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Zehntes Kapitel.
Der ehrenwerte Sampson Potter von Comanche County, Texas

Gegen drei Uhr nachmittags am nämlichen Tag betrachtete sich der Polizeisergeant Thomas Brackett von Scotland Yard gleichgültig die Reihe von Telegrammen, die im West Cliff Hotel in Folkestone ihrer Empfänger harrten. Eine der Adressen schien jedoch die Aufmerksamkeit des Detectives erregt zu haben. Nachdem er sie genugsam betrachtet hatte, ging er wieder in die Trinkstube, ließ sich zur Stärkung seiner Nerven ein Glas »halb und halb« geben und murmelte vor sich hin: »Seit dreißig Jahren bei der Polizei, aber dies ist die seltsamste Geschichte, die ich je erlebt habe.«

Nach kurzem Ueberlegen pfiff Brackett seinem Hund Schnapper, einem außerordentlich kleinen, schwarzbraunen Dachs, mit feurigen Augen, behenden Gliedern, gespitzten Ohren und einer bellenden Zunge, verließ das Haus und spazierte die Klippen entlang bis zu einer Stelle, von der aus er den Rauch des Dampfbootes, das von Boulogne aus den englischen Kanal kreuzte, beobachten konnte.

Es war noch ziemlich entfernt und der Detectiv stopfte und rauchte gemächlich seine Pfeife, während sein Hündchen alle in der Nähe befindlichen Katzen und Kaninchen in Aufruhr brachte; als aber eine große Bulldogge herankam, steckte es sein Herr der Sicherheit halber in die Tasche seines Ueberziehers, was sich leicht thun ließ, da das kleine Geschöpf nur zweiundzwanzig Unzen wog, von denen die eine Hälfte jedenfalls reines Quecksilber war. Schnapper stieß ein gellendes Gebell aus, worauf der Sergeant bemerkte: »Ich weiß schon, wo's fehlt, die Handschellen sind dir zu kalt!« Er beruhigte seinen kleinen Liebling dadurch, daß er ihn in die andre Tasche steckte.

Nach einiger Zeit, in der er sich abwechslungsweise mit seiner Pfeife und seinem Hunde abgegeben hatte, zog Brackett eine Nummer der Times hervor und überflog deren Spalten mit der gleichgültigen Miene eines Mannes, der so und so viel Zeit totzuschlagen hatte. Plötzlich aber fuhr er auf und sagte zu Schnapper, der neben ihm saß und ihm die Hand leckte: »Sonderbar, immer sonderbarer! Erlassen die Advokaten wieder einen Aufruf wegen dieses Sammy Potts, als ob nicht in den letzten dreißig Jahren jeder Detectiv in England versucht hätte, ihn aufzufinden, und immer vergebens! Möchte wohl wissen, ob sie sich einbilden, die Zeitungen seien gescheiter als die Polizei?«

Damit steckte er die Zeitung wieder ein und brachte ein Buch zum Vorschein, das er sich unterwegs erworben hatte: »Die Skalpierer im fernen Westen«. Brackett hatte nämlich eine leidenschaftliche Vorliebe für das amerikanische Pflanzerleben in der Dichtung; er hatte die ganze einschlägige Litteratur gelesen und, was noch mehr heißen will, er glaubte alles, was er las. Der Sergeant hatte tatsächlich einmal daran gedacht, nach Amerika auszuwandern, und würde es auch gethan haben, wären nicht seine sonderbaren Ansichten über amerikanische Barbarei und transatlantischen Blutdurst der Ausführung dieses Planes hinderlich geworden.

Er wurde im Lesen gestört durch das furchtbare Kläffen Schnappers, der sich die Vertiefung seines Herrn zu nutze gemacht hatte und einem Wagen nachgejagt war, der eben vor dem West Cliff Hotel anhielt. Arthur Lincoln stieg aus und wurde von Lubbins, dem Oberkellner, mit jener verächtlichen Unterwürfigkeit und Ehrerbietung empfangen, wie sie nur ein englischer Dienstbote in Gegenwart seiner eignen, an Kriecherei gewöhnten Aristokratie an den Tag legen kann.

Mit tiefster Verbeugung sagte Lubbins: »Ja, Herr Arthur, Lord Lincoln befindet sich im Empfangszimmer und erwartet Sie dort!«

»Nein, Lubbins, das thut er nicht!« ließ sich eine freundliche Stimme aus der Halle vernehmen, und im nächsten Augenblick schüttelte Percy Lincoln seinem Sohn die Hand. Nach einem Augenblick gegenseitiger Betrachtung, wie sie nach einer mehrmonatlichen Trennung natürlich ist, fragte der Vater plötzlich: »Wo ist Ethel?«

»Sie kommt in Begleitung von Lady Annerley und Fräulein Potter mit dem Boulogner Boot. Ich bin gestern nacht vorausgereist, um zu sehen, ob die Villa in Ordnung ist.«

»Das Boot kommt in zwanzig Minuten an, Mylord,« bemerkte Lubbins mit einer zweiten, womöglich noch sklavischeren Verbeugung.

»Dann komm so lange mit herein, Arthur, und erzähle mir von deiner Reise,« sagte der Pair und führte, seinen Arm liebevoll um den Sohn schlingend, diesen jungen Herrn in ein kleines Gemach, das durch die Halle vom Kaffeezimmer des Gasthofes getrennt wurde.

Während sie hineingingen, hörten sie eine laute, tiefe, aber nicht rauhe Stimme, die ab und zu sogar weich klang, mit der den Südweststaaten Amerikas eignen, gedehnten Aussprache sagen: »Na, Lubbins, alter Kerl, ist der Lunch bald fertig? Ich bin so ausgehungert wie eine Rothaut in einer Indianer-Reservation.«

Diese gänzlich amerikanische Stimme und Betonung verliehen diesen Worten eine solche Eigentümlichkeit, daß der ältere Lincoln lächelte und der jüngere hell auflachte und seinem Vater zuflüsterte: »Ein sonderbarer Patron, wie es scheint!«

Lubbins rief: »Ja, Euer Gnaden!« und stürzte, nach einer entschuldigenden Verbeugung und einem: »Entschuldigen Sie, Mylord, bin in einer Minute zurück!« in das Kaffeezimmer hinein.

Arthur Lincoln lächelte hinter dem abgehenden Kellner drein: »Der weiß es!«

»Was? Oh, ja. Ich habe es vergessen! Du meinst, daß Ihrer Majestät Regierung mich als Baron Lincoln pensioniert hat. Ich fürchte, diese Beförderung bringt mir zu viel Ehre und zu wenig Arbeit.«

Dabei ließ er sich in einen Sessel sinken mit der Miene eines Mannes, der in der Theorie wohl Ehren und Pensionen verachten mag, der aber ganz genau weiß, daß sie in der Praxis recht angenehm und nützlich sind.

Während er so dasaß, fiel ein glänzender Sonnenstrahl auf sein reiches, schönes, graues Haar und beleuchtete seinen feingeformten Kopf und sein kräftiges, männliches Gesicht; als er ihn so sah, konnte der Sohn nicht umhin, zu denken, wie stolz er auf einen solchen Vater sein dürfe.

Das Gesicht vor ihm war nicht nur das eines großen Rechtsgelehrten, sondern auch das eines guten Menschen, denn der Ausdruck der Stirn, auf der Wahrheit, Gerechtigkeitssinn und Logik thronten, wurde durch einen freundlichen Zug um den Mund und freundlich blickende Augen gemildert. In seiner richterlichen Thätigkeit von etlichen dreißig Jahren hatte sich Percy Lincoln in ganz England den Ruf eines gerechten und unbestechlichen, aber auch eines milden Richters erworben.

Nachdenklich betrachtete der Sohn den Vater und überlegte, wie er sein doppeltes Geständnis am besten anbringen könne, als Lord Lincoln bemerkte: »Du hast Ethel in Paris verlassen; sie hat mir in letzter Zeit nicht geschrieben. Dies ist auffallend. Was hat sie dort gethan?«

»Einkäufe gemacht.«

»Einkäufe gemacht?«

»Oh, das thun die Mädchen gewöhnlich in Paris, Vater. Ida – das heißt Fräulein Potter –« der junge Mann blieb plötzlich verlegen stecken.

»Gut, Ida, das heißt Fräulein Potter,« lachte der Peer, seinem errötenden Sohne nachahmend, »ist ein reizendes Mädchen. Was hat sie gethan?«

»Oh, sie – sie hat auch Einkäufe gemacht.«

»Und ihre Beschützerin, Lady Annerley, hat wohl auch Einkäufe gemacht? Hat die junge Witwe die Halbtrauer abgelegt?«

»Durchaus nicht!«

»Affektation!« rief Lord Lincoln. »Kein Mensch hat je angenommen, daß sie ihren alten Mann geliebt habe.«

»Vermutlich wird sie jetzt eine Liebesheirat machen.«

»Ich verstehe, den reichen jungen Australier,« sagte Lord Lincoln, während er ans Fenster trat und nach dem Boulogner Boot ausschaute.

»Doch nicht!« erwiderte der andre ziemlich lebhaft.

»Warum nicht? Du liebst sie doch wohl nicht selbst?« fragte Lord Lincoln mit einem raschen Blick auf seinen Sohn.

»Nein,« erwiderte der junge Mann, sich rasch die günstige Gelegenheit zu nutze machend, »nein, aber der betreffende junge Mann ist mit deiner Tochter verlobt!«

Der Richter fuhr vom Fenster herum und keuchte: »Mit meiner Tochter Ethel?« und sank in einen Stuhl. Nachdem er seinen Sohn eine Weile sprachlos angesehen hatte, seufzte er wieder: »Und sie hat eingewilligt, ohne mich vorher zu fragen?«

»Selbstverständlich ist ihre Verlobung von deiner Einwilligung abhängig. Herr Errol wird morgen zu dir kommen.«

»Errol! So heißt der junge Mann, nicht wahr?« fragte der Richter.

»Ja, Charley Errol. Du mußt schon früher von ihm gehört haben.«

»So scheint es mir auch, aber nicht in Verbindung mit Lady Annerley. Wer immer eine Andeutung machte, daß die Dame in ihn verliebt sei, schien ihn zu beneiden und sprach spöttisch von ihm. ›Herr Schafhalter‹, der ›junge Gegenfüßler‹, ›Känguruh Esq.‹ und ähnliche boshafte Bezeichnungen konnte man hören.«

»Weder in moralischer noch in persönlicher Beziehung kann man irgend etwas gegen ihn sagen. Charley Errol ist der beste Kerl von der Welt. Wenn einer etwas gegen ihn sagen will, dann schicke ihn nur zu mir,« gab Arthur etwas hitzig zurück.

»Du bist also sein Kämpe und sein Abgesandter; kennst du ihn dazu auch gut genug?«

»Wir waren gleichzeitig in Oxford und standen ziemlich gut miteinander, aber während der beiden letzten Monate in Italien hat er mich so vollständig für sich eingenommen, wie – wie meine Schwester.«

»Dann glaubst du also, daß Ethel ihn liebt, sehr liebt?« Das letztere wurde von einem leichten Seufzer begleitet. Vater Lincoln war viel zu klug, um nicht vorausgesehen zu haben, daß die Liebe zu ihrem Vater eines Tages von einer stärkern Leidenschaft verdrängt werden und er seine einzige Tochter verlieren würde, allein er hatte nicht gedacht, daß dies schon so bald geschehen könnte.

Als er diese etwas bittere Pille hinunterzuwürgen suchte, ließ sich wieder die amerikanische Stimme mit dem entsetzlich gewöhnlichen Dialekt durch die angelehnte Thür vernehmen: »Lubbins, was wird zuerst hier sein, mein Lunch oder das Dampfboot? Ist dies eine Schneckenpost von Bo–lo–né diesen Nachmittag; mir verlangt so ungeduldig nach meine Doochter, als ein Cowboy nach sein Whisky.«

Lubbins einschmeichelnde Stimme beruhigte die Ungeduld mit einem: »Der Lunch ist bereit, mein Herr!«

»Hurra! Lassen Sie mir wissen, wann meine Tochter ankommt. Jetzt bin ich aber über das Essen her, wie eine brennende Prähärie!« Und das Klappern von Schüsseln, Messern und Gabeln ließ vermuten, daß die »brennende Prähärie« bald mit der Mahlzeit aufgeräumt haben würde.

Arthur Lincoln schritt mit einem etwas angewiderten Zucken seiner aristokratischen Schultern nach der Thür, schlug diese geräuschvoll zu und sorgte auf diese Weise dafür, daß kein Lärm mehr aus dem Kaffeezimmer herüberdringen konnte. Ziemlich streng sagte sein Vater zu ihm: »Wie konnte dies alles geschehen, Arthur, ohne daß du eine Silbe darüber schriebst – und Ethel auch nicht?«

Der letzte Satz enthielt einen Vorwurf gegen die abwesende junge Dame, und ihr Bruder nahm ihre Sache sofort auf.

»Komm, Vater, brause nicht auf gegen das kleine Mädchen! Es ist alles so plötzlich gekommen.«

»Plötzlich.«

»Ja. Als wir, Fräulein Potter, Ethel und ich vor etwa einem Monat in Venedig ankamen, trafen wir Errol bei Lady Annerley.«

Hier wurde er von seinem Vater unterbrochen: »Errol! Errol! Ich bin überzeugt, daß ich jemand dieses Namens gekannt habe.« Einen Augenblick schien er in tiefes Sinnen verloren, dann sagte er rasch: »Bitte, fahre fort!«

»Nun, er wohnte im gleichen Hause. Er war bei der Verteidigung Lady Annerleys tödlich verwundet worden, und diese pflegte ihn in Venedig mütterlich.«

»Mütterlich! Eine junge Witwe von fünfundzwanzig Jahren und ein junger Mann von – na, einerlei von welchem Alter!« spottete Lord Lincoln, dem die Erzählung seines Sohnes keineswegs zu gefallen schien.

»Errol ist acht- oder neunundzwanzig Jahre alt,« fuhr Arthur fort, »aber mögen nun Lady Annerleys Gefühle mütterlicher oder anderer Art sein, die Errols sind ganz sicher nicht mehr als brüderlich, denn vom ersten Augenblick an, wo er Ethel sah, war er so verliebt in sie, wie sie in ihn.«

»Dann glaubst du, daß Ethel ihn wirklich liebt?«

»Ihn liebt? Du weißt, wie stolz sie ist, glaubst du, daß sie, falls sie ihn nicht liebte, ihm gestatten würde, sie –«

»Du willst doch nicht behaupten, daß er es wagte, meine Tochter zu küssen?« stöhnte seine Herrlichkeit.

»Ich fürchte doch,« erwiderte sein Sohn nach kurzem Zögern, in der Erwägung, es sei vielleicht am besten, alles auf einmal zu gestehen.

Der alte Herr stieß aber ein so entsetztes »Gütiger Gott!« hervor, daß Arthur kaum das Lachen unterdrücken konnte. Denn Lord Lincoln konnte es kaum fassen – obwohl er sich genau bewußt war, daß jedes andern Mannes Tochter von ihrem Bräutigam geküßt wurde – daß irgend ein Liebender es wagen sollte, seinem Lieblingslamm, das er für weit reiner und unantastbarer gehalten hatte als die übrige menschliche Herde, einen derartigen bräutlichen Gruß zu bieten.

»Weißt du,« fuhr Arthur in leicht entschuldigendem Tone fort, »es war in einer Nacht in Venedig; sie hatten mich gerade in ihr Vertrauen gezogen, und es war Mondschein, italienischer Mondschein. Sie befanden sich an einem Ende der Gondel, ich an dem andern.«

»Und wer befand sich bei dir? Wahrhaftig, deine poetische Schilderung könnte die Vermutung erwecken, du seiest selbst verliebt.«

»Ida, das heißt Fräulein Potter,« flüsterte der Sohn, plötzlich errötend.

»Fräulein Potter!« wiederholte seine Herrlichkeit. »Eine Dame von den Spitzen ihrer tadellosen Finger bis zu denen ihrer aristokratischen Füße. Alles an ihr verrät die vornehmste Abstammung. Ihr Vater soll, wie man sagt, ganz ungeheuer reich sein. Ich habe das Mädchen bewundert, seit sie mit Ethel von der Erziehungsanstalt aus zum erstenmal zu uns kam. Fräulein Potter würde die beste Frau, die beste Mutter und die vollendetste Dame in England geben. Du selbst wirst einmal Lord Lincoln werden, und es schadet einem Edelmann nie, wenn er viel Vermögen hat. Ich hätte nichts dagegen, wenn du sie heiratetest, Arthur. Warum befolgst du meinen Rat nicht?«

»Ich habe ihn schon befolgt.«

»O, was? Ist dies dein Ernst?« rief der Peer und faßte seinen Sohn bei beiden Schultern.

»Gewiß,« erwiderte der junge Mann mit leidenschaftlicher Begeisterung. »Ich mache mir nichts aus ihres Vaters Geld, aber viel aus dessen Tochter. Ich liebe Ida Potter und habe sie um ihre Hand gebeten!«

»Und sie sagte –« forschte Lord Lincoln weiter, denn sein Sohn war seinem Blick plötzlich ausgewichen.

»Sie sagte: In einer Woche wird mein Vater in England sein. Sprechen Sie nichts mehr davon, bis Sie ihn gesehen haben.«

»Auf was braucht sie denn noch zu warten?« rief der Lord entrüstet. »Die meisten Amerikanerinnen würden nach einem ›Ehrenwerten‹ schnappen, denn das bist du jetzt, Arthur!«

»Vielleicht liebt sie mich nicht,« meinte sein Sohn trübselig.

»Puh,« scherzte Lord Lincoln. »Du bist ja höllisch bescheiden. Ich habe bemerkt, wie sie dich vor der Abreise nach Italien angesehen hat, und schon damals gab sie ihr Urteil zu deinen Gunsten ab. Zum Kuckuck, es ist doch auch nicht anzunehmen, daß sie fürchtet, diese Verbindung könne ihrem Vater nicht recht sein? Wenn der alte Potter auch, nach der Erscheinung seiner Tochter zu schließen, ein in der Wolle gefärbter Aristokrat sein muß, so würde er doch unerhörte gesellschaftliche Ansprüche machen, wenn wir ihm nicht gut genug wären.«

Alle weitern Lobeserhebungen über den Stammbaum der Lincolns wurden durch den Eintritt Lubbins unterbrochen, der ihnen Cigarren und Wein brachte. Nach Gewohnheit der Kellner ließ er die Thür offen und hinter ihm drein ertönte es: »Lubbins, feinen Whisky und Wasser, heiß wie die Kessel eines Mississippidampfers.«

»Eine widerwärtige Persönlichkeit dies,« bemerkte Seine Herrlichkeit ärgerlich über die Unterbrechung.

»Sehr widerwärtig,« stimmte ihm der ehrenwerte Arthur zu, der einen ziemlich aristokratischen Geschmack hatte.

»Ich will die Thür zumachen,« sagte Lubbins, als er ging, um dem erhaltenen Ruf Folge zu leisten.

»Wie heißt dein künftiger Schwiegervater mit seinem vollen Namen, Arthur?« nahm Vater Lincoln die unterbrochene Unterhaltung wieder auf.

»Der ehrenwerte Sampson Potter!« erwiderte der Sohn nicht ohne Stolz.

»Aha, einer ihrer Richter drüben,« meinte der Peer, seinen Kopf in der Richtung nach Amerika hin bewegend.

»Nein, Mitglied einer ihrer gesetzgebenden Körperschaften, glaube ich.«

»Natürlich, sobald du Herrn Potter siehst, bittest du ihn, uns zu besuchen. Ich möchte über verschiedene unserer internationalen Beziehungen mit ihm reden.«

»Ich werde deine Einladung mit großer Freude bestellen,« sagte Arthur aufstehend; »aber es wird Zeit für uns, ans Boot zu gehen, Ethel wird dich sicher erwarten, Vater!«

»Ich glaube, ihr – ihr Zukünftiger wird sich um sie zu schaffen machen; du wirst ihn mir vorstellen müssen, obgleich mir der Name Errol so bekannt ist. Wie lange lebt denn sein Vater in Australien?«

»Oh, eine ganze Reihe von Jahren.«

»Charles Errol ist dort geboren worden?«

»Ja.«

»Und er ist achtundzwanzig Jahre alt? Dann muß sein Vater an die dreißig Jahre drüben sein?«

»Gewiß, er hat sich durch Schafzüchtereien ein riesiges Vermögen gemacht. Ich hörte Lord Lansdowne erzählen, wie großartig er ihn aufgenommen habe, als er vor einigen Jahren in Melbourne war. Charley ist sein einziges Kind und wird also steinreich,« fuhr Arthur fort, der seinem Vater zeigen wollte, wie empfehlenswert sein Freund sei. Der junge Mann wollte sich noch weiter darüber verbreiten, aber Lord Lincoln unterbrach ihn mit der eigentümlichen Frage: »Ist der ältere Errol so anhänglich an Australien, daß er nie nach England zurückgekommen ist?« Dies wurde gesagt, als ob in dem Fragenden ein plötzlicher Gedanke aufgestiegen sei.

»Ich habe Charley nie davon sprechen hören, daß sein Vater England wieder besucht habe.«

Diese anscheinend so harmlose Antwort machte großen Eindruck auf den Peer. Er schwankte fast auf den Füßen und stöhnte wie gebrochen: »Guter Gott!«

Der Sohn bemerkte dies nicht, denn er schaute nach dem Dampfboot aus, das Fräulein Potter zu ihm bringen sollte. Nach einer Weile verbesserte er seine Aussage durch die Bemerkung: »Errols Vater ist jetzt in London.«

»Ah!« seufzte der Richter erleichtert auf, »er ist jetzt in England?«

»Er wird wahrscheinlich noch heute nacht in diesem Gasthof mit seinem Sohne zusammentreffen!«

»Dann ist alles gut!«

»Was meinst du?« fragte sein Sohn, dem der sonderbare Ton seiner Stimme aufgefallen war.

»Jetzt nichts mehr,« sagte der Peer. »Laß uns gehen und die Gesellschaft abholen.«

Als sie aber im Begriff waren, in den bereitstehenden Wagen zu steigen, sagte er: »Errol – Ralph Errol sagtest du, sei des Vaters Name?«

»Ja, Vater.«

Hier schien der Exrichter einen Augenblick nachzudenken, dann sagte er: »Ich glaube, ich will lieber nicht an das Boot hinuntergehen – ich bin der Anstrengung kaum gewachsen!«

»Aber Ethel wird sich sonderbar davon berührt fühlen. Sie wird fürchten, du wollest mit ihrem Liebsten nicht zusammentreffen!«

»Das will ich auch nicht, bis er seinen Vater zu Rate gezogen hat. Ich werde unsern Wagen nehmen und nach der Villa fahren; du mietest dann einen andern und bringst die jungen Damen später nach!«

Er fuhr ab und ließ seinen Sohn verwundert zurück, der sich sein Benehmen nur damit zurechtlegen konnte, daß er glaubte, der alte Mann fürchte, seine Tochter müsse in Australien leben. Als Arthur in das Büreau des Gasthofes trat, um einen Wagen zu bestellen, der die beiden jungen Damen in Lord Lincolns hübsche, eine Meile von Folkestone entfernt gelegene Villa führen sollte, wurde er aufs neue von der amerikanischen Stimme unangenehm berührt, die im Nebenzimmer fragte: »Lubbins, einen Zahnstocher und ein paar Kaffeebohnen! Rennen Sie, als ob Sie beim Mississippibootrennen wären! Meine Doochter und die feinen, jungen Herrn werden in der Minute da sein.«

Im »Rennen« nach den Kaffeebohnen kam Lubbins dicht an Arthur vorbei, der seine aristokratische Nase rümpfte und sotto voce fragte: »Wer ist denn dieser schreckliche Mensch mit seinem widerlichen Benehmen und dem furchtbaren Englisch?«

»Weiß nicht, Euer Ehren,« flüsterte der Oberkellner, »aber er ist sehr freigebig mit Trinkgeldern und hat seinen Namen in das Fremdenbuch geschrieben –, der letzte Eintrag.« Während dieser Worte hielt er Arthur mit einer tiefen Verbeugung das Buch dicht unter die Nase.

Als dieser den betreffenden Eintrag einen Augenblick durch sein Glas betrachtet hatte, wurde das Gesicht des jungen Mannes so von Angst verzerrt, daß Lubbins das Buch sinken ließ und mit schwacher Stimme lispelte: »Polizei!«

Arthur Lincoln aber stürzte wie besessen aus dem Hause und keuchte in einem förmlichen Nervenanfall, mit einer unbeschreiblichen Mischung von Stöhnen und Lachen: »Der größte Spaß des Jahrhunderts. Tod und Verzweiflung. Hahaha! Mein Gott, mein Gott! Mein zukünftiger Schwiegervater!« Denn er hatte über eine volle halbe Seite des Fremdenbuchs gekritzelt gesehen:

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