Rudolf Greinz
Aus'm heiligen Landl
Rudolf Greinz

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Gatter-Lois.

In einem kleinen Oberinntaler Dörfl, wo auch stets etliche Sommerfrischler weilen, ist der Gatter-Lois der einzige Gemeindearme. Außer dieser Stellung, die er mit einer gewissen Würde zu tragen weiß, hat er sich auch noch ein Nebenamtl zu verschaffen gewußt.

Er hat sich in dieses Amt aus eigener Machtvollkommenheit eingesetzt. Seit Jahren schon steht er außerhalb des Dörfls bei dem großen Gatter, das den Feldweg von dem Bauernstraßl abschließt.

Ein schweres und hohes Gatter ist es. Es ist auch wichtig, die Felder und Wiesen gehörig einzuplanken, damit das Vieh nicht hineinkommt und Unheil stiftet.

Bei dem Gatter hält nun der Lois namentlich im Sommer getreulich Wache und lauert, bis sich ein Fußgänger nähert. Dann öffnet der Lois freundlich grinsend die Gattertür und lüftet mit einem höflichen Gruß den Hut, wie er es von den Stadtlingern gesehen hat.

Die Bauern wissen schon, daß sich der Lois auf diese Weise einen Kreuzer verdienen will, und zollen ihm meistens unter einem gelegentlichen Scherzwort 139 seinen Tribut. Auch die Fremden, die im Sommer in das Dörfl kommen, fügen sich wohl oder übel dem Ortsbrauch.

Im Sommer hat der Lois sein Hauptgeschäft. Da ist er vom frühen Morgen bis zum späten Abend auf der Wache beim Gatter, das er immer sorgfältig geschlossen hält. Kaum daß er sich Zeit gönnt, sein Mittagessen einzunehmen.

Wenn droben von dem roten spitzen Kirchturm die Elfuhrglocke tönt, dann rennt der Gatter-Lois mit weit ausholenden Schritten in aller Eile die Anhöhe hinan ins Dorf, daß ihm in der Sonnenglut der Schweiß nur so herunterrinnt. Bei irgend einem Bauer ißt er dann rasch zu Mittag und eilt spornstreichs wieder zurück auf seinen Posten am Gatter.

Der Lois ist ein gutmütiger Halblapp, der niemandem etwas zuleide tut. Aber faul ist er wie die Möglichkeit.

In früheren Jahren, als der Lois noch jünger war, hatte die Gemeinde es öfters versucht, ihn zu kleineren Arbeiten anzuhalten. Das hatte man aber bald wieder aufgeben müssen. Der Lois haßte die Arbeit und war schlau genug, durch allerlei Possen und Finten drum herum zu kommen.

So ließ man ihn mit der Zeit seine eigenen Wege gehen, denn mit der Arbeit schaute bei ihm ja doch nichts Gescheites heraus.

Von seinen Kreuzerln, die der Lois, der in aller Behaglichkeit ein Sechziger geworden war, auf seinem Wachtposten beim Gatter verdiente, kaufte er 140 sich allerhand Kleinigkeiten. Hauptsächlich aber Kautabak. Den liebte er über alles.

Dann hatte er noch eine Schwärmerei. Er hielt sehr viel auf schöne helle Krawatten. Das hatte er den Sommerfrischlern abgeguckt.

Es sah seltsam genug aus, wenn der Gatter-Lois mit seinem alten schäbigen Hütl und der schneidigen Hahnenfeder darauf, mit dem zerrissenen schmutziggrauen Hemd, den bodenscheuen Hosen und der Lodenjoppe von undefinierbarer Farbe eine grellgelbe, rote oder grüne Krawatte trug, die er bei der Kramerin im Dorf erstanden hatte.

Seit bald zwei Wochen befand sich unter den Sommerfrischlern auch ein älteres kinderloses Ehepaar. Der Gatter-Lois kannte die beiden sehr gut. Täglich passierten sie mindestens zweimal das Gatter, das der Lois jedesmal mit größter Bereitwilligkeit für sie offen hielt.

Der Herr Rentier Bindewald zeigte jedoch nicht das mindeste Verständnis für die Höflichkeit des Lois, sondern dankte nur kurz und barsch: »'n Tag!« Er machte keine Miene, den Lois irgendwie zu entlohnen.

Der Gatter-Lois hatte den beiden das erste Mal ganz verdutzt nachgesehen. Das war ihm noch nie passiert, daß man seine Höflichkeit nicht richtig aufgefaßt hatte.

Als Herr Rentier Bindewald und seine Gattin Käthe wieder zu dem Gatter kamen, da grüßte der Lois noch freundlicher und hielt das Gatter in aller 141 Weite geöffnet, damit die zwei stattlichen und sehr dicken Leute ja Platz genug hätten, hindurchzugehen.

Aber Herr Bindewald wußte auch dieses zweite Mal die Freundlichkeit des Lois nicht zu deuten und sagte wie zuvor nur sein kurzes: »'n Tag!«

Der Lois überlegte, ob er wohl noch nicht höflich genug gewesen sei. Und als das Ehepaar Bindewald das nächste Mal zum Gatter kam, da schwenkte der Lois schon aus weiter Entfernung sein schäbiges Hüatl, daß die Feder darauf nur so hin und her flatterte, grinste und verbeugte sich, so tief er es zuwege brachte.

Und das war nicht leicht für den Lois. Er war ein langer dürrer Mensch und schon ganz steif in den Knochen. Sein gutmütiges faltiges Gesicht war mit grauen Bartstoppeln bedeckt.

»Der Mann is aber freundlich, Männe!« bemerkte Frau Käthe und nickte dem Lois zu. »Ick glaube, er will was!«

»Ach, Quatsch! Unsinn!« rief Bindewald ungeduldig. »Was wird der wollen! Der is doch jedenfalls von der Behörde hierher jestellt worden!« fügte er belehrend hinzu.

»Dat glaub' ick nu mal nich!« wagte seine Frau schüchtern einzuwenden.

»Na denn man nich!« polterte Herr Bindewald. »Warum sollte der Mann denn sonst dort stehen?«

»Weil er ein Trinkgeld haben will, glaube ick!« sagte Frau Käthe schüchtern.

»Glaubst du! Da glaubst du wieder mal was 142 Rechtes! Jescheit wie du nu mal bist! Glaubst du, ein anständiger Mensch stellt sich da tagelang mitten in der Sonnenglut auf, nur um ab und zu mal 'nen Jroschen zu erschnappen! Nee, dat tut er nich! Der Mann is von der Behörde dafür bezahlt. Dat is nu mal sein Amt. Dat sag' ick dir! Und ick verstehe mir auf derlei Sachen!« Damit schritt er selbstbewußt pustend und schnaubend die Anhöhe zu dem Dörfl hinan.

Der Gatter-Lois aber war von diesem Tage an den beiden Sommerfrischlern spinnefeind. Er grüßte zwar noch immer höflich, aber das Gatter hielt er nicht mehr offen. Das mußte sich Herr Bindewald nun schon selber aufmachen . . .

Es war ein glühend heißer Sommernachmittag. Die Sonne brannte sengend, fast stechend vom Himmel hernieder. Am Firmament zogen sich dicke schwarze Wolken drohend zusammen. Aus der Ferne hörte man das dumpfe Grollen des Donners.

Der Lois lehnte behaglich am Gatter und kaute Tabak. Dann hielt er wieder Ausschau nach dem Weg, der vom Tal herauf führte. Vor ungefähr einer Stunde waren Rentier Bindewald und seine Frau da hinunter gegangen. Der Lois hatte ein scharfes Auge für das Wetter. Er wußte, daß die beiden bald umkehren würden, da ein heftiges Gewitter im Anzug war.

So schnell es seine steifen langen Haxen erlaubten, eilte der Lois ins Dorf hinauf und holte sich von dort einen großen Hammer und eine Handvoll Nägel. 143 Dann rannte er wieder zum Gatter zurück und machte sich an die Arbeit.

Aus Leibeskräften nagelte und hämmerte er darauflos, bis er schließlich das Gatter fest zugenagelt hatte. Dann rüttelte und zerrte er daran, so stark er konnte. Und als er seine Festigkeit erprobt hatte, lehnte er sich behaglich kauend an das Gatter und wartete auf die Fremden.

Das Gewitter war inzwischen immer näher gekommen. Grell leuchtende Blitze zuckten auf. Dumpfes Donnerrollen folgte.

Es dauerte nicht lange, bis der Gatter-Lois zwei dicke Gestalten den Berg heraufkommen sah, die nur mühsam die steile Anhöhe erklommen. Der Lois hörte schon, wie Herr Bindewald in einemfort mit seiner Frau schalt.

»So 'n Blödsinn! Bei so'n Wetter jeht man doch nich spazieren! Da bleibt man zu Hause! Der Schlag kann mich noch treffen! Mich so abzuhetzen! Mit meinem Asthma!«

»Aber Männe, du wolltest ja durchaus.«

»Unsinn! Nichts wollte ich! Es ist alles deine Schuld! Nur deine Schuld allein. Du solltest mir warnen, wenn ick so was Jefährliches unternehmen will! Wozu bist du denn mit mir ins Jebirge jegangen, wenn du mir nich warnst!«

»Jott sei Dank! Da wären wir!« seufzte Frau Käthe erleichtert auf, als sie beim Gatter angelangt waren.

Die ersten schweren Regentropfen, die Vorboten 144 eines heftigen Gewitterregens, fielen zu Boden. Der Lois lehnte, ohne sich zu rühren, am Gatter und grinste die beiden Fremden an.

»Nanu, machen Sie mal rasch auf!« kommandierte Herr Bindewald.

Der Lois rührte sich nicht.

»Na, wird's bald!«

Der Lois grinste und kaute seinen Tabak in aller Seelenruhe weiter.

»Na, ick will Ihnen mal Beene machen!« sagte Herr Bindewald und versuchte das Gatter aufzustoßen. Aber es gab seiner Bemühung nicht nach.

»Was? Jesperrt? Warum denn?« frug Bindewald gereizt.

»I woaß nit!« grinste der Lois, ohne sich zu rühren.

»Führt nich noch 'n näherer Weg ins Dorf?« fragte Frau Bindewald ängstlich, da der Regen immer dichter fiel.

»Naa!« grinste der Lois.

»Nich? Na, dann helfen Sie man das Dings da aufkriegen! Aber rasch!« befahl Herr Bindewald.

»'s geaht nit!« meinte der Lois behaglich.

»'s muß jeh'n!« Herr Bindewald rüttelte aus Leibeskräften an dem Gatter. Der Lois rührte sich nicht.

»Mann, jeh'n Sie mal weg da!«

»Naa!«

»Nich?«

»Naa!«

145 Ein heftiger Donnerschlag, ein Zeichen, daß es irgendwo in der Nähe eingeschlagen hatte.

»Jatz hat's eing'schlag'n!« grinste der Lois.

»Männe, ick fürchte mir so!« jammerte Frau Käthe.

»Quatsch' nich! Ick werde mir in dem Regen 'ne Entzündung holen!« rief Herr Bindewald.

»Ick glaube, der Mann hat uns mit Absicht hinausjesperrt!« jammerte Frau Käthe.

»Glaubst du? Na, wollen mal sehen! Sie, Mann, wie kommt man da 'rüber?« wandte sich nun Bindewald an den Lois.

»I woaß nit! Ummikraxeln halt!« erwiderte der Lois, der jetzt im niederprasselnden Regen die Krempe seines verwitterten Hüatls ganz herabgebogen hatte und einen völlig unheimlichen Eindruck machte. Dabei steckte der Lois beide Hände in seine Hosentaschen.

»So haben Sie doch 'n Einsehen und helfen Sie uns!« bat Frau Bindewald. »Wir können doch unmöglich über den hohen Zaun klettern!«

»Naa. Ös seid's boade z' foast dazua. Sell woaß i schon!« grinste der Gatter-Lois.

Die Situation wurde immer kritischer. Der Regen hatte zwar nachgelassen. Aber es blitzte und krachte immer stärker. Das ganze Firmament war mit schweren schwarzen Wolken bedeckt.

Der Lois schaute behaglich zum Himmel. »Jatz hebt's aft'n an z' hageln!« meinte er mit der größten Gemütsruhe.

146 »Das ist ja schrecklich!« Frau Bindewald war dem Weinen nahe.

»Ist der Umweg über die Straße groß?« erkundigte sich Herr Bindewald.

»A guate halbe Stund!« grinste der Lois sehr zufrieden.

»Da können wir uns ja den Tod holen in dem Wetter!« rief Herr Bindewald.

»Kraxelt's halt do g'scheuter ummi!« riet der Lois.

Herr Bindewald maß mit kritischen Blicken das hohe Gatter. »Na, denn los!« nahm er einen Anlauf. »Sind Sie uns behilflich, Mann! Aber rasch!«

»Naa!« meinte der Lois. »I geah iatz hoam! Mir is's Wetter oamal z' schlecht!«

Damit schob er sich ein frisches Stück Kautabak in den Mund und machte sich auf den Weg nach dem Dorf. Aus der Ferne beobachtete er aber noch, was die Stadtlinger wohl beginnen würden.

Unter lautem Schimpfen und wutschnaubend half Herr Bindewald zuerst seiner Gattin über das Gatter und kletterte dann selber nach.

Es war ein hartes Stück Arbeit. In der gleichen Zeit wären die beiden Sommerfrischler auch über den Umweg des steinigen Bauernstraßels in das Dorf gekommen. Aber Herr Bindewald hatte sich's einmal in den Kopf gesetzt. Er wollte justament hinüber. Endlich kam er mit seiner Käthe pudelnaß im Dorf an.

Am nächsten Tag, als er sich von seiner Kletterpartie erholt hatte, ging er gleich zum Gemeindevorsteher, um sich über den Gatter-Lois zu beschweren.

147 »O mei Hearr!« meinte der Vorsteher. »Mit dem Lois is's halt a Kreuz. Mit dem hab'n wir selber unser liabes Elend. Wissen S', der hat a paar Radeln z'viel oder z'wianig im Hirnkasten drein. Den bringt koa Mensch nit z'recht. Sie hätt'n ihm halt sollen a Trinkgeld geben. Sonst is er so viel glei beleidigt, der Lois. Was willst denn mach'n mit so an Lapp'n!«

Seitdem entrichtete Frau Käthe Bindewald dem Gatter-Lois gewissenhaft seinen Obolus.

Herr Bindewald konnte sich nicht entschließen, diesen Tribut persönlich zu leisten. Er maß jedesmal den Lois mit den finstersten Blicken.

Das machte dem Lois aber weiter gar nichts. Er grinste deswegen so freundlich und höflich wie immer.

Wenn Herr Bindewald daheim von seiner Tiroler Sommerfrische erzählt, dann meint er wohl gelegentlich: »Ein schönes Land, Tirol. Nur mit der Beaufsichtigung und Pflege der Irren sind sie dort noch sehr rückständig. Denken Sie mal an, Jeistesjestörte werden dort zum Öffnen und Schließen der Jitter uf den Feldern verwendet. So 'ne Art Feldportier. Aber haben meistens 'nen Vogel, die Kerls! Können mir's glauben. Ick habe meine Erfahrungen jemacht!« 148

 


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