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Die Erzählung ist nicht berechtigt, aus diesen Begegnungen irgend ein Ereigniß früher hervorzuheben, bis es nicht in seinem vollen Zusammenhange erklärt und unzweideutig dasteht. Es entspannen sich für den fernern Verlauf der badener Saison folgenreiche Thatsachen genug, die aber auf der Oberfläche der Gesellschaft nicht zum Vorschein kamen. Im Gegentheil nahm das fernere Leben so sehr den Charakter einer monotonen Langeweile an, daß August die Abreise vorbereitete und Baden verließ, nachdem sich etwa noch folgende Punkte als erinnerungswerth herausgestellt hatten.
Der Virtuos, der einmal nicht leiden konnte, wenn ihm nicht Alles huldigte, ruhte nicht, bis er für Imagina einen Flügel aufgetrieben und Quatre-Mains-Partien eingeleitet hatte. Seine Eitelkeit ertrug nicht, daß sie darüber nicht in Ekstase gerieth. Ganz Baden sprach von dieser Auszeichnung, die der weltberühmte Künstler einer jungen schlesischen Gräfin zugedacht hatte. Die Knäsin war nach dem Unglück mit den Pasteten jetzt doppelt in Verzweiflung und führte bei einer Matinée, die er zu 10 Francs das Billet im Conversationssaale gab, Scenen eines Enthusiasmus auf, der nur von Berlinerinnen hätte übertroffen werden können. Wie hätte diese kleine runde Fürstin der Baronin Zaluska gedankt, wenn sie gewußt hätte, daß diese die Ursache der fernerhin eingestellten Quatre-Mains-Partien wurde!
Feodore verrieth nämlich seit dem Schloßpickenick eine auffallende Unruhe. Einige Male sprach sie von baldiger Abreise, öfter aber noch von einem Wohnungswechsel. Um diesen letztern möglich zu machen, erklärte sie sich auf das heftigste gegen die sentimentale Zudringlichkeit des Virtuosen gegen Imagina. In einem Anfall von Leidenschaft, der sie hier wirklich einmal etwas Wahres äußern ließ, sagte sie in Gegenwart August's und seiner jungen Frau: Ich leide zu heftig an den Nerven, als daß ich einen so tobenden musikalischen Lärm in meiner Nähe ertragen könnte. Ohnehin ist mir dieser eingebildete Künstler verhaßt. Ich begreife nicht, wie sich Frauen so wegwerfen können und einem Menschen entgegenkommen, dessen Koketterie in jeder Stadt, wo er auftritt, nicht eher ruht, bis er nicht die ersten Frauen der dortigen Gesellschaft zu seinen Füßen sieht. Was sich nur an Geist, Schönheit oder Rang auszeichnet, muß sich ihm gegenüber schwach gezeigt haben. Manche, wie diese russische Fürstin, werfen sich ihm geradezu an seine ordengeschmückte Brust, Andere muß er langsamer erobern. Dieser Mensch ist, von Stadt zu Stadt ziehend, ein wandelndes Bild der männlichen Untreue. Ihn nur in meiner Nähe zu wissen, ist mir unerträglich. Ich werde ausziehen.
August war darüber in Verzweiflung und Imagina versprach ohne Weiteres diese Beziehung abzubrechen. Sie bewunderte Feodorens tugendhafte Entrüstung und glaubte dem Virtuosen durchaus nicht, als dieser einmal in seiner gewählten Ausdrucksweise seinerseits äußerte: Diese Feodore Zaluska ist meine Gegnerin. Sie hat ein unmusikalisches Ohr. Sie kann nicht ausstehen, daß durch mich in die Badesaisons Poesie, Kunst und Phantasie kommt; sie will nur ihre Pickenicks, die noch überall, wo sie damit auftauchte, in Kissingen, Homburg, Ems mit einem Jubel von Vorbereitungen anfingen und mit Verstimmung endeten. Und meine gute Freundin, die russische Knäsin, die ist überall bestimmt, das Opfer dieser verschmitzten Polin zu werden. Sie weiß es immer so anzuordnen, daß die Speisen der gemüthlichen kleinen russischen Dame dann an die Reihe kommen, wenn schon Alles gesättigt ist, und wie wir diesmal die Gänsleberpasteten den Hunden vorwerfen mußten, so ist es uns in Karlsbad mit einem Dutzend böhmischer Fasanen und in Ems mit einer ganzen etruskischen Vase voll getrüffelter und entknöchelter Rebhühner gegangen. Sie können sich denken, gnädige Gräfin, was ich unter diesen gastronomischen Intriguen und antimusikalischen Verstimmungen zu leiden habe.
Imagina verstand nicht, in welcher Absicht der hier sehr treffend urtheilende Virtuos seine leidenschaftliche Freundin preisgab, und wie er nur andeuten wollte, daß sein Herz in diesem Augenblicke ohne tieferes Engagement war. Sie bedauerte unendlich, daß wegen der bevorstehenden Abreise die musikalischen Uebungen aufhören mußten, und schenkte ihm ein sehr geschmackvolles Falzbein von Perlmutter, was seinen vornehmen Sinn bewog, ihr einen bronzenen, reichvergoldeten Briefbeschwerer als Gegengeschenk zu verehren.
Die Abreise wurde aber doch noch aufgeschoben. Und, was auffallend war, eines Morgens war die Baronin ausgezogen. August, starr über diesen plötzlichen Entschluß, konnte ihn nur als Folge eines für ihn erkältenden Interesses ansehen. Daß ihn die reizende, lebensfrohe junge Frau gefesselt hatte und seinem fröhlichen Sinne fast zum Bedürfniß geworden war, entdeckte er jetzt erst. Imagina forschte den Gründen dieser Trennung nicht nach; denn auch viel zu sehr beschäftigte sie ein Erlebniß am Abend vorm Auszuge der Baronin. Sie wollte schwören, in einem etwas lebhaften Gespräche im untern Stock die Stimme des blassen Fremden erkannt zu haben. Auch das heftige Hinschütten einer bedeutenden Summe Geldes auf den Tisch war ihr vernehmbar, und endlich glaubte sie völlig sicher zu sein, daß der Fremde, begleitet von Feodore, in der Dunkelheit des Gebüsches vor ihrer Wohnung verschwand.
Das Entsetzen über die Bestätigung eines Verdachts, der ihr Schmerz verursachte, mußte um so größer sein, als Imagina inzwischen mit jenem Fremden, wie wir später sehen werden, in ein wunderbares Verhältniß getreten war. Noch vierzehn Tage lang verriethen ihre Mienen eine auffallende Abwesenheit der Besinnung, ein sonderbares Träumen und sogar eine Unruhe des Gewissens. Als der Fremde plötzlich verschwand und wenigstens an dem Spieltisch nicht mehr gesehen wurde, entstellte Gram ihre Züge und unablässig schrieb sie und zeichnete, und wehmuthsvoll nahm sie zuletzt selbst von Baden Abschied. In der Schweiz trafen sie so unfreundliches Wetter, daß der Besuch des berner Oberlandes aufgegeben werden mußte, und der Rhein, den sie später noch hinabfuhren, war selbst bei Sonnenschein nur noch geeignet, sie noch feierlicher und ernster zu stimmen.
August's Absicht war, den ersten Winter seiner Ehe in Berlin zuzubringen und sich dann im nächsten Jahre auf seine schlesischen Güter zu begeben, deren Bewirthschaftung sein eigentlicher Lebensberuf war. Da traf ihn in Magdeburg die Kunde vom Tode seines Vaters. Der Schlag war für ihn von lähmender Wirkung. Wol fand er sich in einen Verlust, der bei den Jahren des Verstorbenen und seiner Kränklichkeit vorauszusehen war, aber eine Menge anderer Plane schien ihm durch diese Nachricht so durchkreuzt, so vereitelt, daß er vor Mismuth und Aerger zu keinem Entschluß kommen konnte. Imagina hätte bei dieser Rathlosigkeit zum ersten Male Gelegenheit gehabt, etwas von jener unterstützenden Kraft, die die Ehe gewährt, durch Zuspruch und Theilnahme zu offenbaren; aber zu weit schon war zwischen ihnen Beiden die Kluft gerissen, zu wenig war sie durch Leiden und Gewöhnung Meisterin jener Kunst geworden, die in einer unglücklichen Ehe zufällige Begegnisse als Trümmer aufgreift und aus ihnen eine Brücke leidlichen Verständnisses baut. Richtiger gesagt, konnte eine Trennung der Stimmungen deshalb nicht erfolgen, weil sie im Grunde sich noch gar nicht geeinigt hatten. Die angenehme Anregung einer Reise ist nicht das Leben. Wie oft kommen Die, welche auf einer sogenannten Hochzeitsreise ihre Flitterwochen der Welt zur Schau tragen, in den künftig von ihnen auszufüllenden Lebenskreis ermüdet und in ihren Ansprüchen an das Leben überreizt und verwöhnt zurück! Imagina, die kaum wußte, wie sie den Aufenthalt bei ihrer würdigen Erzieherin mit der Ehe vertauschte, hatte gesucht und gesucht, mit August auf einen traulich befreundeten Ton zu kommen. Es war unmöglich gewesen. Die Reise hatte leider mehr entfremdet, als vereinigt, Beide an einander eher ermüdet, als gehoben.
August war in Verzweiflung, daß er nun zur Ordnung und zum formenreichen Antritt seiner Erbschaft, statt nach Berlin, auf seine Güter gehen mußte. Imagina, die nicht den Muth hatte, zu fragen, ob es ihm denn so fürchterlich wäre, mit ihr allein den Winter in Schloß Wartenberg zu wohnen, äußerte nur, daß sie selbst wenig Verlangen nach Berlin trüge. Aber August mußte zuviel Plane auf diesen Winteraufenthalt gebaut haben. Welches diese waren, verschwieg er; aber wichtige mußten es sein, da er den ganzen Vormittag am Schreibtische zubrachte und eine Menge Briefe selbst zur Post trug.
Es waren schon unfreundliche, regnerische Octobertage, als das junge Paar in die Trauerhallen des Schlosses Wartenberg einzog. Nirgend eine Spur geordneter Vorbereitung. Das weitläufige, aus dem siebzehnten Jahrhundert stammende Gebäude zeigte zwar nirgend eine Spur von Vernachlässigung, aber die Zimmer, die von Imagina bewohnt werden sollten, fanden sich doch zur Zeit noch ohne jene Bequemlichkeiten, die hier sichtbar zu werden erst mit kommendem Frühjahr bestimmt waren. Dennoch fand sich Imagina in ihren Zimmern, die oft noch ohne sicheres Schloß und Riegel waren, leidlich zurecht.
August war desto verstimmter. Zuviel mußte ihm mit dem berliner Project verdorben sein. Eine sehr lebhafte nach außen geführte Correspondenz machte ihn nur noch einsylbiger und düsterer. Die Geschäfte der reichen und weitläufigen Besitzungen nahmen ihn, den ohnehin zur Bequemlichkeit sich neigenden jungen Erben, nur noch drückender und lästiger in Anspruch sodaß ihm Imagina herzlich gern einen Ausflug nach Breslau gönnte, den er der Erbschaftsregulirung halber auf acht Tage unternehmen mußte.
Diese acht Tage gingen rasch vorüber. Es war am ersten Tage der neuen Woche, als sie beim Erwachen im Hofe das Rasseln eines ankommenden Wagens hörte. So bald kehrt er zurück, so pünktlich ist er! sagte sie, hastig aus dem Bett springend, und zugleich fielen ihr die für ihn angekommenen Briefe ein, die oben auf seinem Zimmer warteten und in deren Adresse sie die Federzüge der Baronin Zaluska erkannt zu haben glaubte. Ob ihn diese Briefe so rasch zurückführen, oder Mitleid mit mir! dachte sie bei sich und klingelte. Wie erstaunte sie aber, als sie erfuhr, daß der eben Angekommene nicht der Graf, sondern ihr Vater wäre. Sie stieß einen Freudenschrei aus, konnte sich kaum gedulden, die nothdürftigste Toilette vorzunehmen, und wollte in die Zimmer hinaufstürmen, in welchen der Landrath abgestiegen war. Auf der Hälfte der Treppe tritt ihr aber der Gendarme Fritze entgegen, legt militairisch die Hand an seine Dienstmütze und berichtet trocken, daß der Landrath verboten hätte, seine Tochter zu ihm zu lassen. Er würde selbst kommen.
Befremdet kehrt sie in die Wohnzimmer zurück, läßt alle möglichen Anordnungen zur Bequemlichkeit ihres theuern Gastes treffen, richtet einen Tisch zum gemeinschaftlichen Frühstück her, wartet mit pochender Ungeduld, wartet, wartet..., eine Viertelstunde vergeht, noch eine... es dauert eine ganze Stunde, bis der Landrath erscheint.
Wie der Vater eintritt, will ihm Imagina an den Hals fliegen. Er weist sie zurück.
Gerechter Gott! Was ist, Vater? Womit hab' ich diese Begrüßung verdient? rief sie.
Statt der Antwort wirft der Landrath einen geöffneten Brief auf den Tisch.
Lies! sagt er kalt.
Sie sieht den Brief an, er war von August und trug den breslauer Poststempel.
Was soll ich lesen? fragte sie zitternd. Was will mein Mann?
Scheidung! sagte der Landrath und zog dabei zwei Pistolen aus der Tasche, die er feierlich auf den Tisch legte.
Es war Imagina, als vergingen ihr die Sinne.
Lies! wiederholte der Vater dringend und bedeckte die Pistolen mit einem ostindischen Taschentuche.
Zitternd durchflog sie das Papier. Doch rannen ihr die Buchstaben wirr durcheinander. Sie verstand kein Wort von Dem, was sie las.
So will ich dir sagen, was der Brief enthält, begann der Landrath, als er ihren Zustand bemerkte. Nach einer Ehe von kaum drei Monaten will sich dieser Don Juan von dir trennen, weil er behauptet, eure Naturen paßten nicht füreinander. Wahrhaft kindisch und läppisch mußt du dich auf der Reise aufgeführt haben; wie könnt' er sonst schreiben, daß du ihm zu traurig und zerstreut bist! Er gibt sich zwar das Ansehen, deinen Charakter nicht antasten zu wollen, aber, bemerkt er, besser im ersten Augenblick eines sich einwurzelnden Misverständnisses sich trennen, als an solchem Ungemach sein ganzes Leben hindurch zu kränkeln. Was erwiderst du?
Als Imagina nicht antwortete, deckte der Landrath das Tuch von den Pistolen und sagte: Hier die Antwort an diesen Schwiegersohn. Mit deiner Mutter hab' ich ihr ganzes Leben hindurch nicht harmonirt und nie hätt' ich mir einfallen lassen, ein Geschöpf, das ich einmal wählte, deshalb durch eine Scheidung unglücklich zu machen.
Warum unglücklich! sagte Imagina stolz.
Davon verstehst du nichts, fuhr der Landrath polternd fort. Ein Makel der Art läßt sich nicht auslöschen. Deine ganze Zukunft wäre verdorben. Und wem zu Liebe? Diesem leichtsinnigen Tropf, der sich einbildet, mir eine solche Sprache führen zu dürfen.
Was sollen nur diese Mordgewehre? fragte Imagina sich sammelnd.
Ich soll dulden, antwortete der Landrath aufbrausend, daß ein junger Fant meine Tochter heirathet und nach drei Monaten von Trennung spricht, weil eure Naturen noch nicht zusammenpassen wollten? In drei Monaten soll man sich verstehen lernen? Seit drei Jahren versteh' ich mich mit meinem Oberpräsidenten nicht. In zehn Jahren kommen manche Ehen noch nicht ins Geschick und dann sind's noch die Kinder erst, die eine Brücke zum Verständniß bauen und dieser Laffe, dieser Taugenichts, dieser –
Imagina beschwor ihn, sich zu mäßigen. Aber der Landrath war gegen August so zornig, wie gegen sie. Schäme dich, sagte er, deinem Manne nicht besser gefallen zu haben! Mit deinem Gesicht, mit deinem Wuchs, deiner Erziehung, – es ist eine Schande, so wenig Eindruck auf einen Mann zu machen. Nie hab' ich mit deiner Mutter zusammengepaßt und doch mußt' ich sie lieb haben. Es ist auch unmöglich, daß das der einzige Grund seiner Abneigung ist. Er wird heute Abend hier eintreffen, ich habe ihm schriftlich sein Ehrenwort darauf abgenommen. Er soll mir die Wahrheit sagen und wehe dir, wenn ich Dinge erfahre, die nicht in Ordnung sind!
Die Vorstellung eines solchen hier abzuhaltenden Gerichts war Imagina fürchterlich. Sie beschwor den Vater, nach Bischofswalde zurückzukehren. Ich bleibe! war die Antwort. Dann bat sie, ihr selbst zu gestatten, Wartenberg zu verlassen.
Dein Recht aufgeben? tobte der Landrath. Nicht einen Schritt weichst du von dem Sitz deiner Ehre, falls du – Ansprüche darauf hast.
Imagina las jetzt erst im Zusammenhang und mit gepreßter Ruhe den Brief ihres Gatten. Er war nicht gehässig geschrieben, aber doch so tief verletzend für ihre innersten Empfindungen, daß sie den Vater fußfällig beschwor, sie ziehen zu lassen und dem unglücklichen Bunde ein Ende zu machen.
Vergebens! Der Landrath zeigte auf seine Pistolen und sagte: Eine Scheidung wird nur vollzogen, wenn sich an einem der sich trennenden Theile eine Schuld nachweisen läßt. Kannst du ihm keine vorwerfen, so soll er es dir. Auf den beiderseitigen unbegründeten Wunsch der Gatten trennt kein Gericht eine Ehe. Ich will ihn lehren, mich vor dem ganzen schlesischen Adel zu beleidigen.
Imagina kannte ihren Vater zu gut, um nicht zu ahnen, wie diese Scene endigen würde. Sie wußte, daß sich der Landrath und August versöhnen würden. Sie hatte zu oft bei ihrem Vater schon als Kind gesehen, welche Dinge folgten, wenn sich diese jähzornigen Männer »ausgesprochen« hatten. Dann rückten sie zusammen, tranken, rauchten und schlossen Freundschaft auf Kosten eines Dritten, der dann das unglückliche Opfer der entladenen Leidenschaften wurde. Sie dachte sich das fürchterlich, diesen beiden Männern gegenüber stehen zu sollen und von ihnen Vorwürfe, Rathschläge, Ermahnungen annehmen zu müssen in der heiligsten Frage des Lebens.
Es wurde Mittag. Schon hatte sich der Zorn des polternden Landraths verraucht. Er kam nicht mehr so oft auf seine Pistolen zurück, schmählte aber dafür desto unwirscher über sein anwesendes Kind, das ihm nicht entgehen konnte. Um drei Uhr Nachmittags fing er schon an, den abwesenden August in Schutz zu nehmen, und als er gar eine Stunde geschlafen hatte und es dunkel geworden war und ein Brief von August eintraf, er würde Schlag sieben Uhr wie ein Ritter von echtem Schrot und Korn sich einstellen, da fühlte sich Imagina so gedemüthigt, so schon im voraus verletzt und tief beschimpft, daß die ganze ursprüngliche Wildheit ihrer Natur in ihr aufloderte und sie dem Genius ihrer Eingebungen folgte, wie damals, als sie bei ihrem Vater in Bischofswalde wie im Naturzustande, schweifend über Berg und Thal, lebte. Sie ging auf ihr Zimmer, raffte dort Alles, was an Büchern, Mappen, Zeichnungen, geschriebenen Blättern zerstreut lag, zusammen und verschloß es, indem sie die Schlüssel zu sich steckte. Bei einem kleinen Paquet von geschriebenen bunten Luxuspapieren stockte sie. Sie schien sich fragen zu wollen, ob sie es dem Zufall anvertrauen dürfe. Da sie aber ein Portefeuille mit einem, ihr als uneröffenbar garantirten Bramahschloß hatte, so legte sie diese Papiere dort hinein, schrieb noch einige Zeilen an ihren Vater, die sie auf den zum Nachtessen bestimmten Tisch legte, hüllte sich vor der rauhen Novemberluft in einen Mantel und verließ gegen sechs Uhr im Dunkeln das Schloß, ohne daß ein Auge ihr Verschwinden ahnte.
Um sieben Uhr kam wirklich August, fast zu früh für den Landrath, der sich mit seinem Factotum Fritze in ein tiefes Gespräch über einige Paßsignalements und herumschweifende Gaunerphysiognomien eingelassen hatte. Wie man ihm sagte, der Graf wäre angekommen, überreichte man ihm auch das vorgefundene Briefchen von Imagina. Als er las: »Lieber Vater, es ist unter meiner Würde, Erörterungen anzuhören, wie die, mit welchen ich bedroht bin. Ich habe bis zu meiner Rechtfertigung das Schloß verlassen und kann mit der Versicherung scheiden, daß jeder Versuch, mich irgendwo aufzufinden, vergebens ist« – als er diese Zeilen zum zweiten Male las, wurde sein ohnehin von Ungarwein geröthetes Antlitz kirschbraun vor Zorn. Fritze empfahl sich neugierig, August aber, der eben eintrat, erhielt nun doch den ganzen Ausbruch der ersten Wuth des Landraths von heute früh, und die Pistolen fingen wieder an, eine drohende Rolle zu spielen.
Todtenblaß sagte August, der von oben kam, wo er seinerseits eben Feodorens Briefe, die auf ihn warteten, gelesen hatte und von Imagina's Verschwinden bald unterrichtet war: Es ist kein Wunder, daß Ihre Tochter sich vor unsern Erörterungen fürchtet. Seit wenig Augenblicken bin ich überzeugt –
Wovon? donnerte der Landrath.
August war so erschöpft, daß er sich auf einen Stuhl niederlassen mußte und Zeit bedurfte, sich zu sammeln.
Als ich Ihnen, begann er endlich, meinen Brief geschrieben hatte, that ich etwas, was ich einige Stunden darauf bereute. Die Unmöglichkeit, mit Ihrer Tochter mich jemals glücklich zu fühlen, ist keine erheuchelte, und doch war ich sogleich auf Ihren Bescheid, mich hier einzufinden, eingegangen, weil ich meine Uebereilung zurücknehmen wollte. Eben aber find' ich Briefe, die meiner felsenfesten Ueberzeugung, daß Imagina mich nicht liebt, einen Grund geben, der Alles aufklärt. Sie liebt einen Andern.
Der Landrath warf sein ostindisches Taschentuch auf die Pistolen und suchte einen Stuhl, um seinem Vaterherzen keine Blöße zu geben.
Wol hätt' ich wissen sollen, fuhr August fort, daß eine so prosaische Natur, wie die meinige, nicht im Stande war, einer so lebhaften Phantasie zuzusagen. Sie hat ihr Herz einem berühmten Manne geschenkt, den ich unvorsichtig genug war, mit ihr in nähere Bekanntschaft treten zu lassen.
Wartenberg! stöhnte der Landrath verzweifelnd. Dann fragte er tonlos: Wer ist dieser Mann?
August nannte den Namen des weltberühmten Virtuosen und fuhr fort: Aus den Concerten, die dieser Künstler in Breslau gab, werden Sie wissen, welche Erfolge er über die Herzen der Frauen davontrug...
Der hysterischen, pinselhaften! schrie der Landrath.
Nein, nein, sagte August, es ist ein Duft von Poesie, den dieser Mann um sich zu verbreiten wußte, dem die gesundesten Naturen erlegen sind. Er zeichnete in Baden-Baden Imagina vor allen Andern aus – sie erregte den Neid, die Eifersucht von Fürstinnen –
O, die gottverdammten Bäder! stöhnte der Landrath.
Es ist in Berlin jetzt stadtkundig, daß dieser Künstler sich des vertrautesten Verhältnisses mit der jungen Gräfin Wartenberg rühmen darf.
Beweise! donnerte der Landrath.
Wo soll ich Beweise haben? sagte August. Beweist das Gerücht nicht so gut wie Alles? Auf die Wahrheit kommt es in solchen Fällen weniger an, als auf die Vermuthung, die allein schon entehrend für mich ist.
In einer bemitleidenswerthen Hülflosigkeit faßte der arme Vater jetzt einen Entschluß. O! O! rief er – und die Stimme erstickte ihm vor Genugthuung, die er darin fand, auf einen guten Gedanken gerathen zu sein. Sie sollen sehen, sagte er, daß ich eine unwürdige Tochter nicht schütze. Ohne Briefe kann ein solches Verhältniß nicht stattgefunden haben, ohne äußere, in ihrer Umgebung sichtbare Zeichen nicht länger andauern – kommen Sie in ihr Zimmer. Untersuchen wir, was wir finden.
Herr Landrath, sagte August, Sie verwechseln diesen Vorfall mit einem Criminalverbrechen. Auch wird die verblendete Frau sicher jeden Beweis ihrer Treulosigkeit verborgen haben.
Der Landrath, der aus seinem Beruf einmal gewohnt war, anzunehmen, daß ihm und dem Gendarmen Fritze nichts verborgen bleibe, hörte nicht auf diese Einrede.
August fiel ein, daß Imagina doch auch nie den leisesten Versuch gemacht hatte, seine Correspondenz mit der Baronin Zaluska zu überwachen. Es rührte ihn, daß der Anklagebrief oben so ruhig und sicher auf seinem Schreibpulte lag. Er wollte sich den Gewaltthätigkeiten des Vaters widersetzen.
Dieser aber war schon ans Werk gegangen, hatte die bei dem vernachlässigten Zustand des Schlosses leicht zu eröffnende Thür, welche Imagina's Zimmer schloß, schon in der Hand und der Gendarme Fritze, der von Demagogen und Gebirgsaufwieglern her schon eine gewisse Geschicklichkeit in Papierbeschlagnahmen hatte, unterstützte seinen Landrath so tapfer, daß bald ein ganzer Wust der unverfänglichsten Zeichnungen, Landkarten, Musikalien vor ihnen ausgebreitet lag.
Da sich unter den letztern allerdings einige fanden, die die Handschrift des weltberühmten Virtuosen Udolpho trugen und von ihm in den schmeichelhaftesten Ausdrücken der Gräfin Imagina von Wartenberg verehrt worden waren, so stieg der Verdacht des ergrimmten Vaters. Ein Portefeuille reizte ihn. Darin, seh' ich, stecken Briefschaften, sagte Fritze unverschämt. August, zornig über sich, über die ganze Welt, packte den Vertreter der irdischen Gerechtigkeit und warf ihn zur Thür hinaus.
Herr Graf! fuhr der Landrath auf und richtete sich groß in die Höhe, Fritze ist Gendarme! Sein Rock ist Königsgut.
Und dies ist mein Gut, sagte August, indem er dem Landrath das Portefeuille entriß.
Sie haben mir also Lügen vorgebracht, Herr Graf? Fritze, meine Pistolen!
August nahm das Portefeuille und warf es zornig auf die Erde.
Ruhig öffnete der Landrath seine Brusttasche, zog ein Messer heraus und schnitt, ohne sich, arme Imagina, viel um dein »unerbrechbares« Bramahschloß zu kümmern, den ledernen hintern Deckel von oben bis unten auseinander.
Da gab es denn eine ganze Bescherung von zarten beschriebenen Papieren.
Jetzt kommen sie hinunter, Herr Schwiegersohn, sagte der Landrath. Hier oben ist's kalt und das Licht heruntergebrannt. Jetzt wollen wir lesen.
August folgte nachdenklich, Scham und Schmerz in seinen Zügen.