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Drittes Kapitel.
Der erste Kanonenschuß

Vom Café Sphinx aus schlug die englische Gesellschaft den Weg durch die engsten Gäßchen des arabischen Stadtteils ein, denn Osman hielt es für sicherer, die Hauptstraßen zu vermeiden, die immer voller wurden, je mehr sie sich dem Hafen näherten. Der Dragoman führte sie in nordwestlicher Richtung, und nachdem sie die größeren Straßen »La Douane« und »Marina« umgangen hatten, erreichten sie in kurzer Zeit das Haus Abdallahs, des Mauren, das gerade da, wo das arabische und das türkische Viertel aneinanderstoßen, in einer etwas breiteren Straße liegt. In der Dunkelheit konnte Errol nur das Aeußere des Hauses sehen, das von mäßiger Größe war und einen völlig morgenländischen Eindruck machte.

Osman schloß auf und öffnete die äußere Thüre, die, wie der Australier bemerkte, keineswegs stark genug war, um einem ernstlichen Angriff zu widerstehen, denn Holz und Schloß schienen alt und die Angeln verrostet zu sein. Dann zündete der Armenier eine Kerze an, – sie hatten sich bei Niccovie einen Vorrat davon verschafft – und bei deren unstätem Flackern suchten sie ihren Weg durch den schmalen, überwölbten Eingang, in dem Errol stehen blieb und sagte: »Von diesem Augenblick an bin ich der Befehlshaber der Garnison und verlange militärischen Gehorsam. Schließen Sie diese Thür, Osman!«

Dies that der Armenier, aber hätte die Kerze heller gebrannt, so würde man gesehen haben, daß er blaß geworden war.

»Nun geben Sie mir den Schlüssel!«

»Wär's nicht besser, ich ließe ihn stecken?«

»Nein, in meiner Tasche ist er besser verwahrt!«

»Aber wir könnten plötzlich fliehen müssen!«

»Geben Sie mir diesen Schlüssel! Rasch!« und in Errols Stimme lag eine Drohung, die den Dragoman veranlaßte, eiligst zu gehorchen, denn sein Herr war, seit sie den »Europäischen Hof« verlassen hatten, mit einzelnen Leistungen des Herrn Backschisch Osman nicht ganz zufrieden gewesen.

»So, jetzt gehen Sie mit dem Licht voraus!« Osman gehorchte, und sie wandten sich alle rechts und traten mit wenigen Schritten aus dem Eingang in einen schmalen Hof, der nach Art der meisten türkischen Behausungen einen Brunnen in der Mitte und eine Pagode oder kleines Gartenhaus in einer Ecke hatte.

Hier hieß Errol Lady Annerley und ihre Jungfer auf ihren Eseln sitzen bleiben und warten, bis er mit Osman sich überzeugt hätte, ob das Haus wirklich leer sei. Eiligst untersuchten sie das Erdgeschoß, und da sie hier niemand fanden, ließ Errol sich von Osman die altmodische Treppe hinan, vor die Thür des oberen Stockwerkes führen, die, nur mit einem alten ägyptischen Holzschloß verwahrt, von Osman leicht geöffnet wurde. Dann verschwanden die beiden Männer und die Frauen warteten angstvoll auf sie und lauschten auf jeden Ton, der von oben herunterdrang und einen Zusammenstoß mit etwa noch vorhandenen Hausbewohnern verraten hätte.

Nach wenigen Minuten kehrte Errol zurück und sagte: »Ich habe die ganze Wohnung durchsucht, es ist kein lebendes Wesen im Hause, als eine Katze, und diese hat sich gefreut, uns zu sehen.«

Er half den Frauen, von den Eseln steigen, die er friedlich im Hofe grasen ließ, wo ab und zu ein Büschel Gras zwischen den Fliesen hervorwucherte.

Die Martin wollte schon in die unteren Gemächer eintreten, doch Errol sagte: »Bitte hinaufzugehen. Im Falle eines Angriffs kann ich das Treppenhaus verteidigen, außerdem sind die oberen Gemächer hübscher, und Osman, der ein brauchbarer Bursche ist, macht sie Ihnen so behaglich als möglich.«

Von Errol unterstützt, stieg Lady Annerley, die nun, nachdem die erste Aufregung vorüber war, schwach und elend wurde, die Treppe hinauf und trat in die orientalischen Gemächer. Mit einem etwas erzwungenen Lächeln wandte sie sich nach ihm um und sagte: »Dies ist das erste Mal, daß ich in einen ägyptischen Harem eingekerkert werde.«

Bei diesen Worten trat Osman, der unterdessen dem Raum ein freundliches Aussehen verliehen, in einem Kohlenbecken Feuer angemacht und genügend Kerzen angezündet hatte, vor, verbeugte sich demütig und bemerkte: »Der Harem des Rechtgläubigen ist der richtige Ort für die Schönheit!«

Vielleicht sah sie einen gewissen tückischen Ausdruck in seinem Blick, den dieser kleine Teufel ums Leben nicht hätte unterdrücken können, oder lag in seinem Lächeln eine versteckte Unverschämtheit – genug, Lady Annerley, die gewöhnlich gegen Niedererstehende freundlich zu sein pflegte, richtete sich hochmütig auf und erwiderte: »Ich bin nicht gewöhnt, von Dienstboten Komplimente anzuhören,« während Errol ihn anschrie: »Halten Sie Ihren Mund, Osman, und besorgen Sie Kaffee und etwas zum Essen!«

Dies that der Morgenländer mit einer geradezu wunderbaren Schnelligkeit, indem er die mitgebrachten Eßwaren herbeibrachte und sich gewisser Vorräte von Leckerbissen, die er in dem Hause zurückgelassen fand, mit einer unbedenklichen Energie bemächtigte, die Abdallah, der Maure, höchlich mißbilligte, als er einige Wochen später in sein Haus zurückkehrte. So konnte Herr Osman Ali schon nach wenigen Minuten, während welcher Errol die Gemächer so eingeteilt hatte, daß Lady Annerley mit ihrer Jungfer für sich sein konnte, soweit es mit ihrer Sicherheit irgend verträglich war, mit einem tiefen Salam melden: »Sahib, Allah hat uns mit Ueberfluß gesegnet.« Dann ließen alle vier ohne Umstände den guten Sachen, die der Dragoman herbeigeschafft hatte, Gerechtigkeit widerfahren, wobei Lady Annerley auf einem Diwan saß und von ihrer Kammerjungfer und Herrn Errol bedient wurde, während der Armenier in einer Ecke kauerte und hinlänglich für sich selbst sorgte.

Gegen Ende des Mahles sagte Lady Annerley plötzlich lächelnd: »Herr Errol, ich habe nichts gegen eine Cigarre.«

»Ah – ah, warum glaubten Sie, ich wolle rauchen?«

Darauf antwortete die Dame mit leisem Lachen und warf einen schelmischen Blick auf einen Gegenstand, den der junge Mann gewohnheitsmäßig aus der Tasche gezogen hatte; als er ebenfalls dahin sah, fand Charles Errol, daß es seine Cigarrentasche war.

»Bei Sankt Georg!« rief er aus. »Verzeihen Sie der Macht der Gewohnheit!«

»Ich will der Macht der Gewohnheit verzeihen, wenn Sie ihr zu ihrem vollen Recht verhelfen.«

»Was heißt das?«

»Erquicken Sie sich sofort an Ihrer Havanna!«

Während Errol seine Rauchwölkchen hinausblies, dachte er halb träumerisch – er wurde nachgerade sehr schläfrig – sie nehme sich inmitten des maurischen Zimmers mit seinen Diwans, seinen Teppichen, mit den Mosaikwänden, den vergitterten Fenstern und Osman, der in türkischer Manier im Hintergrunde kauerte, aus, wie ein schönes orientalisches Gemälde.

Im nächsten Augenblick erfaßten seine Blicke aber etwas, das ihn sofort wieder wach machte; er ergriff seine Cigarrentasche, untersuchte sie hastig und sagte in sehr düsterem Tone: »Es sind nur noch drei übrig!«

»Drei was?« fragte Lady Annerley rasch, denn sein Ernst hatte sie erschreckt.

»Drei Cigarren, und die Belagerung kann eine ganze Woche dauern. Ich bin in einer ganz verteufelten Lage!« stöhnte Errol zornig.

»Aber Sie können morgen eine Menge bekommen, das heißt, schon heute,« tröstete ihn seine Gefährtin, ihre Uhr zu Rate ziehend.

»Unmöglich, selbst wenn ein Laden offen wäre, könnte ich mich nicht der Gefahr aussetzen, bis zu diesem Hause verfolgt zu werden, in dem Sie weilen!«

»Ich – ich fürchte, Sie wollen mir damit einen Vorwurf machen – Sie fühlen sich durch mich belästigt,« äußerte Lady Annerley und wandte sich mit leisem Seufzen ab.

»Sehe ich aus, als ob ich aus solchem Stoff wäre?« antwortete Errol und drehte sich wieder um. »Ganz gewiß nicht, aber ich bin mir meiner Verantwortlichkeit viel zu sehr bewußt, als daß ich Sie um der Befriedigung eines egoistischen Bedürfnisses willen, und wäre es selbst eine Cigarre, einer Gefahr aussetzen möchte. Glauben Sie mir und – vertrauen Sie mir?«

»Von ganzem Herzen. Gott segne Sie!« Als sie diese Worte sprach, fühlte sich diese Frau, die alle Welt für hochmütig hielt, von einer unklaren Empfindung ergriffen und sie versuchte, des jungen Mannes Hand zu ergreifen und in einer merkwürdigen, fast reuevollen und demütigen Weise zu küssen, die ihn in Verwunderung setzte.

»Bah!« sagte er und suchte den Dienst, den er ihr leistete, gering anzuschlagen, obgleich er vor Verlegenheit oder vielleicht auch vor Vergnügen errötete; denn Lady Annerley schien noch schöner zu sein, wenn sie weich und zärtlich, als wenn sie kalt war. »Ich sollte Ihnen danken. Sehen Sie nur, was Ihr Geld uns alles verschafft hat: Behaglichkeit und, wie ich hoffe, auch Sicherheit.« Er blickte sich in dem Raum um. »Aber nun wollen wir uns für die Nacht einrichten,« fuhr er fort, »seit achtundzwanzig Stunden, seit ich Kairo verlassen habe, bin ich kaum einen Augenblick eingenickt.«

Errol bekräftigte diese Bemerkung noch durch ein entsetzliches Gähnen, denn die Schläfrigkeit trug bei ihm den Sieg über die Höflichkeit davon. Er traf die nötigen Anordnungen, um die Gesellschaft für die Nacht unterzubringen.

Das Stockwerk bestand aus vier Hauptzimmern. Lady Annerley sollte mit ihrer Jungfer die beiden Gemächer zur Linken des Raumes, in dem sie sich jetzt befanden, in Besitz nehmen, er selbst aber wollte oberhalb der vom Hof heraufführenden Treppe schlafen, die in dieses Zimmer mündete, und Osman Ali wurde das andre, kleinere Gelaß zur Rechten zugeteilt, womit der Armenier sehr zufrieden war, obgleich er es nicht merken ließ, denn in Verbindung mit diesem stand eine kleinere Hintertreppe, die an den meisten türkischen Häusern zum Gebrauch des Hausherrn angebracht ist. Dieser Ausgang war mit einigen schweren Teppichen verhängt, aber der Dragoman, der mit der gewöhnlichen Einrichtung der morgenländischen Wohnungen vertraut war, hatte ihn trotzdem entdeckt und dachte, er könne ihm von Nutzen werden.

Herr Osman kam einer etwaigen Aenderung der getroffenen Bestimmungen dadurch zuvor, daß er sich sofort mit einem orientalischen Salam in sein Zimmer begab. Lady Annerley zog sich mit ihrer Zofe auf die Diwans und Teppiche ihres Zimmers zurück, doch nicht, ohne daß ihr Errol, ehe sie ihn verließ, aufs entschiedenste eingeschärft hatte, ihn gewiß zu wecken, falls ihre Ruhe in der Nacht durch irgend etwas gestört werden würde. Die Lichter waren ausgelöscht, mit Ausnahme einer Lampe, die das große Zimmer, in dem sich Errol befand, schwach beleuchtete. Das maurische Haus lag in Nacht und Schweigen gehüllt.

Alle schliefen, nur nicht die vornehme englische Dame, auf deren Gemüt etwas lastete, so daß sie sich ruhelos, seufzend und stöhnend auf ihrem üppigen Diwan hin und her warf und neidisch den regelmäßigen Atemzügen der Martin lauschte, die den Schlaf der Gerechten und Trägen schlief. Die Spannung des Gehirns schärfte alle ihre Sinne, und so kam es, daß Lady Annerley nach einer oder zwei Stunden erregten Nachdenkens plötzlich ein Geräusch vernahm, von dem sie fest überzeugt war, daß es aus einem der beiden Zimmer zu ihrer Rechten komme. Sie sagte der Martin, die sie nicht erschrecken wollte, nichts und ging leise in das große, von Errol bewohnte Gemach. Hier war alles ruhig, aber nachdem sie einen Augenblick gelauscht hatte, meinte sie, in dem Zimmer des Armeniers eine Thür schließen zu hören. Sie trat an den Eingang dieses Zimmers, allein nachdem sie eine Weile gehorcht hatte, ohne etwas zu hören, glaubte sie, es sei alles nur ein Spiel ihrer erregten Einbildungskraft gewesen, und war im Begriff, in ihr Zimmer zurückzukehren, als ihr Errols Befehl wieder in den Sinn kam und sie sich umwandte, um ihm zu sagen, was sie gehört hatte. In dem schwachen Licht der türkischen Ampel sah sie ihn kampfbereit, die Flinte unter dem Kopf, den Revolver in der rechten Hand, quer vor der Thürschwelle liegen.

Sein Atem ging mit der Regelmäßigkeit äußerster Ermüdung, und sie zauderte, ihn zu wecken, weil sie glaubte, das Geräusch, das sie vernommen hatte, sei nur ein Produkt ihrer Einbildungskraft. Sie wollte warten und ihn erst wecken, falls sie noch etwas vernahm; sie setzte sich zu seinen Häupten und betrachtete ihn und dachte, welch prächtigen Anblick der junge Bursche mit seinen sechs Fuß männlicher Schönheit gewährte, allein plötzlich fuhr sie auf, denn er sprach im Schlaf von seinem Heim und seinen Freunden im fernen Australien und flüsterte seinem teuren alten Vater liebevolle Worte zu.

Dies trieb Thränen in Sarah Annerleys Augen; sie stöhnte leise vor sich hin: »Sein Vater für meinen Vater – jetzt vielleicht sein Leben, um das meine zu retten. Wie soll ich es ihm jetzt noch sagen, wo ich ihn so lieb habe wie einen Freund?« So in Gedanken versunken, bemerkte sie kaum, daß die Zeit entwich, daß sich das Morgenlicht durch die kleinen maurischen Fenster stahl, daß die Vögel im Hofe zwitscherten und sangen, daß die müden ägyptischen Esel wieherten, als ob sie nach einem Frühstück verlangten, und daß alles ringsum schön und freundlich und sonnig wurde, bis plötzlich ein Etwas die Stille unterbrach mit einem entsetzlichen, schreckenerregenden Krachen und einer Erschütterung, die das Haus in allen Fugen erzittern ließ wie bei einem Erdbeben und die jedes Geräusch des erwachenden Lebens in der glücklichen Natur übertönte. Mit einem wilden Schrei stürzt die Martin in das Zimmer. Vom Dach herab, auf das der Armenier gestiegen ist, um nach Mekka und der aufgehenden Sonne blickend sein Gebet zu sprechen, ertönt verzweifeltes Angstgeschrei, und Errol springt auf und ruft: »Bei Gott! Der erste Kanonenschuß der Beschießung von Alexandria.«

Osmans Geschrei lockt Errol auf das Dach; er eilt hinauf, sieht sich einen Augenblick um und ruft dann: »Lady Annerley, kommen Sie herauf, rasch!«

»Es ist doch keine große Gefahr dabei?«

»Keine größere als drunten auch,« und er hilft ihr, die Leiter ersteigen, die zum Dach hinaufführt, und als sie das Schauspiel übersieht, das sich vor ihren Blicken darbietet, schreit er ihr in die Ohren, denn der Donner der Geschütze ist jetzt schon betäubend: »Ist dies nicht ein Anblick, der wert ist, daß man sein Leben aufs Spiel setzt, um ihn zu haben?«

»Ja,« erwidert die englische Dame, die nie vorher etwas von Krieg gesehen hat, »ja, schön und erhaben!«

Und in diesem Augenblick erschien es Sarah Annerley wirklich nur schön und erhaben: das Entsetzen folgte nach.

Rechts von ihr zieht sich in beinahe gerader Linie das Kap Ras-el-Tin in die See hinaus; ganz im Vordergrunde des Kaps befindet sich das Arsenal, doch weiterhin ist es von Batterieen eingefaßt, die an dem großen Fort Pharos und dem Leuchtturm auf der Landspitze Eunostos endigen. Hinter diesen ragen die Mauern, Minarets und schiefen Dächer des Palastes des Khedive empor und dessen Harem genanntes Gefängnis für weibliche Lieblichkeit, die er zur Befriedigung seiner Leidenschaften aus allen vier Weltgegenden zusammentreiben läßt. Die umliegenden Gärten voll tropischer Bäume, Blumen und Früchte und die morgenländische Architektur verleihen dem Ganzen jene anmutige orientalische Schönheit, die völlig in Einklang steht mit den romantischen Namen der Orte, an denen sie errichtet worden sind, und die in der bilderreichen Sprache des Ostens »Heimat des Granatapfels« und »Kap der Feigen« genannt werden. Beinahe ihr zu Füßen ziehen sich die Quais und Landeplätze der Stadt, die »Marina« genannt, in anmutiger Wellenlinie weit nach links hinaus, setzen sich plötzlich in beinahe gerader Linie fort und wenden sich dann der See zu, wo sie sich in eine Reihe von Forts und Batterieen verwandeln, nachdem sie an dem langen Damm oder Molo vorüber sind, der den inneren und äußeren Hafen voneinander trennt. Ihr zunächst liegt das Fort Gabari, dann kommt Silese, über diesen draußen Massa-el-Kanat und die Forts und Batterieen Meks, und noch weiter nach dem Meer hin reihen sich Adjemi und die Maraboutbefestigungen an, die den Kanal gleichen Namens, den breitesten, tiefsten und sichersten Eingang der Reede von Alexandria beherrschen, und über dies ganze Bild zerstreut Windmühlen, Windmühlen allüberall.

Gerade vor ihr, zwischen diesen beiden Befestigungslinien, liegen der innere und äußere Hafen der Stadt. Der innere Hafen, der mit Ausnahme einiger Küstenfahrer, Mahmudijeh-, Kanal- und Nilboote, deren dreieckige Segel der Scene einen malerischen, romantischen Anstrich verleihen, aller Schiffe beraubt ist, liegt still, ruhig und friedlich da wie ein italienischer See; der äußere dagegen wird von hin und her fliegenden Bomben und Kugeln in Sturm gepeitscht und ist von den Panzerschiffen Englands bedeckt; die Schiffe haben das Deck zum Gefecht klar gemacht, ihre schweren Masten und Rahen machen einen noch massiveren Eindruck, weil sie von allem leichteren Takelwerk und den Spieren befreit sind; ihre Mastkörbe sind voll Soldaten, Maschinen und schnell feuernden Geschützen, während ihre großen Panzertürme oder schwarzen Breitseiten von dem Rauch und Feuer ihrer riesigen Kanonen eingehüllt werden – dies alles zusammen gibt das Bild eines großartigen, entsetzlichen, vernichtenden Krieges.

Die Stadt, das Ufer, die Batterieen, der Palast und Harem des Khedive sind malerisch, morgenländisch und altertümlich und lassen ihre Banner mit dem Halbmond Allahs flattern; die Kriegsschiffe sind häßlich, abendländisch und modern und kämpfen unter der Unionsflagge Englands mit dem Kreuze Christi. Beide aber rüsten sich unter ihren Bannern zu barbarischen, grausamen Thaten.

Vier dieser schwimmenden Zerstörungsinstrumente beschießen die Meksschen Batterieen, und obgleich sie nicht alle sichtbar sind, kann Errol doch aus ihrer Lage schließen, daß die gleiche Anzahl an den Batterieen Ras-el-Tin und dem Fort Pharos am Werk sind. Das Fort Ada, dessen Geschützdonner sich nördlich von ihnen vernehmen läßt, ist gänzlich außerhalb ihrer Sehweite.

Weit draußen in der Bucht, den Maraboutbatterieen gegenüber, bemerkt man mehrere kleine Kanonenboote, die sich zu einem Angriff auf jene vorbereiten, und etwa in der Mitte zwischen den Forts Meks und Pharos liegt ein breites, schwarzes, englisches Panzerschiff, das trotz seiner ungeheuren Größe nur wenig Tiefgang hat und auf dessen Deck sich zwei große Panzertürme staffelförmig erheben. Das Schiff liegt nicht vor Anker und ist im Begriff, im Vorwärtsgehen zu kämpfen. All dies liegt ganz deutlich vor Lady Annerley und Errol, der mit echt englischer, bulldoggartiger Zähigkeit die ganze Nacht einen großen Feldstecher von jener Sorte, die den englischen Reisenden in der ganzen Welt kenntlich macht, mit sich herumgeschleppt hatte und jetzt auf das Schauspiel vor ihm richtet, das noch nicht durch Rauch verdunkelt, sondern von der aufgehenden ägyptischen Sonne verschönt und beleuchtet wird, von einer Sonne, die an jenem Tage so heiß und glühend herniederstrahlte, wie im fernsten Süden, wo sie den Reisenden in der Wüste das Lebensmark in den Knochen versengt.

Ein wenig weiter draußen in der See als das große Panzerschiff liegt ein etwas kleineres, das nicht weniger gefährdet scheint, obgleich es nicht in der Aktion begriffen ist. Dies entlockt Errol einen Ausruf des Erstaunens: »Hoho! Das ist Yankeesche Neugierde! Bruder Jonathan trotzt dem Tod, um zu sehen, was hier vorgeht!« Denn das Schiff, das er durch sein Glas betrachtet, hat die amerikanische Flagge gehißt und befindet sich an diesem Ort, um Leben zu retten, nicht zu vernichten, obgleich die Aufregung seiner Offiziere es bis in die Schußweite der ägyptischen Batterieen gebracht hat, die nun rasch und regelmäßig wie ein Echo das Feuer der englischen Geschütze erwidern.

Einen Augenblick später ruft Lady Annerley, die zufällig einen Blick auf das große englische Schiff mit den schwarzen Panzertürmen geworfen hat: »Was thut denn das große Schiff, es – –«

Allein ihre Worte verschwimmen fast wie ihre Sinne, denn es ertönt ein zermalmendes Getöse, das den Donner aller andern Geschütze überdröhnt, ein kurzes heulendes Gebrüll, wie man es manchmal bei tropischen Orkanen vernimmt, gellt über die Stadt, deren Häuser erzittern, wie bei einem Erdbeben, während sich von der ägyptischen Batterie eine Wolke von Staub, Sand und Mauerwerk erhebt, als ob ein riesiger Vulkan seinen Krater unter den mohammedanischen Werken geöffnet hätte.

Nach einer kleinen Weile lispelt Lady Annerley mit blassen Lippen, während alle andern Geschütze wie in stillem Schrecken für den Augenblick verstummen: »Was war dies für ein entsetzliches Getöse?«

Und Errol, der unterdessen der Sprache wieder mächtig geworden ist, antwortet: »Das war der erste Achtzigpfünder, der im Krieg abgeschossen wurde. Bei Sankt Georg! Das Schiff dort muß der ›Inflexible‹ sein!«

Dieser Achtzigpfünder ist zu viel des Entsetzens für Herrn Osman Ali, der sich bisher bemüht hat, die Beschießung mit einem überlegenen ägyptischen Lächeln zu betrachten, obgleich er vor Angst mit den Zähnen klapperte. Nun aber springt er die Treppe hinab und verbirgt sich im Keller. Die Martin, die unterdessen im zweiten Stock in einer Art Schlafsucht befangen gelegen hatte, aus der sie nur ab und zu erwachte, um aufzuschreien oder ein Gebet zu stammeln, stößt nun plötzlich einen solch kläglichen, verzweiflungsvollen Schrei aus, daß Lady Annerley glaubt, es gehe ihr ans Leben, und hinuntereilt, um ihr beizustehen.

Errol befindet sich nun allein auf dem Dach und richtet, da der Rauch noch nicht allzu dick ist, sein Glas nach den Maraboutbatterieen, wo er etwas sieht, das ihn so fesselt, daß er Lady Annerley gar nicht bemerkt, die wieder neben ihm steht, bis sie ihm durch den Kanonendonner, der nun seinen Höhepunkt erreicht hat, zuschreit: »Was fesselt Sie denn so sehr?«

»Ich beobachte eben das kühnste Unternehmen, das je in einem Kriege gewagt worden ist.«

»Was ist es? Zeigen Sie es mir.«

»Sehen Sie,« rief Errol und gibt ihr das Glas. »Dem Burschen, der dieses Schiff befehligt, kann das Viktoriakreuz nicht entgehen, wenn er lebend davon kommt.«

Und die englische Dame sieht ein kleines Kanonenboot, das ohne Beistand, ganz allein in Schußweite der mächtigen Batterieen und starken Forts des Maraboutkanals, dampft.

»Es wird zerschmettert werden,« schreit Lady Annerley, die schon genug gesehen hat, um zu wissen, daß die ägyptischen Geschütze heute gut bedient werden.

»Ja, wenn sie es beim ersten Feuer treffen, wo nicht, kann es ihnen zu schaffen machen. Der Kommandant hat ebensoviel Verstand als Mut,« sagt Errol und erklärt seiner Zuhörerin, daß ein Kanonenboot von geringem Tiefgang so nahe an die Forts gelangen kann, daß diese außer stande sind, ihre Geschütze niedrig genug zu richten, um es zu treffen. Einen Augenblick darauf erdröhnt eine entsetzliche Artilleriesalve von den ägyptischen Batterieen, und Lady Annerley, die unverwandt durch den Pulverdampf blickt, schreit mit einer vor Schrecken heisern Stimme: »Sie haben es in den Grund gebohrt! Gott verzeihe ihnen!«

Allein schon in der nächsten Sekunde ruft Errol, der ihr das Glas aus der Hand gerissen hat: »Bei Gott! Das Schiff ist heil und unversehrt! Ich sehe seine Masten dicht neben den Mündungen der moslemitischen Geschütze. Heizt ihnen tüchtig ein! Schickt sie zum Teufel!« Dabei tanzte er hin und her und rief den englischen Matrosen zu, als ob sie ihn trotz all dem Lärm und Getöse meilenweit hören könnten, denn der junge Mann war vom Schlachtenwahnsinn befallen worden und gebrauchte Wörter und Ausdrücke, die sich den Tadel der Dame an seiner Seite zugezogen hätten, falls diese nicht selbst ebenso erregt gewesen wäre wie er.

Ob nun die Matrosen in dem fernen Kanonenboot Errols Zuruf vernommen haben oder nicht, jedenfalls gehen sie vor, als ob dies der Fall gewesen wäre, und von jedem ihrer Mastkörbe aus fliegt ein solcher Kugelschauer auf die moslemitischen Batterieen, die mit ihren großen Kanonen das Fahrzeug unter ihnen nicht erfolgreich bestreichen können, daß die arabischen Artilleristen aus ihren Festungswerken zurückweichen.

Bei diesem Anblick schreit der Australier Hurra, bis er heiser wird, und die beiden Angelsachsen schwelgen in dem Triumph ihrer Landsleute. »Dem tapfern Mann werde ich die Hand schütteln, wenn alles vorüber ist!« ruft Errol. Dann zögert er und flüstert vor sich hin: »Vielleicht!« Denn er fühlt, daß der englische Kapitän unter dem Feuer der ägyptischen Geschütze mehr Aussicht hat, mit dem Leben davon zu kommen, als er, der in diese Stadt eingeschlossen und von mohammedanischen Fanatikern umringt ist.

»Ich weiß, was Sie so ernst macht,« ruft Lady Annerley, neben ihn tretend. »Ist es nicht schrecklich? Sie haben, wie auch ich, Verwundete gesehen. Hier sind sie!« Und sie deutete auf einen Strom von Menschen, die, teils hinkend, teils in Sänften getragen, mit blutigen Uniformen und verbundenen Gliedern in die Ras-el-Tin-Straße einbiegen, die von den Forts zu Pharos und Ada herführt. Nun dieser Strom einmal seinen Lauf begonnen hat, nimmt er kein Ende mehr, sondern wächst den ganzen Tag und wird immer breiter und breiter, bis er schließlich eine fortlaufende Kolonne bildet, aus deren Reihen das Stöhnen, Aechzen und Schreien der gequälten Menschheit ertönt.

Sie ziehen sich wieder in den Hintergrund des Daches zurück, wo sie durch ein niedriges Geländer vor unberufenen Blicken geschützt sind, und verfolgen die Beschießung, die von Minute zu Minute schrecklicher wird.

Zwischen den beiden Geschwadern liegt das niedrige, große Panzerschiff, das seinen Bug von einer Seite zur andern wendet und mit schreckenerregender Unparteilichkeit seine vernichtenden Geschosse von seinem Steuerbordturm in die Meksschen Batterieen und von seinem Backbordturm in das Fort Pharos und die Befestigungen des Leuchtturms entsendet.

Die Lage des maurischen Hauses setzt Lady Annerley in den Stand, hinter die auf dieser Seite gelegenen Batterieen des Kaps Ras-el-Tin zu blicken; sie sieht gerade hin, als eine dieser schrecklichen Bomben in das der Vernichtung geweihte Leuchtturmfort fliegt, da sinkt ihr das Glas aus der Hand, sie stößt einen Schrei aus, wankt und wäre gefallen, wenn Errol sie nicht unterstützt hätte, während sie stöhnt: »Alle! Alle! Es ist zu entsetzlich!«

»Was meinen Sie?« fragte der junge Mann.

»Ich meine,« sagte sie, sich zusammennehmend, »daß diese Bombe, nachdem sie durch das Mauerwerk gedrungen, in die Mündung einer der großen Kanonen gefahren ist und diese auf die Männer zurückgeschleudert hat, die sie bedienten; jetzt liegen sie alle zerschmettert unter ihr. Es waren fünfundzwanzig. Ich habe sie vorher gezählt, und nicht einer ging weg nach diesem Schuß, nicht einer! O, dies entsetzliche Schiff feuert wieder! Bringen Sie mich fort. Ich hasse, ich verabscheue die Flagge, die es führt!« Und das weichherzige Weib vergaß über der Liebe zur Menschheit die Liebe zu ihrer Nation und zürnte dem Schiff, dessen Geschütze so vielen den Tod brachten.

Als Errol die durch die riesigen Bomben verursachte Zerstörung betrachtete, sagt er: »Dies kann nicht lange dauern!« Doch darin täuscht er sich.

Arabi hat mit orientalischer Schlauheit bei diesen Geschützen Artillerieregimenter aus Oberägypten aufgestellt, die aus wilden schwarzen Nubiern und unerschrockenen Arabern aus dem Sudan gebildet sind, aus Barbaren, die ihr Leben für nichts achten, vielleicht gerade weil sie so wenig besitzen, was es wertvoll macht. Außerdem lehrt sie auch ihre Religion, daß sie, falls sie hier im Kampf gegen die Ungläubigen fallen, von den ägyptischen Batterieen weg sich mit einem Schritt in Allahs Paradies und in den Armen der Houris Mohammeds befinden.

Und so entwickelt sich das Schauspiel weiter und erreicht seinen großartigen und entsetzlichen Höhepunkt; es zeigen sich jetzt große Risse in dem Leuchtturmfort und den umliegenden Batterieen. Der Palast des Khedive beginnt zu brennen und über die Batterieen und die Stadt lagert sich eine dichte Wolke aus Pulverdampf, so daß es ist, als befinde man sich in einem undurchdringlichen Nebel, durch den niemand sehen, sondern nur hören kann; denn das unaufhörliche Krachen und Donnern der Kanonen dauert fort, der Strom der Verwundeten vom Fort Pharos her wird immer dichter und dichter und wildes Geschrei und schmerzlicheres Stöhnen erfüllt die Luft.

Und je mehr der Nebel niedersinkt, je mehr er die Stadt verhüllt, desto unsicherer zielen die englischen Geschütze, und ab und zu fliegt eine Bombe pfeifend und ächzend über die Köpfe der beiden Beobachter und platzt in den dichtgedrängten Straßen der Stadt und erfüllt deren Bevölkerung mit wilder Wut oder mit wahnwitziger Angst. Allein nichts scheint die arabischen Schützen von ihrem Posten vertreiben zu können, und mit zum Schweigen gebrachten Kanonen, mit zertrümmerten Festungswerken, Tod und Vernichtung ringsum, kämpfen diese Barbaren weiter und sterben für Allah und ihren Glauben.

Dies alles zu hören, ohne zu sehen, vermehrt noch die Schrecken des Tages. Während Errol, durch den Nebel tastend, den Weg nach der kleinen Treppe sucht und Lady Annerley fast hinunterträgt in die Gemächer des zweiten Stockes, stöhnt sie: »Bitte, zünden Sie die Lampen an. In dieser Dunkelheit muß ich alles immer wieder sehen. O, über die Grausamkeit dieses Schiffes!«

Die ungeheure Verheerung, die der Stolz der britischen Marine angerichtet hat und der die Welt, die sie nicht gesehen, Beifall klatscht, erfüllt das Weib, welches das fürchterliche Blutbad gesehen hat, mit Schauder und tödlichem Entsetzen.


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