Balduin Groller
Die Tochter des Regiments und andere Novellen
Balduin Groller

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vor der Ruhe.

So nachdenklich, schöne Frau?«

»Mein Gott!«

»Das war ein Seufzer, und außerdem konstatiere ich einen ganz ungewohnten dankbaren Augenaufschlag.«

»Sie haben recht gesehen und recht gehört. Sie sind ein scharfer Beobachter.«

»Und ein scharfer Denker, ich weiß. Das ist meine Hauptstärke. Darf ich mich zu Ihnen setzen?«

»Wenn Sie so gut sein wollen –«

»Wenn ich – Heute sind Sie wieder einmal großartig!«

»Warum denn, Herr Doktor?«

»Nur Geduld: darauf werden wir schon noch zu sprechen kommen. Denn jetzt gehe ich Ihnen nicht so bald von der Falte. Man kriegt mich nicht so leicht los.«

218 »Das ist schön.«

»Schon gut. Wie gefällt Ihnen der Ball?«

»So – lala!«

»So lala? Ganz meine Ansicht, ich finde ihn genau so.«

»Ein Eliteball wie jeder andere.«

»Er ist aber doch sehr elegant.«

»Mein Gott, wenn er nicht einmal das wäre!«

»Aha! Ich dachte mirs. Es klappt etwas nicht. Reden wir also vom Geschäft.«

»Nur das nicht, um Gotteswillen! Sie haben heute sicher wieder irgend einem Unglücklichen einen Fuß abgeschnitten oder den Bauch aufgeschlitzt, und wenn Sie mir davon erzählen, falle ich Ihnen sofort in Ohnmacht.«

»Das wäre gar nicht so übel. Sie bringen mich da eigentlich auf eine glänzende Idee. Es ist nicht nur des Honorars wegen, auf das zu verzichten ich nicht gesonnen wäre, obschon ich auch, da ich Sie bekanntlich liebe . . .«

»So?! Und gleich bekanntlich?«

219 »Ja wohl; – Sie also unter Umständen auch zu retten bereit wäre, ohne Berechnung der Spesen, aber wir befinden uns hier auf dem Balle der Presse. Jetzt denken Sie sich den großartigen Effekt, wenn morgen in allen Zeitungen zu lesen steht: Das herrliche Fest erfuhr leider eine Trübung durch die plötzliche Erkrankung der schönen Frau Frohsdorf.«

»Das wäre allerdings sehr hübsch, ich gebe es zu.«

»Ah, es ist nicht das allein! Die Hauptsache kommt ja erst: Zum größten Glück war der berühmte Pathologe Dr. Heinrich Kunze sofort zur Stelle, dessen außerordentlicher, auf beiden Hemisphären anerkannter Geschicklichkeit es gelang – u. s. w. Das wäre doch wirklich niedlich?«

»Ich bestehe nicht darauf.«

»Ah?«

»Ja, so bin ich.«

»Ich meinte aber, als ich vorschlug, vom Geschäft zu reden, nicht das meinige, sondern das Ihrige.«

»Ich habe kein Geschäft.«

»Doch. Sie haben das Geschäft, eine reizende Frau zu sein, und dieses Geschäft besorgen Sie mit einer 220 Umsicht und einer Pünktlichkeit, die Ihrer Firma alle Ehre macht. Was mich betrifft, ich bin einfach entzückt. Was? Schon wieder dieser Augenaufschlag?! Die Sache ist verdächtig; ich glaube, ich mache Eindruck.«

»Es ist so.«

»Ich glaube wirklich, daß Sie im Begriffe sind, sich in mich zu verlieben. Meiner unmaßgeblichen Meinung nach wäre das das Vernünftigste, was Sie thun könnten, ich möchte mir aber erlauben, Sie ganz ergebenst darauf aufmerksam zu machen, daß diese wahrhaft edle Regung doch vielleicht nicht ganz nach dem Geschmacke Ihres geehrten Gemahls sein dürfte.«

»Wie alt sind Sie denn eigentlich, Herr Doktor?«

»Oho? Kommen Sie mir so?! Sie glauben, weil mein herrlicher, blonder Vollbart schon durch einige Silbersträhne nur noch einen Reiz mehr erhalten hat, weil mein – ich schwöre – vormals majestätisches Haupthaar trotz meiner unfehlbaren Rezepte – aber lassen wir das. Ich bin allerdings ein Mann in den besten Jahren, aber trotzdem noch kein Greis, der auf dem Dache sitzt und sich nicht zu helfen weiß, aber bei dieser Gelegenheit – ich schlage zurück – darf ich wohl 221 darauf hinweisen, daß eine Frau, deren Tochter – sehen Sie, sie tanzt gerade vorbei, ein Gedicht, das – verneigen Sie sich! – meine Begeisterung für die Dichterin nur noch erhöht! – daß also eine Frau, deren Tochter schon im Ballsaale Triumphe feiert, nicht so erbarmungslos kritisch nach dem Alter ihrer Verehrer forschen sollte.«

»Aber, lieber Herr Doktor! Ich werde verkannt. Sie muten mir eine Unbescheidenheit zu, und niemals war meine Stimmung mehr auf die Bescheidenheit eingerichtet, als heute.«

»Hört! Jetzt sind wir ja da, wo ich Sie haben wollte. Also heraus mit der Sprache, jetzt wird gebeichtet. Sie waren nachdenklich, als ich mich zu Ihnen gesellte.«

»Man hat seine Gründe.«

»Ich kenne sie nicht, ich respektiere sie aber. Man hat auch geseufzt!«

»Nicht ohne Grund.«

»Die Sache wird kritisch. Es ist Ihnen etwas über die, wie ich bestimmt versichern kann, nicht im mindesten granulierte Leber gelaufen. Was ist los? Das muß ich wissen.«

222 »Sie müssen?«

»Natürlich. Der Arzt muß alles wissen.«

»Dem Arzte habe ich keine Mitteilung zu machen, aber dem Freunde darf ich klagen, daß ich heute zur Disposition gestellt worden bin, mehr noch, daß ich heute den blauen Bogen erhalten habe und in Pension geschickt worden bin.«

»Man schickt Generale nicht in Pension, so lange sie noch Schlachten gewinnen.«

»Ich gewinne keine Schlachten mehr.«

»Nicht? Versuchen Sie's doch. Sie werden sofort sehen, was ich für eine glänzende Niederlage erleben werde.«

»Ja – Sie!«

»Ich wohl, ich! Schließlich bin ich doch auch wer!«

»Sie sind gut!«

»Ach, du meine Güte! Also darum nachdenklich und daher der Seufzer! Jetzt wird mir auch verständlich, warum man zu mir sagte: ›Wenn Sie so gut sein wollen!‹ während man doch sonst kommandierte, und ich gewohnt war, befohlen zu werden. Wenn Sie so gut sein wollen! So antwortet das Backfischchen 223 dem Studenten beim Nachhausebegleiten auf die Frage, ob er sie küssen dürfe.«

»Ich war nie weiter vom Backfischtum entfernt, als heute.«

»Das ist eine Behauptung, die sich logisch erweisen läßt. Ich acceptiere sie. Wird man nun endlich erfahren dürfen, was es für Unglück giebt?«

»Ich bin alt geworden, Herr Doktor!«

»Lüge!«

»Kommen Sie mir nicht mit dem schönen Troste, dem französischen Ideal, der Frau von dreißig Jahren –«

»Fällt mir nicht ein!«

»Dreißig wäre ja noch gut –«

»Verehrte Frau – ich gehe auf die Fünfzig los. Nicht, daß Sie der Nachsicht bedürften, aber ich habe gelernt, im Punkte des Alters nachsichtig zu sein.«

»Das lernen wir schließlich alle, nicht alle haben es aber gelernt.«

»Hat man Ihnen das erste graue Haar gezeigt? Verzeihen Sie, es wäre ja möglich. Die Möglichkeit der ersten Falte leugne ich entschieden.«

»Etwas Ähnliches war es. Kennen Sie die alte 224 Baronin Burg? Sie hegt eine begeisterte Schwärmerei für Abbazia.«

»Warum?«

»Dort war es, daß ihr, nach eigenem Geständnis, der letzte Unverschämte begegnete.«

»Das ist gut.«

»Meine Lage ist eine andere, mir begegnete der erste Unverschämte.«

»Bei der Wahrheit bleiben! Sie haben schon längere Zeit die Ehre, mich zu kennen.«

»Ah, es giebt Unverschämtheiten, die im Stillen wohl thun, mir hat man wehe gethan. Heuer zum ersten Male ging beim Eingange der Komitéherr mit den Damenspenden an mir vorbei und bedachte nur meine Tochter. Im vorigen Jahre ward ich noch trotz meiner Tochter beachtet, heuer galt ich nur noch als Begleiterin. Fertig, abgewirtschaftet! Herr, es will Abend werden. Begreifen Sie nun, daß ich ein Recht hatte, nachdenklich zu sein; ich trauerte um meine entschwundene Jugend; ich bin nicht mehr – Damenspendenfähig!«

»Es war eine Brutalität!«

225 »Nicht so hitzig, lieber Freund! Dem Alter ziemt Milde. Zeigen Sie einmal Ihre Tanzordnung. Was steht hier zu lesen?«

»Vor der Ruhe.«

»Sie lesen ganz hübsch. Also – wir stehen vor der Ruhe. Daran hat man mich heute erinnert.«

»Das ist aber die Ruhe vor dem Sturme. Denn ich werde jetzt zu dem Menschen hingehen und ihm einen Mordskandal machen, an den er denken soll.«

»Das werden Sie nicht, lieber Freund! Man muß so viel Weisheit haben, um den Übergang ins neue Fach womöglich ohne Aufsehen zu bewerkstelligen. Von heute ab bin ich offiziell eine alte Frau.«

»Eine alte Frau – s'ist zu dumm! Übrigens wie Sie wollen! Wenn Sie aber den Versuch anstellen wollten, ob Sie mich doch noch verführen können – ich meine ja nur so – dann würden Sie –«

»Da geht gerade meine Tochter, wollen Sie ihr nicht diese Hülle reichen?«

 

 


 << zurück weiter >>