Karl Gutzkow
Nero
Karl Gutzkow

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V.

Kaiserlicher Park. Nacht.

Chor der Mänaden. Von des Gangesstroms goldschimmerndem Bett,
Aus dem Palmenhain, wo die Mutter mich sucht,
Und mit Thränen benezt den glühenden Sand,
Riß'st du mich hinweg, ambrosischer Gott,
            Der des Weinstocks Frucht
        Auspreßt in Zauberpokale!

Erster Halbchor. Nicht der goldene Kamm in den Locken der Braut,
Nicht am Hochzeitstag der Freundinnen Lied
War köstlicher, als der berauschende Duft
Des gekelterten Tranks, der mich wachenden Augs
            In Träume versenkt,
        Und zur Erde die Götter herabruft.

Zweiter Halbchor. Wer nicht kostete von dem göttlichen Most,
Sieht zitternd uns nahn, und verschließet sein Thor,
Doch des Thyrsusstabs breitschattiges Laub,
Die winkende Frucht, der Trommel Gelärm
            Lockt Jeden herbei,
        Der zur Heimath niemals zurückkehrt.

Erster Halbchor. Wie einst Semelens Schooß und die Hüfte des Zeus
Den blühenden Gott Dionysus verbarg;
So ist zwiefach gereift der perlende Wein,
An dem Mittagsstrahl und der Gährung Schaum:
            So stählt sich die Kraft,
        Daß uns blind Leoparden gehorchen.

Zweiter Halbchor. Auch preise dein Mund die herrliche That,
Als ein frevelndes Schiff Dionysus geraubt,
Und sich Epheu schlang um den grünenden Mast,
An das sprossende Holz die Rebe sich hing,
            Und die Schiffer ins Meer
        Als beschuppte Delphine versanken.

Chor. Wer spendet uns karg den Opfer Geruch?
Wer hemmt uns den Weg und der Cymbel Geläut?
Den Thraker Lykurg schlug eigene Wuth,
Der Cithäron erzählt von des Pentheus Mord,
            Und noch liegen zerstreut
        An dem Heber des Orpheus Gebein.

Gedräng unter den Zuschauern eines Theaters, dessen Vorstellung schon begonnen hat. Ein Bürger mit seiner Tochter.

Tochter. Vater, wohin wollen Sie denn? Drängen Sie doch nicht so vor!

Bürger. Ich weiß nicht, was du willst, Kind? Wäre deine Mutter nur da, die stemmte die Hand in ihre Seiten und machte gleich Bresche! Muß doch was davon abbekommen, wenn man deßhalb eine Nacht aufbleibt, um seinen Kaiser auf dem Theater zu sehen, und noch dazu in Frauenkleidern.

Tochter. Sprechen Sie doch nur nicht so laut, Vater! die Leute sehen sich alle um.

Bürger. Ich weiß nicht, was du willst. Was gehen mich die Leute an? Wenn die Könige Komödie spielen wollen, so ist es immer besser, sie thun es auf dem Theater, als auf dem Thron. Wenn nur deine Mutter da wäre; es kommen so viel erbauliche Sprüche vor, die wie ein Abendsegen klingen.

Tochter. Gott, Sie hören nicht auf, Vater! Was ihm nur angefochten ist?

Bürger. Ich weiß nicht, was du willst, Kind! Ich lieb einmal die Menschen, wenn sie im Theater sind, dann ist doch noch Umgehens mit ihnen. Sie haben keine anderen Dinge im Kopf, als die ihnen vorgespielt werden; und wenn man gemeinnützige Zwecke hat, z. B. ein Bäcker ist oder ein Seifensieder, und man durch Aktien sein Geschäft heben möchte, so sollte man nur im Theater Unterschriften sammeln. Soll mich doch wundern, ob das Ungeheuer da oben denn auch zu sprechen anfangen wird.

Tochter. Gewiß, wenn Sie nur zu sprechen aufhören werden.

Ein Nachbar. Wen verstehen Sie unter dem Ungeheuer? Den Kaiser oder den Seedrachen?

Bürger. Mein lieber nachbarlicher Freund, wie viel ziehen Sie monatlich von der geheimen Polizei?

Nachbar. Weit weniger, als Sie von mir ziehen werden, nämlich Prügel. Was haben Sie vorlauter Mensch hier immer in das Stück einzureden?

Bürger (zur Tochter). Kind, wo ist denn mein Perspektiv? Ich möchte doch einmal sehen, ob diese Grobheit größer wird, wenn man sie mit unterstüzter Pupille ansieht.

Tochter. Vater, ich bin des Todes, was Sie heute wieder für Lärm machen!

Bürger. Wäre deine Mutter –

Vorne. Still da hinten!

Bürger. Ruhe, allgemeine Ruhe! Hüte ab!

Alle. St! der Kaiser spricht.

Nero in der Rolle der Andromeda, angeschmiedet an einen Felsen. Am Meere ein Drache.

Nero. Ist dies, o ewiges Licht, die schwarze Hafenbucht,
Woraus niemals mein kaum gezimmert Lebensschiff
Die Anker wieder lichten wird? Ich blicke scheu
Auf diesen Sand, der jezt nur Muscheln birgt; doch bald
Die grausenhaft zerstückten Glieder meines Leibs
Zur Bleiche an der Sonne rings ausbreiten muß!
Mein Vater herrschte über schwarze Aethiopier,
Und barg der Götter scheelem Neidesblick sein Glück,
Mich, seine Tochter. Siehe, da erregte sich
Der Mutter unter Mädchen auf dem Wiesenrain
So plötzlich ihrer Jugendzeit Erinnerung,
Daß sie mit kecker Zunge ihre Schönheit pries,
Und Göttinnen zum Maaße ihre Reize nahm.
Die Nereiden spotteten des eitlen Weibs;
Doch spiegelte so frevelhaft im Stolz ihr Bild,
Daß sich der Neid mit feuchtem Haar Poseidon naht,
Daß jedes Element, zur Rache ausgewirkt,
Im wilden Aufruhr stürmt und sich der öde Rand
Des Festlands mit des Meeres Geifer überzieht.
Des Aufruhrs Frucht, ein scheuslich Ungethüm, setzt sich
Auf diesen Fels und frißt hinweg, was irgend nur
Ein Haupt erhebt, so menschengleich gestaltet ist.
Schon währt sechs volle Monde diese Plage an,
Und wenn des sechsten Mondes Scheibe unsichtbar
Sich zirkelt, schwände ganz in Nichts des Vaters Reich,
Falls er nach Priester heiligem Ausspruch nicht von selbst
Sein Kleinod führte unversöhnten Göttern zu.
So bin ich hier. Die Götter heilen großen Schmerz
Durch größeren, des Messers Wunde durch das Schwert.
O, greiser Vater, folgen mußtest du, denn ach!
Die Krone drückte früher deine Stirne, als
Du auf den Armen eine süße Tochter trugst!
Mich aber trifft des Thieres Zahn als Leiche nur
Noch an; die Furcht löscht meines Lebens Fackel aus.

(Wieder im Vorgrunde.)

Corybanten und Cybele.

Erster Halbchor. Laßt ermattet nicht die Hände auf das Fell der Trommel sinken,
Daß im Ohr der Königin nicht widertönt des Mundes Klage!
Wehe, Wehe, was sie sucht, stahl Maeon, der sie selber zeugte,
Maeon, der den Attys grausam stürzte in des Ida Schluchten.

Zweiter Halbchor. Soll ich einer andern Kunde trauen, die uns Fama brachte,
So entfloh der spröde Knabe ihrem siedenden Verlangen,
Legte an der Mannheit Stempel eigner Hand ein scharfes Eisen;
Und, was einst befruchten sollte, schnitt er vor der Reife nieder.

Cybele. Gibt es in der Luft noch Wellen, die nicht reichlich schon beladen
Von Cybelens Liebesklagen, durch die stummen Räume schwimmen?
Wasser, Erde, Wind, Gestirne, nichts gibt meinem Rufe Antwort.
Attys, Attys lähmte, was du duldetest, der Welt die Zunge?
Nahm dich Zeus für Ganymedes? Nahm Aurora dich für Memnon?
Wer besizt dich, wen verjüngt das Schwellen deiner frischen Glieder?
Wer stiehlt von dem Stock der Lippen mir den Honig deiner Küsse?
Wolken eilet, Sterne zeiget Attys, meinen süßen Knaben!

Julius Vindex, verfolgt von Satyrn und Nymphen, tritt auf.

Satyrn. Husch nicht so eilig
Durch die Gebüsche hin!
Zieh' aus dem Spiele,
Wo es sich läßt, Gewinn!
Neckende Nymphen
Schlüpfen durch's dunkle Laub,
Mache behend im
Rausche den flüchtigen Raub!

Julius Vindex. Verfluchte Mummerei, treib deine Possen
Mit Andern, die sich willig zeigen!
Für euren lustberauschten Reigen
Ist meine Brust einmal verschlossen.

Nymphen. Daphne, wo bist du?
Ist es dir je geschehn,
Daß du ein Bild so
Knabenhaft schön gesehn?
Glycera, sieh nur,
Wie er nachdenklich steht;
Wie er das Haupt senkt,
Süßer als Ganymed!

Julius Vindex. Verführerische Töne hämmern
Am spröden Eisen meiner Brust.
Die äußeren Dinge merklich, die innern unbewußt
Verschwimmen in ein täuschend Dämmern,
Das mich nach den vermiedenen Netzesmaschen
Erst recht begierig lässet haschen.

Oreaden. Suchst du der Liebe
Traulichste Wohnung,
Komm auf die Berge!
Schattige Grotten
Geben zum Lager
Glänzende Muscheln,
Murmelnde Quellen
Wecken dir Echo,
Wecken das Brautlied,
Welches die Thäler
Hallen zur süßen
Liebesberauschung!

Julius Vindex. O wohl ist Liebe schön in dunklen Grotten,
Wie Dido und Aeneas schliefen.
Doch glückt Euch nicht, was ich geschworen auszurotten,
Wenn lockender auch Eure Kehlen riefen!

Najaden. Nimm dir ein Mädchen,
Tauch' in die Welle
Wo ihr verhüllt und
Dennoch euch nackt seht.
Suchet den Goldsand
Unten zu haschen,
Oben die Zweige
Hängender Weiden!
Schwellend vom Bade
Flechtet die Glieder
Dann in dem Schilfe
Hold in einander!

Julius Vindex. In Wasser, Luft, in Allem wohnet Liebe,
Und lockt mit zärtlichem Umfangen;
Wo ist ein Raum wohl, der unausgefüllet bliebe
Von Flüstern, Küssen, Scherzen, Bangen?

Dryaden. Komme zu uns, wen
Eros verwundet!
Säuselnde Schatten
Laden zur Liebe,
Wenn in den Zweigen
Tauben sich schnäbeln,
Käfer im Dufte der
Blumen sich wälzen,
Und in der Ferne
Hirtenschalmeien der
Sinkenden Sonne
Abendlied flöten.

Julius Vindex. Die Nebel theilen sich; mein Aug' erblickt
Ein reizend Weib, das mir Gewährung nickt.
Wo blieb sie? Helft an Rosenketten
Sie anzufesseln mir, ihr Amoretten!

Satyrn. War sie nicht hier?
Da huscht sie fort;
O folge ihr
An jeden Ort;
Ob Berg ob Thal,
Ob Wasserreich,
Allüberall –
Der ist es gleich!

(Die Chöre ziehen sich zurück.)

Maske. Ach endlich, schöner Knabe, ist der Echo Ohr
Von tausend Stimmen nicht mehr so beladen,
Daß es auch meiner Liebe Faden
Der sich mit Seufzern spinnet aus der Brust hervor,
Aufnimmt, ihn treulich fortzuführen
Zu dem, den ich hieherkam aufzuspüren!

Julius Vindex. Du reizende Gestalt! Doch hindert nichts,
Daß du enthüllst die Schönheit deines Angesichts.

Maske. O laß mich stumm an deinen Blicken weiden!
Wenn freien Aug's wir an uns beiden
Der Schönheit Linien wollten messen,
So würdest du an mir und ich an dir vergessen,
Was jeden reizet anzuschauen.
Man findet oft bei schönen Frauen,
Daß sie im ewigen Siegen nicht genießen
Die Lüste, die dem schönen Mann entsprießen.

Julius Vindex. Und bei so vielem Reiz Bescheidenheit!
Das ist des schönen Zaubers schöneres Kleid.

Maske. O nicht Bescheidenheit, nein, tiefes Wissen,
Von der Liebe rechten Vollgenüssen!
Wenn ich die Maske von mir lege,
So macht der Stolz, in meinen Reizen
Erkannt zu seyn, mich träge,
Und ließe mich behaglich spreizen
Auf dem, was jedes Weib
Zu hören liebt von ihrem Leib.
Jezt aber bin ich Mann; ganz hingegeben
An dich, der Schöpfung Meisterstück.
Das laß' ich alles nun zurück
Was ich hier bin, mein ganzes Leben.
Das ist das höchste Ziel, wenn ich die Flammen
Erst angeschürt, als wär' ich Mann,
Als könnt' ich geben selbst, und sinke dann
Zulezt in das Empfangen süß zusammen.

Julius Vindex. Ich aber bin der Theil, der ungeduldig
Die Liebe als ein Wagniß nimmt;
Der, wenn er im Umfangen schwimmt,
Gern wüßte, daß er eines Raubes schuldig.
Ich lab' als Mann mich nicht am Sinne;
Nur dies erfüllt mich mit Behagen,
Daß zwischen meinen Armen inne
Ich darf ein überwundnes Mädchen tragen,
Ein Kind, das, wenn man's auf der Straße sieht,
Sich so empfindsam wie die Schnecke,
Alsbald in ihrer Sprödigkeit Gehäuse zieht,
Ein Kind, das, wo ich's necke,
Mir eher scheint dem Himmel angetraut,
Der Mutter, Amme, ihres Bruders Braut,
Und das mit allen seinen Schüchternheiten,
Mit seines Angesichtes blassen Zärtlichkeiten,
Mit allem Stolz, mit allen Bibelsprüchen
Nun unter mir zum Scherz sich eingeschlichen.
(Er nimmt ihr die Maske vom Gesicht.)
Wie! Du bist's, Poppäa? Mich an deiner Scham
Zu weiden, könnte fest mich bannen;
Doch treibt der Schwur, den ich von meinem Herzen nahm,
Mich, obgleich willenlos, von dannen. (Er entflieht.)

Poppäa. O bleib, bleib, du geliebtes Bild!
Er flieht, und die Entfernung schwillt.
Was hat ihn nur von mir gescheucht?
O Nacht, du Kupplerin, laß zu, daß doch vielleicht,
Wenn nur mein Mund den süßen Namen girrt
Der theure Vogel aus dem Busche schwirrt. (Eilt ihm nach.)

Die Theater-Vorstellung ist beendet. Nero als Weib mit Schminke und halb offener Brust, eilt über die Bühne, von Schmeichlern verfolgt, welche ihn in bekannten Rezensenten-Ausdrücken erheben. Er dankt kindisch und befangen, wie ein Noviz beim ersten Debüt, dann folgen die schon da gewesenen Chöre bis die Scene leer wird.

Erste Pechfackel (leise aus ihr herausseufzend).
O Jehova, du Herr Zebaoth!

Zweite Pechfackel. O du mein Heiland, Jesus Christus!

Die Fackeln sinken in Staub zusammen. Ueberall Nacht und Ruhe.


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