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»Eben hab' ich George Sand's Spiridion beendigt«, begann der Landrath zu lesen.
Bei Spiridion, das er mehr buchstabirte als las, unterbrach er sich: Wer ist Spiridion? Was ist das für ein Spiridion?
August schwieg.
Der Landrath zog die Brille, die er aufsetzen mußte, mehr auf die Nase herunter und fuhr fort: »Spiridion beendet – und noch bebt es geisterhaft in mir nach, und in Allem, was ich todt und leblos vor mir sehe, scheint sich mir's lebendig zu regen, und die Bäume nehmen Gestalt an und die Berge schütteln ihre Häupter wie schweigende ernste Riesen der Vorzeit, die nicht begreifen können, was sich hier in diesem grünen Thal begibt.«
Hier klopfte es an die Thür. Aergerlich rief der Landrath: Hinaus! Aber Fritze steckte schon den Kopf ins Zimmer und fragte, mit sichtlicher Verstimmung auf den Grafen schielend: Herr Landrath, Ihr Abendtrunk?
Statt eine Antwort abzuwarten, stand schon Andres mit einer Bowle Punsch in der Thür.
Es ist meine Gewohnheit, sagte der Landrath entschuldigend zu August, des Abends ein paar Gläser vor Schlafengehen... Setz Er's nur hin, Andres, und hinaus!
Fritze zögerte. Der Landrath sah sich daher genöthigt, energischer zu reden, und rief in dem bekannten Gendarmenlatein: Fritze, Paschol!
Paschol, so viel als packe dich! wurde von Fritze wol verstanden. August aber hielt ihn zurück und sagte: Da Sie jetzt von den hiesigen Vorfallenheiten mehr wissen, als nöthig ist, so können Sie Erkundigungen einziehen, wie und wohin sich die Tochter des Landraths entfernt hat.
Die Gräfin Imagina von Wartenberg! ergänzte der Landrath.
Fritze sagte ruhig: Spur haben wir schon. Das Kloster drei Stunden von hier!
Natürlich! Wo denn sonst! sagte der Landrath aufathmend und entließ den Arm der Gerechtigkeit mit mehren Wendungen der Kochemer- oder Diebssprache, die so viel sagen sollten, als: Vorsichtig und mit Anstand Erkundigungen eingezogen!
Der Landrath prüfte den Punsch. August lehnte ein Glas, das ihm angeboten wurde, mit einer betrübt verneinenden Geberde ab und ließ seine Blicke bald gedankenlos in das Licht der Lampe, bald sinnend auf Feodorens Brief gleiten, den er in der Hand zerknitterte.
»Wer bürgt mir denn«, fuhr der Landrath in den Blättchen zu lesen fort, »wer bürgt mir denn, daß dieser unförmliche Weidenstamm drüben an dem rauschenden Bache nicht in der That eine Verzauberung ist? Sieht er im Mondschein mich oft nicht so stumm beredtsam, so feierlich fragend an, als wollte er von meinem Munde das erlösende Wort hören, das sein müdes Haupt endlich zur Ruhe bestattete?«
Der alte Weidenstamm? unterbrach sich der Landrath ganz verdutzt.
Bitte, bemerkte August, lassen Sie doch diese Lecture, die zu nichts fruchtet. Das, wovor man zu erröthen hat, wird Niemand dem Papiere anvertrauen.
Da irren Sie sich! Aus meiner Praxis, sagte der Landrath, könnte ich Ihnen ganz andere Fälle anführen. Aber das seh' ich wol, der alte Weidenbaum hat nichts, was mein Kind gravirt oder Verdacht erweckt. Aber hier, fuhr er weiter lesend fort, hier – aha! – da kommen Namen – Schloßruine – Pickenick – Otto von Sudburg – Kennen Sie einen Otto von Sudburg?
August horchte auf und fragte: Otto von Sudburg?
Der Landrath, kleinlaut über des Grafen Spannung, aber begeistert von einem fanatischen Gerechtigkeitsgefühl gegen jedermann und wär' es auf Kosten seines eignen Bluts, legte sich das Blatt zurecht und las:
»Wenn wir nun Alle gebunden wären an Bäume, Blumen und Steine? Wenn Erinnerung, volle bewußte Erinnerung unsere künftige Seligkeit wäre und wir auf dieser Erde nur trachten sollten, unserm Ursprunge in der Heimlichkeit der Seele nachzusinnen und dann beruhigt sterben könnten, wenn wir wissen, von wannen wir stammen? Bei diesem prosaischen Pickenick auf der poetischen Schloßruine mußt' ich dich wiedersehen, Otto von Sudburg (so nennt dich das Fremdenblatt, aber ein Gedicht dir weihend würd' ich dich Elpenor nennen, oder Prinz Wismuth, um doch die volle Wahrheit zu sagen) –«
Prinz Wismuth – Elpenor? unterbrach sich der Landrath, aber August drängte: Lesen Sie doch; ich kenne wirklich einen Sudburg.
Der Landrath, immer kleinlauter, las: »Mußt' ich dich wiedersehen, nach fünfjähriger Trennung, du blasser Elfensohn, ganz so geisterhaft schmerzlich, wie damals, als ich dich zum ersten Male in den Bergen und dann in Breslau erblickte!«
August richtete sich auf: Otto von Sudburg hat in Breslau studirt – ich kenn' ihn, stammelte er: das ist ja unerhört – noch eine andere, frühere Geschichte – Herr Landrath, Sie sehen, mit wem man mich verheirathet hat!
Ruhe! Ruhe! stammelte Herr von Unruh und als August ihm die Blätter entreißen wollte, ließ er es nicht zu, sondern faßte sich zu fernerm würdigen Vortrage.
Hier steht, sagte er, hier steht: Wie damals, als ich dich zum ersten Male in den Bergen und dann in Breslau erblickte. Wie fassen Sie das? Es ist eine Universitäts- und Pensionsbekanntschaft, die sich ohne Zweifel schon in Bischofswalde, im Gebirg angeknüpft hat.
Der Vater, der wol wußte, daß breslauer Studenten sehr oft seinen gebirgigen Landrathsbezirk besuchen, bereitete sich schon im Stillen auf ein furchtbares Gewitter für Madame Milde, die Erzieherin, vor. Inzwischen las er weiter:
»Wie dieser erste Jugendeindruck so plötzlich in Baden erscheint –«
Er machte allgemeines Aufsehen, unterbrach August den Vater.
»Wie ich ihn an die Höhle«, las dieser, »an den Kreis seines ursprünglich ihm bestimmten Wirkens klopfen sah, als wollte er rufen: Erde, thue dich auf –«
August schaltete hier wieder ein: Sie müssen nämlich wissen, dieser Sudburg studirte vor fünf Jahren in Breslau Mineralogie.
»Wie ich den Sohn der Metalle angezogen erblicke an den teuflischen grünen Tisch –«
Sie müssen ferner wissen, ergänzte August, daß dieser Sudburg ein unverbesserlicher Spieler ist.
»Wie ich gedachte, daß sieben Bürgen um dich –«
Sieben Bürgen! rief August und wollte dem Landrath das Papier entreißen. Dieser hielt aber fest und fragte, ob das auch zuträfe?
August schwieg eine Weile, um sich zu sammeln. Dem Landrath kehrte sich das Herz in der doch theilnehmenden Vaterbrust um – sein Punsch erkältete, ein Frösteln rieselte durch seine Glieder. Er mußte Andres rufen, um im Ofen das Feuer zu schüren. Dadurch trat eine Stärkung des Gemüths ein und August sagte:
Otto von Sudburg gehört zu einem alten Geschlechte ausgewanderter erzgebirgischer Ansiedler, die sich in Siebenbürgen niederließen. Er studirte in Breslau Mineralogie, um sich für den praktischen Bergbau vorzubereiten. Später erfuhr ich nichts mehr von ihm, als daß er im Auftrag seiner heimatlichen Regierung als Berggeschworner reist, um für die Markscheidekunst die neuen Erfindungen sich anzueignen. Er hat sich in London und Paris länger aufgehalten, als für seine Moralität vortheilhaft war. Wenigstens in Baden zeigte er sich als einen der unerschütterlichsten Spieler, der sich selten in der frohsinnigen und heitern Gesellschaft erblicken ließ.
Haben Sie ihn oft im Umgang mit Imagina gesehen?
Mit meiner Frau? Niemals! Kaum, daß er ein flüchtiges Compliment mit ihr gewechselt hat.
Des Vaters Augen umflorten sich. Sein Gerechtigkeitssinn war ihm so heilig, daß er mit Rührung sagte: Armer Gatte! Lesen Sie hier!
August ergriff die Fortsetzung der Blätter und las, während es im Ofen durch das neuhinzugelegte Holz polterte und knisterte und der Landrath sich feierlich erhob und mit Wehmuth die Bowle auf den Ofen trug, um ihren Inhalt wieder zu erwärmen.
»Wer kann mich verdammen«, hieß es in den Blättern, »wenn ich an eine tiefe, heilige, über das Irdische hinausgehende Beziehung zu diesem Einzigen glaube, der dich anzieht und der in diesem Thale dich doch am wenigsten zu kennen scheint! Und doch, täusch' ich mich, wenn bei dem Wiedersehen auf der Schloßruine ich auch in seinem Auge etwas liegen fand, das da sagte: Du kennst das Geheimniß meines Lebens, du weißt, was mich hierher führte und warum ich diese Erde noch nicht lassen darf?«
Freilich, bemerkte der Landrath, indem er den steigenden Wärmegrad des Punsches untersuchte, freilich sollte der Herumtreiber als Berggeschworner längst hundert Klafter unter der Erde sein, was sein Beruf mit sich bringt.
August las: »Ich weile oben, sagte mir sein trüber Blick, bis meine Stunde kommt, und ich fürchte, sie wird nicht zur Freude meines Vaters sein!«
O, gewiß nicht! sagte der Landrath, eine Thräne zerdrückend. Sein Vater wird eine schöne Freude an ihm haben!
»Ich gedachte der Worte, die Sudburg einst in den Bergen hören mußte, ich gedachte, wie er damals auszog in die Welt und wie ich ihn in Breslau wiedersah. Er ist voller, männlicher geworden, aber an seinem Innern nagt ein tiefer Schmerz. Wenn die Hölle an ihm ihr Spiel gewönne!«
Ein Spieler! seufzte der Landrath.
»So weit hatt' ich geschrieben und nun ich ihn gestern wieder an dem grünen Tische sah, wächst mir die Sehnsucht, muthig in sein Leben zu greifen und ihn seiner reinen und edeln Herkunft und den guten Geistern zu erhalten. Gestern mit der Abenddämmerung hatten sich die feuchten Abendnebel wie durchsichtige Schleier auf die grüne Flur niedergelassen. Dunkler und dunkler wurden die vollen Kronen der Kastanienbäume, leise kamen die schwarzen Schatten von dem Fuße der Berge angeschlichen und umarmten in stiller Feier zum Schlummer bewältigend die kleine an ihrer schlechten Bestimmung unschuldige Stadt. Ich öffnete das Fenster. Durch das nächtliche Schweigen schallte nur mit bewußtem sicherm Rauschen der Sturz des kleinen Waldbaches, der zur Bewässerung der Mühlen, in einem Teiche sich sammelnd, von Schleusen aufgehalten, an der Brücke wie eine flüssige große Sichel schneidend ausgleitet und dann donnernd niederstürzt. Wie ich hinausblicke – August weilt noch in dem erleuchteten Cursaale – da seh ich still und traurig unter den Bäumen den Jüngling schreiten. Eine Weile lehnt er sich an einen Stamm duftender Akazien – er sieht mich bittend, flehend an; ich auf – die leichte Mantille über die Schulter, – hinaus zu ihm – und lieg' ihm weinend an der Brust. Da sagte er: Imagina komm! Du bist's, die mich erlösen und von meinem finstern Schicksale retten kann. Ich lege den Arm um seine Schulter und mehr gezogen, als freiwillig folgend, schlüpf' ich mit ihm durch die Schlangenwindungen der Wege empor zu den grünen Matten, auf eine einsam stehende Bank, an einer weißen fernhinleuchtenden Erle. Da mich an sich ziehend, deutet er hinunter in die neblichten Gründe und zeigt mir einen geisterhaften Reigen weiß verhüllter Frauengestalten, sieben an der Zahl, und schaudernd stöhnt es ihm aus der beklommenen Brust: Da sind sie!... Ich hielt es für ein Blendwerk. Aber der Jüngling nannte jede bei Namen und ich erbebte; denn es waren wirkliche Frauengestalten, die ernst und kalt in den Gründen vorüberschlüpften. Ich, Imagina, ergriff meinen Rosenkranz und betete; denn die Töchter der Hölle nannte mir der Jüngling bei Namen. Jene Schlanke dort, sagte der blasse Freund, ist Superbia, die Hochmüthige; die zweite Gebückte und Lauernde Avaritia, die Geizige; die dritte im üppigen rosenfarb schimmernden Kleide ist Luxuria, die Ueppige; dort, die vierte, die Behende, Kirschrothfarbene nennt sich Ira, der Zorn; dann die Volle, Starke mit dem seelenlosen Auge ist Gula, die den Völkern gelehrt hat: der Bauch sei euer Gott! und die da groß ist im Erfinden von Genüssen für Zunge und Gaumen; die sechste im gelblichen Gewand ist Invidia, die Neidische, – ach, und Alle, Alle haben sie schon den Sieg über mich davongetragen und nur der siebenten da, der Acedia, der trägen Feigheit des Herzens, trotz' ich noch, weil ich noch nicht ganz den Muth verloren habe, zu sagen, was ich wahrhaftig liebe und was ich hasse. Diese Acedia war die Baronin Feodore Zaluska.«
August, der die letzten Worte kaum noch hatte lesen können, machte hier eine Pause und richtete die Augen zum Landrath empor. Dieser war starr. Ein Glas Punsch hielt er fest in der Hand, ohne es zu merken, und feierlich schritt er auf August zu, faßte ihn gleichfalls ins Auge und Beide schienen sich fragen zu wollen: Ja, wie ist uns? Wo weilen wir?
Als sich Beide einen Augenblick starr angesehen hatten und August den Kopf wieder aufs Papier senkte und die Worte las: »Wol fühl' ich, daß das ein Traum war!« und der Landrath darauf mit dem Ausruf: Ja so! an den Ofen wieder zurückgekehrt war, fuhr August fort:
»Aus dem Kloster weiß ich's, daß die sieben Todsünden dem Menschen nicht vergeben werden können, denn diese sind es, welche so tief in der verdorbenen Seele wurzeln, daß sie sich vor dem Priester verstecken, ja vor dem verhärteten eignen Gewissen, und nur dem höchsten Richter offenbar werden. Und allen diesen Sünden war der unglückliche Sudburg schon erlegen und nur noch der Acedia nicht, der Feigheit des Herzens, jener kalten und erbärmlichen Gesinnungslosigkeit noch nicht, die ihren Charakter nach den Umständen ändert, äußerlich warm und innerlich lau ist, der kalten Härtigkeit des Herzens noch nicht, die ich in den Romanen der Sand Blasirtheit genannt finde. Noch nicht? sagte ich triumphirend. Noch nicht ganz! antwortete Sudburg traurig und es drängte mich, ihn zu umarmen und zu sagen: O, könnt' ich etwas von meinem Muth dir in die Seele gießen! Könnt' ich dich heilen, erlösen, erretten, armer Jüngling, durch die Tapferkeit meines Herzens, durch den Freimuth meines Bekenntnisses für dich! O, komm hinaus in die Welt, laß uns Arm in Arm vor die Menschen treten, sage du, wer du bist, ich sage, wer ich bin! Mögen uns alle Schwächen der Erde, alle Laster der Hölle überwunden haben, wir retten uns durch den Adel des Herzens, durch unsern Sieg über seine Trägheit, durch Gesinnung, Aufrichtigkeit, durch Wahrheit! Da blickte er nieder, reichte mir die Hand und wir schieden. Als ich über die Brücke an dem rauschenden Wassersturze ging, fröstelte mich's. Oben löschte August eben sein Licht; er war mit der Baronin vom Cursaal zurückgekommen.«
Nach einer langen Pause, als August geendet hatte, fragte der Landrath inquisitorisch: An welchem Tage könnte das gewesen sein?
August, statt zu antworten, bat um ein Glas des stärkenden Getränks. Sein Geist bedurfte eines von Innen wirkenden Zusammenhalts.
Nacheinander wurde abwechselnd von Beiden noch eine ganze Lage dieser Blätter durchgelesen. Alle enthielten sie die Beweise einer auffallend vertrauten Beziehung Imaginens zu einem Fremden, den August vollkommen für einen leichtsinnigen und gefährlichen Abenteurer erkennen wollte. Dem Landrath leuchtete der bedenkliche Charakter Otto's von Sudburg um so mehr ein, als Imagina einige Male andeutete, daß er sich bei der Begegnung mit ihr im Gebirge, wie mancher Schwindler, Prinz Wismuth genannt hätte. Fritze hat ihn gewiß auf der Liste! sagte der bekümmerte Mann und fuhr fort: Und wenn er der beste Mensch von der Welt wäre, so fühl' ich, daß Sie Ansprüche auf Genugthuung haben. Hier ist nichts zu widerlegen. Das klagt sich ja selbst an.
Die Schloßuhr hatte schon zehn geschlagen. Draußen fiel der erste Winterschnee in leichten Flocken. Die Glut des Ofens ließ nach. Von dem erwärmenden Getränke war nur noch eine geringe Neige übrig und dem schmerzbewegten Paar kam so sehr das Bedürfniß des Schlummers an, daß es eine große Gewissenhaftigkeit verrieth, als sie auch noch, um nicht ungerecht zu verurtheilen, das letzte dieser Blättchen zu lesen sich entschlossen.
Mit jenem verbissenen Ausdruck des Zorns und der hämischen Betonung eines von Dem, was er liest, widerwärtig Berührten las August noch zuletzt: Ist es denn wahr, daß die Stunde der Trennung schlagen mußte! Auch in diese grüne Pracht kann der bräunende Herbst und einst ein entblätternder Winter kommen? Ich fühlte es schon an der Unruhe des Herzens, als ich ihn seit drei Tagen nicht mehr sah, daß ihm Unglück droht – ihm? Wunderliche Thörin, die du in Träume dich verlierst und deine Phantasien mit lebensfrischer Wirklichkeit bekleidest! Nun denn, so ziehe hin, du blasser Dämon, und kämpfe deinen letzten Kampf mit Acedia! Ich muß dich immer vor mir sehen, wie ich dich in der blauen Grotte zum ersten Male erblickte. Schweigend legtest du dein lockiges Haupt an die Brust des bekümmerten Vaters –«
Vaters? unterbrach sich August und fixirte den Landrath.
Vaters? antwortete dieser; Sie werden doch nicht etwa glauben –
Es wäre doch auffallend, wenn Sie dieses Verhältniß schon früher gekannt hätten! bemerkte August in gereiztem Ton.
Wo hab' ich gekannt – ! antwortete der Landrath. Hier sehen Sie ja, ist von einer Ferienreise die Rede, die ohne Zweifel der alte Sudburg mit dem jungen in unsere Gebirgsgegend gemacht hat.
Das müßt' es natürlich sein, sonst – ergänzte August, schöpfte Athem und las: »Ich sehe sie alle noch um dich, die Geister des Gebirges und grauenhaft tönt mir ins Ohr, wie ich erfuhr, was auf der Bahn deines Lebens für Augen auf dich blicken, gute und böse, himmlische und teuflische. Wie ich dich dann wiedersah in Breslau! Der Wagen rollte wieder in die fröhliche Stadt, die Thürme blinkten im Abendgolde, schattige Gärten mit einladenden Schildern und Kränzen, Sitze der Freude und Erholung, zur Linken und Rechten. Da auf einer Terrasse, unter einem breitästigen Baume, von übrigen trinkenden und lärmenden Genossen getrennt, blickst du hinüber übers Geländer auf die Landstraße und ich erkannte dich gleich! Ich zitterte vor Freude, dich so heiter, so gut zu sehen; ich hätte zurückfliegen mögen in die Berge und ausrufen: Er siegt! Er gewinnt! Die bösen Mächte haben keinen Theil an ihm! Und wie oft schloß ich dich seitdem in mein Gebet... wie schauerlich auch überrieselte es mich, wenn im Religionsunterricht die sieben Todsünden erwähnt wurden und sie mir erschienen, wie Todtengerippe in langen weißen Frauengewändern und mit falschen lächelnden Larven! Ich wußte, daß sie daheim für dich in des Vaters Banden schmachteten, aber oft ängstigte mich's im Traum, daß eine von ihnen vor mein Lager trat und sagte: Siehe, ich bin frei! Ich kehre zurück zur Hölle! Ich überwand deinen Freund! Und dann wacht' ich auf und fühlte mich so unglücklich, so unendlich weh war mir im Herzen, daß ich tagelang weinte und Niemand wußte, was mir war, und ich selbst konnte nicht sagen, was mich schmerzte. So hab' ich Jahre hindurch sechsmal schwer von dem Jüngling geträumt und als ich dich hier wiedersah, am Spieltisch, mit zusammengebissenen Lippen, lächelnd vor Ernst, spöttisch vor Schmerz, einer Rolle Goldes nachsehend, die mit teuflischer Ruhe ein Mann mit einem kleinen Holzrechen dir fortnahm, da wußt' ich: Meine Träume sind wahr gewesen! Sechsmal ist er gefallen! Sechsmal ist er den Seinigen verloren! Und wol begriff ich's, daß du in der Schlucht an die Felsen pochtest und riefest: O, laßt mich ein zu euch in euer blaues, reines, gutes Reich: ich erliege, ich halte diese Lebensbahn nicht aus! Aber die stummen und tauben Felsen öffneten sich nicht und wol begreif' ich den wehmuthvollen Blick, den du vom Schloß auf die weite, weite Ebene nach dem blitzenden Rhein hinüberwarfst...«
August hielt inne und fragte den Landrath: Was thun Sie denn?
Der Landrath antwortete aber nicht, sondern schluchzte.
Sich sammelnd, sagte endlich der Landrath: Hören Sie nur auf! So was rührt mich zu Tode! Wie kann das Mädchen sich so in einen Menschen vernarren! Wie kann sie eine so überschwengliche Liebe ihrem Vater verschweigen!
August las den Rest: »Leb' nun wohl, du jenseitiger Geist! Ich weiß, dein Herz ist nicht verdorben. Acedia wird dich nicht besiegen, darf es nicht! O, diese teuflische Schmeichlerin! Hat sie nicht die lieblichste Gestalt gehabt in jener Nacht auf dem Wiesenrain, die Gestalt der Baronin –«
August stockte wieder.
Welche Baronin ist denn das immer? fragte, gähnend vor Müdigkeit, der arme Vater.
»War sie nicht so lieblich, so schmeichelnd, so umstrickend mit tausend schimmernden Reizen, wie Feodore –«, fuhr August fort.
Wer ist denn das wieder, Feodore? fragte der Landrath, halb schlafend.
»Wenn ich euch Beide zusammen sah, hätt' ich rufen mögen: Das ist deine Feindin, das ist meine! Feodore Zaluska, dich will ich malen als siebente Todsünde, dich mit deinem Lächeln, das aus der Leere des Herzens kommt, dich mit deinen schwarzen, glimmenden Kohlen im Auge, die das Einzige sind, was in dir brennt, dich, die du –«
Hier brachen die Schriftzüge unleserlich ab und ein langer heftiger Gedankenstrich mit malerischen Verschnörkelungen drückte die Leidenschaft der Schreiberin aus, die hier geendet hatte.
August, den die Erinnerung an Feodore Zaluska elektrisirt hatte, blickte starr auf das Papier, der Landrath schnarchte, draußen an den Fenstern ballte sich der Schnee zusammen, die Lampe war dem Erlöschen nahe, der Ofen kalt, die Bowle leer. Da pochte es donnernd an die Thür. August fuhr zusammen, der Landrath wachte auf und sah sich gespenstisch um. Ein zweites Klopfen. Wer da? rief August.
Fritze trat ein und meldete, ohne den Grafen, der ihn beleidigt hatte, anzublicken, militairisch dem Landrath: Im Kloster nichts.
Nichts? sagte der Landrath.
Gar nichts! bestätigte der Potsdamer.
Gar nichts? wiederholte der Landrath nachdenklich.
Aber an der Hinterpforte des Klosterhofs bemerkt' ich im Schnee eine frische Wagenspur – fuhr Fritze fort – leider hat es nur strichweise geschneit und es wurde hinterher zu dunkel.
Richtung? examinirte der Landrath.
Sächsische Grenze! sagte Fritze und damit war der Rapport zu Ende. August nahm die Papiere. Der Vater drückte ihm wehmüthig die Hand. Andres leuchtete. Fritze hob den Deckel von der Punschterrine und brummte, hineinlugend, auch hier ein lakonisches: Gar nichts!
Alle gingen zur Ruhe. Sie bedurften ihrer.