Franz Grillparzer
Ein Bruderzwist in Habsburg
Franz Grillparzer

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Dritter Aufzug

Zimmer im Schlosse auf dem Hradschin. Rechts im Hintergrunde eine türförmige Öffnung, in der ein Schmelztiegel auf einem chemischen Ofen steht. Daneben der Haupteingang.

Kaiser Rudolf kommt aus einer Seitentüre rechts.

Rudolf. He Martin, Martin! Plagt dich denn der Böse?
Ist alles denn verworren und verkehrt?
Es fehlt an Kohlen, Kohlen.

(Ein Mann in berußter Jacke und Mütze, einen Korb Kohlen am Arme, ist eingetreten.)

Rudolf.         Träger Zaudrer!
Besorgt denselben Dienst seit dreißig Jahren
Und gafft und glotzt als wär's zum erstenmal.

(Der Mann beschäftigt sich im Hintergrunde.)

Wo schüttest du die Kohlen hin? Carajo!
Scheint's doch du willst mir die Retorte füllen
Und nicht den Herd. Verwünschter Schlingel!
Bist du bezahlt zu Tode mich zu ärgern?

Der Mann (nach vorn kommend, seine Mütze abnehmend und sich auf ein Knie niederlassend).
Verzeiht, o Herr, ich bin's nur nicht gewohnt.

Rudolf. Du bist nicht Martin! – Fuego de Dios!

(Der Mann hat auch das Wams geöffnet.)

Rudolf. Ah – Herzog Julius von Braunschweig Liebden!
Wie kommt Ihr her? und doch zumeist
(Mißtrauisch mehrere Schritte zurücktretend.) Was wollt Ihr?

Herzog Julius. Seit vierzehn Tagen such ich Audienz
Und konnte nun und nimmer sie erhalten,
Da griff ich in der Not zu dieser List.
Verzeiht dem Treuen der es gut gemeint.

Rudolf. Ha, ha, ha, ha! Kein übler Spaß! Steht auf!
Ihr könnt nun wenigstens dem Volk bestätigen,
Daß ich noch lebe, was man, heißt's, bezweifelt.

Julius (der aufgestanden ist).
Bezweifelt, und mit Recht.

Rudolf.         Ja alter Freund,
Damit ich lebe muß ich mich begraben,
Ich wäre tot, lebt' ich mit dieser Welt.
Und daß ich lebe ist vonnöten Freund.
Ich bin das Band, das diese Garbe hält,
Unfruchtbar selbst, doch nötig, weil es bindet.

Julius (der den Kittel ausgezogen und auf einen Stuhl gelegt hat).
Doch wird das Band nun locker, Majestät?

Rudolf. Mein Name herrscht, das ist zur Zeit genug.
Glaubst: in Voraussicht lauter Herrschergrößen
Ward Erbrecht eingeführt in Reich und Staat?
Vielmehr nur: weil ein Mittelpunkt vonnöten,
Um den sich alles schart was Gut und Recht
Und widersteht dem Falschen und dem Schlimmen,
Hat in der Zukunft zweifelhaftes Reich
Den Samen man geworfen einer Ernte,
Die manchmal gut und vielmal wieder spärlich.
Zudem gibt's Lagen wo ein Schritt voraus
Und einer rückwärts gleicherweis' verderblich.
Da hält man sich denn ruhig und erwartet
Bis frei der Weg, den Gott dem Rechten ebnet.

Julius. Doch wenn Ihr ruht, ruhn deshalb auch die andern?

Rudolf. Sie regen sich, doch immerdar im Kreis.
Die Zeit hat keine Männer, Freund wie Feind.

Julius. Allein der Krieg in Ungarn?

Rudolf.         Der ist gut.
Den Krieg, ich haß ihn als der Menschheit Brandmal
Und einen Tropfen meines Blutes gäb' ich
Für jede Träne, die sein Schwert erpreßt;
Allein der Krieg in Ungarn der ist gut.
Er hält zurück die streitenden Parteien,
Die sich zerfleischen in der Meinung schon.
Die Türkenfurcht bezähmt den Lutheraner,
Der Aufruhr sinnt in Taten wie im Wort,
Sie schreckt den Eifrer meines eignen Glaubens,
Der seinen Haß andichtet seinem Gott.
Fluch jedem Krieg! Doch besser mit den Türken,
Als Bürgerkrieg, als Glaubens-, Meinungsschlachten.
Hat erst der Eifer sich im Stehn gekühlt,
Die Meinung sich gelöst ins eigne Nichts,
Dann ist es Zeit zum Frieden, dann mein Freund,
Soll grünen er auf unsern lichten Gräbern.

Julius. Allein der Friede ward geschlossen.

Rudolf.         Ward.
Ich weiß, doch nicht bestätiget von mir,
Und also ist es Krieg bis Gott ihn schlichtet.
Doch daß ich nicht auf Zwist und Streit gestellt –
Siehst du? ich schmelze Gold in jenem Tiegel.
Weißt du wozu? – Es hört uns niemand mein ich. –
Ich hab erdacht im Sinn mir einen Orden,
Den nicht Geburt und nicht das Schwert verleiht,
Und Friedensritter soll die Schar mir heißen.
Die wähl ich aus den Besten aller Länder,
Aus Männern, die nicht dienstbar ihrem Selbst,
Nein, ihrer Brüder Not und bitterm Leiden;
Auf daß sie weithin durch die Welt zerstreut,
Entgegentreten fernher jedem Zwist,
Den Ländergier und was sie nennen: Ehre,
Durch alle Staaten sät der Christenheit,
Ein heimliches Gericht des offnen Rechts.
Dann mag der Türke dräun, wir drohn ihm wieder.
Nicht außen auf der Brust trägt man das Zeichen,
Nein innen wo der Herzschlag es erwärmt,
Es sich belebt am Puls des tiefsten Lebens.
Mach auf dein Kleid! – Wir sind noch unbemerkt.
(Er hat aus der Schublade des Tisches eine Kette mit daranhängender Schaumünze hervorgezogen.)
Der Wahlspruch heißt: Nicht ich, nur Gott. – Sprich's nach!

Julius (der sein Kleid geöffnet und sich auf ein Knie niedergelassen hat).
Nun denn. Nicht ich, nur Gott – und Ihr!

Rudolf. Nein wörtlich.

Julius.         Nicht ich, nur Gott.

Rudolf (nachdem er ihm die Kette umgehangen).
                Nun aber schließ die Hülle,
Daß niemand es erblickt. Du bist ein Ketzer,
Allein ein Ehrenmann. So sei geehrt.

Julius (der aufgestanden ist).
O Herr, wenn Ihr dem Andersmeinenden,
Ihr mir die Huld verleiht, die mich beglückt,
Warum versöhnt Ihr nicht den Streit der Meinung
Und gebt dem Glauben seinen Wert: die Freiheit,
Euch selbst befreiend so zu voller Macht?

Rudolf. Zu voller Macht? Die Macht ist's was sie wollen.
Mag sein, daß diese Spaltung im Beginn
Nur mißverstandne Satzungen des Glaubens,
Jetzt hat sie gierig in sich eingezogen
Was Unerlaubtes sonst die Welt bewegt.
Der Reichsfürst will sich lösen von dem Reich,
Dann kommt der Adel und bekämpft die Fürsten;
Den gibt die Not, die Tochter der Verschwendung
Drauf in des Bürgers Hand, des Krämers, Mäklers,
Der allen Wert abwägt nach Goldgewicht.
Der dehnt sich breit und hört mit Spotteslächeln
Von Toren reden, die man Helden nennt,
Von Weisen, die nicht klug für eignen Säckel,
Von allem was nicht nützt und Zinsen trägt.
Bis endlich aus der untersten der Tiefen
Ein Scheusal aufsteigt, gräßlich anzusehn
Mit breiten Schultern, weitgespaltnem Mund,
Nach allem lüstern und durch nichts zu füllen.
Das ist die Hefe, die den Tag gewinnt
Nur um den Tag am Abend zu verlieren,
Angrenzend an das Geist- und Willenlose.
Der ruft: Auch mir mein Teil, vielmehr das Ganze!
Sind wir die Mehrzahl doch, die Stärkern doch,
Sind Menschen so wie ihr, uns unser Recht!

Des Menschen Recht heißt hungern, Freund, und leiden,
Eh' noch ein Acker war, der frommer Pflege
Die Frucht vereint, den Vorrat für das Jahr;
Als noch das wilde Tier, ein Brudermörder,
Den Menschen schlachtete der waffenlos,
Als noch der Winter und des Hungers Zahn
Alljährlich Ernte hielt von Menschenleben.
Begehrst ein Recht du als ursprünglich erstes,
So kehr zum Zustand wieder der der erste.
Gott aber hat die Ordnung eingesetzt,
Von da an ward es licht, das Tier ward Mensch.

Ich sage dir: nicht Szythen und Chazaren,
Die einst den Glanz getilgt der alten Welt,
Bedrohen unsre Zeit, nicht fremde Völker:
Aus eignem Schoß ringt los sich der Barbar,
Der, wenn erst ohne Zügel, alles Große,
Die Kunst, die Wissenschaft, den Staat, die Kirche
Herabstürzt von der Höhe, die sie schützt,
Zur Oberfläche eigener Gemeinheit,
Bis alles gleich, ei ja, weil alles niedrig.
(Er setzt sich.)

Julius. Ihr schätzt die Zukunft richtig ab, das Ganze,
Doch drängt das Einzelne, die Gegenwart.

Rudolf. Mein Haus wird bleiben, immerdar, ich weiß,
Weil es mit eitler Menschenklugheit nicht
Dem Neuen vorgeht oder es begleitet,
Nein, weil es einig mit dem Geist des All,
Durch klug und scheinbar unklug, rasch und zögernd,
Den Gang nachahmt der ewigen Natur,
Und in dem Mittelpunkt der eignen Schwerkraft
Der Rückkehr harrt der Geister, welche streifen.

Julius. Doch Eure Brüder denken nicht wie Ihr.

Rudolf. Mein Bruder ist nicht schlimm, obgleich nicht klug.
Ich geh ihm Spielraum, er begehrt zu spielen.

Julius. War's Spiel? daß eigner Macht er schloß den Frieden,
Ist's Spiel? da er den Herren spielt im Land?

Rudolf. Du spielst mit Worten wie er mit der Macht.

Julius. Man sagt, der Türke hab ihm angeboten
Die Krone Ungarns.

Rudolf.         Sagt! Die Krone Ungarns.
Der Türke hat das Land. Was soll das Zeichen?

Julius. Die Protestanten, – Herr, ich bin ein Protestant,
Doch nur im Glauben, nicht in Widersetzung –
Sie haben ihm als Preis der Glaubensübung
Beistand geschworen wider männiglich.

Rudolf. Mein Bruder ist katholischer als ich.
Er ist's aus Furcht, indes ich's nur aus Ehrfurcht.
Die Glaubensfreiheit stünde gut mit ihm!

Julius. So nützt er sie um später sie zu täuschen.
Die Wirkung bleibt die nämliche für jetzt.
In Mähren greift die Regung schon um sich
Und fremde Truppen ziehen durch die Städte.

Rudolf. Das ist der Tilly, den ich hingesandt –
Ich bin so blind nicht all ihr etwa glaubt –
Der hält das Land in Zaum.

Julius.         Es sind die Völker
Aus Eures Bruders ungarischem Heer.
In Böhmen selbst –

Rudolf.         Du weißt nicht was du sprichst.
Die Böhmen sind ein starres Volk, doch treu.

Julius. Vor allem treu stammalter Überzeugung.
Der Huß ist tot, doch neu regt sich sein Glaube.
In Prag hält man schon Rat und knüpft Vereine.

Rudolf (gegen die Türe gewendet).
Und das verschweigt man mir?

Julius.         Verzeiht o Herr!
Man will es Euch gemeldet haben, doch –

Rudolf. Der eine sagt mir dies, der andre das,
Wie's ihm sein Vorteil eingibt, seine Meinung.
Arm sind wir Fürsten, wissen das Geheime,
Allein das Offenkund'ge, was der Bettler weiß,
Der Tagelöhner, bleibt uns ein Geheimnis.
Auch war soviel zu tun in letzter Zeit.
Der Schotte Dee war hier. Ein Mann der Wunder,
Der eindringt in die Urnacht des Geschaffnen
Und sie erhellt mit gottgegebnem Licht.
Ich habe viel gelernt in dieser Zeit.
Hätt' ich gleich ihm nur einen mir zur Seite,
Ich stünde dieser Welt und ihrem Dräun.

Julius. Ihr seid verraten, hoher Herr, verkauft.
Indes Ihr lernt, lehrt Ihr der Welt den Aufruhr,
Der schon entfesselt tobt in Euern Städten.

Rudolf. Hast du's gesehn?

Julius.         Ich nicht.

Rudolf.                 So sprich auch nicht!
Ein jeder sieht ein andres, nein, sieht nichts
Und gibt den Rat, der nichtig schon von vornher.

Julius. Ein Mann ist hier, er kommt von Brünn und Wien.
Er hat gesehn. Es ist derselbe, Herr,
Der Euern Flüchtling rückgebracht – Don Cäsar.

Rudolf. Bring ihn zu mir den Mann! Ich will ihn sprechen.
Er hat geleistet mir den höchsten Dienst,
Der mir erwiesen ward seit langen Jahren.

Julius. Er ist im Vorgemach.

Rudolf.         Warum nicht hier?
Was zögert er? Warum nicht mir genüber?
Don Cäsar! Wie mein Innres sich empört!
Der freche Sohn der Zeit. – Die Zeit ist schlimm,
Die solche Kinder nährt und braucht des Zügels.
Der Lenker findet sich, wohl auch der Zaum.

(Herzog Julius hat indessen Lukrezias Vater eingeführt.)

Rudolf (ihm einige Schritte entgegengehend).
Ah du, mein Ehrenmann! (Zurücktretend.) Bleibt immer dort!
Dort an der Tür. Ihr seid ein Bürger Prags?

Prokop. Ich bin es, Majestät.

Rudolf.         Seit wann denn führen
Die Bürger Waffen?

Prokop (auf den Dolch in seinem Gürtel blickend).
        Herr, die böse Zeit
Gebeut zu rüsten sich
(Den Dolch mit der Scheide aus dem Gürtel ziehend, mit einer Bewegung nach der Türe.)
        Doch will ich –

Rudolf.                 Bleibt!
Ihr habt den Flüchtling der sich Cäsar nennt
Gestellt uns als Gefangenen zur Haft.
Wir danken Euch, und denken Eure Tochter
Zu schützen gegen ihn; vorausgesetzt,
Daß sie nicht selbst, wie etwa Weiberart,
Ihn anfangs tändelnd angezogen –

Prokop.         Nein!

Rudolf. Nun Ihr sprecht kurz. Ihr seid ein Protestant?

Prokop. Herr, Utraquist, des böhm'schen Glaubens.

Rudolf.         So!
Warum des böhmischen und nicht des deutschen?
Des welschen, griechisch, span'schen? – Arme Wahrheit!
Vergaß ich fast doch, daß es so viel Kirchen
Als Kirchenräume gibt und – Kirchhofgräber.
Nun gut. Vor Cäsar lebt nur künftig sicher,
Ich will ihn hüten wie des Auges Stern.
Und hört ihr einst er sei zu Nacht gestorben,
So denkt nur: seine Krankheit hieß Verbrechen
Und Strafe war sein Arzt. – Ihr kommt von Wien.
Ich weiß was man dort treibt und halb ich dulde
Und halb ein Wink von meiner Hand zerstreut.
Doch lüstet mich's zu hören was ihr saht,
Ein einfach schlichter Mann.


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