Franz Grillparzer
Die Jüdin von Toledo
Franz Grillparzer

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Vierter Aufzug

Saal mit einem Thronsitze rechts im Vorgrunde.

Daneben in gleicher Reihe nach links laufend mehrere Stühle, auf denen acht oder zehn kastilische Standesherren sitzen. Dem Throne zunächst Manrique de Lara, der aufgestanden ist.

Manrique.
So sind wir denn in Trauer hier versammelt,
Nur wenige, sofern die kurze Frist,
Verbunden mit der Nähe seines Sitzes,
Die Möglichkeit zur Ankunft jedem bot.
Es finden mehrere sich später ein;
Doch jetzt schon heißt für voll uns zu erachten
Die dringende, die allgemeine Not,
Die keinen Aufschub gönnt. Vor allem fehlt
In unserm ernsten Kreis derjenige
In dessen hohem Recht nicht nur der Vorsitz,
Selbst die Berufung steht zu solchem Rat,
So daß halb rechtlos wir schon im Beginn.
Deshalb nun war ich, edle Herrn, bedacht,
Zu laden unsrer Kön'gin Majestät,
So schwer sie trifft der Inhalt der Besprechung,
Zu nehmen ihren Sitz dort unter uns;
Damit wir wissen, daß nicht herrenlos,
Daß nicht aus eigner Willkür wir versammelt.

Der Gegenstand nun unsers heutigen Rats
Ist, hoff und fürcht ich, allen schon bekannt.
Es hat der König, unser hoher Herr,
Nicht hoch an Stand und Rang und Würde nur,
Nein auch an Gaben, so daß, schaun wir rückwärts
In unsrer Vorzeit aufgeschlagnes Buch,
Wir seinesgleichen kaum noch einmal finden,
Nur daß die Kraft, der Hebel alles Guten,
Hat sie einmal vom Wege sich verirrt,
Den Fehler auch mit gleicher Stärke will –
Es hat der König sich von Hof entfernt
Verlockt von eines Weibes üpp'gem Sinn,
Was uns zu richten keineswegs geziemt. –
– Die Königin!

(Die Königin, von einigen Damen begleitet, tritt von der rechten Seite auf, und nachdem sie den Standesherren, die sich erhoben haben, durch eine Handbewegung bedeutet, wieder ihre Plätze zu nehmen, setzt sie sich auf den Thronsessel.)

Erlaubt Ihr, hohe Frau?

Königin (leise).
Fahrt fort!

Manrique.
Ich wiederhole denn mein Frühres:
"Was uns zu richten keineswegs geziemt."
Doch rüstet sich der Maure an den Grenzen
Und droht mit Krieg dem schwerbedrängten Land;
Da ist des Königs Recht zugleich und Pflicht
Mit selbst berufnem und geworbnem Heer
Entgegen sich zu stemmen der Gefahr,
Allein der König fehlt. Zwar wird er kommen,
Ich weiß. Wär' es auch nur dieweil erzürnt
Ob unserer Versammlung Eigenmacht.
Doch bleibt der Grund, der ihn von uns entfernt,
So kehrt er wieder in die alten Bande
Und wir sind eben, nach wie vor, verwaist.
Beliebt?

(Die Königin bedeutet ihn, fortzufahren.)

Da muß vor allem denn die Dirne fort.
Da liegt denn manch ein Vorschlag etwa vor.
Die einen wollen sie mit Gold erkaufen,
Die andern sie gefangen aus dem Land
In weitentlegene Gewahrsam senden.
Doch Gold hat auch der König, und ob fern,
Die Macht weiß wohl zu finden was sie sucht.
Ein dritter Vorschlag –

(da die Königin aufgestanden ist)

Edle Frau, mit Gunst.
Ihr seid zu mild für unser hart Geschäft
Und Eure Güte, durch kein festes Wollen
Von Zeit zu Zeit gekräftigt und erneut,
Hat unsern Herrn vielleicht zumeist entfremdet.
Ich tadle nicht, ich sage nur was ist.
Deshalb begebt Euch nur der eignen Meinung.
Zwar, wenn Ihr reden wollt, wohlan so sprecht.
Welch Blumenschicksal, welche Schmeichelstrafe
Glaubt Ihr dem Fehl der Buhlerin gemäß?

Königin (leise).
Den Tod.

Manrique.
Fürwahr?

Königin (bestimmter).
Den Tod.

Manrique.
Ihr hört's, Ihr Herren.
Das war der dritte Antrag, den ich früher,
Obgleich ein Mann, nicht auszusprechen wagte.

Königin.
Ist denn die Ehe nicht das Heiligste,
Da sie zu Recht erhebt was sonst verboten,
Und was ein Greuel jedem Wohlgeschaffnen,
Aufnimmt ins Reich der gottgefäll'gen Pflicht?
Die andern Satzungen des höchsten Gottes
Verstärken nur den Antrieb eines Guten,
Doch was so stark, daß es die Sünde adelt,
Muß mächt'ger sein als jegliches Gebot.
Dagegen hat nun dieses Weib gefrevelt.
Währt aber meines Gatten Fehltritt fort,
So war ich selbst in all der frühern Zeit
Nur eine Sünderin, und nicht sein Weib
Und unser Sohn ein mißgeborner Auswurf
Sich selber Schande und der Eltern Schmach.
Seht Schuld Ihr in mir selbst, so tötet mich,
Ich will nicht leben, wenn mit Schuld befleckt.
Dann mag er aus den Königstöchtern rings
Sich eine Gattin wählen, da nur Willkür,
Nicht das Erlaubte wohltut seinem Sinn.
Doch ist dies Weib der Schandfleck dieser Erde,
So reinigt Euren König und sein Land.
Ich schäme mich, daß ich vor Männern spreche,
Und was kaum schicklich auch, doch zwingt die Not.

Manrique.
Doch wird der König es, und wie, ertragen?

Königin.
Er wird wohl, weil er soll und darum muß.
Auch bleibt ihm ja die Rache an den Mördern:
Vor allem treff' er mich und diese Brust.
(Sie setzt sich.)

Manrique.
Es ist kein andrer Ausweg, muß ich sagen.
Es sterben in der Schlacht die Edelsten
Und eines bittrern, grauenhaftern Tods,
Vor Durst verschmachtend, unter Pferdeshufen
In jedes Schmerzes schärferer Verdopplung
Als je ein Sünder auf dem Hochgericht;
Die Krankheit rafft die Besten täglich fort,
Gott geizt mit seiner Menschen Leben nicht,
Und soll man ängstlich sein, da wo sein Wort,
Die heil'ge Ordnung, die er selbst gesetzt,
Den Tod des einen fordert, der gefrevelt?
Wir wollen insgesamt den König angehn,
Ihn bitten, zu entfernen jenen Anstoß
Der ihn von uns und uns von ihm entfernt
Und weigert er's, dann walte blutiges Recht,
Bis wieder eins der Fürst und das Gesetz,
Und wir den beiden in dem einen dienen.

(Ein Diener kommt.)

Diener.
Don Garceran.

Manrique.
Und wagt es der Verräter?
Sagt ihm –

Diener.
Im Auftrag Seiner Majestät.

Manrique.
Das ist ein anderes. Und wär 's mein Todfeind,
Er hat mein Ohr spricht er des Königs Worte.

(Garceran tritt ein.)

Manrique.
Sagt Euern Auftrag und dann: Gott befohlen.

Garceran.
Erlauchte Königin und Ihr, mein Vater,
Zugleich Ihr andern, dieses Landes Beste,
Ich fühl am heut'gen Tag, wie niemals sonst,
Daß das Vertraun der Güter köstlichstes
Und Leichtsinn, wenn auch keiner Schuld bewußt,
Verderblicher und lähmender als Schuld,
Da einen Fehltritt man denn doch verzeiht,
Der Leichtsinn aber alle stellt in Aussicht.
Und so, am heut'gen Tag, ob rein mich fühlend,
Steh ich als ein Bemakelter vor Euch,
Den Unbedacht abbüßend meiner Jugend.

Manrique.
Davon ein andermal. Jetzt Euern Auftrag.

Garceran.
Der König löst durch mich den Landtag auf.

Manrique.
Und gab er denn, da er den Leichtsinn sandte,
Nichts Festes ihm als Bürgschaft auf die Reise
Kein schriftlich Wort zumeist von seiner Hand?

Garceran.
Er folgt mir auf dem Fuß.

Manrique.
So viel genügt.
Und also lös ich in des Königs Namen
Die Reichsversammlung auf. Ihr seid entlassen.
Doch hört Ihr meinen Wunsch und meinen Rat,
So kehrt noch nicht zurück in Eure Häuser,
Vielmehr harrt in der Nähe, rings verteilt,
Bis klar, ob Don Alfonso unser Amt,
Ob uns es obliegt, seines zu vertreten.
(Zu Garceran.) Ihr aber, so gewandt im Fürstendienst,
Seid etwa Ihr zum Späher auch berufen,
So meldet nur dem König was ich riet,
Und daß die Stände in der Tat gelöst,
Doch auch bereit zur Tat sich zu vereinen.

Garceran.
Noch einmal denn im Angesicht von allen
Lehn ich die Schuld ab dieses wirren Vorgangs.
Wie Zufall mich nur aus dem Lager brachte
War's Zufall, daß der König mich ersah,
Dies Mädchen vor des Volkes Wut zu schützen;
Und was durch Warnung, Gegenred' und Gründe
Ein Mann vermag um Unrecht zu verhüten,
Hab ich versucht, ob fruchtlos freilich wohl.
Verachtet mich, wenn's anders als ich sage.
Und Doña Clara, Ihr, die mir bestimmt
Durch unsrer Väter Wunsch, der auch der meine.
Zu bergen braucht Ihr nicht Eu'r edles Haupt.
Zwar Eurer würdig nicht – ich war's wohl nie –
Doch minder würdig nicht als sonst und jemals,
Steh ich vor Euch und schwöre: also ist's.

Manrique.
Ist's also denn und seid Ihr noch ein Mann,
Seid ein Kastilier, tretet unter uns
Und führt mit uns des Vaterlandes Sache.
Ihr seid bekannt im Schlosse zu Retiro
Der Hauptmann öffnet Euch, wenn Ihr's begehrt.
Vielleicht ist solch ein Einlaß uns vonnöten,
Wenn taub der König, unser hoher Herr.

Garceran.
Nichts gegen meinen König, meinen Herrn.

Manrique.
Ihr hab, die Wahl! Folgt jetzt nur diesen andern,
Vielleicht kommt alles besser als man glaubt.

(Diener von links eintretend.)

Diener.
Des Königs Majestät.

Manrique (zu den Ständen, auf die Mitteltüre zeigend).
Nur hier hinaus!
(Zu den Dienern.)
Und ihr setzt diese Stühle an die Wand.
Nichts soll ihn mahnen, daß man hier getagt.

Königin (die vom Throne gestiegen).
Es wankt mein Knie und steht mir niemand bei!

Manrique.
Die Kraft war mit der Sitte sonst vereint,
Doch wurden sie in jüngster Zeit sich feind,
Die Kraft blieb bei der Jugend, wo sie war,
Die Sitte floh zum altergrauen Haar.
Nehmt meinen Arm. Wie schwankend auch die Schritte:
Die Kraft entfloh, doch treulich hielt die Sitte.

(Er führt die Königin nach rechts ab. Die Stände mit Garceran haben sich durch die Mitteltüre entfernt. – Der König kommt von der linken Seite, hinter ihm sein Knappe.)

König.
Der Braune, sagst du, hinkt? Nun es ging scharf,
Doch hab ich seiner fürder nicht vonnöten.
Laß ihn am Zügel führen nach Toledo,
Dort stellt ihn Ruh' als beste Heilung her.
Ich selber will an meiner Gattin Seite
In ihrer Kutsche mich dem Volke zeigen,
Auf daß es glaubt was es mit Augen sieht
Daß abgetan der Zwist und die Zerwürfnis.

(Der Knappe geht.)

Ich bin allein. Kommt niemand mir entgegen?
Nur kahle Wand und schweigendes Gerät.
Hier haben sie vor kurzem, scheint's, getagt.
Oh, diese leeren Stühle sprechen lauter,
Als jene, die drauf saßen, es getan.
Allein was soll das Grübeln und Betrachten,
Gut machen heißt's; damit denn fang ich an.
Hier geht's hinein zu meiner Fraun Gemächern,
Betret ich denn den unwillkommnen Weg.
(Er nähert sich der Seitentüre rechts.)
Allein die Tür versperrt? Holla, da drinnen,
Der König ist's, der Herr in diesem Haus,
Für mich gibt's hier kein Schloß und keine Tür.

(Eine Kammerfrau tritt aus der Türe.)

Versperrt Ihr Euch?

Kammerfrau.
Die Kön'gin, Majestät –

(da der König mit starkem Schritte hineingehen will)

Die innre Tür auch hat sie selbst verschlossen.

König.
Eindringen will ich nicht. Sagt ihr denn an
Ich sei zurück und lasse sie entbieten –
Vielmehr sagt: bitten, wie ich's jetzt gesagt.

(Die Kammerfrau geht. – König dem Throne gegenüberstehend.)

Du hoher Sitz, die andern überragend,
Gib, daß wir niedriger nicht sei'n als du,
Auch ohne jene Stufen, die du leihst,
Das Maß einhalten des was groß und gut.

(Die Königin kommt. – König ihr mit ausgestreckter Hand entgegengehend.)

Lenore, sei gegrüßt!

Königin.
Seid uns willkommen

König.
Und nicht die Hand?

Königin.
Ich freu mich Euch zu sehn.

König.
Und nicht die Hand?

Königin (in Tränen ausbrechend).
O Gott und Vater!


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