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Sechstes Kapitel.
Ein moslemitischer Pöbelhaufe

Auch Lady Annerley vernimmt das Geräusch und flüstert mit blassen Lippen Errol zu: »Sagen Sie mir, was ich thun soll, um uns zu retten!«

Denn Errol ist aufgesprungen, aber sofort erschöpft wieder zurückgesunken und stöhnt nur noch: »Mein Gott! Zu schwindelig, um kämpfen zu können!«

»Was soll ich thun, um uns zu retten?«

»Die Kerle müssen jetzt stehen,« keucht er zurück. »Nehmen Sie den Hammer. Schlagen Sie auf die Zündhütchen der obern Reihe. Rasch!«

Da sie keinen Widerstand finden, versuchen die Helfershelfer Osmans und Niccovies, die Thür aus den Angeln zu heben.

Lady Annerley eilt in das Zimmer, zögert aber einen Augenblick noch, um zu Gott zu flehen, er möge ihr das Leben dieser Männer nicht zur Schuld anrechnen, aber während sie betet, vernimmt sie zwischen allerlei morgenländische Lästerungen hinein ihren Namen und hört den Preis nennen, den der Pascha für sie bezahlen solle, und dann betet sie nicht mehr, sondern schlägt zu. Mit dem furchtbaren Krachen der explodierenden Patronen vermischen sich Flüche und Schreckensrufe, denn die schweren Patronen richten tödliche Verheerungen unter den auf der schmalen Treppe zusammengedrängten Mohammedanern an. Die mit dem Leben davon gekommen sind, weichen vor dieser neuen Kriegsmaschine zurück, die Verwundeten schleppen sich fort und nur die Toten bleiben.

Während sie einen neuen Angriff erwartete, vernahm die zarte, sanfte Frau schmerzliches Gestöhn, das ihr sagte, was sie gethan hatte, und sie bebte zusammen. In diesem Augenblick drangen zwei oder drei Pistolenkugeln durch die Thür, wurden aber durch die Kupferplatte abgelenkt, und dann schwankte Errol herein und keuchte: »Meine Kraft kehrt zurück. Jetzt kämpfe ich!« und wies sie in den Schutz der Wand zurück. Eine Minute später flüsterte er: »Die Bestien kriechen jetzt die Stufen herauf!« und sich auf Hände und Knie niederlassend, weil er zu schwach war zum Gehen, schleppte er sich nach der Thür und gab aus seiner untersten Batterie eine Salve ab, welche die Oberfläche der Treppe bestrich. Geschrei und Geheul antwortete auf diese Entladung, aber schon in der nächsten Minute wurde ein furchtbarer Stoß gegen die Thür geführt. Mit einem Balken hatten sie die Thür beinahe aus den Angeln gestoßen. Als sie ihres Erfolges gewahr wurden, zogen sie sich etwas zurück, um zu einem neuen Stoß auszuholen, sobald sie sich aber wieder näherten, feuerte Errol die zehn mittelsten Patronen mit entsetzlicher Wirkung auf sie ab. Nur wenige Schreie folgten dieser Entladung, denn die meisten Angreifenden waren durch den Kopf getroffen, weil sie sich niedergebeugt hatten, um mit mehr Wucht stoßen zu können. Lady Annerley konnte hören, wie der Balken den leblosen Händen entglitt und wie die wenigen, die noch fliehen konnten, im Blut ausglitten und über die Körper stolperten, welche die Treppe versperrten.

Sie schauderte, aber Errol sagte stolz: »So, das macht der Sache ein Ende; sie werden sich sobald nicht wieder an diese Thür wagen!« Dann hieß er sie im Schutz der Wand niedersitzen und entfernte sich mit schwerfälligem Schritt. Einen Augenblick darauf kam er mit einer Schale Wasser zurück und sagte: »Trinken Sie, die Nacht ist heiß. Sie sind totenblaß. Sie sind derartiges nicht gewöhnt!«

»Nein,« erwiderte sie düster, »ich bin es nicht gewöhnt, jemand zu töten. O mein Gott, dieses trostlose Stöhnen zerreißt mein Ohr!« Dann ergriff sie die Schale und trank gierig.

Während sie dies that, versuchte er, sie zu trösten, und sagte: »Die Gefahr ist für den Augenblick vorüber. Werden Sie nur nicht nervös.« Dann unterbrach er sie plötzlich, flüsterte: »Horch!« und lauschte angestrengt.

Auch Lady Annerley horchte auf und vernahm das schwache Klingeln der Eselsglocken unten im Hofe und nun erfuhr sie, warum diese dort angebracht waren, denn Errol rief: »Guter Gott, jetzt greifen sie den vordern Eingang an! Bewachen Sie diese Thür, während ich die Vorderseite verteidige!« Er ergriff seinen Remington und eilte, noch immer schwankend und strauchelnd, nach seinem Schießstand auf den kleinen Altan, von dem man den Hof des Hauses übersah.

Kurz nachher vernahm sie den Knall seines Remingtons und die Schüsse seiner Feinde, denen sie halb wie im Traume lauschte; alles, was sie die letzten Tage erlebt hatte, kam ihr so unwahrscheinlich vor, daß es ihr war, als müsse sie in ihrem behaglichen englischen Heim oder in ihrem großartigen Hotel in Paris erwachen. Dies vergegenwärtigte ihr das merkwürdige Verhängnis, das sie nach Aegypten geführt hatte zu diesem Mann, der so getreu für sie kämpfte, den plötzlichen Tod ihres Vaters in Italien und ihre eilfertige Reise, um Errol noch zu erreichen, ehe er Alexandria verließ und die Rückreise nach Australien antrat. Sie dachte: »Ich bin hierher gereist, um es ihm zu sagen, und jetzt wage ich es nicht mehr. Ich werde mir das Päckchen von ihm geben lassen. Ich könnte nicht leben und seinen Haß oder seine Verachtung über mich ergehen lassen – jetzt, da ich ihn liebe!«

So quälte sie sich selbst und flüsterte schließlich: »Solange mein Vater gelebt, hat er mein Leben unglücklich gemacht, jetzt, da er tot ist, vernichtet er mich.« Dann rief sie plötzlich: »Fluch seinem letzten Bekenntnis!« Und sie schluchzte und rang die Hände und vergaß über ihrem Leid das Kampfgetöse ringsumher.

Allein sie wurde diesem Zustande durch ein heroisches Mittel entrissen, denn irgend ein feiger Fellah schoß durch die Thür seinen Revolver auf sie ab und schickte, indem er dem Gehör nach zielte, eine Kugel durch ihr Kleid, was eine große Kunstfertigkeit verriet, da sie ein modernes Gewand anhatte. Vielleicht wollte er noch einmal feuern, denn die Stimme eines Kameraden sagte: »Du blinder Hund, willst du tausend Beutel Gold umbringen?«

Dies reizte sie; sie sprang nach der Thür und schlug mit hysterischer Kraft auf die Patronen, daß die beiden Männer erschrocken oder verwundet mit Geheul entflohen.

Da sie kein Geräusch auf der Treppe vernahm, zählte sie, wie viele Patronen abgefeuert worden waren. Es waren nur noch neunzehn geladene vorhanden, dies entmutigte sie, denn für einen weitern ernstlichen Angriff waren es nicht genug, doch für den Augenblick wagte sich niemand mehr an die verhängnisvolle Thür heran.

Auch auf der Vorderseite des Hauses war das Feuern eingestellt worden; sie fürchtete, Errol könne verwundet sein, und eilte, ihm Hilfe zu bringen; auf dem Weg zu ihm faßte sie einen Entschluß, der mehr Einfluß auf ihrer beider Leben ausüben sollte, als sie ahnte.

Als sich Errol, von einem leichten, etwa zwei Fuß hohen Steingeländer gedeckt, auf seinen Schießstand niederlegte, vertrieb die frische Luft die letzten Wirkungen des Opiums, sein Kopf wurde klarer, seine Nerven fester und seine Muskeln stärker. Er begann das Vertrauen auf seine Fertigkeit im Schießen wieder zu gewinnen, denn er war mit seiner Waffe vertraut und hatte diese schon öfter gegen lebende Geschöpfe gebraucht, was mehr wert ist, als alle Uebungen auf dem Schießstand.

Er spähte in die Nacht hinaus, allein er sah und hörte nichts und neigte schon zu dem Glauben, die Angreifer hätten sich zurückgezogen, als ihm durch das Ertönen des zweiten Glockenriemens, der auf der Treppe keine zehn Fuß von ihm entfernt angebracht war, eine entsetzliche Ueberraschung bereitet wurde. Seine Feinde, die an den Glöckchen im Durchgang vorübergeschlichen waren, während er den hintern Eingang mit der Mitrailleuse verteidigte, hatten diese Zeit benutzt, um ganz leise heranzukriechen, und standen nun vor der Schwelle des großen Zimmers.

Als dieser Gedanke durch den Kopf des Australiers zuckte, fuhr auch schon sein Remington in die Höhe und in dreißig Sekunden gab er vier Schüsse auf die Angreifer auf der Treppe ab, die bei dem unvorhergesehenen Geräusch plötzlich stehen geblieben waren.

Ein Mann fiel und zwei andre schwankten stöhnend hinweg, während die übrigen leise und verstohlen über den Hof schlichen, um den Durchgang nach der Straße hin zu erreichen.

Hier kamen sie wieder zu Schaden, denn Errol, der ja nach dem Gehör schießen mußte, ohne zu sehen, hielt seine Büchse im Anschlag und sandte, sobald er die Glöckchen vernahm, drei weitere Kugeln durch die Nacht, was mit einem Todesschrei und neuem Stöhnen beantwortet wurde. Da sie auf dem Herweg beim Ertönen der Glöckchen keiner Gefahr ausgesetzt waren, hatten Niccovie und seine Genossen kein Arg dabei gehabt und versäumt, sie wegzunehmen.

Von einer geschützten Ecke des Durchgangs aus erwiderten einer oder zwei Errols Feuer, die übrigen, die noch gehen konnten, suchten, ohne Aufenthalt die Straße zu erreichen.

Eine Minute lang war alles still ringsum, dann ließ sich plötzlich eine Stimme vernehmen: »Giaur, du kennst mich! Ich bin Niccovie, der Levantiner, dessen Atem lieblich duftet nach Wahrheit.«

»Piff paff! A–a–au!«

Das letztere wurde mit einem Schmerzgeheul ausgestoßen, denn der Grieche hatte in der Aufregung seinen Kopf aus der gedeckten Stellung hervorgestreckt, und Errol, welcher der Stimme nach zielte, schoß dem Levantiner drei Zähne aus dem Kiefer.

Der Australier brach in ein schallendes Gelächter aus, denn das Schreien und die Rufe Niccovies wirkten unwillkürlich komisch, so mitleiderregend sie auch waren. Aber gerade in diesem Augenblick wurde dem jungen Mann selbst eine Ueberraschung bereitet, denn der Körper eines riesigen Nubiers, der gerade vor ihm auf der Treppe lag und den er zu den Toten gerechnet hatte, erhob sich plötzlich und feuerte eine Pistole auf ihn ab. Die Entfernung betrug kaum zehn Fuß, und Errol durfte sich glücklich schätzen, mit einer Fleischwunde am linken Arm davon zu kommen.

Der Nubier stürzte in der Dunkelheit in den Hof und der Australier richtete seine Büchse auf den Durchgang, durch den der Mann kommen mußte, und wartete auf das Klingeln der Glöckchen. Sobald er dies vernahm, schoß er und der Nubier stürzte, eine Kugel zwischen den Augen, tot zu Boden. Ehe Errol noch einmal feuern konnte, hörte er, daß der Glockenriemen weggerissen und zu Boden geworfen wurde; die Angreifer hatten die Vermehrung ihrer Gefahr durch diese Töne endlich erkannt.

Dann kam eine Pause, die der Australier dazu benutzte, sein Taschentuch um seinen verwundeten Arm zu binden; er fühlte mit Freuden, daß der leichte Blutverlust die letzte Einwirkung des Opiums vollends beseitigt hatte. Er lud sein Gewehr aufs neue und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Während er so da lag, öffnete Lady Annerley die Thür des Hauptzimmers und flüsterte: »Sind Sie unverletzt?«

Ja!«

»Gott sei Dank!«

»Entfernen Sie sich aus dieser Gefahr! Rasch!« befahl er, aber schon lag sie hinter dem Geländer und beobachtete mit ihm.

Nach ein paar Minuten tiefer Stille sagte Lady Annerley leise: »Von der Rückseite sind alle fort. Vielleicht sind sie auch von hier entflohen.«

»Wenn ich einen Feuerball hätte, könnte ich dies schon feststellen.«

»Einen Feuerball – was ist das?«

Nachdem er es ihr beschrieben hatte, kroch sie ins Haus zurück und brachte ihm bald darauf ihr mit Oel aus der Lampe getränktes Taschentuch. Er zündete es an und schleuderte es in den Hof hinab, wo es auf den Steinfließen verbrannte und ihm zeigte, daß alle bis auf die Toten den Platz verlassen hatten.

»Sie sind fort!« rief sie freudig.

»Ja, um Verstärkung zu holen. Wenn sie wiederkommen, wird's schlimmer!« entgegnete er finster. Er hatte recht mit seiner Vermutung, denn Niccovie und Osman, die erst in der Meinung, die Beute sei ihnen ganz sicher, nur wenige mitgebracht hatten, um nicht viele bezahlen zu müssen, holten sich jetzt genug Hilfe, um ihrem zweiten Angriff den Erfolg zu sichern.

Nach einem Augenblick der Ueberlegung fuhr Errol fort: »Ich habe zu viel zu thun, um hier liegen und auf sie warten zu können. Ich will es wagen!« Darauf kroch er im Schutze der Nacht vorsichtig die Treppe hinunter, und gleich darauf vernahm Lady Annerley das Geklingel der Glöckchen, die er wieder an ihre alte Stelle brachte; als er wieder an ihre Seite zurückgekommen war, atmete sie erleichtert auf, denn sie wußte, daß er sich in große Gefahr begeben hatte.

»Nicht ein einziger der Lumpen ist mehr drunten,« sagte er. Er hielt es für überflüssig, von den drei Leichen zu sprechen, über die er in dem Durchgang gestolpert war. »Nun aber ins Haus! Schnell! Ich habe eine Unmasse zu thun, ehe die Bestien zurückkommen.«

»Zuerst müssen Sie etwas essen! Sie haben seit dem Frühstück nichts genommen.«

Aber er schüttelte den Kopf. »Um meinetwillen!« bat sie.

»Gut, wenn Sie mir helfen, so will ich essen und arbeiten zu gleicher Zeit!«

Und er machte sich an die Arbeit, die er sich vorgesetzt hatte, während sie für ihn sorgte und alles herbeischleppte, was sie nur Gutes finden konnte, dann blies sie das Feuer im Kohlenbecken an und machte ihm Kaffee.

Errol zog zu allererst die Martin aus ihrem Versteck hervor, gab ihr den Bohrer in die Hand und hieß sie in die Thür, die vom Hauptgelaß auf die Treppe führte, Löcher bohren. Diese Thür war genau so dick wie die andre, die an dem geheimen Ausgang als Mitrailleuse den Angreifern so verhängnisvoll geworden war.

»Die Heiden könnten mich erschießen!« stöhnte das Mädchen aufgeregt.

»Wenn Sie nicht schaffen, so werfe ich Sie auf die Straße! Bohren Sie die Löcher etwas abwärts!«

Schluchzend nahm Martin die Arbeit in Angriff und bald war die Thür von Löchern übersäet.

Währenddessen war Errol mit vollem Mund, eine Taffe Kaffee neben sich, in dem Zimmer, durch das Osman entflohen war, damit beschäftigt, die abgeschossenen Patronen der Mitrailleuse durch neue zu ersetzen.

Nachdem er dies gethan, ging er in das große Zimmer zurück, wo er fand, daß die Martin etwa vierzig Löcher in die Thür gebohrt hatte; auch diese füllte er mit Remingtonpatronen, die er mit einem Drahtgewebe, das er von einem Fenster riß und auf die Rückseite der Thüre nagelte, an Ort und Stelle festhielt. Dann sagte er zu Lady Annerley: »Wenn sie in großer Menge kommen und für mich zu viel werden, oder wenn ich kampfunfähig geworden bin, dann schließen Sie diese Thür und geben ihnen eine volle Salve unmittelbar ins Gesicht. Mehr als zehn Fuß von der Thür entfernt nützt es nichts.« Die Martin hatte die Löcher in ihrer hysterischen Angst so gebohrt, daß sie auf und ab und nach allen Windrichtungen hin gingen.

Nun sah er auf seine Uhr und sagte: »Wahrhaftig schon drei Uhr morgens. Wir werden sie bald auf dem Halse haben.« Und eine Sekunde darauf wandte er sich an Lady Annerley und sagte: »Geben Sie mir die Messer und die Pistolen, die Sie dem Griechen und dem Armenier abgenommen haben.«

Schweigend brachte sie ihm zwei Dolche und einen Revolver.

»Es war noch eine Pistole da!«

»Sie ist für mich – zuletzt –, wenn das Schlimmste geschieht.«

»Sie – Sie haben die Absicht, sich –«

»Mich zu töten? Gewiß!« flüsterte das Weib mit bleichen Lippen und glühenden Augen. »Der arabische Junge hat mir alles erzählt. Sie sagen, sie könnten mich um tausend Beutel verkaufen.« Dann schritt sie auf die Martin zu und sagte mit krampfhaftem Lachen: »Du bringst nur hundert ein – du bist wohlfeil!« Dann aber rief sie: »Nimm eine Pistole und töte auch du dich im Notfall, wenn du ein Weib bist!«

Das Mädchen antwortete nur dadurch, daß es sich in der Dunkelheit des nächsten Zimmers verbarg und noch lauter schluchzte.

Errol sagte nichts, denn er sah, daß Lady Annerley entschlossen war und daß es in ihrer Natur lag, verzweifelte Dinge zu thun, wenn sie durch Hoffnungslosigkeit und Elend zur Verzweiflung getrieben wurde. Einen Augenblick später ergriff er ihre Hand und flüsterte: »Sie sind eine mutige Frau, aber bleiben Sie kühl; vergessen Sie nicht: fünf Schlüsse für sie – und den sechsten nur im schlimmsten, im allerschlimmsten Fall!«

Seine Hand haltend, zitterte die ihre, ihr Herz pochte lauter und sie erinnerte sich ihres Vorsatzes. »Charley – ich bitte um Vergebung, Herr Errol –« sie wandte ihr Gesicht ab, denn es war das erste Mal, daß sie ihn bei seinem Vornamen genannt hatte.

»Das ist recht. Wir sind gute Kameraden gewesen, nicht wahr? Nennen Sie mich Charley!«

»Gut, Charley, ich habe Ihnen ein Briefpaket gegeben.«

»Ja, das irgend eine Mitteilung enthalten soll!«

»Wenn ich sterbe und Sie am Leben bleiben, so schicken Sie es Ihrem Vater uneröffnet.«

»Ja!«

»Wenn wir beide mit dem Leben davon kommen, geben Sie es mir zurück.«

»Aber Sie sagten doch –«

»Wenn Sie ein Mann sind, geben Sie es mir zurück, um meines Glückes willen! Haben Sie Mitleid mit mir! Geben Sie es mir uneröffnet und ungelesen zurück!« So bat sie mit Seufzen und Thränen, die seine Verwunderung erregten.

»Gewiß,« antwortete er, »wenn Sie es verlangen. Das Paket gehört Ihnen, aber Sie sagten –«

»Ich bin eine Frau und bin andern Sinnes geworden,« sagte sie mit halbem Lächeln. Dann wurde sie wieder ernst und sagte: »Vergessen Sie es nicht! Wenn wir beide am Leben bleiben, geben Sie es mir zurück, das versprechen Sie mir bei Ihrer Ehre.«

»Gewiß, ich verspreche es Ihnen. Es ist in meinem Rock im andern Zimmer,« denn er hatte, weil die Nacht sehr heiß war, in Hemdärmeln gearbeitet und gekämpft. Nach einer kleinen Pause fuhr er fort: »Nun aber auch ein Versprechen von Ihnen! Im Fall ich sterbe, und Sie gerettet werden, so schicken Sie meinem lieben alten Vater eine Zeile, in der Sie ihm sagen, daß ich noch im letzten Augenblick seiner gedacht habe.«

»Fürchten Sie nichts,« gab sie zurück. »Ich werde Sie nicht vergessen, Sie, der für mich kämpfend fiel, für mich, die er –« Da bemerkte sie plötzlich Errols verwundeten Arm und Sarah Annerley brach zusammen, ließ ihr Haupt auf sein Knie sinken und rief: »Für mich!« und küßte seine Hand und nannte ihn ihren Beschützer, ihren Retter, obgleich er sie hassen müßte, und zeigte sich so aufgeregt, daß er fürchtete, die Anstrengung sei zu groß für sie gewesen.

Als sie so in dem düstern, schwach erhellten Zimmer saßen und das Getöse des Aufruhrs und der Mordbrennerei von der Straße herauftönte, da lernten die beiden die Schrecken des Wartens kennen, des Wartens auf den Angriff. Sie waren entsetzlich müde und wagten nicht, zu schlafen; sie wagten kaum zu atmen, denn sie mußten lauschen, angestrengt lauschen auf einen warnenden Ton, da der Hof viel zu dunkel war, als daß man etwas hätte sehen können – es blieb ihnen nichts zu thun, als zu warten.

Plötzlich flüsterte Lady Annerley: »Pst!« und er sagte: »Sie kommen!« Denn an dem äußern Eingang ließen die kleinen Glöckchen ihr warnendes Bimmeln ertönen.

Errol kroch auf den Altan, aber er vermochte nichts zu sehen und schoß aufs Geratewohl dem Gehör nach. Auf das Krachen seiner Flinte antwortete das Hereinstürzen von gut einem Hundert Menschen, und er schrie laut nach einem Feuerball, um sehen zu können, wohin er am besten zielte.

Da sie keine Zeit hatte, einen Feuerball zu verfertigen, warf Lady Annerley verzweifelnd die brennende Lampe in die Mitte des Hofes und diese fiel einem Araber auf den Kopf, übergoß dessen baumwollene Gewänder mit Petroleum und setzte ihn in Flammen. Während der arme Teufel heulend und schreiend im Hofe herumrannte, beleuchtete er eine Unmasse von Beduinen, Kopten, Moslemiten, Türken und Sudanesen – seltsam bewaffnet – den Abschaum der moslemitischen Straßen.

Bei dem Licht dieses lebendigen Feuerballes übersah Errol die phantastische Menge, die mit lautem Geplapper und Geschrei eine feste, dichte Kolonne bildete, um die Treppe zu gewinnen und ohne sich auch nur im mindesten um das entsetzliche Geschick ihres Genossen zu kümmern. Dieser verbrannte mit gellendem, durchdringendem Geschrei und unter verzweifelten Sätzen lebendig, während er im Hofe herumtanzte.

Dies alles ist das Werk eines Augenblickes, schon im nächsten richtet der Australier seinen Hinterlader auf den Kopf des Anführers der Kolonne, und obgleich jeder Schuß ein Leben auslöscht, hält sie dies nicht auf, sondern treibt sie nur schneller vorwärts; und nun ist das Magazin seiner Büchse leer, und er eilt an das oberste Ende der Treppe, er feuert seinen Revolver den Anführern der Menge ins Gesicht, flieht von einer ganzen Salve verfolgt ins Zimmer, sperrt die Thür zu, wobei ihm Lady Sarah hilft. Im nächsten Augenblick stürmt der lebende Sturmbock gegen die Thür, und er ruft: »Schießen Sie los, ehe sie die Thüre eindrücken!«

Schon steht sie, den Hammer in der Hand, an der Thür und entladet die Patronen, die jede Annäherung an die Thür tödlich machen, und er hilft ihr mit Osmans Dolch.

Die Kugeln strecken die vordersten nieder, aber andre werden durch den Druck von hinten nachgeschoben und gegen die Verderben speiende Thür gedrängt, und so geht es weiter, bis schließlich die Anstrengungen, dem Tode zu entrinnen, stärker werden als der Druck von hinten und der Mob von einem panischen Schrecken erfaßt wird und enteilt.

Als Errol dies hört, versucht er, die Thür zu öffnen, um ihnen noch ein paar Schüsse nachzusenden; es gelingt ihm nur mit Mühe, denn es liegen zu viel Tote und Verwundete davor; als er sich durch die schmale Oeffnung durchdrängen will, stolpert er über den Körper eines Türken, der ihm ein Messer ins Bein stößt, »Für Allah« stöhnt und stirbt.

Von dem Altan aus schießt der durch diesen Stich unbarmherzig gewordene junge Mann noch zwei oder drei Verwundete nieder, die er beim ersten Morgenlicht erblickt. Dann schwankt er hinein, denn er hört von der Rückseite des Hauses Gewehrfeuer. Osman und Niccovie haben ihre Helfershelfer hinten herum geführt und suchen, die Thür zu erbrechen.

Als er in das große Zimmer kommt, fühlt Errol, daß er seine Wunde verbinden muß, wenn er nicht von Kräften kommen will. Er macht sich daran, denn er weiß, daß die Thür mit den fünfzig Schüssen darin nicht so rasch genommen werden kann. Nun erst merkt er, daß er zwei Verwundungen davongetragen hat: die eine Stichwunde in der Wade und einen Streifschuß in der Seite, was er vorher in der Erregung des Kampfes gar nicht beachtet hat.

Während er sich verbindet, wird das Schießen eingestellt, und Lady Annerley kommt zu ihm heran, ihr schönes Antlitz von Pulver geschwärzt, aber strahlend vor Erregung; sie ruft stolz: »Ich habe sie in die Flucht gejagt, ich, ganz allein,« dann aber setzt sie trauriger hinzu: »Allein ich habe auch alle Patronen in der Thüre abgefeuert.«

»Wenn sie wieder kommen, habe ich keine mehr übrig,« sagt Errol düster, als er seine Munition untersucht hat, »die übrigen brauche ich alle für meine Flinte.«

Im nächsten Augenblick ertönt ein gellender Schrei der Martin, die auf dem Dach Zuflucht gesucht hat, um möglichst weit von dem letzten Kampf entfernt zu sein. Während Errol zu ihr hinaufeilen will, kommt sie schon die Stufen heruntergesprungen und jammert: »Es sind Männer droben, Männer!« Vorsichtig steckt er den Kopf durch die Dachluke und sieht, daß die Kammerjungfer die Sachlage nur sehr wenig übertrieben hat.

Thatsächlich ist noch niemand auf dem Dach, aber auf dem des Nebenhauses befindet sich eine Anzahl Leute. Es ist nur wenig höher als das von Abdallahs Wohnung, und der Zwischenraum beträgt nur fünfzehn Fuß. All dies kann er leicht unterscheiden, denn es wird schnell Tag.

Als Errol seinen Remington anlegt, nimmt eben ein schlanker Sudanese einen Anlauf, herüberzuspringen. Allein der Australier war gewohnt, auf Känguruhs zu jagen, und der Mann stirbt in der Luft. Bei diesem unerwarteten Angriff ziehen sich die Feinde für einen Augenblick zurück und geben dem jungen Manne Zeit, sich umzusehen. Instinktmäßig wenden sich seine Blicke dem Wasser zu, von dem allein die Hilfe kommen kann, und er stößt einen Freudenschrei aus, denn in dem Morgenlicht sieht er bewaffnete Boote von den Kriegsschiffen kommen und an der Marina landen.

»Was gibt's?« fragt Lady Annerley, die unter ihm auf der Treppe steht und ihm Patronen für seine Büchse hinaufreicht.

»Englische Matrosen,« ruft er, »wir sind gerettet!« Aber schon in der nächsten Minute seufzt er: »Ich fürchte, sie kommen zu spät!«

Denn er sieht, daß die durch das Schießen herbeigelockte Volksmenge immer mehr anwächst und die Feinde sich anschicken, en masse auf das Dach zu springen, während von verschiedenen benachbarten Dächern aus ein Gewehrfeuer gegen ihn eröffnet wird, um ihm das Schießen unmöglich zu machen; er erkennt auch das Knallen der Martini-Henry-Büchsen und weiß, daß er nun ägyptische Soldaten gegen sich hat, die von Arabis Armee desertiert sind.

Gleichzeitig ruft Lady Annerley von unten: »Sie brechen die Hinterthür ein!« und er hört die Schläge, die gegen die Thür geführt werden, und fühlt, daß seine Stunde gekommen ist, aber nur einen Augenblick lang.

Im nächsten schon kommt jener unnachgiebige, unbezwingliche Geist über ihn, dem die angelsächsische Rasse soviel glorreiche Siege zu verdanken hat, und er ruft: »Folgen Sie mir! Ich schlage uns durch zu den englischen Booten!«

Wenn ihn das Weib bis dahin nur geliebt hat, jetzt, nach diesen tapferen Worten, vergöttert sie ihn. Eilig gibt er auf die Angreifer noch ein paar Schüsse ab, um sie etwas aufzuhalten, dann eilt er die Treppe hinab und findet Lady Annerley mit der Martin, die eben aus dem innern Zimmer von ihr herausgeschleppt worden war, seiner warten. Die Schläge gegen die Hinterthür verkünden ihnen, daß die Vorderthür der einzige mögliche Ausgang für sie ist. Sie klettern über die Leichen vor der Zimmerthür weg und schleichen die Treppe hinab und in den Hof. Errol flüstert Lady Annerley, die ihm dicht auf dem Fuße folgt, ins Ohr: »Halten Sie Ihren Revolver bereit und kommen Sie rasch!« Unbemerkt und ohne Widerstand zu begegnen, gelangen sie durch den Durchgang auf die Straße. Der Gedanke an eine Flucht ihrer Beute war weder Osman noch Niccovie gekommen, so daß sie keine Wache vor den Haupteingang gestellt hatten, und gerade die Kühnheit des Versuches führte zum Gelingen.


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