Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Capitel.

 

Der blaue Gott floh auf einen Kokosbaum; aber der rothe folgte ihm, und legte Feuer darunter an.

Ceylonesische Mythe.

 

An einem schönen milden Tage versammelten sich die Bewohner von Lassa zu den Vorbereitungen einer Abendunterhaltung. Die Eingänge eines befestigten Hauses waren von dichten Haufen belagert, die, so neugierig sie sich an die Thüren drängten, doch für den Augenblick, da sie geöffnet wurden, auf dem Sprunge standen. Endlich hörte man ein dumpfes Brüllen hinter den hohen Portalen, dann das Zurückschieben großer eiserner Riegel, und die Menge wich schleunigst denen, die durch das Thor gelassen werden sollten, aus dem Wege. Ein langer Zug von wilden, die Erde stampfenden, brüllenden Stieren kam jetzt zum Vorschein. An dem kleinen Kopfe, den gekrümmten Hörnern, dem starken Halse, der tiefen Brust und den kurzen Vorderschenkeln erkannte man indische Race, die für öffentliche Belustigung vom Staat unterhalten wurde. An dem muthigen Springen, den rollenden Augen, dem wedelnden Schweife sah man die Kampflust, mit welcher sich diese Thiere zu durchbohren drohten. Nach vielen von den Führern überstandenen Fährlichkeiten kamen diese Gyalstiere an dem Orte an, wo sie Proben ihrer Kühnheit, Gewandtheit und Körperstärke ablegen sollten. Im Bereich eines großen Zirkels wurden sie, an Pfählen befestiget, durch die Neckereien der Matadore zur Kampflust gereizt. Rings um diesen innern mit lockerer Erde belegten Raum erhoben sich Estraden, welche von einer unabsehbaren Zuschauermenge besetzt waren.

Dieß war keineswegs eine Belustigung für den Pöbel, sondern die vornehmsten Chargen von Lassa hatten sich in angemessener Umgebung zu dem bevorstehenden Schauspiele eingefunden. Auf einem hervorstehenden, mit Vorhängen bedeckten Erker, finden wir auch den chinesischen Correspondenten, seine Schwester Schü-King und ihren schmachtenden Anbeter, den Obersten Tschu-Kiang. Sie beherrschten die ganze Umgebung, die scheu und ehrfurchtsvoll zu den Gewalthabern dieser Loge heraufblickte. Alle drei nahmen mit der vornehmsten Herablassung die Huldigungen an, welche ihnen durch demüthige Verbeugungen und unzählige andere Complimente dargebracht wurden. Zu den Gründen, welche den Obersten bestimmten, sich nach aufgeblähter Pfauen-Art in die Brust zu werfen, kam insbesondere noch das Wohlgefallen, das er an sich selbst empfand. Er warf die Oberlippe weniger aus despotischer Laune, als in der Absicht sich von der wohl erhaltenen Schwärze seiner gefärbten Barthärchen zu überzeugen. Er saß unbeweglich mit dem untern Körper, um die anmuthigen Falten seiner reichen Gewänder nicht zu verwischen; nur den Kopf setzte er in eine unaufhörliche Bewegung, damit sein Zopf recht oft an den Rücken schlug und die Aufmerksamkeit eines Kunstkenners und Geschmackverständigen errege.

Der Correspondent stand in einem beständigen Verkehr mit seinen Stiefeln. Bald hatte er einen Bericht zu lesen, bald eine kleine Note niederzuschreiben, und hiezu mußte seine Fußbekleidung als Bureau dienen. Die Dinte ging ihm aus, und er bat den Obersten, ihm aus seinem Stiefel etwas vorzuschießen. Dieser freute sich, seinem ersehnten Schwager gefällig seyn zu können.

Schü-King sah diesem Vorschusse lachend zu, und sagte dann zu Tschu-Kiang: »Ihr seyd ein Gelehrter, Oberst, wie würdet ihr sonst Dinte im Stiefel tragen? Sagt mir doch gleich, wo das Vaterland dieser abscheulich wilden Stiere zu finden ist!«

Dem Obersten fehlte nichts als Anerkennung. Er zupfte nicht verlegen an den Aermeln, strich sich nicht mit der Hand über die Stirn, sondern fuhr dreist mit einer Antwort heraus: »Sie wissen, Schü-King,« sagte er, »daß ich in frühern Jahren Reisen gemacht habe. Ich spreche nicht davon, daß ich in Su-Tscheu war. Meine Sitten verrathen es, daß ich an dem Sitz der feinsten Moden, des besten Geschmackes, der zierlichsten Sprache und der geistreichsten Theater gewesen bin. Was soll man von Su-Tscheu Andres sagen, als daß ein junger Mann von gutem Ton dort gewesen seyn muß, um sich mit Anstand in glänzenden Zirkeln zu bewegen?«

»Aber die Stiere?« fiel Schü-King ein.

»Ich werd' Ihnen Alles sagen, was ich weiß,« entgegnete der Oberst, »und Sie werden finden, daß man nicht mehr wissen kann. Auf der Insel Haian, im Flusse Tha, traf ich schon auf eine Sorte, die mit dem vorstehenden Vieh einige Aehnlichkeit hat; aber die Milde des Klimas benimmt ihr jenen Muth, jene verwegene Tollkühnheit, die sich hier findet und mich immer –«

Der Oberst stockte, denn obschon er sonst gleich bei der Hand war, wo es Eigenlob galt, so besann er sich doch einen Moment, ob es in dieser Verbindung auch angebracht war. Schü-King benützte daher diese Pause, und ergänzte seine abgebrochene Rede mit den Worten: »Und welche Sie immer so lebhaft an Ihre eigenen Vorzüge erinnert. Aber Ihre Reisen interessiren mich, Tschu-Kiang.«

Jetzt nahm der Oberst den Mund voll. »Von Ngao-Men aus,« fuhr er fort, »kam ich in ein Land, was zu meiner Verwunderung noch von keinem Bürger des himmlischen Reiches gesehen worden. Welche Dinge traf ich da an! Die Ströme sind dort so reißend, daß man vergebens über sie Brücken schlägt. Man kann nur durch Schwimmen über sie wegsetzen. Bedenkt, mit welchen Anstrengungen ich Meilen weit geschwommen bin, um ein jenseitiges Ufer zu erreichen! Laßt mich von den Unthieren, von den Schildkröten und Seekrebsen, welche diese Ufer so unsicher machen, schweigen, denn ich würde Euch nur das Geringste sagen von dem, was mir noch begegnet ist.«

»Sie spannen meine Neugier, Oberst,« bemerkte der Correspondent, der seine Feder hinters Ohr steckte, und wie Schü-King aufmerksam zuhörte.

»Der Reiz der Neuheit,« fuhr Tschu-Kiang fort, »liegt nicht so sehr in den Erlebnissen, als in der Schilderung. Man muß dergleichen darzustellen wissen, um es anziehend zu machen. Das Land, wovon ich eben sprach, wird von dem neuen, das ich darauf betrat, durch eine Mauer getrennt, die weder von Holz noch von Backsteinen, sondern von glänzend polirtem Stahl und riesenhoch ist. Sie werden mich nach der Ursache dieses sonderbaren Materials fragen, und ich bin im Stande, Ihnen darüber befriedigende Auskunft zu geben. Weil dieses Land von den dichtesten Wäldern bedeckt ist, so können die Sonnenstrahlen es wenig erreichen. Es ließe sich deßhalb eine pechschwarze Finsterniß und eine unausstehliche Kälte erwarten, wenn durch jene, in schräger Richtung gebaute Stahlmauer, nicht die Sonnenstrahlen aufgefangen und durch riesenhafte Reflexe über das Land verbreitet würden. Ich bewunderte, daß die Menschen in jenem Lande schon auf diesen gescheidten Einfall gekommen waren, da ich unfehlbar durch die Angabe einer ähnlichen Vorrichtung mir ein unsterbliches Verdienst erworben hätte. Dennoch fand ich vielfache Gelegenheit, die Einwohner durch meine Kenntnisse, durch meine scharfsinnigen Bemerkungen und meine feinen Sitten in Erstaunen zu setzen.«

»Warum umgehen Sie aber nur die Weiber?« fiel Schü-King ein, »auf die Sie doch gewiß unvergeßliche Eindrücke gemacht haben?«

»Ich kann nicht sagen,« antwortete der Oberst lächelnd, »daß ich in dieser Rücksicht unglücklich gewesen bin. Die Frauen haben in jenem Lande das auffallende Vorrecht, bei dem Anblick einer Mannsperson, die ihnen gefällt, sich augenblicklich öffentlich von ihrem Manne loszusagen und dem, welcher sie bezaubert hat, die Ehe anzutragen. Sie können sich leicht vorstellen, was bei solchen Sitten durch mein plötzliches Erscheinen herbeigeführt wurde. Ich war vor Liebkosungen meines Lebens nicht mehr sicher. Summende Bienenschwärme von verliebten Weibern folgten mir über die Straßen, durch die Städte und Felder. Ich versichere Sie, daß ich niemals in diesem Grade die Uebelstände, die mit der Schönheit verknüpft sind, empfunden habe. Es war auch in Folge eines allgemeinen Aufruhrs, daß ich jenes Land verließ. Kein Mann war seiner Frau mehr sicher; die Weiber brachen mit Ungestüm aus den Häusern, sobald ich mich nur in den Straßen blicken ließ; alle Geschäfte und Handwerke blieben stehen, den König hatte sein ganzer Harem im Stiche gelassen, und ich war nahe daran, als ein Opfer der Erbitterung und der Eifersucht zu fallen, als ich glücklicher Weise die Gränzen dieses Landes erreicht hatte. Auf der Gräuze blieb die ganze Weiblichkeit stehen, blickte mir händeringend nach, und ich schwöre Ihnen zu, daß viele vor meinen Augen am gebrochenen Herzen starben und andere sich selbst den Tod gaben. Sie hatten Recht; denn was war ihnen das Leben ohne mich?«

»Wie verändern sich doch die Umstände,« sagte Schü-King spottend: »In jenem fabelhaften Lande liefen alle Weiber Ihnen, und in Peking liefen Sie allen Weibern nach!«

»Angebetete Schü-King,« erwiderte der Oberst, »ich berichte nur, was ich erlebt habe. Als ich das Land der unglücklichen Liebe verlassen hatte, kam ich in das Gebiet der sogenannten Schwanzmenschen. Ja, sollte man wohl glauben, daß es Leute gäbe, welchen die Natur wie den Affen hinten Schwänze ansetzte! Es sind erstaunliche Dinge, die mir begegnet sind. Wenn Sie erwägen, daß sich bei jenen Menschen alle Lebenskraft in ihren Schwänzen concentrirt, daß der Verlust derselben für einen Unglücklichen dieser Art tödtlich ist, so können Sie die Sorgfalt abmessen, mit welcher sie ihre Heiligthümer behandelten. Sie trugen Futterale darüber, und mußten, wenn sie sich setzen wollten, immer vorher ein Loch in die Erde graben, um ihren Schwanz da hineinzustecken. Lesen Sie die Reisebeschreibungen der ausgezeichnetsten Mandarinen, Sie werden nie etwas von diesen Menschen bei ihnen antreffen. Ich kann aber sagen, daß es sonst Leute waren von wissenschaftlicher Bildung; sie wußten die Talente nach Würden zu schätzen, und sie waren bald darüber einverstanden, daß ich in meiner Heimath zu den Meistern gehörte. Ich denke noch mit Vergnügen an die Lobsprüche, welche sie meinem Styl und meiner Handschrift ertheilten.«

»Wie?« rief der Correspondent, »diese Schwanzmenschen redeten chinesisch?«

»Nein,« antwortete vornehm der Oberst; »sie besaßen keineswegs die Sprache des Himmels. Man hat keine Vorstellung von diesem wunderbaren Volke, wenn man es nicht gesehen hat.«

»So reden diese Menschen also gar nicht?« meinte ächt chinesisch Schü-King.

Der Oberst schwamm in Entzücken, daß er um Dinge gefragt wurde, die so gescheidten Leuten, wie er vor sich hatte, unbekannt waren. Er sah nachlässig auf die Fragen herab, maß sie mit geringschätzigen Blicken, brachte dann seine Kleider in Ordnung, und begann nun erst mit wichtiger Miene die verlangte Aufklärung zu geben. »Man muß dieß gesehen haben,« sagte er, »um darüber so zu sprechen, wie ich es thun werde. Die Schwanzmenschen haben allerdings dieselben Redewerkzeuge, wie die Chinesen, ja ich muß sogar zugeben, daß sie sich derselben wie wir bedienen, obschon die wenigen Worte, die in ihren Dictionnären stehen, nicht die entfernteste Aehnlichkeit mit der Sprache des himmlischen Reiches haben. Wo bekommen sie also die Worte her, die ihnen noch fehlen? Ich bin in dem Lande gewesen, ich kenne die Schwanzmenschen wie sie sind. Es ist lächerlich zu glauben, daß sie sich die Worte entgehen lassen, für welche sie keine Laute haben. Behüte! Sie haben eine andere Sprache, die in stummen Gesten besteht, und in welcher man es zu einer seltenen Vollkommenheit bringen kann. Ich kann mich davon selbst als Beispiel anführen. Es ist hier nicht davon die Rede, daß man die nothdürftigsten Wünsche und Gedanken in einigen unbeholfenen Fingerzeigen ausspricht, daß man um Brod zu habe, auf eine Aehre, um Fleisch zu haben, auf einen Hammel zeigt. Nein, es gibt darin Stufen, die zu einer unbeschreiblichen Präcision führen. Sollte man es glauben, daß man durch Schnellen der Finger, durch Umkehren der Hand, durch Berühren der Nasenspitze eine Rede halten kann, die von den Gebildeten als vortrefflich beklatscht wird? Allerdings muß dieß Alles mit einer seltenen Gewandtheit und gewissen feinen Kunstgriffen geschehen, deren Auseinandersetzung mich zu weit führen würde. Ich kann nur so viel sagen, daß ich den Ruhm einer phantasiereichen und numerosen Diction, der mich noch nie verlassen hat, auch hier zu behaupten wußte. Alle Welt war erstaunt. So tiefsinnig, so gedankenreich, so blühend war noch nie mit Fingern gespielt worden.«

Ein Freudengeschrei unterbrach die Lügenberichte des eitlen Gecken. Die Matadore und Picadore hatten sich mit großen, beschlagenen Stöcken rings um das Schlachtfeld herumgestellt, und die Stiere wurden jetzt von entgegengesetzten Seiten losgelassen. Sobald sie ihre Freiheit fühlten, bohrten sie mit ihren Hörnern den Rasen auf, schlugen aus und schienen von den stärksten Symptomen der Wuth befallen. Sie griffen sich nicht sogleich an, sondern gingen an einander vorbei, betrachteten sich seitwärts; und wie ein ins Wasser fallender Tropfen immer größere Kreise zieht, so näherten sie sich immer mehr dem Mittelpunkte, den es zu erobern oder zu erhalten galt. Wenn sie sich so gewendet hatten, daß sie sich gerade gegenüber standen, so rannten sie ungestüm mit den Köpfen aneinander; die Hörner verwickeln sich, alle Muskeln treten an den ringenden Thieren hervor, der Boden zittert unter ihren Füßen, und es kracht entsetzlich, wenn sie mit ihren felsenharten Stirnen zusammenstoßen. Hier und da sinkt einer der Kämpfenden, die Wärter springen hinzu, fangen den Sieger mit Seilen, ziehen ihn zurück und retten den bedrängten Schwächern. Es kam in allen diesen Anläufen niemals zum Aeußersten; denn diese Stiere, so schwer aus dem Süden zu transportiren, wollen erhalten seyn, und Tibet ist ein kirchliches Land, das nicht nach Blut dürstet.

Diese Scene erneuerte sich zu wiederholten Malen. Die Chinesen, die langweiligsten Geschöpfe der Welt, werden nicht so bald durch das Einerlei einer solchen Belustigung gelangweilt, sondern sie hatten Lust bis auf den letzten Mann und den letzten Stier auszuharren, als hätten sie Geld für ihre Sitze gezahlt.

In der ersten verschnaufenden Pause hätte der Oberst sehr gern seine fabelhaften Reisen weitergelogen; aber wie begierig auch seine beiden Zuhörer darauf gewesen seyn mochten, so verhinderte sie doch alle am Sprechen und Hören ein neues Geschrei, das an einer andern Seite ausgestoßen wurde. Man lachte, klatschte mit den Händen, und dazwischen hörte man eine laute gellende Stimme: »Wo geht der Weg nach Peking?« Das Getümmel kam der Loge des Correspondenten näher, und spie endlich einen kleinen, vom Kopf bis zum Fuß rothgekleideten Mann aus, in dessen spaßhaften Begrüßungen und auffallender Kleidung die Bewohner von Lassa sogleich einen Lustigmacher aus den südlichen Provinzen erkannten. Der religiöse Norden von Tibet muß solcher Freuden und Würzen des Lebens entbehren, während man im Süden des Landes bei allen theologischen Disputen, Casteiungen und Ceremonien, noch immer einige Stunden fand, in denen man sich gern den Späßen eines gutmüthigen alten Narren hingab. Doch kannte ihn Jedermann, wenn sich ein so seltener Vogel ins Hochgebirge verflogen hatte.

Der Anstand verlangte, daß der Lärm abnahm, als sich der Ankömmling dem Sitze des Correspondenten näherte. Die drei Inhaber dieser Loge erschracken aber nicht wenig, als der bestäubte, unheimliche Gast unter beständigem Ausruf: »Wo ist der Weg nach Peking?« zu ihnen über Bänke und Barrieren sprang, und ohne weitere Förmlichkeiten meldete, daß er Peking hier gefunden zu haben glaube. »Nein, mein guter Freund,« konnte sich der Oberst doch nicht enthalten zu bemerken, »Sie finden hier weder Peking noch Nanking. Dieser große Stern am himmlischen Reiche, der Correspondent des Sohnes, zeichnet sich durch seine Weisheit aus, und man hat die Weisheit bis jetzt immer nur in Koang-Tscheu-Fu gesucht; und was mich anbetrifft, so hoffe ich durch mein Benehmen und meinen Anstand zu beweisen, daß ich in Su-Tscheu gewesen bin!«

»Der Herr Oberst sprechen die Wahrheit,« fiel der Correspondent ein; »wenn Euer Weg nach Peking geht, so wendet Euch an jenen Mann dort zu Pferde, der sich General der chinesischen Garnison nennt. Einen Mandarin und einen Lümmel aus Peking erkennt man schon an dem Ungeschick, mit dem er die Theetasse hält.«

»Was kümmert's mich,« antwortete der Rothrock, »daß ihr in Eurem Lande erst Reisen machen müßt, um Verstand zu bekommen? Ich seh' an dem Staube, der in der Blume der Mitte sitzt, daß ein Körnchen dem andern gleicht. Eure Kleider sind alle von Seide, Eure Kerzen von Wachs, Eure Löffel von Horn, und Eure Reichthümer bestehen aus Worten. Was kümmert das mich? Ich suche einen Mann, der sich den Correspondenten des Mittelpunktes der Erde nennt.«

»An Euren gewaltthätigen, ungewogenen Worten,« sagte der Gesuchte, »hör' ich, daß Ihr niemals die Khnien-Meng-Tse-Tschu-Hi's, des Königs der Wissenschaften, gelesen habt; was wollt Ihr von mir?«

»Zieht einmal die Falten Eures Gedächtnisses auseinander!« entgegnete der grauhaarige Schalk; »wo leben in der Welt Eure Freunde? Kann ich aus Wampu kommen? Nein, ich bring' Euch kein Rindfleisch! Kann ich von Luk-Tscheu kommen? Nein, ich bring' Euch keine Zobelpelze! Kann ich vom Vorgebirge Lessep kommen? Nein, ich habe für jene Dame, in der ich Eure Schwester erkennen möchte, weil sie, wie Ihr, auf der rechten Seite stärker ist, keine Perlen zu Ohrringen mitgebracht, um damit die linke Seite zu beschweren, und die Gleichmäßigkeit der Schönheit herzustellen. Ihr würdet mir dieß Alles, und unter Andern meine Grobheit vergeben, wenn mich Euer bester Freund, der Sohn des Himmels schickte, um Euch eine Pfauenfeder zu überbringen.«

Es konnte für den Correspondenten keinen wohlgefälligeren Klang geben, als den Orden der Pfauenfeder. Alle seine Gedanken hingen an diesem Symbol der höchsten Auszeichnung. Er hatte sich schon tausendmal auf den Moment vorbereitet, wo ein Abgeordneter des Kaisers vor ihn treten und seine Mütze mit dem schönsten Schmucke zieren würde. Es war einleuchtend, daß in dem angekommenen Fremden dieser Augenblick noch nicht erschienen war; aber dennoch hob sich der Correspondent unwillkürlich von seinem Sitze; ein schamhaftes Roth fuhr über seine Wangen, er senkte bescheiden das Haupt, als würd' ihm die Pfauenfeder in der That an die Mütze gesteckt.

»Nein, so würdig Ihr jetzt schon solcher Auszeichnung seyn möget,« sagte der Kleine, »so komm' ich doch jetzt in Angelegenheiten, die erst zu Ende gebracht werden müßten, um Euch jene zu sichern. Ich bringe Euch Grüße aus einer Gegend, die Ihr nie gesehen habt, und überbringe Euch Freundschaftsversicherungen von einem Manne, den Ihr noch besser werdet kennen lernen, als Ihr ihn bereits kennt. Ich bin Dhii- Kummuz, und trage die Kleider, welche mein Herr, der Statthalter von Teschulumbo, ablegt.«

Diese Nachricht machte auf den Correspondenten einen sehr angenehmen Eindruck. Und während er sich nun in einen Schwall von Höflichkeiten gegen den Abgeordneten eines so ehrenwerthen Mannes vergaß, fragte Schü-King den Obersten, ob auch Teschulumbo auf der Charte der von ihm besuchten Länder läge?

Tschu-Kiang war überall gewesen. »Es dürfte schwerfallen,« sagte er, »ein Land zu entdecken, das von mir nicht besucht wäre. Teschulumbo! Was soll ich nicht Teschulumbo kennen!«

»Wie sind die Menschen dort?« fragte die Angebetete, »haben sie nur Einen Kopf? Sitzen ihnen die Hände am Rücken? Tragen sie Kleider mit zwei Näthen? Reden Sie, Oberst, ich höre Sie gern von Ihren Erfahrungen sprechen.«

»Es liegt Alles in der Darstellung,« entgegnete der eitle Chinese; »die Frauen besitzen in jenem Lande eine kolossale Leibesbeschaffenheit, während die Männer sich durch ihre unbedeutende, schwächliche Statur auszeichnen.«

»Wahr gesprochen,« fiel Dhii-Kummuz ein, der mit dem Correspondenten in vertraulichen Unterhandlungen begriffen war, aber doch zuweilen sein Ohr für die neben ihm geführten Gespräche hinhielt. »Daher rühren auch in unserem Lande die unehelichen Mißverhältnisse. Die starken Weiber haben an ihren Männern noch lieber, daß sie einige Schwächen besitzen, als daß sie schwach sind.«

»Nun, Schü-King, können Sie sich denken,« fuhr der Oberst fort, »welche Triumphe ich in Teschulumbo gefeiert habe.«

»Ich hörte einmal von ihrem Stallmeister,« sagte Schü-King, »daß Sie einst eine Prinzessin vom Tode errettet, und sich dann tödtlich in sie verliebt haben. War das in jenem Lande?«

»Dieß Ereigniß hat einen Schein von Wahrheit, doch sind die Verhältnisse anders,« antwortete der vorsichtige Liebhaber, der bald durch seine Rodomontaden Schü-Kings Gunst verscherzen konnte. »Nein, ich betete alle an, und daher im Grunde keine.«

»Es gibt eine Leidenschaft mit untergeschlagenen Beinen,« ergänzte Dhii-Kummuz, der rothe Schalk von Teschulumbo.

»Was Ihr mir da für Dinge erzählt!« rief Schü-King unwillig. »Ich will von den Merkwürdigkeiten, die Euch aufgestoßen sind, hören; von Affen, die ihre Schwänze am Kopfe haben; von Bäumen, die dreierlei Früchte tragen; von Mauleseln, die sich selbst begatten. Tschu-Kiang, Ihr seyd ein starker, tapferer Held, aber wenn es in einem Lande Frauen gibt, so habt Ihr für Alles den Kopf verloren.«

»Einem Löwen, der sich verliebt, hängt man leicht eine Schelle ins Maul,« sagte Dhii-Kummuz, und unterbrach damit den Obersten, der sich eben anschickte, mit einigen extravaganten Unwahrscheinlichkeiten die Neugierde der gelangweilten Dame zu befriedigen. Die Verhandlungen des Correspondenten mit dem Boten des Statthalters waren zu wichtig, als daß sie hier unter freiem Himmel weiter fortgeführt werden durften. Die Gesellschaft brach daher noch vor Beendigung des Stiergefechtes auf, und Dhii-Kummuz begleitete sie.

In der Wohnung des Correspondenten angekommen, übernahm es der Oberst, den Gegenstand seiner Anbetung durch improvisirte Länder- und Völker-Kunde zu unterhalten, während Leang-Kao-Tschu mit seinem wichtigen Gastfreunde in ein abgelegenes Zimmer sich begeben, und ihre Unterhandlungen zu Ende pflogen.

»Ich wiederhole dir,« begann der Correspondent, »daß meine Absichten den Planen deines Herrn in die Hände arbeiten.«

»Das Interesse schließt die Freundschaften,« bemerkte Dhii-Kummuz.

»Nein, mein Alter,« fiel jener ein, »ich fühle Hochachtung für den Statthalter, und schätze die Einsichten, die ihn meinen Werth erkennen ließen. Mein großer Lehrer Yong-Tschu sagte aber schon: Willst du rasch fahren, so halte deinen Pferden ein Brod vor; willst du schneller, so halte ihnen zwei, und willst du aus zehn Stunden eine machen, so gib dem einen die Aussicht auf Heu, dem andern auf Hafer.«

Solche Redensarten fielen in Dhii-Kummuz Handwerk, und er sagte deßhalb: »Das sind Worte der Weisheit. Man erkennt in Euch den Lebensphilosophen.«

»Ich versichere dich, alter Kauz,« fuhr der Lebensphilosoph fort, »daß meine Weisheit noch von meiner Vorsicht übertroffen wird. Ich habe ein sehr feines Auge für falsch gewobene Rathschläge, und sehe es schon am Rollen der Würfel, ohne sie zu berechnen, ob sie falsch sind.«

»Der Statthalter besitzt sehr viel kluge Leute in seiner Umgebung,« sagte der Abgeordnete; »was ich zuerst zu ihm sprach, ist ihm von diesen Allen bestätiget worden. Ich sagte: unser Freund und Gönner, der chinesische Correspondent in Lassa, kann durch unsere Aufrichtigkeit vielleicht gewinnen, und sollt' es nur die Pfauenfeder seyn; durch unsere Treulosigkeit wird er aber nichts verlieren. Darum rath' ich zur Ehrlichkeit. Und diesen Rath hat man befolgt. Das sind die schlausten Füchse, die ihre Gruben mit zwei Eingängen versehen. Ihr gehört zu ihnen.«

»Ich bin ein Sohn des Mittelpunktes der Erde,« erwiderte der Correspondent; »ich kenne die feindseligen Absichten, welche die herumgezogenen Kreise gegen ihr himmlisches Centrum beseelen. Die Bosheit der Tibetaner gegen ihre großmüthigen Beschützer zeigt sich in Spuren, die nie vernarben, weil sie durch frische immer wieder ersetzt werden. Was wir als Gnade euch schenken, das nehmt ihr wie ein Joch, welches euch aufgedrungen wird. In meinen tibetanischen Zuständen, die einen fortlaufenden Artikel der Pekinger Hofzeitung bilden, hab' ich alle diese Elemente auseinandergesetzt, die China bei euch zu beobachten, damit ich nicht sage, zu fürchten hat. Leset jene Muster publizistischer Ausführungen, und ihr werdet sehen, daß ihr in mir keinen Mann trefft, der sich in Dinge einließe, ohne zu wissen, wen sie alles interessiren. Auf wen darf der Statthalter rechnen? Wer leitet in Lassa die Gemüther, die ihm zugewandt sind?«

»Wo denkst du hin, Weisester?« rief der schlaue Dhii-Kummuz; »welcher Kaufmann wird dir einen Mantel verhandeln und dir die Löcher zeigen, die er heimlich zugeflickt hat? Aber noch mehr, wird er Dem einen alten Rock für einen neuen verkaufen, von dem er weiß, daß er so gut wie er ein Schneider ist? Nein, einem so alten Fuchs den Pelz abzugewinnen dürfte den Hühnern wohl schwer fallen. Lassa ist Lassa, und Teschulumbo Teschulumbo. Der Statthalter drückt hier Niemandem die Hand, als dir und denen, die ihm von dir empfohlen werden.«

»Darin ist kein Arg,« sagte befriedigt der Correspondent. »Nun ich weiß, worauf ich mich verlassen darf, werd' auch ich mit dem nicht zurückhalten, was dein Herr von mir zu erwarten hat. Aber ich seh' es dir grauköpfigem Schelm an, daß du in den Schuhsohlen, unter deinem Mützendeckel, auf dem Rücken, oder sonst wo noch Briefschaften versteckst hast, die an einen Mann gerichtet sind, den einige unglückliche Menschen für höher halten als mich, ohne zu wissen, daß sie damit einen gelinden Grad des Hochverraths begehen, und es wenigstens durch zehnjährige Gefängnißstrafe und Abbitte vor dem Bilde des Kaisers büßen müssen; an einen Mann, der, wenn man ihm zehn Fragen aus Lao-Tse vorlegt, nicht eine beantworten kann; an einen Mann, der seine Weisheit in seinen Sporen zu sitzen hat, und sie Niemanden einprägen kann, als einem alten Gaul, den er obenein noch schlecht reitet; an einen Mann, was sag' ich? – ist es denn ein Mann? Die Weiber sind ihm alle aus seinem Harem entsprungen. Einen Mann? Was nennt er denn einen Mann? Ja, und wo blieb ich denn stehen? So oft ich an einen Esel denke, fangen mir selbst die Ohren an zu wachsen.«

Wir wissen, daß der Correspondent von Ming-Ta-Lao, dem General und Mandarinen der fünften Classe, spricht. Wie er selbst sagte, der Gedanke an diesen Mann konnte ihn um seine eigenen bringen.

Als aber Dhii-Kummuz den Namen des Mannes, um den es sich handelte, erfahren hatte, sagte er: »Von wem sprichst du? Ming-Ta-Lao? Nennt sich so in Lassa vielleicht eine Blattlaus? Soll dieser Hund erst geboren werden, oder fallen ihm schon die Haare aus? Oder heißt vielleicht ein Zwitter so, der des Nachts den alten Weibern die Betten wärmen muß?«

»Vortrefflich, mein Freund,« rief die Hände zusammenklatschend, der entzückte Correspondent. »Du schilderst jenen Unwürdigen in lebensgroßen Zügen. Du kennst ihn, und kannst ihn doch nicht aufsuchen wollen; denn der Weise spricht: Die Dummen pflegen sich zwar oft der Klugen zu bedienen, aber die Klugen können die Dummen nie zu etwas brauchen. Wische dir aber jetzt dein Ohr rein, damit du meine Rathschläge vernimmst! Wenn auch das Ei selten klüger ist als die Henne, so findet es sich doch oft, daß es brauchbarer ist, als die zähe Mutter, die es legte. Mein guter Freund, ich bin mit dem Henkel an einem Topfe zufrieden, und nenne den Deckel eine Anmaßung. Jenes Unwesen, das sich hier den General der chinesischen, für mich bestellten Ehrengarde nennt, und zwar um so leichter, als er es in der That ist, ist auch für uns unwesentlich. Wir bedürfen dieses Menschen nicht. Aber sein Regiment hat allerdings einen Ehrenplatz, wie vor meiner Thür, so jetzt in meinen Absichten. Der Oberst desselben wird für uns die Stelle des Generals vertreten. Ich werde von demselben tapfern Degen, welchen du vorhin –«

Ein Klopfen an der Thür unterbrach den Correspondenten.

»Der Herr Oberst Tschu-Kiang,« hieß es im Munde eines Dieners, der den Kopf halb zur Thür herein steckte, »sind plötzlich von so heftigen Ohnmachten befallen worden, daß Fräulein Tschü-King augenblicklich befohlen haben, ihn nach Hause zu bringen.«

»So, so,« brummte der zukünftige Schwager, der den geschnürten Obersten eben als einen löwenartigen Helden schildern wollte, und das ironische Lächeln des Dhii-Kummuz wohl bemerkte. »Ich kann die Versicherung geben, daß der Oberst trotz seiner Ohnmachten ein Ehrenmann ist. Die Truppen lieben ihn seiner Leutseligkeit wegen, und würden jedem Befehle Folge leisten, den er mit Energie zu geben weiß. Kömmt es auch nicht zum offenen Kampfe, so erlangen wir durch unsere Truppen doch, daß die kalmückischen Reiter in Schach gehalten werden. Das Ding mit der Ohnmacht ist doch sehr verdrießlich. Wir müssen uns morgen weiter besprechen. Du sollst in meinem Hause wohl aufgenommen seyn.«

Dem Dhii-Kummuz kam die Einladung nicht gelegen. »Wollt ihr mir meinen Mantel bezahlen, wenn er mir in der Herberge gestohlen wird?« fragte er. »Ich kann in Eurem Hause nicht wohnen, weil Ihr mich zu großmüthig behandeln werdet. Ihr werdet mich auf seidene Kissen betten, und ich habe sehr viele Vorliebe für einfaches Stroh. Außerdem ist Euer Haus klein, und den Harem hat man von allen Seiten in der Nähe. Einen Tibetaner, einen Gläubigen, der die herumschweifende Liebe für die wahre Liebe hält, müßt Ihr von dem Ort der Verführung entfernen, selbst wenn er auf dem Kopfe schon verschimmelt ist. Ich gehe in die Herberge.«

Der Correspondent wollte das nicht zugeben, und erklärte offen: »Ich lasse dich, so lange du in Lassa bist, nicht aus meinen Augen. Ich muß die Gewißheit deiner Ehrlichkeit haben, die du mir erst dann gibst, wenn du hier Niemanden als mich kennst.«

Dhii-Kummuz mußte nachgeben, um jedem Verdachte auszuweichen. Als er dem Correspondenten in das für ihn bestimmte Gemach folgte, schnitt er hinter dem Zopf seines Wirthes ein sehr saures, böses Gesicht. Wie geräumig und wohnlich das Zimmer war, in welches der Correspondent seinen Gast führte, so wenig schien doch dieser Lust zu haben, die Anweisung desselben zu acceptiren. Als Dhii-Kummuz mit dem grünen Schimmer, welcher durch eine Taftlaterne von dieser Farbe im Gemach verbreitet wurde, allein war, bog er die aus Meermuscheln bestehenden Fenster zurück, maß die Entfernung derselben vom Fußboden, die nicht bedeutend war, und warf in den dunkeln Hof seine spähenden Blicke. Nur in einem abgelegenen Hinterhause brannten noch einige Lichter; es war der Harem des Correspondenten.

»Kann ein Bekenner des großen Lama,« sprach Dhii-Kummuz zu sich selbst, »in dem Hause eines Mannes Wohnung machen, der die Rolle eines Weibes spielt? Welch lästerliches Volk, das chinesische! Diese Menschen machen ihre Männer zur Jagd für ihre Frauen. Ich besitze sehr viel Anhänglichkeit an meine Berge, und behaupte, daß meine Frau, die vier Männern neben sich im Bett einen Platz einräumt, sich selbst und diese Vierzahl auf das trefflichste bedient, daß aber vier Frauen auf einen Mann nur des letztern Untergang seyn können.«

Durch eine Halle, die zum Hofe führte, ließen sich Fußtritte vernehmen. Der Hof wurde hell. Der Chinese ging in seinen Harem, von Bedienten begleitet, welche Fackeln vor ihm hertrugen. Auch zur Begattung bedurfte er seines Pompes, auf welchen er, nach der Lehre der Weisen, allen Werth legte.

Selbst, wenn Dhii-Kummuz ein weniger feines Ohr gehabt hätte, so würde er den Aufruhr gehört haben, welcher bei Ankunft des Weiberdespoten in dem Bereich seiner Sklavinnen ausbrach. Tausend Stimmen schienen lebendig zu werden. Die Jungen zwitscherten, die Alten belferten, die Aufseher fuhren mit Schimpfreden und dem Stocke darunter. Dann lachten die Einen, die Andern heulten und riefen den Schutz ihres gemeinschaftlichen Ehemannes an, oder bedeckten ihn mit Vorwürfen. Hier ruft man nach Limonen, dort quält man um einen neuen Shawl, die Eine will Rosinen, die Andere Stecknadeln; die letzte nennt den Correspondenten Herzväterchen, indem sie seine Taschen untersucht, und als sie diese leer findet, verwünscht sie ihn als einen alten Papa, dem man den Zopf abschneiden müsse. Und ihn selbst den Vielgeliebten, wer konnte ihn verkennen, an den zärtlichen Verkleinerungswörtern: mein Töchterchen, mein Schneckchen, mein Himmelchen! und an den moralischen Sentenzen, welche er aus allen Philosophen citirte, um damit seine süßen Artigkeiten zu würzen. Endlich nahm der Lärm ab. Der Haushahn schien seine Wahl getroffen zu haben. Alles wurde still.

Dhii-Kummuz hielt es jetzt für die angemessenste Zeit, sich aus der Wohnung des Correspondenten zu stehlen. Ein herzhafter Sprung aus dem Fenster brachte ihn in den Hof, den er mit leisen Tritten durchschritt. Am untern Ende führte ein Säulengang zu Nebengebäuden, die von einer hohen Mauer begränzt wurden. Die daneben aufgesteckten Palisaden erleichterten es dem Boten von Teschulumbo, die Mauer zu überschreiten.

Wir sind in Lassa schon so orientirt, daß wir trotz der Dunkelheit die Richtung angeben können, welche Dhii-Kummuz einschlug. Er suchte den Palast des Lama auf, und war darin, obschon Fremdling, so bewandert, daß er sich weder durch die Unsicherheit bei der Wahl der Scheidewege, noch durch das Bellen der herumstreifenden großen Wachthunde, von dem richtigen Pfade abbringen ließ. Zuletzt war ein fernes Licht in den Hintergebäuden des Palastes der göttlichen Regentschaft sein Führer. Er stand vor einem Fenster, trat auf den Stein, welcher unter ihm lag, und sah durch das ölgetränkte Papier, welches die Stellen unserer Glasscheiben vertritt, in das Innere einer matt erleuchteten Wohnung.

Es befanden sich drei Personen in dem Zimmer und bildeten eine stumme Gruppe, wenn man die zuweilen anschlagenden Töne einer Guitarre nicht hören wollte. Dieß Instrument lag in dem Schoße eines Mädchens, dessen Schönheit mit der Trauer, die aus seinen Mienen sprach, einen wehmüthigen Contrast bildete. Sie hielt das dunkellockige Haupt in dem weißen Lilienarm, den sie auf einen steinernen Altar setzte. In einen solchen trüben Schleier kann sich die Anmuth nur hüllen, wenn durch die geheimen Flügelthüren der Seele ein scharfer, eisiger Zugwind weht.

Zu den Füßen des jungen Weibes saß auf dem glatten Fußboden ein greiser Alter, um dessen Scheitel, wie eines Trauernden, das Haar in langen Schneeströmen fluthete. Er verwandte kein Auge von seinen geschäftigen Händen, die mit einem wahnsinnigen Eifer an kleinen Figuren arbeiteten, von denen schon ein großer Theil fertig vor ihm aufgepflanzt stand. Nur zuweilen hielt er den halbvollendeten Klotz, den er gerade unter dem Messer hatte, mit der linken Hand in die Höhe, betrachtete ihn von allen Seiten, und schien das Ebenmaß durch die Prospective der Fernsicht zu prüfen; dann verzog sich seine Miene in ein freundliches Lächeln, das ihn aber nur unwillkürlich zu überfliegen schien, weil er, so wie er sich darauf ertappte, wieder die jämmerlichsten Gesichter schnitt, und in seiner Arbeit mit derselben Angst und Bedächtigkeit fortfuhr.

Im Hintergrunde des Gemachs lag auf einem Ruhebette eine männliche, in einen weiten Mantel gehüllte Gestalt, welche stumm in die geheimnißvolle Scene sah, und abwechselnd ihre Blicke auf dem Mädchen oder am Fenster ruhen ließ, als erwartete sie einen Besuch. Dieser war auch in Dhii-Kummuz unstreitig eingetroffen; denn nach einem leisen Klopfen sprang der dritte auf, und begrüßte den Ankommenden durch das Fenster. Dhii-Kummuz wünschte vor der Thür eine Fortsetzung der Bewillkommnung, weil er die Umgebung dieses abgelegenen Häuschens für verdächtig hielt. Der Schaman (denn dieser war der Heraustretende) wunderte sich über diese Aeußerung seines alten Freundes, konnte aber nicht läugnen, ein Flüstern hinter den Wänden gehört zu haben, das er bei so tiefer Windstille doch unmöglich für das Schrillen des Zugwindes halten konnte. Die beiden Freunde gaben sich aber bald darüber zufrieden, weil ihnen die Freude des Wiedersehens nicht Zeit zu Untersuchungen ließ, und den Boten aus Teschulumbo ohnehin die Kürze der Nacht drängte, in den Mittheilungen, die er dem Schamanen zu machen hatte, kurz zu seyn.

»Dein Brief,« sagte Dhii-Kummuz, indem sie sich allmählich von der Wohnung des Schamanen entfernten, »hat mich in Erstaunen versetzt, aber zugleich auch so sehr erfreut, daß ich den ehrgeizigen Planen des Statthalters gern die Hand bot, und gegen den Correspondenten wenigstens zur Hälfte ehrlich seyn werde. Ich habe daraus zwar wieder gelernt, daß die Freundschaft uns besser macht, aber ich fürchte, man wird uns desto ärger mitspielen, je aufrichtiger wir sind.«

»Worauf du dich immer allein verlassen willst,« antwortete der Schaman, »deine Afterphilosophie des Trugs hat im Grunde nur dich betrogen; denn bist du bei all deinen scharfsinnigen Planen und verschlagenen Gedanken mehr geworden als ein Narr? Du befindest dich vielleicht wohl dabei, aber weil du nun schon seit Jahren nichts mehr getragen hast, als rothe Kleider, so haben deine Sinne einen ganz verkehrten Gang genommen. Du scheinst zu verlangen, daß wir Narren sind, aus dem Grunde, weil du die Hosen dazu trägst! Was gefällt dir an meinen Rathschlägen nicht?«

»Wenn ich einen schwarzen Rock weiß nenne,« sagte Dhii-Kummuz, »und es darauf wieder läugne, daß er weiß ist, so kann er so viel Farben haben, als ein Chinese deren am Leibe trägt, nur nicht schwarz. Nein, mein Freund, aus zwei Widersprüchen wirst du niemals etwas schaffen, am wenigsten das, worauf du die Fäden ausspanntest. Vergiß jedoch nicht, daß ich nur prophezeyen will. Meine Dienste stehen für dich überall in Bereitschaft, und deine Schuld ist es, wenn sie dir nichts nützen.«

Dhii-Kummuz schwieg, und nach einer Pause nahm der Schaman das Wort: »Ich kenne das Mißliche dieser Angelegenheit,« sagte er; »aber weil wir auf so viele Nummern setzen, so ist es über allen Zweifel gewiß, daß wenigstens eine nicht fehl schlägt. Wir befördern einen schlechten Plan, um einem bessern dadurch Vorschub zu leisten. Wir geben zu, daß der Eine auf das Unglück des Andern sinnt, und führen die unglücklichste Katastrophe herbei, um sie alle zu beglücken.«

»Du willst jedem Etwas nehmen,« entgegnete Dhii-Kummuz, »und sie alle zufriedenstellen. Gegen diese Maxime kann der nichts einwenden, welcher die Ereignisse beobachtet hat; aber du mußt deine Menschen kennen, ob sie die Geschenke aus deiner Hand nehmen, und die ihrigen zum Dank dafür hineinlegen werden.«

»Was glaubst du von deinem Bruder, unserm Hochheiligsten? Wann waren deine Gedanken die Seinigen? Wann hat die Schwäche eines Menschen auf die Kraftlosigkeit eines Gottes speculirt? – Ach, du Guter, wie kannst du deine Wünsche einem himmlischen Wesen unterschieben, weil du glaubst, es sey in seinem eignen Willen nicht entschlossen! Du willst die Sehnsucht eines Allmächtigen erfüllen, und Wünsche befriedigen, die er sich gleichsam selbst nicht zu gestehen wagt. Man sieht, daß du der Tage nie vergessen kannst, wo du Maha Guru um Fleisch betrogst, oder ihn mit Schlägen bewillkommnetest, wenn er deine Tauben zu füttern vergaß.«

Die Zumuthung solcher Frevel mußte für den frommen Schamanen schrecklich seyn. Er hielt dem Sprecher die Hand vor den Mund und rief erschrocken aus: »Sprich in meiner Nähe nicht solche Lästerung! Bleibt uns denn mehr übrig, als die Rathschlüsse des Himmels zu erforschen? Ich will dem Höchsten einen Dienst erweisen, den er sich selbst leisten könnte, wenn er an den Opfern der Liebe nicht Wohlgefallen hätte. Ist die Frucht unsrer Anstrengungen reif, so mag er sie brechen, oder sie mit dem Stamme in den Pfuhl der ewigen Strafe werfen.«

Darauf folgte dann eine genauere Besprechung der im Werke befindlichen Umtriebe, die auf den sonderbarsten Plan hinausliefen.

In dem Leben des Dalai Lama streift das Göttliche sehr oft an das Menschliche. Wir haben früher gesehen, wie die Wahl und die Erziehung des künftigen Herrn des Himmels mit Machinationen und Intriguen jeder Art verknüpft seyn kann, und es wird nicht auffallend erscheinen, daß namentlich die Priester weit weniger von der wahrhaften Göttlichkeit ihres Zöglings durchdrungen sind, als der gemeine Haufe der Laien. Der Clerus sieht den Gott in Windeln, im Pohlrock, er corrigirt die Sprachfehler, die er machte, ruft den Schneider, der ihm Maß nehmen muß, und sorgt dafür, daß seine Schuhe stets zu rechter Zeit besohlt werden. In den Antichambres ist von jeher die wahre Größe der Helden nicht gesehen worden. Hier schrumpften sie zusammen zu den ordinärsten Menschen, und selbst von den christlichen Priestern wissen wir ja, daß sie von ihrem Gott ganz andere Geheimnisse erzählen können, als wir dummen Exoteriker in den Büchern lesen. Um wie viel mehr ist der Dalai Lama den Verwechselungen seiner Würde ausgesetzt; er, den ein Oberpriester alle Tage aus- und ankleiden muß! daher ist es allein erklärlich, wenn in dem Kopfe eines ehrgeizigen Beamten der Kirche der Gedanke entstehen konnte, den gegenwärtigen Schöpfer der Welt von seinem ewigen Throne zu stoßen, sich für die wahrhafte Incarnation der Ewigkeit auszugeben, und einen Plan zu offner Empörung einzuleiten. Dieser Geistliche war der Statthalter von Teschulumbo.

Der chinesische Correspondent setzte alles an die Pfauenfeder. Er kannte die Politik des Cabinets von St. Peking, und verstand auf das vollkommenste die Absichten, welche der Sohn des Himmels schon seit einem Jahrhundert mit dem Lande Tibet hegt. Es fehlte diesem nur an einer Gelegenheit, das über Tibet ausgelegte Netz anzuziehen, und als eine willkommene Beute dem Mittelpunkt der Erde einzuverleiben. Dieß war der Grund, warum sich der Correspondent auf die Plane des Statthalters einließ; denn entweder gelang es, den Thron des Himmels in dem Augenblicke, da sein Besitzer dafür kämpfte, für China in Beschlag zu nehmen, oder sich dem siegreichen Usurpator so sehr zu verbinden, daß er die ihm gewordene Hülfe nur mit einer an völlige Unterwerfung gränzenden Erkenntlichkeit erwidern konnte. Solche geschickte Machinationen mußten aber dem Correspondenten von seinen Behörden reichlich belohnt werden.

Die Verrätherei des Chinesen mußte für den Statthalter von Teschulumbo in so weit erwiesen seyn, als dieser aus der Revolution Nutzen zog, der sich gleich blieb, gleichviel, ob sie fehlschlug oder wenn sie gelang. Dhii-Kummuz war ein schlauer Kopf, der im Durchschauen von Betrügereien ein geübtes Auge hatte. Wie gern er auch seinem Herrn folgte, selbst um eine verrätherische Handlung zu unterstützen, so suchte er doch den Antheil, welchen der Chinese an den künftigen Erfolgen haben wollte, so ungewiß als möglich zu machen; wie sehr mußte er aber erstaunen, als auch der Schaman, der leibliche Bruder des Dalai Lama, in die Reihe der Verschwörer trat, an die Absichten des Statthalters und den Sturz des Regenten Interessen knüpfend, die selbst für das Land der Sonderbarkeiten, für Tibet, auffallend waren! Er wollte Maha Guru den Donnerkeil und die Blitze seiner Allmacht entreißen, ihn auf seine Schultern nehmen, und den Menschen wieder zurückgeben. War dieß die Handlung eines Atheisten? Der Unglaube wurzelt immer in dem Egoismus, und das persönliche Interesse bestimmte den Schamanen zu dem gewagten Schritt, den er vorbereitete.

Gylluspa war der Preis, um den ein Frevler den Himmel erstürmen wollte. Den Besitz eines Weibes schätzte der Schaman höher als die Verwandtschaft mit dem Weltenschöpfer. Er gab den Blick in alle Sterne des Firmamentes für das Auge einer Angebeteten. Gylluspa aber, welche durch den Anblick ihres Gottes nur heftiger daran erinnert wurde, mit wie heißer, sterblicher, menschlicher Liebe sie ihn umfing, würde niemals den Wünschen seines Bruders Gehör gegeben haben, ohne Maha Guru zu besitzen. Sie war zwar nicht in der Lage, wie die Europäerin, den minder Bevorzugten als einen Vermessenen mit etwas gemachtem Pathos zurückzuweisen; aber diese kleine tibetanische Prüderie wollen wir an ihr entschuldigen, daß sie dem Schamanen erst dann einen Finger ihrer Hand geben wollte, wenn sie auch Maha Guru zu den Abwechslungen ihres Ehebettes zählen konnte. Was blieb dem Schamanen übrig? Er mußte seinem Bruder das Scepter der Weltregierung entreißen, ihn in eine irdische Hütte führen, den Glanz der Gottheit von ihm streifen, und ihn in jener menschlichen Nacktheit zeigen, die unter andern auch das Zeugniß seiner Heirathsberechtigung enthalten wird. Erst dann konnte er der Umarmungen Gylluspa's gewiß seyn, wenn ihm Maha Guru darin vorangegangen war. Wir berichten eine Geschichte, die sich weder an der Themse, noch an der Newa, sondern in Tibet zugetragen hat. Eine legitime Hahnreischaft ist das mittelasiatische Duell, und die Entsagung der Europäer würde in Tibet verlacht werden.

Während Dhii-Kummuz und der Schaman noch in vertrautem Gespräch auf- und abgingen, wiederholten sich jene verdächtigen Zeichen eines irgendwo gestellten Hinterhaltes, dessen Absicht sich wohl errathen ließ. Als jetzt in der Ferne Feuergewehre durch die Nacht blitzten, blieb ihnen kein Zweifel mehr, daß es auf einen Ueberfall der friedlichen Wohnung, welche Hali-Jong und seine Tochter beherbergte, abgesehen war. Der Schaman stürzte auf den Eingang zurück, den er aber schon besetzt fand. Wie er im Innern des Hauses Gylluspa's Hülferuf hörte, suchte er sich durch die Schergen der priesterlichen Gewalt den Weg zu bahnen; aber die chinesischen Soldaten, welche sich an ihren Zöpfen sogleich erkennen ließen, und von einigen Mönchen angefeuert wurden, fielen über ihn her, und nahmen ihn fest. Dhii-Kummuz traf dasselbe Schicksal.

Diese Scene machte Lärm. Die Chinesen müssen sich ohnedieß durch übermäßiges Geschrei erst zur Tapferkeit begeistern, und die Vorschriften der anführenden Priester, die das geräuschloseste Verfahren bezweckten, waren bald überschritten. Die im Palast des Lama aufgestellten Wachen mußten aufmerksam werden, und in demselben Augenblicke, da Hali-Jong mit seiner weinenden Tochter gefesselt aus dem Hause geführt wurde, kam ein Piket kalmückischer Reiterei herbeigesprengt, um diese nächtlichen Ruhestörungen zu untersuchen und sie beizulegen.

Der Schaman wandte sich sogleich an den Anführer dieses Trupps: »Du treuer Sohn des Höchsten!« rief er, »dein Muth muß ein Verbrechen deines unwachsamen Auges wieder gut machen. Welche Dinge geschehen in dem Palaste der ewigen Gnade? Gib mir dein Schwert, daß sich der Bruder des Lama aus den Händen der unreinen Fremdlinge rette!«

Der Befehl des Anführers verschaffte dem Schamanen und Dhii-Kummuz augenblickliche Befreiung; als sie aber jene auch für Hali-Jong und seine Tochter verlangten, trat der Ketzerrichter der schwarzen Gylongs hervor und schrie mit kreischender Stimme: »Ihr unreinen Blattläuse auf dem Baume des Lebens, wage Niemand der ewigen Gerechtigkeit in den Arm zu fallen! Sind eure Pallasche so weise, daß sie künftighin das wahre Dogma von den sectirerischen Neuerungen unterscheiden sollen? Ich rathe euch, euren Degenscheiden die Klingen und der Kirche ihre Ketzer zu lassen!«

Die erneuerten Versuche des Schamanen, dem dumpfheulenden, wahnsinnigen Hali-Jong die Freiheit zu verschaffen, fruchteten nichts; denn der geisterbleiche Großinquisitor hob seinen Knochenarm so hoch, wie seine Stimme, und begleitete mit den furchtbarsten Gesten diese Worte: »Gegen die Löwen wollen die Wassermäuse zu Felde ziehen? Ihr müßt noch nie gehört haben, welche Stufe in der Ordnung des Himmelreichs die schwarzen Gylongs einnehmen. Als die Welt geschaffen wurde, und sich der große Werkmeister von seiner Arbeit eine Stunde ausruhen wollte, da übergab er Gya, seinem obersten Engel, das angefangene Werk zur Hut, und Gya ist der Stammvater der schwarzen Gylongs. Unsere Arme können sich in Schlangen verwandeln, unsere Zunge gleicht dem Stachel einer Viper, und mit den Augen vermögen wir zu tödten, wie der Basilisk; warum seyd ihr so lüstern, uns in flammenden Zorn zu versetzen? Ja, ihr kalmückischen Cavalleristen, unter den dreißigtausend Königreichen der Erde waren eure unfruchtbaren Steppen von Gott die verfluchtesten. Kein Halm wehte in eurem Lande, kein Vogel flog durch eure verpestete Luft, kein Quell rieselte aus euren Bergen, ehe ihr euch zu dem großen Gott wandtet, der mit seinem Haupte an die Sterne reicht, und mit seinem Fuße einen Büchsenschuß weit von hier wurzelt. Seid ihr auf dem Wege, von ihm jetzt wieder abzufallen? Haben eure Vettern daheim die Götzen zerschlagen? Habt ihr den Ganges-Sand in eure unheilige Fläche vergossen? Was seyd ihr in die Partei eines Sectirers übergetreten, der die Heiligen an ihren Nasen beleidigte, und ihren Oberlippen nach eigener Erfindung eine ketzerische Verlängerung anbildete? Weicht zurück, Cavalleristen, oder eure Seelen werden einst vergeblich einen leeren Sitz finden, in den sie hineinfahren könnten.«

Schon bei den ersten Worten dieser imposanten Anrede waren die Kalmücken von ihren Pferden gesprungen und in ein so lautes Geheul ausgebrochen, daß die Zureden des Schamanen nichts mehr fruchteten, und Hali-Jong ungehindert von den geistlichen Vätern und ihren Helfern abgeführt wurde. Gylluspa war nicht zu vermögen, sich von dem unglücklichen alten Manne zu trennen.

Dhii-Kummuz hatte sich längst entfernt. Es mußte ihm Alles daran gelegen seyn, von den Chinesen nicht erkannt zu werden. Er kehrte ungehindert auf dem Wege, wie er das Haus des Correspondenten verlassen hatte, wieder in dasselbe zurück. Er hätte nur von Einem Wesen bemerkt werden können, von der Schwester seines Wirthes. Schü-King war ein starkes Weib, aber im Kampf mit männlicher Schönheit konnte sie auf Augenblicke unterliegen. Wir können es, ihrem Charakter vertrauend, auf das bestimmteste voraussagen, daß die beim Anblick Maha Guru's in ihr auflodernde Leidenschaft einer baldigen Einsicht weichen wird; aber noch befand sie sich in dem süßen Traum der Erinnerung an jenen göttlichen Jüngling, den sie im Zorne noch reizender fand, als in dem ruhigen Genusse der ihm dargebrachten Huldigung. Sie war auf einen kurzen Zeitraum, der noch währte, aus ihrem Charakter gefallen. Sie konnte die geheimen Unterhandlungen ihres Bruders ertragen, ohne sich um deren Inhalt zu bekümmern. Sie konnte sich von Tschü-Kiang ethnographische Vorlesungen halten lassen, ohne dabei zu bemerken, daß sie abscheulich von ihm belogen wurde. Ja, sie konnte sogar drei Fliegen in ihrem Zimmer leiden, ohne für jede dem Oberhofmeister eigenhändig ein Dutzend Bambusprügel aufzuzählen. Kurz, sie war sehr nachgiebig und duldsam geworden, ging früh zu Bette, schlief spät ein, und stand auf, wenn die Sonne schon im Zenith war. Sie hätte den an ihrem Fenster vorüberschleichenden Dhii-Kummuz wohl hören können, aber sie hörte ihn nicht.

 


 << zurück weiter >>