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Frühlingslieder.

Noch verrät kein Halm der Erde
Nach dem langen Winterleid,
Daß sie bald sich schmücken werde
Mit dem lichten Sommerkleid.

Doch der Himmel, strahlend offen,
Wie in hehrer Glorienpracht,
Bürgt für unser gläubig Hoffen,
Daß der Frühling bald erwacht.

*

Lenz, wer wieder dich erlebt,
Mag sich deiner Pracht erfreuen,
Doch, den man zuvor begräbt,
Ihm auch wirst du Blüten streuen.

Und es ist am Ende gleich,
Ob es so, ob so wird werden,
Wenn nur du, an Knospen reich,
Wiederum erscheinst auf Erden.

*

Der Weißdorn prangt im Blütenkleid,
Verflogen ist sein Winterleid,
Seit Lenz gekehrt zur Erden.
Da alles lacht in Berg und Tal,
Versuche, Herz, doch selbst einmal
Auch wieder froh zu werden.

*

Verlor'nes Trillern
Im blauen Raum,
Und leis Gezwitscher
Von jedem Baum –
Ob wohl der Frühling
Gar nur ein Traum?

*

Geendet hat die Maienzeit
Den winterlichen Harm:
Der Himmel strahlt von Herrlichkeit,
Die Sonne leuchtet warm.

Die Erde prangt in junger Pracht,
Und alles atmet Lust,
Du selbst auch fühlst den Lenz erwacht
In froh befreiter Brust.

*

Wieder schallt von allen Zweigen
Unser lieber Sängerchor,
Und der Lerche Triller steigen
Jubelvoll zum Licht empor.

Jung und alt, sie lauschen wieder
Dem gewohnten süßen Schall,
Sind es doch die alten Lieder,
Die ertönen überall.

*

Mein ganzes Herz erschließet sich
Der Vöglein vollen Chören,
Und dennoch dünkt es süßer mich,
Sie zwitschern nur zu hören.

Solch leiser Ton zur Maienzeit,
Im Hauch bald froh, bald trübe,
Umschließt in seiner Seligkeit
Den ganzen Traum der Liebe.

*

Wolkenloser Maientag!
Im Ergrünen Busch und Hag
Und, soweit das Auge reicht,
Sprossen, das der Hoffnung gleicht. –
Ist's ein Wunder, daß die Welt
Dem Betrübten selbst gefällt?

*

Auch der Mai bringt dunkle Tage,
Die nicht trüber könnten sein,
Da das Herz in uns wird zage
Mitten selbst im Blumenschein.

Aber mag die liebe Sonne
Auch einmal in Wolken stehn,
Gleich verkehrt sich Weh in Wonne,
Wenn wir sie nur wiedersehn.

*

Herz, wozu die bangen Träume
Und nun gar in diesen Tagen,
Da selbst die entlaubten Bäume
Wieder neue Blätter tragen?

*

Wenn sich Natur im Lenz erfrischt,
Welch frohe Augenweide,
Und doch ist ihr auch beigemischt
Ein Zug von herbem Leide.

Wohl siehst du prangen rings die Welt,
Verjüngt im Frühlingsschimmer,
Doch daß er auch dein Herz erhellt
Darfst du erhoffen nimmer.

*

Alles froh im frischen Drange,
Alles voller Seligkeit,
Herz, nur dir allein ist bange
Mitten in der Maienzeit!

Was ist Arges dir geschehen,
Das dich so verstimmen kann?
Denkst du wohl allein zu stehen
Noch im winterlichen Bann?

Horch, die scheuen Finken schmettern,
Von des Daseins Lust erfüllt!
Sieh den Strauß von lichten Blättern,
Der aus morscher Eiche quillt!

*

Zum erstenmal in meinem Leben
Vergaß ich heut' den ersten Mai,
Wie konnte das sich nur begeben,
Da ich ihn so gesehnt herbei?

Lag es am trüben Regentage,
Der mir der Sonne Blick verbarg?
Geschah es, weil beim Drosselschlage
Der Blick mir fiel auf einen Sarg?

*

Lenz, du kommst so trüb' mir vor,
Wie wenn du der Herbst:
Fürchte, daß im Nebelflor,
Du dich gar entfärbst.

Alles grün und doch wie grau
Wald und Wiesenplan!
Selbst die Blümlein auf der Au
Schau'n verzagt mich an.

Wohl ein einz'ger Sonnenblick
Macht sie wieder froh. –
Herz, auch dir im Jugendglück
Bangte oftmals so.


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