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Der Eroberungszug Karls VIII. zwang die Großmächte zur ersten Liga von europäischem Charakter, woraus unter langen Kriegen der Prozeß der modernen Staatenbildung sich ergab. Spanien-Habsburg und Frankreich traten dabei in den Vordergrund, während Italien, noch infolge von Tatsachen und Prinzipien des Mittelalters, der Gegenstand und Preis dieses großen Kampfes blieb.
Der französische König hatte Italien in der tiefsten Umwälzung zurückgelassen. Zunächst war dieses Land in zwei Parteien zerspalten worden: in die Liga zwischen Rom, Mailand und Venedig mit Anlehnung an die beiden Großmächte und in die französische Partei, wozu Savoyen, Montferrat, Ferrara, Florenz und Bologna, die Orsini und der Stadtpräfekt gehörten. Sodann war alles Bestehende erschüttert worden. Die Dynastie Aragon konnte nie mehr in Neapel fest werden, wo sie zu ihrer Rettung bereits Spanien und Venedig hereingerufen hatte; Florenz, welches Pisa und andere Städte verloren hatte, bedrohten die Medici mit Rückkehr und Despotie, und Ludovico Sforza mußte in dem von ihm heraufbeschworenen Sturme untergehen. Nicht minder erschüttert war der Kirchenstaat, aber er besaß im Papsttum ein Prinzip der Wiederherstellung und des Fortbestandes. Nur die Republik Venedig war noch die einzige große Macht Italiens, wo sie jetzt zur Herrschaft zu gelangen hoffte. Für ihre dem Hause Aragon geleisteten Dienste hatte sie Brindisi, Trani, Gallipoli und Otranto in Besitz genommen.
Noch war im Sommer 1496 der Krieg mit den französischen Statthaltern in Neapel nicht beendigt, und Karl VIII. sprach von seiner Rückkehr nach Italien. Aus Furcht zogen die Verbündeten Heinrich VIII. in ihre Liga, und so machte der Zutritt Englands diese zum europäischen Bunde. Auch bei der Reichsgewalt suchte der Papst Schutz. Jetzt wollte er Maximilian zum Kaiser krönen; am 6. Juli ernannte er Carvajal zum Krönungslegaten. Der römische König komme, so sagte er, als Advokat der Kirche, die Franzosen zu vertreiben, welche noch Ostia und einige Plätze in Neapel besetzt hielten, die Kaiserkrone zu nehmen, Italien zu befrieden und endlich den Türkenkrieg auszuführen.
Maximilian folgte den Einladungen Italiens, wohin er wie so viele Kaiser vor ihm als Messias gerufen wurde. Er kam im August ohne Heer und ohne Geld. Seine Hoffnung, beides von den Bundesgenossen zu erhalten, war nichtig. Weder dem Papste, noch dem Sforza trauend, wollte er sich nicht nach Mailand begeben, obwohl dort die Szene für seine lombardische Krönung schon gerüstet war. In Crema empfing er Carvajal und den Herzog Ludovico, worauf er nach Genua reiste, um von dort nach Toskana aufzubrechen. Denn Pisa, welches venetianische und mailändische Hilfstruppen aufgenommen hatte, rief ihn dringend, und er selbst hoffte diese alte Ghibellinenstadt dem Reiche zu gewinnen. Ihr Kampf um ihre Freiheit war so heldenmütig und so wichtig, daß augenblicklich dort der politische Schwerpunkt für alle Mächte lag. Auf der andern Seite setzte die Republik Florenz ihre letzte Kraft ein, Pisa wieder zu erobern; aber auch ihr Kampf war für sie selber schon ein Todeskampf.
Als Maximilian am Ende Oktober mit kaum 3000 Mann in Pisa erschien, fand er bei seinen Bundesgenossen nur Eifersucht und Widerspruch. Er belagerte fruchtlos Livorno: seine Schiffe zerstörte ein Sturm, und er selbst ging schon am Ende des Jahres 1496 nach Deutschland zurück, ruhmlos und mißachtet und gegen Venedig tief aufgebracht.
Unterdessen versuchte Alexander die neapolitanische Restauration für seine Hauspolitik auszubeuten. Seit dieser Zeit begann die zweite, schreckliche Epoche seines Pontifikats. Wenn früher seine Schuld mehr Unentschlossenheit und Passivität war, griff er jetzt handelnd ein. Er nahm zuerst die Unternehmungen Vitelleschis und Sixtus' VI. auf, und daß er dies tat, war wohl begreiflich. Das Schreckliche liegt nur in dem, wozu er dabei fortgerissen wurde. Im Kirchenstaat sollte mit den Baronen endlich aufgeräumt, mit den Orsini begonnen, mit ihren Gütern die Familie Borgia bereichert werden. Virginius, das Haupt jenes Hauses, war in Neapel erst der Gefangene Karls, dann am Taro entronnen, dann in die Dienste der Medici getreten. Er selbst, seine Söhne Johann Jordan und der Bastard Karl, der junge Bartolomeo d'Alviano vom Haus der Atti aus Todi und andere orsinische Herren hatten darauf wider den Willen des Papstes Sold von Karl VIII. genommen. Sie hefteten ihr Glück an das der französischen Armee in Neapel, während ihre Erbfeinde Colonna auf die Seite Aragons traten, sobald Ferdinand wieder Herr Neapels geworden war. Als nun Montpensier im August 1496 bei Atella die Waffen streckte, hatte Ferdinand II. auch Virginius in diese Kapitulation eingeschlossen, aber ihn bald auf Begehren des Papstes als Rebellen der Kirche festgesetzt. Auch Johann Jordan und Alviano waren in den Abruzzen festgenommen worden.
Dies erleichterte den Plan Alexanders, welcher einen alten Groll gegen das Haus der Orsini hegte, da sie einst nach dem Tode Calixts III. seinen Bruder Pedro aus Rom verjagt hatten. Schon im Juni 1496 hatte er alle ihre Güter konfisziert. Mit ihnen wollte er seinen Sohn Don Juan, den Herzog von Gandía ausstatten, welcher im August desselben Jahres, von seinem Vater gerufen, aus Spanien zurückgekehrt war. Er wollte diesen unfähigen Menschen zum Herrn des Patrimoniums machen, ihm dazu noch Ostia, Corneto und Civitavecchia geben. Im September 1496 entzog er sogar Alexander Farnese die Legation im Patrimonium und verlieh seinem Sohne die Regierung dieses Landes und Viterbos; sodann machte er ihn am 26. Oktober mit großer Feierlichkeit zum Bannerträger der Kirche. Da er Guidobaldo von Urbino in seine Dienste genommen hatte, übertrug er beiden den Krieg wider die Orsini und gab ihnen den Kardinal Lunate als Legaten bei.
Die Päpstlichen rückten am 27. Oktober in das Patrimonium, wo die Orsini ihre Stammgüter besaßen. Bereitwillig schlossen sich ihnen Fabricius Colonna und Antoniello Savelli an, als Werkzeuge des Papstes. Die Orsini gaben alsbald Anguillara, Galera, Sutri und andere Orte preis, aber sie behaupteten das feste, durch den See gedeckte Bracciano. Dies verteidigte tapfer Alviano, welcher seiner Gefangenschaft entronnen war, und sein amazonenhaftes Weib Bartolomea, die Schwester des Virginius. Das orsinische Kriegsvolk schlug nicht nur die Päpstlichen ab, sondern streifte bis vor Rom, und beinahe glückte es den Reitern Alvianos, den Kardinal Cesar am Monte Mario aufzuheben. Die Belagerten erhielten bald Entsatz; denn Carlo Orsini und Vitellozzo, der Tyrann von Città di Castello, beide im Dienste Frankreichs, kehrten aus der Provence zurück, sammelten ein Heer und zwangen die Päpstlichen, ihnen entgegenzurücken. Bei Soriano wurden diese am 23. Januar 1497 aufs Haupt geschlagen: der Herzog von Urbino ward gefangen, Gandía verwundet, und der Kardinal Lunate floh in solcher Hast, daß diese Anstrengung seinen Tod nach sich zog. Die Truppen des Papstes zerstreuten sich in wilder Flucht.
Dieser glänzende Sieg machte alle Feinde der Borgia jubeln; denn jetzt waren die Orsini Herren von Tuskien, und sie reichten der französischen Besatzung die Hände, die noch unter dem biskayschen Korsaren Monaldo de Guerra in Ostia lag. Nur der alte Virginius erfuhr nicht mehr den Triumph seines Hauses, denn ihn hatte schon am 18. Januar Fieber oder Gift im Gefängnis zu Neapel hingerafft. Das Denkmal dieses berühmten Mannes ist das Schloß zu Campagnano, welches er um 1490 erbaut hatte.
Der Papst, voll Scham und Wut, rief jetzt Consalvo und Prospero Colonna von Neapel zu Hilfe; aber die Gesandten Venedigs bewogen ihn doch zu einem Frieden, aus welchem die Orsini siegreich hervorgingen. Kraft des Vertrages vom 5. Februar 1497 zahlten sie dem Papst 50 000 Goldgulden, behielten aber ihre Güter und durften auch im Solde Frankreichs weiter dienen. Die Söhne des Virginius wurden aus Neapel entlassen, kehrten am 22. April nach Bracciano zurück und bestatteten die Leiche ihres Vaters feierlich in Cervetri. So schamlos war Alexander, daß er nichts für den gefangenen Guidobaldo tat, sondern sich selbst mit dem Golde bezahlt machte, womit sich dieser Herzog von den Orsini loszukaufen hatte. Guidobaldo war kinderlos; die Borgia sannen schon darauf, ihn zu beerben, und so büßte der Sohn Federigos damals zuerst sein Vergehen, sich in den Dienst jener begeben zu haben.
Der erste Versuch des Papstes, die eine der großen Adelsparteien niederzuwerfen, war demnach vollkommen gescheitert. Er sparte seine Rache an jene Herren für später auf. Indes kam Consalvo zur Fastenzeit nach Rom, um dem Papst Ostia zu erobern. Man holte ihn feierlich ein; er ritt zwischen Gandía und Giovanni von Pocaro nach dem Vatikan. Ostia kapitulierte alsbald; Monaldo mußte in Ketten voraufgehen, als Consalvo nach Rom zurückkehrte. Froh eilte der Papst, die Burg des verhaßten Kardinals Julian zu betreten, und so wichtig war ihm ihre Eroberung, daß er Consalvo mit Ehren überhäufte. Der stolze Spanier verschmähte die Osterpalme aus den Händen des Papstes, weil er sie nicht nach dem Herzog von Gandía empfangen wollte, aber er nahm von ihm die Goldene Rose, ein Geschenk für Könige. Diese mit Moschus betropfte Blume, das anmutigste Sinnbild im christlichen Kultus, stellte die reine Tugendblüte dar, von deren Duft die Kirche erfüllt sein sollte, doch in den Händen Borgias konnte sie nur als das Symbol heidnischer Lüste erscheinen.
Der freimütige Kriegsmann hielt dem Papst die Verderbnis der Kurie wie sein eigenes sündhaftes Leben vor und ermahnte ihn zur Reformation. Nie hatte Alexander eine empfindlichere Beschämung erduldet. Er war damals in Rom schon tief verhaßt, wo man die übermütige Herrschaft der Catalanen wiedergekehrt sah. Nur seine 3000 spanischen Söldner vermochten das murrende Volk in Zaum zu halten.
Am Karfreitag gab es einen ersten Auflauf; die Römer verschanzten sich auf dem Campo di Fiore; die Kardinäle beschwichtigten endlich ihre Wut gegen die Spanier und den spanischen Papst. Der Kardinal von Gurk, welcher sich nach Perugia gezogen hatte, sagte damals dem florentinischen Gesandten: »Wenn ich an das Leben des Papstes und einiger Kardinäle denke, so schaudert mir vor dem Aufenthalt an der Kurie; ich will nichts davon wissen, wenn Gott nicht seine Kirche reformiert.«
In derselben Osterzeit entwich Giovanni Sforza, der Gemahl Lucrezias, aus Rom, um sich drohenden Gefahren zu entziehen; denn schon hatte der Papst beschlossen, auch diese Ehe seiner Tochter aufzulösen. Die Ränke, die Verbrechen, die Trauerspiele des Hauses Borgia begannen nun, und sie wurden durch einen einzigen Menschen in Bewegung gesetzt: durch Cesare, welcher erst geheimnisvoll hinter der Szene stand, bis er offen hervortrat.
In seiner Hoffnung getäuscht, Gandía mit der Beute der Orsini auszustatten, wollte der Papst ihn auf Kosten der Kirche groß machen. Der junge Borgia besaß damals das ganze Herz des Vaters; allen weltlichen Glanz dachte er auf diesen Sohn zu übertragen. Am 7. Juni verlieh er ihm Benevent als erbliches Herzogtum nebst Terracina und Pontecorvo. Dies sollte für ihn die Stufe zu einer noch größeren Höhe in Neapel sein. Unter 27 Kardinälen wagte nur Piccolomini Widerspruch, die andern beugten sich dem Willen des Papstes. Denn nach der Restauration hatten sich die französisch gesinnten mit Alexander versöhnen müssen; die Colonna und Savelli standen zu ihm; Ascanio hatte sich ihm genähert; Orsini war machtlos; Julian und Gurk lebten im Exil. Außerdem hatte Alexander schon im Februar 1496 vier Spanier aus Valencia ins Kollegium gebracht: Martini, de Castro, Lopez und seinen Schwestersohn Juan Borgia.
Zwei Tage nach der Belehnung Gandías ernannte er Cesare zum Legaten für Neapel, wohin er abreisen sollte, Federigo zu krönen. Beide Brüder, der Kardinal und der Herzog, sollten dorthin am Anfange des Juli gehen und im September zurückkehren. Dann sollte Gandía sich nach Spanien begeben und seine Schwester Lucrezia mit sich nehmen, deren Ehe mit Pesaro der Papst aufzulösen vorhatte.
Wenn jetzt beide Brüder ihr Glück miteinander abwogen, so mußte Cesare das Los Gandías beneidenswert erscheinen. Er selbst war nur mit Widerwillen in den geistlichen Stand getreten. Wenn er auch als Kardinal den höchsten Einfluß gewann und Schätze aufhäufte, so durfte doch der Bastard eines Papstes niemals den Stuhl Petri zu besteigen hoffen. Dagegen konnte der Herzog von Benevent von der Gründung einer Dynastie, ja vom Throne Neapels träumen. Er empfing jetzt die Huldigung Roms zu seiner neuen Würde, die er in prachtvollen Aufzügen zur Schau trug; aber ein schreckliches Verhängnis stürzte ihn schon nach sieben Tagen in das Nichts. Der Anteil, den die Welt an diesem Trauerspiel eines fluchbeladenen Hauses nahm, hat noch eine Spur im Gedächtnis der Geschichte zurückgelassen, und wenn auch der Tod eines unbedeutenden Menschen nicht die Teilnahme erwecken kann, welche noch der Untergang des Germanicus erregt, so ist er doch als ein tragisches Geheimnis aus den fürchterlichen Zeiten der Borgia berühmt geworden.
Am 14. Juni 1497 speisten Cesare und sein Bruder mit Freunden, worunter auch der Kardinal Monreale war, bei ihrer Mutter zur Nacht, in einem Weinberg bei S. Pietro ad Vincula. Nach beendigtem Mahle bestiegen beide ihre Maultiere, um nach dem Vatikan zurückzukehren. Gandía verabschiedete sich von Cesare beim heutigen Palast Cesarini, wo der Vizekanzler Ascanio wohnte, um, wie er sagte, geheimen Geschäften nachzugehen. Es begleiteten ihn nur ein Stallknecht und eine maskierte Person, welche ihn seit einem Monat im Vatikan zu besuchen pflegte. Er nahm die Maske hinter sich, ritt bis zum Platz der Juden zurück und befahl hier dem Diener, ihn eine Stunde lang zu erwarten, dann aber nach dem päpstlichen Palast zurückzukehren, wenn er selbst nicht gekommen sei.
Der Morgen kam, der Herzog erschien nicht. Der Papst erschrak, glaubte jedoch, daß sein Sohn bei einer Geliebten aufgehalten, am Abend zurückkehren werde. Auch am Abend kam der Herzog nicht, und jetzt wurde die Aufregung des Papstes groß. Häscher meldeten, daß der Stallknecht des Vermißten auf dem Platz der Juden zu Tode verwundet aufgehoben sei, ohne daß er über das Schicksal seines Herrn Auskunft zu geben vermochte. Alsbald ging eine Rede durch Rom: Gandía sei ermordet und in den Tiber gestürzt worden. Dieses Gerücht hatte nichts für sich als die Erfahrung nächtlicher Meuchelmorde. Man ergriff am Ufer, wo schon damals Sclavonier Kohlen feilboten, einen Menschen dieses Gewerbes und fragte ihn, was er in der Dienstagsnacht gesehen habe. »Ich sah«, so antwortete dieser, »gegen ein Uhr Nachts zwei Männer aus der Gasse links vom Sclavonier-Hospital zum Tiber kommen, nahe an der Fontäne, wo man Kehricht in den Fluß wirft; sie blickten umher, dann gingen sie zurück. Bald darauf erschienen zwei andere, schauten sich ebenfalls um, und gaben ein Zeichen. Hierauf kam ein Reiter auf einem weißen Pferde, einen Toten hinter sich, dessen Kopf und Arme von der einen, dessen Füße von der anderen Seite herabhingen. Er ritt an den bezeichneten Ort, worauf seine Begleiter die Leiche mit aller Kraft in den Strom warfen. Der Reiter fragte: »Habt ihr ihn wohl hineingeworfen?« »Ja, Herr!« so antworteten sie. Er blickte hinter sich in den Fluß, und da er den Mantel des Toten obenauf schwimmen sah, warfen jene Steine danach, ihn untersinken zu machen.« Auf die Frage, warum er, was er gesehen, nicht dem Governator angezeigt habe, antwortete der Kohlenhändler: »Ich habe in meinen Lebtagen wohl hundert Leichen nachts dort in den Fluß werfen sehen, und niemals hat man sich weiter darum bekümmert.«
Hunderte von Fischern fischten sofort im Tiber nach dem Sohn des Papstes: ein Schauspiel so seltsam und spannend, daß es ganz Rom in Aufregung hielt. Am folgenden Tage um die Mittagszeit zog man den Herzog aus den Wellen. Er war vollkommen angekleidet, mit Stiefeln und Sporen, in Samtkleid und Mantel, durchbohrt von neun Stichen an Kopf, Leib und Schenkeln und mit einer Todeswunde am Halse. Seine Hände waren zusammengebunden; eine unangetastete Börse mit 30 Dukaten trug er bei sich.
Eine Barke brachte den Toten nach der Engelsburg, und hier kleidete man ihn in die Gewänder des Feldhauptmanns der Kirche und legte ihn auf eine Bahre. Das Volk wogte auf den Straßen; alle Läden schlossen sich. Viele verbargen kaum Haß und Schadenfreude; nur die Spanier gingen mit gezogenen Schwertern durch die Stadt, weinend oder fluchend.
Spät am Abend trug man den toten Papstsohn nach S. Maria del Popolo. Dieser schreckliche Leichenzug bewegte sich mit 200 Fackeln am Tiber hin und der Stelle vorbei, wo Gandía in den Fluß gestürzt worden war. Prälaten, Kammerherren und Diener des Palastes schritten dem Toten voran unter lautem Weinen. Die Römer blickten voll Grauen in das von Fackellicht umflackerte Angesicht des Ermordeten, der einem Schlummernden ähnlich auf offener Bahre dalag. In S. Maria wurde der Herzog beigesetzt, wohl in der Familienkapelle seiner Mutter Vanozza. Gandía, kaum 24 Jahre alt geworden, war der einzige der Söhne Alexanders, der ein Geschlecht begründete. Er hinterließ einen Sohn Juan, welcher mit seiner Mutter Donna Maria Enriquez in Spanien geblieben war, und von diesem stammte dort eine zahlreiche und glänzende Nachkommenschaft von Herzögen Gandías, von Prälaten und Kardinälen. Ein seltsamer Zufall fügte es, daß ein Enkel des Ermordeten, der Herzog Francesco von Gandía, der dritte General des Jesuitenordens wurde. Er starb im Jahre 1572 und wurde heilig gesprochen.
Das gräßliche Ende seines Sohnes, der Hohn der Welt und viele andere schreckliche Gedanken machten den Papst fast sinnlos. Er verschloß sich im Palast. Man hörte ihn im Gemache weinen. »Ich weiß seinen Mörder!« so soll er ausgerufen haben. An seiner Türe flehte der Kardinal Segobia und flehten andere Höflinge. Endlich öffnete er. Er aß und trank nicht und schlief nicht vom Donnerstag Morgen bis zum Sonntag.
Am 19. Juni berief er ein Konsistorium. Alle Kardinäle kamen außer Ascanio. Auch die fremden Gesandten waren anwesend. Mit atemloser Spannung hörte man die Rede, die der Papst hielt. »Wenn ich sieben Papsttümer hätte,« so rief er, »ich wollte sie alle für das Leben meines Sohnes hingeben!« Er erklärte, nicht zu wissen, wer der Mörder sei; er lehnte die Gerüchte ab, welche Pesaro oder Squillace oder Urbino verdächtigten. Ganz erschüttert sagte er, daß er weder mehr an das Papsttum, noch an sein Leben, nur an die Reform der Kirche denken wolle. Er setzte eine Kommission von sechs Kardinälen dazu ein und proklamierte sie auf der Stelle. Als er seine Rede beendigt hatte, erhob sich der spanische Botschafter Don Garcilaso de la Vega, entschuldigte das Ausbleiben Ascanios, sprach in dessen Namen sein Beileid aus und trat dem Gerücht entgegen, daß der Kardinal der Tat schuldig sei oder sich zum Haupt der Orsini gemacht habe; nur aus Furcht vor Exzessen der Spanier sei er zurückgeblieben, werde aber auf den Ruf des Papstes sofort erscheinen. Alexander antwortete, daß er niemals Verdacht gegen Ascanio gefaßt habe, den er wie seinen Bruder betrachte. Die Gesandten bezeugten der Reihe nach ihr Beileid, und der Papst hob dieses staunenerregende Konsistorium auf.
An demselben 19. Juni teilte er den Mächten Italiens wie des Auslandes das Unglück mit, welches ihn betroffen und die heiligen Entschlüsse, die er auf diesen Wink Gottes gefaßt habe. Sie antworteten durch Beileidsbriefe. Aufrichtiger wohl als der Papst mochten sie im Tode seines Sohnes eine Mahnung des Himmels sehen. Der Kaiser Maximilian ermahnte ihn, seine guten Vorsätze auszuführen. Der Papst wollte fortan keine Benefizien, keine Pfründe, kein Kirchenamt, mehr verkaufen, sondern sie nur an würdige Personen austeilen. Die Kardinäle sollten jeder nur ein Bistum haben, nur 6000 Gulden Einkünfte beziehen, nicht mehr als achtzig Personen an ihrem Hof behalten. So zerknirscht zeigte sich Alexander, daß er dem spanischen Könige sogar von Abdankung schrieb; aber diese flüchtige Regung seines Gewissens hatte keine Macht über die dämonischen Verhältnisse, in die er unrettbar verstrickt war. Kaum erließ jene Kommission einige Reformgesetze, als Alexander ihr mit der Erklärung entgegentrat, daß dadurch die päpstliche Freiheit beschränkt werde.
Wer war der geheimnisvolle Mörder des Papstsohnes? Tausend Gerüchte wurden in Rom laut. Die Polizei ließ alle Häuser durchsuchen, wo der Ermordete verkehrt hatte. Man folterte die Dienerschaft, man verdächtigte Personen hohen Ranges, wie die schöne Tochter des Grafen Anton Maria von Mirandola, dessen Palast nahe an der Stelle lag, wo der Herzog ertränkt ward. Doch nichts ergab sich. Einige bezeichneten den entflohenen Pesaro als Anstifter des Mordes aus Rache wie aus Eifersucht, weil Gandía mit Lucrezia, seiner eigenen Schwester, ein frevelhaftes Verhältnis unterhalten habe. Andere beschuldigten Ascanio: der Herzog habe dessen Kämmerer gewaltsam entführen und im Vatikan erwürgen lassen, und diese Beschimpfung habe der stolze Kardinal gerächt. Aber wenige Tage nach dem Morde ging Ascanio unter Bürgschaft der Botschafter Spaniens und Neapels zum Papst, mit dem er sich vier Stunden lang unterhielt. Alexander kannte seine Schuldlosigkeit sehr wohl, doch hielt es der Kardinal für gut, Anfangs Juli sich nach Grottaferrata zu begeben. Von dort kam er im August zurück, weil Lunate im Sterben lag, und er verkehrte wieder mit dem Papst. Sodann verließ er aus Vorsicht Rom im September, indem er nach Loreto ging.
Der Papst mußte über das schreckliche Geheimnis aufgeklärt sein, denn hätte er sonst wohl die Nachforschungen über den Mörder seines Sohnes schon nach zwei kurzen Wochen einstellen lassen? Oder wollte er die furchtbare Tat überhaupt im Dunkel begraben, weil die angestellten Untersuchungen die gräßlichsten Gerüchte über die Mysterien des Hauses Borgia in Umlauf brachten? Man darf auch dies bezweifeln. Er kannte den Mörder, und das war, wenn nicht für die tatsächliche, so doch die moralische Überzeugung, sein eigener Sohn, der Bruder des Ermordeten. Das sittliche Gefühl sträubt sich gegen den Glauben jener verderbten Zeit, daß Lucrezia der Gegenstand der verbrecherischen Liebe und der Eifersucht ihrer Brüder, ja noch einer anderen Person gewesen sei, aber das Urteil nicht gegen die Vorstellung, daß die glanzvolle Stellung seines Bruders für den Ehrgeiz Cesares ein unerträgliches Hindernis gewesen ist. Dies hat er hinweggeräumt, um sich seinen Weg zu bahnen. Man hielt ihn bald genug für den Mörder, nur wagte man sich nicht mit dieser Ansicht hervor. Burkard deutet in seinen Tagebüchern mit keiner Silbe den Brudermord an; er brach vielleicht absichtlich sein Diarium mit dem 14. Juni ab.
Erst drei Jahre später sprach es der venetianische Botschafter ganz offen aus, daß Cesare seinen Bruder ermordet habe, und zu dieser Überzeugung bekannten sich die ersten Geschichtschreiber und Staatsmänner Italiens. Der Tod Gandías befreite Cesare von einem Nebenbuhler in der Gunst des Papstes und machte es ihm möglich, das Gewand des Priesters abzulegen, wozu sein Plan längst gefaßt war. Noch mußte er freilich ein Jahr lang die geistliche Maske tragen, denn dies gebot ihm die Rücksicht auf den Argwohn der Welt. Der Vater stand bereits im Banne der schrecklichen Willenskraft seines Sohnes, vor dem er selbst zu zittern begann. Kein Zeuge sah ihre erste Zusammenkunft nach jener Tat. Doch das ist sicher, daß Cesare noch fünf Wochen lang in Rom blieb, ehe er seine Reise nach Neapel antrat.
Er verließ Rom in Begleitung Burkards am 22. Juli. Am 1. August befand er sich in Capua, wo er vom königlichen Hofe mit hohen Ehren gefeiert wurde. Hier erkrankte er, worauf Don Jofré mit seiner Gemahlin am 8. August Rom verließ, um zu ihm zu reisen. Der letzte der Könige vom Hause Aragon empfing am 10. August die verhängnisvolle Krone aus den Händen von Cesare Borgia, und dieser furchtbare Mensch berechnete wohl in demselben Augenblick die Mittel, dieses Diadem demjenigen zu entreißen, den er als Legat damit krönte.
Am 4. September 1497 kam er zurück. Die Kardinäle begrüßten den jetzt Allmächtigen mit furchtsamen Huldigungen bei S. Maria Nuova, und sie geleiteten ihn nach dem Vatikan. Der Papst empfing ihn im Konsistorium; er küßte ihn; Vater und Sohn sprachen miteinander kein Wort. Doch der Vater liebte seinen Sohn; schon jetzt dachte er daran, ihn in einen weltlichen Fürsten zu verwandeln; schon sprach man davon, daß Cesare entweder die Witwe des Königs Fernando oder seine Schwägerin Sancía heiraten werde, die junge Gemahlin des Don Jofré, welcher dann an seiner Stelle Kardinal werden sollte.
Die Ermordung Gandías hatte den Papst tief erschüttert, aber weil der Tote nicht mehr auferstehen konnte, verzieh der Vater seinem Sohne Cesare den Frevel mit der größten Liebe. So abgestumpft war sein Gewissen, daß er diesem Cesare die kostbare Einrichtung und die Juwelen des Ermordeten gerichtlich überließ, um sie für dessen Erben Juan zu verwalten. Der klagende Geist des Toten ließ sich freilich noch im Vatikan vernehmen, doch kam auch er zum Schweigen. Das Volk glaubte an diese Erscheinungen. Dämonische Mächte, so sagte man sich, walteten in der Nähe des Papstes. Große Zeichen, so schrieb Malipiero, geschehen in der Zeit Alexanders: er hat den Blitz in seinem Vorzimmer gehabt, er hat die Tiberflut gehabt, sein Sohn ist ihm ermordet worden, und jetzt ist auch die Engelsburg in die Luft geflogen. Am 29. Oktober 1497 fiel nämlich der Blitz in die dortige Pulverkammer; die Explosion zerstörte die oberen Teile der Burg, zertrümmerte den marmornen Engel und schleuderte mächtige Steine weit in den Borgo hinein.
Die Logik des Verbrechens wirkte weiter fort: die Zeit war gekommen, wo Cesare Borgia in den Vordergrund trat, über den eigenen Vater emporwuchs und diesen zum Bekenntnis zwang, daß er, der Sohn, sein Meister sei.
Der politische Horizont Italiens war damals so tief verfinstert, daß eine Katastrophe im Gemeingefühle lag. Noch schwankte hier vom Stoß der Jahre 1494 und 1495 eine jede Macht, außer Venedig. Das Papsttum trieb im Strudel der Zeitströmung, und es befand sich in der heftigsten Krisis weltlicher Umbildung. Vor Alexander VI. hatten noch einige Päpste entweder die nationale Richtung oder eine kosmopolitische Stellung festzuhalten gestrebt, doch jetzt waren diese Bahnen verlassen. Das theokratische Prinzip war mit der Tyrannis vertauscht worden. Der damalige Fürst auf dem Marmorthrone des Vatikans unterschied sich von den anderen Dynasten Italiens nur durch Titel und Gewänder, aber er hatte gleichwohl nicht vergessen, daß er im Besitze der geistlichen Autorität sei und sich ihrer für seine weltliche Zwecke bedienen könne. Diese Doppelnatur, das seltsamste Produkt Europas, welches aus der Verbindung der praktischen Geschichte Roms mit der christlichen Mystik entsprang, machte den Papstkönig noch allen Mächten furchtbar und seinen Tempelstaat unzerstörlich.
Keine noch so tiefe Finsternis Roms, wie sie Satiriker oder Heilige von Pier Damiani bis auf Clemange gebrandmarkt hatten, glich der Entsittlichung zur Zeit Borgias, wo das Licht der Humanität den Schatten des Vatikans nur um so dunkler erscheinen ließ. Hier saßen unter Trümmern der alten Kirche und auch der alten Gemeindefreiheit Roms in Prunkgemächern der Vater und der Sohn, unumschränkte Gebieter, umringt von willfährigen Dienern, sich berechtigt dünkend, wie einst Tiberius, ihr Zeitalter, das feile Volk und den Senat zu verachten, der ihnen gehorchte. In diesem Senat trauerten einige bessere Männer, wie Piccolomini und Caraffa, aber die meisten waren Geschöpfe der Borgia und verderbt wie sie. Der Jesuit Mariana nannte später Alexander VI. nicht Papst, sondern nur Vorsteher der kirchlichen Zeremonien, und in Wahrheit war die öffentliche Religion, wie sie sich in Rom darstellte, nichts mehr als ein hergebrachter Formelndienst. Sie war es auch im allgemeinen in Italien überhaupt. Ihre äußeren Gesetze aufrecht zu halten galt als Klugheitsregel für Republiken und Fürsten; denn die Religion mit ihren Wundern konnte als Staatsmittel gebraucht werden. Nur in diesem Sinne riet Machiavelli Niccolò Machiavelli (1469-1527), italienischer Staatsmann und Geschichtsschreiber. Er wurde 1498 Kanzleisekretär des »Rates der Zehn« in Florenz; 1512 verdächtigt, an einer Verschwörung gegen die Medici teilgenommen zu haben, deshalb eingekerkert und gefoltert; später wurde er wieder einflußreich für seine Vaterstadt. Am berühmtesten ist seine Schrift »Der Fürst« geworden. den Regenten, sich ihrer zu bedienen und selbst den Aberglauben zu unterstützen, wie es einst die alten Römer getan hatten.
Begier nach Macht und Genuß war der Trieb jener Zeit, wo die Lehre Epikurs das Christentum bezwungen hatte. Die wollüstige Natur erscheint fast in jedem hervorragenden Menschen jener Epoche, und Alexander VI. machte aus Rom einen moralischen Sumpf. In dieser lasterhaften Gesellschaft galt es nur, Menschen und Dinge zu Werkzeugen der Selbstsucht zu gebrauchen. Egoismus ist der Grundzug des Menschen der Renaissance, wo das Gewissen des Einzelnen wie der sittliche Begriff des Rechts im Staat zerstört war. Wenn ein kräftiger Wille erschien, wurde er mörderisch. Jene Zeit ertrug und verübte das Furchtbare, als wäre es Natur. Wir Menschen von heute fassen das kaum. Die Borgia stellten die Renaissance des Verbrechens dar, wie es die Zeit des Tiberius und anderer Kaiser gesehen hatte. Sie besaßen den kühnsten Mut dazu, aber das Verbrechen selbst wurde unter ihren Händen zum Kunstwerk. Dies ist es, warum Machiavelli, der politische Naturforscher jener Zeit, einen Cesare Borgia bewundert hat. Gold war das Idol, vor dem sich alles beugte. Durch Gold stieg Alexander auf den Thron, mit ihm behauptete er ihn und gewann er für Cesare Länder. Er tat auch nur, was seine Vorgänger getan, wenn er jedes Amt, jede Gunst, jedes Recht und Unrecht feil bot. Nur tat er dies in größeren Verhältnissen. Seine rechte Hand war, seitdem Lopez Kardinal geworden, Giambattista Ferrari aus Modena, der Cerberus der Kurie, wie man ihn nannte. Die Römer, alle in ihren Kreisen gleich raubgierig, sahen geduldig das Unwesen im Vatikan, nährten sich selbst von dem Geldüberflusse der Kurie, und vergnügten sich nur mit Satiren, wie zur Zeit Juvenals. So lange ihre Vorfahren im Mittelalter noch ihre Parlamente auf dem Kapitol hielten, schwieg die Stimme des Pasquino Pasquino – Name eines satirischen Schusters aus dieser Zeit. Nach ihm nannte man auch eine Bildsäule, an die das Volk Spottverse zu heften pflegte.. Er begann seine witzigen Reden, als es im römischen Volk keine Männer mehr gab, und seither war es ihm vergönnt, Satiren zu schreiben, welche die Waffen der Ohnmächtigen sind.
In allen Ländern erhob sich doch schon ein Geschrei über das Treiben in Rom. Deutsche Fürsten, die hierher kamen, wie Albert von Sachsen und Erich von Braunschweig, mußten vor dem zurückbeben, was sie hörten und sahen. In Frankreich bereute es Karl VIII., daß er nicht Alexander vor ein Konzil gebracht hatte. Portugal und Spanien ermahnten den Papst: alle Laster seien an der Kurie zügellos, alles Heilige sei für Geld feil; Rom eine Höhle schamloser Frevel; dieses Unwesen habe den äußersten Grad erreicht. Sie forderten die Reformation der Kirche und ein Konzil. Die höchsten Beamten der Kurie trieben Fälschung. Selbst der Geheimschreiber Floridus, Erzbischof von Cosenza, wurde angeklagt, Dispense verfälscht zu haben, welche den König von Spanien in Wut versetzten. Der Sturz dieses Günstlings erinnert an den Fall Sejans. Floridus, im September 1497 eingekerkert, leugnete seine Schuld, wurde dann zu Bekenntnissen verlockt, die der Papst brauchte, und endlich in das Verließ der Engelsburg gestoßen, welches San Marocco hieß. Dies war ein finsterer Ort in der innern Gruft Hadrians, wo man Unglückliche durch eine Versenkung in einen Brunnen zu stürzen pflegte. Hier ward Floridus eingeschlossen; man gab ihm nur Wasser und Brot, einen Krug Öl und eine Lampe, dazu ein Brevier und die Heilige Schrift. Er verschied am 23. Juli 1498.
Der Entrüstung Italiens gab damals Savonarola den beredtesten Ausdruck. Der heilige Zorn, mit welchem er gegen das Papsttum eines Borgia, gegen den Verfall der Kirche und der italienischen Nation eiferte, sichern ihm eine Stelle unter den Märtyrern des Ideals. Dieser kühne Volksredner war das Gewissen Italiens und sein Prophet unter dem sündigen Volk. Er sah die Frevel der Zeit und zog daraus den logischen Schluß. Er prophezeite den Zug Karls VIII. und vieles andere richtig. Nicht in der Wirkung jenes Zuges auf Italien täuschte er sich, aber in der Erwartung, daß dieser König die Kirche durch ein Konzil reformieren werde. Nach der Vertreibung der Medici war Savonarola das Haupt der Florentiner Republik, wo er die Stellung eines Gesetzgebers einzunehmen begann. Aus seinem Geiste gingen magnetische Strömungen, welche Florenz elektrisierten, die Stadt der heidnischen Philosophen, der Genußmenschen, der Kunstschwelger, der Wechsler und Kaufleute, der politischen Rechenmeister und der feinsten Kritiker. Savonarola war der Cola di Rienzo (röm. Volkstribun, 1313-54) von Florenz, aber mit den fanatischen Zügen des Dominicus (1170-1221, Stifter des Ordens der Dominikaner); noch im Mittelalter, noch in seiner Kutte befangen, von der er nie loskam. Die Macht der Kirche in romanischen Landen, ihre Verflechtung in Gesellschaft und Staat, die volkartig große Zahl der Priester, das Bedürfnis des italienischen Geistes, einer moralischen Idee politische Gestalt zu geben, oder auch die Unfähigkeit, im Gebiete des reinen Denkens sich lange zu erhalten: dies alles hat Menschen wie Arnold von Brescia, Johann von Vincenza, Savonarola erzeugt, das heißt Mönche und Politiker in einer Person. Aus diesem Wesen folgte, daß ihre wichtigste Aufgabe, die kirchliche Reform, stets in Revolutionen des Staates und seiner Parteien verloren ging.
Savonarolas theatralische Stürmerei, nicht der Heiligenbilder wie in byzantinischer Zeit, sondern der Eitelkeiten und des Luxus, besserte die öffentliche Moral nicht; seine Fastenpredigten brachten nur die flüchtige Wirkung hergebrachter Flagellantenprediger hervor: seine Anklagen gegen das Sodom Roms wurden als wahr erkannt, aber sie erweckten nicht den sittlich ernsten Kampf der Geistesfreiheit gegen die absolute Papstgewalt. Keine Erwartung könnte berechtigter erscheinen als diese, daß die Stimme des Wehe rufenden Daniel das italienische Volk zur tatsächlichen Reform der Kirche, ja zum Abfall von Alexander VI. hätte treiben müssen. Doch der Prediger in der Wüste begegnete nur der Gleichgültigkeit für jede tiefere religiöse Idee. Der Sinn für Christentum und Kirche war im Volk der Italiener meistens tot, weil im äußeren Kultus untergegangen, oder das Reformbedürfnis war in die Kanäle der klassischen Bildung abgeleitet. Das Papsttum war stets für die Italiener nicht eine religiöse, sondern eine politische Frage. Savonarola wollte der Erneuerer der Religion oder doch der Moral des Volkes sein, um dasselbe dadurch für die Freiheit fähig zu machen, aber die Florentiner begehrten nur von ihm, daß er der Gründer ihrer Republik werde. Machiavelli hat die staatsmännischen Grundsätze des Mönchs von S. Marco als trefflich anerkannt, doch er schweigt von dem Wert seiner kirchlich-reformatorischen Ideen, weil diese ihn selbst, wie jeden anderen Italiener, gleichgültig ließen. In Wahrheit erscheint auch der Traktat Savonarolas über die Regierung von Florenz bemerkenswerter als sein zerstreutes Programm von der Reform der Kirche, worüber er wohl nie im Klaren war.
Die Erschütterung des Gewissens Alexanders nach der Ermordung seines Sohnes glaubte er ernst genug, um den »Heiligen Vater« zu ermahnen, die Reform der Kirche durchzuführen. Nur mit Verwunderung kann man seinen Brief an diesen Papst lesen. Die unheimliche, ganz in Flammen hoher Schwärmerei gehüllte Gestalt des Propheten war Alexander VI. fast weniger ängstigend als widerlich. Seine Predigten gegen die Laster der römischen Kurie mußte er endlich zum Schweigen bringen. Aufgereizt von den doktrinären Feinden des Savonarola, den Franziskanern, auch von den verbannten Medici (Piero lebte im Exil zu Rom), forderte er von der Florentiner Signorie die Auslieferung des Mönches, dem er das Predigen verbot. Sein Kampf mit diesem kühnsten, aber schwächsten seiner Feinde, welcher endlich mit einer Appellation an das Konzil hervortrat und die Fürsten Europas zur Reform der Kirche aufrief, wurde ihm durch die Zerrüttung der Florentiner Republik erleichtert, da die Gegner Savonarolas die Oberhand gewannen. Die mißglückte Aufführung eines Schauspiels mittelalterlichen Aberglaubens, einer Feuerprobe, wozu der exkommunizierte Prophet herabsank, zerstörte dessen Nimbus. Das getäuschte Volk stürmte sein Kloster, und Savonarola endete gleich Arnold von Brescia wie ein gemeiner Ketzer auf dem Scheiterhaufen am 23. Mai 1498. Er fiel, weil seine visionäre Ekstase ohne Inhalt von Taten und sein eitles Prophezeien das Volk langweilte, die Republik selbst ins Verderben brachte. Jetzt fühlte sich Alexander sicherer auf dem Stuhle Petri; der einzige moralische Protest Italiens gegen ihn war in den Flammen erstickt, seine Autorität von der Florentiner Republik anerkannt, sein päpstliches Ansehen von der Welt durch den Richterspruch der Signorie wiederhergestellt. Von jetzt ab wurde er ganz furchtlos, ganz schamlos in seinem Tun.
Luther, damals ein armer Chorschüler, konnte vom Eindruck der Florentiner Tragödie schwerlich schon aufgereizt werden, aber 25 Jahre später gab er die Auslegung des 51. Psalms heraus, welche der sterbende Prophet von S. Marco im Gefängnis geschrieben hatte, und er weihte dabei dem Andenken des edlen Märtyrers einen ehrenden Nachruf. Die deutsche Reformation durfte Savonarola als ihren Vorkämpfer im Gebiete des Sittlichen ehren, doch sonst fand sie kaum eine Waffe vor, welche sie aus seiner Hand entlehnen konnte, wie solche die älteren radikalen Reformer, Marsilius und Occam, oder Wiclef und Huß aus dem Stahle der wissenschaftlichen Kritik geschmiedet hatten. Schwärmer, selbst die hochherzigsten und edelsten, haben nie die Ketten des Menschengeschlechts zu brechen vermocht. In Italien erstarb auch die moralische Reformbestrebung Savonarolas auf seinem Scheiterhaufen. Von diesem unglücklichen ersten Reformator der Renaissance blieb nur das geschichtliche oder literarische Bild eines Heiligen übrig. Doch glänzt auch dieses sehr hell auf dem finstern Hintergrund des Papsttums Alexanders VI. wie der Leiden und der Schuld Italiens in jener Zeit, wo Savonarola der freisinnigste Patriot, der genialste Denker und der einzige moralische Vertreter seiner Nation gewesen ist. Und nur durch ihn hat diese in jener schrecklichen Epoche der Entwürdigung sich selbst zu rechtfertigen vermocht. Kaum zwölf Jahre vergingen nach der Hinrichtung des Florentiner Reformators, und Raffael durfte es wagen, den Heiligen der Kirche auf dem Gemälde der Disputa im Vatikan selbst Savonarola beizugesellen.
Noch kurz vor seinem Tode hatte Savonarola Karl VIII. aufgefordert, ein Konzil zu versammeln und von dem Könige war schon ein Jahr früher das Urteil der Sorbonne, der Pariser Universität, eingeholt worden, welche sich für ein solches aussprach. Diese Drohung schwebte über dem Haupte des Papstes; doch politische Verhältnisse ließen ihn hoffen, sie zu entfernen, ja sich enge mit dem Könige zu verbünden; da starb der plötzlich zu Amboise, am 7. April 1498. Sein Tod war folgenschwer. Denn kaum hatte sein Vetter Orleans, der schwache aber ehrgeizige Ludwig XII., die Krone genommen, als er durch die Titel Herzog von Mailand und König von Sizilien und Jerusalem zu erkennen gab, daß er die Unternehmung seines Vorgängers fortzusetzen willens sei. Alexander eilte, ihn zu beglückwünschen. Mit zurückhaltender Miene ließ er ihm sagen, was er selbst begehre: keinen Feldzug mehr in Italien, sondern den Türkenkrieg; die Ansprüche auf Mailand und Neapel seien unpraktisch und führten nur zum allgemeinen Verderben; die Republik Florenz sei in ihrer Freiheit zu erhalten, Pisa ihr zurückzugeben; den Orsini und Colonna sei zu verbieten, ohne Erlaubnis der Kirche in französische Dienste zu treten; den gebannten Stadtpräfekten Rovere solle der König nicht in seinen Schutz nehmen.
Gerade damals war Rom durch einen wütenden Krieg zwischen Colonna und Orsini aufgeregt. Das Glück jenes Hauses, welches die Orsini aus den Abruzzen verdrängte, erbitterte diese Erbfeinde; denn Federigo hatte am 6. Juli 1497 Fabricius Colonna mit Tagliacozzo und Alba beliehen, nachdem er diese streitigen Grafschaften wegen der Empörung des Virginius konfisziert hatte. Die Orsini verbündeten sich mit den Conti, rückten mit einem ganzen Heer gegen die Colonna, erlitten aber am 12. April 1498 bei Palombara eine vollständige Niederlage. Carlo Orsini wurde gefangen, Bartolomeo Alviano, der Kardinal, sein Bruder Julius und Johann Jordan entrannen mit Not. Beide Teile erkannten hierauf, daß ihr Krieg nur der Vorteil des Papstes sei; sie schlossen im Juli Frieden zu Tivoli, verbanden sich durch Heiraten und überließen dem Könige Federigo die Entscheidung wegen Tagliacozzo.
Alle Feinde der Borgia jubelten über diese Versöhnung der streitenden Häuser, während der Papst voll Argwohn war. Eines Tages fand er an der Türe der vatikanischen Bibliothek Verse, welche die Colonna und Orsini ermunterten, ihre vereinten Kräften nunmehr gegen den »Stier« zu richten, der Italien verwüste und ihn und seine Stierkälber in die rächenden Wogen des Tiber zu versenken. Alexander geriet in Furcht; er zog 800 Mann Fußvolk in den Borgo; doch die versöhnten Erbfeinde achteten zu ihrem Verderben nicht auf jene weise Mahnung.
Man wußte bereits, welche neuen Pläne der Papst zur Erhöhung seiner Kinder schmiede, welche verderbliche Unterhandlungen er mit Frankreich angeknüpft habe. Noch bestand die Liga zwischen ihm, Venedig und Mailand, dem Kaiser und Spanien zu Recht; aber es fanden sich Ursachen, welche es dem neuen König Frankreichs möglich machten, diesen Bund aufzulösen und vor allem den Papst von ihm zu trennen. Ludwig XII. wollte seine Gemahlin Johanna von Valois, die mißgestaltete Tochter Ludwigs XI., verstoßen, um Anna, die Witwe Karls XIII. zu heiraten, welche er um so leidenschaftlicher liebte, als sie die Erbin der Bretagne war. Ein Dispens der Kirche war dazu nötig, und deshalb unterhandelte man in Rom. Alexander ergriff dies voll Begier. Der Gedanke, ganz Italien durch eine zweite Invasion in Flammen zu setzen, ängstigte ihn nicht, denn der Ruin dieses Landes, dem er nicht angehörte, machte seine Kinder groß, während ihn selbst die Freundschaft Ludwigs XII. gegen Schisma, Konzil und alle seine Feinde schützte. Nur die Verbindung mit Frankreich war es, welche den Borgia fortan unerhörte Kraft gab.
Dem Könige ward bewilligt, was er begehrte, nachdem er zugestanden, was man verlangte. Das Nähere sollte mit ihm Cesare in Frankreich besprechen. Denn nun war auch die Zeit gekommen, wo dieser Kardinal ein französischer und dann ein italienischer Fürst werden durfte. Große Veränderungen gingen im Hause des Papstes vor. Zunächst ward Lucrezia wiederum vermählt.
Ihre kinderlose Ehe mit Pesaro hatte der Papst schon im September 1497 getrennt und sie selbst ins Kloster S. Sisto geschickt. Der beschimpfte Gemahl lebte in seiner Herrschaft Pesaro, die er nur deshalb nicht verlor, weil die Venetianer ihn schützten. Alexander folgte jetzt dem Rate Prosperos Colonna, Lucrezia mit Don Alfonso von Bisceglie, dem Bastard Alfonsos II. zu vermählen. Der siebzehnjährige Prinz kam im Juli nach Rom, und die Vermählung der Papsttochter mit ihrem dritten Gemahl wurde im Vatikan vollzogen. Lucrezia faßte alsbald eine wirkliche Neigung für ihn. Nur aus Furcht hatte Federigo in diese Verbindung gewilligt, aber standhaft verweigerte er die von ihm für Cesare geforderte Hand seiner Tochter Carlotta nebst der Mitgift von Tarent, denn nur um dieses Zweckes willen hatte der Papst jene neapolitanische Vermählung seiner Tochter abgeschlossen. Die Prinzessin Carlotta wurde am Hofe Frankreichs erzogen, und dort bestürmte der Papst den König Ludwig, deren Einwilligung zu vermitteln. Federigo, dem die Freundschaft der Borgia noch verderblicher erschien als ihre Feindschaft, wollte von nichts hören, und mit gleichem Abscheu bebte die junge Fürstin vor der Ehe mit einem »Pfaffen und Pfaffensohn« zurück.
Der Kardinal Cesare erklärte indes am 13. August 1498 vor dem Konsistorium, daß seine Neigung stets weltlich gewesen sei und nur der Wille des Papstes ihn gezwungen habe, Geistlicher zu werden. Dies war vielleicht das einzige wahre Wort, das er je gesprochen hatte. Die Kardinäle gaben ihm einstimmig die Erlaubnis, den roten Hut abzulegen. Nur der spanische Botschafter Garcilasso hatte gegen die Verwandlung des Kardinals in einen französischen Fürsten und folglich in ein Werkzeug Frankreichs protestiert und eine Reformation der Kurie gefordert, was den Papst in Wut versetzte. Er scheute sich nicht, zu erklären, daß diese aus den profansten Gründen vollzogene Entgeistlichung seines Sohnes die Rücksicht auf dessen Seelenheil zum Motive gehabt habe. Mit dem Kardinalshut verzichtete Cesare auf eine Rente von 35 000 Goldgulden, die ihm seine Benefizien eingebracht hatten. An demselben Tage erschien der Kammerherr Serenon, welcher ihn nach Frankreich geleiten sollte. Die Ausrüstung des künftigen Herzogs von Valentinois war schon seit dem Anfange des Jahres 1498 betrieben worden. Eine unglaubliche Menge von Gold- und Seidenstoffen hatte man aus fremden Fabriken kommen lassen. Verkauf von Ämtern in der Kurie und gewaltsame Beerbung verstorbener oder prozessierter Prälaten vermehrten die Mittel, welche der Papstsohn brauchte. Petrus de Aranda, Bischof von Calagora, der greise Hausmeister des Papstes, war im April als Marane (spanischer Judenstämmling) verdächtigt und in die Engelsburg gesetzt worden. Im Juli waren 300 andere sogenannte Marani als Pönitenten, natürlich für Geld, absolviert und im gelben Gewand, Kerzen in der Hand, durch die Minerva geführt worden.
Am 1. Oktober 1498 reiste Cesare zur See nach Frankreich ab, mit königlicher Pracht. Der ehemalige Kardinal ritt auf einem schönen Pferde, ein schwarzes Federbarett auf dem Haupt, in einem Gewande von weißem Damast mit goldener Verbrämung, darüber einen Mantel von schwarzem Samt, ganz nach französischer Mode. Der Papst sah ihm aus dem Fenster nach; vier Kardinäle begleiteten ihn. Hunderte von Maultieren trugen seine Schätze, das zusammengeraffte Gut des Kirchenstaates und der Christenheit, 200 000 Dukaten bares Geld oder Ausrüstungsprunk. Seine edlen Pferde hatten Hufeisen von Silber. In seinem Gefolge befanden sich junge Römer, Genossen seiner Lüste und Schmeichler seiner Macht; selbst ein Orsini, Johann Jordan, begleitete ihn.
Sein Einzug in Avignon und in Chinon am 19. Dezember war der eines Souveräns. Mit öffentlichen Ehren, doch mit heimlicher Verachtung empfing ihn Ludwig XII. Dem Vertrage gemäß brachte Cesar den roten Hut mit für Georg von Amboise, den Erzbischof von Rouen, und für den König die Ehescheidungsbulle, welche er nach Gutdünken behalten oder für den höchsten Preis verkaufen sollte. Er begegnete bei Hofe dem Kardinal Julian Rovere, dem grimmigsten Gegner seines Vaters. Aber die Vermittlung des Königs und die verwandelten Verhältnisse zwangen die Feinde zur Annäherung. Julian, noch immer im französischen Exile lebend, hatte die Hoffnung verloren, den Kampf gegen den mächtigen Papst fortzusetzen; er unterstützte jetzt die ehrgeizigen Pläne der Borgia, indem er zugleich sein Vaterland dem französischen Eroberer nochmals unterjochen half; denn Selbstsucht war die einzige Triebfeder des Handelns bei den Menschen jener Zeit. In Tours setzte Julian jenem Erzbischof den Kardinalshut auf, jetzt ein Vollstrecker des Willens der Borgia.
Dem Könige Ludwig lag viel daran, den Papst zu gewinnen, und dies gelang ihm um den ausbedungenen Preis der Erhöhung Cesares. Der ehemalige Kardinal von Valencia wurde zum Herzog von Valence mit entsprechender Rente ernannt, und so blieb ihm der Titel Valentinus mit besserem Inhalt. Dem Vertrage gemäß hatte sich der König verpflichtet, ihm auch die Hand jener Prinzessin Carlotta zu gewinnen, wodurch Alexander den Grund zu dem einstigen Königsthron für Cesare zu legen hoffte. Diese Verbindung hatte der Kardinal Julian unterstützt, aber dem Papste geschrieben, daß sie an der Weigerung der jungen Fürstin scheitere. Er beteuerte Alexander, daß sowohl er als der König Frankreichs nichts unterließen, um diesen Widerstand zu brechen; wenn dies nicht gelänge, biete der König Cesare die Hand seiner Nichte, der Tochter des Grafen von Foix oder die der Schwester des Königs von Navarra. Voll Schmeichelei gegen den Papst rühmte der Kardinal in demselben Briefe die glänzenden Eigenschaften Cesares. »Dies«, so sagte er, »will ich Eurer Heiligkeit nicht verschweigen, daß der erlauchte Herzog von Valence eine solche Bescheidenheit, Klugheit, Geschicklichkeit und solche Gaben des Leibes und der Seele besitzt, daß er hier alles für sich eingenommen hat, bei dem Könige und dem ganzen Hofe in höchster Gunst steht und überhaupt von allen hochgehalten wird. Mit tausend Freuden will ich davon Zeugnis geben.«
Der Papst beschwerte sich indes in einem Briefe an den Kardinal über den Treubruch des Königs, der ihn dem Spotte der Welt aussetze; denn es sei weltkundig, daß sein Sohn nur dieser Vermählung wegen nach Frankreich gereist sei. Ludwig bot hierauf Cesare die Hand einer minder skrupulösen Prinzessin aus französischem Königsstamme, der Charlotte d'Albret, einer Schwester des Jean d'Albret, Gemahles der Catarina von Navarra und dadurch Königs dieses Landes. Damit gab sich der Papst zufrieden. Auch hier war es wieder der Kardinal Julian, welcher den eifrigen Vermittler dieser Verbindung gemacht hatte. Der Sohn Vanozzas wurde demnach in das königliche Haus Frankreich aufgenommen, und der Papst konnte am 22. Mai 1499 den Kardinälen kund tun, daß die Ehe Cesares mit der Prinzessin d'Albret vollkommen verwirklicht sei. Zum Zeichen der Freude ward Rom illuminiert.
Es begann nun die fürstliche Laufbahn Cesares, das schrecklichste Drama aus den Annalen des weltlichen Papsttums, dem es angehört. Der Herzog von Valence beabsichtigte, seine Staaten in Italien zusammenzubringen, denn ihm versprach Ludwig XII., Waffen zur Eroberung der Romagna zu leihen, sobald er selbst Mailand besaß. Unter dieser Bedingung trat Alexander der Liga bei, welche der König am 15. April 1499 mit Venedig geschlossen hatte, nicht achtend die Proteste Spaniens. Venedig war Ludovico Sforza feind geworden; es unterstützte nämlich Pisa gegen Florenz, was Sforza auf die Seite der Florentiner trieb. Die Signorie Venedig, nach dem Herzogtum Mailand begierig, unterhandelte mit Frankreich zum Verderben des Nachbarstaates, und sie empfing als Preis des Bündnisses die Aussicht auf Cremona. Nur mit Abscheu kann man auf diese ehrlose Politik der Fürsten Italiens blicken, welche fort und fort fremde Herrscher in ihr Vaterland riefen und es dann Dichtern überließen, das Unglück der schönen Italia zu beweinen. Diese Klagen haben lange das Urteil der Welt getäuscht, aber sie täuschen es nicht mehr, denn die vielumworbene Helena hat sich seit den Gotenzeiten fortdauernd den Meistbietenden selbst verkauft.
Ludwig rüstete zu Land und See, seine Rechte auf Mailand und Neapel zurück zu fordern. Die einen beanspruchte er als Erbe der Anjou, die andern als Enkel der Valentina Visconti. Solche Ansprüche waren in jener Zeit des Dynastenrechts furchtbar genug, zumal für einen Usurpator. Sforza zitterte in Mailand. Am 24. Juli floh zu ihm der Kardinal Ascanio, welchen neapolitanische Galeeren von Nettuno nach Porto Ercole brachten, und bald auch Sanseverino. Er fand nirgends Berufsgenossen. Denn die Neutralität Spaniens und Englands hatte sich Ludwig XII. durch Verträge gesichert, und der Kaiser Maximilian konnte nicht bereit sein, nochmals in Italien aufzutreten. Florenz war durch Pisa beschäftigt, und Federigo von Neapel suchte vorsichtig seine eigene Rettung.
Die Katastrophe entwickelte sich in schnellen Schlägen. Als im Jahre 1499 die Franzosen unter Trivulzio, Aubigny und Ligny vom Westen und die Venetianer von Osten her gegen das Herzogtum Mailand vorrückten, fielen dessen Städte eine nach der andern durch Feigheit oder Verrat. Schon am 2. September entwich der hilflose Tyrann nach Tirol, den Schutz Maximilians anzurufen. Sein Hauptmann aber verkaufte das trefflich versorgte Mailänder Kastell dem Feinde. Jetzt erst kam Ludwig XII. von Lyon herbei: am 6. Oktober 1499 zog er unter dem Jubel des Volks als Herzog in Mailand ein. Ihn begleiteten auf diesem Triumphzuge die Vasallen seiner Gunst: die Fürsten von Savoyen, Montferrat, Ferrara, Mantua, die Gesandten Venedigs und auch Genuas, das sich selbst eilig Frankreich darbot, ferner Cesare Borgia, welcher den Fahnen des Königs als raubgieriger Geier folgte, und der Kardinal Julian Rovere, damals der willfährige Genosse des Eroberers seines Vaterlandes. Alexander suchte jetzt die Rovere ganz für sich zu gewinnen: am 18. November 1499 sprach er den Stadtpräfekten frei und überließ ihm auch jene 40 000 Dukaten. Sodann vermittelte er eine Heirat zwischen dessen jungem Sohne Francesco Maria Rovere und Angela Borgia, einer seiner Nichten.
Im Vatikan war nichts als Freude über diese Siege Frankreichs, nichts als hohe Erwartung der Größe Cesares. Das französische Bündnis mußte jetzt zur Unterwerfung des ganzen Kirchenstaates unter die Borgia führen, und dazu traf der Papst die Einleitungen. Seine Tochter hatte er bereits, ganz unerhört, zur Regentin Spoletos gemacht, einer der wenigen Städte des Kirchenstaates, die nie in die Tyrannis eines Herrn gefallen war. Dorthin begab sich Lucrezia mit Don Jofré am 8. August. Ihr Auszug war prachtvoll. Viele reichbedeckte Maultiere trugen ihre Kostbarkeiten, darunter ein Bett von Seide und Samt, worauf die schöne Regentin von ihren Sorgen ausruhen konnte. Die vatikanischen Leibwachen, der Stadtgovernator, der neapolitanische Gesandte und viele Prälaten geleiteten sie, und der Papst betrachtete aus einer Loge den Abzug seiner Tochter. Deren Gemahl hatte sich kurz zuvor heimlich zu den Colonna begeben, um dann Neapel zu erreichen. Die mysteriöse Flucht des unglücklichen Prinzen aus den Armen seiner Gattin deutete schreckliche Dinge an. Ein guter Geist warnte ihn, aber zu seinem Unglück folgte Alfonso bald dem Rufe Alexanders; er kehrte nach Spoleto zu seinem Weibe und zu denen zurück, die schon die Dolche für ihn bereit hielten.
Der Papst hatte in derselben Augustzeit Madonna Sancía nach Neapel verbannt. Am 23. September traf er mit seiner Tochter, mit deren Bruder und Gemahl in Nepi zusammen. Hier entwarf man Pläne zur Vergrößerung des Hauses durch die Güter der lateinischen Barone, die Alexander jetzt im ganzen römischen Gebiet vernichten wollte. Er begann mit den Gaetani. Dieses Geschlecht war in den Zeiten des Schisma verfallen, aber durch die Nachkommen Jacopos, eines Bruders des Honoratius, wiederhergestellt worden. Unter ihnen glänzte in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts der zweite Honoratus, Herr von Sermoneta und allen anderen lateinischen Besitzungen des Hauses. Er hinterließ im Jahre 1490 drei Söhne, Nicolaus, den Protonotar Giacomo und Guglielmo. Mit Hinterlist umgarnte Alexander am Ende des Jahres 1499 Giacomo, das damalige Haupt des Hauses; er lockte ihn nach Rom, ließ ihn in die Engelsburg setzen, und durch das feile Gericht des Senators und Governators des Majestätsverbrechens schuldig sprechen, worauf er alle Güter der Gaetani einzog. Der Unglückliche protestierte und starb am 5. Juli 1500 an Gift in der Engelsburg. Bernardino, der junge Sohn des Niccolò Gaetani, wurde von den Schergen Cesares bei Sermoneta ermordet, und nur mit Mühe entrann Guglielmo nach Mantua. Päpstliches Kriegsvolk besetzte Sermoneta, welches Lucrezia am 12. Februar 1500 scheinbar für 80 000 Dukaten von der päpstlichen Kammer erkaufte.
Schon im Oktober 1499 hatte der Papst, unter dem Vorwande nicht gezahlten Zinses, die Vasallen der Kirche in der Romagna und der Mark ihrer Lehen für verlustig erklärt. Diese Länder, nach denen schon ein früherer Nepot, Girolamo Riario, gestrebt hatte, sollten das Reich Cesares bilden; es war die alte Idee des Königreichs Adria aus der Zeit des großen Schisma, welche jetzt der Sohn eines Papstes durchführen wollte. In den Städten dort saßen Feudaldynasten, von denen jeder eine lange und blutige Chronik seines Hauses aufzuweisen hatte. Die Malatesta, die Manfredi und Montefeltre, die Sforza, Varani und Bentivogli hatten meist im vierzehnten Jahrhundert die Tyrannis unter dem Titel von Vikaren der Kirche erlangt. Es ist begreiflich, daß in einer Epoche, wo durch Überwindung ähnlicher Feudalverhältnisse die europäischen Monarchien sich gestalteten, auch die Päpste versuchten, zu Monarchen ihres zerstückelten Tempelstaates zu werden. Alexander VI. war der rechte Papst, und sein Sohn der rechte Mann für diese Aufgabe. Aus diesem Gesichtspunkt der Reinigung Italiens von der tyrannischen Vielherrschaft ist er für Machiavelli das Ideal des italienischen Fürsten geworden.
Cesare Borgia war von der Natur glänzend ausgestattet: wie einst Tiberius der schönste Mann seiner Zeit, zugleich von athletischer Körperkraft. Seine unersättliche Sinnlichkeit stand im Dienst eines kalten, durchdringenden Verstandes. Auch er besaß eine magnetische Anziehungskraft für Frauen, aber eine noch viel furchtbarere des Willens, welche Männer entwaffnete. Den Jesuitismus in der Staatskunst, ein Erzeugnis romanischer Nationen, hat Cesare Borgia so vollkommen durchgeführt, daß er das Muster eines Herrschers in diesem Sinne werden konnte. Alle Eigenschaften dieser Natur zeigte er in vollem Maße: tiefe Schweigsamkeit, List und Heuchelei, planvolle Berechnung, schnelles Handeln zur rechten Zeit, erbarmungslose Grausamkeit, Kenntnis der Menschen, Verwertung von Tugend und Laster zu einem und demselben Zweck. Er konnte gerecht sein und war freigebig bis zur Verschwendung, aber nie aus Natur. Er führte den Grundsatz durch, daß ein überlegener Geist jedes Mittel zu seinem Zweck verwenden dürfe. Ein Bastard von solcher Anlage, erzogen in der Schule der dynastischen Ränke Italiens, konnte nur die Menschen verachten und die Welt um sich her nur als Stoff seiner Selbstsucht verbrauchen. In den Tagen der sinkenden Republik des alten Rom würde Cesare Borgia eine hervorragende Gestalt geworden sein; in seiner Zeit konnte der Schauplatz seines mörderischen Ehrgeizes nur auf den Kirchenstaat beschränkt bleiben. Ein höherer Geist würde gleichwohl diese Schranken durchbrochen haben. Er vermochte dies nicht, weil ihm jede schöpferische Idee, jede sittliche Größe fehlte. Er blieb an das Papsttum seines Vaters festgebannt, stieg und sank mit ihm, nur eine ungeheuerliche Ausgeburt des Nepotismus. Seine Laufbahn oder seine Entwicklung, von der Heftigkeit einer exotischen Giftpflanze, umfaßt nur drei Jahre: und sie bietet das furchtbare Schauspiel einer moralischen Eruption Roms dar, worin eine Hölle von Verbrechen ausgespien wird.
Sein Vater lieh ihm die Schätze der Kirche, und der König von Frankreich gab ihm als seinem Leutnant Truppen unter Ivo d'Allegre, auch einige tausend Schweizer unter dem Bailli von Dijon. Er selbst nahm Kriegsvolk in Sold, so daß er etwa 8000 Mann zusammenbrachte. Damit begann er im November 1499 von der Lombardei aus die Eroberung der Romagna. Auch schloß sich ihm der Markgraf von Mantua im Solde Frankreichs an. Zur Ausrüstung seines Krieges lieh die Stadt Mailand der apostolischen Kammer, unter deren Namen er geführt werden sollte, 45 000 Dukaten. So auffallend hatte der Kardinal Julian, dessen junger Neffe Francesco mit Angela Borgia, einem Kinde, verlobt worden war, seine Stellung zu den Borgia verändert, daß er nächst dem Kardinallegaten Johann Borgia die Bürgschaft dieser Summe übernahm, obwohl der erste Angriff Cesares dem ihm selbst nahe verwandten Hause Riario galt. Denn gerade gegen das Nepotenhaus jenes Sixtus' IV., welchem der Kardinal Rovere alles zu verdanken hatte, wandte sich Cesare zuerst. Er ließ seine Truppen gegen Imola vorgehen und eilte selbst nach Rom, sich mit seinem Vater zu besprechen. Er traf hier am 18. November ein, blieb drei Tage im Vatikan und reiste dann ins Lager vor Imola zurück, wo Catarina Sforza, die Witwe Riarios, sich mutig zu verteidigen beschloß. In Rom lebte ihr Verwandter, der Kardinal Raffael; als er das Verderben seines Hauses nahen sah, entfloh er, den Vorwand einer Jagd bei Kastell Giubileo benützend, am Tage der Abreise Cesares zu den Orsini nach Monterotondo und von dort weiter über Berg und Tal nach Toscana. Dies war sein Glück, denn eben entdeckte man eine Verschwörung gegen das Leben des Papstes, welchen Untertanen der Gräfin Catarina Sforza durch einen Brief vergiften wollten.
Imola fiel schon am 1. Dezember 1499, worauf Cesare vor Forli erschien. Auch diese Stadt ergab sich, aber Catarina verteidigte ihre Burg, dieselbe, welche sie nach der Ermordung ihres Gemahls zu behaupten gewußt hatte, mit männlicher Kraft. Das letzte Jahr des Jahrhunderts ging hin, ohne daß Cesare diese Amazone überwinden, noch weitere Fortschritte in der Romagna machen konnte, wo die argwöhnischen Venetianer Rimini und auch Urbino zu decken suchten.
Alexander VI. schloß das fünfzehnte und eröffnete das sechzehnte Jahrhundert, und hier wird der Leser dieser Geschichte sich oder den Geschichtschreiber beglückwünschen, daß er nach einer langen Wanderung durch die Trümmer, die Leiden, die Irrtümer und die zerstreuten Werkstätten der Menschheit an das Ende des Mittelalters gelangt ist. Er wird sich mit Freude der Gesetze bewußt sein, nach denen die Menschenwelt immer größerer Vervollkommnung entgegengeführt wird. Das fünfzehnte Jahrhundert war an Gewinsten reicher als das ihm voraufgegangene: es sah die Wissenschaften und Künste emporblühen, die europäische Welt sich geistig verjüngen und eine neue emporsteigen, hier Amerika und dort Indien, wozu Vasco de Gama eben am Schlusse des Jahrhunderts den Seeweg gefunden hatte. Mit höheren Aufgaben trat die Menschheit in das sechzehnte Jahrhundert ein. Während in Deutschland schon die Geister geboren waren, welche die große, der Christenheit stets verweigerte Reformation durchführen sollten, ruhte der Schwerpunkt für die Bewegung Europas tatsächlich noch in den romanischen Nationen. Portugal und Spanien, Frankreich und Italien waren den anderen Völkern teils in der Bildung, teils in politischer Reife vorangeschritten. Ihr Lebensprinzip war nicht mehr die lateinische Kirche, sondern die lateinische Kultur, ihr politisches Ziel die Nationalmonarchie. Denn von allen Mächten der Zeit war die Kirche durch Schuld des politisch gewordenen Papsttums damals im tiefsten Verfall, und sie allein warf einen finsteren Schatten in die Aufklärung der Welt. Nur mit Beschämung konnte die Christenheit die Jubelbulle empfangen, worin sie Alexander VI. zur Wallfahrt nach Rom einlud, und nur mit Abscheu jeder sittenreine Mensch in der unreinen Hand Borgias den silbernen Hammer sehen, womit er am Weihnachtsabend 1499 die Eingangspforte des S. Peter eröffnete.
Trotzdem kamen Pilger genug, zumal bekehrte Böhmen in dieses schreckliche Rom, wo sie selbst noch in der Person Borgias das Haupt einer Kirche verehrten, deren Wunderkraft nach der Ansicht der Gläubigen durch die Gottlosigkeit der Priester nicht zerstört werden konnte. Unter den Pilgern befand sich sogar eine der edelsten Frauen Italiens, Elisabetta Gonzaga, die Gemahlin Guidobaldos von Urbino. Wirkliche Frömmigkeit trieb sie nach Rom, trotz der Abmahnung ihres Bruders, des Marchese Francesco. Sie wohnte im Palast des Kardinals Savelli, unter dem Schutze der Colonna, nur wenige Tage und verließ Rom am Ostersonnabend. Beim Anblick der Wallfahrer war ein frommer Camaldulenser, ein Freund Lorenzos von Medici, hoch erfreut, daß es in dem so großen Verfalle der Sitten noch Tausende gab, die in Sodom nicht untergingen. Es ist ein auffallendes Zeugnis für die Trennung der Moral vom Glauben, daß am Ostersonntag 200 000 Menschen vor dem Sankt Peter auf Knien lagen, den Segen Alexanders VI. zu empfangen. Die Pilger konnten in Rom ihre Erfahrungen von dem Wesen der Kurie machen und solche mit in die Heimat bringen. Sie beobachteten den Glanz und hörten die Verbrechen der Borgia, und ihre Achtung vor dem Papsttum konnte nicht gesteigert werden, wenn sie eine schöne Frau vom vatikanischen Palast her zu den Basiliken pilgern sahen, hoch zu Roß in prachtvoller Kleidung, umgeben von hundert Reiterinnen, und wenn sie vernahmen, daß dies Madonna Lucrezia, die Tochter des Papstes sei. Die Berichte von der Ermordung Gandías, die Reden über Vanozza, Julia Farnese und anderen Frauen bildeten sicher das Tagesgespräch in Rom, wo man die Fremden zu aller Zeit mit den wirklichen oder erdichteten Mysterien des Vatikans zu unterhalten pflegt. Aber diese Pilger brachten willig ihre Opfergaben dar, ohne sich bei der Vorstellung zu empören, daß ihr Geld nur zum Solde der Sünden Roms diente. Das moralische Gewissen der Welt, obschon so tief verletzt, harrte noch des Genies, das ihm das ganze Bewußtsein des Unrechts und die Kraft der Empörung gab. In allen Ländern wurden Indulgenzen (Ablässe) verkauft und durch päpstliche Agenten Ablaßgelder eingetrieben.
Das Jubeljahr traf für Cesare sehr glücklich mit seiner Unternehmung in der Romagna zusammen; auch mehrte der Papst die Einnahmen durch den Zehnten zum Türkenkrieg, wozu er die Christenheit aufforderte, weil Bajazet sich anschickte, die venetianischen Städte in Morea zu erobern. Dieser dreijährige Zehnte wurde auf alle Geistlichen jedes Grades aller Länder gelegt und eine Schätzung des Einkommens der Kardinäle gemacht.
Die Freudenfeuer, welche die Pilger am 14. Januar 1500 in Rom brennen sahen, verkündigten, daß der Sohn des Papstes Herr von Forli geworden sei. Diese Burg ward am 12. durch die Franzosen erstürmt. Ihre Herrin brachte man als Gefangene nach Rom, wo sie in der Engelsburg ihr Leben schnell würde beschlossen haben, wenn nicht ihr Heroismus das Herz der Franzosen gerührt hätte. Sie erwirkten nach achtzehn Monaten ihre Befreiung. Catarina Sforza Riario, seit 1498 Witwe ihres zweiten Gemahls Giovanni Medici, Mutter des später berühmten Bandenführers gleichen Namens, wählte ein Kloster in Florenz zu ihrem Asyl. Der Papst selbst hatte sie, »seine in Christo geliebte Tochter«, in einem Brief an die Signorie jener Republik empfohlen.
Die Freude im Vatikan wurde kaum durch den plötzlichen Tod des Kardinallegaten Johann Borgia getrübt, welcher am 14. Januar in Fossombrone starb, am Fieber, oder, wie alsbald die Rede ging, vergiftet durch Cesare, dem er lästig war. Man brachte seine Leiche nach Rom und bestattete sie ohne Feierlichkeit in S. Maria del Popolo. Der Kardinal war mit dem Papst verstimmt gewesen; wie man behauptete, ein habgieriger Mensch, der gern Wucher trieb.
Cesare hatte jetzt Imola, Cesena und Forli überwältigt. Noch weiter um sich zu greifen, hinderten ihn die Venetianer nicht, weil sie selbst der Türkenkrieg bedrängte und sie des Beistandes des Papstes durch den Zehnten bedurften. Denn noch vor dem Beginne des Kriegszuges Ludwigs XII. hatte der vertriebene Herzog von Mailand diesen Feind gegen Venedig in Bewegung gesetzt. Er selbst warb in seinem Exil Schweizer, um seine Staaten bei günstiger Zeit wieder zu erobern. Von dort war nämlich der König schon im Dezember 1499 nach Frankreich zurückgekehrt, mit sich führend den rechtmäßigen Erben Mailands, den jungen Sohn Johann Galeazzos. Alsbald empörten die Franzosen unter dem Statthalter Trivulzio durch Raubgier und Frechheit die Völker der Lombardei, und diese riefen ihren vertriebenen Tyrannen selbst zurück. Er kam am Ende des Januar mit seinem Bruder Ascanio an der Spitze eines Söldnerheers. Nachdem er sein Reich über Nacht verloren hatte, gewann er es im Traume wieder: schon am 5. Februar 1500 konnte er in Mailand wieder einziehen. Diese plötzliche Restauration und der Krieg, welcher jetzt am Po zwischen dem zurückgekehrten Herzog und den überraschten Generälen Ludwigs XII. entbrannte, zwang die französischen Hilfstruppen Cesares, die Romagna zu verlassen und ihn selbst, jetzt weiteren Eroberungen zu entsagen.
Er ging nach Rom. Am 26. Februar hielt er hier seinen glänzenden Einzug mit einem Teil seiner aus Italienern, Gascognern, Schweizern und Deutschen gebildeten Truppen unter dem Befehl Vitellozzos, der in seinem Solde stand. Alle Kardinäle und Großen holten ihn ein, nicht minder die fremden Gesandten. In schwarzen Samt gehüllt, eine goldene Kette um den Hals, ritt Cesare Borgia zum Vatikan, umgeben von hundert schwarz gekleideten Stallknechten und gefolgt von jenem Ehrengeleite.
Mit Entzücken empfing der Papst den Herzog von Valence, den Eroberer Forlis. Der Sohn warf sich ihm zu Füßen und richtete eine spanische Anrede an ihn: spanisch antwortete der Vater. Dies war die Sprache seines Herzens. Er gab an diesem Tage keine Audienz; er weinte und lachte im selben Augenblick. Zur Belohnung seiner Taten ernannte er Cesare zum Bannerträger der Kirche, der einst der ermordete Gandía gewesen war; feierlich übergab er ihm am 2. April im S. Peter die Fahne und den Kommandostab. Auch mit der Goldenen Rose beschenkte er den Brudermörder. Rom feierte Freudenfeste der Schmeichelei und Furcht. Die Karnevalspiele waren nie so schön. Man stellte den von Julius Cäsar gefeierten Triumphzug mit elf prachtvoll geschmückten Wagen auf der Navona dar, den Papstsohn zu ehren, welcher mit frecher Stirn den Wahlspruch Cäsars zu seinem eigenen gemacht hatte. Mitten unter diesen Festen traf in Rom die Nachricht ein, daß am 24. Februar dem Erzherzog Philipp von Österreich von der Infantin Johanna von Spanien ein Sohn geboren sei, und daß der den Namen Karl erhalten habe. Die Nationalkirche der Deutschen, dell'Anima, schmückte sich, die Geburt dieses Kindes zu feiern; es war der nachmalige große Kaiser Karl V.
Wenn die Wiederherstellung Sforzas den Jubel der Borgia minderte, so verschwand auch diese Furcht, als die Meldung kam, daß in der Lombardei alles beendigt sei. Ludwig XII. hatte ein neues Heer unter La Tremouille gegen Mailand geschickt, und Sforza, von seinen Schweizern verraten und verkauft, war bei Novara am 10. April in die Hände der Franzosen gefallen. Selten zeigte die Geschichte so viel Wechsel des Glücks, selten wurden so furchtbare Tragödien in so kurze Zeit zusammengedrängt. Fall und Aufrichtung, Flucht und Rückkehr, Sieg und Untergang, jagten wie Schatten über die Szene Italiens. Dieses ganze Land witterte von Blutgeruch, fieberte von Furcht der Verhängnisse, welche die aufgehäufte Schuld der Jahrhunderte herbeizuziehen schien.
Den Kardinal Ascanio fingen venetianische Reiter unter Karl Orsini bei Rivalta. Alexander forderte seine Auslieferung, doch die Signorie Venedigs gab ihn an den König von Frankreich. Mit einer Schar gefangener Prälaten, denen man unter ihren Pferden die Füße zusammenband, wurde der stolze Kardinal nach Mailand zurückgeführt, von wo er in den Turm zu Bourges gebracht ward. Ascanio empfing jetzt den Lohn für seine Wahl Borgias zum Papst; seiner gerechten Strafe sich bewußt, trug er sein Los ohne Klagen, sicherlich noch glücklich zu preisen, daß er in einem französischen Kerker dem Gift der Borgia entgehen konnte. Der Anblick seines Falles lehrte den Unbestand alles Glücks, aber weit furchtbarer war das Schicksal seines Bruders. Zehn lange Jahre schmachtete bis an seinen Tod der Mörder seines Neffen, der Verräter seines Vaterlandes in einem finsteren Verlies der Burg Loches in Berry, in gräßlicher Einsamkeit den Furien des Gewissens preisgegeben, die kein versöhnender Gedanke je zu bannen vermochte. Dieser leichtsinnige, aber feingebildete Mensch war durch den Teufel der Herrschsucht zum Verbrecher geworden. Seine Geschichte bietet eines der schrecklichsten Beispiele des Unheils dar, welches fürstlicher Ehrgeiz über ganze Völker gebracht hat.
Fortuna war jetzt die Sklavin der Borgia. Denn nun durfte Ludwig XII. ihnen die Truppen zur Eroberung der Romagna nicht ferner vorenthalten. Die Schätze des Jubeljahrs füllten die Truhen des Vaters, und damit konnten Kriegsknechte geworben werden. Man entwarf die kühnsten Pläne.
Die Jubelpilger betäubte der Taumel dieses dämonischen Rom, wo die bacchantische Lust, wie im Altertum, zugleich vom Schmerz berauscht und vergiftet war. Wenn diese Wallfahrer zu dem Bilde des Heilands auf dem Tuch der Veronica emporgeblickt hatten und über die Engelsbrücke in die Stadt zurückkehrten, so sahen sie hoch auf jener eine Reihe von Gehenkten schweben, und man zeigte ihnen darunter den Arzt des Hospitals am Lateran, welcher lange Zeit im Morgengrauen Vorübergehende mit Pfeilen erschoß, um sie zu berauben, oder reiche Kranke vergiftete, die ihm der Beichtvater jenes Hospitals zu bezeichnen pflegte. Wenn diese Pilger am Blumenfest S. Johannis aus dem heiligen Dom auf den Platz traten, so konnten sie den Sohn des Papstes sehen, hoch zu Roß, Lanzen in ein hölzernes Gehege werfend, um an den Stufen S. Peters Stiere zu erlegen. Mit herkulischem Arm schlug er, Pipin gleich, einem dieser Stiere mit einem einzigen Hiebe das Haupt ab, und ganz Rom bewunderte seine brutale Kraft.
Der Papst wurde unterdes vom Fieber befallen. Die römische Satire verfaßte einen Dialog zwischen ihm und dem Tode, und dieser verschonte ihn auch bei dem nachfolgenden Unglücksfall. Am 29. Juni nachmittags saß er in einem vatikanischen Gemach. Ein Sturmwind entlud sich über dem Palast; der fallende Schornstein schlug das Dach ein, ein Trümmersturz riß aus dem oberen Stock Personen mit sich und erschlug Lorenzo Chigi, einen Bruder des berühmten Agostino. Ferrari und der Kammerherr Gaspar sprangen in eine Fensterbrüstung, schreiend: »Der Papst ist tot!« Dieser Ruf durchhallte Rom, und wie mochte er Cesare erbleichen machen! Die Stadt geriet augenblicks in Bewegung; viele Spanier flüchteten in die Engelsburg, die Bürger bewaffneten sich; Boten eilten fort mit Briefen an die Exilierten: die Zeit sei gekommen, heimzukehren und Rache an den Feinden zu nehmen. Indes verkündeten Kanonenschüsse von der Engelsburg, daß der Papst lebe. Man fand den Papst im Schutte sitzen, bedeckt von einem Teppich, zwei Wunden am Kopf. So trug man ihn fort. Am 2. Juli ließ er Dankgebete an die Jungfrau richten, in deren besonderem Schutz er zu stehen glaubte. Seine Natur war unverwüstlich. »Der Papst«, so sagte Polo Capello im September 1500, »ist 70 Jahre alt: er verjüngt sich mit jedem Tage; seine Sorgen dauern nicht eine Nacht; er ist von heiterem Temperament und tut nur, was ihm frommt; sein einziger Gedanke ist, seine Kinder groß zu machen; anderes kümmert ihn nicht.«
Die Wunden am Haupte Alexanders waren noch nicht geheilt, als man den Jubelpilgern ein gräßliches Trauerspiel aufführte. Um elf Uhr nachts am 15. Juli begab sich der junge Prinz von Bisceglie aus dem Vatikan nach Hause; an der Treppe S. Peters überfielen ihn Meuchelmörder, erdolchten ihn und verschwanden in einer Schar von Reitern, welche sie nach der Porta Portese entführten. Der Prinz taumelte zum Papst: »Ich bin verwundet«, rief er, und er nannte den Täter. Lucrezia, seine anwesende Gemahlin, fiel in Ohnmacht. Man trug ihn in den nahen Palast des Kardinals S. Maria in Porticu, den er bewohnte. Die dunkle Weise, in welcher Burkard diese Tragödie erzählt, worin man Schatten handelnd vor sich zu sehen glaubt, macht einen furchtbaren Eindruck, und nie würde Kunst das Gräßliche durchsichtiger verschleiert haben, als es hier Vorsicht tat. »Der erlauchte Don Alfonso, Herzog von Bisceglie und Prinz von Salerno, welcher am Abend des 15. Juli schwer verwundet worden war, wurde, weil er an diesen ihm beigebrachten Wunden nicht sterben wollte, am 18. August in seinem Bette erwürgt, gegen die erste Stunde der Nacht. Man trug die Leiche nach dem S. Peter. Don Francesco Borgia, Schatzmeister des Papstes, begleitete sie mit seiner Familie. Man führte in die Engelsburg die Ärzte des Toten und einen gewissen Buckligen, welcher mit dem Fürsten zu verkehren pflegte, und man inquirierte sie. Sie wurden bald freigelassen, da derjenige straflos ausging, welcher den Auftrag gegeben hatte, und man kannte ihn sehr wohl.«
Es gibt einen anderen Bericht über diese Bluttat, welcher Cesare offen als Mörder nennt: Um den Verwundeten waren Lucrezia, sein Weib, und seine Schwester, die Prinzessin Squillace: sie bereiteten ihm, aus Furcht vor Gift, selbst die Speisen; der Papst ließ ihn, aus demselben Argwohn, von sechzehn Personen bewachen. Er besuchte den Kranken eines Tages ohne Cesare; auch dieser kam einmal und sagte: »Was nicht zu Mittag geschah, wird zu Abend geschehen.« – Man glaubt in Wahrheit einen Dämon kommen und gehen zu sehen. Der Papst, die Frauen, wohl der ganze Hof wissen, daß Cesare den Prinzen ermorden wird; retten kann ihn niemand. Denn was durfte der Schreckliche nicht tun, welcher den Spanier Pedro Caldes, den Lieblingskämmerer Alexanders, unter dessen eigenem Mantel erdolcht hatte, so daß dem Papst das Blut ins Gesicht spritzte? Eines Tages kommt Cesare wieder; er tritt ins Gemach, wo der schon Halbgenesene aufgestanden ist; er zwingt die bestürzten Frauen hinauszugehen, er ruft Micheletto, den Vollstrecker seiner Blutbefehle, der ihn erwürgt. Nachts ward der Prinz begraben. Cesare sagte ganz offen: er habe ihn ermordet, weil er ihm selbst nach dem Leben trachtete.
Ganz Rom sprach von der Schreckenstat, doch nur heimlich und voll Furcht. Denn täglich fand man in der Nacht Ermordete auf den Straßen, und andere, selbst hohe Prälaten verschwanden wie durch Zauber. Cesare beherrschte jetzt auch den Papst. Der Vater liebte seinen Sohn, aber er zitterte vor ihm. Lucrezia selbst (sie hatte von Alfonso einen Sohn Rodrigo) mußte sich den Geboten ihres Bruders unterwerfen, der sie zur Witwe gemacht hatte. Er verdrängte sie augenblicklich aus der Gunst des Papstes. Sermoneta hatte er ihr entrissen, denn sie ist ein Weib, so sagte er, und kann es nicht behaupten. Sicherlich schickte Alexander seine Tochter nach Nepi, nur weil Cesare es verlangte. Am letzten August verließ Lucrezia die Stadt, von 600 Reitern begleitet, um sich von der Gemütsbewegung zu erholen, welche ihr der Tod ihres Gatten zugezogen hatte: auch dies sind die furchtbar einsilbigen Worte Burkards. Wenn Lucrezia ihren Gemahl geliebt hatte, so war ihr Schicksal wahrhaft tragisch, und dieses junge Weib mußte der Gedanke empören, daß sie nichts war, als das Opfer des mörderischen Willens ihres Bruders. Cesare räumte Alfonso nicht aus geringen persönlichen Gründen hinweg, er wollte vielmehr die Hand seiner Schwester für eine ihm selbst förderliche Verbindung mit dem Hause Ferrara frei machen, in einer Zeit, wo die Verschwägerung der Borgia mit Neapel jeden Wert verloren hatte.
Man vergaß alsbald den Toten, denn die Lebenden hatten genug zu tun. Man brauchte noch mehr Geld. Zwölf neue Kardinäle, darunter sechs Spanier, welche der Papst oder vielmehr sein Sohn am 28. September ernannt hatte, bezahlten ihre Hüte, indem sie Cesare 120 000 Dukaten einhändigten. Mit der schamlosesten Offenheit hatte dieser dem heiligen Kollegium erklärt, daß jene Kardinäle notwendig seien, weil er zu seinem Krieg in der Romagna Geld bedürfe. Unter den neuen Sklaven Cesares befanden sich sein Schwager d'Albert, Ludovico und Juan Borgia und Gian Battista Ferrari.
Mit französischer Hilfe verjagte er hierauf im Oktober 1500 zuerst seinen ehemaligen Schwager aus Pesaro, dann Pandolfo Malatesta aus Rimini, und lagerte vor Faenza. Herr dieser Stadt war Astorre Manfredi, ein sechzehnjähriger Jüngling, welchen Schönheit und Tugenden zum Liebling seines Volks gemacht hatten. Die Faetiner verteidigten ihn monatelang, bis sie der Hunger am 25. April 1501 zu einer ehrenvollen Kapitulation zwang. Cesare gelobte Schonung der Bürger und freien Abzug Astorres, aber er brach sofort seinen Eid, indem er den Unglücklichen nach Rom in die Verließe der Engelsburg schickte.
Jetzt ernannte Alexander seinen Sohn zum Herzog der Romagna. Indem er die größte Provinz des Heiligen Stuhls zum Besitz seines Hauses machte, bekümmerte ihn die Vorstellung nicht, daß dieses Land, in einer Dynastie Borgia erblich werdend, den Zerfall des ganzen Kirchenstaats zur Folge haben konnte. Im Kollegium der Kardinäle erhob sich kein Widerspruch; es bildete nur noch den vor Gift und Dolch zitternden Chor von Dienern oder Schmeichlern des Vaters wie des Sohns. Es war absichtlich mit Spaniern angefüllt. Nun wünschte der Herzog nichts sehnlicher, als Bologna zur Hauptstadt seines Landes zu machen; er unterhielt dort Verbindungen mit den Mariscotti, aber die Wachsamkeit Bentivoglios und der Schutz, welchen er bei Frankreich fand, vereitelten diese Pläne, so daß sich Cesare mit Castel Bolognese und einer vertragsgemäßen Zahl von Hilfstruppen begnügen mußte. Die Mariscotti büßten ihre Verschwörung auf dem Blutgerüst.
Imola, Forli und Pesaro, Rimini, Faenza, Cesena und Fano bildeten für jetzt den Bestand seines Herzogtums. Ganz Mittelitalien hoffte er mit diesem Ländergebiete zu vereinigen. Schon war Spoleto in den Händen der Borgia; schon Camerino dem Julius Cäsar Varano durch eine Bulle abgesprochen. Jedoch die Fortschritte des Herzogs hemmte der Argwohn Frankreichs. Auch sein Versuch gegen Florenz schlug fehl. Der fruchtlose Krieg mit Pisa zerrüttete diese Republik; aus der fast schon eroberten Stadt zurückgeschlagen hatte der Florentiner General Paolo Vitelli im Jahre 1499 sein Unglück mit der Hinrichtung gebüßt, worauf sich dessen Bruder Vitellozzo aus Rache mit dem Medici verband. Diese Exilierten waren zwar stets zurückgetrieben worden, aber sie fuhren fort, ihre Vaterstadt zu bedrohen, indem sie sich sogar mit Cesare Borgia in Verbindung setzten. Der Herzog rückte im Mai 1501 ins Florentinische, verstärkt durch Hilfstruppen Bentivoglios, mit Piero Medici, mit Vitellozzo und den Orsini einverstanden, die nebst andern Dynasten zum Teil seine Condottieri geworden waren. Denn der Dienste derselben Orsini, welche sie einst fruchtlos angegriffen hatten, bedienten sich jetzt die Borgia mit Geschick, um erst andere Signoren zu verjagen, und dann jene Helfer auf ihre Weise zu belohnen.
Die unverschämten Forderungen des Herzogs, welcher seinen Sekretär Agapito Gerardini nach Florenz schickte, zumal sein Begehren, die Medici wiederherzustellen, erschreckten die Signorie; sie kaufte sich los, indem sie Cesare mit einem Gehalt von 36 000 Dukaten als Heerführer nahm, doch ohne Verpflichtung wirklichen Dienstes, und sich selbst verpflichtete, Jacopo Appiano von Piombino nicht zu schützen. Denn gegen diesen Herrn wandte sich Cesare sofort. Einige Orte seines Gebiets, selbst Elba und Pianosa, unterwarfen sich ihm; aber Ludwig XII. gebot ihm Halt, und Alexander rief ihn zurück. Er ließ einen Teil seiner Truppen unter Giampolo Baglioni und Vitellozzo vor Piombino, und eilte nach Rom, wo er am 13. Juni 1501 eintraf.
Ludwig XII. ging eben an die Ausführung seines Unternehmens gegen Neapel. Zu schwach, um dieses ohne die Zustimmung Spaniens zu verwirklichen, hatte er Ferdinand zum Genossen eines Frevels von der abscheulichsten Art gemacht. Der geheime Vertrag, welchen am 11. November 1500 jene beiden Monarchen in Granada vollzogen, von denen der eine der Allerchristlichste, der andere der Katholische hieß, ist eins der schmachvollsten Aktenstücke der Kabinettspolitik, und diese selbst begann mit ihm in der Geschichte Europas, unter der Sanktion des Papstes. Es war zugleich ein deutliches Zeugnis der Unfähigkeit Ludwigs XII., daß er einen andern Monarchen einlud, sein Nebenbuhler zu werden. Beide Könige gelobten einander, zu derselben Zeit über Neapel herzufallen, und es so unter sich zu teilen, daß Calabrien und Apulien als Herzogtum an Spanien, die übrigen Provinzen mit der Hauptstadt als Königreich an Frankreich fielen. Der Papst sollte aufgefordert werden, die Einwilligung zu erteilen, und da er Federigo von Aragon, den König von Neapel, haßte, dem Könige Ludwig um Cesares willen ganz ergeben war, so war seine Einwilligung zweifellos. Außerdem machte der Bund zwischen Frankreich und Spanien die römischen Barone wehrlos gegen die Angriffe des Papstes.
Der Sturz Aragons vollzog sich, wie mancher Untergang in der Geschichte von Dynastien, an einem schuldlosen Enkel. Federigo war von seinen Völkern geliebt. Seine Regierung hätte ihnen ein glücklicheres Zeitalter gesichert, wenn die Zerrüttung des Königreichs durch den Lehnsadel überhaupt heilbar sein konnte. Noch blieb ihm jener Vertrag selbst unbekannt, nicht so die Rüstung Frankreichs. Furcht und Schwäche trieben ihn, eine Verbindung mit den Türken zu suchen, die indes nicht zur Tatsache wurde. Von seinem Verwandten, dem mächtigen Könige Spaniens, hoffte er Schutz, obwohl er dessen Ansprüche fürchtete. Mit den Colonna vereinigt, glaubte er der französischen Armee an den Grenzen widerstehen zu können.
Diese Armee zog unter Aubigny in die Nähe Roms, wo sie in den Junitagen bei Acqua Traversa lagerte. Alsbald erklärten die Gesandten Spaniens und Frankreichs dem Papst, was der Inhalt der Verträge ihrer Herren sei. Der beabsichtigte Raub wurde mit heuchlerischen Titeln der Religion bedeckt, denn als wichtigstes Motiv ihres Kriegs wider Federigo gaben die Monarchen an, daß er die Türken habe nach Italien ziehen wollen. Die Eroberung Neapels sei nur die Einleitung zu dem großen Kreuzzuge gegen den Halbmond.
Alexander erklärte Federigo als Verräter des Königreichs für abgesetzt, willigte in die Teilung Neapels unter jene beiden Könige, welche dafür der Kirche den Vasalleneid zu leisten hatten. Wenn dieser Akt hinreicht, die Treulosigkeit Alexanders zu brandmarken, so mindert er zugleich die Glaubwürdigkeit des Urteils solcher Geschichtschreiber, welche in diesem Papst einen großen Staatsmann erkennen wollten. Offenbar hatte er die hinterlistige Absicht, beide Mächte in einen wütenden Krieg mit einander zu treiben, infolge dessen Cesare, wie er ganz sinnlos hoffte, sich zum König Neapels machen könne.
Am 28. Juni rückte die französische Armee, der sich Cesare Borgia mit eigenen Truppen anschloß, zur Eroberung Neapels aus. Auf diesem Zuge wurde Marino und andere Städte der Colonna zerstört, denn dieses Haus hing jetzt treu den Aragonen an, welche den langen Streit mit den Orsini über Alba zu seinen Gunsten entschieden hatten. Der jähe Fall Neapels war nur die Wiederholung kläglicher Vergangenheit, doch abscheulicher durch den Verrat, welchen Spanien an seinen Verwandten beging. Federigo hatte die Hilfe Consalvos angerufen, und diesem General, wie der es verräterisch forderte, die Burgen Calabriens und Gaeta übergeben. Der Spanier warf die Maske ab, sobald die Franzosen ins Königreich eingerückt waren, und Federigo wich bestürzt auf Capua zurück. Diese Festung hielt für ihn Fabrizio Colonna, während Prospero in Neapel befehligte. Man besprach die Kapitulation, aber mitten in der Unterhandlung erstieg der Feind die Mauern im Sturm, und Capua erlitt am 24. Juli das schreckliche Schicksal einer eroberten Stadt. Fabrizio geriet in Gefangenschaft; Cesare bot dem französischen Feldherrn große Summen, wenn er ihn töte oder in seine Gewalt gebe, doch Johann Jordan Orsini rettete seinen Erbfeind, welcher seine Freiheit erkaufen durfte.
Das furchtbare Blutbad Capuas entwaffnete, was noch für den letzten Aragon in Waffen stand. Er selbst verschloß sich im Castel Nuovo, während ganz Neapel den Namen Frankreich rief. Er unterhandelte mit Aubigny und ging zuerst nach Ischia. Unter den unglücklichen Flüchtlingen, die sich dort im Schlosse der Insel versammelten, mußte vor allen eine Frau die Herzen rühren. Dies war jene Isabella, welche den Sturz ihrer beiden Häuser von Mailand und Neapel erlitten hatte und jetzt auch die letzten Trümmer der Größe ihrer Ahnen fallen sah, während ihr eigener Sohn in einem Gefängnis in Frankreich verkümmerte. Ganz von Abscheu vor dem Verrat seines Verwandten durchdrungen, suchte Federigo mit verzweifeltem Entschluß für sich und die Seinen ein Asyl bei dem minder frevelhaften seiner Verderber. Ludwig XII. gab ihm das Herzogtum Anjou und ein Jahrgehalt. Die traurigen Tage, welche er dort hinlebte, milderten die Anhänglichkeit von Gefährten seines Unglücks, worunter der Dichter Sannazar war. Federigo von Aragon starb am 9. September 1504 zu Tours.
Ehe er Neapel verließ, hatte er seinen erstgeborenen Sohn Don Ferrante nach Tarent in Sicherheit gebracht. Diese Stadt ergab sich Consalvo unter der Bedingung des freien Abzugs jenes kleinen Prinzen zu seinem Vater, doch der falsche Spanier schändete seinen Namen durch den Bruch seines feierlichen Schwurs. Er schickte den Knaben gefangen nach Spanien. Dort starb der Sohn Federigos kinderlos im Jahre 1550.
So tragisch endete Aragon, welches ein Jahrhundert lang die Geschichte Neapels und Italiens mehr mit Freveln als mit Tugenden erfüllt hatte. Wie Anjou war dieses Haus fremd im Lande gewesen und dann schnell nationalisiert. Der aragonische Hof glänzte seit Alfonso durch die Pflege nationaler Wissenschaft und Kunst in dem schönen Königreich. Und erst nach dem Untergange der Aragonen sank dieses Land in das Elend knechtender Fremdherrschaft. Das Haus Aragon schwand übrigens auch in Spanien dahin. Denn der treulose Ferdinand vererbte seine Kronen nicht an männliche Nachkommen. Schon im Oktober 1497 war sein Sohn Johann gestorben, und schon lebte Karl vom Hause Österreich, auf welches ein grenzenloses Glück das Erbe einer halben Welt vereinigen sollte.
Der Fall Neapels bot dem Papst die ersehnte Gelegenheit, unter den Baronen Latiums aufzuräumen. Die Macht dieser Herren stammte aus der Zeit des Reichs, und sie fiel auch mit der Reichsgewalt. Da sie sich nicht mehr an den Kaiser anlehnen konnten, suchten sie ihre Stütze bei der Krone Neapels oder Frankreichs. Die Colonna hatten sich schon seit dem Zuge Karls VIII. enge an die aragonische Dynastie angeschlossen, während die Orsini zu Frankreich standen. Aus Furcht hatten jene noch vor dem Beginn des letzten Krieges viele ihrer Kastelle dem Kardinalskollegium übergeben, darunter auch Subiaco. Doch der Papst wollte nichts von Verträgen wissen. Er ließ die colonnischen Burgen besetzen und zog nach dem Falle Capuas in Person nach Sermoneta.
Es geschah damals, daß er für die Zeit seiner Abwesenheit seiner Tochter den vatikanischen Palast und auch die Geschäfte übergab, mit der Befugnis, einlaufende Briefe zu öffnen, wobei sie in schwierigen Fällen den Kardinal von Lissabon zu Rate ziehen sollte. In der Geschichte des Papsttums gibt es in Wahrheit nichts, was einen tieferen Grad schamloser Verweltlichung offenbaren konnte, als diese Tatsache. Wir wissen nicht, welchen Eindruck dies auf die Römer machte, sie beklatschten wahrscheinlich die Späße, die der Kardinal von Lissabon über den schönsten Sekretär machte, der je in einem Kabinett tätig war. Madonna Lucrezia verwaltete ihr Amt nur kurze Zeit, denn Anfang August kehrte der Papst zurück, und bald darauf erfuhr Rom, daß seine Tochter mit Alfonso von Ferrara vermählt werden sollte. Die heiß ersehnte Botschaft von der Einwilligung des stolzen Hauses Este in diese Verbindung wurde in Rom mit Kanonendonner und Illuminierung gefeiert. Die künftige Herzogin Ferraras hielt am 7. September einen glänzenden Aufzug nach S. Maria del Popolo, wobei vier Bischöfe ihr voraufritten und 300 Reiter ihr Gefolge bildeten. Gaukelspieler durchzogen die Stadt mit dem Ruf: »Es lebe die erlauchte Herzogin von Ferrara! Es lebe der Papst Alexander!«
Auch Cesare kam aus Neapel nach Rom am 15. September 1501, und hier erfuhr er, daß seine Truppen Piombino eingenommen hatten. Während seiner Anwesenheit im Vatikan wurde darüber Beschluß gefaßt, was mit den Gütern der Colonna geschehen sollte. Die Häupter dieses Hauses befanden sich noch im Königreich Neapel; denn Fabrizio und Prospero waren erst dem Könige nach Ischia gefolgt, und hatten dann, von ihm entlassen, sich nicht gescheut, als Condottieri in den Dienst Consalvos zu treten. Am 20. August hatte der Papst Colonna und Savelli geächtet und ihre Güter konfisziert. Sodann teilte er am 17. September sämtliche Besitzungen der Colonna, Savelli und Gaetani, der Barone von Pojano und Magenza und der Estouteville unter zwei kleine Kinder Borgia. Rodrigo, der zweijährige Sohn Lucrezias und des ermordeten Alfonso, erhielt Sermoneta, Ninfa, Norma, Albano, Nettuno, Ardea nebst andern Orten. Ein zweites Kind, Johann Borgia, der eigene Sprößling des Papstes, wurde mit Nepi, Palestrina, Paliano, Rignano und andern Städten ausgestattet. Palestrina, Nepi und Sermoneta erhob der Papst zu Herzogtümern; die Abtei Subiaco mit ihren achtzehn Kastellen sprach er für alle Zeit dem Geschlechte der Borgia zu. Diese Bulle unterzeichneten die neunzehn damals anwesenden Kardinäle, unter ihnen auch Caraffa, Sanseverino, Cesarini, Farnese, Pallavicini und Medici, welcher von seiner Vergnügungsreise in Deutschland und Frankreich nach Rom zurückgekehrt war. Nicht einer wagte Widerspruch.
Auf diese Weise hatte Alexander VI. den ghibellinischen Adel Latiums erdrückt, dessen er sich zuvor gegen die Orsini bedient hatte. Später sollte auch an diese guelfischen Herren die Reihe kommen; augenblicklich dienten sie noch als brauchbare Werkzeuge im Heere Cesares, oder sie standen im Solde Frankreichs. Fast der ganze Kirchenstaat war nunmehr ein Besitz der Borgia; die Romagna und andere Gebiete besaß Cesare, die alten Erbländer der römischen Barone besaßen andere Mitglieder des Hauses. In den Annalen der Kirche war dies ein vollkommen neuer Zustand.
Am 25. September ging der Papst mit Cesare nach Nepi und Civita Castellana, und wiederum vertrat Madonna Lucrezia seine Stelle im Vatikan.
Der Sturz Aragons, die Frevel, welche ihn begleiteten, die Anwesenheit Cesares, die schamlose Erhöhung des Hauses Borgia, und endlich das beispiellose Glück dieser Menschen: all dies schien damals in Rom wie im Palast des Papstes auch die letzte Schranke entfernt zu haben, welche Vorsicht zwischen dem Verbrechen und seiner Öffentlichkeit zu halten pflegt.
Die Vermählung Lucrezias mit dem Erbprinzen von Ferrara, Witwer durch den Tod der Anna Sforza, war auf das Begehren des Papstes durch den König von Frankreich zustande gebracht, welchem sich die Familie Este ganz ergeben hatte. Dies älteste Haus Italiens konnte sich durch die Verbindung mit der Bastardtochter Borgias, einer schon dreimal vermählten Dame von zweideutigem Ruf, nur verunehren, doch Furcht zwang Ercole von Este und seinen Sohn, trotz der Abmahnung des Kaisers, nach langem Sträuben endlich einzuwilligen. Der Papst selbst gewann an Ferrara eine Stütze für Cesare. Er hoffte ihm Florenz zu erobern, und für diese Unternehmung schlug der ferrarische Pozzi sogar den Erbprinzen Alfonso vor.
Zur Einholung seiner Gemahlin kamen dessen jüngere Brüder Sigismund, Ferdinand und der Kardinal Hippolyt. Diese Herren, viele hundert Pferde stark, hielten bei Ponte Molle; dort empfingen sie die Magistrate der Stadt mit 2000 Reitern und Volk zu Fuß. Sodann erschien Cesare auf einem Pferde, dessen Schmuck 10 000 Dukaten Wert besaß. Ihm zogen vorauf 2000 Mann und folgten andere 2000. An der Porta del Popolo warteten neunzehn Kardinäle, von denen jeder ein Hofgefolge von 200 Reitern mitführte. Zwei Stunden lang dauerten die Zeremonien der Begrüßung, dann rückte diese festliche Kavalkade, ein ganzes Heer, unter dem Donner der Geschütze nach dem Vatikan.
Die Vermählung wurde am 28. Dezember vollzogen, wobei Fernandos von Este den abwesenden Gatten vertrat. Klänge der Musik riefen Lucrezia aus ihrem Palast am S. Peter. Die bezaubernde Tochter Alexanders erschien in einem goldbrokatenen Gewande, dessen Schleppe junge Ehrendamen trugen, gefolgt von 50 edlen Römerinnen. Ihr goldfarbenes, über die Schultern herabwallendes Haar umschlang nur ein dünnes Band von schwarzer Seide, ihren Hals eine Perlenschnur. So wurde sie von den Brüdern Este zu ihrem Vater in die Aula Paolina geführt, wo die Zeremonie vor dreizehn Kardinälen stattfand. Der Kardinal Hippolyt reichte der schönen Schwägerin kostbare Ringe und ein Kästchen dar, worin ein funkelnder Brautschmuck von Juwelen, der Familienschmuck des stolzen Hauses Este, lag. Nach dem Vermählungsfest und Bankett wurden mehrere Tage hindurch Wettrennen, Turniere, Stierjagden und Komödien aufgeführt, auf Kosten der murrenden Stadt Rom.
Am 6. Januar 1502 verließ Lucrezia mit ihrem Ehrengefolge den Vatikan. Der päpstliche Hof, die Kardinäle, die Gesandten, Edle und Volk geleiteten sie durch die Porta del Popolo. Der Kardinal von Cosenza, Francesco Borgia, übernahm die artige Pflicht, Madonna als Reiselegat durch den Kirchenstaat zu führen. Sechshundert Reiter beschützten sie. Der Reisezug wurde überall auf Kosten der Städte nicht allein verpflegt, sondern durch Schaugepränge geehrt. In Foligno stellte man Triumphwagen dar mit der Geschichte des Paris: dieser mythische Prinz widerrief voll Galanterie sein klassisches Urteil; er erkannte jetzt Lucrezia den Apfel zu, weil sie alle Göttinnen an Schönheit übertreffe. Von Spoleto ab geleitete sie der Herzog von Urbino, Cesare zu gefallen, der ihm diesen Ritterdienst bald genug lohnen sollte. In Bologna empfingen sie die Bentivogli: Furcht erpreßte überall diese Ehren und prachtvollen Feste.
Als Lucrezia am 2. Februar in Ferrara wie eine Königin einzog, kam sie nicht mit leeren Händen. Außer ihrer Aussteuer von 100 000 Golddukaten brachte sie dem Gemahl als Geschenk ihres Vaters die Städte Cento und Castel della Pieve, und noch mehr, die Sicherheit seiner eigenen Staaten. Ferrara feierte Vermählungsfeste märchenhafter Pracht, wobei der ganze Olymp des Heidentums in Bewegung gesetzt ward. Aber die hochzeitliche Stimmung war gezwungen und kalt.
Die Tochter Borgias brachte eine peinliche Vergangenheit mit, und sie fand Gerüchte vor, deren bloßes, auch unbegründetes Dasein jedes edle Weib in sinnverwirrende Schwermut hätte stürzen müssen. Sie konnte froh sein, Rom mit dem minder lasterhaften Ferrara vertauscht zu haben, und hier überlebte sie den Sturz der Borgia. Wenige Frauen der Geschichte haben einen so tiefen Reiz auf die Phantasie der Mitwelt und Nachwelt ausgeübt als dieses junge Weib, welchem nur die großen Verhältnisse fehlten, um zu einer Kleopatra zu werden. Die Gestalt dieser Tochter eines Papstes zwischen dem furchtbaren Vater und Bruder, halb ihr tragisches Opfer und des Mitleids wert, halb eine verführerische Sirene, endlich eine büßende Magdalena, bezauberte stets die Einbildungskraft durch die Geheimnisse, welche sie umgaben, und in deren Dunkel Schuld und Unglück miteinander streiten, während der Hintergrund für diese aufregende Erscheinung der Vatikan in Rom ist. Lucrezia Borgia entsagte als Herzogin von Ferrara den Leidenschaften ihres früheren Lebens; sie ergab sich, wie ihre Mutter Vanozza, christlicher Andacht und Werken der Frömmigkeit. So lebte sie ruhige Jahre neben Alfonso, dem sie mehrere Kinder gebar, bis zu ihrem Tode am 24. Juni 1519. Doch hat niemand während dieser Zeit in ihre Seele geblickt, wo die schrecklichen Schattenbilder ihrer Erinnerung schwerlich je zur Ruhe kamen.
Cesare blieb jetzt der alleinige Gebieter über den Willen seines durch ihn isolierten Vaters. Diesen selbst setzte er zu seinem Werkzeuge herab. Er war damals der unumschränkte Tyrann des von seinen Häschern und Spionen erfüllten Rom. Ihn auch nur mit Worten zu beleidigen, war Majestätsverbrechen. Einen Venetianer, der ein Pamphlet verbreitet haben sollte, vermochte der Botschafter Venedigs nicht zu retten: er ward erwürgt und in den Tiber geworfen. Der Papst selbst, sonst in solchen Dingen unempfindlich, tadelte bei dieser Gelegenheit seinen Sohn. Was er sagte, ist sehr merkwürdig. »Der Herzog«, so erklärte er dem Botschafter, »ist ein gutmütiger Mensch, aber Beleidigungen kann er nicht ertragen. Ich habe ihm manchmal gesagt, daß Rom eine freie Stadt sei und hier jeder schreiben und reden dürfe, was er wolle. Es wird ja auch von mir übel gesprochen, doch ich lasse das auf sich beruhen. Der Herzog entgegnete mir: ›Wenn Rom gewohnt ist, zu schreiben und zu reden, so ist es gut, aber ich will solche Leute schon Reue lehren‹.« Der Papst erinnerte endlich daran, wie vielen er selbst verziehen habe, zumal bei der Invasion Karls VIII. so vielen Kardinälen, welche der König selbst seine Verräter nannte. »Ich hätte«, so sagte er, »den Vizekanzler und den Kardinal Vincula umbringen können, doch ich habe niemand wehe tun wollen, und vierzehn großen Herren habe ich verziehen.«
Am 17. Februar schiffte er mit seinem Sohne und sechs Kardinälen nach Piombino. Er wollte die Festungen sehen, welche Cesare dort bauen ließ, und vielleicht auch erkunden, was man gegen Pisa und Florenz wagen dürfe. Ruhig konnte er Rom verlassen; denn nie erhob sich die Stadt, weder im Namen der Sittlichkeit noch der Freiheit, gegen die Borgia. Er nächtigte in Palo, dann in Corneto, wo er den Palast Vitelleschis bezog. Man gab ihm Feste in Piombino, er sah dem Tanz schöner Weiber zu, was er schon als junger Kardinal zu sehr geliebt hatte. Am 25. Februar schiffte er auch nach Elba, am 1. März segelte er wieder von Piombino ab. Das stürmende Meer drohte ihn bei der Heimkehr an derselben Küste zu verschlingen, wo er einst bei seiner Rückkehr von der spanischen Legation Schiffbruch gelitten hatte. Mit Not erreichte er Porto Ercole. Er verschmähte hier ein englisches Schiff zu besteigen, welches ihn sicher durch den Sturm geführt hätte. Das Meer ging noch hoch, als er am 5. März weiterfuhr; aber ruhig saß er an Bord und verzehrte Fische, die man ihm vorlegte. Über Palo, wo er nächtigte, setzte er seine Reise nach Rom zu Pferde fort. Am 11. März kam er zurück. Niemand begrüßte ihn, weil es Nacht war und er nicht empfangen sein wollte. Nur die Familie des Palastes ließ Trompeten und Pfeifen erschallen.
In Rom bewehrte Alexander damals die Engelsburg mit Geschütz, welches er aus dem Inventar des Exkönigs Federigo von Ischia für 50 000 Dukaten gekauft hatte. Dieses Kastell war nach der Pulverexplosion wieder hergestellt, und jetzt neben der Torre di Nona das schreckliche Gefängnis, worin Hunderte von Opfern der Borgia schmachteten. Es saß noch darin der junge Astorre Manfredi, mit ihm sein Bruder Octavian und andere Unglücksgefährten. Am 9. Juni zog man ihn und diese aus dem Tiberstrom, wohin Cesare die Erwürgten hatte werfen lassen. Wohl hat kein anderes Opfer dieses Ungeheuers ein gleiches Mitleid verdient, als der schuldlose und schöne Jüngling von Faenza. Sodann verließ Cesare Rom am 13. Juni 1502, um sein blutiges Werk in der Romagna fortzusetzen. Viel war gelungen, viel noch zu tun. Das römische Gebiet samt der Stadt gehorchte jetzt, in Grabesstille versenkt, den Borgia. In Latium war die Macht aller Barone zertrümmert; sie wanderten als Exilierte in der Welt umher. In Tuskien standen die Orsini zu den Borgia; doch auch ihre Stunde sollte schlagen. In Mittelitalien besaß Cesare schon einen großen Teil der Romagna, deren Landschaften die eiserne Hand seines gräßlichen Statthalters Don Ramiro d'Orco niederhielt. In der Maremma bildete Piombino die Grundlage für Pläne gegen Pisa und Florenz. Am Po deckte Cesare das verschwägerte Haus der Este. Nun galt es, mit aller Kraft um sich zu greifen und dann als König auf den Thron Mittelitaliens zu steigen.
Die letzte Hälfte des Jahres 1502 und die erste des folgenden umfassen das fürchterliche Schauspiel der Taten Cesares diesseits wie jenseits des Apennin. Er erscheint darin in der Gestalt eines Würgengels von so höllischer Arglist, daß sie über die Abgründe menschlicher Natur schaudern macht. Aber seine Opfer wecken kaum das Mitgefühl. Die meisten waren in ihrer eignen Sündenblüte reif für die Sichel eines solchen Schnitters. Diese kleinen Tyrannen glichen alle in ihren Kreisen Cesare Borgia an Tücke und Bosheit.
Die gräßliche Tragödie der Baglioni in Perugia, die Blutnacht am 14. Juli 1500, wo Carlo Barciglia seinen Verwandten Guido, dessen Söhne Astorre und Gismondo und andere im Schlaf ermordete, und die furchtbare Rache, welche darauf Giampolo nahm, sind hinreichend, zu zeigen, in wie hohen Blutwogen damals der Frevel italienischer Dynasten ging, und daß er einen Würger forderte, wie Cesare einer war. Erst bemächtigte er sich Urbinos durch den frechsten Betrug, nach dem Muster jenes von Consalvo in Neapel verübten. Guidobaldo, getäuscht durch Briefe des Papstes und seines Sohnes, entwaffnete sich selbst, um diesen mit Truppen zu unterstützen, und sah dann den Verräter plötzlich als Feind in Cagli stehen. Er entfloh über Berge und Flüsse irrend, bis er Mantua erreichte. Auf andern Wegen rettete sich sein junger Erbe Francesco Maria Rovere.
Am 21. Juni 1502 besetzte Cesare den ganzen wehrlosen Staat Urbino. Er selbst ging nach Urbino, wo er sich in dem prachtvollen Palast Federigos aller Kostbarkeiten bemächtigte. Man schätzte sie auf 150 000 Dukaten. Auch die reiche Bibliothek ließ er zum Teil einpacken und nach Cesena fortschaffen, wo er selbst bereits eine Bibliothek gesammelt hatte.
Durch gleichen Verrat erlangte er Camerino. Den dortigen Dynasten Julius Cäsar Varano, den Mörder seines Bruders Rodolfo, ließ er nebst zwei Söhnen ins Gefängnis werfen.
Von jetzt ab nannte er sich: Cesare Borgia von Frankreich, durch Gottes Gnade Herzog der Romagna und von Valence und Urbino, Fürst von Andria, Herr von Piombino, Gonfaloniere und Generalkapitan der heiligen römischen Kirche.
Die Städte zitterten, die Magistrate krochen vor ihm im Staube. Schmeichler erhoben ihn als neuen Cäsar zu den Sternen. Sein Regiment war kraftvoll und gut. Zum ersten Male genoß die Romagna Ruhe und Freiheit von ihren Blutsaugern. Im Namen Cesares verwaltete die Justiz Antonio da Monte Sansovino als Präsident des Gerichts von Cesena, ein allgemein beliebter Mann. Es war auch damals, wo einer der größten Geister Italiens es nicht verschmähte, in seine Dienste zu treten: Leonardo da Vinci wurde sein Architekt und Ingenieur und sollte für ihn die Festungen der Romagna ausbauen. Diesen Kraftmenschen zog vielleicht die dämonische Natur Cesares an, und außerdem hatte er schon im Dienst des Ludovico Sforza Schreckliches genug erlebt. Die Menschen von damals atmeten eine andere moralische Luft als wir.
Bei seinen Unternehmungen unterstützten den Herzog viele kleine Dynasten in seinem Solde, wie Vitellozzo Vitelli und die Orsini. Vitellozzo, am 1. Mai 1502 vom Papst zum Grafen von Montone erhoben, Todfeind der Florentiner, hatte schon im Juni Arezzo genommen und eroberte im Juni auch Borgo S. Sepolcro im Namen Cesares. Giampolo Baglione, die verbannten Medici und Pandolfo Petrucci, erster Tyrann Sienas, verbanden sich mit ihm zum Verderben von Florenz. Unter dem Vorwande, die Medici zurückzuführen, wollte sich Cesare Toskanas bemächtigen. Die Florentiner riefen den Schutz Frankreichs an, und Ludwig XII., der das Umsichgreifen des Emporkömmlings mit Mißmut betrachtete, gebot ihm auch diesmal Halt, indem er Truppen nach Toscana schickte.
Eilboten verkündeten jeden Erfolg des Sohnes dem Papst. Er ließ die Stadt illuminieren, als er den Fall Camerinos vernahm. Damals starb gerade der Kardinal Ferrari, ein Mensch von harpyenhafter Raubsucht, und zuvor das tätigste Werkzeug des Papstes in Finanzgeschäften. Seine Reichtümer wurden die Beute der Borgia, nachdem ihr unfehlbares weißes Pulver ihn getötet hatte. Auf den Sarg des Kardinals regnete es Grabschriften; man streute sie im Vatikan aus. Der Geheimschreiber Burkard hatte 25 der witzigsten gesammelt, und noch heute versetzen sie den Leser in die Stimmung der Zeit. Niemand war mehr im Vertrauen Alexanders gewesen als dieser Modenese; er durfte, einige Monate vor seinem Tode, es wagen, dem Papst eine Anklageschrift vorzuweisen, welche gegen diesen geschrieben war, und vielleicht wurde ihm diese Dreistigkeit verhängnisvoll. Die Anklageschrift kam, wie es hieß, aus Deutschland in Gestalt eines gedruckten Briefes, welchen ein verbannter Römer aus dem spanischen Lager vor Tarent an Silvio Savelli gerichtet hatte, der sich am Hofe Maximilians im Exil befand. Burkard hat diese Schrift gleichfalls aufbewahrt; sie ist ein authentisches Aktenstück über die Zustände Roms unter dem Regiment der Borgia.
»Dem ehrwürdigen Herrn Silvio Savelli bei dem durchlauchtigsten römischen König.
Ehrwürdiger Herr Silvio, Gruß! Wir haben aus Freundesbriefen erfahren, daß Du, niederträchtig geächtet, nach Plünderung Deiner ganzen Habe von Rom abgereist und der Wut und Raserei der Räuber entgangen bist. Wir bedauern natürlich Dein Ungemach; haben uns aber doch bei soviel Schlimmen gefreut, daß Du unversehrt in Deutschland beim Kaiser aufgehoben bist. Als wir hörten, Du betriebest durch Empfehlungsbriefe und Fürsprache anderer beim Papst Deine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, haben wir uns sehr gewundert, daß Deine Klugheit so leichtgläubig oder, aufrichtiger gesagt, so leichtsinnig geworden ist, zu hoffen, dieser Verräter der Menschheit, worden ist zu hoffen, dieser Verräter der Menschheit, der sein ganzes mit Unzucht und Raub beflecktes Leben mit dem Betrug von Menschen verbracht hat, werde jemals irgend eine gerechte Handlung vermögen oder tun, es sei denn, daß er durch Furcht und überlegene Macht dazu gezwungen wird. Du irrst, Teuerster, und wirst Dich gewaltig täuschen, wenn Du meinst, mit diesem monströsen Haupt jemals irgendwie Frieden schließen zu können. Denn da Du einmal grundlos, nur dank seiner Habsucht und Niedertracht von ihm verraten und geächtet und Verlusten und Räubereien preisgegeben bist, kann Dein ewiger Krieg mit ihm nur mit ewigem Haß enden. Du mußt also andere Wege versuchen und den richtigen Ärzten die offenkundige Wunde römischer Pestilenz zeigen.
Du mußt dem Kaiser und den übrigen Fürsten des Römischen Reiches das ganze Verderben auseinandersetzen, das von diesem verrufenen Untier zur Vernichtung des christlichen Gemeinwesens ausgegangen ist; die abscheulichen Schandtaten erzählen, die in Verachtung Gottes und zum Verderb der Religion begangen werden, so scheußlich und ungeheuerlich, daß sie auch auf das abgebrühteste Gemüt Eindruck machen. Das sollst Du in den öffentlichen Fürstenversammlungen erzählen, es mit etlichen Beispielen belegen und allen an die Hand geben und verbreiten. Vergebens beklagte sich die christliche Religion über Mohamed, ihren alten Feind, daß er ihr ungezählte Mengen Völker abwendig gemacht habe; während doch der neue Mohamed den alten durch jegliche Scheußlichkeit von Verbrechen bei weitem übertroffen hat und an den Rest von Glauben und Religion den Brand der schwersten Krankheiten legt; die Zeiten sind da, in denen der von den Propheten so oft geweissagte Antichrist erscheint, denn niemals wird je wieder einer geboren werden, der offener als Feind Gottes, Belagerer des Glaubens Christi und Unterwühler der Religion auftritt.
Schon werden die Benefizien und kirchlichen Würden, auf die nach der heiligen Väter altehrwürdigem Dekret gewöhnlich nur die bedeutendsten Männer rechtmäßig Anspruch haben, in öffentlichem Verkauf verschleudert, und wer beim offenen Kauf mehr Geld bietet als die andern, bekommt sie. Mit Gold geht's zum Vatikan, um die Geheimnisse des Glaubens zu kaufen: da steht als Minister der Verbrechen, als Verkäufer der Benefizien, der Kardinal von Modena (Ferrari), um die Habsucht des Pontifex zu sättigen. Bestellt zum Säckelmeister, der wie der Cerberus am Eingang zur Unterwelt dasteht, alle anbellt und schamlos jedermann abschätzt; er merkt, wer etwas bringt: nur die Reichen und Wohlhabenden werden zugelassen, die Ärmeren aber mit lauten Schimpfworten ausgeschlossen. Alles ist schon beim Papste käuflich: Würden, Ehren, Ehebünde und Ehescheidungen; und vieles andere, was weder unsere Eltern zu ihren Lebzeiten sahen noch die christliche Sitte erlaubt. Eine neue Sekte, neue Lehren und Christis Beschimpfung schleicht sich bei den Völkern ein. Es gibt bereits kein Verbrechen, keine Schandtaten mehr, die nicht zu Rom öffentlich und im Heim des Papstes begangen werden, die Skythen sind übertroffen, die Punier an Treulosigkeit, Leute wie Nero und Cajus an Scheußlichkeit und Grausamkeit.
Ja, es geht fast über alle Kraft, von den Morden, Rauben, Schändungen und Inzesten zu berichten. Hingemordet durch die grausamsten Wunden, gewissermaßen doppelt, ist der hochedle junge Alphons von Aragonien, der Schwiegersohn des Papstes, in seinem Schoß abgeschlachtet worden und hat mit seinem Blut die einst ehrwürdigen Penaten des Vatikans besudelt, so daß alle Höflinge in Bestürzung flüchtend auseinanderstoben. Es führt zu weit, auf die andern einzugehen, die ermordet oder verwundet oder lebendig in den Tiber geworfen oder vergiftet wurden; da ihre Zahl unendlich ist und das Verderben von Tag zu Tag wächst und auch die nicht verschont werden, die durch Ansehen und Einfluß hervorragen, so gibt es niemanden, auch keinen Privatmann in Rom, der nicht schon für sich und die Seinen fürchtet. Wer möchte nicht davor schaudern, die entsetzlichen Ungeheuerlichkeiten an Ausschweifung aufzuzählen, die bereits offenkundig in seinem Haus, mit Verachtung der Scham vor Gott und den Menschen, begangen werden? All die Schändungen, die Gemeinheiten an Knaben und Mädchen, all die Huren im Palast Petri, die Kupplerscharen und – Wettbewerbe, die Bordelle und Hurenhäuser – all das will gar nicht über die Lippen.
Am 1. November, an Allerheiligen, sind 50 römische Huren zum Gelage in den Palast geladen worden und haben das gemeinste und abscheulichste Schauspiel geboten; und damit auch die Beispiele zum Anreiz nicht fehlten, hat man in den nächsten Tagen vor dem Papst und seinen Kindern als Zuschauern das öffentliche Schauspiel einer Stute zum besten gegeben, auf die man brünstige Hengste losließ.
Keine Macht des Goldes gibt es, die nicht für den Luxus der Kindern aus allen christlichen Völkern mit gieriger Habsucht herausgeholt wird. Es wurde beabsichtigt, den Krieg gegen die Türken zu verkünden; unter diesem Vorwand wurde gar in allen Kirchen der Welt und fremden Staaten Ablässe verkauft. Aber das Geld diente nur dazu, damit er durch diese Beitreibung sich bequemer einen reichen Unterhalt verschafft, damit die Mittel da sind, um die päpstliche Tochter für eine prunkvolle Mitgift mit Gold und Geschmeide zu überhäufen, sie die Steuern der Römischen Kirche mitnehmen und in unerhörtem Luxus zu ihrem Gatten ziehen zu lassen und um die altehrwürdigen Städte und ihre wahren Herren mit Krieg zu überziehen. Aus ihren Sitzen sind die alten Einwohner vertrieben, der meiste Adel Roms durch Ächtung und Verbannung entfernt, die alten Herren Latiums ihres Vermögens und ihrer Besitztümer beraubt, damit dank ihrer Verluste des Papstes Kinder und blutschänderisch erzeugte Nepoten, noch in der Wiege lallend, zu Reichen und Schätzen kommen können.
Allbekannt ist schon der Ruin der Provinz Flaminia, das Unglück von Imola und Forli, die gewaltsame Eroberung von Faenza, die Besitznahme von Rimini und Pesaro nach Vertreibung ihrer Fürsten. Diesem Gebiet sind von Städten der Kirche Cesena und Fano mit Bertinoro zugeschlagen worden, damit der dem Vater ähnliche Sohn noch reicher und üppiger sich mästen kann. Unterdessen heckt er Größeres aus und will Camerino und Urbino bekriegen, um nach ihrer Unterwerfung mit Zustimmung des Papstes sich allein des ganzen Picenum zu bemächtigen und schließlich, wenn alles daniederliegt, alle übrigen Rechte und Herrschaften der römischen Kirche in seine Hand zu bringen. Denn alle stärkeren und festeren Burgen der Kirche sollen schon in seiner Gewalt sein, Spoleto, Orvieto, Veji, Nepi, Terracina, die Engelsburg steht unter seiner Macht. Und schließlich ist es dahin gekommen, daß nach seiner willkürlichen Entscheidung alles verwaltet wird von einem Menschen, der nicht als ein Beschützer und Herzog dieses Reiches auftritt, sondern als sein offenkundigster Feind alles vergeudet; nur darin mag man ihn gelten lassen und schätzen, daß er gegen alle in gleicher Weise schädlich und grausam ist, dermaßen, daß es sehr schwierig ist, zu entscheiden, welchen von beiden (Vater und Sohn) die Natur verabscheuungswürdiger erschaffen hat.
Im vorigen Jahr war Cesare mit seinen Scharen auf dem Weg nach Flaminia durch die Länder der Kirche wie durch Feindesland verheerend durchgezogen; nachdem er mehrere Städtchen beraubt und geplündert hatte, war er endlich nach Faenza gelangt. Auf dem Marsch war Umbrien mit einem Teil von Picenum und ganz Flaminia verwüstet worden. Es schien recht billig, den Rückmarsch ebenso zu gestalten, und so wurde das Heer zuerst nach Piombino, dann nach Florenz geführt; hier, wo alles in Frieden war und niemand etwas befürchtete, wurde auf ein paar Tage die Erlaubnis zum Beutemachen erteilt, und jeder durfte soviel rauben und plündern, als er wollte.
Die Soldaten unter der Herrschaft des guten Herzogs haben alles mit Raub, Schändung, Mord und Brand besudelt: die Schmach dieses Übels schlich sich bei den unterworfenen Völkern ein wie eine ansteckende Krankheit, und Todi, Viterbo, Rieti, Tivoli, namhafte Städte wandten, als einmal die Gelegenheit da war, andere zu bekämpfen und zu berauben, die Waffen gegeneinander. Dabei zwangen die Parteien des Herzogs, gestützt auf ihn und die Willkür der Zeiten, die Gegner nieder und überschwemmten alles mit Schwert und Mord, erschlugen und massakrierten unzählige ihrer Mitbürger und damit zugleich deren mögliche Nachkommenschaft.
Während der gute Papst inzwischen, seinen Ausschweifungen hingegeben, von überall her Juwelen und Halsbänder beitreibt, um damit die Tochter, die durch ein ruchloses Verbrechen ihm vereint ist, mit unerhörtem Luxus zu schmücken und so zu verheiraten, ahndet oder hindert er jene andern Verbrechen nicht nur nicht, nein, er begünstigt und stachelt sie an durch offenkundige Beihilfe, indem er nämlich die Verbannten und Gegner, die der Partei des Kaisers und des römischen Reiches anhangen, und deren Güter er eingezogen und zu Unrecht preisgegeben hat, nicht wieder aufkommen läßt und seine blutschänderischen Kinder und Nepoten mit dem Besitz jener ausgestatteten Herrschaften bestätigt. Die Kardinäle halten den Mund, auch wenn der eine oder andre ehrlicher denken sollte; denn nachdem die Mächtigeren teils vertrieben teils unterdrückt worden sind, gibt's unter den Übrigen keinen mehr, der zu mucksen wagt; die andern, durch Verbrechen und Schmach erhöht, schützen ihre mit Gold und Übeltaten erkaufte Würde durch Speichelleckerei, huldigen und schmeicheln dem Papst, loben und bewundern ihn: doch alle zagen und zittern vor seinem brudermörderischen Sohn, der vom Kardinal zum Meuchelmörder geworden ist. Nach dessen Wink und Willen wird alles willkürlich geleitet; er versteckt sich nach Türkensitte unter seiner Hurenbande, und bewaffnete Soldaten bewachen ihn; auf seinen Befehl und Beschluß werden alle ermordet, verwundet, in den Tiber geworfen, vergiftet, all ihr Vermögen innerhalb und außerhalb der Mauern geraubt. Raublust und Durst sättigt sich in Menschenblut. Aus Furcht vor ihren Ungeheuerlichkeiten entfernten sich bereits die edelsten Familien aus Rom, die besten Bürger versteckten sich, und wenn nicht der Kaiser so bald wie möglich solch gehäuftem Unglück zu Hilfe kommt, wird jedermann an Flucht und ans Verlassen Roms denken müssen.
O entsetzliche Sach-Zeitlage! Welche Entartung von der altberühmten Heiligkeit der höchsten Päpste! Welcher Verfall der Gerechtigkeit! Kaum wird je die Nachwelt glauben, daß ein solcher Brand von dieser Fackel der Unzucht auf die Völker sich ausgebreitet hat, und doch scheinen die Vornehmen der Christenheit an die Ausdehnung der Religion zu denken.
Wie soll der Krieg gegen die Türken oder Araber geführt werden, wenn jener Hausbrand nicht vorher erstickt wird, der die Ungläubigen zur Zeit des Franzosenkönigs Karl herbeirief, daß sie mit 6000 Reitern in Apulien einrückten, und sie mit allerhand Versprechungen anlockte, als sie dem König Alphons mißtrauten. Ist deshalb einst von den durch Taten und Kämpfe berühmten Fürsten das Gelübde abgelegt worden, die Religion Christi zu schützen und zu mehren und Jerusalem wiederzuerobern, soviel Blut von den ruhmvollen Märtyrern vergossen, soviel Mühe und Wachsamkeit von den hochheiligen Führern dieses Gemeinwesens aufgewandt worden, daß ein Rodrigo Borgia, aller Zeiten scheußlichster und tiefster Lasterschlund, in seinem verbrecherisch erkauften Pontifikat alles göttliche und menschliche Recht von Grund aus umstürzen sollte? Mögen doch endlich die Fürsten der wankenden Religion zu Hilfe kommen, das schwankende Schifflein Petri mitten aus dem Sturm in den Hafen zurücksteuern. Mögen sie der Stadt Rom Gerechtigkeit und Ruhe wiedergeben; die gemeingefährliche, zum Verderb dieses Gemeinwesens entstandene Pest mitten herausholen und an ihr zuerst ein Exempel statuieren, damit die Guten in Zukunft ruhig leben und ihr Eigentum in Sicherheit genießen können.
All das – mehr als nur zu wahr! – wirst Du also, Silvio, in die Form einer Rede bringen und bei einer öffentlichen Fürstenversammlung oder, wenn das nicht möglich ist, bei irgendeiner feierlichen Meßzeremonie mit allem Pathos deiner Stimme vortragen, dann in mehreren Abschriften allen Fürsten zu lesen geben und den abwesenden Königen zu senden. Lebwohl und denke bei diesem Unternehmen daran, daß Du der unsre und ein Römer bist. Nochmals Lebwohl.
Gegeben zu Tarent aus dem königlichen Lager am 15. November 1501« Text des Briefes aus: Memoiren-Bibliothek IV/3, Stuttgart..
Unterdes riefen die Vorgänge in Neapel Ludwig XII. nach Italien zurück; denn dort war der Kampf zwischen Frankreich und Spanien um den Alleinbesitz der frevelhaft geteilten Beute ausgebrochen. Als der König am Ende Juli 1502 in Asti eintraf, eilten klagend zu ihm viele Herren Italiens. Feinde und Opfer der Borgia. Auch der Kardinal Orsini entwich aus Rom, sich zu ihm zu begeben. Der Monarch lieh ihnen Gehör, aber zu ihm eilte auch Cesare, nachdem er sich zuvor mit seinem Vater in Rom besprochen hatte. Er traf ihn zu Mailand im August. Hier gewann er mit unwiderstehlicher Kunst den Kardinal Amboise, der schon auf die Tiara (Papstkrone) hoffen mochte, und endlich auch den König selbst, den er bis Genua begleitete.
Die Absichten des Herzogs auf Bologna, der Argwohn über die Pläne des Papstes, welcher die Orsini aus dem Lager Cesares nach Rom zu locken suchte, erschreckten alle jene kleinen Tyrannen, bisher Verbündete oder Condottieri Cesares, dem sie sinnlos ihre Waffen zum Sturze Montefeltres und Varanos geliehen hatten. Sie sagten sich, daß sie einer nach dem andern erliegen würden, wenn sie nicht gemeinschaftlich ihre Rettung versuchten. Die Orsini, Karl, Bastard des Virginius, Paul. Sohn des Kardinals Latinus, der Kardinal Giambattista selbst. Francesco, Herzog von Gravina, Vitellozzo Vitelli, Oliverotto, der gräßliche Tyrann Fermos, tückischer Mörder seines Oheims und Wohltäters, Giampolo Baglione von Perugia. Pandolfo Petrucci von Siena, der Bentivoglio von Bologna beredeten sich in Person oder durch Boten in La Magione bei Perugia. Sie vereinigten ein Heer von 10 000 Mann und erhoben plötzlich die Waffen wider Cesare. Bei Fossombrone wurde sein Hauptmann Ugo Moncada geschlagen, und nur mit Mühe rettete sich Micheletto. Alsbald kehrten auch Guidobaldo aus Venedig, und Johann Maria Varano aus Aquila in ihre Staaten zurück, welche sie jubelnd aufnahmen. Die empörten Hauptleute aber besetzten viele Kastelle, rückten nach Fano und drohten den Herzog in Imola einzuschließen.
Der Abfall seiner Condottieri brachte diesen in die größte Gefahr, denn ihr entschiedenes Handeln würde seine Macht zertrümmert und alle Feinde der Borgia bis nach Rom hin zum Aufstande getrieben haben. In solcher Not wandten sich der Papst und sein Sohn an den König von Frankreich, und dieser, welcher der Borgia im neapolitanischen Kriege zu bedürfen glaubte, rettete sie. Er befahl Chaumont, mit einigen Truppen gegen Imola vorzugehen, und vermittelte eine Aussöhnung zwischen Cesare und den unentschlossenen Condottieren. Zugleich lehnten die Florentiner, welche diese Kapitäne zum Beitritt aufgefordert hatten, dieses Bündnis ab, aus Haß gegen die Vitelli und die Orsini, die Verwandten der Medici, wie aus Mißtrauen in den Erfolg der Empörung. Sie schickten vielmehr ihren Sekretär Machiavelli nach Imola, um sich den Frieden zu sichern und dem bedrängten Cesare Versicherungen der Freundschaft zu geben. Dort sah der große Denker zuerst in der Nähe den furchtbaren Menschen, welchen er dann zum Urbild seines »Fürsten« machte.
Auch der Herzog von Ferrara erbot sich, dem Papst Truppen zu schicken, wenn er durch den Aufstand der Orsini in Not komme. Vorsorgend hatte Alexander schon seit dem Januar 1502 Civita Castellana befestigen lassen, wie er selbst sagte, als Zufluchtsort für sich und die Kardinäle oder nach seinem Tode für seinen Sohn. Am 17. September hatte er diese neue Burg besichtigt. Erschreckt durch die Drohungen Frankreichs, unter sich uneinig, von den Künsten der Borgia umgarnt, ließen sich die Condottieri zu Einzelverträgen mit Cesare gewinnen.
Paul Orsini kam am 25. Oktober nach Imola, wo er mit ihm einen Vertrag schloß. Alle anderen kehrten in den Sold dessen zurück, den sie eben erst an den Rand des Verderbens gebracht hatten. Als diese verräterische Aussöhnung am 28. Oktober geschehen war, ging auch der vergebens gewarnte Kardinal Orsini, durch Briefe des Papstes eingeladen, im November nach Rom zurück. Bentivoglio, welchen dieser gleichfalls lockte, blieb zu seinem Glück aus Argwohn zurück, oder er wurde von den Bolognesen an der Abreise verhindert. Guidobaldo sah sich wehrlos, mußte ein Abkommen mit Cesare schließen und verließ wieder als Flüchtling den Palast seines Vaters am 8. Dezember. Desgleichen entwich der Sohn jenes Varano, welchen Micheletto am 18. Oktober in Pergola erwürgt hatte, aus Camerino.
Cesare sah sich kaum gerettet, als er mit stillem Hohn die Netze stellte, worin er die betörten Condottieri fangen wollte. Sie hatten ihm bereits geholfen, Montefeltre und Varano nochmals aus ihren Staaten zu vertreiben, wohin sie diese selbst gerufen; dann ließen sie sich von ihm die Unterwerfung Sinigaglias übertragen, während die französischen Hilfstruppen ganz unerwartet abgerufen wurden. Sinigaglia hatte seit Sixtus IV. dem Präfekten Giovanni Rovere gehört, dem Gemahl der Johanna von Montefeltre, einer Schwester Guidobalds. Als jener im Jahre 1501 gestorben war, hatte Alexander dessen elfjährigen Sohn Francesco Maria in der Stadtpräfektur bestätigt. Der junge Erbe Urbinos, von seinem Oheim bei dessen erster Flucht in Sicherheit gebracht, befand sich jetzt mit seiner Mutter in der Burg Sinigaglia, welche der nachmals berühmte Andrea Doria Andreas Doria (1468-1560) gilt als einer der größten Staatmänner und Helden seines Jahrhunderts. Er besiegte als Admiral der französisch-genuesischen Flotte 1524 die Spanier, vertrieb im Dienste Karl V. 1528 die Franzosen aus Genua und Neapel. 1532 besiegte er die türkische Flotte, 1535 eroberte er Tunis. 1554 verjagte er die Franzosen von der Insel Korsika. Er war auch 1547 in »Die Verschwörung des Fiesco zu Genua« verwickelt. gegen die Condottieri verteidigte. Doria schiffte erst die Fürstin und ihren Sohn am Ende des Dezember 1502 nach Venedig ein, dann ging er selbst nach Florenz. Er befahl seinem Leutnant, die Burg zu halten. Die Condottieri nun forderten diesen zur Übergabe auf, er aber erklärte, daß er nur dem Herzog die Schlüssel einhändigen wolle. Sie riefen deshalb ihren Verderber herbei, ganz sinnlos und vergessend, daß ein tief beleidigter Feind niemals ein aufrichtiger Freund sein könne.
Die List, mit welcher Cesare seine Schlachtopfer fing, ist weniger erstaunlich als die tiefe Blindheit, mit der so viele in allen Freveln gründlich geübte Tyrannen in die Falle des Meisters gingen. Vom nahen Fano aufbrechend, befahl ihnen der Herzog, ihre Truppen in die Umgegend Sinigaglias zu verlegen, weil er selbst mit seinem Kriegsvolk Quartiere in der Stadt beziehen wolle. Sie taten dies törichterweise.
Als nun Cesare am 31. Dezember vor Sinigaglia erschien, begrüßte er diese Herren mit heuchlerischer Freundlichkeit. Vergebens warnte sie ein guter Dämon. Sie taumelten, wie bezaubert, dem Drachen entgegen. Vitellozzo kam ohne Rüstung, ganz schwermütig und ahnungsvoll, doch er kam. Der Herzog lud diese Kapitäne in den Palast, wo er Wohnung genommen hatte, und kaum waren sie hier eingetreten, als er sie von Kriegsknechten umringen ließ. Vitellozzo stieß ihrer einen nieder; mit ihm wurden Oliverotto, Paul Orsini und der Herzog von Gravina festgesetzt. Pandolfo Petrucci entkam. Alsbald ließ Cesare die Truppen der Gefangenen entwaffnen, während Sinigaglia geplündert ward. Am Abend wurden Vitellozzo und Oliverotto erwürgt, wie es hieß, auf zwei Stühlen sitzend, Rücken an Rücken. Sie starben würdelos. Oliverotto wälzte weinend die Schuld auf Vitellozzo, und dieser hatte vor seinem Ende keinen größeren Gedanken, als den Wunsch, vom Papst, von einem Alexander VI., die Absolution zu erlangen.
Was zu Cesares Unglück hatte werden sollen, war demnach zu seinem Glück geworden: mit einem Streich hatte er sich seiner Feinde, auch der Orsini, entledigt, nachdem er ihre Dienste nicht mehr brauchte. Sie selbst hatten ihm die Gelegenheit dazu geboten, und er konnte jetzt von der Welt nicht nur die Anerkennung seiner Klugheit fordern, sondern seiner Handlung auch den Schein des Rechts geben. Noch an demselben Tage sandte er Eilboten an einige Mächte Italiens, ihnen anzuzeigen, daß er seinen Verrätern zuvorgekommen und ihrer Hinterlist das verdiente Ende gemacht habe. Nach Rom kam der Bote am 3. Januar 1503. Man feierte hier gerade die ausgelassensten Feste, da der Karneval in den Weihnachtstagen begonnen hatte. Auf die Kunde, daß der Handstreich gelungen, jene tot, diese in Ketten seien, regte sich Alexander, auch seinerseits den verabredeten Fang zu tun. Die Briefe Cesares forderten ihn auf, sich jetzt der Orsini in Rom zu bemächtigen; sie las ihm sein Sekretär Hadrian nachts vor, und der Geheimschreiber verließ den Vatikan nicht, um nicht des Papstes Verdacht zu erregen, wenn etwa der Kardinal Orsini, durch andere gewarnt, entkommen sollte. Diesem Kardinal ließ der Papst sofort melden, daß sich Sinigaglia ergeben habe.
Orsini ritt hierauf am folgenden Morgen nach dem Vatikan, seine Glückwünsche darzubringen. Er traf unterwegs den Governator der Stadt, welcher sich stellte, als sei er aus Zufall sein Begleiter. Als nun der Kardinal in den Saal trat, umringten ihn Bewaffnete. Er erblaßte: man führte ihn in den Turm. Zugleich nahm man fest Rinaldo Orsini, den Erzbischof von Florenz, den Protonotar Orsini, Jacopo Santa Croce, einen Verwandten des Virginius, und den Abt Bernardino d'Alviano, einen Bruder des berühmten Bartolomeo. Alsbald ritt der Governator nach dem Palast auf Monte Giordano, den er ausräumen ließ. Die achtzigjährige Mutter des Kardinals wankte einer Irrsinnigen gleich durch die Straßen, da sie niemand aufzunehmen wagte. Ihren Sohn brachte man in die Engelsburg, seine Schätze in den Vatikan.
Am 5. Januar rückte Don Jofré mit Truppen aus, Monte Rotondo, andere orsinische Schlösser und Farfa an sich zu nehmen, denn um diesen Preis hatten sich die Gefangenen ihr Leben erkaufen müssen. Santa Croce, welcher 20 000 Dukaten für das seine gezahlt, mußte den Sohn des Papstes begleiten, um jene Übergabe zu vollziehen. So war die Stunde des Verderbens auch für die Orsini gekommen.
Vergebens gingen alle Kardinäle zum Papst, Gnade für ihren Kollegen zu erbitten; er antwortete ihnen, daß Orsini ein Verräter und der Verschwörung gegen den Herzog mitschuldig sei. Ganz Rom war in tiefster Bestürzung. Täglich hörte man von der Abführung hochgestellter Personen in die Engelsburg. Jeder Mann von Rang und Vermögen fürchtete, auf einer Schwarzen Liste zu stehen. Selbst die zu Rom im Exil lebenden Medici zitterten. Sinolfo, Bischof von Chiusi und apostolischer Sekretär, starb vor Schreck. Am 1. Februar fand man den Rumpf eines in Scharlach gekleideten Mannes am Ponte Sisto. Was war zu erwarten, wenn erst der Würgengel Cesare mit seinem Kriegsvolke nach Rom kam?
Die meisterhafte Überwältigung seiner Condottieren flößte überall grauenvolle Achtung vor der Kraft des Herzogs ein. Viele rühmten ihn, selbst der König von Frankreich nannte seine Tat die eines Römers. Er war in Wahrheit der Drache, welcher die kleineren Schlangen verschluckte. Schon am 1. Januar 1503 brach er von Sinigaglia auf, um unter dem frischen Eindruck des Schreckens über die Länder Mittelitaliens daher zu fahren. Vor ihm flohen wie aufgejagtes Jagdwild bebende Tyrannen: die Vitelli aus Città di Castello, Giampolo Baglione aus Perugia. Man fürchtete seine List, nicht sein Schwert; denn dieser Mensch, welcher halb Italien bezwang, hatte wohl Städte belagern lassen, aber nie eine Schlacht geschlagen. Er rückte über Gualdo in Umbrien vor. Città di Castello ergab sich ihm; Perugia bot ihm am 6. Januar die Signorie. Dort setzte er, im Namen der Kirche, Carlo Baglione zum Regenten ein, ohne die Stadt zu betreten. Seine Absicht war auf Siena gerichtet, wohin sich Petrucci gerettet hatte. Auf seinem Marsch vernahm er zu Castel della Pieve die Festnehmung des Kardinals, und jetzt ließ er Gravina und Paul Orsini, die er mit sich geführt, hatte, erwürgen, am 18. Januar. So wurde Paul Orsini für die Unklugheit bestraft, mit welcher er sich in den Dienst der Borgia begeben hatte; seinen eigenen Sohn Fabio hatte er im September 1498 der jungen Hieronyma Borgia vermählt, einer Schwester des Kardinals Johann Borgia. Machiavelli begleitete Cesare als Sekretär der Florentiner, und ihn forderte der Herzog auf, dahin zu wirken, daß seine Republik mit ihm Siena bekriege, während Alexander heuchlerische Briefe an Pandolfo schrieb.
Der Papst wünschte heimlich und fürchtete zugleich die Unternehmung gegen Siena, weil diese Stadt unter dem Schutze Frankreichs stand. Öffentlich tadelte er deshalb seinen Sohn: er tue alles aus Eigensinn, er wolle ihn mit ganz Italien verfeinden. Er stellte sich so aufgebracht, daß er ihn sogar Bastard und Verräter nannte, und ihn in den Bann tun wollte. Indes glaubte man, daß er erzürnt sei, weil der Herzog die augenblickliche Sendung von 30 000 Dukaten begehrte.
Im Gebiete Sienas ließ Cesare einige Kastelle plündern; dann schickte er Briefe in jene Stadt und verlangte unter den schrecklichsten Drohungen die sofortige Verbannung Pandolfos. Der Tyrann erklärte am 28. Januar, daß er zum Wohle des Vaterlandes abreisen wolle, und noch an demselben Tage ging er nach Lucca. Hierauf zog Cesare vertragsmäßig aus dem Gebiet Sienas ab und gab auch die gemachte Beute heraus. Nur sein Sekretär kam in die Stadt, wo er darauf bestand, daß Pandolfo als Exilierter erklärt werde.
Dringende Boten riefen den Herzog nach Rom. Denn plötzlich hatten sich diesseits wie jenseits des Tiber die Reste der Barone erhoben, um den Untergang ihrer Verwandten zu rächen, ihren eigenen abzuwenden. Die Häupter der Orsini waren damals Johann Jordan, Herr von Bracciano, und Nicolaus Graf von Pitigliano, jener im Dienste Frankreichs in Neapel, dieser im Solde der Venetianer. Während sie den Schutz dieser Mächte anriefen, schlossen ihre Verwandten einen Bund, in welchen auch die Savelli und einige Colonna eintraten. Mutius Colonna und Silvius Savelli bemächtigten sich Palombaras; Fabio Orsini, der Sohn des erwürgten Paul, und Julius, der Bruder des eingekerkerten Kardinals, erhoben die Waffen in Cervetri und Bracciano. Am 23. Januar stürmten die Barone sogar Ponte Nomentano, worauf Rom in Bewegung kam. Der Papst zog Truppen in den Vatikan, doch wurden die Orsini zurückgeworfen. Der Erzbischof Aldobrandini von Nicosia, ein Sohn Pitiglianos, entwich aus der Stadt. Hier hieß es, daß Johann Jordan von Neapel herankomme; der Papst begehrte dessen Auslieferung von Frankreich, sie verweigerte der französische Botschafter. »Ich will«, so rief Alexander voll Zorn, »dieses Haus ganz ausrotten!« Argwöhnisch schloß er die Tore des Palastes. Dem Julius Orsini in Cere ließ er sagen, daß er den Tod des Kardinals verschulden werde.
Der Herzog nun eilte in den Kirchenstaat, am Anfange des Februar. Die Städte, welche seine Kriegsbande durchzog, Aquapendente, Montefiascone, Viterbo, wurden mit Greueln jeder Art erfüllt. Die zu schwachen Orsini wichen überall: die erschreckten Savelli trennten sich von ihnen und lieferten Palombara dem Papst aus. Nur Bracciano war eines ernsten Widerstandes fähig. Zur Belagerung dieses Kastells ließ der Papst am 16. Februar Artillerie abgehen, denn um jeden Preis sollte es genommen werden. Jedoch Cesare scheute den König von Frankreich, in dessen Schutze Johann Jordan stand, und er kam dadurch in Zwiespalt mit seinem Vater. Offen beklagte sich dieser über seinen Sohn im Konsistorium; er riet zugleich den Kardinälen, ihre Paläste selbst mit Artillerie zu bewaffnen, weil ein Überfall der Orsini zu fürchten sei.
Die Nähe des Herzogs erfüllte Rom mit Schrecken. Furchtsam verließ der Kardinal Hippolyt die Stadt am 15. Februar, um sich nach Ferrara zu begeben. Unterdes saß der Kardinal Orsini, einst das Werkzeug der Erhebung Alexanders VI., in der Engelsburg, die Beute seiner Reue und qualvollen Erinnerungen. Seine Mutter schickte ihm die tägliche Nahrung, bis ihr dies untersagt ward. Vergebens bot der Kardinal große Summen für seine Freiheit, vergebens tat dies die Mutter. Sie sandte eine Geliebte des Sohnes verkleidet zum Papst mit einer kostbaren Perle, welche dieser begehrt hatte. Er nahm sie und gestattete wieder, dem Sohne die Nahrung zu schicken. »Doch man glaubte allgemein, daß er bereits den Kelch getrunken, der ihm auf des Papstes Befehl gemischt worden war.« Trotzdem ließ Alexander dem Unglücklichen sagen, er sollte guten Mutes sein und für seine Gesundheit sorgen. Während das Gift schon im Leibe des Gefangenen wirkte, erklärte der Papst den Kardinälen im Konsistorium, daß er den Ärzten befohlen habe, auf das eifrigste sich um Orsini zu bemühen. Am 15. Februar hieß es, der Kardinal sei am Fieber erkrankt; am 22. verschied er, während Cesare in Sutri stand und Cere belagern ließ. Auf Befehl des Papstes begleiteten den Toten vierzig Fackelträger, der Governator Monsignor Hadrian und die Palastprälaten nach S. Salvatore.
Cesare selbst kam am Ende des Februar nach Rom, aber nur maskiert ging er aus; so wollte man ihn im Palast gesehen haben, als dort am 27. Februar eine Komödie aufgeführt wurde. Alle Schlösser der Orsini waren damals an ihn übergegangen, außer Bracciano, Cere und Vicovaro. Der Papst brannte vor Ungeduld, auch diese fallen zu sehen; aber Depeschen des Königs von Frankreich verboten jede weitere Schädigung Johann Jordans. Der Herzog wollte deshalb nichts wagen, und dies brachte seinen Vater so auf, daß er ihm durch ein Breve unter Androhung des Bannes und des Verlusts seiner Lehen den sofortigen Angriff auf Bracciano befahl. Gleichsam gezwungen wollte nun der Herzog am 12. März nach Cere gehen, vor dessen Mauern er seine Leutnants, den Grafen Ludovico della Mirandola, Ugo Moncada und Michele Coreglia, zurückgelassen hatte. Er verließ Rom erst am 6. April und erfuhr auf dem Wege, daß jene Burg, unter Julius Orsini, Johann Orsini und dessen Sohn Renzo, kapituliert habe. Diese Herren übergaben sich und den Ort der Gnade Cesares; er führte sofort Julius Orsini zum Papst und erbat von ihm seine Freilassung. Jetzt hoffte Alexander den gänzlichen Sturz der Orsini durchzuführen, und nur das Veto Frankreichs schützte noch augenblicklich dieses Geschlecht.
Johann Jordan, heimlich nach Bracciano gekommen, begab sich nach Celle in den Abruzzen. Der Papst machte ihm arglistige Vorschläge: er bot ihm für seine Besitzungen im Römischen das Fürstentum Squillace oder Entschädigung in der Mark Ancona, und der Orsini sah sich genötigt, am 8. April 1503 unter Vermittlung des französischen Botschafters einen Vertrag zu unterzeichnen, worin er auf jene Vorschläge einging und einen Paß zur Reise nach Frankreich erhielt, um dort mit dem Könige, seinem Protektor, das Weitere auszumachen.
Nun kam Cesare wieder nach Rom, jetzt der furchtbarste Mann Italiens. Seine Erfolge, die Mittel der Kirche, seine Kühnheit und Kraft ließen ihn als eine wirkliche Macht erscheinen. Soldknechte und Condottieri liefen ihm zu, seinem Glücke zu folgen. Fast in allen Burgen des Kirchenstaates saßen Spanier als seine Vögte. Alles, was er errungen hatte, verdankte er nicht der Tapferkeit oder militärischem Genie, nur dem Verbrechen und dem Verrat. Darin war er der Lehrmeister seiner Zeit, deren ganze Politik er vergiftet hat.
Von Verbrechen zu Verbrechen ward fortgeschritten. Am 10. April starb vergiftet in der Engelsburg auch der Kardinal Giovanni Michiel, der Nepot Pauls II., dessen Reichtümer Cesare begehrenswürdig geworden waren. Kaum war er verschieden, so wurden sein Hab und Gut aus seinem Hause fortgebracht, 150 000 Dukaten an Wert. Der Papst glänzte von Glück und Gesundheit. Er schien unzerstörbar. Als er am 17. April die Messe las, erstaunte man über seine kraftvoll tönende Stimme. Am 24. April ging er mit Cesare nach Anguillara, die eroberten Schlösser der Orsini zu besichtigen; am 11. Mai besuchte er einige ehemals colonnische Landschaften.
Indem die Borgia auf ihre Werke blickten, fanden sie, daß ihnen Unglaubliches geglückt war: die beiden großen Adelsparteien Roms, nie zuvor gebändigt, jetzt zertrümmert; alle andern Barone, alle Tyrannen des Kirchenstaates ausgerottet oder verjagt; Rom in geduldiger Knechtschaft; das Kardinalskollegium ein bebender, gehorsamer Senat; die Kurie ein feiles, dienstbares Werkzeug; mächtige Bundesgenossen erworben oder mit Geschick gewinnbar.
In jenen Tagen dachte Alexander daran, seinem Sohne den Titel des Königs der Romagna und der Marken zu geben; nur scheute er noch den Einspruch Frankreichs, welches eine borgianische Monarchie nicht dulden durfte. Sie konnte furchtbar werden, denn sie vereinigte die geistliche mit der weltlichen Gewalt. Das Papsttum blieb ihr Zentrum, ihre Finanzquelle die Christenheit. Von den beiden vollendeten Meistern diplomatischer Kunst, dem Vater und dem Sohn, war der eine imstande, die Frevel des andern mit dem Schilde der Religion zu decken.
Wenn jedoch die Borgias den Kreis ihrer Wirklichkeiten überblickten, erkannten sie, daß er nicht über den Kirchenstaat hinausging; und selbst hier unterbrachen ihn noch Bologna und Ferrara. Sie schmiedeten Pläne gegen Toskana, wo das verzweifelnde Pisa Cesare die Signorie darbot. Davon unterrichtet, schloß Ludwig XII. zwischen Florenz, Siena, Lucca und Bologna einen Bund, welcher ihn auch in Neapel unterstützen sollte. Schon am 29. März 1503 hatte deshalb Pandolfo Petrucci unter französischem Geleit nach Siena zurückkehren können. Aber die Uneinigkeit in jener Liga hielt die Hoffnungen Cesares aufrecht, und ihn bestärkten auch geheime Unterhandlungen mit Spanien. Die Wendung der Dinge in Neapel eröffnete ihm neue Aussichten. Denn Spanien, dort im Kriege mit Frankreich, sah in ihm einen Bundesgenossen, und er in der Anlehnung an jenes ein wirksames Mittel, Ludwig XII. Zugeständnisse abzuzwingen, und so bot sich den Künsten des Staatsmannes ein neues Feld dar.
Mit dem April 1503 hatte Consalvo von Barletta aus seinen glänzenden Feldzug in Apulien begonnen und diesen der berühmte Zweikampf vom 13. Februar als gutes Vorzeichen eingeleitet. Dreizehn Italiener siegten über ebenso viele Franzosen; aber ihr Sieg, der noch in Schrift und Lied fortlebt, konnte nicht von der Schmach getrennt werden, daß er für die Sache eines fremden Herrn, des Eroberers ihres Landes, erfochten war. Aubigny und Nemours wurden wiederholt geschlagen: Consalvo zog am 14. Mai in Neapel ein, und die Trümmer der französischen Armee retteten sich in das feste Gaeta. So war Ludwig XII. in Neapel unglücklich wie Karl VIII., wie alle Prätendenten vom Hause Anjou. In diesem Unglück hat ein Geschichtschreiber Frankreichs die Hand des Himmels erkennen wollen, welcher den König für seine Verbindung mit den frevelhaften Borgias gezüchtigt habe. Dies freilich war unleugbar, daß die Verbrechen und die Größe jener Menschen nur durch den Schutz Frankreichs solche Ausdehnung gewonnen hatten. Und jetzt konnte derselbe König darauf gefaßt sein, den verdienten Dank von seinen Schützlingen zu ernten.
Sie blickten mit Genugtuung auf die Niederlage Frankreichs und jubelten über die Siege Spaniens. Nun durften sie für ihren Beistand hier oder dort hohe Preise fordern. Ludwig XII. rüstete ein neues Heer, welches La Tremouille durch Toskana und Rom nach Neapel führen sollte. Seine Gesandten forderten freien Durchzug durch das römische Gebiet und die Vereinigung der Kriegsvölker Cesares mit denen Frankreichs. Die Borgias verlangten dafür freie Hand in Toskana und die Preisgabe Braccianos.
Man kam nicht zum Abschluß; denn Klugheit, wenn nicht Ehre, verbot dem Könige, Florenz und Siena zu verraten. Die Borgias selbst durften weder die Maske der Freundschaft fallen lassen, noch eine Unternehmung gegen Toskana in der Zeit wagen, wo die französische Armee, von der Städteliga verstärkt, sich dort in Bewegung setzte. Sie erklärten daher, daß sie den Durchzug gestatten, aber die Neutralität des Kirchenstaats aufrecht erhalten würden. Unter dem Deckmantel dieser Neutralität konnten sie dann über Toskana herfallen, sobald die französische Armee in ihre neue und mutmaßlich unglückliche Expedition verwickelt war. Sie neigten sich indes zu Spanien; der Papst erlaubte sogar, daß Consalvo Söldner in Rom warb; dem Botschafter des Kaisers gab er zu verstehen, daß, wenn dieser zu Spanien trete, er das Gleiche tun wolle.
Troche, der Sekretär und Günstling Alexanders, mochte die spanischen Unterhandlungen an Frankreich verraten haben; er entfloh aus dem Vatikan am 18. Mai, wurde aber durch nachgesandte Schiffe bei Korsika eingeholt, nach Rom zurückgebracht und am 8. Juni in einem Turm Trasteveres durch Micheletto erwürgt, wobei Cesare heimlich zusah. Der Unglückliche war in den letzten Jahren in der Gunst des Papstes emporgekommen, und, wie seine Briefe an die Markgräfin von Mantua zeigen, ein gebildeter Mann von humanistischen Neigungen. Man wollte wissen, daß er zu Falle kam, weil er sich beklagt hatte, nicht auf die Liste der neuen Kardinäle gesetzt zu sein. Als ihm der Papst erklärte, daß die Liste von Cesare gemacht sei und der Herzog ihn wegen seiner Reden werde umbringen lassen, habe der Sekretär eilends die Flucht ergriffen. Auch Jacopo Santa Croce wurde damals hingerichtet; sein Leichnam blieb auf der Engelsbrücke bis zum Abend liegen, während seine Güter konfisziert wurden. Der Schrecken war so groß, daß viele Römer auswanderten.
Geld wurde für Cesare durch gewohnte Mittel beschafft. Sein stets bereiter Henker, jener Micheletto Coreglia, ein Spanier von Geburt, und der Stadtgovernator drangen mit Bewaffneten in die Häuser und kerkerten viele Personen ein unter dem Vorwande, daß sie Maranen seien. Aus derselben Absicht wurden Edikte gegen die Juden erlassen.
Für große Geldsummen ernannte Alexander am 31. Mai noch elf Kardinäle, darunter seine beiden Verwandten Castellar und Iloris von Valencia, Francesco Soderini von Volterra, und auch Adriano Castelli. Dieser klassisch gebildete Latinist stammte aus Corneto. Er war Nuntius Innocenz' VIII. in England gewesen, wo er durch Gunst Heinrichs VII. das Bistum Herford erhalten hatte. Nach dem Falle des Floridus wurde er Geheimschreiber des Papstes, sein Günstling und Vertrauter. Er war einer der reichsten Prälaten Roms, wo ihm der Architekt Bramante im Borgo einen schönen Palast erbaute.
Cesare, der Schöpfer dieser neuen Kardinäle, war bei ihrer Ernennung im Konsistorium anwesend; er gab ihnen ein Gastmahl und zeigte sich an diesem Tage zum erstenmal seit seiner Rückkehr wieder öffentlich. Nun wurden neue Pläne entworfen: der Papst wollte alle Länder der Orsini, Savelli und Colonna der Kirche zurückgeben, wofür das heilige Kollegium zustimmen sollte, daß Cesare die Mark mit der Romagna vereinigte. Am Ende des Juni ging der Herzog dorthin, und der Papst wollte ihm im August einen Besuch machen. Seine Regierung faßte in jenem Lande Wurzel; die Verwaltung war gut und die Justiz unerbittlich. Nachdem Cesare sich Ramiros als seines Generalstatthalters bedient hatte, opferte er auch dieses verhaßte Werkzeug der öffentlichen Meinung; er ließ ihn vierteilen und so auf dem Platze Cesenas, mit dem Richtbeil zur Seite, aussetzen, dem Volk am Morgen zur gräßlichen Überraschung.
Der König von Frankreich machte damals dem Papst den seltsamen Vorschlag, ihm ganz Neapel zu überlassen, wenn er ihm Bologna und die Romagna abtrete. Dagegen bemühte sich der Papst beim Kaiser, um für seinen Sohn die Investitur von Pisa, Siena und Lucca zu erhalten. Unterdes durchzog La Tremouille mit der nach Neapel bestimmten Armee Toskana, am Anfang des August, und näherte sich dem römischen Gebiet, als ein Ereignis eintrat, welches alle Fäden des Gewebes der Borgias mit einem Zuge durchschnitt.
Der Papst sowohl als sein eben aus der Romagna zurückgekehrter Sohn erkrankten am Sonnabend den 12. August. Beide hatten einen starken Fieberanfall mit Erbrechen. Am 13. ließ man dem Papst zur Ader. Er fühlte sich wohler; einige Kardinäle ließ er an seinem Bette Karten spielen. Am 14. kam das Fieber zurück, blieb am 15. aus und ward stärker am 16. August. Man sperrte den Palast; kein Arzt noch Apotheker durfte ihn in den ersten Tagen verlassen. Man wandte sich an eine im Gang des Vatikan lebendig Eingemauerte, daß sie für den Papst bete; die Heilige erwiderte, es sei keine Hoffnung mehr für ihn. Am Freitag den 18. August beichtete Alexander dem Bischof von Culm (welche Beichte mag dieser Mann gehört haben!), und sitzend empfing er die Kommunion. Fünf Kardinäle waren um ihn, Arborea, Cosenza, Monreale, Casanova und Iloris. Man erwartete seinen Tod. In derselben Stunde lag auch Cesare darnieder, aber schon außer Gefahr und sich anschickend, zur Nacht durch den unterirdischen Gang nach der Engelsburg zu flüchten, wohin er bereits seine beiden kleinen Kinder und viel Gut hatte bringen lassen. Schon füllte sein in Eile herbeigerufenes Kriegsvolk den Borgo; Trommler gingen durch Rom und riefen bei Strafe des Galgens alle wachpflichtige Mannschaft nach dem Vatikan. Am Abend desselben 18. August 1503 gab der Bischof von Culm dem Papst die letzte Ölung, und Alexander VI. verschied, 72 Jahre alt.
Sofort ging die Rede, daß er an Gift gestorben sei, und dies schien der Anblick der gräßlich entstellten Leiche zu bestätigen. Die Phantasie des Volks war geschäftig in grauenvollen Erfindungen. Man erzählte sich, daß Alexander, ehe er erkrankte, in seinem Gemach den Teufel in Affengestalt gesehen, daß ihn dieser Teufel geholt habe. An Vergiftung glaubte bald jedermann. Der August, der gefährlichste Monat überhaupt in Rom, war freilich gerade damals besonders heiß und fiebervoll. Der Gesandte Ferraras schrieb dies seinem Herrn, und daß viele Menschen erkrankten und starben, daß namentlich die Menschen im Vatikan fast sämtlich erkrankt waren. Auch der florentinische Gesandte Soderini wurde krank und schrieb deshalb, wie er selbst bemerkte, keine Berichte mehr an seine Signorie. Die glühende Sommerluft konnte daher in dem greisen Papst das tödliche Fieber erzeugt haben.
Am 18. August, kurz vor dem Tode Alexanders, sagte der aus dem Palast kommende Arzt Scipio dem venetianischen Botschafter Giustinian, daß die Krankheit schlagflußartiger Natur sei, ohne eine mögliche Vergiftung zu erwähnen. Doch der Abscheu der Welt sträubte sich und sträubt sich noch heute, zu glauben, daß der hassenswürdigste der Päpste sein Leben auf natürliche Weise beschließen durfte. Alle Zeitgenossen, unter ihnen berühmte Geschichtschreiber, Guicciardini, Bembo, Jovius, der Kardinal Egidius, Raffael Volaterranus, behaupteten, daß er zugleich mit Cesare vergiftet worden sei. Mit ihm, so lautet der bekannteste dieser Berichte, verabredend, bei einem Mahl den reichen Kardinal Hadrian zu vergiften, habe der Papst durch Verwechslung der Flaschen vom Todeswein getrunken, und Cesare dasselbe Versehen begangen. Der Papst sei daran gestorben, den Herzog habe seine Jugendkraft wiederhergestellt. Die Erzählung der Umstände selbst hat viel Unwahrscheinliches, denn konnten so erfahrene Menschen so grober Nachlässigkeit sich schuldig machen? Wenn die Vergiftung wirklich geschah, so würde ein venetianischer Bericht fast glaublicher erscheinen, wonach der Mundschenk des Papstes, vom Kardinal Hadrian mit 10 000 Dukaten gekauft, das vergiftete Konfekt verwechselte. Daß jenes Mahl im Garten des Kardinals stattfand, ist unzweifelhaft. Unmittelbar nach dem Tode Alexanders kam davon der Bericht nach Florenz, und dieser ist um so glaublicher, weil er zwar den Ursprung der Krankheit des Papstes in jenem Abendessen sucht, aber noch nicht geradezu von Vergiftung redet.
Die gleichzeitige Erkrankung Cesares bei gleichen Symptomen ist unter allen Gründen für den Glauben an die Vergiftung der gewichtigste. Der Herzog freilich sagte nichts von Gift, als er nach seiner Genesung Machiavelli erklärte, daß jenes fatale Zusammentreffen seiner eigenen Erkrankung mit der des Papstes der einzige von ihm nicht berechnete Unglücksfall gewesen sei. Doch der Kardinal Hadrian, welcher auch erkrankte, erzählte dem Geschichtschreiber Jovius, daß auch er damals vergiftet wurde und die Folgen davon erlitt.
Wir können nicht mehr in der Seele des sterbenden Borgia lesen, um zu wissen, ob darin noch ein Rest von Gewissen übrig und jenen Geistern zugänglich war, welche das Totenlager schuldbewußter Menschen umstehen. Dies ist sehr bemerkenswert, daß er während seiner Krankheit von seinem gleich kranken Sohne nicht besucht, weder dessen noch Lucrezias Namen jemals ausgesprochen hat. Wenn man nur auf die äußere Lage blickt, so starb dieser Papst sogar auf der Höhe seines Glücks. Denn ihm war alles gelungen, jeder Plan, jedes Verbrechen war zur Macht geworden. Der Gedanke an das Schicksal Cesares konnte ihn freilich beunruhigen; denn er kannte die Geschichte der päpstlichen Nepoten zu wohl. Aber er durfte sich sagen, daß er seinen Sohn mit Schätzen, Truppen, Ländern und vielen Dienern im Kardinalskollegium zurückließ, und daß er Manns genug war, seine weiteren Wege zu finden. Oder glaubte er an den nahen Tod seines Sohnes, dessen Erkrankung man ihm doch nicht hatte verbergen können? Oder blickte er deshalb stumm in den Abgrund, der sein frevelhaftes Haus verschlingen wollte?
Das Urteil über Alexander VI. sprechen die Tatsachen selbst. Es ist wahr, daß die menschlichen Charaktere zum großen Teil die Produkte der Verhältnisse und Zeiten sind. Aber wenn die grenzenlose Verdorbenheit des öffentlichen und moralischen Zustands, worin die Italiener damals lebten, die Schuld vieler durch das Zeitgepräge mindert, so ist ein Papst mit dem Evangelium in der Hand wohl der letzte seiner Zeitgenossen, der auf diese Milderung ein Recht besitzt. Weil Alexander VI. Papst war, erscheint er noch hassenswürdiger als sein Sohn. Der fürchterliche Mut des Verbrechens, mit welchem dieser die Welt herausforderte, hat sogar einen Schein von Großartigkeit, während der Vater durch seine Stellung gezwungen war, verabredete Taten tun und geschehen zu lassen. Wie hinter einem Vorhange sieht man ihn sich bewegen.
Die wirkliche Gestalt Alexanders VI. ist mit unrichtigem Maße, das heißt zu groß gemessen worden: in Wahrheit zeigt es sich, wie klein er gewesen ist. Es ist ganz irrig, ihn als eine diabolische Natur aus Prinzip aufzufassen: wenn überhaupt es solche Naturen geben kann. Die Entstehung der Verbrechen dieses lebenskräftigen und frivolen Menschen weist seine Geschichte Schritt für Schritt nach. Sie entsprangen viel eher seiner Sinnlichkeit als seinem Geist, der nur gewöhnlichen Ranges war. Selbst seine Ausschweifungen würden nicht so großes Aufsehen erregt haben, wenn er sie, wie andere Menschen seiner Art, in Geheimnis gehüllt hätte. Nur seine Schamlosigkeit war beispiellos. Wenn Religion mehr ist als ein kirchlicher Formeldienst und ein Glaube an wunderwirkende Heilige, so muß man wohl bekennen, daß Alexander VI. Papst war ohne Religion. Gute Eigenschaften, die er sonst hatte – denn es gibt in der Natur weder das absolut Böse noch das absolut Gute – oder die ihm aus Reiz des Widerspruchs nachgerühmt werden, sind im Angesicht seines Gesamtwesens wertlos, und ein himmlischer Totenrichter würde sie wohl, wenn nicht verächtlich aus der Schale werfen, so doch zu leicht befinden.
Der Geschichtschreiber tritt auch den Urteilen derer entgegen, welche in diesem Papst politisches Genie entdeckt haben. Sein Verstand, meisterhaft in List und Trug, reichte nie so hoch. Sein ganzer Pontifikat zeigt keine einzige große Idee weder in Kirche noch Staat, weder des Priesters noch des Fürsten auf. Keine Spur schöpferischer Tätigkeit findet sich in ihm. In der Geschichte des Papsttums steht er auch darin einzig da, daß er die Vorteile der Kirche vollkommen preisgab. Sehr merkwürdig ist hier sein Verhältnis zum weltlichen Kirchenstaat: er hat dessen von allen Päpsten so eifersüchtig gehüteten Besitz so wenig geachtet, daß er ihn der Säkularisation durch seine Nepoten nahe brachte; denn den ganzen Kirchenstaat wollte er an seine Familie bringen, und dies würde den Zerfall mit sich geführt haben.
»Nach mir die Sündflut«: das erscheint als die Maxime dieses Papstes. Die satanische Steigerung der Leidenschaften der Borgia und die Verderbnis des Rechts wie aller politischen Verhältnisse jener Zeit machte die ungeheuerlichsten Pläne möglich. Den Gedanken freilich, Cesare zum Papst, im Haus Borgia Tiara und Fürstenkrone erblich zu machen, mußte Alexander fallen lassen, wenn er ihn wirklich jemals faßte, aber den Kirchenstaat würde er seinem Bastard ohne Bedenken geopfert haben, ihm als Kern und Basis für das Königtum Italiens zu dienen, wonach Cesare offenbar strebte. Alexander VI., selbst in der Gewalt seines furchtbaren Sohnes, erscheint kaum als ein Mann, der im Gefühl eigener Fürstenmacht schwelgen wollte. Ihre Last würde ihm nur unbequem gewesen sein. Kein Trieb nach Größe, nichts von dem königlichen Ehrgeiz, nichts von jenem rastlosen Tatendrange und Herrschersinn eines Sixtus IV. oder Julius II. zeigt sich in der passiven Natur dieses Genußmenschen. Nur die Verhältnisse trieben ihn; beherrscht hat er sie nie; mit Kühnheit und Kraft ist er ihnen niemals entgegengetreten. Nur eine einzige Leidenschaft erfüllte ihn: die Liebe zu seinen Kindern. Sie, und nichts anderes ist der Hintergrund für sein gesamtes Tun. In seiner letzten Zeit kämpfte in ihm der Haß gegen seinen Sohn, seinen bösen Dämon, mit der Liebe zu ihm. Es wird finstere Stunden gegeben haben, wo er diesen Sohn hätte töten mögen, doch beseitigen konnte er Cesare nicht, denn seine eigene Sicherheit und sein Thron ruhten zuletzt auf dessen Größe und Kraft.
In Wahrheit wird niemand in der Geschichte Alexanders VI. einen anderen leitenden Gedanken zu entdecken vermögen als diesen erbärmlichen, seine Kinder um jeden Preis zur Macht zu bringen. Die Ausrottung vieler Tyrannen und die Gründung des mit tausend Freveln geschaffenen Fürstentums Cesares, welches sein eigenes usurpiertes Papsttum stützte und deckte, waren die politischen Taten dieses Papstes, und diesem armseligen Zweck des Nepotismus und der Selbsterhaltung opferte er sein eigenes Gewissen, das Glück der Völker, das Dasein Italiens und das Wohl der Kirche.
Ein Krieg von mehr als einem halben Jahrhundert und schrecklicher als alle früheren im Mittelalter, zertrümmerte Italien, zerstörte die Blüte seiner Städte, vernichtete den Sinn für Nationalität und Freiheit und versenkte diese große Nation unter entehrender Fremdherrschaft in einen Schlaf von Jahrhunderten, ähnlich der Erschöpfung nach den Gotenkriegen. Wenn auch Alexander VI. nicht der alleinige Urheber dieses tiefen Falls war, zu welchem hundert andre Ursachen mitwirkten, so hat er doch Italien den Spaniern und Franzosen preisgegeben, nur um seine Bastarde groß zu machen. Er ist ein wesentliches Motiv für den Untergang dieses Landes gewesen, und in gleicher Eigenschaft steht er in der Geschichte der Kirche da.
Was die Stadt Rom selbst betrifft, so erlosch in ihr auch das letzte bürgerliche Selbstbewußtsein unter der Herrschaft der Borgia, welche das römische Volk vollends demoralisierte. Die Geschichtschreiber jener Zeit haben ihre Verwunderung ausgesprochen, daß Rom trotz der Erwürgung so vieler Großen und trotz aller andern Frevel sich niemals gegen Alexander VI. erhob. Es wäre mehr als lächerlich, zu glauben, die Stadt habe dies nicht getan, weil sie die Regierung dieses Papstes befriedigte. Die Ursache der ruhigen Haltung der Römer war der Terrorismus des Regiments der Borgia mit ihren Spionen, Henkern und spanischen Kriegsknechten, endlich ihre eigene Verdorbenheit und ihr schon verknechteter Sinn.
Ein berühmter Geschichtschreiber jener Zeit, selbst ein Bischof, sagte: »Die Römer können, sei es aus Erinnerung an ihren früheren Glanz und ihre alte Freiheit, sei es wegen ihrer wilden und unruhigen Gemütsart, die Herrschaft der Priester, welche oft maßlos und habgierig regieren, nicht mit Gleichmut ertragen.« Sie machten indes nur ohnmächtige Satiren auf Alexander, während ihre Stadt in einen Zustand versank, der an die Zeiten der verworfensten Kaiser des Altertums erinnerte. Man glaubt Tacitus zu hören, wenn ein Zeitgenosse der Borgia schreibt: »In der Stadt war die Frechheit der Gladiatoren nie größer, die Freiheit des Volks nie geringer. Es wimmelte von Angebern. Die geringste Äußerung des Hasses ward mit Tod bestraft. Außerdem war ganz Rom von Räubern voll und nachts keine Straße sicher. Rom, zu aller Zeit das Asyl der Nationen und die Burg der Völker, war zu einer Schlachtbank geworden, und alles das ließ Alexander VI. aus Liebe zu seinen Kindern zu.«
Ein anderer Augenzeuge der Regierung Alexanders VI., der spätere hochgefeierte Kardinal Egidius von Viterbo, hat dies Bild von jener Zeit entworfen: »Finsternis und stürmische Nacht umhüllte alles; von den Vorgängen in der Familie, von den Trauerspielen will ich schweigen; nie gab es in den Städten des Kirchenstaats schrecklichere Empörungen, mehr Plünderungen und blutigeren Mord. Nie raubte man ungestrafter auf den Straßen; nie füllten so viel Frevler Rom an; nie schaltete darin so frech die Menge von Angebern und von Räubern. Man konnte weder die Tore der Stadt verlassen, noch sie selbst bewohnen. Es galt für gleich, Gold oder irgend ein köstliches Gut zu besitzen und der Majestätsbeleidigung schuldig zu sein. Nichts schützte, nicht Haus, nicht Schlafgemach, nicht Turm. Das Recht war ausgelöscht. Die Herrschaft führten Gold, Gewalt und Sinnenlust. Bis dahin war Italien von der Fremdherrschaft frei geblieben, seitdem es sich der ausländischen Tyrannei entzogen hatte; denn obwohl der König Alfonso Aragonier war. stand er doch keinem Italiener an Bildung, Liberalität und Großherzigkeit nach. Nun aber folgte der Freiheit die Knechtschaft, nun sanken die Italiener von ihrer Selbständigkeit in die finstere Sklaverei der Fremden herab.«