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Letztes Capitel.

 

Alle Opfer sind vergänglich.
Das Unvergängliche aber ist die Sylbe Om.

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Seit den schönen Stunden, mit welchen der vorige Abschnitt schloß, liegt eine lange Reihe von Jahren hinter uns. Die Castanien, welche damals von den vergelbenden Bäumen fielen, sind selbst schon zu fruchttragenden Stämmen erstarkt. Der Winterfrost hat inzwischen manche Bergspitze zu mürbem Schiefer zerrieben. Der Landmann kann sich seither aus Hagelwettern, großen Ueberschwemmungen, schweren Gewittern von Jahr zu Jahr seine Haltpunkte der Zeit gemacht haben. Wer damals gegen seine Eltern sich verging, kann jetzt an seinen eignen Kindern schon vergolten seyn. Die Unsterblichkeit eines Weisen, dessen Prophezeyungen nicht zutrafen, ist indessen vielleicht schon vernichtet, der Haß zweier alter Geschlechter erstorben, das Auge einer klagenden Wittwe oder einer Braut, die am Tage vor der Hochzeit den Bräutigam verlor, von Thränen getrocknet.

Vor der Hütte im friedlichen Thale, wohin wir einst drei treue Gefährten geleiteten, sitzt eine hohe männliche Gestalt auf dem einen abgehauenen Stamme einer zwiegespaltenen Ulme. Das grüne Laubdach hält die Strahlen der Sonne von einem Haupte zurück, auf welchem Furchen und bleichendes Haar die Vorboten des nahen Greisenalters sind. Wie hell das große Auge glänzt, so ist es doch nicht mehr das blitzende Feuer der Jugend, sondern die Sehnsucht, welche in dem blauen Raume des Himmels einen vermißten Gegenstand sucht. Dieser Sterbliche ist Maha Guru.

Zu des Mannes Rechten steht ein Sessel, aber er ist leer; zu seinen Füßen liegt ein bunter Teppich, aber Niemand ruht auf ihm. Er wendet sich um, und wirft einen fragenden Blick in die umrankten Fenster der einsamen Wohnung, aber keine Antwort von denen, an welche sich jahrelang sein Ohr und seine Seele gewöhnt hat. Die Zimmer im innern Hause stehen öde und verlassen. Der Luftzug weht die Vorhänge auf, welche die Kammern trennen, aber das Auge trifft nichts als stille wehmuthsvolle Einsamkeit. An den Wänden hängen Bogen und Köcher, von Spinnen umwoben; und auf bunten, schönen Feiertagskleidern hat sich zerfressender Staub gelagert.

Maha Guru war allein. Seine treuen Gesellen hatten ihre Wohnung im Schoße der Erde aufgeschlagen. Den Bruder ereilte das Geschick schon vor langen Jahren. Er genoß das Glück des idyllischen Zusammenlebens mit dem einsamen Schauer der Natur und den Liebesdiensten der Freundschaft nur eine kurze Zeit. Der erste Frühling, welcher das Thal begrüßte, rief ihn von der Seite der Liebe hinweg, der er nichts hinterließ, als das schmerzhaft brechende Auge eines schwer Scheidenden, und auf immer eine wehmüthige, sehnsuchtswache Erinnerung.

Ein gütiger Gott waltete über dem Haupte Gylluspa's. Ihre Entschlüsse waren stärker, als die Maha Guru's; sie besaß Kraft genug, gegen seine oft überhand nehmende Traurigkeit in stetem Kampf zu liegen. Sie wagte oft den Gedanken zu fassen, ob nicht die Rückkehr unter Menschen, welche eifriger, thätiger, lärmender wären, als die demüthigen Umwohner, welche sie oft im Thale besuchten, und sich von ihrer Weisheit Rathschläge erholten, auf Maha Guru leben- und freudenerregender wirken sollte. Sie dachte dabei an ihre Väter, die glücklich aus dem Brande von Lassa entkommen, in die Heimath zurückgekehrt und an ihre alten Beschäftigungen gegangen waren. Aber Maha Guru verwarf diese Plane, weniger, weil ihre Ausführung mit Gefahr verbunden war, als aus mangelnder Gewöhnung an das rauschende Treiben des täglichen Lebens. Die ganze Richtung seines Schicksals mußte darauf hinauskommen, daß er das Höchste in einem beschaulichen Zustande seiner Seele fand. In diesen geistlichen Hebungen und Gesprächen mit sich selbst würd' er gestört worden seyn, hätt' er die geräuschlose Einsamkeit dieser Gebirgsgegend verlassen.

Ehe Maha Guru das Auge zur ewigen Ruhe schloß, mußte er noch Gylluspa das ihre zudrücken. Wie wir den greisen Mann auf dem Baumstamme vor seiner Wohnung erblicken, hatte er noch vor wenigen Tagen erst diesen schmerzlichen Abschied genommen. Noch lag der Raum seit jenem Augenblicke, da er die todte Hülle in ein Grab trug und mit einem ewigen Felsenriegel verschloß, wie eine lange finstre Nacht um seine Sinne. Er fühlte, wie schwer die Träume waren, die über ihn walteten, aber er besaß die Kraft nicht, sich von ihnen aufzuraffen, das Nächste, Zeitliche, Lebendige zu ergreifen und sich über einen Verlust zu trösten, der unwiderruflich war. Wie wir ihn dort unter jener Ulme erblicken, so wird ihn noch manche junge Sonne grüßen, ihn zum Leben erwecken wollen, und keinen Blick in seinem Auge finden, der ein heller Widerschein ihrer Frische und Klarheit wäre.

Doch allmählich rangen sich in seinem Innern aus der Nacht des Schmerzes einige Gedankenatome zum Lichte des Bewußtseyns empor. Es ward heller in seiner Seele, und die Vergangenheit und Zukunft schieden sich in schärferen Zügen von einander. Die Hieroglyphen in dem Buche seines Lebens waren ihm kein Geheimniß mehr; er hatte den Schlüssel seines räthselhaften Daseyns gefunden, und ein Entschluß sprang in vollem jugendlichem Muthe aus den unklaren Wirren seines Hauptes hervor.

Jeder Gedanke hat sein Ziel, und je reiner er ist, desto höher liegt es. Jede Sphäre, in welche sich die Seele aufschwingt, hat eine Hinterpforte, die zu einer erhabneren führt. An einen Kaufvertrag reiht sich die Gewissenhaftigkeit, an diese die Ehrlichkeit, an sie die innere Gerechtigkeit, an die Gerechtigkeit mittelbar oder unmittelbar alle Tugenden, die ihren Besitzer nicht nur der Menschen, sondern auch der Götter würdig machen. So bilden sich die Uebergänge aus dem Gewöhnlichen in eine höhere Ordnung der Dinge. Die Luft wird, je mehr man steigt, immer reiner und durchsichtiger, und die Seele fühlt sich dem Himmel verwandt.

Dieß ist der schwierigste Weg zur Tugend. Dem, der ihn wandelt, bleibt dabei Jedes überlassen, nur der richtige Tact und sein guter Wille bieten sich ihm zum Führer an. Jeder Gang über die belebte Gasse, jede Visitenkarte, die an unserm Spiegel steckt, jedes kleinste Ereigniß des alltäglichen Lebens ist ein Hindernis; das uns in einem Augenblicke zahllose Stufen tiefer abwärts verlocken kann. Nichts bleibt so schwierig, als die Beziehung des Zufälligen auf das Wesentliche, als die Ausgleichung der Regel mit ihren scheinbaren Ausnahmen. Und dennoch haben die civilisirten Völker diesen Weg zur Tugend eingeschlagen. Die Eindrücke, welche die Außenwelt auf sie macht, sind mannichfach und unabweisbar. Man kann nicht alle Dinge allein um der Tugend willen thun; wir müssen uns darauf beschränken, daß die Dinge nicht ohne die Tugend gethan werden. Es ist sehr schwer, in Europa ein redliches Herz zu haben, aber wenn man es hat, so ist damit ein großes Verdienst und ein großes Glück verbunden. Soll der Tugendhafte dem Leben entsagen? Soll er die Freude an glücklichen Unternehmungen, an siegreichen Anstrengungen wie Farbenstaub von seinem Daseyn streifen? In Europa ist die Resignation niemals eine Tugend gewesen.

Die geistlichen Völker in dem Aufgange der Sonne haben eine andere Lebensgewohnheit. Ihre Beschäftigung ist eine angeborne Überlieferung, keine Verwickelung; ein Privilegium, das die Natur ausstellte, und weder überschritten, noch von Andern gefährdet werden darf. Ja, eine große Classe von Menschen hat nicht nur das Recht der Arbeitslosigkeit, sondern auch eine fortwährende Anweisung auf den Ertrag der fremden Hände. Hier läßt sich aus der Tugend ein Geschäft machen. Man kann ein ganzes Leben auf die Fortschritte in der Sittenreinheit wenden, und jeden Aderschlag zu einem unmittelbaren Gottesdienste machen. Jeder gute Vorsatz reicht schon hin, den himmlischen Lohn dafür zu empfangen, weil man sich keinen Klippen aussetzt, an denen er scheitern könnte. Der asiatische Priester lehrt: richte jeden deiner Gedanken in gerader Linie auf die Gottheit, und wache darüber, daß dich nichts darin unterbreche! Hier ist der Weg zum Himmel kurz; aber er wird unendlich, weil man jeden Zoll auf ihm mißt, und zu jeder zurückgelegten Linie die Frist eines Jahres bedarf.

Maha Guru's erstes und zweites Leben trug alle Elemente zur Beschaulichkeit in sich. Die Einsamkeit nährte jenen Hang an den Geheimnissen des Himmels, denen man sich nur durch Intuition weihen kann, wenn Kraft und Gelegenheit mangeln, ihr Räthsel durch die Wechsel des Lebens zu lösen. Maha Guru stand jetzt als Mensch so allein, wie er's einst als Gott. Der Kreislauf seines Lebens schien vollendet; von wo er ausgegangen, was hielt ihn noch zurück, dahin wieder zurückzukehren? Das Leben ist der Traum einer jenseitigen Vergangenheit, welchem uns die Geburt entriß und der Tod wieder zurückgibt. Die Gottheit drückte einst bei dem ersten Eintritt in diese Welt einen Kuß auf unsre Stirn, und ihre Arme bleiben liebend ausgebreitet, bis wir, den Himmel ahnend, in sie zurückkehren.

Zum letzten Male rief Maha Guru seine Diener zusammen. Er sagte jedem ein Wort der Erbauung, und denen, welche weinten, ein Wort des Trostes. Er nahm Abschied von allen theuern Gegenständen, welche ihm seine Wohnung zu dem liebsten Heiligthume gemacht hatten; selbst die Thiere, welche an seine freundliche Stimme gewöhnt waren, erhielten von seiner streichelnden Hand die letzten Liebkosungen. Er warf einen Mantel um seinen Leib, nahm einen Stab in die schwache Hand und trat aus dem Raume, der lange Jahre hindurch der Tempel seines Glückes und die Kammer seiner Gebete und stillen Gedanken gewesen war. Sein Fuß wandte sich der höchsten Bergspitze zu, die in der Umgebung des Thales lag.

Der Diener, welcher seinen Herrn bis auf den Gipfel des nächsten erstiegenen Berges begleitet hatte, erhielt jetzt von diesem die letzten Befehle. Er solle wöchentlich zweimal zu dem heraufkommen, der nie wieder hinabsteigen werde, und ihm Nahrung für die irdische Hülle bringen, die jetzt den letzten Kampf mit dem Geiste beginnen werde. Maha Guru fügte noch einige Grüße an die Zurückgebliebenen hinzu, und sein Mund war auf ewig geschlossen.

Als der Diener von der Höhe des Berges verschwunden war, erstaunen wir über jede Bewegung, welche Maha Guru jetzt den Gliedern seines Körpers gibt. Das Auge unverwandt nach jenem Punkte hingerichtet, wo mit jedem erwachenden Morgen die ersten Sonnenstrahlen aufblitzen, bleibt er fest auf dem höchsten Scheitel der Bergspitze stehen. Er hebt den linken Fuß und schlingt ihn um den rechten. Er richtet den rechten Arm in die Höhe und läßt den linken in gerader Linie bis in die Hüfte herabsinken. Die Finger beider Hände ballt er fest zusammen. Alle Theile seines Körpers nehmen augenblicklich eine starre krampfhafte Unbeweglichkeit an. Das Augenlied senkt sich halb über den Stern, der Blick richtet sich ab von Allem, was er bis jetzt noch gesehen, und hat seinen Sinn nur noch für die Nase, einen Gegenstand, den man ohne Zerstreuung betrachten kann. Die einzige Lebhaftigkeit, die in diesen unverwandten Blicken liegt, ist das schielende Wechselspiel, wie bald der linke, bald der rechte Nasenflügel von dem ermatteten Auge wahrgenommen wird.

Und so steht der Andächtige vielleicht noch auf jenes Berges Gipfel. Jahre, Hitze, Frost, Sturm und Regen sind über ihm weggezogen, haben seinen Scheitel entblößt, die Haut seines Körpers zur Mumie zusammen geschrumpft. Er steht noch immer auf dem einen Fuße, und würde auch den andern nie wieder auf den Boden herabbringen können. Schlingpflanzen haben seinen Leib wie einen Baum umrankt. Waldbienen legen in der Oeffnung zwischen dem stehenden und gehobenen Beine ihren Stock an, und der Vogel baut sein Nest in der traulichen Höhlung unter dem rechten Arm, der nie mehr herabsinken wird, um die junge Brut, die unter ihm zum Leben keimt, zu ersticken. Nur in dem Munde liegt noch eine schwache Bewegung und das Auge verräth, daß das innere warme Leben noch nicht ausgehaucht ist. Jener nimmt die Nahrungsmittel auf, welche die andächtigen Verehrer des Bergheiligen in der Runde, die ihn wie eine schon im Himmel lebende Erscheinung anbeten, zuweilen hinein stecken. Das Auge aber labt sich noch immer an dem monotonen Anblick des tiefsinnigsten Körpergliedes, der Nase.

In der That bindet Maha Guru auch nur noch ein leises Athmen an die Erde. Die Seele schwebt schon längst den Weg zur Unsterblichkeit bald hinauf, bald wieder zurück in ihren irdischen Sitz, der, so lange er noch nicht zusammengestürzt, ein ewiges Recht auf sie hat. Die Götter sitzen in dem Glanze ihrer Herrlichkeiten und winken lächelnd dem Greise, der sie in seiner Jugend auf Erden vertreten hatte. Ein Stuhl der Allmacht steht schon lange bereitet und wartet des endlich entfesselten Geistes. Alle Genien des Himmels sind schon in ihren weißen Festkleidern und tragen Palmen auf den Händen und streuen tausend Seligkeiten auf den Weg, den der Gefeierte wandeln soll. Nur eines letzten Athemzuges bedarf es noch, und der Himmel hat einen seiner ersten Fürsten wieder.

 


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