Franz Grillparzer
Die Jüdin von Toledo
Franz Grillparzer

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Fünfter Aufzug

Saal im Schlosse zu Retiro mit einer Mittel- und zwei Seitentüren. Überall Zeichen der Zerstörung. Links im Vorgrunde ein umgestürzter Putztisch mit zerstreutem Geräte. Rechts im Hintergrunde ein gleichfalls umgeworfener Tisch, darüber ein Gemälde, halb aus dem Rahmen herausgerissen. In der Mitte des Gemachs ein Stuhl. Es ist dunkel.

Von außen, hinter der Mittelwand, Geräusch von Stimmen, Fußtritte und Waffengeklirr, endlich

Von außen.
Es ist genug! Das Zeichen tönt! Zu Pferde!

(Die Stimmen und die Fußtritte entfernen sich. – Pause. Dann kommt der alte Isaak aus der Seitentüre rechts, einen nachschleifenden Teppich über den Kopf gestülpt, den er später fallen läßt.)

Isaak.
So sind sie fort? – Ich höre nichts. (Zurücktretend.) Doch ja –
Nein wieder nichts. Ich habe mich versteckt
Als sie nach Räuberart das Schloß durchsuchten.
Am Boden lag ich in mich selbst gekrümmt,
Und diese Decke war mir Dach und Schirm.
Doch nun wohin? – Was ich erspart, erworben,
Hab ich vorlängst im Garten eingescharrt;
Das hol ich später, wenn der Lärm vorüber. –
Wo ist die Tür? Wie rett ich meine Seele?

(Esther tritt aus der Türe links.)

Wer kommt? Weh mir!

Esther.
Seid Ihr's?

Isaak
Bist du es, Rahel?

Esther.
Wie meinst du? Rahel? Esther bin ich nur!

Isaak.
Nur, sagst du, nur? Du, meine einz'ge Tochter,
Die einz'ge, weil die beste.

Esther.
Sag vielmehr:
Die beste, weil die einz'ge. Alter Mann,
So weißt du nichts vom heut'gen Überfall,
Und weißt du nicht, wem all ihr Wüten galt?

Isaak.
Ich weiß es nicht und will es auch nicht wissen,
Ist Rahel doch entflohn, in Sicherheit.
O sie ist klug. – Gott meiner Väter!
Was suchst du mich, mich armen alten Mann
Und sprichst zu mir aus meiner Kinder Munde?
Ich aber glaub es nicht. Es ist nicht. Nein!
(Er sinkt am Stuhle in der Mitte nieder, sein Haupt dagegenlehnend.)

Esther.
So sei denn stark durch feige Furchtsamkeit.
Doch nenn ich andre was ich selber war.
Als sie nun kamen und, vom Schlaf erwacht,
Ins letzte, ferne, innerste Gemach
Ich hin zur Hilfe meiner Schwester eilte,
Da faßt mich einer an mit starker Hand
Und schleudert mich zu Boden. Und ich Feige,
Ich fiel in Ohnmacht, als es galt
Mein Leben für die Schwester hinzugeben,
Zu sterben wenigstens zugleich mit ihr.
Als ich erwachte, war die Tat geschehn
Vergebens jedes Mittel der Belebung.
Da konnt' ich weinen, mir die Haare raufen;
Das ist die rechte Feigheit, Weiberart.

Isaak.
Sie sagen dies und das. Ich aber glaub's nicht.

Esther.
Leih deinen Stuhl zu sitzen, alter Mann.
(Sie rückt den Stuhl nach vorn.)
Die Glieder werden schwach mir unterm Leib.
Hier will ich bleiben und will Wache halten.
(Sie sitzt.) Vielleicht daß einem dünkt der Mühe wert,
Die Stoppeln zu verbrennen nach der Ernte,
Und kommt zurück und tötet was noch übrig.

Isaak (vom Boden).
Mich nicht! mich nicht! – Hier kommt schon einer. Horch!
Nein viele! – Schütze mich, ich flieh zu dir.
(Er flieht zu ihrem Stuhle, wo er sich am Boden niederkauert.)

Esther.
Ich will Euch hüten, einer Mutter gleich,
Des altergrauen Vaters zweite Kindheit.
Und kommt der Tod, so sterbt Ihr kinderlos,
Ich geh voran und folge meiner Schwester.

(In der Mitteltüre erscheint der König mit seinem Knappen, der eine Fackel trägt.)

König.
Dring ich noch weiter vor? Begnüg ich mich
Mit dem was ich schon weiß eh ich's gesehn?
Das ganze Schloß, zerstört, verheert, verwüstet,
Ruft mir aus allen Winkeln gellend zu:
Es ist zu spät! der Greuel ist geschehn.

Und des trägst du die Schuld, verruchter Zaudrer,
Wenn etwa gar nicht einverstanden auch.
Allein du weinst, und Tränen lügen nicht.
Sieh her, ich weine auch. Allein aus Wut,
Aus unbefriedigter Begier nach Rache.

Steck deine Fackel hier in diesen Ring
Und geh ins Dorf; versammle die Gemeinde,
Heiß sie mit Waffen, die der Zufall beut
Sich stellen hier im Schloß. Ich selbst entbiete,
Wenn's Morgen erst, durch Schreiben rings mein Volk,
Der Arbeit Kinder und der harten Mühn.
An ihrer Spitze will ich rächend gehn
Und brechen all die Schlösser jener Großen,
Die Diener halb und halb auch wieder Herrn,
Sich selber dienen und den Herren meistern,
Beherrscher und Beherrschte, also sei's,
Und jene Zwitter tilg ich rächend aus,
Die stolz auf Blut, auf das in ihren Adern
Und auf das fremde, wenn's ihr Schwert vergoß.

Laß hier dein Licht und geh! Ich bleib allein
Und brüte die Geburten meiner Rache.

(Der Diener steckt seine Fackel in den Ring neben der Türe und entfernt sich. – König einen Schritt nach vorn machend.)

Was regt sich dort? Ist hier noch Leben übrig?
Gebt Antwort!

Isaak
Gnädiger Herr Missetäter,
Verschont uns edler Mörder!

König.
Du bist's, Alter?
Erinnre mich nicht dran, daß sie dein Kind,
Es minderte ihr Bild in meiner Seele.
Und du bist Esther, nicht?

Esther.
Ich bin es, Herr.

König.
Und ist's geschehn?

Esther.
Es ist.

König.
Ich wußt' es wohl
Seit ich das Schloß betrat. Drum keine Klagen!
Glaub, das Gefäß ist voll, was man noch zugießt
Fließt ab vom Rand und schwächt des Inhalts Gift.
Als sie noch lebte wollt' ich sie verlassen.
Nun da sie tot, verläßt sie nimmer mich
Und dies ihr Bild auf dieser meiner Brust
Es gräbt sich ein und schlägt nach innen Wurzel.
Denn war nicht selber ich's, der sie getötet?
Blieb sie mir fern, sie spielte noch, ein Kind,
Sich selbst zur Lust und anderen zur Freude.
Vielleicht – ob das zwar nicht! Ich sage nein!
Kein andrer durfte ihre Hand berühren
Und niemands Lippen nahen ihrem Mund,
Kein frecher Arm – Sie war des Königs eigen,
Ob nie gesehn, gehörte sie doch mir,
Der Reize Macht dem Mächt'gen auf dem Thron.

Isaak.
Spricht er von Rahel?

Esther.
Wohl, von Eurer Tochter.
Sosehr der Schmerz verlornen Wert verdoppelt,
Sag ich Euch doch: Ihr schlagt zu hoch sie an.

König.
Meinst du? Ich sage dir, wir sind nur Schatten,
Ich, du, und jene andern aus der Menge;
Denn bist du gut: du hast es so gelernt,
Und bin ich ehrenhaft: ich sah's nicht anders;
Sind jene andern Mörder, wie sie's sind:
Schon ihre Väter waren's, wenn es galt.
Die Welt ist nur ein ew'ger Widerhall
Und Korn aus Korn ist ihre ganze Ernte.
Sie aber war die Wahrheit, ob verzerrt,
All was sie tat ging aus aus ihrem Selbst,
Urplötzlich, unverhofft und ohne Beispiel.
Seit ich sie sah, empfand ich, daß ich lebte
Und in der Tage trübem Einerlei
War sie allein mir Wesen und Gestalt.

So wie man sagt, daß in Arabiens Wüsten
Der Wandrer, der sich lang im Sand geplagt,
Der Sonne Brand ertragen glühnden Haupts,
Mit einemmal ein blühend Eiland trifft
Umbrandet von der See der trocknen Wellen,
Da blühen Blumen, winkt der Bäume Schatten,
Der Kräuter Hauch steigt mildernd in die Luft
Und wölbt sich unterm Himmel als ein zweiter.
Zwar ringelt sich die Schlange unterm Busch,
Ein reißend Tier, von gleichem Durst gequält,
Fand etwa seinen Weg zur kühlen Quelle;
Doch jubelt auf der Wandrer, wegemüd
Und saugt mit gier'gem Mund den Labetrank
Und wirft sich in des Grases üpp'gen Wuchs.

Den üpp'gen Wuchs. Fürwahr! Ich will sie sehn,
Noch einmal jenen stolzen Bau der Glieder,
Den Mund, der Atem sog und Leben hauchte,
Und der, nunmehr auf immerdar verstummt,
Mich anklagt, daß ich sie so schlecht beschützt.

Esther.
Tu's nicht, o Herr! Da 's nun geschehn,
Laß es geschehen sein. Uns sei der Jammer,
Du trenne dich nicht, Herr, von deinem Volk.

König.
Meinst du? Ich bin der König, weißt du wohl?
Nicht nur an ihr, an mir hat man gefrevelt.
Gerechtigkeit und Strafe jeder Schuld
Hab ich geschworen an dem Krönungstag
Und will es halten bis an meinen Tod.
Dazu muß ich mich stärken, mich verhärten,
Denn alles was dem Menschen hoch und wert,
Wird man entgegenstellen meinem Grimm:
Erinnerung aus meiner Knabenzeit,
Des Mannes erste bräutliche Begegnung,
Die Freundschaft und die Dankbarkeit, die Milde,
Mein ganzes Leben schroff in eins geballt
Wird mir genüberstehn in Waffenrüstung
Und mich zum Kampfe fordern mit mir selbst,
Drum muß ich von mir selbst mich erst entfernen.
Ihr Bild wie es vor mir steht hier und dort
An jeder Wand, in dieser, jener Ecke,
Zeigt mir sie nur in ihrer frühern Schönheit
Mit ihren Schwächen, die so reizend auch.
Ich will sie sehn, zerstört, versehrt, mißhandelt,
Versenken mich im Greuel ihres Anblicks,
Vergleichen jedes Blutmal ihres Leibes
Mit ihrem Abbild hier auf meiner Brust
Und lernen Unmensch sein genüber gleichen.

(Da Esther aufgestanden ist.)

Sprich mir kein Wort! Ich will! Und diese Fackel
Soll mich begleiten, flammend wie ich selbst,
Nur leuchtend weil zerstörend und zerstört.
Sie ist in jenem letzten, innern Zimmer,
Wo ich so oft –?

Esther.
Sie ist, sie war, sie bleibt.

König (hat die Fackel ergriffen).
Mir deucht ich sehe Blut auf meinem Weg.
Es ist der Weg zum Blut. – O Nacht der Greuel.
(Er geht in die Seitentüre links.)

Isaak.
Wir sind im Dunkeln.

Esther.
Wohl, im Dunkel rings,
Umgeben von des Unglücks grauser Nacht.
Allein der Tag bricht an. Laß mich versuchen
Ob ich die Glieder trage bis dahin.
(Sie tritt zum Fenster und zieht den Vorhang.)
Der Morgen dämmert schon, sein bleicher Schein
Schaut, wie entsetzt, die Greuel der Zerstörung,
Den Unterschied von gestern und von heut.
(Auf die am Boden zerstreuten Schmucksachen deutend.)
Da liegen sie die Trümmer unsres Glücks,
Der bunte Tand, um dessentwillen wir,
Ja wir, nur wir – nicht er, der dort sich schuld gibt –
Die Schwester opferten, dein töricht Kind.
All was geschieht ist Recht. Wer sich beklagt,
Verklagt sich selbst und seine eigne Torheit.

Isaak (der sich in den Stuhl gesetzt hat).
Hier will ich sitzen. Seit der König da
Fürcht ich sie nicht und alle die noch kommen.

(Die Mitteltüre öffnet sich, Manrique und Garceran, hinter ihnen die Königin, ihr Kind an der Hand führend, und mehrere Große treten ein.)

Manrique.
Kommt hier herein und stellt demnächst Euch auf.
Wir haben an dem König uns versündigt,
Das Gute wollend, aber nicht das Recht.
Wir wollen uns dem Rechte nicht entziehn.

Esther (auf der andern Seite, eines Ruckes den umgestürzten Tisch emporhebend).
Verwüstung ordne dich! Laß sie nicht glauben,
Daß wir erschrocken, oder daß wir feig.

Königin.
Hier sind sie, jene andern!

Manrique.
Immerhin!
Sie traf bereits, was uns vielleicht bedroht.
Stellt Euch in Reih' und Ordnung wenn's beliebt.

Königin.
Mich laßt voran, ich bin die Schuldigste.


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