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Im Lager des Julius Vindex. Zelt mit einer Lampe.
Julius Vindex (richtet sich vom Bette auf).
Ich kann nicht schlafen – die Entscheidung reißt
Mir immer wieder meine Augen wach;
Ich strecke tappend meine Hände nach
Dem aus, was Siegen oder Unterliegen heißt.
Noch wird die Flamme nicht vom Morgen überblizt,
(Oeffnet hinten das Zelt.)
Noch tiefe Nacht; die Nacht mit Sternen ausgesprizt,
Noch keine Morgenschatten; von drüben kann ich die Mähren
Der kaiserlichen Truppen schnarchen hören.
Der Schlaf liegt schwer auf meinen Leuten,
Und macht wohl Manchen jenen Ort ausweiten,
Der bald zum Grab ihm dienen wird.
(Kehrt zurück.)
Und ich bin nun der Völkerhirt,
Der für sie Wache hält, mir selbst das einzuschärfen
Was alles sie auf meine Schultern werfen!
Im Zelt hier ist's so schwül – die Flamme
Hat an der dicken Luft eine schlechte Amme –
Wie? sie verlischt? dort jene Ecke
Ist eine dumpfe Wolkenhecke,
Was gährt, was siedet – ein Gespenst!
(Poppäa's Geist ist sichtbar.)
Geist. Ob du mich, Julius, wohl erkennst?
Julius Vindex. Poppäa bist du; von Mord und Waffen
Seh' ich auf deinem Busen eine Wunde klaffen.
Geist. Und doch bin ich nicht todt, auch nicht lebendig.
Ich leb' auch nicht für mich und eigenhändig;
Mein Tod lebt noch von dem, was in mir lebt,
Dem Tode ist noch Leben, dem Leben Tod verwebt.
Julius Vindex. Ich seh' dich reif von einer Leibesfrucht,
Die der umschlungene Gürtel zu ersticken sucht.
Geist. Kein Gürtel um den Leib! Kein Strick!
Sonst bricht's dem Kind einst das Genick;
Nur von der Brust, die schon verstorben ist,
Trenn' ich was halb verwelkt, halb unreif unten sprießt.
Julius Vindex. Grauenvolles Bild der alten Liebe,
Flieh, zerstiebe!
Geist. Und nun ich noch auf Erden wanken
So lange darf, bis sich die Armesranken
Des kleinen Wurms in mir, an meinem Tod,
An den sie sich anklammern in der Noth,
Versterbend, hin zum Tode strecken:
So weil' ich da, wo mir das Liebste ist,
Bei dir, o Knabe! den ich nicht zu schrecken,
Nein, zu genießen nütze diese Frist.
Julius Vindex. Doch mußt du halb schon seh'n, wie unsichtbar
An Thatenkeimen die Erfolge hängen,
Wie ineinander fließt, was ist und war
Und seyn wird, wie die Zeiten dicht sich drängen;
Drum sprich, ist morgen jenes Rad,
Das Phöbus über uns geschlagen hat,
Für mich ein Rad des Glückes? sprich!
Geist. Es stirbt in mir – o Julius – mich –
Mich stirbt's, ich selber sterbe nicht,
Ich bin schon todt! wie Alles zusammenbricht!
Hin! hin! ach tief! tief, wie man im Fieber
Durch Wolken stürzt; lasse, Lieber,
O laß dein Schwert heut' in der Scheide!
Du scheinst dem Tode eine Augenweide;
Denn umkreiset seh' ich dich von schwarzen Raben;
Aber warum? Heil den Todten, daß sie bald dich haben!
Ich selber schicke deinen Tag herbei;
In meinem Grab ist Raum genug für drei!
(Verschwindet.)
Julius Vindex. Wieder Alles fort! Es war halb Traum,
Halb Fantasie, wo eins dem andern
Die trügerischen Farben lieh.
Auch brennt die Farbe wieder, aber blau;
Die Morgennebel dampfen,
Die Sonne schirrt die Rosse an;
Nun, auch die unsern stampfen
Und spitzen ihre Ohren glau –
Das Würfelspiel des Tags geht an –
Ob Nero fällt, ob sich die Meinen müssen
Dem Tode geben? Gott mag's wissen.
(Tritt hinaus.)
Draußen im Lager.
Soldaten, die aus ihren Mänteln hervorkriechen. Ein Trompeter bläst.
Erster Soldat. Was das wieder für ein nüchterner, ungewaschener und ungekämmter Ton ist.
Zweiter Soldat. Der Kerl bläst, als wenn er das Aufstoßen hätte. So ein Hallunk war Heinz nicht, der früher für die Kompagnie geblasen hat, als er noch lebte.
Dritter Soldat. Der Neue ist ein gefangener Trompeter von drüben, den sie in unsere Uniform gesteckt haben, und der nun aus Patriotismus falsche Noten bläst.
Erster Soldat. Aber ich muß euch sagen, ihr beiden Leute riecht schon ganz nach Verwesung; ihr überlebt den Tag nicht, und würdet gut thun, mir euer Geld zu geben. Denn seht, man hat mir prophezeiht, daß ich in diesem Jahre 365 Tage vor dem Tode sicher bin.
Zweiter Soldat. So gibt es immer noch einen Tag, wo du gehangen werden kannst; denn dies Jahr ist ein Schaltjahr, du Schalk!
Dritter Soldat. Auch ist mein Vorschlag besser. Wir wollen alle drei unsere gemeinschaftlichen Vermögensumstände theilen, so daß auf jeden gleich Part käme. Schießt zusammen, wir machen drei Haufen.
Erster Soldat. Willst du deine Haare mit hinzulegen, die ich dir ausraufen werde, du Kopfrechner!
Zweiter Soldat. Freilich, könntest du sie auf deine Glatze kleben, sie würden dir nicht übel stehen.
Dritter Soldat. So? gehen Einem also die Haare ans, wenn man einen Wallfisch zur Frau hat?
Zweiter Soldat. O stichle nicht auf seine Frau, sie ist nur mit Stechen zufrieden.
Erster Soldat. Mein Weib ist ein gutes Weib, sie ist noch lange keine böse Sieben. (Er legt sich wieder.)
Dritter Soldat. Aber schon lange eine böse Sechs.
Erster Soldat (auffahrend). Was? Mein Weib eine Hex? Du Schuft, weißt du, daß meine Kinder mir alle ähnlich sehen?
Zweiter Soldat. Das müssen sie wohl, du hast ja deinen Bruder zum Wächter bei ihr zurückgelassen. (Die Umstehenden lachen.)
Erster Soldat. Ihr habt gewiß geträumt, ihr seyd nicht nüchtern gewesen; und nun ihr aufwacht, seyd ihr in der That betrunken. Habt doch Lebensart!
Hauptmann. Ruhe ihr deutschen Dorfteufel! Ihr müßt immer eure Schlafmützen über's Ohr ziehen und euch von Federvieh und Hahnreischaften unterhalten. Rührt euch denn diese Natur, das Wunder-Italien nicht?
Zweiter Soldat. Ich will Ihnen nur sagen, Herr Hauptmann, mein Kamerad ist etwas kurzsichtig.
Dritter Soldat. Ja, und das kommt daher, weil ihm seine Kinder aus den Augen geschnitten sind.
Erster Soldat. Glauben Sie's nicht, Herr Hauptmann. Dieses Italien ist in seiner Art einzig; ich schwärme über dem klassischen Boden, wo die Citronen blühen, und bewundere, wie sich Ulmenbäume hier um die Rebe ranken.
(Wird allgemein ausgelacht. Trompetenton. Getümmel der Schlacht.)
Kommando Diesseits und Jenseits.
Diesseits. Hart am Hügel
Halte sich der linke Flügel!
Jenseits. Sie machen einen Bügel,
Schnell gebt dem Roß die Zügel!
Diesseits. Gemach, gemach!
Die Glieder halten nicht zusammen.
Jenseits. Auch ihr nicht allzujach!
Allmählich zünden sich des Kampfes Flammen.
Ein verwundeter Rekrut (am Boden). Mich stört nur Eins: daß ich zerrissene Stiefeln habe. Wie nur das gekommen seyn mag? Hab' ich mich denn so beeilt, da anzulangen, wo ich jezt bin, nämlich eine Handbreit vom Tode? Mein Nachbar da ist noch sehr gut besohlt und vervorschuht; freilich, in zehn Minuten ist's aus mit mir und mit meiner Eitelkeit; aber ich trage das nicht; ordentliche Stiefeln muß ich an den Füßen haben, sonst stolpere ich ungeschickt aus der Welt. (Er kriecht fort.)
Zwei verwundete Brüder.
Erster. Weiter kann ich nicht. Gut, Camill, daß du in der Nähe bist.
Zweiter. Ja, nahe genug, Sulpiz, um dir deine betrügerische Zunge auszureißen.
Erster. Heiliges Blut meines Körpers! verströme nicht zu schnell, daß ich den Meineid eines Menschen züchtigen kann, den die schadenfrohe Natur mit mir aus einem Leibe geboren werden ließ!
Zweiter. Schon als Embryo, du Hund, wie ich mit gesenktem Kopfe und verschränkten Armen dir gegenüber saß in den Eingeweiden unserer Mutter, kniff ich blaue Flecken in deinen Leib, und selbst im Grabe wird sich noch die todte Materie meiner Person instinktmäßig auf dich werfen. Zieh!
Erster. Ich habe gehungert, wenn du am Tische warst, und jedes Spiel verlassen, zu dem du dich geselltest. Ich habe dich des Nachts im Bette überfallen und dir heimlich die Haare abgeschoren, wenn du schliefest. Es ist Alles noch so; ich habe gezogen!
Zweiter. Die Wunde schmerzt; aber diese Quart nimm hin, du Scheusal, auf dem unsere Familienphysiognomie in's Unehrliche sich ausgeprägt hat, nachgemachte Copie meiner selbst!
Erster. Ich war früher da, als du Camill; aber der Tod ist mir auf der Zunge! aber nimm diese Terz! aber sie trifft dich nicht, du Spiegelfechter! Mich trifft sie. Ich bin aus. Legt mich zu dem Menschen nicht!
Zweiter. Ich komme auch zurück, zurück auf nichts, auf ihn, aber nicht zu ihm! Er stahl sich in den Leib meiner Mutter hinein; vom Vater hat sie ihn gar nicht empfangen, das Thier, das wilde, das todte – auch ich – (Beide sterben.)
Der verwundete Rekrut von früher. Kann nicht hin zu meines Kamerads seinen Stiefeln, und muß mich hier ärgern, während es immer ärger mit mir wird. Die Zehen gucken heraus. Ich kann sie mir erkälten. He, Kamerad! Der Kerl schläft und hat so hübsche Stiefeln an. Muß ich also barfuß aus dem Leben gehen – werde mich erkälten, wie ich hier liege– wenn nur wenigstens meine Stiefeln nicht zerrissen wären. O, ich glaube gar, nun geht's ab. Was wird doch der Hauptmann sagen, wenn meine – zerrissene – (Stirbt.)
Diesseits. Zurück! der rechte Flügel ist gewichen;
Bald ist die Linie wieder ausgeglichen.
Jenseits. Seht, seht, sie werden lahm, sie ringen,
Sich wieder in's Geleis zu bringen.
Diesseits. O ihr metallenen Adler, krallt
Euch in die Nacken der Legionen ein!
Und zieht mit Scham und mit Gewalt
Sie in den Kern des Feinds hinein!
Jenseits. Nur zu! nur zu! wer jezt sich wacker hält,
Wird einst beim Steuerwesen angestellt!
Wer stirbt, dess' Sohn wird Militärkadett,
Die Tochter aber nimmt der Kaiser in's Ballet.
Der erste Soldat von früher. Gewisse Dinge gibt es doch, die sehr ungewiß sind. Dazu gehört unter anderem alles, was jenseits des Grabes geschieht. Ich wäre des Todes, wenn ich sterben müßte! Wenn ich mir so plötzlich abhanden käme, ich wüßte nicht wie! Das ist mein Alles, des Morgens aufzustehen, und mich immer wieder so gesund und munter anzutreffen, wie ich des Abends vorher gütigst zu Bette gegangen bin. Wenn ich dann mit Respekt zu mir sagen kann: guten Morgen, Heinrich! Und betrachte mich von allen Seiten und bin noch immer der alte Heinrich mit seinen proportionirten Gliedern, seiner steifen Haltung und der kleinen Haarlocke vor dem linken Ohr. Und wenn ich nun plötzlich eines Morgens dieses Gemisch von Annehmlichkeit und feinem Wesen vermissen sollte! Wenn ich mich auf meinem Tod überraschte, was würde ich sagen! Und was würde meine Frau sagen, wenn ich gestorben nach Hause käme, oder sie auch nur an mir eines der vorzüglichsten Glieder meines Körpers vermißte! Aber was ist das? Mir wird schwach. Ich sehe Blut von mir rinnen, ohne daß ich's fühle. Was – sind – denn – das – für – Narrenspossen! (Stirbt.)
Die gallischen Legionen auf der Flucht.
Die Legionen. Auf dem Blute unsrer Wunden gleiten wir schon selber aus;
Nicht die Schwerter unsrer Feinde treiben uns zum Feld hinaus.
Luft, Luft in den Massen! Athem bei dem allgemeinen Morden!
Denn es ist, als sind wir mit dem Weltmeer übergossen worden.
Weicht zurück, und laßt vom Himmel nur ein Tröpfchen Blau mir wieder,
Ach, von dem geronnenen Blute sind verklebt die Augenlieder!
Kein Ersatz? Kein Wink der Gottheit? Nichts, als leicht geknickte Aehren,
An die unsere Rücken lehnen! Wenn wir nur gefallen wären!
Julius Vindex. Haltet Stand, ihr Memmen,
Laßt euch vom feigen Strom nicht weiter schwemmen!
Bleibt! Sie hören nicht,
Und meine Hoffnung kracht und bricht;
Da rafft Zerstörung Alles hin!
Blutige Nieten statt rosigen Gewinn!
'S ist Sterbenszeit; ein Rabe kreist
Schon lange um mein Haupt und weist
Hinaus in's Leere, in die Nacht,
Die mich mit allem, was ich schaffen mochte,
Die Flamme mit dem Oel und mit dem Dochte,
Nun bald zur Ruh' gebracht!
Und das war nichts – ich rang
Eine Kette von Zweifeln mich entlang,
Wollte mir die Welt zum Ideale bauen,
Und aus dem kalten Marmor Götter hauen,
Wollte das stürmende Rad der Zeit
Aufhalten, Friede bringen in den Streit,
Friede, der aus blutgetünchtem Boden sprösse;
Ich rang, wie ich der Tugend ihre Größe,
Der Ehre ihre Ehre wieder brächte,
Ob ich das Alte nicht am Neuen rächte –
Und sinke hin, ein Opfer meiner selbst;
Zerschmettert von dem eisernen Geschick,
Das Niemanden läßt vor noch rück –
Mit aller meiner Tugend, meiner Spröde,
Mit meiner abgemessenen Rede,
Mit meiner Pietät, mit meinem Beten,
Jezt wie ein Wurm zertreten!
O hört es, Menschen, hört!
Wir werden durch uns selbst bethört;
Natur gab uns ein irdisch Kleid,
Materie als Waffen gen der Materie Streit.
Liebäugelt nicht mit dem, was über Euch!
Macht's Euch bequem im ird'schen Reich,
Genießt! Seyd Herren Eurer selbst! Die Götter
Stehen ob der Erde nur als feige Spötter.
Der Erde seyd Ihr angetraut,
Die Finsterniß und das Gelüst ist Eure Braut,
Steigt nicht in's fremde Ehebett,
Das jenseits im Alkov der Träume steht!
Der Tag gibt die Gesetze an; und spreizt
Euch nicht, dem Augenblick zu widerstreben!
Wer seinen Körper mit Kasteien beizt,
Gewissensschüchtern strebt zu leben,
Wer so abstrakt als tugendhafter Mann
Sich schreibet an des Tages Ordnung an,
Der hat sich selbst den Weg gehemmt,
Und muß, noch eh' der Schnitter kömmt,
Versuchen, ob, was hier verloren,
Ihn äfft noch einmal an des Jenseits Thoren.
(Er richtet sein Schwert vor sich auf und stürzt sich hinein.)