Rudolf Greinz
Aus'm heiligen Landl
Rudolf Greinz

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Jörgl's Erbschaft.

Der Brugger Jörgl aus dem hintersten Ötztal hatte eine Erbschaft gemacht. Natürlich hatte der Jörgl darüber eine ganz narrische Gaudi. Völlig unerwartet war ihm das Geld zugefallen. Eine alte Bas'n irgendwo im Unterland drunten, die er kaum dem Namen nach gekannt hatte, war gestorben. Ihr Vermögen fiel, da sie eine alte Jungfer war, den Verwandten zu.

Auf den Jörgl trafen dreihundert Gulden. Das erschien ihm als ein großes Kapital. Was konnte man da alles anfangen damit! Heiraten wollte er und ein Güatl übernehmen. Das war einmal gewiß.

Der Jörgl war nicht mehr ganz jung. Ende der Vierzig. Ein großer, stämmiger Mensch mit schwarzem verwildertem Bart und Haar. Er war Knecht beim Mooshammer. Die Rosina war Dirn beim gleichen Bauern. Seit Jahren schon hatten sie eine G'spusi miteinander und sparten ihren Lohn zusammen, um dann einmal heiraten zu können.

Und nun kam dieser Glücksfall. Der Jörgl wollte sein Geld persönlich beim G'richt in Innsbruck abholen. Das ließ er sich nicht nehmen.

Die Rosina war noch nie in Innsbruck gewesen. Der Jörgl hätte sie gern mitgenommen. Der Bauer 172 aber ließ sie nicht fort. Der schimpfte schon, daß sein Knecht sich ein paar freie Tage ausbat.

Das letzte Mal war der Jörgl vor zwanzig Jahren in Innsbruck gewesen. Er hatte Mühe, bis er sich in der Stadt zurechtfand. Klopfenden Herzens betrat er das Gerichtsgebäude.

Den Hut, seinen schönen Sonntagshut, hatte er fest unter den Arm gepreßt und stand nun in demütiger Haltung vor dem Beamten, der ihm sein Erbteil ausbezahlen sollte.

»Papier oder Gold?« frug ihn der Beamte.

»Mir war' lieber alles in Silber! Dös dergibt mehra!« grinste der Jörgl.

Der Beamte gab ihm einen großen Teil Silber, das andere in Papier. Hocherhobenen Hauptes verließ der Jörgl das Gerichtsgebäude. Er kam sich wie ein Krösus vor.

Langsam schlenderte er durch die Straßen von Innsbruck und begaffte die Schaufenster. Waren die schön! So etwas hatte der Jörgl seiner Lebtag noch nie gesehen. Was sollte er nun anfangen? Er beschloß, sich einen recht guten Tag zu machen. Nobel und sein wollte er's geben!

Zuerst wollte er seiner Rosina was kaufen. Die sollte auch was haben von seiner Erbschaft. Lange stand er vor den Schaufenstern, unschlüssig, was er einhandeln sollte. Etwas Feines mußte es sein, und etwas ganz Extra's!

Zuletzt erstand er in einer Kunsthandlung ein Bild des Canale grande in Venedig mit Rahmen. Der 173 Rahmen gefiel ihm besonders gut. Ein schwerer Goldrahmen, der prächtig glitzerte. Da würde die Rosina Augen machen!

Mit dem Bild unter'm Arm spazierte er nun vergnügt weiter. Beim Mittagessen, das er in einem guten bürgerlichen Gasthaus verzehrte, hieb er tapfer ein. Auch den Wein ließ er sich schmecken. Nach dem Essen beschloß er, herumzufahren. Die elektrischen Trams imponierten ihm gewaltig. Ab und zu verschwand er auch wieder in einem Wirtshaus.

Als es Abend geworden war, sah er viele Menschen durch die Maria Theresienstraße über den Burggraben eilen. Der Jörgl ging ihnen nach.

Die Leute strebten alle ins Theater. Das war dem Jörgl gerade recht. Im Theater war er noch nie gewesen. Das Bild noch fester unter dem Arm haltend, schritt der Jörgl die Stufen zum Innsbrucker Stadttheater hinan. Im Foyer war alles voll Menschen. Man gab »Die lustige Witwe«.

Der Jörgl pflanzte sich vor der Kasse auf. Vor ihm stand ein elegant gekleideter Herr. Der Jörgl stieß ihn mit seinem Bild ganz unabsichtlich an.

»Sie, passen Sie doch auf!« schimpfte der Herr. Der Jörgl schob das Bild etwas mehr nach rückwärts. Eine ältere, ziemlich beleibte Dame stand hinter ihm.

»Auweh! Auweh! Rennen's mir nit den Bauch ein!« jammerte sie. Der Jörgl war froh, als der elegante Herr den Schalter verließ.

»I möcht' aa an Platz!« verlangte er.

174 »Stehplatz? Galerie? Parkettsitz?« fragte ihn die Dame an der Kasse von oben herab.

»'s Nobelste halt!« sagte der Jörgl.

»Das Nobelste ist eine Loge!« belehrte ihn die Kassierin.

»Nachher a Losch!« forderte er.

»Parterreloge? Ersten Rang?«

»Die öbrigste!« grinste der Jörgl, in der Meinung, daß die höchste auch die beste sei.

»Zehn Kronen!« sagte die Kassierin und schob ihm das Billet hin.

»Waaas?« fragte der Jörgl.

»Zehn Kronen! Schnell, schnell! Ich hab' keine Zeit!«

»Dös kunntest decht a bissel billiger lass'n!« meinte der Jörgl und öffnete langsam seinen Geldbeutel.

»Da wird nicht gehandelt! Zahlen!« Die Kassierin wurde ungeduldig. Die Leute von rückwärts fingen an zu schimpfen und drängen. Den Jörgl störte das nicht.

»Da hast achte!« meinte er und warf vier Gulden auf den Schalter.

»Noch zwei Kronen oder das Billet zurück!« drohte die Kassierin.

»Dö sakra Weiberleut' müass'n decht alleweil recht hab'n!« lachte der Jörgl, bezahlte noch einen Gulden und ging dann bedächtig weiter.

175 Als er seine Loge betrat, fing gerade die Ouvertüre an. Der Jörgl war die ersten fünf Minuten ganz dasig. Das Licht, die vielen eleganten Damen, die Musik verwirrten ihn. Sein Bild hatte er in die Ecke gestellt und sich dann auf einen Sessel gesetzt. Den Hut hatte er am Kopf behalten.

Beim Aufgehen des Vorhangs paßte der Jörgl mit offenem Maul auf wie ein Haftelbeißer. So andächtig war er in der Kirche, wenn der Herr Pfarrer predigte, noch nie gewesen.

Zuerst verstand er einmal gar nichts. Aber wie die Leute da drunten auf der Bühne herumgingen, sangen und tanzten, das gefiel ihm sehr gut. Nach dem ersten Akt fühlte sich der Jörgl in seiner Loge schon ungemein behaglich. Es genierte ihn nicht im mindesten, daß man ihn im Theater allgemein bemerkte und mit Operngläsern nach ihm sah.

»Teuxel, bald i iatzt raach'n könnt', war' i no amal so kommod!« dachte der Jörgl.

Er überlegte nicht lange, sondern stopfte sich sein Pfeifl und blies mächtige Rauchwolken von sich.

In der Nebenloge hustete eine Dame. Gleich darauf kam ein Polizeimann in Jörgl's Loge.

»Da wird nicht geraucht!« sagte dieser barsch.

»Ah nit?«

»Nein!«

»I tua's glei aweg, bald i's ausg'raacht hab'!« meinte der Jörgl.

176 »Das müssen Sie sofort wegtun! Sonst arretiere ich Sie!«

Der Jörgl steckte mürrisch sein Pfeifl wieder ein.

»Tun Sie den Hut herunter!« gebot der Polizeimann weiter.

»Sell aa no?« fragte der Jörgl. »Und bald i'n nit aber tua, was g'schiecht nachher?« Dabei grinste er den Polizisten unverschämt an.

»Im Theater sitzt man nicht mit dem Hut am Kopf!« erwiederte dieser.

»Gelt, du aber hast dei Kapp'n schon auf!« triumphierte der Jörgl.

Der Polizeimann sagte gar nichts mehr, sondern ging und schlug die Logentür geärgert hinter sich zu.

»Dem hab' i aber guat hoamg'leuchtet!« lachte der Jörgl und »rammelte« sich noch behaglicher über die Logenbrüstung.

Den Hut drückte er nun unternehmend auf eine Seite und spuckte gemütlich vor sich hinunter. Ein älterer Herr mit einer großen Glatze, der im Parterre saß, rieb sich seinen kahlen Schädel und blickte verwundert herum.

Der zweite Akt begann. Der Jörgl war ganz Aug' und Ohr. Nun konnte er schon alles verstehen, was auf der Bühne gesprochen und gesungen wurde.

Bei dem Liede vom dummen »Reitersmann«, das Hanna Glawari dem Grafen Danilo sang, wurde 177 der Jörgl ganz aufgeregt. »Gib ihr decht a Bussel, du Tepp, du!« schrie er hinunter. Allgemeines Halloh im Publikum.

Der Jörgl wurde immer kühner. Die graziöse Musik ging ihm in die Glieder. Als Danilo und Hanna tanzten, juckte es ihn in den Beinen. Er fing an mit den Füßen zu strampeln und schlug sich mit den Händen auf die Knie.

Das Publikum begann zu zischen und nach Ruhe zu rufen. Der Jörgl, der das Zischen als zum Spiel gehörig betrachtete, zischte brav mit.

Von der Loge nebenan rief jemand herüber: »Wollen Sie wohl gleich ruhig sein, Sie Bauernlümmel!«

»Ha?« rief der Jörgl und beugte sich ganz vornüber, um besser hören zu können.

»Ruhe! Pscht!« von unten. Der Jörgl war von selbst wieder ruhig geworden. Nur ab und zu begleitete er eine besonders gefällige Melodie mit leisem Pfeifen oder Schnalzen mit der Zunge.

»Teufel! Dös is schian!« rief er über eine Weile ganz begeistert aus und spie voll Behagen drei bis viermal ins Parterre hinunter.

Drunten entstand eine Unruhe. Der ältere Herr mit der Glatze fing laut zu schimpfen an.

»Wollen Sie wohl ruhig sein – Sie –« hörte man empörte Stimmen von drunten.

»Ich bin nicht ruhig! So eine Infamie!« brüllte der ältere Herr und wischte sich verzweifelt seine Glatze ab.

178 Ein paar Herren aus dem Publikum hatten sich erhoben und brachten den Glatzigen, der sich wütend wehrte, aus dem Zuschauerraum.

»Eine Infamie ist es! Heruntersp–!« Mehr konnte man nicht hören. Der ältere Herr war hinausbefördert. Der Jörgl hatte gar nicht bemerkt, was er angerichtet hatte.

Als der Vorhang zum zweiten Male fiel, klatschte der Jörgl wie besessen. Er sah, wie sich viele Leute während der Pause erhoben, und verließ nun auch seine Loge.

Beim Buffet im ersten Stockwerk ließ er sich ein Krügel Bier und drei Schinkensemmeln geben. Er trug alles in seine Loge hinauf und wollte es dort in vollster Gemütsruhe verzehren.

Kaum war er droben, verlöschten die Lichter. Der Jörgl stellte das Glas Bier vor sich hin, wickelte die Brote aus dem Papier und fing an zu essen und zu trinken.

»Sie! Hier wird nicht gegessen!« Ein Herr aus der Nebenloge rüttelte ihn energisch beim Arm.

Der Jörgl wollte gerade einen tüchtigen Schluck tun. Er erschrak aber und ließ das Glas samt dem Bier ins Parterre fallen.

Unten erhob sich ein fürchterlicher Lärm. Leute in den hintersten Reihen, die nicht wußten, um was es sich handle, drängten dem Ausgang zu. Damen kreischten. Der Vorhang, der gerade in die Höhe gegangen war, senkte sich wieder. Die Lichter im Zuschauerraum brannten.

179 »Laßt mi aus oder nit, du Sakra, du verfluachter!« schimpfte droben der Jörgl zu seinem Nachbar hinüber.

»Ich lasse Sie einsperren!« brüllte der herüber.

»Schau', daß i dir eine eini hau'! Dös guate Biar! Is ewig schad' drum!« jammerte der Jörgl.

»Sie sind ja betrunken, Sie Lümmel, Sie!« schimpfte der Herr herüber.

Der Polizist erschien in der Logentür. Er machte diesmal kurzen Prozeß, faßte den Jörgl beim Kragen und führte ihn auf den Korridor hinaus. Dort hatte inzwischen schon eine ganze Menschenansammlung stattgefunden.

»Sie werden sofort das Theater verlassen!« herrschte ihn der Polizist an.

»Natürlich geh' i! Und gearn aa no!« rief der Jörgl empört. »I pfeif' auf enker Theater! Die Leut' lassen oan' ja koa Ruah' nit!«

Dieser Ausspruch entfesselte das schallende Gelächter der Umstehenden. Der Polizist zog mit dem Jörgl schleunig ab. Das Publikum kehrte in heiterster Stimmung wieder auf seine Plätze zurück, und die Vorstellung konnte von da ab ihren ungestörten Verlauf nehmen. – – – –

Das schöne Bild, das der Jörgl in der Eile in seiner »Losch« vergessen hatte, bekam er pünktlich zugestellt.

Der Jörgl und die Rosina haben geheiratet. Über ihrer doppelspannigen Bettstatt in der 180 Kammer hängt stolz das Bild vom Canale grande in Venedig.

Auf seine Innsbrucker »Roas« kommt der Jörgl noch oft zu sprechen. Dann meint er wohl: »Fein is's auf Sprugg g'wesen und verfluacht nobel! Schad' lei, daß i dös schiane Stuck nit fertig dersöch'n hab'! Aber wartet's lei! Wenn i wieder a Erbschaft mach', fahr' i mit der Rosina auf Sprugg! Und da lassen wir uns dös Stuck ganz alloan vorspiel'n! Da wird man wohl nachher sein' Fried' hab'n!« 181

 


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