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Die Kleinseite in Prag, wie zu Anfang des ersten Aufzuges.
Die Sturmglocke wird gezogen. Man hört schießen.
Bürger treten fliehend auf.
Ein Bürger. Flieht Nachbar, flieht! 's ist das Passauer Kriegsvolk.
Der Kaiser hat sie in das Land gerufen,
Erzherzog Leopold sein Neffe führt sie.
Prokop (aus seinem Hause tretend).
Was ist? was soll's?
Bürger. Ihr wißt ja: die Passauer.
Prokop. Doch ist die Stadt bewahrt.
Bürger. Man hat die Pforte
Geöffnet ihnen oben am Hradschin
Und nun ergießt der Trupp sich durch die Straßen.
Prokop (sein Schwert ziehend).
So greift zur Wehr!
Bürger. Dort, seht Ihr? kommt ein Trupp.
Prokop. Schließt euch und haltet aus! Ist doch die Stadt
Von Männern voll. Tut jeder seine Pflicht,
So lehren wir den Räubern wohl die Reue.
(Gegen sein Haus gewendet.)
Dich, Kind, indes befehl ich Gottes Hut.
Der ist kein Bürger, der die eigne Sorge
Vergißt nicht in der Not des Allgemeinen.
Zieht euch zu jener Ecke, sie gibt Schutz,
Und gehn sie vor, so fallt in ihre Seiten.
(Sie ziehen sich zurück. – Oberst Ramee tritt auf mit Soldaten.)
Ramee (zu einigen, die ihre Gewehre anschlagen).
Halt ein mit Schießen! Es erweckt die Schläfer.
Wir überfallen sie, und ohne Blut,
So will es der Erzherzog, sind wir Sieger.
Drängt nicht zu scharf! Denn rasch in ihrem Rücken
Eilt eine Reiterschar der Moldau zu,
Besetzt die Brücke, dringt ins offne Tor;
Die Altstadt unser, sind wir Herrn von Prag.
(Trompeten in weiter Ferne.)
Ramee. Die Brücke ist genommen. Jetzt auf sie!
(Mit den Soldaten nach der rechten Seite ab. Man hört Lärm des Gefechts. – Don Cäsar im Wams, ohne Hut, kommt von einigen Soldaten umgeben.)
Cäsar. Ich dank euch, Freunde, daß ihr mich entledigt
Der bittern Haft, in der mich hielt die Willkür,
Um jener wegen, die dort oben wacht.
(Auf Prokops Haus zeigend, in dessen oberem Geschoß ein Licht brennt.)
Ich will mit euch, will kämpfen, fechten, sterben,
Gleichviel für wen und gleichviel gegen wen;
Den der mich tötet nenn ich meinen Freund.
Doch vorher noch ein Wörtchen oder zwei
Mit ihr, die mich verdarb.
(Da einige sich der Türe nähern.)
Halt, kein Geräusch!
Ich kenne die Gelegenheit des Hauses,
Aus früh'rer Zeit. Dort rückwärts an der Mauer
Ist noch ein Pförtchen das ins Innre führt,
Von wo zwei Treppen nach der Gartenseite
Zum Söller steigen nächst an ihr Gemach.
Dort sei's versucht und ihr bewahrt den Eingang!
(Sie verlieren sich hinter dem Hause.)
Zimmer in Prokops Hause. An der linken Seite ein Fenster. Gegenüber eine Türe. Im Hintergrunde zwei andere, worunter eine Glastüre, die nach dem Söller führt.
Lukrezia. (tritt aus der Seitentüre links).
Es kommt der Tag, allein mein Vater nicht.
Ich hörte schießen, schrein, Geklirr der Waffen
Und er verläßt sein Kind in dieser Not.
O daß die Männer nur ins Weite streben!
Sie nennen's Staat, das allgemeine Beste,
Was doch ein Trachten nach dem Fernen nur.
Gibt's denn ein Bestes, das nicht auch ein Nächstes?
Mein Herz sagt nein, nächstpochend an die Brust.
(Ans Fenster tretend.)
Nun ist es ruhig und der graue Schein
Vom Ziskaberg verkündet schon die Sonne.
(Rasch umgewendet.)
Hör ich Geräusch und kehrt mein Vater heim?
(Die Glastüre des Söllers öffnet sich und Don Cäsar tritt ein.)
Don Cäsar. Viel Glück ins Haus!
Lukrezia. O Gott, so schaut das Unglück!
Don Cäsar. Erschreckt nicht holde Maid! Ich bin es selbst;
Und bin's auch nicht. Die Asche nur des Feuers,
Das einst für Euch geglüht, Ihr wißt wie heiß;
Der Schatten nur des Wesens das ich war.
Und selbst der letzte Schimmer dieses Daseins,
Der noch ins Dunkel strahlt, das Leben heißt,
Kommt zu verlöschen mir in dieser Nacht.
Ich geh in Kampf und weiß ich werde fallen,
Die Ahnung trügt nicht wenn vom Wunsch erzeugt.
Was soll ich auch in dieser wüsten Welt,
Ein Zerrbild zwischen Niedrigkeit und Größe;
Verleugnet von dem Manne der mein Vater,
Mißachtet von dem Weib das ich geliebt. –
Erzittert nicht! Davon ist nicht die Rede.
Die Leidenschaften und die heißen Wünsche,
Die mich bewegt, sie liegen hinter mir,
Ich habe sie begraben, eingesargt.
Was ist es auch – ein Weib? Halb Spiel, halb Tücke,
Ein Etwas, das ein Etwas und ein Nichts,
Je demnach ich mir's denke, ich, nur ich.
Und Recht und Unrecht, Wesen, Wirklichkeit,
Das ganze Spiel der buntbewegten Welt,
Liegt eingehüllt in des Gehirnes Räumen,
Das sie erzeugt und aufhebt wie es will.
Ich plagte mich mit wirren Glaubenszweifeln,
Ich pochte forschend an des Fremden Tür,
Gelesen hab ich und gehört, verglichen,
Und fand sie beide haltlos, beide leer.
Vertilgt die Bilder solchen Schattenspiels,
Blieb nur das Licht zurück, des Gauklers Lampe,
Das sie als Wesen an die Wände malt,
Als einz'ge Leidenschaft der Wunsch: zu wissen.
Laßt mich erkennen Euch, nur deshalb kam ich;
Zu wissen was Ihr seid, nicht was Ihr scheint.
Denn wie's nur eine Tugend gibt: die Wahrheit,
Gibt's auch ein Laster nur: die Heuchelei.
Lukrezia. Mir aber dünkt, der Heuchler, wie Ihr's nennt,
Zeigt mindstens Ehrfurcht vor dem Heil'gen, Großen,
Das Eure Wahrheit leugnet wenn sie's schmäht.
Don Cäsar. So seid Ihr Heuchlerin?
Lukrezia. Ich war es nie.
Don Cäsar. Ich fürchte doch: ein bißchen, holde Maid.
Als ich, nun lang, zum erstenmal Euch sah,
Da schien mir alle Reinheit, Unschuld, Tugend
Vereint in Eurem jungfräulichen Selbst;
Zeigt wieder Euch mir also, laßt mich glauben!
Und wie der Mann der abends schlafen geht
Von eines holden Eindrucks Macht umfangen,
Er träumt davon die selig lange Nacht,
Und beim Erwachen tritt dasselbe Bild
Ihm mit dem Sonnenstrahl zugleich vors Auge.
So gebt mir Euch, Euch selber auf die Reise
Von der zurück der Wandrer nimmer kehrt.
Kein Weib, ein Engel; nicht geliebt, verehrt.
Lukrezia. Wie ohne Grund Ihr mich zu hoch gestellt,
So stellt Ihr mich zu tief nun ohne Grund.
Don Cäsar. Nicht doch, nicht doch! – Ihr stießet mich zurück.
Ich mußt' es dulden, manchen Fehls bewußt.
Doch seht, da war ein Mann, Belgioso hieß er,
Ein Heuchler und ein Schurk'
Lukrezia. Er war es nicht.
Don Cäsar. Verteidigt Ihr ihn denn?
Lukrezia. Wer klagt ihn an?
Don Cäsar. Ich, der ich ihn gekannt. – Er hielt zu mir;
In all dem Treiben das mit Recht man tadelt,
Im wilden Toben war er mein Genoss'.
Doch ging er hin und zeigt' es heimlich an
Und brachte mich um meines Vaters Liebe.
Lukrezia. Der laute Ruf erspart' ihm diese Müh'.
Don Cäsar. Die Welt hat Recht zum Tadel, nicht der Freund.
Doch plötzlich kehrt' er sichtlich mir den Rücken,
Zu gleicher Zeit betrat er Euer Haus.
Lukrezia. Er war der Freund des Vaters, nicht der meine.
Don Cäsar. Als Freund des Vaters denn nahmt Ihr ihn auf,
Doch als der Eure, denk ich, kam er wieder,
War Mitbewohner fast in diesem Haus,
Bei Tag, bei Nacht.
Lukrezia. Zu Abend wollt Ihr sagen,
Im Beisein meines Vaters, anders nie.
Don Cäsar. Ich aber stand genüber auf der Straße
Mit Reif und Schnee bedeckt und sah empor
Zum Fenster, wo die Schatten Glücklicher
Wie Mücken flogen um den Strahl des Lichts.
Da endlich kam der Tag, der ihn bestrafte.
Lukrezia. Erinnert Ihr mich noch an seinen Tod?
Don Cäsar. Nicht ich tat's, noch geschah's um meinetwillen,
Das Euch zu sagen kam zumeist ich her.
Feldmarschall Rußworm, zwar mein Freund und Lehrer,
Doch Täter seiner Taten er allein,
Im Streit, beim Spiel, was weiß ich? oder sonst
Hat ihn besiegt in ehrlichem Gefecht
Wie's Edelleute pflegen und Soldaten.
Und wißt Ihr welches Los ward meinem Freund?
Der Kaiser ließ auf offnem Marktplatz ihm
Das Haupt vom Rumpfe trennen, angesichts
Des ganzen Volks, beinah vor meinen Augen.
Gedenk' ich jenes Tags, so gärt's in mir,
Und blutige Gedanken werden wach.
Stünd' er vor mir der heuchelnde Verräter,
Nicht damals tat ich's, aber jetzt geschäh's:
Das Schwert bis an das Heft in seiner Brust,
Bezahlt' er mir die Schrecken jener Stunde.
Lukrezia. O Gott, wer rettet mich?
Don Cäsar. Seid nicht besorgt!
Mir ist's, sagt' ich, um Wahrheit nur zu tun.
Glaubt nicht auch, daß mich Eifersucht bewegt!
Die Eifersucht ist Demut, ich bin stolz,
Verachtung liegt mir näher als der Haß.
Doch daß Ihr von erlogner Tugend Höhe
Herabseht auf die Welt, auf mich, auf alle,
Den gleichen Fehl verhehlend in der Brust,
Das soll nicht sein. Fluch aller Heuchelei!
Sagt mir. ich liebt' ihn den geschiednen Freund,
Ich liebt' ihn, weil sein Antlitz zart und weiß,
Ich liebt' ihn, weil sein Haar von Salben duftend,
Ich liebt' ihn, weil ich töricht, albern, schwach,
Sagt's, und ich laß Euch frei.
Lukrezia. Ich liebt' ihn nicht;
Nur Gott hat meine Liebe und mein Vater.
Don Cäsar. Recht gut, recht schön! – Doch wes ist dieses Bild
– Ich bin vertraut mit Eures Hauses Räumen –
(die Seitentüre öffnend)
Wes ist das Bild das hängt an jener Wand,
Vom Licht der Lampe buhlerisch beschienen?
Ist's Belgiojosos nicht? Ertappt, ertappt!
Lukrezia. Mein Vater hängt' es hin.
Don Cäsar. Und Ihr Madonna,
Ihr rücktet Euern Schemel zum Gebet
Hart an das Bild, daß wenn die Lippen beten,
Das Herz zugleich schwelgt in Erinnerungen,
Erinnerungen die – Und wenn ich tot,
Lacht an der Seite eines neuen Buhlen
Ihr mein und meiner Liebe, wie Ihr lachtet
An Belgiojosos Hand.
(Lukrezia entflieht ins Seitengemach.)
Cäsar. Nicht dort hinein!
Nicht dort hinein vor meines Feindes Bild,
Des Heuchlers, Heuchlerin! – Ringst du die Hände
Zu ihm als deinem Heil'gen?
(Er hat eine Pistole aus dem Gürtel gezogen, die er jetzt in der Richtung der offnen Türe abschießt.)
Folg ihm nach!
– Was ist geschehn?
(In die Türe blickend.)
Weh mir! – O meine Taten!
(Er wirft sich auf ein Knie, die Augen mit den Händen bedeckend. – Ein Hauptmann kommt mit Soldaten.)
Hauptmann. Hier fiel ein Schuß und er ist in der Nähe.
Prokop (der sich durch die Soldaten drängt).
Lukrezia mein Kind!
(An der offenen Türe.)
Oh! greulich, gräßlich!
(Er stürzt hinein, die Türe schließt hinter ihm.)
Hauptmann (Don Cäsar emporrichtend).
Wir suchten Euch!
Don Cäsar. Nun denn Ihr habt gefunden.
Gibt's Richter noch in Prag?
Hauptmann. Es gibt sie wieder.
Der Feind hinausgeschlagen aus der Stadt,
Kehrt Ordnung und das Recht zurück von neuem.
Don Cäsar. So richtet mich! Erspart mir selbst die Müh'.
(Er geht auf die Hintertüre zu, von den Soldaten gefolgt.)
Prokop (in der Seitentüre erscheinend).
Hieher, hieher! Vielleicht ist Hilfe möglich.
(Einige Diener, die während des Vorigen gekommen sind, folgen ihm ins Seitengemach. – Alle ab.)