann Schlurck fest und bestimmt, die Sprache, alter Freund, in der man allein von ihr verstanden wird. Wenn der Unsinn siegt, geht man eben mit dem Unsinn. Ist es Mode, die Augen zu verdrehen, so spricht der Vernünftige von der Erleuchtung. Ist es Mode, mit den Pensionairs, den Offizieren und Beamten das Lied von der Majestät zu singen, so singt man's, wie man vor einigen Monaten, als die Taschendiebe und Wühler Volksversammlungen hielten, wühlte, die Volksversammlungen besuchte, immer Bravo rief und blos hinten seine Rocktaschen zuhielt. Bester Freund, was wollen Sie nur gegen den Reubund? Ich bin selbst Mitglied. Ich denuncire Sie. Ich klatsche Ihnen einen Proceß an den Hals, bei dem Sie zehn Monate Wasser und Brot besehen können, trotz Geschworenengericht und allem mündlichen Zubehör.
Das begreif' ich aber denn doch nicht, begann Dankmar, wie Sie bei der klaren Beurtheilung der staatlichen und allgemein menschlichen Verhältnisse, die Sie vorhin zu erkennen gaben, doch so sich der allgemeinen Meinung, die Sie selbst schwerlich theilen, unterordnen und gleichsam mit den Wölfen heulen können. Der Reubund scheint mir wirklich eine der trostlosesten Ausgeburten eines Volks, das für politische Bildung seine völlige Unreife zur Schau stellt. Er ist das vollständigste testimonium paupertatis des Geistes, das sich eine in Servilität und Beamtenschmeichelei großgezogene Bevölkerung nur stellen kann. Er ist eine Zuflucht der absolutesten Gedankenlosigkeit, ein Schafstall der Furcht und des panischen: Rette sich wer kann! Ein strenger Absolutist sogar, z. B. der geistreiche vorhingenannte General Voland von der Hahnenfeder, wird nicht im Stande sein, sich diesem Bunde anzuschließen; denn der Absolutist bedarf Ideen und dort findet er nur Götzendienst.
Ganz Recht, bemerkte Schlurck und zog, um doch den feurigen Sprecher schärfer zu betrachten, die Brille auf die Stirn; ich stimme Ihnen vollkommen bei, und dennoch hab' ich die Mode mitgemacht, eben weil sie Mode ist und man sich nur in Weitläufigkeiten und lästige Auseinandersetzungen verwickelt, wenn man den Leuten sagen soll, warum man die Mode nicht mitmacht. Darum tragen wir ja die allgemeine französische Tracht, um uns das Echauffement zu ersparen bei Auseinandersetzung der Gründe, die uns bestimmen könnten, diese oder jene uns viel geschmackvoller erscheinende Kleidung zu tragen. Sie könnten nicht nur ewig zu thun haben, um geschmacklosen Leuten auseinanderzusetzen, warum spanisch schöner als byzantinisch ist, sondern auch auffallen, sehr auffallen, und ich gebe Ihnen die Versicherung, Sie sind jung, Sie streben vielleicht erst nach einer festen Lebensstellung, ich bitte um Verzeihung für diese Voraussetzung, aber haben Sie eine feste Lebensstellung erreicht, so ist Ihnen nichts störender als das Auffallen. Das Auffallen zwingt Sie, mit Ihrem Dasein immer wieder von vorn anzufangen, immer wieder erklären, immer polemisiren zu müssen. Ich bin z. B. Jurist –
Ein sehr gesuchter, fiel Dankmar ein.
Bitte! erwiderte Schlurck nicht ohne Artigkeit. Meine Praxis ist groß.
Sie stehen mit der halben Welt in Verbindung, scherzte Dankmar und sagte doch aufrichtig Das, was er dachte.
Wollen Sie's so ausdrücken, fuhr Schlurck ohne alle Eitelkeit fort, ja! Ich habe durch meine Administrationen Gelegenheit, alle Stände kennen zu lernen, Fürsten und Handwerker, Grafen, Barone, Juden, Türken, Maitressen, Betschwestern, was Sie wollen... denn das Geld, das Geld regiert Alles, das Geld und der Genuß. Soll ich nun mitten im Strom der Tagesmeinungen und der sich überstürzenden Begebenheiten immer mein apartes Glaubensbekenntniß auskramen? Das ist sehr weitläufig. Nein! Ich war Mitglied aller Bibelgesellschaften, aller Missions-, aller Gustav-Adolfvereine. Ich hielt mich anfangs zum constitutionellen Angstclub, ich bin jetzt... Reubündler; was soll ich mich dabei aufhalten, den Leuten zu sagen, warum... ich es nicht bin!
Und doch wollen Sie, sagte Dankmar, trotz dieses indifferenten Interesses an den öffentlichen Angelegenheiten theilnehmen und sich wahrscheinlich hier in der Gegend wählen lassen?
Ich thu's mit schwerem Herzen, antwortete Schlurck; denn ich fühle, daß ich unglücklicher Mann immer rechts stimmen muß, und ich lebe wieder von sehr, sehr vielen Menschen, die außerordentlich links denken, und denke selbst links. Ich darf mich leider nicht weigern. Ein Mann in meiner Stellung – Sie scheinen sie zu kennen – was kann Der thun, wenn man ihm sagt: Das Interesse des Staats verlangt jetzt auch Ihre Beihülfe! Auch Sie müssen theilnehmen an der Wiederherstellung der Monarchie und des sichern Kraftgefühls der Regierung! Es ist nun einmal oben die Idee vorherrschend, der Regierung müßten vor allen Dingen wieder die Prädicate des Zermalmens und Zerschmetterns zurückgegeben werden. Dazu bedarf man der unbedingtest Ergebenen, entweder der Fanatiker der Theorie, Das bin ich nicht, oder der Fanatiker der reubündlerischen Schwärmerei, zu denen gehöre ich nur formell, oder der Fanatiker der Ironie, zu denen gehöre ich ganz. Ich werde in der Kammer nur Ja und Nein! sagen und meine Freude daran haben, daß wenigstens vorläufig die übermäßige Verwirrung aufhört, wenn auch mit Aufopferung der Debatte. O, mein Herr, man muß in der That wieder anfangen können, von diesem kleinen Planeten, Erde genannt, soviel Vergnügen abzugewinnen, als der tückische Erdenkloß, der uns mit feuerspeienden Bergen antwortet, wo wir Neapelwonnen erwarten, herausgeben will. Sehen Sie, schon Das ist ja etwas werth, wenn es die Reaction durchsetzt, daß Einer mit Behaglichkeit wieder in ein Bad reisen kann. Nennen Sie mir Das nicht Indifferentismus! Die Staatsformen, mein bester Freund, wechseln, aber die Forellen bleiben. Und was mir lieber wäre als alle Politik, das brauch' ich Ihnen eigentlich nicht zu sagen. Aber wenn Sie's wissen wollen, junger Mann... nein, nein, Sie wissen es selbst....
Ich weiß es nicht, Herr Justizrath... sagte Dankmar, sich besinnend und in den Ideengang des alten Epikuräers sich versetzend.
Ah! ah! rief Schlurck ablehnend.
Belehren Sie mich: was steht höher als Staatsformen und Forellen? Ich weiß es wirklich nicht.
Gehen Sie weg, Sie junger, hübscher Lovelace....
Lovelace? Ah! Sie meinen...
Ja natürlich mein' ich! Was ist lieblicher als ein schönes Weib? Herr! Was ist die Bestimmung der Erde anders, als die, ein Stelldichein für Verliebte zu sein? Ich bitte Sie, wo soll es hinaus mit unsern fünf Sinnen, unsern Lippen – der Glückliche, der sie noch frisch und rund hat, wie Sie! – wo soll es hinaus mit der Poesie des Daseins, wenn diese verdammte Politik den kleinen Gott Amor so langweilt, daß er unsere Erde für eine unnütze Station seiner Wanderungen erklärt? Die Attraction der Leidenschaften, der Magnetismus der Gefühle, Das ist der Erde edelster, höchster Zweck. Hole der Henker die Politik und die Revolutionen!
Dankmar hatte nicht den Idealismus seines Bruders, der solche Reden verabscheut hätte. Er war beweglich und praktisch. Über diesen Materialismus mußte er wirklich lachen, und da er, unterhalten wenigstens von so frivolen Grundsätzen, schwieg, fand Schlurck volle Gelegenheit, unbeirrt durch den mürrischen Heidekrüger, fortzufahren:
Von allen neuen Systemen der Weltverbesserung und Menschenbeglückung hat mir, aufrichtig, das des Franzosen Fourier am besten gefallen. Sehen Sie, dieser Fourier gesteht es ein, daß ein frisches Stück Rheinsalmen mehr Werth für das Jahrhundert hat als confuse Begriffe über den Ursprung der Gesellschaft. Er ladet seine Jünger in schöne luftige Paläste ein, spielt ihnen herrliche Musik auf, arrangirt amusante Bälle, schmückt die reichbesetzten Tafeln mit Blumen, die er, glauben Sie mir's, ebenso sehr liebt wie Forellen, und was das Beste ist, seine Menschen sind gut, sie amusiren sich, sie sterben mit dem Bewußtsein, daß sie die ihnen verliehenen Organe zweckentsprechend benutzt haben......
Wollen Sie, fragte Dankmar spottend, im Reubund diesem doch revolutionairen Systeme Anerkennung verschaffen?
Das hoff' ich! sagte Schlurck. Gerade dieser Bund ist auch deshalb der vernünftigste, der seit dem Jahre 1720, ich meine, seit der ersten englischen Freimaurerloge, entstanden ist. Warum? der Reubund versteht unter dem Vorwande loyaler Gesinnungsverbrüderung eigentlich eine Allianz zur gegenseitigen Lebensverschönerung. Bester Freund, die wahren Reformatoren unsers Jahrhunderts kommen erst noch! Das werden Die sein, die von den Ideen sprechen und darunter die Cotillons und die Schönheitslinien der Polka verstehen. Im Reubund zeigt sich schon die Ahnung dieses neuen Evangeliums. Man hat seine Logen, seinen ersten und zweiten Grad, es gibt Brüder, es gibt Schwestern, es gibt Erkennungszeichen, verstohlene Handgriffe, geheime Einweihungen, und was vorläufig dort das Beste ist, man ißt nicht schlecht, jedenfalls besser als man gewöhnlich bei Gesinnungsfesten solcher Art zu speisen pflegt.
Ich gestehe Ihnen, sagte Dankmar, daß ich eine ernste, keine humoristische Vertheidigung des Reubundes erwartet hatte.
Ich bin wirklich ganz ernst, antwortete Schlurck; man muß wirklich wieder Orden stiften wie ehemals Zechbrüderschaften, Trinkstuben, Massenien. Gleichgesinnte müssen zusammentreten unter gefälligern Formen, als Tabacksdampf und offene, von Spionen belauschte Sitzungen sind.
Er warf dabei einen eigenen Blick auf den Schläfer in der blauen Blouse.
So etwas wie die alten Ritterorden, fuhr er fort, muß man wieder auferwecken, den Templerorden z. B., wo es auch fröhlich herging und man sich um den Papst und den Kaiser nicht scherte und mit den Türken, die man bekämpfen sollte, Frieden schloß, weil sie schöne Weiber hatten und prächtige Weisheitslehren. Nur keine Duckmäuserei! Ah! Meine Tochter führte mich neulich in den »Egmont.« Ich geh' ungern ins Theater, und zwar deshalb, weil die Komödie doch die rechte Pflanzschule aller falschen und unmotivirten Begeisterung, die rechte Schwatztradition der tausendjährigen Dunstreflexionen über Tugend, Moral und ewige Vergeltung ist. Aber der frische, phrasenlose Ritter Egmont gefiel mir! Seine Ansichten über Politik bringt er ganz gelegentlich an, spricht wie ein Cavalier über ein paar Pferde mitten im Zorn über den Alba'schen Belagerungszustand, und als er zum Tode geht, vermacht er seine Maitresse einem Andern, der sie aushalten soll: Du wirst sie nicht verachten, weil sie mein war. Ha, ha, ha! Meine Melanie sang, als wir nach Hause fuhren, immer: »Freudvoll und leidvoll!« Ich mußte dagegen sagen: Du wirst sie nicht verachten, weil sie mein war. Prächtiges Wort Das! Glauben Sie mir, junger Mann, wenn man das Leben gar zu ernsthaft nimmt, sagt wiederum dieser capitale Ritter, der die einzige Dummheit beging, dem Generalissimus Alba nicht die Statuten eines kaiserlich spanischen Reubundes vorzulegen, was ist denn dran? Was ist denn dran? Am Leben nämlich, wenn man's gar zu ernsthaft nimmt, was ist denn dran? Justus, nichts! Nichts, Justus! Gute Nacht, junger Mann! Besuchen Sie mich. Sie finden eine kluge Hausfrau und eine Tochter... sie heißt Melanie....
Melanie Schlurck ist die erste Schönheit der Stadt, bemerkte Dankmar.
Sagt man Das?
Man urtheilt selbst dann so, wenn man ihr auch nur flüchtig begegnet – zum Beispiel zu Pferde....
Nicht zu Pferde! Nicht zu Pferde!
Man sieht sie viel über die Promenade reiten.
Halsbrechende Geschichten! Lassen wir Das! Besuchen Sie mich, mein Herr! Ich wohne in einem merkwürdigen Hause, in einem Hause, das mich auch an die mittelalterlichen Reubünde erinnert....
An die Templer, wie Sie sagten?
An die Templer, die die besten Zechbrüder des Mittelalters waren, an die Johanniter, die Palästina Palästina sein ließen und das Grab des Erlösers da vertheidigten, wo ihre Güter angetastet wurden, ihre Schlösser, ihre Ordenseinkünfte. Ich wohne in einem dieser Häuser, für die ich jetzt den merkwürdigen Proceß mit dem Fiscus führe. Ah Processe! Processe! Das mahnt mich aufzubrechen. Gute Nacht, Justus!
Sie, Herr Justizrath, führen den Proceß wegen... Dankmar wagte seine Überraschung kaum auszusprechen.
Nichts als Processe! Ich, der friedliebendste Mann von der Welt! Gute Nacht, Justus! Helfen Sie mir mein Reisenecessaire packen.
Er zeigte auf den Eiskühler, den strasburger Pastetentopf und den Flaschenkeller.
Justus griff zu und half ihm beim Einpacken, erklärte auch, da die Bedienung schlafe, ihm Alles an den Wagen tragen zu wollen, und plauderte von den schönauer Wahlen noch Dies und Jenes durcheinander......
Dankmar aber hätte jetzt so gern von dem Gegenstande begonnen, den Schlurck nur flüchtig berührte. Er hätte so gern gehört, ob der Justizrath wirklich sein künftiger Gegner in diesem Processe sein würde. Aber Schlurck's Entschluß, nun aufzubrechen, stand fest.....
Schon hatte er den Hut ergriffen, schon einen flüchtigen Abschiedsblick auf den schlafenden Fußwanderer geworfen, sich angeschickt, Dankmarn um seinen Namen zu ersuchen.....
Justus, um einen Versuch zu machen, sein Mädchen zu rufen, öffnete die Thür.....
In dem Augenblick sieht Schlurck flüchtig hinaus auf den Corridor und reicht eben Dankmarn die Hand. Dieser will sie ergreifen, als Schlurck plötzlich einen Schreckensruf ausstößt und fast in Ohnmacht sinkt. Dankmar's Hand läßt er plötzlich wie gelähmt fahren und hält sich mit der Linken schwindelnd an der Wand. Dankmar springt hinzu, der Heidekrüger läßt den Korb aus seiner Hand sinken und ruft:
Was ist Ihnen Mann?
Auf dem Corridor, dicht an der Thür des Saales vorüberschleichend glaubten sie ein Gespenst zu sehen. Halb entblößt, auf dem obern Körper nur im Hemd, stand mit geschlossenen Augen eine Gestalt dicht vor ihnen. Verworren und mit Heu untermischt hing ihr das Haar über die Stirn. Strohhalme schleppten die Schuhe mit sich fort über die Treppe und den Corridor. An dem halbnackten Arm hing mechanisch getragen eine Laterne, die düster den Gang erleuchtete. Die Magd stand hinter diesem grauenerregenden Aufzug und deutete mit zusammengefalteten, fast wie betenden Händen an, daß man um Gotteswillen schweigen möchte.
Aber schon hatte Schlurck mit Entsetzen: Hackert! gerufen.
Hackert war es, als Nachtwandler.... Auf den Ruf seines Namens öffnete er die Augen und taumelte fast zusammen.
Dankmar, von innigstem Mitleiden für den Unglücklichen, der ein Nachtwandler war, ergriffen, fing ihn rasch auf. Der Lichtglanz blendete den auf seinen Namen erwachten Träumer. Er schien sich nicht sogleich sammeln zu können, als er aber Schlurck in der Thür sah und erkannte, besann er sich und wollte anfangs lachen.
Dankmarn war diese Situation furchtbar. Er rief dem noch immer vor Entsetzen starr dastehenden Mädchen zu:
So zeig' sie uns doch unsere Zimmer! Sie sieht ja, mein Kamerad hat zu Bett gewollt!
Die Magd entnahm Hackert die Laterne und ging rasch voran, um sie eine Stiege höher zu führen. Hackert folgte stumm, und nur zuweilen war's Dankmarn, als hörte er ihn hinter sich keuchen und seufzen. Die Magd wie von einem Gespenst verfolgt, öffnete rasch zwei Zimmer, ließ die Laterne stehen und eilte hinunter. Dankmar zündete ruhig zwei Kerzen an, die in einem der Zimmer bereitstanden, schloß die Fenster sorgfältig und verwies Hackert, der wie träumend dastand, auf ein Bett des einen Zimmers. Gute Nacht! sagte er ihm und ging mit dem zweiten Licht in das Zimmer nebenan. Er rückte behutsam sein Bett an die Verbindungsthür, um lauschen zu können, ob sich Hackert legte. Als er bemerkte, daß dieser völlig ruhig war, das Licht löschte, die Thür zuriegelte und sich aufs Bett warf, entkleidete er sich selbst. Er hatte von dem Gespräch, dem Wein und der Entdeckung über Hackert's unglückliche Nervenstörung selbst halb verwirrt, sich kaum niedergeworfen, als er in der Ferne Schlurck's Wagen zu hören glaubte, so spornstreichs und im heftigsten Anlauf war der plötzlich verschwundene genußsüchtige Spötter aus dem Hofe gefahren. Über die Beziehung, in welcher Schlurck zu dem Nachtwandler stand, noch länger nachzudenken, fehlte ihm die Sammlung der Sinne.
Unten aber hatte der Heidekrüger, als er erfuhr, daß der Nachtwandler des fremden jungen Mannes Kutscher war, erst noch wissen wollen, ob der Justizrath diesen kenne, dann aber, als Schlurck leichenblaß schwieg und sich nur eilig in seinen Wagen setzte, ihn mit der Bemerkung: Der Reubund ist doch Muckerei! wieder zur Besinnung bringen wollen. Schlurck aber scherzte nicht mehr. Mit der Bemerkung: Gehen Sie zu Bett, Justus, Sie haben zuviel getrunken! hatte er ihn vom Wagenschlage entfernt und nur noch mit der Magd einige Worte gewechselt, deren Inhalt wir im nächsten Capitel erfahren werden.
Justus, der Heidekrüger, hatte, wie freundliche Herrschaften, die ihren Dienstboten gern Trinkgelder gönnen, die Gewohnheit, sich jedesmal, wenn seine Gäste die Börse zogen, zu entfernen und seinen Dienstleuten die Abrechnung zu überlassen.
Wir wissen nicht, ob auch dieser Charakterzug in dem Buche erwähnt ist, welches vor mehren Jahren erschien und unter Anderm auch Justus' Portrait und Lebenslauf enthielt. Es hieß, wenn wir nicht irren: »Deutschlands Biedermänner.«
Dankmar Wildungen aber brauchte lange Zeit, bis er, erschreckt von allen diesen Erlebnissen, in dem endlich stillgewordenen Heidekrug entschlief.