Rudolf Greinz
Aus'm heiligen Landl
Rudolf Greinz

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Die Kindstauf'.

In der kleinen Expositurkirche zu Ginzling in den Zillergründen hatte an einem kalten Wintertag eine doppelte Kindstauf' stattgefunden.

Das ist in diesen Gegenden und bei dieser Jahreszeit nicht so einfach. In der Nähe der Ginzlinger Kirche liegen nur ein paar Häuser. Alle übrigen Höfe sind weit verstreut in den Höhen, oft stundenweit entfernt. Mitten im Winter von einem solchen Einödhof ein Kind zur Tauf' zu tragen, ist dann wahrhaft keine Kleinigkeit.

Und doch wird mit dem Taufen geeilt; denn einen jungen Heiden will man nicht lang im Hause haben. War es doch bis in die jüngste Zeit noch in einzelnen Gegenden Tirols, namentlich in der Wildschönau, Sitte, daß sich der Bauer, ein Knecht oder Nachbar abwechselnd an der Wiege des Ungetauften aufstellten, wohl bewaffnet mit einem alten Säbel, Dreschflegel oder Schießeisen, um den Teufel von der Wiege abzuwehren.

Möglichst schon gleich am Tage der Geburt wird daher auch am entlegensten Einödhof Anstalt getroffen, das Kind zur Taufe zu tragen. Der Säugling wird, in Betten und Kissen sorgsam eingehüllt, in einen großen Ruckkorb gepackt, der sonst zum Tragen 27 von Bergheu, Streu, Laub, Erdäpfeln usw. dient. Die Dirn auf dem Hof wird als Kindstragerin benützt. Ihr schließt sich der Pate oder die Patin an. Gewöhnlich geht auch die Hebamm' mit.

Dann wandert man zu Tal in allem Wetter und Wind und Schnee. Der kaum geborene Erdenbürger muß es halt aushalten. Der hat übrigens schon von Geburt aus eine ganz andere Natur als wie so ein verzärteltes Stadtkind.

Was soll dem Kind auch passieren, wenn es zur heiligen Tauf' getragen wird? Da wird der Herrgott schon besonders darauf acht geben!

Nach der Taufe findet für die beteiligten Erwachsenen, Göd oder Godel, Kindstragerin und Hebamm', beim Wirt ein Imbiß statt, reichlicher oder spärlicher, je nachdem der Taufpat' was spendiert.

In der Stub'n beim Ginzlinger Wirt war es warm »eingekentet«. Gäste waren noch keine da. Die Kellnerin, die saubere Rosl, hatte sich's hinter dem Ofen behaglich gemacht und einen Strickstrumpf in die Hand genommen, über dem sie schließlich eingeschlafen war. Der Wirt hockte in einer Stubenecke und las eifrig in einem alten Kalender.

Die Stubentür öffnete sich geräuschvoll, so daß die Rosl aus ihrem Schlaf emporschreckte und der Wirt mitten in der schönsten Geschichte unterbrochen wurde. Herein kam ein älteres, dürres, spitziges Frauenzimmer, gefolgt von einer jungen, stämmigen 28 Dirn, die in einem Ruckkorb ein wohl verpacktes Bündel trug.

»Jatz wohl!« begrüßte sie der Wirt. »Wen habt's denn heut tauft?«

»Mei, lei a Madele!« gab die Trägerin des Korbes zur Antwort.

»Wem g'hört 's denn?« forschte der Wirt, indem er der Dirn behilflich war, sich des Korbes zu entledigen und diesen dann in den Ofenwinkel zu stellen.

»Dem Hollenzenbauern!« erwiderte die ältere Person, welche die Godel war. »Schon 's sechste Madel und dazua noch vier Buab'n! Dö kriagen schon noch a zwoa Dutzend z'sammen!« bemerkte sie bissig. »Haben nit amal zwoa Küah im Stall und so viel Kinder! Kannst an Glühwein bringen und an Torten, wann d' oan hast!« befahl sie der Kellnerin, die gähnend daneben gestanden hatte.

»Schickt der Herr a Hasl, schickt er auch 's Grasl!« bemerkte der Wirt und setzte sich zu den beiden Weibern an den Tisch.

»Meinetwegen! Mich geht's nix an!« machte die Godel und wischte sich mit ihrem Schurz über den Mund. Die Weyrer Kathl, die Godel vom Hollenzen-Diandl, das sie heute getauft hatten, war ledig geblieben. Das Heiraten sei nie nach ihrem »Gschmach'n« gewesen, pflegte sie zu behaupten. Andere sagten freilich, daß sich nie einer um sie umgeschaut habe.

29 »Heut haben s' schon noch a Tauf!« fuhr die Kathl fort.

»Noch a Tauf?« frug der Wirt und kratzte sich erfreut hinter den Ohren. »Ja, von wem denn?«

»Der Floiten-Hansl is Göd!« mischte sich jetzt die Nanndl, die Dirn vom Hollenzenbauern, ins Gespräch. »'s Kind is vom Fulterer.«

Es dauerte gar nicht lange, als ein flotter Bursch, gefolgt von einer dicken älteren Bäuerin und einem jungen, frischen Madl, das ebenfalls einen Ruckkorb trug, in die Stub'n hereinkam. Es war der Floiten-Hansl mit der Dirn vom Fulterer Bauern, der reschen Moid, und mit der Hebamm' von Ginzling.

»Jatz haben wir 's überstanden!« ging der Floiten-Hansl auf den Wirt zu und schlug ihm kräftig auf die Schulter. »Dös is a Bua, sag i dir! Dös wird amal a b'sonderer Kampl

»Dein Bua is er ja nit!« fuhr ihn die Weyrer Kathl bissig an.

»Naa! Aber i bin sei Göd!« fertigte sie der Floiten-Hansl ab. »'s erste Kind vom Fulterer Bauern. Sie sein noch nit a Jahr verheiratet.«

»Nachher werden schon noch etliche kommen!« sagte die Kathl.

»Sell will i hoffen!« rief der Floiten-Hansl. »Aber iatz, Wirt, iatz bringst uns an Wein und an Glühwein und an Kas und an Speck und a Salami und an Torten und a Brot und an Schunken und alles, 30 was aufdertreibst! Ös könnt's alle mithalten! Juchui! Wir hab'n an Buab'n!«

Der Floiten-Hansl war vor Freude ganz aus dem Häusl. Der Fulterer war sein bester Freund. Sie hatten mitsammen bei den Kaiserjägern gedient.

Jetzt war der Hansl Jäger im Floitental. Allerdings nur im Sommer; denn im Winter läßt 's sich in dem wilden Hochtal nicht existieren. Da hauste dann der Hansl auf einem der Höfeln in der Gegend von Ginzling.

Der junge Jäger hatte ordentlich Leben in die Stub'n gebracht. Die Kellnerin flog nur so hin und her, um den mehrfachen Wünschen des Hansl nachzukommen. Die beiden jungen Dirnen, die Nanndl vom Hollenzer und die Moid vom Fulterer, machten sich bei ihren Ruckkörben mit ihren Schützlingen zu schaffen.

Der Hansl hatte mit der Ginzlinger Hebamm', der Moser Barbl, am Tisch Platz genommen. Die Barbl hatte keinen leichten Beruf. Da galt es bei allem Wetter die steilsten und eisigsten Steige zu kraxeln. Es hatte ihr aber nicht schlecht angeschlagen. Sie war kugelrund und dick dabei geworden.

Inzwischen kamen das von der Weyrer Kathl bestellte Tortenzeug und der Glühwein. Für den Floiten-Hansl stellte die Kellnerin vorderhand einen Doppelliter Wein und verschiedene Fressalien auf den Tisch.

»Greift's zua, Diandeln!« rief der Floiten-Hansl gegen die beiden Dirnen. Die ließen sich denn auch 31 nicht lange bitten, hockten sich an den Tisch und hieben tüchtig ein. »Trinkt's, was Platz hat!« rief der Jäger. »Der Seppele vom Fulterer soll leben!«

»I laß mir nix schenken von dir! I bin auch a Godel!« wehrte sich die Weyrer Kathl.

»Trink lei amal! Den nächsten Liter zahlst nachher du!« begütigte sie der Hansl.

»Wia hoaßt denn enker Madele?« fragte die Moid die Nanndl.

»Trinele!« erwiderte diese.

»Wia viel Madeln hat er denn nachher, der Hollenzer?« frug der Hansl.

»Sechse und vier Buab'n!« erklärte die Godel des Trinele.

»Die Buab'n sein schon recht! Dö sein nia z'viel!« rief der Hansl, der gerade eine Virginiazigarr'n in Brand setzte. Dabei rückte er ganz nahe an die Moid heran, die den Fulterer Seppele zur Tauf' getragen hatte.

»Schau, daß i dir eine gib! Ruck abi, sag i!« meinte die Dirn halb ärgerlich.

»Äh! Äh! Äh! Näh! Näh.« ertönte es da auf einmal kläglich aus dem Ofenwinkel. Die beiden Dirnen schnellten in die Höhe und eilten jede zu ihrem Korb. Die Moid kam aber gleich wieder an den Tisch zurück; denn der Seppele schlief recht brav. Es hatte sich nur das Trinele gemeldet.

»Alleweil dö Diandeln, dö sakrischen, dö koa Ruah geben auf der Welt!« wandte sich der Floiten-Hansl an den Wirt.

32 »Recht hast, Hansl! Sollst leben!« stieß der Wirt mit dem Jäger an.

»Was haben denn dir die Diandeln 'tan?« neckte ihn die Hebamm'. »Sei froh, wenn d' oans kriagst!«

»Ja, oans mit tausend Woch'n! In dem Alter sein s' gnua z'kriagen!« lachte der Floiten-Hansl.

»Der bild't si ein, jed's Diandl im Zillertal lauft eahm nach! So a Loder, a verruckter!« schimpfte die Nanndl halb im Scherz, als sie das kleine Trinele wieder beruhigt hatte.

»Naa! A jede nit! Aber zehne an ein' Finger schon!« rief der Hansl.

»So a Prahler!« meinte halb entrüstet die Kellnerin.

»Hast schon recht, Hansl! A Schneid muaß man hab'n auf die Weibsleut!« lachte der Wirt und sprach eifrig dem Wein zu.

»Ös seid's a gottslästerliche Bande übereinand!« schimpfte nun die Weyrer Kathl erbost. »Solche Red'n z' führ'n vor zwoa unschuldige Kinder, dö grad von der Tauf kommen!«

»Geh, laß di auslachen! Dö versteh'n ja do no nix!« erwiderte der Hansl. »Reg di nit auf! Da, trink a Glasl! Gelt, Wirt, wir Mannder sein halt do alleweil die G'scheitesten! Der Seppele soll leben!« Und übermütig stieß er mit der Kathl an.

»Naa! Die Trinele! I bin der Trinele ihr Godel!« gab diese zurück.

»Ah was, a Madl! A Madl braucht überhaupt nit z' leben!« sagte er und wollte mit der Moid anstoßen.

33 Die versetzte ihm jedoch einen kräftigen Stoß und rief unwillig: »Laß mi aus, du! I bin aa a Madl!«

»I prophezei' dir a Dutzend Diandeln, wenn du amal verheirat't bist!« neckte die Moser Barbl den Jäger.

»I tat mi bedanken!« rief der Hansl entrüstet. »Koa oanzig's will i hab'n! Oa Bua is besser als zwanz'g Diandeln!« Der Hansl spie voller Verachtung aus.

»Jatz schau den Hallodri an!« schrie die Kathl erbost und »Was hast g'sagt?« die Rosl, die nun auch ganz wild wurde.

»A so oaner!« keifte die Nanndl und warf dem Floiten-Hansl wütende Blicke zu.

»Umer speanzeln mit allen Diandeln, gelt, dös passet dir?« sagte die Moid entrüstet.

»Von Heirat'n koa Spur natürli!« schimpfte die Weyrer Kathl.

»Dir hab i 's Heirat'n nit versproch'n!« sagte der Jäger, seinerseits nun auch etwas aufgebracht.

»Naa, aber ander'n!« rempelte ihn die Rosl an.

»Da hört man 's amal!« rief die Moid und fing zu weinen an. »Du Lump, du ausg'schamter!«

»Was? Hat er dir aa 's Heirat'n verhoaß'n?« fragte die Nanndl vom Hollenzenbauern.

»Der Lump!« heulte die Moid.

»Und dir hat er 's aa versproch'n?« ließ die Rost die Nanndl an.

34 »Freili!« rief die Nanndl.

»Und mir hat er 's versproch'n! Und der Moid hat er 's versproch'n!« schrie die Rosl ganz wütend.

»Was i versprich, halt i!« suchte der Floiten-Hansl sich zu rechtfertigen.

»Da hast nachher viel z' halt'n!« belferte die Weyrer Kathl. »Glei drei will er heirat'n, oder der Tuifl woaß, wia viel! A Türk will er wer'n, der Gauner, der spottschlechte!«

»I will eahm schon den Türk'n geb'n!« rief die Rosl, langte mit kräftiger Hand über den Tisch hinüber, und im nächsten Augenblick hatte der Floiten-Hansl eine schallende Watsch'n drinnen.

Der Hansl fuhr wütend in die Höhe und wollte hinter dem Tisch hervor.

»Du Betrüager!« Mit diesen Worten holte die stämmige Nanndl zum Schlag aus, und der Hansl hatte, ehe er sich 's versah, schon die zweite drinnen. Und die gab aus. Es wurde ihm ganz schwarz vor den Augen.

»Himmel! Höll'n! Sakra!« schrie der Hansl und taumelte zur Seite. »Ös Malefizer überanand!«

»I will dir schon die Malefizer geb'n!« rief die Moid und folgte dem Beispiel ihrer beiden Vorgängerinnen. Es schnellte nur so.

Der Floiten-Hansl hielt sich den Kopf, in dem es ihm summte und dröhnte wie in einem Hexenkessel. Unwillkürlich ließ er sich wieder auf seinen Sessel nieder.

Durch den Spektakel waren die beiden 35 Täuflinge wach geworden und erhoben ein mörderisches Geschrei.

»Geh'n wir!« drängte die Weyrer Kathl. »Mit so an Fallot'n bleib' i nimmer in der gleich'n Stub'n!«

Ehe der Floiten-Hansl sich noch zurecht gefunden hatte, waren die Moid und die Nanndl mit den Ruckkörben bei der Tür draußen, gefolgt vom Wirt, der Kathl und der Kellnerin Rosl.

Der Hansl saß mit der Hebamm' allein am Tisch und stierte ganz blöd vor sich hin. Es war ihm, als müsse von den drei fürchterlichen Watschen in seinem Schädel etwas zersprungen sein.

»Der Diandl-Diskurs is dir übel aus'gangen!« lachte nach einer Pause die Moser Barbl. Der Hansl antwortete nichts.

»Was stierst mi denn so an?« foppte ihn die Barbl. »Willst mir vielleicht aa no 's Heirat'n versprech'n?«

»Naa!« würgte der Hansl hervor, warf der alten Hebamm' einen ganz entsetzten Blick zu, stand auf und machte Miene, die Stub'n zu verlassen.

»Du, Hansl, wenn d' mi vielleicht in der nächsten Zeit gelegentlich amal brauchst, wirst mi wohl z' finden wissen!« sekierte ihn die Barbl.

Der Hansl ging ohne Erwiderung aus der Stub'n und warf die Tür hinter sich ins Schloß. Draußen im Freien sah er, wie die Moid und die Nanndl mit der Weyrer Kathl nach verschiedenen Richtungen davonwanderten. Ein Seufzer der Erleichterung entrang sich seiner Brust. – –

36 Die stürmische Kindstauf' in Ginzling hatte übrigens noch ihr Nachspiel.

Als die Moid auf den Fulterer Hof heimkam, war ihr erstes, den kleinen Seppele trocken zu legen. Da staunten der Fulterer, sein Weib und die Moid nicht wenig, daß aus dem Seppele plötzlich ein Diandl geworden war.

Eine Zeitlang glaubten alle drei, es gehe mit Hexerei zu. Dann erst ging der Moid ein Licht auf. Sie hatte im Zorn und in der Aufregung über den ungetreuen Floiten-Hansl den falschen Ruckkorb mit dem Trinele erwischt und ihn mühsam nach dem Fulterer Hof hinaufgeschleppt.

Beim Hollenzenbauern erlebten sie natürlich eine ähnliche Überraschung. Da hatte sich das jüngst geborene Diandl in einen Buben verwandelt.

Am nächsten Tage mußten sich die beiden Dirnen, die Moid und die Nanndl, wieder auf den Weg machen, um die Kinder auszutauschen.

Ob der Hansl eine von den dreien, die Rosl, die Moid oder die Nanndl, heiratet, ist noch abzuwarten. 37

 


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