Balduin Groller
Die Tochter des Regiments und andere Novellen
Balduin Groller

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Die Tochter des Regiments.

I.

Die alte Vindobona verjüngt sich. Vor einigen Jahrzehnten noch war die innere Stadt Wien von ihren in weitem Umkreis um sie gelagerten vierunddreißig Vorstädten durch weite, wüste Exerzierplätze, Glacis nannte man sie, geschieden. Mit der achtundvierziger Revolution war aber auch in die alte Stadt der neue Geist gefahren und mit einem Male war der Gedanke aufgetaucht, daß fürderhin diese Exerzierplätze, wahre Wüsteneien, die Entwickelung einer mit dem modernen Zeitgeist vorwärts strebenden Stadt nicht länger aufhalten dürften. Der Gedanke trat gleich so allgemein und mit solcher Entschiedenheit in die Erscheinung, daß er gar nicht mehr abzuweisen war.

Die Soldaten können anderswo auch exerzieren; die Staubwüsten müssen verbaut werden. Es war ein 4 großartiger Gedanke. Imposante Straßenzüge mit modernen prunkvollen Palästen, herrliche Gartenanlagen, stattliche Plätze, schattige Alleen statt der ungeheuren, trostlosen, nur mit dürftigem Gras bestandenen Flächen, das waren in der That verführerische Vorstellungen. Was ein Gedanke nicht Alles vermag! Hier hatte er im Handumdrehen Werte von vielen, vielen Millionen geschaffen. Durch viele Jahrhunderte waren die Glacis eigentlich wertlos gewesen. Niemand zog irgend einen Nutzen aus ihnen, Alle hatten nur Schaden dabei. Der Verkehr zwischen der inneren Stadt und den Vorstädten war selbst bei schönem Wetter kein angenehmer, im Sommersonnenbrand oder bei Wintersturm ein geradezu qualvoller. Bei der nun eröffneten Aussicht gewannen aber die Gründe plötzlich einen kolossalen Wert, und nun begann man sich um eine Frage zu kümmern, für welche man sich bis dahin sehr wenig interessiert hatte. Wem gehören die Gründe eigentlich?

Die Archive wurden durchforscht, und es meldeten sich sodann das Hofärar, das Militärärar und die Commune mit ihren Ansprüchen. Ganz klar war aber die Sache nach keiner Seite hin, und ein wunderschöner 5 Prozeß schien sich da herausschälen zu wollen, der reichlich seine fünfzig, wenn nicht hundert Jahre gedauert haben würde. Das ist doch eine Freude, ein so schöner Prozeß!

Es kam nicht dazu. Ein kaiserliches Machtwort durchschnitt den unentwirrbaren Knoten wie mit einem scharfen Schwerte. Es wird nicht prozessiert. Nicht Dieser oder Jener solle von der Sache etwas haben, sondern Alle. Ein eigener Fond wurde gegründet, der Stadterweiterungsfond, und was der zu bedeuten hatte, dafür spricht heute die Ringstraße, die vielleicht großartigste städtische Straßenanlage der Welt, dafür spricht weiters ein Kranz von unvergleichlichen Monumentalbauten, dafür zeugen die wundervollen Gärten, die gleichsam die Smaragdzier des Ringes bilden, und endlich auch ein Dutzend neuer Stadtteile, die aus der ehemaligen Wüstenei emporgewachsen sind.

Als dieses Werk gethan war, stand man vor einer zweiten, ähnlichen Aufgabe. Der Gürtel der inneren Stadt war gesprengt, jetzt ging es wider den Gürtel, der die Vorstädte einengte. Weit draußen zog sich in großem Umkreis am Ende der Vorstädte die »Linie« 6 hin. Die Linie bezeichnete die Grenze Wiens und an jeder Straßenmündung an der Linie stand ein Linienamt mit einem Stab von Finanzaufsehern, die darüber wachten, daß nichts »Verzehrungssteuerpflichtiges« nach Wien hineingeschmuggelt werde. Thatsächlich war aber Wien an der Linie noch lange nicht zu Ende. Hunderttausend und mehr Wiener hatten ihren Wohnsitz weit außerhalb der Linie. Und so ging's denn noch einmal an die Kettensprengung. Wieder war es der Zeitgeist, der sich Geltung schaffte, wieder ein Gedanke, der sich durchsetzte. Die »Linie« wurde hinausgeschoben, weit hinaus, und sie muß sich jetzt sogar bequemen, die Höhe des Kahlenberges zu erklimmen.

Auch dadurch ward der Anstoß zu einer erneuten, großartigen Bauthätigkeit geboten, und naturgemäß erfolgte dann die Rückwirkung auf die alte innere Stadt selbst. Das Letzte und Schwierigste, was es noch zu thun gab und noch giebt, das ist die bauliche Reconstruktion der inneren Stadt. Den alten Häusern mit ihren engen Höhen und dunklen Gängen wird ihre Situation sichtlich ungemütlich, wenn heutzutage überall so licht und lustig gebaut wird. Ist in einer alten 7 Straße ein neues Haus aufgerichtet worden, dann werden die alten Häuser in der Nachbarschaft förmlich krank. Sie machen es gewöhnlich auch nicht mehr lange. Sie verstehen diese Welt nicht mehr und treten tiefgekränkt vom Schauplatz ab, um dem Nachwuchs Platz zu machen. Man wird schon sehen, ob diese modernen Kartenhäuser die Wucht der Zeiten besser überdauern und namentlich, ob sie mehr Glück in sich schließen werden: man wird schon sehen!

In einer der engsten Straßen der inneren Stadt, – auch in diese Gasse ist seither schon der Geist der neuen Zeit hineingefahren, – stand vor wenigen Jahren noch ein mächtiger alter Bau, der sich selbst in diesem dunklen Engpaß durch seine besondere Schmucklosigkeit auszeichnete. Die Fassade, wenn von einer solchen da überhaupt gesprochen werden konnte, war vollkommen glatt und wies auch nicht die Spur einer Ornamentirung auf. Frisch angestrichen hatte man das Haus wohl überhaupt nie mehr, seitdem es fertig geworden war, und das mag wohl schon vor hundert und mehr Jahren gewesen sein. Wind und Regen hatten in der langen Zeit den Kohlenruß, mit dem die Luft der 8 Großstadt nur allzureich geschwängert ist, dem Mauerwerk so fest imprägniert, daß dieses nahezu ganz schwarz war. Den hohen Fenstern waren schwere, starke Gitter vorgelagert, als sei es an dem spärlichen Licht der engen Gasse noch zu viel. So trostlos nüchtern und düster sah der Bau aus, daß man es leicht für ein Gefängnis hätte halten können, ohne ihm groß Unrecht zu thun. Thatsächlich war der ursprüngliche Daseinszweck des Hauses kein viel heiterer. Es war ein Kloster gewesen, ein Kloster der Ursulinerinnen. Die frommen Schwestern waren aber dann bei Zeiten vor dem Geist der neuen Zeit geflüchtet, der auch in diese stille Gasse mit seinem Strahlenblick hereinzulugen begonnen hatte, und dann stand das Haus lange leer, bis sich endlich auch für seine Räume Mieter fanden. Und die Mieter waren hier gar nicht so schlimm daran, wie es die Außenansicht des düsteren Hauses vermuten ließ. Die Gemächer, vordem die Zellen der Nonnen, waren groß und stattlich, und so trübselig sich Alles von der Straße aus anließ, so freundlich war der Anblick, der sich dem Auge von den einzelnen Zimmern aus darbot.

Der ganze Bau war förmlich auf die Abkehr von 9 der Außenwelt zugeschnitten, und seine ganze architektonische Bedeutung war nach innen gelenkt. Konnte man auch kaum einen Blick auf die Straße werfen, so flutete doch Sonnenlicht und Luft von der Hofseite her in die Räume. An den kleinen, reinlich gehaltenen Hof schloß sich nämlich ein großer Garten und zur Frühlingszeit und im Sommer bis tief hinein in den Herbst drangen Ströme von Blütenduft und Sommerglanz in diese Wohnräume, die von außen so namenlos traurig erschienen.

In dem ganzen ersten Stockwerk mit seiner Flucht von sechzehn Zimmern, von welchen jedes einzelne seinen besonderen Ausgang auf den Korridor hatte, führte Fräulein Katharine Wallis die unbeschränkte Herrschaft. Früher hatte sie durch lange Jahre nur eine kleine, aus zwei Stuben und einer Küche bestehende Wohnung im dritten Stockwerk desselben Hauses bewohnt.

Als das jüngste Kind einer mit der Tuberculose erblich belasteten Familie, war sie als achtzehnjähriges Mädchen allein zurückgeblieben, nachdem ihre Eltern und Geschwister in rascher Reihenfolge abgestorben waren. Das Schicksal schien es mit dem Spätling 10 dieser unglücklichen Familie gut gemeint zu haben. Bei all dem Jammer, der sie umgab, gedieh Katharine geistig und körperlich ganz vortrefflich. Sie war und blieb gesund, und mit ihrer anmutigen, schlanken Gestalt, ihrem schönen schwarzen Haar und ihren ebenfalls schwarzen blitzenden Augen, war sie immer viel hübscher, als es ihre so an die zwanzig Jahre älteren Schwestern jemals gewesen. Auch ihre wienerische Munterkeit konnte durch die verschiedenen Trauerfälle nur zeitweise unterdrückt, aber niemals gebrochen werden.

Mit einem kleinen Erbteil ganz auf sich gestellt, wußte sie sich mit einer gewissen weltkundigen Rührigkeit ihr Leben zweckmäßig einzurichten. Sie hatte eine gute Erziehung genossen und sie begann nun zu verwerten, was sie gelernt. Als Gouvernante wollte sie sich zunächst nicht verdingen, um ihre Freiheit zu behaupten; das sollte das Letzte sein, wenn es schon gar nicht mehr anders ging. So that sie sich denn um und versuchte, zu Stunden zu kommen im Klavierspiel, im Englischen und Französischen; zur Not hätte sie sich auch mit der Putzmacherei durchbringen können. Es ging aber mit den Stunden auch; im Anfang schwer, 11 aber dann immer besser, als sich nach und nach günstige Resultate ihres Unterrichts zeigten. Da wurden nicht nur die Stunden zahlreicher, es wurden auch die Honorare für dieselben besser. Was sie in die Hand nahm, packte sie geschickt an.

Von den mancherlei Anfechtungen, welchen ein junges, alleinstehendes und hübsches Mädchen in einer Stadt wie Wien ausgesetzt ist, blieb auch sie nicht verschont, aber sie konnten ihr nichts Ernstliches anhaben; denn sie war klug und vorsichtig. So klug ist aber kein Mensch, daß er nicht eine große Dummheit im Leben beginge, gewöhnlich die entscheidende. Katharine war in ehrenhafter emsiger Arbeit dreißig Jahre alt geworden. Zu einem Wohlstand hatte sie es in ihrem Berufe natürlich nicht bringen können, aber sie führte doch ein sorgloses Dasein, und wenn nicht eine ernsthafte, langwierige Krankheit dazwischen kam, war ihre materielle Existenz eine leidlich gesicherte.

Lange hatte sie den Lockungen des menschlichen und verzeihlichen, nein, nicht nur verzeihlichen, sondern hochedlen und rühmlichen Liebesbedürfnisses widerstanden, das sich ja bei ihr um so mehr geltend machen mußte, 12 als sie, ein verwehtes Menschenkind, so ganz allein auf der Welt stand. Da tritt der Dreißigjährigen ein blühender, liebenswürdiger, kraftstrotzender junger Mann auf dem Lebensweg entgegen, und da hilft dann alle Klugheit nicht mehr, ihre Stimme wird übertönt durch das mächtige Frühlingsbrausen der ersten Liebesleidenschaft.

Fritz Platter war Doktorand der Medizin. Zwischen ihm und Katharine bestand im Alter ein Unterschied von fünf Jahren zu ihren Ungunsten. Sie sagte es sich von vornherein, daß es nicht klug sei, diesen Unterschied zu übersehen, daß in ihm der Keim eines Unglücks für sie schlummere, der einst erwachen und gewaltig in die Halme schießen könnte, aber – statt tausend Worte nur eines: sie liebte.

Platter werde sie nicht verlassen, denn er sei ein Ehrenmann. Sie würde sich für ihn opfern und ihm so viel Liebes erweisen, daß er in ferner Zeit, bis dahin hatte es ja noch gute Wege, es sie nicht werde entgelten lassen, wenn sie im natürlichen Lauf der Dinge früher altern sollte, als er. Sie werde sich Anspruch erwerben auf seine Dankbarkeit; das sei doch auch eine Bürgschaft. Sie werde Frau Doktorin werden, ihre anständige, nette 13 Wirtschaft haben, sie wird sein Hauswesen führen und in Ordnung halten; sie wird nicht mehr bei jedem Wetter von Haus zu Haus, treppauf treppab laufen müssen, ihre kärglich bezahlten Stunden zu geben. Dafür wird er, der Herrliche, seine Gänge machen, um Trost und Linderung zu den Leidensstätten der Kranken zu bringen. Und er wird auch diese »Gänge« nicht lange machen; denn bei seiner Tüchtigkeit und bei seinem liebenswürdigen Wesen würden ihm sicher die Hilfesuchenden nur so zuströmen, und er wird sich einen Monatsfiaker halten können. Und wenn er dann in seinem hehren Berufe ermüdet nach Hause kommt, dann wird sie ihn betreuen, ihn mit solcher Liebe umgeben, daß er sich immer freuen soll auf sein Heim. Das Schönste aber sollte in jedem Jahre der Sommerurlaub werden. Fritz wird sich durch einige Wochen im Hochsommer durch einen Kollegen vertreten lassen, denn eine Erholung muß der Mensch haben, zumal in seinem so anstrengenden Berufe, und das soll dann eine Herrlichkeit werden, wenn sie dann zusammen eine Reise thun und sich ein Stück der weiten Gotteswelt anschauen. Katharina hatte ja von den Freuden des Daseins noch 14 so wenig genossen; wie dankbar wollte sie sein für jeden Lichtblick. Und eigentlich phantastisch war ja das nicht, was sie sich da ausgedacht. Warum sollte denn das nicht möglich sein? Das lag ja alles im natürlichen Gang der Welt, – nur etwas Glück brauchte man dazu.

Katharina hatte sich das in der That sehr schön ausgedacht. Nur eines hatte sie nicht bedacht, die Arme, daß es nämlich im Leben immer anders kommt, als man es sich denkt. Es kommt immer anders, und für sie hatte das Schicksal keine Ausnahme in Bereitschaft.

Fritz Platter war ja so weit in der That ein prächtiger Mensch. Seine Kollegen auf der Universität sagten es und alle, die mit ihm sonst in Berührung kamen, sagten es auch. Eine Siegfriedgestalt mit dem sprossenden goldblonden Vollbart, mit reckenhafter Brust und mit seinem freundlichen Gesichte, weckte er überall Sympathien, wo er hinkam. In dem Hause eines Kommilitonen, wo Katharina ein junges Mädchen unterrichtete, hatte er sie kennen gelernt. Bei wiederholten, von ihm mit Vorbedacht herbeigeführten Begegnungen auf der Straße, hat er sie nicht nur begleitet zu ihren Häusern, 15 sondern er war auch zur Stelle, wenn sie nach erteilter Lektion wieder aus dem Hausthor trat, und so entstand da eine innige Beziehung, die von beiden Seiten ehrlich gemeint war. Katharina sah mädchenhaft jung aus, und wenn auch sie vom ersten Moment an mit Unruhe und Sorge an den Altersunterschied dachte, so hatte sich doch er den Kopf niemals mit solchen Gedanken beschwert. Ein Bruder Studio spekuliert nicht über das Alter junger Frauenzimmer; er glaubt es, wenn ihm eine Dreißigerin die Zwanziger vorspiegelt und er glaubt es auch, wenn niederträchtige Verleumdung einer Zwanzigjährigen böswilligerweise dreißig Jahre andichten sollte. Es ist weibliche Art, in diesem Punkte schärfer zuzusehen. Und ein Bruder Studio war Platter noch vollständig. Er war Chargierter in seiner Verbindung und er galt dort etwas; denn er stellte seinen Mann auf der Mensur so gut, wie beim Kruge.

Sein Vater war Notar in einer kleinen Stadt Steiermarks, und er erhielt von Hause monatlich einen Zuschuß, mit dem er auskommen sollte, mit dem er aber nicht auskam. Darob ließ er sich aber keine grauen Haare wachsen. Ein kleinerer oder größerer Pump gelang 16 doch von Zeit zu Zeit, und im übrigen bekannte er sich zu einer Politik, die durch einen österreichischen Ministerpräsidenten hoffähig gemacht worden ist – er »wurstelte« fort. Seine Kommilitonen halfen auch wacker aus, wo sie konnten. Er stand in hohem Ansehen bei ihnen, war doch unter seiner Führung so mancher großartige Studentenulk gelungen, einer sogar, von dem ganz Wien gesprochen und über den ganz Wien gelacht hatte.

Da trugen einmal bei nachtschlafender Zeit zwölf Studenten eine großmächtige, schwere Gasröhre in feierlichem Schweigen durch die Straßen. Endlich erblickt sie das Auge des Gesetzes. Die Sache war ja auch verdächtig. In den letzten Nächten war nämlich gerade mit solchen Röhren wiederholt schwerer Unfug getrieben worden. Man hatte begonnen, die alten Röhren in der Porzellangasse auszuwechseln. Das Pflaster war aufgerissen und die Straße tief aufgegraben. Die ausgehobenen alten Röhren hatte man über Nacht auf der Straße liegen lassen, um sie dann bei Tage fortzuschaffen. Merkwürdigerweise waren sie aber, als es tagte, wiederholt schon fortgeschafft worden, freilich nicht definitiv. Denn nach emsigem Suchen fand man sie 17 zerstreut in der Liechtensteinstraße und auf dem Bauernfeldplatz herumliegen, und es war anzunehmen, daß es nicht der Wind war, der diese zentnerschweren Röhren vertragen hatte.

Als also nun ein polizeiliches Organ die Studenten mit der großen Röhre in verdächtigem Schweigen einherziehen sah, da mußte er ja etwas wittern, und die ganze Sippe mußte nun mitsamt der schweren Röhre zur Polizei. Der diensthabende Kommissär machte ein bedenkliches Gesicht, als sich der seltsame Aufmarsch in seinem Bureau entwickelte. Die Studenten, die sich von ihrer süßen Last nicht trennen wollten, thaten sehr gekränkt und beklagten sich bitter, daß man sie, ruhige akademische Bürger, nicht ruhig ihres Weges ziehen lassen wollte.

»Was ist's mit der Gasröhre?« imquirierte der Kommissär.

»Die haben wir uns ehrlich gekauft,« erwiderte Platter als Wortführer der Studenten. »Man wird sich doch noch Gasröhren kaufen dürfen!«

»Gekauft – das könnte jeder sagen!«

18 »Herr Polizei-Präsident,« Platter machte sich das Vergnügen, dem Kommissär eine bedeutende Rangeserhöhung taxfrei zuteil werden zu lassen, »ein solcher Verdacht thut weh! Bitte, sich zu überzeugen.«

Damit zog er eine ordnungsgemäß gestempelte, von dem Eisentrödler O. Nacht ausgestellte und saldierte Rechnung über die gekaufte Gasröhre aus der Tasche. Der Kommissär las die Rechnung bedächtig durch; die Sache war vollkommen in Ordnung; es ließ sich nichts machen. Als der Name O. Nacht verlesen wurde, bezeigten die Röhrenträger nicht übel Lust, den herrlichen Männerchor »O Nacht, o heilige Nacht, wer hat dich so reich bedacht,« anzustimmen, aber der Kommissär unterbrach sie mit einem wirkungsvollen Hinweis auf die Würde des Ortes, an dem sie sich befanden.

»Wie kommen Sie denn eigentlich dazu, sich eine alte Gasröhre, und noch dazu von solchem Kaliber, zu kaufen?« fragte der Kommissär, der noch zu der wohlwollenden Sorte seiner Berufsgenossen zählte.

»Nichts natürlicher als das,« erwiderte Platter. »Bei der Aufnahme unseres Inventars haben wir gefunden, daß wir Mangel, bitteren Mangel an alten Gasröhren 19 litten; nicht eine einzige durften wir unser nennen. Dem mußte abgeholfen werden.«

»So, so. Und die müssen Sie nun selbst nach Hause tragen?«

»Wir sind jung und stark, und haben nicht die Mittel, uns Dienstmänner zu engagieren für etwas, was wir selbst ganz gut besorgen können.«

»Und mitten in der Nacht mußte der Transport besorgt werden?«

»Das haben wir aus Rücksicht für die hohe Polizei gethan. Denken Sie sich, Herr Polizei-Präsident« – Platter blieb bei der Standeserhöhung – »das kolossale Aufsehen, wenn wir die Röhre bei helllichtem Tage durch die Straßen tragen. Das gäbe ja einen förmlichen Auflauf. Wir sind übrigens bereit, wenn es die hohe Polizei wünschen sollte, die gewichtige Röhre auch bei Tage spazieren zu führen.«

»Ich danke für den guten Willen,« erwiderte lächelnd der Kommissär, »jetzt trachten Sie gefälligst, daß Sie mit Ihrer Röhre, zu deren Aquisition ich Sie noch besonders beglückwünsche –

»Zu gütig, Herr Präsident!«

20 »– möglichst bald nach Hause kommen, sonst könnten Sie sich doch noch Unannehmlichkeiten zuziehen.«

Es ließ sich in der That nichts machen; man mußte die Studenten mit ihrer rechtlich erworbenen Röhre ziehen lassen.

So einfach war aber die Sache doch nicht, wie sie der Kommissär sich gedacht hatte. Die Studenten hatten noch keine fünfhundert Schritte zurückgelegt, als sie abermals von einem Sicherheitswachmanne gestellt wurden, dem die Sache nicht geheuer erschien, und der, da sie es natürlich unter ihrer Würde hielten, die nötigen Aufklärungen zu erteilen, wozu sie sich übrigens auch garnicht verpflichtet fühlten, sie neuerdings dem Amte überstellte, wie der technische Ausdruck lautet.

Der Kommissär machte kein sehr erfreutes Gesicht, als die Studenten ihm nun noch einmal vorgeführt wurden, und er schickte sie mit einer ernstlichen Vermahnung fort. Als aber dann nach kaum einer halben Stunde die ganze Corona von einem dritten, ahnungslosen Wachmanne eingebracht wurde, wußte er sich nicht anders zu helfen, als daß er den Röhrenträgern einen Mann mitgab, damit sie endlich die unglückliche Röhre 21 unbehelligt und unter polizeilichem Schutze nach Hause tragen konnten.

Es begreift sich, daß Fritz Platter nach solchen Thaten hohen Ansehens genoß in der studentischen Welt. Außerhalb der studentischen Welt gab es aber noch eine andere, und in dieser hatte er sich noch nicht bewährt, ja, er bestand schlecht, als er sich bewähren sollte.

Das Verhältnis, das sich zwischen ihm und Katharina entspann, stählte ihre Kräfte und verdoppelte ihren Arbeitseifer, während es seine auch früher schon geringe Arbeitslust völlig lähmte. Katharina sorgte mit Aufopferung für ihn, und er fühlte sich ungeheuer wohl dabei, ohne aber angeregt zu werden, auch seinerseits etwas zu thun. Semester um Semester verging, ohne daß er sein Doktor-Examen gemacht hätte; er blieb der ewige Doktorand.

Es war ein tiefer, heimlicher Kummer, mit dem Katharina sein Thun und Lassen beobachtete. Für sie hatten die ergebnislos verstreichenden Semester doch mehr zu bedeuten, als für ihn, der als Mann ihr gegenüber um das zu jung war, um was sie sich zu alt dünkte. Und doch mochte und konnte sie von ihm 22 nicht lassen; das Zukunftsbild, das sie sich entworfen hatte, hatte des Verlockenden zu viel für sich.

Zu einem förmlichen Verlöbnis war es noch nicht gekommen, und sie hoffte, ihn zu einer erhöhten Thätigkeit anzuspornen, wenn ein solches einmal herbeigeführt sei. Da werde ihm doch gewissermaßen ein bestimmtes, sichtbares, erreichbares Ziel gesteckt; wenn er halbwegs ein Mann war, mußte er sich aufraffen und auf das Ziel losarbeiten. Auch diese Hoffnung betrog sie. Platter ging mit Freuden das Verlöbnis ein, aber er änderte sich nicht. Er war im besten Zuge, sich zu verbummeln. Die Universität besuchte er nur noch sehr selten; es hatte keinen Zweck mehr, er hatte den Zusammenhang mit ihr verloren. Er machte sich gelegentlich Zukunftssorgen, und vernachlässigte und versäumte darüber die Gegenwart. Er hätte, um den Zusammenhang mit seinem wissenschaftlichen Studium wiederzugewinnen und das Doktorat bestehen zu können, ein Jahr lang intensiv arbeiten müssen, und dessen, das fühlte er, war er nicht fähig. Es ging nicht mehr mit dem Lernen und Studieren.

Einmal hatte er sich, auf unablässiges Drängen 23 seiner Braut, zur Prüfung gestellt und er war durchgefallen. Katharina rieb sich auf für ihn, und er ließ sich das gefallen. Es ging ihm nicht wider die Ehre. Eheleute, das sollten sie ja doch werden, dürfen sich schon für einander opfern, später wird er schon Gelegenheit finden, ihr alles zu vergelten, später! Das war für ihn ein dunkler, nebelhafter Begriff, und es machte ihm keinen Kummer, daß Tag um Tag und Monat um Monat verstrich, ohne daß dieser Begriff jemals klarer geworden wäre; um so tiefer war Katharina bekümmert über die trostlosen Zukunftsaussichten.

Zu allen diesen Sorgen kamen noch materielle Bedrängnisse. Das Nichtsthun kostet Geld, und Platter hatte nie welches. Sein Vater hatte längst die Hand von ihm abgezogen im Ingrimm, als Semester um Semester verstrich, ohne daß sein Sohn das Doktordiplom erlangt hätte. Er galt zu Hause als verlorener Sohn, und mit einer Verbitterung, die förmlich in Leidenschaft ausartete, wurde im Elternhause Platters Katharina gehaßt, die abgefeimte Dirne, die den Sohn, den Stolz der Familie ausgesogen, ins Unglück gebracht, fürs ganze Leben zu Grunde gerichtet hat.

24 Im Anfange hatte ihm, wenn er über Verlegenheiten klagte, Katharina Geld aufgedrungen, später entlehnte er von ihr Beträge als »Ehrenschulden« und unter Beteuerungen pünktlicher Rückzahlung, die indessen nie erfolgte, und schließlich forderte er Geld, und zwar in barschem, kategorischen Tone. Weshalb war er denn überhaupt in einer so infamen Lage? Ihretwegen, nur ihretwegen.

Katharina konnte sich's an den Fingern auszählen, daß sie nicht mehr lange in der Lage sein werde, ihre und seine Existenz von ihrem Verdienste zu bestreiten, und deshalb mußte ein entscheidender Schritt gethan werden. Das Einfachste und Vernünftigste: sich von dem Manne, den sie ja doch nicht mehr liebte, loszusagen, das kam ihr garnicht in den Sinn. Es waren seltsam verkehrte Zustände. Sie hielt sich ihm gegenüber verpflichtet, wie etwa ein ehrenhafter Mann sich scheut, ein Mädchen, das auf ihn gebaut, sitzen zu lassen. Ihre Wohnung bestand aus zwei Zimmern und einer Küche. Das war ohnedies zu viel für sie, und sie hatte die Wohnung nur genommen, weil sie sehr billig war und für ihre Zwecke eine besonders günstige Lage hatte. 25 Nun hatte sie sich freilich schon an den bescheidenen Luxus von zwei Zimmern gewöhnt. Es war doch hübsch, wenn man sein Schlafzimmer und seinen Salon hatte; aber unbedingt nötig war das nicht. Das eine Zimmer sollte für Platter hergerichtet werden. Freilich, ihr Ruf würde darunter leiden, und wenn sie die Verbindungsthüre noch so sorgsam abschloß, aber sie wußte sich nicht anders zu helfen, und in ihrem Elend kam es ihr schon nicht mehr darauf an, ob sie einigen bösen Zungen mehr oder minder Stoff zum Gerede lieferte. Platter hätte da die Wohnung, er würde sein Frühstück und sein Mittagessen zu Hause bekommen; was auf solche Art erspart werden konnte, war so erheblich, daß sie in ihrer Lage nicht zögern durfte.

Platter ging auf ihren Vorschlag ein und bezog das für ihn hergerichtete warme Nest. Katharina arbeitete sich ab mit ihren Lektionen und mit der Besorgung der Hauswirtschaft. Sie hatte jede Sorge der eigenen Häuslichkeit und nicht eine ihrer Freuden. Sie sah verhärmt aus und hatte ihre Jugendfrische ganz verloren; Kummer und die harte Arbeit sind nicht die Mittel, Frauenschönheit zu erhöhen. Sie war jetzt 26 wirklich ungefährlich für Platter geworden, aber die Folgen der üblen Nachrede, die nicht ausblieb, hatte sie doch zu tragen. Man entzog ihr in einigen Familien die Lektionen, dafür mußte sie sich andere Häuser suchen, in welchen dann gewöhnlich schlechter gezahlt wurde, sodaß sie genötigt war, ihre Anstrengungen zu erhöhen und noch mehr Stunden zu geben, als bis dahin.

Platter lebte dabei recht bequem und ziemlich sorglos in den Tag hinein. Des Morgens las er sehr umständlich seine Zeitung, dann machte er, sich den Anschein der Geschäftigkeit gebend und um sich für die gemeinsame Wirtschaft nützlich zu machen, ziemlich überflüssige Wege für allerlei kleine Besorgungen. Das Mittagessen nahm er mit Behagen zu Hause, – es wurde gut gekocht unter dem Regime Katharinas, – dann hielt er ein ausführliches Mittagschläfchen, worauf er sich in sein Kaffeehaus begab, um die Abendblätter zu lesen und seinen Pflichten als beeidigter Kiebitz bei verschiedenen Billard- und Kartenpartieen zu genügen. Er selbst spielte nicht, denn er war, seiner Meinung nach, ein solider, sparsamer Mensch, und er hätte sich's nie verzeihen können, über seine Verhältnisse zu leben. Zum 27 Abendessen kam er wieder nach Haus, eben weil er ein solider, sparsamer Mensch war und weil er doch auch Rücksicht auf Katharina nahm. Was hätte die arme Person auch ohne ihn anfangen sollen. Er hatte ihr einmal das Opfer gebracht und sein Leben ihr gewidmet, es war traurig genug für ihn, aber als Ehrenmann durfte er nicht mehr zurück. Das hätte der Armen sicherlich das Herz gebrochen, und so wollte er denn das Kreuz weiter tragen, das er einmal auf sich genommen.

Nach dem Abendessen freilich ging er noch auf einen Trunk ins Wirtshaus. Das war doch das Geringste, was er sich gönnen durfte; er war ja den ganzen Tag in keinem Wirtshaus gewesen, und ein Vergnügen mußte der Mensch doch haben! Was hatte er denn überhaupt von seinem Leben? –

Zehn Jahre waren so vergangen, seit Katharina und Platter sich kennen gelernt hatten. Die letzten fünf Jahre hatten für beide ein ödes poesieloses Vegetieren nebeneinander bedeutet. An ein Examen oder an den ärztlichen Beruf überhaupt hatte der nun fünfunddreißigjährige Mann, dessen Haare sich zu lichten begannen 28 und der eine starke Disposition zu behäbigem Fettansatz zeigte, seit langen Jahren schon nicht mehr gedacht. Er dachte überhaupt sehr wenig, sonst hätte ihm, wie dies bei Katharina der Fall war, der Kummer über ein verfehltes Leben mit seinen dunklen Fittigen das Dasein beschattet.

Bei alledem hatte Katharina nicht allen Lebensmut und nicht die völlige Spannkraft ihres Naturells verloren. Als eines Tages Platter – mit ihrem Gelde – eine Reise nach Steiermark antrat, die einerseits eine Erholungsfahrt sein sollte, – denn eine kleine Auffrischung hatte er, nach seiner Meinung, sehr nötig, – und die andererseits auch den Zweck hatte, eine Aussöhnung mit seiner Familie anzubahnen, da kam es, nachdem er nur einen Tag fort war, wie eine Erleuchtung über sie. Sie überdachte ihr ganzes bisheriges Leben und raffte sich dann mit der vollen Energie des erwachten Selbsterhaltungstriebes zu einem großen Entschlusse auf: sie sandte ihm einen Absagebrief nach.

Sie atmete tief auf, als sie den Brief abgeschickt hatte, und dann ging sie sofort daran, sich ihre Existenz 29 von Grund aus umzugestalten, förmlich neu aufzubauen. Das erste Stockwerk in dem Hause, das sie bewohnte, war frei geworden. Sie mietete es und opferte ihre ganze Habe, um es möglichst vornehm und zweckmäßig einzurichten. Die geräumigen Gemächer des ehemaligen Klosters, von welchem jedes seinen besonderen Eingang vom Korridor hatte, waren für ihre Zwecke vorzüglich geeignet. Sie wollte sie als Monatszimmer vermieten, und außerdem wollte sie ihren Parteien auch zu essen geben. Das ehemalige Refektorium gab einen prächtigen Speisesaal ab. Es giebt viele Junggesellen und Hagestolze, die eine solche Pension dem Gasthausleben vorziehen. Sie traute sich das Geschick zu, eine solche Wirtschaft zu leiten und sie nahm sich fest vor, alles aufzubieten, ihre Herren zufrieden zu stellen, und dem Junggesellenheim einen guten Ruf zu verschaffen.

Das Unternehmen glückte, weil es einem Bedürfnis entsprach. Nach drei Monaten schon waren von den sechzehn Zimmern des Stockwerks zwölf vermietet, und Katharina hätte noch mehr vermieten können, wenn sie nicht genötigt gewesen wäre, einige Zimmer als Wirtschaftsräume zurückzubehalten. Nach zwei, drei Jahren 30 kam es dahin, daß Katharina jeder Sorge enthoben war. Denn nun hatte sie immer schon reichlich Vormerkungen auf ihre Zimmer, und sie brauchte nicht unruhig zu werden, wenn das eine oder andere wieder frei ward.

Es herrschte peinliche Sauberkeit in den Räumen, über welche sie die Herrschaft führte, und man speiste gut bei ihr. So etwas spricht sich herum in Wien. – Katharina hatte alles klug bedacht. Sie wollte ihre Preise nicht zu niedrig stellen, um Gutes bieten zu können, andererseits nicht zu hoch, um nicht zu viel zu wagen. Sie forderte hundert Gulden monatlich für Wohnung und Verköstigung eines Herrn, und dabei konnte sie schon darauf rechnen, immerhin feinere und zahlungsfähige Elemente heranzuziehen. Es war nicht wenig, aber alleinstehende Herren, die im Monat einhundertfünfzig oder zweihundert Gulden für ihre Person aufwenden durften, waren bei ihr gut versorgt und hatten allen Grund zufrieden zu sein. 31

 


 


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