Franz Grillparzer
Die Jüdin von Toledo
Franz Grillparzer

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Manrique.
Nicht also, edle Frau! Ihr spracht das Wort,
Doch als es kam zur Tat, habt Ihr gezittert,
Euch widersetzt und Schonung anbefohlen,
Obgleich umsonst, denn Not war uns Gebot.
Auch wünscht' ich nicht, daß sich sein erster Grimm
Entlüde auf die Häupter, die uns hoch,
Zunächst nach ihm die Hoffnung unsers Throns.

Ich selber tat's. Zwar nicht mit meiner Hand,
Allein mit Rat, mit furchtbar ernstem Mitleid.
Ich trete vor Euch hin. Und du, mein Sohn,
Hast du den Mut, als Mann auch zu vertreten
Was du gehindert nicht, wenn nicht gefördert,
So daß dein Streben, wieder gut zu machen,
Und deine Rückkehr selbst nicht ohne Schuld?

Garceran.
Seht mich bereit. Ich tret an Eure Seite
Und treffe mich des Königs erster Zorn.

Esther (herüberrufend).
Ihr dort, obgleich ihr Mörder seid gesamt
Und würdig jeden Tods und jeder Strafe;
Genug des Unheils ist bereits geschehn,
Ich wünschte nicht die Greuel noch vermehrt.
Der König ist dort drin bei meiner Schwester,
Und vorher schon ergrimmt, wird ihn ihr Anblick
Aufstacheln zu vermehrter, neuer Wut.
Auch dauert mich das Weib dort und ihr Kind,
Unschuldig halb und halb auch halb nur schuldig.
Drum geht, weil es noch Zeit, begegnet nicht
Dem Rächer, der zum Richter noch zu heiß.

Manrique.
Weib, wir sind Christen.

Esther.
Nun, Ihr habt's gezeigt.
Ich lobe mir die Jüdin, weiß es Gott!

Manrique.
Als solche abzubüßen auch bereit
Was wir gefehlt, uns willig unterwerfend.

Legt Eure Schwerter ab. Hier ist das meine.
Die Wehr an Mannes Seite spricht von Schutz.
Schon unsre Anzahl streitet mit der Demut,
Sie teilt die Schuld, die doch in jedem ganz.

(Alle haben die Schwerter vor Manrique auf den Boden gelegt.)

So harren wir. Vielmehr geh' einer hin
Und trete fördersamst den König an.
Des Landes Not erheischt, daß er sich fasse,
Ob so, ob so; und wär's auch nur bereuend
Zu rasche Tat, von der wir selbst das Opfer.
Geh du mein Sohn!

Garceran (der einige Schritte gemacht, umkehrend).
Seht hier der König selbst.

(Der König stürzt aus dem Seitengemache. Nach ein paar Schritten wendet er sich um und sieht starr nach der Türe.)

Königin.
O Gott im Himmel!

Manrique.
Ruhig gnäd'ge Frau.

(Der König geht nach vorn. Er bleibt mit untergeschlagenen Armen vor dem alten Isaak stehen, der wie schlummernd im Sessel liegt. Drauf geht er nach dem Vorgrunde.)

Esther (zu dem Alten).
Schau, deine Feinde zittern. Freust du dich?
Ich nicht. Die Tote wacht doch nimmer auf.

(Der König, im Vorgrunde, betrachtet seine beiden Hände und streift daran, wie reinigend, mit der einen über die andere. Hierauf dieselbe Bewegung über den Oberleib. Zuletzt fährt er nach dem Halse, die Hände um den Umkreis desselben bewegend. In dieser letzten Stellung, die Hände noch immer am Halse, bleibt er stehen und sieht starr vor sich hin.)

Manrique.
Erlauchter Fürst und König! Gnäd'ger Herr!

König (emporfahrend).
Ihr seid's? Ihr kommt zurecht. Euch sucht' ich eben,
Und alle. Ihr erspart mir manche Müh'.
(Er tritt vor sie hin, sie mit zornigen Blicken messend.)

Manrique (auf die am Boden liegenden Waffen zeigend).
Wir haben unsre Wehr von uns gelegt –

König.
Ich sehe Schwerter. Kommt Ihr, mich zu töten?
Vollendet Euer Werk. Hier meine Brust.
(Er öffnet sein Kleid.)

Königin.
Er hat's nicht mehr!

König.
Wie meint ihr schöne Frau?

Königin.
Das böse Bild ist fort von seinem Halse.

König.
Ich gehe, es zu holen.
(Er macht ein paar Schritte gegen die Seitentüre und bleibt dann stehen.)

Königin.
Gott, noch immer!

Manrique.
Wir wissen wohl, wie sehr wir, Herr, gefehlt;
Vor allem: nicht die Rückkehr zu dir selbst
Dir selbst und deinem edlen Sinn vertrauend.
Allein die Zeit war dringender als wir.
Es bebt das Land. Der Feind an unsern Grenzen
Er fordert auf zu Wehr und Widerstand.

König.
Und Feinde muß man strafen, oder nicht?
Ihr mahnt mit Recht; umringt bin ich von solchen.
He, Garceran!

Garceran.
Meint Ihr mich, hoher Herr?

König.
Ich meine dich. Du hast mich zwar verraten,
Allein du warst mein Freund. Komm her zu mir.
Sag mir was hältst du von dem Mädchen dort?
Nun – die du morden halfst – doch davon später.
Was hieltst du von ihr da sie lebte noch?

Garceran.
Herr, sie war schön.

König.
So! und was weiter noch?

Garceran.
Doch auch verbuhlt und leicht, voll arger Tücken.

König.
Und das verschwiegst du mir als es noch Zeit?

Garceran.
Ich sagt' es Euch.

König.
Und ich hab's nicht geglaubt?
Wie kam das? Sag nur an!

Garceran.
Die Königin
Sie rät auf Zauberei.

König.
Das ist der Aberglaube,
Der nachglaubt, was er erst sich vorgeglaubt.

Garceran.
Zum Teil war's freilich wieder auch natürlich.

König.
Natürlich ist zuletzt nur was erlaubt.
Und war ich nicht ein König, mild, gerecht?
Der Abgott meines Volks und all der Meinen.
Nicht leer an Sinn, und blind auch nicht vor allem.
Ich sage dir: sie war nicht schön.

Garceran.
Wie meint Ihr?

König.
Ein böser Zug um Wange, Kinn und Mund,
Ein lauernd Etwas in dem Feuerblick
Vergiftete, entstellte ihre Schönheit.
Betrachtet hab ich mir's und hab verglichen.
Als ich dort eintrat, meinen Zorn zu stacheln,
Halb bange vor der Steigrung meiner Wut,
Da kam es anders als ich mir's gedacht.
Statt üpp'ger Bilder der Vergangenheit
Trat Weib und Kind und Volk mir vor die Augen.
Zugleich schien sich ihr Antlitz zu verzerren,
Die Arme sich zu regen mich zu fassen.
Da warf ich ihr ihr Bild nach in die Gruft
Und bin nun hier und schaudre, wie du siehst.
Nun aber geh! Hast du mich doch verraten,
Fast tut mir leid, daß ich Euch strafen muß.
Tritt hin zu deinem Vater, zu den andern.
Kein Unterschied, denn alle seid Ihr schuldig.

Manrique (mit starker Stimme).
Und Ihr nicht auch?

König (nach einer Pause).
Der Mann hat recht; ich auch.
Allein was ist die Welt, mein armes Land,
Wenn niemand rein und übrall nur Verbrecher?
Doch hier mein Sohn. Tritt du in unsre Mitte,
Du sollst der Schutzgeist sein von diesem Lande,
Ob uns ein höhrer Richter dann verzeiht.
Führt Doña Clara, Ihr ihn an der Hand,
Euch hat ein günstiges Geschick verliehn
In Unbefangenheit bis diesen Tag
Das Leben zu durchziehn; Ihr seid es wert,
Die Unschuld einzuführen unter uns.
Doch halt! Hier ist die Mutter. Was sie tat,
Sie tat es für ihr Kind. Ihr ist verziehn.

(Da die Königin vortritt und ein Knie beugt.)

Madoña, straft Ihr mich? Wollt Ihr mir zeigen
Die Stellung, die mir ziemte gegen Euch?
Kastilier seht her! Hier Euer König,
Und die Regentin hier an seiner Statt,
Ich bin nur der Feldhauptmann meines Sohns.
Denn wie die Pilger mit dem Kreuz bezeichnet
Zur Buße hinziehn nach Jerusalem,
So will ich, meiner Makel mir bewußt,
Euch führen gegen jene Andersgläub'gen,
Die an der Grenze fern aus Afrika
Mein Volk bedrohn und dies mein stilles Land.
Kehr ich dann wieder, und will's Gott als Sieger,
Dann sollt Ihr sagen, ob ich wieder wert,
Das Recht zu schützen, das ich nun verletzt.
Euch jeden trifft die Strafe so wie mich,
Denn in die dichtsten Haufen unsrer Feinde
Sollt Ihr mir folgen, Ihr gesamt, zunächst.
Und wer dann fällt, er hat gebüßt für alle.
So straf ich Euch und mich. Hier meinen Sohn,
Setzt ihn auf einen Schild, gleich einem Thron,
Denn er ist heut der König dieses Landes,
Und so geschart, laßt gehn uns vor das Volk.

(Man hat einen Schild gebracht.)

Ihr Frauen beide reicht dem Kind die Hand,
Sein erster Thron ist schlüpfrig – wie der zweite.
Du Garceran, du bleibst an meiner Seite:
Wir haben gleichen Leichtsinn zu vertreten,
Wir wollen kämpfen wie mit einer Kraft.
Und hast du dich gereinigt so wie ich,
Vielleicht hält jene Stille, Sittigreine
Dich ihrer Huld und ihres Auges wert.
Ihr sollt ihn bessern, Doña Clara! doch, um Gott!
Macht ihm die Tugend nicht nur achtungswert,
Nein liebenswürdig auch. Das schützt vor vielem.

(Trompeten aus der Ferne.)

Hört Ihr? Sie rufen uns. Die ich beschieden
Als Beistand gegen Euch, sie sind bereit
Zur Hilfe gegen unser aller Feind,
Den grimmen Mauren, der den Grenzen droht,
Und den ich senden will mit Schmach und Wunden
Rück in sein heimisch dürres Wüstenland,
Auf daß das unsre frei von Unbill
Nach innen und nach außen wohl bewahrt.
Voraus! Voran! Geliebt es Gott: zum Sieg.

(Der Zug hat sich schon früher geordnet. Voraus einige Vasallen; dann das Kind auf dem Schilde, das die Frauen zu beiden Seiten an den Händen halten, dann der Rest der Männer. Zuletzt der König, sich vertraulich auf Garceran stützend.)

Esther (zu ihrem Vater gewandt).
Siehst du, sie sind schon heiter und vergnügt
Und stiften Ehen für die Zukunft schon.
Sie sind die Großen, haben zum Versöhnungsfest
Ein Opfer sich geschlachtet aus den Kleinen
Und reichen sich die annoch blut'ge Hand.
(In die Mitte des Theaters tretend.)
Ich aber sage dir, du stolzer König:
Geh hin, geh hin in prunkendem Vergessen –
Du hältst dich frei von meiner Schwester Macht,
Weil abgestumpft der Stachel ihres Eindrucks
Und du von dir warfst, was dich einst gelockt.
Am Tag der Schlacht, wenn deine schwanken Reihen
Erschüttert von der Feinde Übermacht,
Und nur ein Herz, das rein und stark und schuldlos
Gewachsen der Gefahr und ihrem Drohn:
Wenn du emporschaust dann zum tauben Himmel,
Dann wird das Bild des Opfers, das dir fiel,
Nicht in der üpp'gen Schönheit, die dich lockte,
Entstellt, verzerrt, wie sie dir ja mißfiel,
Vor deine zagend bange Seele treten!
Dann schlägst du wohl auch reuig an die Brust,
Dann denkst du an die Jüdin von Toledo.
(Den Alten an der Schulter fassend.)
Kommt, Vater, kommt! Wir haben dort zu tun.
(Auf die Seitentüre zeigend.)

Isaak (wie aus dem Schlafe erwachend).
Doch such ich erst mein Gold.

Esther.
Denkt Ihr noch das?
Im Angesicht des Jammers und der Not.
Dann nehm ich rück den Fluch, den ich gesprochen,
Dann seid Ihr schuldig auch, und ich – und sie.
Wir stehn gleich jenen in der Sünder Reihe;
Verzeihn wir denn, damit uns Gott verzeihe.
(Die Arme gegen die Seitentüre ausgestreckt.)

(Der Vorhang fällt.)


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