Franz Grillparzer
Die Jüdin von Toledo
Franz Grillparzer

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Rahel.
Seht Euren König nur! Er glaubt zu lieben,
Und doch, sprech ich zu Euch, drück Euch die Hand,
Ihn kümmert's nicht, und wie ein guter Hauswirt
Vollbringt er den geschäftig lauten Tag,
Zufrieden, schließt der Abend nur die Rechnung.
Geht nur! Ihr seid wie er und wie die andern alle.
Wär' meine Schwester hier! Sie ist besonnen
Und klüger weit als ich; doch fällt der Funke
Von Willen und Entschluß in ihre Brust,
Dann lodert sie in gleichen Flammen auf.
Wär' sie ein Mann, sie wär' ein Held. Ihr alle
Erläget ihrem Blick und ihrem Mut;
Ich will indes nur schlafen bis sie kommt,
Bin ich doch selbst ein Traum nur einer Nacht.
(Sie legt den Kopf auf den Arm und diesen auf die Kissen.)

Garceran (zu dem Könige tretend, der stehengeblieben ist und auf die Ruhende hinschaut).
Erlauchter Herr!

König (noch immer hinblickend).
Wie meinst du?

Garceran.
Wenn's genehm
Kehr ich zurück ins Lager, zu dem Heer.

König (wie oben).
Das Heer verließ das Lager? und warum?

Garceran.
Ihr hört mich nicht. Ich selber will dahin.

König.
Und wirst erzählen dort und meinen, schwatzen.

Garceran.
Wovon?

König.
Von mir, von dem, was hier geschah.

Garceran.
Dazu müßt' ich vor allem es verstehn.

König.
Ja so! – Glaubst du an Wunder, Freund?

Garceran.
Beinahe.
Seit kurzem, Herr!

König.
Und weshalb nur seit kurzem?

Garceran.
Man liebt doch sonst nur was man achtet auch,
Doch Liebe und Verachtung, hoher Herr –

König.
Verachtung wär' ein viel zu hartes Wort!
Nichtachtung etwa, doch bleibt's wunderbar.

Garceran.
Das Wunder freilich ist ein wenig alt,
Und stammt von jenem Tag im Paradies,
Wo Gott das Weib schuf aus des Mannes Rippe.

König.
Doch schloß er auch die Brust, nachdem's geschehn
Und gab den Eingang in die Hut des Willens.
Du sollst zum Heer, doch nicht allein, mit mir.

Rahel (sich emporrichtend).
Die Sonne schleicht sich ein in mein Versteck,
Wer stützt den Umhang mir nach jener Seite?
(Rechts in die Szene blickend.)
Dort gehn zwei Männer, schwere Waffen tragend,
Die Lanze paßte gut für meinen Zweck.
(In die Szene rufend.)
Hierher! Nach hier! Hört ihr denn nicht? und schnell!

(Der abgesendete Diener und ein zweiter, von denen jener Helm und Lanze, der andere Schild und Brustharnisch des Königs tragen, kommen.)

Rahel.
Gebt Eure Lanze, guter Mann und stoßt sie
Hier mit der Spitze in den Boden ein
Damit das Dach gestützt nach jener Seite
Und breiter dann der Schatten, den es wirft, –
– Macht Ihr's! – Nun gut! – Und jener zweite,
Er trägt, der Schnecke gleich, sein eigen Haus,
Wenn's nicht vielmehr das Haus für einen andern.
– Weis her den Schild! – Ein Spiegel in der Tat!
Zwar derb, wie alles hier, doch dient's zur Not.

(Der Schild wird ihr vorgehalten.)

Man bringt das Haar in Ordnung, weist zurück
Was sorglos sich zu weit hervorgewagt
Und freut sich, daß uns Gott so löblich schuf.
Allein die Wölbung hier entstellt. Hilf Himmel!
Was für gedunsne Backen. Nein, mein Freund,
Wir sind zufrieden mit der eignen Fülle.
– Nun noch der Helm! Zweckwidrig für den Krieg,
Denn er verhüllt, was siegreich meist, die Augen,
Doch wie geschaffen für der Liebe Streit.
Setzt mir den Helm aufs Haupt! – Ah, Ihr verletzt mich! –
Empört sich der Geliebte und wird stolz
Den Helmsturz nieder! (Das Visier herablassend.) Und er steht in Nacht.
Doch wollt' er etwa gar sich uns entziehn,
Schickt' nach dem Heergerät, uns zu verlassen,
Hinauf mit dem Visier. (Sie tut es.) Es werde Licht!
Die Sonne siegt, verscheuchend alle Nebel.

König (auf sie zugehend).
Du albern spielend, töricht-weises Kind.

Rahel.
Zurück! – Gebt mir den Schild! gebt mir die Lanze!
Man naht mir mit Gewalt. Ich schütze mich.

König.
Streck deine Waffen nur! Dir naht kein Arg.
(Ihre beiden Hände fassend.)

(Esther kommt von rückwärts, links.)

Rahel.
Ah du, mein Schwesterlein! Sei mir gegrüßt!
Fort mit der Mummerei! Nur schnell, nur schnell!
Ihr reißt den Kopf mir mit! Seid Ihr nicht tölpisch!
(Ihr entgegeneilend.)
Willkommen noch einmal, o Schwester mein
Wie hab ich mich gesehnt nach deiner Nähe!
Und bringst du mir das Armband und die Spangen,
Die Salben mir und Wohlgerüche mit,
Die in Toledo feil und ich bestellt?

Esther.
Ich bringe sie, zugleich mit schwerern Dingen,
Mit übler Nachricht, die gar böser Schmuck.

Erlauchter Herr und Fürst! Die Königin
Hat von Toledos Mauern sich entfernt
Nach jenem Lustschloß wo zum erstenmal
Zu unserm Unheil, Herr, wir Euch gesehn.
(Zu Garceran.) Zugleich mit ihr ging Euer edler Vater
Manrique Lara, rings mit offnen Briefen
Bescheidend all des Reiches Standesherrn
Um zu beraten das gemeine Beste.
Als wäre herrenlos das Königreich
Und Ihr gestorben, der Ihr Herr und König.

König.
Ich denke wohl du träumst.

Esther.
Ich wache, Herr.
Vor allem für das Leben meiner Schwester
Die man bedroht und die zuletzt das Opfer.

Rahel.
O weh mir, weh! Bat ich Euch denn nicht längst
Zu scheiden, Herr, zurückzugehn an Hof
Und dort zu stören meiner Feinde Trachten?
Allein Ihr bliebt. Seht, hier sind Eure Waffen:
Der Helm, der Schild und dort der lange Speer.
Ich sammle sie. – Doch ich vermag es nicht.

König (zu Esther).
Sorg du für jene Törin, die sich zehnmal
In jedem Atemzuge widerspricht.
Ich will an Hof; doch brauch ich keiner Waffen.
Mit offner Brust, mit unbewehrtem Arm
Tret ich in meiner Untertanen Mitte
Und frage: wer sich aufzulehnen wagt.
Sie sollen wissen daß ihr Herr noch lebt
Und daß die Sonne tot nicht wenn es Abend
Daß sie am Morgen neu sich strahlend hebt.
Du folgst mir Garceran!

Garceran.
Seht mich bereit.

Esther.
Doch Herr, was wird aus uns?

Rahel.
O bleibt doch, bleibt!

König.
Das Schloß ist fest, der Kastellan bewährt,
Er wird euch schützen mit dem eignen Leben.
Denn fühl ich gleich, daß ich, wie sehr, gefehlt,
Soll niemand drunter leiden, der, vertrauend
Auf meinen Schutz, so Schuld als Fehl geteilt.
Komm, Garceran! Vielmehr geh du voraus,
Denn fänd' ich jene Stände noch versammelt,
Von mir berufen nicht und nicht berechtigt,
So müßt' ich strafen, und das will ich nicht.
Drum heiß sie schnell nur auseinandergehn.
Und deinem Vater sag: War er mein Schützer
Und mein Vertreter in der Knabenzeit,
So weiß ich selber nun mein Recht zu schützen,
Auch gegen ihn und gegen jedermann.
Komm nur! Und ihr lebt wohl!

Rahel (sich ihm nähernd).
Erlauchter Herr!

König.
Laß jetzt! Ich brauche Kraft und festen Willen
Und möchte nicht im Abschied mich erweichen.
Ihr hört von mir, wenn ich mein Amt geübt,
In welcher Art und was die Zukunft bringt
Hüllt Dunkel noch und Nacht. Für jeden Fall
Setz ich mein Wort an euern Schirm und Schutz.
Komm Garceran. Mit Gott! Er sei mit euch.

(Der König und Garceran nach der linken Seite ab.)

Rahel.
Er liebt mich nicht, ich hab es längst gewußt.

Esther.
O Schwester, nutzlos ist das späte Wissen
Das kommt wenn uns der Schade schon belehrt.
Ich warnte dich, du hast mich nicht gehört.

Rahel.
Er war so heiß und feurig im Beginn.

Esther.
Nun gleicht er kühl die Übereilung aus.

Rahel.
Was aber wird aus mir, die ich vertraut?
Laß uns entfliehn!

Esther.
Die Straßen sind besetzt
Das ganze Land in Aufruhr gegen uns.

Rahel.
So soll ich sterben denn und bin noch jung,
Und möchte leben noch. Zwar leben nicht
Nein, tot sein unverwarnt und unverhofft.
Der Augenblick des Sterbens nur erschüttert.
(An Esthers Halse.)
Unglücklich bin ich, Schwester, rettungslos!
(Nach einer Pause, mit von Schluchzen unterbrochener Stimme.)
Und ist das Halsband auch mit Amethysten
Das du gebracht?

Esther.
Es ist. Mit Perlen auch
So hell wie deine Tränen und so reichlich.

Rahel.
Ich will es gar nicht sehn. Nur später etwa
Wenn unsre Haft sich dehnt zu längrer Zeit,
Zerstreuung heischt das ew'ge Einerlei,
Versuch ich es, und schmücke mich zum Tod.
Doch sieh, wer naht? – Ha, ha, ha, ha! Fürwahr
Ist's unser Vater nicht? und zwar in Harnisch.

(Isaak, eine Sturmhaube auf dem Kopfe und einen Brustharnisch unter seinem langen Rocke, kommt von links.)

Isaak.
Ich bin's, der Vater ungeratner Kinder
Die meinen Tag verkürzen vor der Zeit.
In Harnisch, ja. Droht denn der Mörder nicht?
Schützt sich der Leib von selber vor dem Dolch?
Ein unversehner Schlag zerschellt den Kopf.
Auch birgt der Harnisch mir die Wechselbriefe,
Die Taschen tragen das ersparte Gold
Das grab ich ein und schütze Leib u Seele
Vor Armut und vor Tod. Und lacht ihr mein,
So geb ich euch den Fluch des Patriarchen,
Der Isaak hieß wie ich; ihr mit der Stimme
Des frommen Jakob und mit Esaus Händen,
Nur mit verkehrtem Recht der Erstgeburt.
Ich sorg um mich. Was kümmert ihr mich länger!
Horch!

Rahel.
Welch Geräusch?

Esther.
Man zieht die Brücken auf.

Rahel.
Ein Zeichen, daß der König aus den Toren.
So eilt er fort! Wird er auch wiederkehren?
Ich fürchte: nein! Das Äußerste befürcht ich.
(An Esthers Brust sinkend.)
Und hab ihn, Schwester, wahrhaft doch geliebt.

(Der Vorhang fällt.)


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