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Der Tod Sixtus' IV. war das Zeichen zur Erhebung der so lange erdrückten Gegenpartei. Ein unbeschreiblicher Tumult erfüllte Rom; die Hölle schien dort losgelassen. Freund und Feind, Barone, Bürger und Kardinäle verschanzten ihre Häuser, während das Volk voll Erbitterung über die Wucherherrschaft der sixtinischen Nepoten den Palast Riarios bei S. Apollinare verwüstete, die Kornmagazine und die genuesischen Wechselbanken plünderte.
Nun aber rückten am 14. August Girolamo und Virginius im Eilmarsch heran, nachdem sie auf die Kunde vom Tode des Papstes ihr Lager vor Palliano in voller Flucht dem Feinde überlassen hatten. Die Kardinäle befahlen ihnen, bei Torre del Quinto stehen zu bleiben; aber Catarina, das kühne Weib des Nepoten, warf sich in die Engelsburg, diese für ihren Gemahl zu behaupten. Mit gleicher Eile kamen jetzt auch die rachelustigen Colonna, zuerst der Kardinal, welchen das Volk frohlockend in seinen Palast bei Trevi führte, dann Prospero und Fabrizio, die Savelli und andere Ghibellinen. Der Nepot Girolamo verzweifelte daran, ferneren Einfluß auf das Papsttum und Rom zu behalten; er begab sich zu den Orsini nach Isola. Man baute Barrikaden in ganz Rom. Vom Monte Giordano her zogen Reitergeschwader durch die Straßen mit dem Ruf: »Orsini und Kirche«; von den Santi Apostoli her sprengten die Gegner durch das Marsfeld mit dem Geschrei: »Colonna!« Ein Bürgerkrieg drohte auszubrechen. Selbst Florenz und Siena versprachen den Colonna Hilfe gegen den verhaßten Riario. Der Magistrat versammelte die Bürger auf dem Kapitol und forderte die Kardinäle zur schnellen Papstwahl auf.
Erst am 17. August begannen die Exequien, die Totenmesse, für den verstorbenen Papst, wobei nur elf Kardinäle erschienen; denn Cibo, Savelli, Colonna, Julian Rovere, der sich bei S. Pietro in Vincoli verschanzt hatte, und Ascanio Sforza, der jüngste aller Kardinäle, welcher in vier Tagen von Mailand nach Rom gekommen war, gaben vor, daß ihnen die Engelsburg den Weg versperre. Endlich gelang es, die Parteien zu einem Waffenstillstande zu bewegen: Girolamo verpflichtete sich, die Engelsburg für 4000 Dukaten auszuliefern, worauf sich die Orsini nach Viterbo, die Colonna nach Latium, der Nepot in seine Staaten zurückziehen sollten. Dies geschah am 25. August, und Tags darauf begann das Konklave im Vatikan.
Die 25 Kardinäle standen sich in zwei Parteien gegenüber; hier Rodrigo Borgia, Aragon, Orsini, dort die Venetianer, Cibo, Colonna und Rovere. Rodrigo Borgia glaubte seiner Wahl so sicher zu sein, daß er seinen Palast verbarrikadieren ließ, um ihn vor Plünderung zu schützen. Die Wahlkapitulation ward aufgesetzt und beschworen. Sie beschränkte noch mehr die Alleingewalt des Papstes; sie übertrug auf die Kardinäle jede namhafte Gewalt im Staat, so daß die weltlichen Elemente immer mehr aus diesem verschwanden und er ausschließlich zum Priesterstaate wurde. Ganz offen und schamlos warb man Wahlstimmen. Man versprach Paläste, Ämter und Einkünfte, Burgen und Legationen. Als Ascanio und Aragon mit Rodrigo Borgia nicht durchdrangen, verkauften sie ihre Stimmen Cibo, und am 29. August 1484 wurde dieser Kardinal als Innocenz VIII. ausgerufen. Er verdankte seine Wahl wesentlich Julian Rovere, welcher für ihn durch Bestechungen und Angebote gewirkt hatte.
Johann Baptista, Sohn Aranos Cibo und der Teodorina da Mare, war in Genua im Jahre 1432 geboren. Sein Vater, der Vertraute Calixts III., hatte im Jahre 1455 das Senatoramt Roms bekleidet und sich auch als Vizekönig Neapels unter René hervorgetan. Auch sein Sohn diente dem Anjou und ward dann Geistlicher. Paul II. machte ihn zum Bischof von Savona, Sixtus IV. zum Bischof von Molfetta und im Jahre 1473 zum Kardinal. Cibo war ein großer und schöner Mann, weder durch Reichtum noch durch Talente ausgezeichnet, wenn auch nicht ohne Kenntnisse. Seine Laufbahn verdankte er seiner leutseligen Natur und der Kunst der Schmeichelei. Er bekannte sich ohne Scheu zu einer zahlreichen Nachkommenschaft, womit ihn in jüngeren Jahren eine Neapolitanerin beschenkt hatte. Die römische Satire spottete darüber in beißenden Epigrammen. Sein Sohn Franceschetto galt als sein Nepot.
Innocenz VIII. übernahm die Regierung unter schwierigeren Verhältnissen, als Könige die ihrige vor sich finden. Wenn diese ein ererbtes Staatswesen antreten, so kam fast jeder Papst als Gegner des Systems seines Vorgängers auf den Thron. Die Verfassung des Kardinalskollegiums war das einzige Band, welches beim Papstwechsel den römischen Priesterstaat zusammenhielt, und dieser würde jedesmal zerfallen sein, wenn nicht Furcht vor Tyrannen die Städte bewog, bei der Kirche auszudauern. Vor allem war der Gehorsam Roms von Wichtigkeit. Diese Stadt, welche nur vom Reichtum der Kurie lebte, besaß noch einen Rest ihrer Verfassung; sie sicherte noch ihre Rechte gleichsam durch eine eigene Wahlkapitulation, wodurch sich jeder neue Papst verpflichtete, alle römischen Ämter und Benefizien nur Bürgern Roms zu geben. Ohne Zweifel fiel es dem Papst schwer, sein der Stadt gegebenes Versprechen vor den Ansprüchen der gierigen Prälaten aufrechtzuhalten. Auch brachte er Verwandte und Freunde ohne weiteres in die Liste der Bürger, um sie auf Kosten dieser zu bereichern. Man sagte daher in Rom, daß Innocenz VIII., durch Wahlbestechung wie Sixtus IV. auf den Thron gelangt, in dessen Spuren vorwärts gehe.
Parteiwut stürzte Rom alsbald in Verwirrung, denn die Colonna erhoben sich schon im März 1485, die Orsini zu bekämpfen und die Unbilden zu rächen, welche sie unter Sixtus IV. erlitten hatten. Innocenz lud beide Parteien vor das Friedensgericht; da sich die Colonna fügsamer zeigten, wandte er sich ihnen zu. In diesen Geschlechterkrieg wurden bald auch die Angelegenheiten Neapels verflochten.
Schon als Kardinal war Innocenz dem Hause Aragon feind; als Papst wollte er die Lehnrechte nicht schmälern lassen, die sein Vorgänger preisgegeben hatte. Er wies am 28. Juni 1485 den weißen Zelter zurück und forderte den hergebrachten Tribut. Ferrante und sein schrecklicher Sohn Alfonso gingen eben an die Ausführung ihres Planes, sich von der Plage des Baronalwesens zu befreien. Denn Hunderte von Feudalherren spotteten der Staatsgewalt, immer drohend, Anjou und Frankreich ins Land zu rufen, und sie machten eine gesetzmäßige Regierung unmöglich. Im Sommer 1485 reifte der Plan des Königs.
Die bedrohten Barone riefen den Papst nicht vergebens zum Beschützer auf. Sein allmächtiger Ratgeber Julian Rovere, der ihn zum Papst gemacht hatte und jetzt beherrschte, zog ihn in dieses furchtbarste aller Dramen des fünfzehnten Jahrhunderts, »die Verschwörung der Barone«, hinein. Julian haßte die Spanier, zu deren Partei seine Gegner Ascanio und Aragona hielten; er neigte sich zu einer Verbindung mit Frankreich. Dem Papst stellte er vor, daß es der Kirche vorteilhaft sei, Neapel in tiefere Abhängigkeit vom Heiligen Stuhl zu bringen. Eins der Häupter der Barone, Antonello Sanseverino, Fürst von Salerno, war der Schwager seines Bruders Giovanni della Rovere, des Präfekten von Rom, und dieser besaß das Lehn Sora im Königreich Neapel. Man knüpfte Unterhandlungen mit Genua und auch mit den Venetianern an, denen man den Besitz neapolitanischer Seestädte verhieß. Die Barone schlossen durch ihre Boten ein Bündnis mit dem Papst, der sich verpflichtete, sie in Schutz zu nehmen und René von Lothringen auf den Thron Neapels zu berufen.
Die Empörung Aquilas eröffnete den Krieg; diese Stadt rief am 17. Oktober 1485 den Schutz der Kirche an, deren Fahne sie aufzog. Beide Teile schlossen ihre Bündnisse; zu Neapel standen Florenz und Mailand, zum Papst Genua und Venedig. Am Ende des Oktober kam Robert Sanseverino nach Rom, welchem die Venetianer erlaubt hatten, in päpstlichen Dienst zu treten, und Innocenz machte ihn zum Gonfaloniere, zum Bannerherrn, der Kirche. Dieser alte gutmütige Mann war mit seinen zwei Söhnen gekommen, von welchen Gasparo wegen seiner Kühnheit Fracassa genannt wurde. Die Orsini nahmen Sold vom Herzog Alfonso; sie streiften von Nomentum bis vor Rom. Zu beiden Seiten des Tiber entbrannte der Krieg zwischen ihnen und den Colonna, welche mit den Savelli zum Papste hielten. Aber Innocenz zeigte sich ganz schwach und untauglich. Als die Orsini, deren Palast auf Monte Giordano der Kardinal Julian eines Nachts in Flammen gesetzt hatte, vor die Tore drangen und die Rede ging, daß Alfonso im Anzuge sei, rief er alle, selbst um Mord Gebannte, in den Dienst der Kirche zurück, worauf sich Rom mit Schwärmen ruchlosesten Volkes erfüllte. Nur der Wachsamkeit Julians, den man bewaffnet die Mauern besichtigen sah, mochte es zuzuschreiben sein, daß Virginius nicht in Rom eindrang. Der Orsini haßte diesen mit den Colonna verbündeten ruhelosen Kardinal; er schwor, sein abgeschlagenes Haupt auf einer Lanze durch die Stadt tragen zu wollen und streute Pamphlete gegen ihn aus. Die Römer rief er durch Manifeste auf, Innocenz zu vertreiben und dann einen andern Papst und andere Kardinäle zu wählen.
Am Weihnachtstage langte endlich die Armee Sanseverinos in Rom an, worauf dieser General die nomentanische Brücke erstürmte. Doch seine Kriegführung war ohne Kraft. Er vertrieb zwar die Orsini aus Mentana, was zur Folge hatte, daß der Kardinal dieses Hauses Monterotondo den Päpstlichen übergab. Aber die Einwohner Mentanas erhoben sich auf ein falsches Gerücht vom Tode des Papstes, worauf Innocenz dies Kastell von Grund aus zerstören ließ. Jenes Gerücht war am 21. Januar entstanden; ein panischer Schrecken bemächtigte sich Roms; die Kaufläden schlossen sich; das Kapitol ward zugesperrt; jeder suchte mit seinem Eigentum zu flüchten; jeder Kardinal verschanzte sich in seinem Palast. Der Krieg zog sich indes nach Tuskien hinüber, wo Sanseverino die Kastelle der Orsini bestürmte, während der Stadtpräfekt von Benevent aus mit den Baronen ins Feld zog und Fabrizio Colonna ins Marsenland drang, den Orsini Tagliacozzo zu entreißen. Nur mit seinen Mitteln und der Hilfe der Colonna bestritt der Papst diesen Krieg; denn die Venetianer schickten ihm keine Truppen.
Alfonso näherte sich bereits Rom; doch hatte auch der Papst ein Schreckmittel für Ferrante bereit. Im März 1486 schickte er den Kardinal Julian nach Genua, René herbeizuholen und deshalb mit Karl von Frankreich zu unterhandeln. Der mittellose René zeigte freilich wenig Eifer, die Krone Neapels zu erkämpfen, wozu ihm der Monarch Frankreichs seine zweifelhafte Unterstützung nur nach langem Sträuben verhieß. Gleichwohl machte Furcht den König von Neapel zu einem Vergleiche geneigt, und diesen vermittelten Lorenzo Medici und die Gesandten des Königs Ferdinand von Aragon, welcher nicht wünschen konnte, daß die Franzosen nach Italien gezogen wurden. Die spanische Partei im Kardinalskollegium drang auf Frieden; ihr Führer war Rodrigo Borgia, ihr Gegner der ränkevolle Franzose Balue, welchen Julian Rovere aus dem Gefängnis von Loches befreit, Sixtus IV. nach Rom gezogen und zum Kardinalbischof von Albano gemacht hatte. Beide Kardinäle mißhandelten einander mit schimpflichen Worten im Konsistorium.
Den friedlichen Neigungen gab endlich die Annäherung des Herzogs von Calabrien im Monat Juni mehr Nachdruck. Er belagerte fruchtlos Cervetri und Anguillara, während der Papst Robert Sanseverino, den er für einen Verräter zu halten begann, zurückrief, um Rom zu verteidigen. Die französische Partei suchte zwar den Frieden zu hintertreiben, aber Borgia und Ascanio gingen nach Isola, mit den Orsini zu unterhandeln. Schon streiften die Reiter Alfonsos bis Trastevere; denn durch Mangel gezwungen, gab der Herzog das Patrimonium (Kirchenstaat) auf und zog über den Tiber bei Fiano, um Latium zu gewinnen. Die Römer selbst waren in solche Not gebracht, daß sie einen Waffenstillstand nachsuchten. Der schwache Innocenz sah sich nur von Verrätern umringt: denn alles war in Rom feil; keinem Kastellan konnte getraut werden; täglich kerkerte man Verdächtige ein. Endlich entschloß er sich zum Frieden, indem er die Unternehmung Renés rückgängig machte. Am 11. August 1486 unterzeichneten für den König Ferrante sein Kriegskapitan Gian Giacapo Trivulzio und der gelehrte Pontano das Friedensinstrument: der König verpflichtete sich zu dem jährlichen Tribut von 8000 Dukaten und versprach Aquila wie die empörten Barone zu begnadigen.
Manche Kardinäle, vor allen Julian, waren mit diesem Frieden nicht einverstanden, weil er weder der Kirche wahre Vorteile gab, noch deren Bundesgenossen vor der Rache des Königs sicherstellte. Nur das römische Volk dankte dem Papst aufrichtig; denn die Campagna lag in Trümmern; man sah nur verbrannte Orte, nur Scharen von Bettlern oder von Räubern. Blutrache und Gewalttaten jeder Art bildeten infolge dieser Kriege das Gepräge der römischen Gesellschaft seit Sixtus IV., und diese erscheint nicht etwa bloß deshalb in so auffallender Verwilderung, weil wir gerade aus jener Epoche die genauen Tagebücher zweier Römer besitzen. Vielmehr zeigt die italienische Natur überhaupt im letzten Drittel des fünfzehnten Jahrhunderts einen Zug dämonischer Leidenschaft: die Tyrannenmorde, die Verschwörungen, die Treubrüche sind herrschend; eine frevelvolle Selbstsucht greift um sich, der schreckliche Grundsatz wird reif, daß der Zweck die Mittel heilige. Mit Schauder lesen wir heute die Berichte von der massenhaften Abschlachtung der Barone Neapels, wozu der schwache Papst nach einigen schüchternen Vorstellungen furchtsam schwieg; doch weniger empört die Tatsache selbst als die Wahrnehmung, daß sie nur Furcht, nirgends Entrüstung erzeugte. Die Zeit der Entheiligung der christlichen Religion war auch die Epoche der Kämpfe um die Bildung monarchischer Staaten in Europa. Derselbe Zug teuflischer Grausamkeit und Selbstsucht erscheint in England während des Kriegs der Rosen, in Frankreich unter der Herrschaft Ludwigs XI., während die Maurenkriege Spanien fanatisierten. In der Geschichte des Papsttums und seiner Nepoten wird derselbe Geist bald greller als am Hofe Ludwigs XI. oder Ferrantes zutage kommen.
Nachdem Innocenz VIII. durch den jüngsten, kläglich geführten Krieg die Anarchie in Rom entfesselt hatte, vermochte er nicht mehr, sie zu zähmen. Fruchtlos erließ er Edikte gegen Bluträcher und Räuber. Jeder Morgen enthüllte die Schauder der Nacht, die Erdolchten, welche auf den Straßen lagen. Man plünderte Pilger, selbst Gesandte vor den Toren der Stadt aus. Die Gerichte waren machtlos oder feil. Die Nepoten verkauften schamlos das Recht. Als einst der Vizecamerlengo gefragt wurde, weshalb die Übeltäter nicht bestraft würden, sagte er in des Geschichtschreibers Infessura Gegenwart lachend: »Gott will nicht den Tod des Sünders, sondern, daß er leben, aber zahlen soll.« Verbrecher henkte man in der Torre di Nona, wenn sie zahlungsunfähig waren, aber man ließ sie frei, sobald sie der richterlichen Kurie eine Summe erlegten. Mörder erlangten für Geld ohne Mühe einen Freibrief vom Papst, der ihnen erlaubte, mit Bewaffneten in der Stadt umherzugehen, um sich gegen Bluträcher zu verteidigen. Franceschetto Cibo hatte einen förmlichen Vertrag mit dem Vizekämmerer gemacht, wonach jedes Strafgeld über 150 Dukaten ihm selbst, das geringere der Kammer zufiel. Jedermann spottete der Justiz, und jeder half sich selbst mit Bewaffneten. Als Bernardo Sanguigni im Hause einer damals berühmten Kurtisane Grechetta von einem Franzosen erstochen wurde, sprangen aus dem Palast Crescenzi mehr als 40 Jünglinge hervor, seinen Tod zu rächen. Sie verbrannten jenes Haus. Mehr als 2000 Menschen nahmen an diesem Aufruhr teil.
Jeder Palast bildete damals ein verschanztes Lager; jede Wohnung eines Kardinals mit ihrem ganzen Bezirk ein Asyl. Diese hohen und breiten Häuser waren noch burgartig und mit kleinen Türmen versehen. Das gewaltige Portal schloß eine mit Eisen bekleidete Türe, die, wenn sie verrammelt war, nicht leicht gesprengt werden konnte. Sie führte durch ein gewölbtes Vorhaus in große Säulenhöfe mit steilen Steintreppen und Logen in den Obergeschossen; und dort wie in den weiten Gemächern konnte der Kardinal viele Hundert mit Archibusen bewaffnete Söldner verteilen; ja selbst an Artillerie fehlte es in solchem Palast nicht. Wenn Frevler den Schutz eines Kardinals erlangten, so verteidigte sie dessen »Familie« mit den Waffen in der Hand gegen die Justiz. Als eines Tags junge Römer Leute des Kardinals Ascanio verwundeten, zog dessen Familie mit Wurfgeschoß öffentlich aus, und sie verwundete mehr als zwanzig Personen auf der Straße. Der Kapitän des Gerichtshofes nahm eine Exekution in der Nähe des Palastes des Kardinals Balue vor; aus dem Fenster verbot dies der Kardinal, weil hier sein Bezirk sei. Da der Exekutor nicht gehorchte, befahl jener seinen Leuten, den Gerichtshof zu stürmen. Sie verwüsteten ihn, zerstörten die Akten und befreiten alle Gefangenen. Hierauf schickten die Kardinäle Savelli und Colonna nachts Truppen gegen ihren Kollegen aus. Der Papst rief die Streitenden in seinen Palast, wo sie einander mit Beleidigungen überhäuften.
Die ganz weltliche, ganz fürstliche Gestalt, welche das Kollegium der Kardinäle überhaupt angenommen hatte, ist für die Zeit der Renaissance besonders bezeichnend. Ihre Macht, durch Häufung von Pfründen, durch Verbindung mit fremden Höfen gesteigert, war jetzt so groß, daß sie das Papsttum sich zu unterwerfen strebten. In Rom erschienen sie wie die wieder aufgestandenen Senatoren des Altertums. Fast ein jeder war, wie der Papst selbst, von einer Kurie (Hof) und von Nepoten umgeben. Sie gingen oder ritten einher in kriegerischer Kleidung, kostbare Degen an der Seite. Eine dienende Mannschaft von mehreren hundert Personen lebte im Palast fast jedes Kardinals. Dazu kam der Anhang im Volk, welchem der Hof des Kardinals Nahrung gab. Fast jeder dieser Kirchenfürsten besaß seine Partei, und sie wetteiferten miteinander, ihren Glanz namentlich bei den Kavalkaden und den Karnevalspielen zu entfalten, wo sie Triumphwagen mit Masken, Sängerchören und Komödianten auf ihre Kosten ausrüsteten und durch die Stadt ziehen ließen. Die Kardinäle verdunkelten damals die römischen Großen, aber sie nahmen für diese Partei.
Innocenz hatte Orsini und Colonna zum Waffenstillstande bewogen; erst war er diesen geneigt, dann wandte er sich plötzlich jenen zu. Seinem Sohn Franceschetto, welcher im neapolitanischen Kriege leer ausgegangen war, erwarb er im Jahre 1487 die Hand Maddalenas, einer Tochter des Lorenzo Medici und der Clarice Orsini, der Schwester des Virginius, wodurch das Orsinische Geschlecht den verlorenen Einfluß wieder gewann. Auch hatte Lorenzo seinen Sohn Piero im März 1487 mit Alfonsina, einer Tochter Roberts Orsini von Tagliacozzo und Alba, vermählt. Madonna Clarice brachte mit ihrem Sohn Piero die Tochter dem Gemahle Cibo in einem prachtvollen Aufzuge von vielen hundert Personen zu Roß nach Rom, am 3. November 1487.
Die Vermählung wurde am Sonntag dem 20. Januar 1488 feierlich im Vatikan vollzogen. Sie hatte die wichtigsten Folgen, denn sie öffnete den Medici den Zugang zum Papsttum. Lorenzo selbst, welcher seine Hausmacht in Florenz wanken sah, schloß sich enge an die Kirche an. Er leistete ihr sofort einen wichtigen Dienst, indem er ihr zum Wiederbesitz Osimos verhalf. In dieser Stadt hatte sich nämlich im April 1486 Boccolino dei Gozzoni zum Tyrannen aufgeworfen: durch den Frieden mit Neapel haltlos geworden, unterhandelte er mit den Türken, die er einlud, sich der Pentapolis, der fünf Seestädte an der Ostküste Italiens, zu bemächtigen. Der Papst sandte Truppen gegen ihn unter dem Kardinal Julian und nahm Trivulzio in Sold. Der kühne Rebell verteidigte sich tapfer ein Jahr lang, bis ihn die Vorstellungen Lorenzos bewogen, Osimo der Kirche für 7000 Dukaten zu verkaufen.
Der Wechsel der Politik im Vatikan brachte um diese Zeit eine Spannung zwischen dem Papst und dem Kardinal Julian hervor, der sich schon im September 1487 nach Bologna begab. Bisher allmächtig, drohte ihn der Einfluß seiner Feinde, der Orsini, zu verdrängen. Überhaupt begann das Glück des Nepoten Sixtus' IV. zu sinken. Girolamo, welcher nach dem Tode seines Oheims Forli und Imola zu behaupten gewußt hatte, fiel am 14. April 1488 unter den Dolchen von Tyrannenmördern. Sie stürzten seine nackte Leiche aus den Fenstern des Palastes auf die Straße, worauf sich die Forlivesen erhoben und das Herrenschloß plünderten. In die Verschwörung glaubte man den Papst eingeweiht, da er hoffen durfte, seinen eigenen Sohn zum Signor Forlis zu machen. In der Tat rief die so befreite Stadt den Schutz der Kirche an, und ihre Boten wurden freundlich im Vatikan aufgenommen. Aber Innocenz zeigte wenig Zutrauen, Furcht hielt ihn zurück. Die Hoffnungen der Forlivesen vereitelte die Energie des Weibes des Ermordeten. Diese Amazone verteidigte die Burg mit Heldenmut. Zwar rückte der päpstliche Governator von Cesena in Forli ein, aber alsbald schickten Giovanni Bentivogli und Gian Galeazzo der Gräfin Truppen zum Entsatz. Der päpstliche Heerhaufe ward gefangen genommen, die Tyrannenmörder wurden gevierteilt, und schon am 28. April 1488 rief man Ottavio Riario, den Sohn Girolamos, zum Herrn von Forlis aus. Bald darauf erschreckte ein anderer Mord Italien: Galeotto Manfredi von Faenza wurde in seinem Palast durch sein eigenes Weib Francesca Bentivogli umgebracht. Das Volk wählte hierauf Astorre, den kleinen Sohn des Ermordeten, zum Herrn.
In Rom sagte man, daß der Papst Forli wie Aquila aus jammervoller Schwäche wider die gegebenen Zusagen preisgegeben habe. Zu seiner Mäßigung mochte er durch die Rücksicht auf den Kardinal Julian, den Verwandten der Riarii, bestimmt worden sein. Dieser aber war nach Rom zurückgekehrt und wieder der einflußreichste Ratgeber des Papstes. Die Cibo waren Menschen zu geringer Art, als daß sie dem Kardinal Rovere den ersten Platz an der Kurie streitig machen konnten. Sie begnügten sich mit gemeinen Glücksgütern, ohne wie die Borgia oder Riarii in die politischen Angelegenheiten des Papsttums sich einzumischen. In demselben Jahre vermählte Innocenz seine Enkelin Donna Peretta, eine Tochter der Teodorina und des genuesischen Kaufherrn und päpstlichen Schatzmeisters Gherardo Uso di Mare, mit Alfonso del Caretto, dem Marchese von Finale. Zum Ärger aller Frommen, wenn es deren in Rom gab, wurde diese Hochzeitsfeier mit glanzvollem Prunk in den Gemächern des Vatikan vollzogen, wobei der Papst neben den Frauen am Festschmause teilnahm.
Obwohl Innocenz in der Wahlkapitulation gelobt hatte, die Zahl der Kardinäle nicht über 24 zu steigern, ernannte er doch am 9. März 1489 deren fünf neue: Lorenzo Cibo, den Sohn seines Bruders Mauritius, Ardicino della Porta von Novara, Antoniotto Gentile Pallavicini von Genua, Andreas d'Espinay von Bordeaux und Pierre d'Aubusson de la Feuillade, den Großmeister der Johanniter, welcher Rhodus ruhmvoll gegen die Türken verteidigt hatte. Drei andere behielt er sich vor: Maffeo Gherardo von Venedig, Federigo Sanseverino, den Sohn des Grafen Robert, und Giovanni Medici, den Sohn Lorenzos.
Die Ernennung d'Aubussons war der Sold für einen geleisteten Dienst, nämlich die Auslieferung eines hohen türkischen Gefangenen. Djem, der jüngere Sohn Mohammeds II., war im Erbfolgekampf von seinem Bruder Bajazet besiegt worden, zum Sultan Ägyptens geflohen und hatte dann sogar den Schutz des Johanniterordens angerufen. Er landete in Rhodus am 23. Juli 1482. Die Ritter empfingen den Sohn ihres Todfeindes mit Begier als kostbarsten Gegenstand für finanzielle und diplomatische Berechnungen. d'Aubusson benutzte den Prinzen, um auf wenig ehrenvolle Weise vom Sultan Bajazet Geld zu erpressen. Durch Vertrag verpflichtete sich der, jährlich an den Orden 35 000 Dukaten für die gewissenhafte Bewahrung seines Bruders zu zahlen und außerdem dauernden Frieden mit der Christenheit zu halten. Der Großmeister hatte den jungen Fürsten der Sicherheit wegen im August 1482 nach Frankreich gesandt, wo Djem jahrelang auf den Komtureien des Ordens blieb, das bittere Brot des Landes seiner Glaubensfeinde essend. Er war der erste Sultan, der nicht als Feind das Frankenland betrat. Gern wußte ihn dort der König Karl, aber so groß war noch der Fanatismus jener Zeit, daß er ihn nie mit Augen sehen wollte.
Die Könige des Abendlandes unterhandelten aus Habsucht mit dem Johanniterorden wegen der Abtretung des Gefangenen; sie begehrte auch der ägyptische Sultan Kasimbey, in dessen Schutz sich die Gemahlin und die Kinder Djems begeben hatten.
Jahrelang bemühte sich darum auch Innocenz VIII., bis es ihm glückte, die Unterhandlung mit der französischen Regentschaft abzuschließen und die türkischen Jahresgelder in seine Kasse zu ziehen. Wider den Vertrag lieferte der Großmeister den unglücklichen Prinzen in die Hände eines andern, des Papstes. Djem ward über Avignon zu Schiff nach Rom geführt und am 10. März 1489 durch seinen Wächter Guy Blanchefort, den Prior von Auvergne, dem Kardinal Balue in Civitavecchia übergeben. Sein feierlicher Einzug in Rom am 13. März war ein wichtigeres Ereignis als jener des Apostelhaupts zur Zeit Pius' II. Ein tragisches Verhängnis ohnegleichen trieb den eigenen Sohn des Eroberers von Byzanz in den Palast des Oberpriesters der Christenheit. Nie sahen die Römer ein ähnliches Schauspiel. Durch zahllose Menschenscharen ritt der junge Sultan, von wenigen Moslem, den treuen Gefährten seines Exils, umgeben, nach dem Tor von Portus, wo er die Stunde seines Einzugs erwartete. Der Papst hatte ihm die Familie der Kardinäle entgegengeschickt: Franceschetto, der Senator, die Magistrate, die fremden Gesandten, viele Edle begrüßten ihn zu Pferde an jenem Tor mit den Ehren eines Herrschers. Der Sohn Mohammeds würdigte sie keines Blickes; das Haupt mit dem Turban und das melancholische Angesicht mit einem Schleier bedeckt, saß er bewegungslos auf dem weißen Zelter des Papstes. Der ägyptische Gesandte eilte mit seinem Gefolge herbei, dem großen Prinzen zu huldigen; diese Ägypter küßten weinend die Erde vor Djem, die Füße seines Pferdes und seine eigenen fürstlichen Knie. Doch keine Miene verriet die Bewegung des Sohnes des Gebieters der halben Welt. Stumm ritt er in Rom ein, zwischen dem Papstsohne und dem Bischof von Auvergne, und der lange Reiterzug vereinigter Christen und Moslem bewegte sich durch die staunenden Volksmassen langsam nach dem Vatikan. Dort nahm Djem in den für den Empfang von Monarchen bestimmten Gemächern seine Wohnung.
Der Papst fühlte nicht die Zweifel des Königs von Frankreich; er empfing gleich am folgenden Tage den Großtürken im vollen Konsistorium. Djem wurde hier mit allen Formen wie ein christlicher Fürst eingeführt, aber beim Anblick des Oberpriesters der Giaurs und seiner Kardinäle vergaß der Gefangene keinen Augenblick, daß er Bekenner des Propheten und der Sohn Mohammeds II. sei. Er verachtete die Aufforderung des Zeremonienmeisters, sich vor dem Papst niederzuwerfen; den Turban auf seinem Haupt, schritt er ruhig auf den Stellvertreter Christi zu und hauchte flüchtig einen Kuß auf dessen rechte Schulter. Sein Dolmetsch sprach für ihn Worte der Empfehlung und dankte für die Versicherung, daß der Prinz ungekränkt in Rom leben dürfe. Djem ließ sich darauf herab, die Kardinäle zu umarmen, und er zog sich endlich in seine öden Gemächer zurück, wo er die Geschenke des Papstes, Teppiche, Kleider, Schmucksachen, keiner Aufmerksamkeit würdigte.
Der Sultansohn lebte seither, von einigen Rhodisern bewacht und wie ein gefangener Monarch behandelt, im Vatikan freudlose Tage, deren Einsamkeit Furcht vor Auslieferung oder vor Gift noch peinvoller machte. Er unterhielt sich mit Jagd, Musik und Gastmählern, oder er verschlief den Tag in türkischer Apathie: ein starkbeleibter kleiner Mann mit einer Adlernase, auf einem Auge blind, wild und unruhig um sich blickend, das leibhafte Ebenbild seines Vaters.
Dem Sultan Bajazet lag alles daran, seinen Bruder entweder durch ewiges Gefängnis im Auslande oder besser durch schnellen Tod unschädlich zu machen. Zu jenem verpflichtete er den Papst durch den jährlichen Tribut von 40 000 Dukaten, und zu diesem suchte er willfährige Diener. Ein Italiener bot sich zum Meuchelmörder an, doch sein Plan wurde entdeckt und durch gräßlichen Tod bestraft.
Am 30. November 1490 kam eine türkische Gesandtschaft nach Rom, welche das dreijährige Verpflegungsgeld von 120 000 Dukaten, viele kostbare Geschenke und das Versprechen eines ewigen Friedens zum Papst brachte. Der türkische Minister bestand darauf, Djem zu sehen, und der Prinz empfing den Boten seines Bruders wie ein regierender Sultan auf dem Thron. Der Abgesandte Bajazets überreichte ihm kniend den kaiserlichen Brief, aber erst nachdem er ihn innen und außen beleckt hatte, um den Argwohn einer Vergiftung zu entfernen. Nach einigen Tagen bewirtete Djem den Boten gastlich im Vatikan. Man hielt es für bemerkenswert, daß am Tage, wo der türkische Prinz dieses Gastmahl im Palast der Päpste gab, die Luft plötzlich schwarz zu stürmen begann. Und wohl konnten strenge Christen mit tiefem Unwillen auf den Palast am S. Peter blicken, in welchem jetzt – ein unerhörtes Schauspiel in der Geschichte der Kirche – ein Sultan und ein Papst nebeneinander Hof hielten.
Im September 1490 erkrankte Innocenz VIII., und da sah man, wie es in diesem Vatikan herging. Am 27. nannte man den Papst tot. Sofort bewaffnete sich Rom. Der Papstsohn aber eilte, den Kirchenschatz an sich zu bringen, von welchem er schon einen Teil nach Florenz fortgeschafft hatte. Zum Glück schritten die Kardinäle noch zeitig genug ein. Sie hinderten auch den Versuch Franceschettos, Djem in seine Gewalt zu bekommen, um ihn dann, so sagte man schwerlich mit Unrecht, an Virginius Orsini und durch diesen an den König Ferrante teuer zu verkaufen. Die Kardinäle, welche den kranken Papst mit Argusaugen bewachten, nahmen das Inventar des Schatzes auf. Man wollte wissen, daß sie in einem Kasten 800 000, in einem andern 300 000 Goldgulden vorfanden. Als sich der Papst wieder erholte, geriet er in Zorn; »Ich hoffe,« so rief er, »diese Herren Kardinäle noch alle dereinst zu beerben«. Er begab sich zur Erholung nach Portus und Ostia.
Eine unheimliche Stimmung ging durch Rom. Propheten weissagten. Alte und neuere Prophezeiungen verkündeten den Umsturz alles Bestehenden und den Fall der Priestermacht für das Jahr 1493. Schon erscholl die Stimme Savonarolas Savonarola: Dominikanermönch, Prior von San Marco in Florenz (1452-1498), predigte gegen die Sittenlosigkeit des Klerus. Er wurde am 23. Mai 1498 in Florenz verbrannt. in Florenz. Selbst ein Fürst wie König Ferrante brandmarkte das Treiben im Vatikan, zumal die Wirtschaft der päpstlichen Kinder, und er forderte den römischen König auf, die untergehende Kirche durch eine Reformation zu retten. Der König Neapels war nämlich mit dem Papst wieder in Streit; er hatte seine Verbindlichkeiten nicht eingehalten, den Lehnzins nicht gezahlt und war deshalb von Innocenz am 11. September 1489 sogar exkommuniziert und entsetzt worden, und nur die Schwäche des Papstes hatte den Wiederausbruch des Krieges glücklich verhindert.
Innocenz VIII. hatte die Christenheit mehrmals, doch stets ohne Erfolg, zu einem Kreuzzuge aufgefordert. Was im Orient nicht erreicht wurde, gelang plötzlich im äußersten Okzident. Granada, die letzte Festung der Araber in Spanien, ergab sich Ferdinand dem Katholischen am 2. Januar 1492. Der Fall dieser Stadt erweckte als eine christliche Angelegenheit hohe Begeisterung im Abendlande, aber noch ahnte niemand die weltgeschichtlichen Folgen, welche jenes Ereignis nach sich zog. Denn erst jetzt konnte die spanische Monarchie als Macht ersten Ranges erstehen, wodurch die Verhältnisse Europas ganz verändert werden mußten. In Rom illuminierte man alle Häuser; Prozessionen zogen nach der Nationalkirche der Spanier, S. Jacob auf der Navona. Auf diesem Platz ließen die spanischen Botschafter die Erstürmung Granadas im Bilde eines hölzernen Kastells vorstellen und Stiergefechte halten. Auch der Kardinal Rodrigo Borgia gab vor seinem Palast nach spanischer Sitte Stiere dem Volke preis. Es war Karnevalszeit, im Februar, und selten sah Rom Spiele von so ausgesuchter, heidnischer Pracht.
Ein Schauspiel anderer Natur machte bald darauf nicht minderes Aufsehen. Denn am 22. März 1492 zog der achtzehnjährige Giovanni Medici als Kardinal in Rom ein. Lorenzo hatte diesen seinen zweiten Sohn längst für die geistliche Laufbahn bestimmt. Mit sieben Jahren war er von Ludwig XI. zu einem Abt in Frankreich, vom Papst zum Protonotar gemacht und im achten Lebensjahr von demselben Könige zum Erzbischof von Aix ernannt worden, was indes der Papst nicht bestätigt hatte. In den rohesten Zeiten der Christenheit hatten Kinder von Fürsten die höchsten Würden der Kirche erhalten, zu ähnlichen Zuständen war man jetzt trotz der kanonischen Gesetze zurückgekehrt. Lorenzo hatte die Ernennung seines Sohnes zum Kardinal mit allen Mitteln seines Einflusses betrieben; als er sie nun im Jahre 1489 durchsetzte, kannte seine Freude keine Grenzen. Doch wegen des zu jungen Alters sollte Giovanni erst nach drei Jahren die Zeichen seiner Würde anlegen. Nachdem dies endlich zu Fiesole geschehen war, machte das schon mediceisch verknechtete Florenz daraus eine Nationalfeier. Der junge Kardinal von S. Maria in Domnica verließ seine Vaterstadt am 9. März 1492. Seine Reise nach Rom war ein Triumphzug, sein Empfang in dieser Stadt am 22. März, sein Aufzug nach dem Vatikan von S. Maria del Popolo aus, wo er übernachtet hatte, war es nicht minder. Der Jüngling, mit der feinsten Bildung im Hause seines Vaters ausgestattet, zeigte die Sicherheit eines geborenen Fürsten. Von den Besuchen seiner Kollegen fiel ihm nur einer schwer, der bei Raffael Riario, denn dieser Kardinal war vor nur wenigen Jahren Zeuge der Ermordung seines Oheims und des Attentates auf das Leben seines Vaters gewesen. Man sagt, daß beide erblaßten, als sie einander zum erstenmal sahen. Der beglückte Lorenzo konnte mit dem Empfange seines Sohnes zufrieden sein; er richtete an ihn ein Schreiben, dessen väterliche Ermahnung, sein Leben gut und weise einzurichten, nicht der hohen Würde, aber wohl den unreifen Jahren des Kardinals entsprach. In Wahrheit konnte Giovanni Medici diese Lehren wohl gebrauchen; denn die Zustände in Rom waren unmoralischer als je zuvor: am päpstlichen Hof nichts als Nepotenwucher; in den Palästen vieler Kardinäle nichts als Frivolität. Was sollte die Welt sagen, wenn sie vernahm, daß der Kardinal Riario eines Nachts 14 000 Goldgulden dem Franceschetto Cibo im Spiele abgewann und daß dieser Nepot dann wütend vor dem Papst erschien, um jenen Kardinal als falschen Spieler anzuklagen?
Der junge Medici fand seine Schwester Maddalena als Gemahlin Franceschettos in Rom; er selbst richtete sich eine Wohnung am Campo di Fiore ein, von wo aus er den großartigen Bau der heutigen Cancellaria, welchen eben jener Raffael Riario baute, täglich vor Augen hatte. Aber sein kaum zum Empfange geschmücktes Haus verwandelte sich alsbald in ein Trauerhaus; denn sein Vater starb am 7. April 1492. Pico von Mirandola, Angelo Politiano und Marsilio Ficino, die Jünger jener heidnischen Philosophie und die Vertreter jener feinen Weltbildung, die er selbst in sich verkörpert hatte, umgaben in der Villa Careggi den sterbenden Mäzen, aber an demselben Totenbette stand auch der Mönch Savonarola als Mahner an den verleugneten Christenglauben und an die zerstörte Freiheit von Florenz. Der Reichtum fruchtete nichts, die Tage Lorenzos zu verlängern; er schlürfte einen Trank von aufgelösten Diamanten herunter, den ihm sein Arzt reichte, und verschied im Alter von nur 44 Jahren.
Der Tod dieses schlauen Staatsmannes, in welchem ganz Italien den Vermittler des Friedens geehrt hatte, konnte als ein nationales Unglück erscheinen, wodurch alle politischen Verhältnisse erschüttert wurden. Wenigstens war es damals zum Glauben der Italiener geworden, daß Lorenzo den heraufziehenden Sturm beschwören werde. Der Tod bewahrte ihn selbst vor dem Zusammensturz seiner Macht und auch seines Ruhms. Mit ihm ging eine Epoche Italiens zu Grabe und schloß sich auch die beste Periode des Hauses der Medici. Lorenzo hatte die Verwirrungen der nahen Zukunft geahnt und seiner Familie durch den engsten Anschluß an die Kirche den sichersten Halt zu geben versucht. Den höchsten seiner Wünsche hatte er durch die Erhebung seines Sohnes zum Kardinal erreicht: sterbend führte er den künftigen Leo X. in Rom und die Geschichte ein. Er hinterließ noch die Söhne Piero und Julian und den Bastard seines ermordeten Bruders, einen zweiten künftigen Papst, an dessen Namen für Florenz wie für Rom nur die Erinnerung an Schmach und Untergang geknüpft sein sollte.
Giovanni Medici verließ Rom schon am 10. Mai 1492 in der Eigenschaft eines Legaten Toskanas, um mögliche Umwälzungen in Florenz zu verhüten. Das gute Verhältnis dieser mediceischen Republik zum Papsttum wurde für jetzt nicht gestört; auch hatten sich die Beziehungen Innocenz' VIII. zu Neapel wieder friedlich hergestellt. Denn am 28. Januar 1492 war der Streit mit Ferrante durch einen neuen Vertrag beigelegt worden, in welchem der König den schuldigen Tribut zu zahlen versprach. Zur Bekräftigung dieser Versöhnung kam am 27. Mai Don Ferrantino, Prinz von Capua, Sohn Alfonsos von Calabrien, nach Rom, die Investitur Neapels zu erhalten. Man empfing diesen Prinzen mit den höchsten Ehren; sein Verwandter, der Kardinal Ascanio, bewirtete ihn in seinem Palast am Hospital der Deutschen mit so großer Schwelgerei, daß der Geschichtsschreiber Infessura sagte, jede Schilderung dieses Gastmahls würde als übertrieben lächerlich erscheinen. Der Prinz wohnte im Vatikan, und sein zahlreiches Gefolge – er war mit 900 Reitern und einem Zuge von 260 Maultieren gekommen – bedankte sich schließlich beim Papst für die genossene Gastfreundschaft dadurch, daß es die Gemächer bis auf die Teppiche ausraubte.
Die Anwesenheit Don Ferrantinos verherrlichte zugleich das Fest der Empfangnahme einer christlichen Reliquie hohen Ranges, wodurch die theatralische Feier des Einzugs des Andreashauptes in Rom wiederholt wurde. Bajazet nämlich, in beständiger Furcht vor den Absichten, die man mit seinem Bruder haben konnte, überschickte dem Papst nichts geringeres als die wahrhaftige Lanzenspitze, mit welcher der Heiland am Kreuz war verwundet worden. Dies mythische Eisen wurde zwar schon seit langem in Nürnberg und zugleich in Paris Andächtigen vorgezeigt, doch man konnte solche Zweifel in Rom niederschlagen. Ein türkischer Gesandter brachte die Antiquität nach Ancona, von wo sie Bischöfe nach Narni trugen. Hier holten sie sodann zwei Kardinäle ab. Am 31. Mai übergab Julian Rovere bei S. Maria del Popolo das in einem Kristallgefäß verwahrte Kleinod dem Papst, und die Prozession zog nach dem S. Peter. Der schon leidende Papst erteilte dem Volk von der Loge im Portikus den Segen, während Rodrigo Borgia die Lanzenspitze neben ihm hoch in Händen hielt. Hier stellte sich auch der türkische Botschafter dar, überreichte die Briefe des Sultans und bat um die Erlaubnis, den Prinzen Djem besuchen zu dürfen.
Auf dies kirchliche Schauspiel folgte ein glänzendes Familienfest im Vatikan. Der Prinz von Capua war von seinem Großvater nach Rom geschickt worden, um die völlige Versöhnung mit dem Papste abzuschließen. Wie Florenz, so suchte jetzt auch Neapel den engsten Anschluß an das Papsttum, aus Furcht vor Frankreich. Denn immer drohender wurde das Gerücht, daß der junge König Karl VIII. die Rechte des Hauses Anjou geltend machen wolle. Bereits war Ferrante auch mit Mailand, welches die Ansprüche der Orleans fürchtete, in nahe Verbindung getreten, denn im Jahre 1489 hatte sich Isabella, die Tochter Alfonsos von Calabrien, mit dem jungen Herzog Gian Galeazzo vermählt. Um nun auch Innocenz von der französischen Politik abzuwenden, willigte Ferrante in die Vermählung einer Enkelin des Papstes mit seinem eigenen Enkel Don Luigi von Aragon, Marchese von Gerace, und deshalb hatte er den Prinzen von Capua nach Rom geschickt. Das Hochzeitsfest wurde im Vatikan öffentlich gefeiert, und diese Festszene konnte in der Blütezeit des höfischen Zeremoniells der Italiener nur die mustergültige Darstellung des feinsten Welttones sein. Kardinäle, Prinzen, Barone, vierzig edle Damen waren die Trauzeugen in dem schön geschmückten Saal, wo der Papst auf seinem Thronsessel saß. Man sah unter den Edelfrauen Teodorina, seine Tochter, Peretta del Carretto, seine Enkelin, Maddalena Medici, seine Schwiegertochter. Der Erzbischof von Ragusa kniete in vorschriftsmäßiger Entfernung von zwei Ellen vor dem Papste nieder, hielt eine Rede über das Sakrament der Ehe, erhob sich und vermählte darauf das Paar. Die junge Battistina Cibo, Tochter Gherardos Usodimare, ein noch unreifes Kind, sagte ihr Ja erst nach langem Zögern; in der Tat wurde diese Ehe nicht vollzogen, denn Battistina starb sehr bald, und ihr Gemahl Don Luigi wurde im Januar 1494 Geistlicher, im Jahre 1497 Kardinal. Nach jenem Vermählungsfest empfing der Prinz von Capua am 4. Juni die neapolitanische Investitur für seinen Vater Alfonso von Calabrien, worauf er Rom verließ.
Schon war Innocenz so krank, daß man seinen Tod voraussah. Voll Argwohn eilten die Kardinäle, den Prinzen Djem in die Engelsburg einzuschließen. Rom fiel augenblicklich in Anarchie. So arg wurden die Frevel, daß Prospero Colonna, Johann Jordan Orsini und andere Edle wie Bürger am 22. Juni auf dem Kapital erschienen, dem Senator Mirabilii ihre Dienste anzubieten. Von seinen habsüchtigen Nepoten umringt, lag Innocenz VIII. unterdes sterbend im Vatikan. Er vermochte kaum noch andere Nahrung zu sich zu nehmen als Frauenmilch.
Die Kardinäle hoben Truppen aus; 400 Mann bewachten den türkischen Prinzen, jetzt wieder im Vatikan, während der Graf von Pitigliano den Borgo besetzt hielt. Am 25. Juli 1492 verschied Innocenz VIII., 60 Jahre alt. Während seiner Regierung ging er kraft- und geistlos auf den hergebrachten Wegen der Kurie fort. Der Mißbrauch des Ämterverkaufs nahm unter ihm unglaubliche Verhältnisse an. Er selbst schuf neue Ämter für Geld und überbot in dieser Finanzspekulation noch Sixtus IV. Er verkaufte die Zölle an Römer, welche niemand Rechenschaft ablegten; Erpressung und Unterschleif zerrüttete die Verwaltung des Staates; selbst falsche Bullen wurden massenweise von Betrügern geschmiedet. Die Kurie ward immer mehr zur Werkstatt schamloser Verderbtheit, ein Wechsel- und Bankhaus, ein Markt für Ämter und Gnaden in aller Welt. Man tut ihr kein Unrecht an, wenn man behauptet, daß durch sie die Moral Roms und Italiens, ja des Zeitalters vergiftet wurde. Ein habgieriges Nepotenwesen ohne jede Spur von Größe, ohne jeden politischen Gedanken, nur auf gemeinen Gewinn gerichtet, erniedrigte die Regierung Innocenz' VIII. Glücklicherweise stiftete er für seine Kinder keine Fürstentümer, denn weder er selbst besaß dazu die Kraft, noch hatten jene Ehrgeiz und Talent genug, um im Staate groß zu werden. Seinem Sohn Franceschetto hatte er im Jahre 1490 die Grafschaft Cervetri und Anguillara verliehen. Dieses Land war nämlich nach dem Tode Sixtus' IV. von Deifobo, dem Sohne des Eversus, wieder besetzt und auch behauptet worden. Als dieser starb, verdrängte Innocenz dessen Kinder aus dem Besitz und machte darin seinen eigenen Sohn zum Herrn. Franceschetto eilte jedoch in kluger Voraussicht nach seines Vaters Tode, Cervetri und Anguillara an Virginius Orsini zu verkaufen. Er blieb nur Graf von Ferentillo. Sein und der Maddalena Medici Sohn Lorenzo erwarb später durch Vermählung mit Riccarda Malaspina die Markgrafschaft Massa und Carrara, worin die Cibo Herren blieben, bis dies vom Kaiser Maximilian zum Herzogtum erhobene Land im achtzehnten Jahrhundert an das Haus Este von Modena fiel.
Am 6. August 1492 bezogen die Kardinäle das Konklave in der Sixtinischen Kapelle, welches die Gesandten der fremden Mächte und die Römer Cola Gaetani und Battista Conti bewachten. Der Vatikan war verschanzt, Fußvolk und römischer Adel zu Pferde sperrten die Zugänge.
Zu den 23 Wahlherren waren zwei neu ernannte, aber noch nicht ausgerufene Kardinäle hinzugekommen, Federigo Sanseverino, der Bruder des Condottiere Fracassa, und der greise Patriarch von Venedig, Maffeo Gherardo. Außerdem stammten aus der Ernennung des verstorbenen Papstes die Kardinäle Cibo, Ardicino de la Porta, Antoniotto Pallavicini und Giovanni Medici. Als besonders wahlfähig galten Ascanio Sforza, Rodrigo Borgia, Lorenzo Cibo, Raffael Riario und Julian Rovere.
Mit einer Offenheit, wie sie nie zuvor gesehen ward, warfen sich die Kandidaten des Papsttums auf: man konnte an die Zeiten denken, wo das römische Kaisertum zur Versteigerung kam. Cibo unterstützte die Kandidatur Pallavicinis; doch dieser fiel schon deshalb durch, weil er ein Geschöpf Innocenz' VIII. war. Man verwarf auch Rovere wegen der drohenden Absichten der Krone Frankreichs; zur Betreibung der Wahl dieses Kardinals hatten der französische König 200 000 Dukaten, Genua deren 100 000 in einer Bank niedergelegt. Sein Gegner Ascanio, der vornehmste Kardinal, von Rodrigo Borgia nur deshalb befürwortet, weil er keine Aussicht hatte, Papst zu werden, ließ sich für diesen gewinnen, wirkte für ihn und wurde dabei von Riario und Orsini unterstützt.
Ein spanischer Papst durfte zeitgemäß erscheinen; denn Spanien stieg eben aus dem maurischen Glaubenskriege glänzend empor und konnte gegen Frankreich als Gegengewicht dienen. Es ist sehr merkwürdig, daß in denselben Augusttagen des Jahres 1492, wo die Kardinäle ihre Ränke spannen, einen Spanier zum Papst zu machen, Columbus auf spanischen Schiffen kühn in den Ozean hinausfuhr. So strebten in derselben Stunde diese Zeitgenossen ihrem heißersehnten Ziele zu, Borgia zum Papsttum, Columbus der Entdeckung einer neuen Welt und dem ewigen Heroenkultus. Es waren hauptsächlich Orsini und Ascanio, welche diesen Papst machten. Man muß erröten, zu denken, daß ein so reicher Mann wie Sforza noch nach größerem Erwerbe trachten konnte. Man sagte in Rom, daß ihm Rodrigo Borgia noch vor dem Konklave vier mit Geld beladene Maultiere in sein Haus geschickt hatte. Er versprach ihm seinen eigenen Palast mit allem darin befindlichen Gut, das Vizekanzleramt und andere Benefizien. Dem Kardinal Orsini wurden Monticelli und Soriano, dem Colonna und seinem Geschlecht die Herrschaft Subiaco mit allen ihren Burgen auf ewige Zeit, dem Kardinal Michiel das Bistum Portus, dem Kardinal Sclafetano die Stadt Nepi, dem Kardinal Savelli Civita Castellana dargeboten, während sich andere größere Geldsummen ausbedangen. Selbst der 95-jährige Patriarch von Venedig streckte seine zitternde Hand nach 5000 Dukaten aus. Nur fünf Wähler besaßen so viel Stolz, die Lockungen auszuschlagen: Caraffa, Piccolomini, Rovere, der Kardinal von Portugal und Zeno.
In der Nacht vom 10. zum 11. August ging der Name Borgia aus dem Wahlkelch einstimmig hervor. In Hast ließ er sich mit dem Papstgewand bekleiden. Dem Zeremonienmeister befahl er, Zettel auszuwerfen mit der Aufschrift: »Wir haben den Papst Alexander VI. Rodrigo Borgia von Valencia.«
Es war vor der Morgenfrühe, als das Konklavefenster aufgeschlagen ward, das Kreuz daraus erschien und in die Stille des grauenden Tages der Name Alexander VI. ausgerufen wurde. Die Glocke des Kapitols erscholl; das Volk stürzte hier zur Plünderung nach dem Palast des Erwählten, dort in den S. Peter, denn der neue Papst kam herab, um seine Huldigungen zu empfangen. Der Kardinal Sanseverino, ein Mann von riesiger Körperkraft, hob Borgia mit seinen Armen auf und stellte ihn auf dem Thron über dem Hauptaltar dem zujauchzenden Volke als Papst dar.
Die Berufung dieses Mannes zum Stellvertreter Christi oder, um in der frechen Sprache der Vergangenheit zu reden, zum Statthalter Gottes auf Erden, dürfte heute wohl selbst der gläubigste Schwärmer für Mysterien nicht als eine Tat des Heiligen Geistes anerkennen, welcher in Konklaven hadernder und ehrgeiziger Kardinäle wirksam sein soll. Vielmehr erhebt die Nachwelt entrüstete Anklage gegen die bestechlichen Wähler des Jahres 1492. Aber wählten sie Alexander VI., wie er heute als geschichtliche Gestalt dasteht? Die Ausschweifungen des Kardinals Borgia waren allgemein bekannt; schon Pius II. hatte sie gerügt: aber war er der einzige Kardinal, der sich ihrer schuldig machte? Die Moral jener Zeit verzieh nichts leichter, als sinnliche Vergehen. Er besaß Kinder von einer Geliebten: doch hatte nicht Innocenz VIII. die seinen öffentlich wie Prinzen herausgestellt? Rodrigo Borgia galt als Kardinal noch keineswegs für einen frevelhaften Mann. Ein Zeitgenosse, der sein Wesen schilderte, sagte damals von ihm nur dies: er ist ein Mensch von hochstrebendem Sinn, bei mäßiger Bildung von fertiger und kraftvoll gesetzter Rede; verschlagen von Natur, und vor allem von bewundernswertem Verstande, wo es zu handeln gilt. Seine langen Dienste in der Kirche, seine gründliche Kenntnis der Geschäfte, seine persönliche Majestät und geistige wie körperliche Kraft bei 60 Jahren entschieden das Urteil der Wähler, daß er vorzugsweise des Papsttums würdig sei.
Dies ist in Kürze seine Laufbahn, ehe er Papst wurde: Rodrigo Lanzol Borja war am 1. Januar 1431 zu Xativa bei Valencia in Spanien geboren, der Sohn eines mittelmäßigen Edelmannes Don Jofré und Donna Isabel de Borja, einer Schwester Calixts III. Nachdem er in Bologna das kanonische Recht studiert hatte, machte ihn sein Oheim Calixt III. im Jahre 1456 zum Kardinaldiaconus von S. Niccolò in Carcere und bald darauf zum Vizekanzler der Kirche. Die Frucht seiner sogenannten Studien waren einige Schriften, zumal zur Verteidigung der absoluten Papstgewalt im Sinne Torquemadas. Calixt III. verlieh ihm das Bistum Valencia, und unter Sixtus IV. wurde er Bischof von Portus und Legat für Spanien.
Als er ein Jahr später von dort zurückkehrte, rettete er sich mit Not aus einem Schiffbruch an die Küste Pisas, während 180 seiner Gefährten, darunter drei Bischöfe, untergingen. Seine Reichtümer, von seinem Oheim Calixt und seinem Bruder Don Pedro Luis zum Teil ererbt, mehrten Einkünfte aus drei Bistümern, aus vielen Klöstern in Spanien und Italien und das Vizekanzleramt, welches allein ihm jährlich 8000 Goldgulden eintrug. Er lebte als der nach Estouteville reichste Kardinal in dem prachtvollen Palast, welcher heute Sforza-Cesarini heißt, und den er sich erbaut hatte. Die römischen Chronisten reden nur ein paarmal von dem Glanz, welchen er dort zur Schau stellte; aber niemand spricht von schwelgerischen Gastmählern, wie sie Paul II. als Kardinal, oder Estouteville oder Riario und Ascanio veranstalteten. Er liebte diese Art Freuden nicht. Es scheint, daß Rodrigo, habsüchtig von Natur, seine Reichtümer wohl zusammenhielt, was schon die Rücksicht auf seine Kinder und auf seine eigene Zukunft gebieten mochte. Es besaß eine glühend-sinnliche Natur, welche die Frauen magnetisch anzog, doch er selbst wurde erst von den Reizen, dann von der Klugheit eines Weibes so fest umstrickt, daß er ihre Ketten wie ein eheliches Bündnis anerkannt hat.
Dieses Weib war Vanozza de Cataneis, vielleicht aus einem Geschlecht kleiner Edelleute Roms. Der Name Vanozza, ein Diminutiv von Giovanna, erinnert durch seinen Klang an die Zeiten der berüchtigten Marozza, jedoch ist es irrig, sich unter der Freundin Borgias eine Messalina vorzustellen. Ihre Lebensumstände sind nicht hinlänglich aufgeklärt, und nur aus dem Alter ihrer Kinder läßt sich der Schluß ziehen, daß ihr Verhältnis zum Kardinal Rodrigo kurz vor 1470 begonnen haben mochte. Sie selbst war im Juli 1442 geboren. Nach unsicheren Angaben hatte der Kardinal seine Geliebte zuerst einem Domenico von Arignano vermählt. Römische Urkunden zeigen sie sodann noch zweimal vermählt. Um 1480 war sie Gattin eines Mailänders Giorgio de Croce. Der Kardinal Rodrigo beförderte diesen ihren Gemahl zum apostolischen Skriptor. Er starb im Jahre 1485, und so auch sein und Vanozzas Sohn Octavian. Die Witwe vermählte sich nochmals, am 8. Juni 1486, mit dem Mantuaner Carlo Canale, welcher noch 1490 als Skriptor und im Jahre 1498 als Vogt der Torre di Nona genannt wird.
Vanozza war 50 Jahre alt und noch Gemahlin jenes Canale, als ihr ehemaliger Geliebter Papst wurde, und sie bekannte sich als die Mutter seiner vier lebenden Kinder Juan, Cesare, Jofré und Lucrezia. Sie legte sich sogar den Familiennamen Borgia bei, doch wie es scheint, erst nach dem Tode Alexanders VI. Die Leidenschaft ihres Geliebten war erloschen, aber seine Anhänglichkeit dauerte fort, und diese kluge Römerin lebte seither, durch das Glück ihrer Kinder befriedigt, von allen öffentlichen Dingen so ganz zurückgezogen, daß ihr Name nirgends, selbst nicht von den grimmigsten Feinden der Borgia, in die Geschichte dieses Hauses verflochten wird. Einer, welcher sie persönlich kannte, nannte sie geradezu ein rechtschaffenes Weib; sie wurde es wenigstens im Alter, wo sie die Sünden ihrer Jugend, wie so viele Frauen ihrer Art, wie ihre eigene berühmte Tochter, durch sogenannte Werke der Frömmigkeit zu sühnen suchte.
Es ist Tatsache, daß viele Römer die Wahl Borgias mit Freude vernahmen. Ein so angesehener und lebensfroher Mann versprach einen glänzenden Pontifikat; außerdem gewann er das Volk durch seine schöne Erscheinung. Mit einem Fackelzug zu Pferde begrüßte ihn schon am folgenden Abend der Magistrat. »Ich glaube,« so sagt ein Berichterstatter, »daß nicht Kleopatra von Marc Anton so glanzvoll gefeiert wurde«, und dieser aufrichtige Verehrer Borgias spricht in der naivsten Weise den heidnischen Geist seiner Zeit aus, wenn er die Fackelschwinger mit den alten Bacchanten zu vergleichen wagte.
Das Krönungsfest am 26. August war von nie gesehenem Glanz. Kunstgefühl und Knechtsinn wetteiferten, den Spanier Borgia als eine Gottheit zu verherrlichen. In tiefer Unwissenheit über die Zukunft huldigten ihm mit überschwänglichem Aufwande gerade die Kardinäle und Großen, die bald genug durch ihn in das tiefste Verderben stürzen sollten. Statuen und Bilder, Triumphbogen und Altäre standen auf den Straßen. Epigramme, welche heute nur wie höhnische Pasquille aussehen, aber damals so aufrichtig gemeint waren, wie es freche Schmeichelei meinen kann, verkündeten den Ruhm des neuen Alexander des Großen, oder sie erklärten symbolisch das Wappen der Borgia, einen weidenden Stier im goldenen Felde. Blickte vielleicht noch ein Christ mit Trauer auf diesen heidnisch gefärbten Pomp, auf die mythologischen Götterfiguren und den rauschenden Festzug, in dessen Mitte der Nachfolger der Apostel als Idol auf goldener Bahre getragen wurde, während die Luft vom Geschrei des Pöbels, von schmetternden Trompeten und von Kanonendonner erdröhnte?
Als der Festzug den Lateran erreichte, verlor der erschöpfte Papst die Besinnung. Man wartete lange, ehe er in der Basilika erschien. Mit Mühe ging er, von zwei Kardinälen unterstützt, zum Altar der Kapelle Sancta Sanctorum. Als er sich auf den päpstlichen Stuhl niederließ, fiel er, das Haupt auf die Schulter des Kardinals Riario senkend, ohnmächtig zusammen. Man sprühte Wasser in sein Gesicht, bis er wieder zu sich kam.
Guicciardini, der Geschichtsschreiber (1483-1540), hielt die Papstwahl Borgias neben dem Tode Lorenzos Medici mit vollkommenem Recht für das größte Unglück Italiens, doch dürfen wir an der Richtigkeit seiner Meinung zweifeln, daß sie sofort überall Schrecken verbreitete, dem König von Neapel sogar Tränen erpreßte. Alexander VI. hatte seine wahre Natur noch nicht enthüllt.
Im Ausland hegte man sogar eine hohe Meinung von ihm. Hartmann Schedel (um nur eine Stimme anzuführen) schrieb bald nach Borgias Thronbesteigung in seiner Chronik, daß die Welt von den Tugenden eines solchen Papstes viel zu erwarten habe. Wenn die Botschafter der italienischen Mächte, die ihm in den ersten Monaten die Gehorsamserklärung brachten, seine ausgezeichneten Eigenschaften rühmten, so waren dies freilich Phrasen hergebrachter Schmeichelei, aber doch blickt daraus eine wirkliche Überzeugung von den nicht gewöhnlichen Gaben des neuen Papstes hindurch.
Der Anfang seines Pontifikats gab auch einen klugen und kräftigen Regenten zu erkennen. Strenge Justiz – vom Tage der Erkrankung Innocenz' VIII. bis zur Krönung Alexanders waren 220 Mordtaten verübt worden –, pünktliche Besoldung der Beamten, Billigkeit des Marktes pflegen die Mittel zu sein, mit denen neue Fürsten ihre Herrschaft empfehlen. So tat Alexander VI. Die grenzenlose Unordnung der Gerichte wurde beseitigt. Rom war ruhig und zufrieden. Der neue Papst selbst war freilich nicht so wie Nicolaus V.; er sparte das Geld; die Rechnungen seines Haushalts zeigen, daß überhaupt große Mäßigkeit die Regel seiner Hofhaltung war. Nur eins erregte Verdacht, die Rücksichtslosigkeit, mit welcher Alexander seinen Nepotismus von der ersten Stunde seines Papsttums an zu erkennen gab.
In der Tat war es die dämonische Liebe zu seinen Kindern, welche für ihn wie für Italien verhängnisvoll wurde. Sie erst zog ihn zu Verbrechen hin, von denen er ohne jene wahrscheinlich frei geblieben wäre. Während er noch Kardinal war, betrachtete er seine spanische Heimat als das Land, wo er seine Kinder versorgen konnte, und dies erleichterte ihm die Bereitwilligkeit Ferdinands des Katholischen. Sein ältester Sohn Don Pedro Luis war nach Spanien hinübergegangen, am dortigen Hofe mit Ehren aufgenommen worden und hatte sich unter den Augen des Königs im Maurenkriege des Jahres 1485, zumal bei der Erstürmung Rondas durch Tapferkeit ausgezeichnet. Ferdinand belohnte ihn damals, indem er ihn und seine jüngeren Brüder Cesare, Juan und Jofré in den hohen Adel Spaniens aufnahm und ihm Gandía in Valencia mit dem Herzogstitel verkaufte. Er genehmigte sogar die vom ehrgeizigen Kardinal begehrte Verlobung seines Sohnes mit Donna Maria, der Tochter des Don Enrique Enriquez, des Oheims Ferdinands, wodurch der junge Emporkömmling dem königlichen Hause verwandt werden sollte. Allein Don Pedro Luis kehrte, ehe er diese Vermählung vollzogen hatte, nach Rom zurück, und hier wurde er im Sommer 1488, erst dreißig Jahre alt, vom Tode hingerafft. In seinem am 14. August im Palast seines Vaters gemachten Testament hatte er seinen Bruder Don Juan zum Erben Gandías ernannt und der Schwester Lucrezia zu ihrer Vermählung ein Legat von 10 000 Floren vermacht.
Der junge Cesare konnte mit Neid auf die glänzende Laufbahn Don Juans blicken, welcher nicht nur Herzog von Gandía geworden war, sondern sich auch anschickte, nach Spanien zu gehen, um sich selbst mit der Verlobten seines verstorbenen Bruders zu vermählen. Dagegen war Cesare für den geistlichen Stand bestimmt. Innocenz VIII. hatte ihn zum Protonotar, zum Obergeheimschreiber, gemacht und zum Bischof von Pampelona ausersehen. Er studierte gerade in Pisa, als sein Vater zum Papst gewählt wurde; auf die Nachricht davon reiste er nach Rom. Noch an seinem Krönungstage gab ihm Alexander das Erzbistum Valencia, welches er selbst besessen hatte; dies war der Anfang der Laufbahn eines Menschen, der in kürzester Zeit zu schrecklicher Größe emporsteigen sollte. Bald nahmen die Borgia wie unter Calixt III. die wichtigsten Hofämter ein, und dies Geschlecht, fruchtbar und zahlreich, war nicht gewillt, sich wie die Cibo mit Titeln, Heiraten und Wuchergeschäften zu begnügen. Schon im ersten Konsistorium am 1. September ernannte der Papst Juan Borgia, Bischof von Monreale, zum Kardinal von Santa Susanna.
Seine Tochter Lucrezia, am 18. April 1480 geboren, war erst zwölf Jahre alt; schon im Februar 1491 hatte er sie einem jungen in Valencia lebenden Edelmanne gerichtlich verlobt, dem Don Cherubin Juan de Centelles, Herrn von Val Ayora. Diesen Kontrakt hatte er aufgehoben und Lucrezia rechtskräftig verlobt mit Gasparo von Procida, dem Sohne des Grafen Gian Francesco von Aversa, eines Spaniers. Kaum Papst geworden, hob er auch diese Verbindung am 9. November 1492 auf, um seine junge Tochter günstiger zu vermählen. Ascanio Sforza, jetzt der einflußreichste Kardinal und der Vertraute Alexanders, betrieb nämlich die Vermählung Lucrezias mit einem Mitgliede seines Hauses, Giovanni Sforza von Pesaro, und dieser befand sich schon am Anfang des November heimlich in Rom.
Den jüngsten seiner Söhne, Jofré, hoffte der Papst bei Gelegenheit in Neapel zu versorgen. Von dort kam Don Federigo von Altamura, zweiter Sohn Ferrantes, am 11. Dezember 1492 nach Rom, Alexander VI. die Obedienz Obedienz: Anerkennung der (eig. geistlichen) Oberhoheit des Papstes. Auch soviel wie Gehorsam, Dienstverpflichtung. zu leisten und ihn für die Vorteile seines Hauses zu gewinnen. Aber er verließ Rom unzufrieden am 10. Januar. Denn schon gab es Anzeichen, daß der neue Papst an neue Bündnisse denke, welche den Zerfall der bisherigen Liga herbeiführen mußten. Ascanio war der Mittelpunkt dieser Unruhen, und hinter ihm stand sein Bruder Ludovico der Mohr.
Das Verhältnis zu Neapel trübte sich aus mehreren Ursachen, von denen eine diese war: Franceschetto Cibo hatte sich nach dem Tode Innocenz' VIII. zu seinem Schwager Pietro Medici zurückgezogen und bereits am 3. September 1492 Cervetri und Anguillara dem Virginius Orsini verkauft. Gegen den Verkauf dieser Güter an das Haupt des orsinischen Geschlechts, den mächtigen Vasallen Neapels und Günstling Ferrantes, protestierte Alexander VI., dazu von Ludovico Sforza, dem Herzog von Bari, und dessen Bruder, dem Kardinal Ascanio aufgereizt. Denn der Bruch zwischen dem Papst und jenem Könige lag im Vorteil Ludovicos, welcher nach der Alleingewalt in Mailand strebte und sich weigerte, die Vormundschaft über seinen schon großjährigen Neffen Gian Galeazzo niederzulegen. Klagend wandte sich dessen Gemahlin Isabella an ihren Vater Alfonso von Calabrien, und Ludovico wurde durch den Hof Neapels gemahnt, von seiner Usurpation abzustehen.
Hier ist die Quelle, wo aus dem Ehrgeiz eines einzelnen Menschen das Verderben eines ganzen Landes entsprang: denn Furcht und Herrschsucht trieben Ludovico, die Dynastie Aragon in Neapel zu Fall zu bringen, und dies hoffte er, wenn nicht durch einen Bund italienischer Mächte, so doch schließlich durch einen Kriegszug Karls VIII. von Frankreich zu erreichen. Seine Absicht war nicht gerade der völlige Sturz jenes Hauses vom Thron; er wollte nur die Verhältnisse Italiens verwirren, um seinen Vorteil daraus zu ziehen. Er reizte durch Ascanio den Papst gegen den König von Neapel, dem er schuld gab, den orsinischen Kauf veranlaßt zu haben. Er bahnte eine Liga mit Venedig an, welches argwöhnte, daß Alfonso die Rechte auf Mailand beanspruche, die der letzte Visconti auf dessen Großvater übertragen hatte. Dagegen wandte sich Piero Medici, der nahe Verwandte des Virginius, von Mailand ab und schloß sich Neapel an. Der Kardinal Medici ging nach Florenz, wo er blieb.
Die römische Kurie stand jetzt unter dem mailändischen Einfluß; Ascanio war der erklärte Feind des Kardinals Julian Rovere, und diesen Nebenbuhler, seinen mächtigsten Gegner im heiligen Kollegium, suchte auch der Papst zu verderben. Der bedrohte Kardinal entwich schon am Ende des Dezember 1492 in seine feste Burg zu Ostia. Sein Fortgang machte großes Aufsehen. Die Parteien bildeten sich; denn zu Julian standen die Kardinäle Caraffa, Piccolomini und Costa von Lissabon, ferner Virginius Orsini, Fabrizio und Prospero Colonna. Der König von Neapel bot ihm mit tausend Freuden seinen nachdrücklichsten Schutz. Zur Zeit des Baronenkrieges war er mit ihm tief verfeindet gewesen, aber er hatte sich mit ihm ausgesöhnt und selbst seine Erhebung zum Papst gewünscht. Jetzt machte er ihn zum Mittelpunkt seiner Partei in Rom. Ferrante bemühte sich zugleich, seinen Feinden jeden Grund zum Angriff zu nehmen; da sie den orsinischen Güterkauf als Vorwand benutzen konnten, suchte er Virginius zu einem Abkommen mit dem Papste zu bewegen. Denn schon brachte der Streit um Anguillara und Cervetri Italien in Aufregung. Im Februar 1493 schickte Ferrante einen Unterhändler an den Papst; auch die Signorie von Florenz bat er um ihre Vermittlung in diesem orsinischen Handel. Die Furcht vor Frankreich quälte ihn; um den Papst zu gewinnen, bot er die ganze diplomatische Kunst auf, in welcher ihn lange Erfahrung zum Meister gemacht hatte, und sicherlich war dieser König damals der feinste Staatsmann Italiens.
Im März schlug ihm Alexander selbst eine Familienverbindung vor: für seinen Sohn Jofré wünschte er die Hand einer Tochter des Königs, Donna Lucrezia, mit entsprechendem Lehn. Man sagte sogar in Rom, daß Cesare Borgia, der junge Bischof von Valencia, sein geistliches Gewand ablegen, mit einer neapolitanischen Prinzessin sich vermählen und Salerno erhalten werde. Begierig ging Ferrante auf solche Unterhandlungen ein.
Aber schon im April trat der Papst zurück, wahrscheinlich, weil ihn die Sforza umgestimmt hatten. Er sammelte Truppen; Mailand und Venedig taten das gleiche. Der König selbst rüstete sich; denn schon hatte er Kunde von einer Liga, die zwischen dem Papst, Mailand und Venedig verabredet war. Dringend ermahnte er Alexander durch seinen Gesandten Luigi de Paladinis, den Frieden Italiens nicht zu stören, und die gleiche Mahnung richtete er an Ludovico den Mohr. Mit scharfem Blick durchdrang er die Gefahren, welche dem uneinigen Italien von der Herrschsucht der Fremden drohten, und er sagte jenem ehrgeizigen Fürsten voraus, daß er einen Sturm heraufbeschwöre, dessen er selbst nie mehr Meister werden könne. Jetzt schloß er sich noch enger an Florenz an. Mit Ungeduld betrieb er den Vergleich zwischen Virginius und dem Papst, befahl aber jenem wie dem gleichfalls in seinem Solde stehenden Prospero und Fabrizio Colonna, sich in ihre neapolitanischen Lehen zu begeben, und ließ durch Trivulzio Truppen in den Abruzzen aufstellen.
Die Liga freilich konnte er nicht hindern; denn schon am 25. April wurde sie in Rom öffentlich kundgemacht: der Papst, Venedig, Ludovico Sforza, Siena, Ferrara und Mantua schlossen einen Bund auf 25 Jahre. Als die Kunde davon nach Neapel kam, wollte der leidenschaftliche Herzog von Calabrien sofort mit Piero Medici, mit Virginius Orsini und den Colonna gemeinsam den Krieg beginnen, gegen Rom losbrechen, den arglistigen Papst überwältigen. Nur die Mäßigung seines Vaters verhinderte die Ausführung eines Planes, welcher ganz Italien entflammt haben würde. Tief erschreckt ließ der König dem spanischen Hof seine Lage vorstellen: der Papst bringe, kaum auf den Thron gestiegen, das Papsttum und Italien in Gefahr; den Kardinal Julian habe er zur Flucht gezwungen; den Vorwand des orsinischen Güterkaufs aufgegriffen, um Colonna und Orsini zu vernichten und mit ihm selbst, dem Könige, Streit zu beginnen. Dieser in allen Freveln und Ränken heimische Monarch war auch der feinste Menschenkenner: er zuerst durchschaute die Natur Alexanders VI., und er entwarf dem spanischen Hof das erste vollkommen richtige Bild von dem wahren Wesen dieses Papstes. Er warnte vor seinen mit Frankreich angezettelten Ränken und sprach offen den Argwohn aus, daß er sogar mit den Türken in Verbindung stehe. Das Leben, welches der Papst führe, sei schamlos und abscheulich; an nichts anderes denke er, als seine Kinder groß zu machen.
Spanien war damals durch ein großes Ereignis aufgeregt. Während der Anblick des ewigen Kreislaufs der italienischen Dynastenpolitik alle edleren Geister mit Ekel erfüllen mußte, wurde Europa durch den Ruf elektrisiert, daß jenseits der Meere eine neue, wunderbare Welt entdeckt worden sei. Der große Columbus war von ihr heimgekehrt und am 6. März 1493 in Lissabon gelandet.
Dem Ozean entstieg Amerika, trat jetzt erst aus dem Dunkel der Jahrtausende in die Geschichte, und diese neue Erde zeigte der europäischen Menschheit, die sich so tief in das wiederentdeckte Altertum versenkt hatte, daß die Kultur noch weitere Kreise zu beschreiben habe als jene, deren Mittelpunkte Jerusalem, Athen und Rom gewesen waren.
Portugal und Aragon haderten alsbald um die Grenzen ihrer neu entdeckten Länder, und sie appellierten an das Schiedsgericht des Papstes. Dante und die alten Ghibellinen würde diese Berufung tief beleidigt haben; denn stand es nicht dem Kaiser allein als dem Herrn des Erdballs zu, Länder und Meere zu vergeben? Als Alexander VI. den kühnen Strich von Pol zu Pol über den Erdglobus zog, um alles entdeckte oder zu entdeckende Land 100 Meilen westlich von Cap Verde und den Azoren Spanien zuzusprechen, stieg dieser Papst in Wahrheit auf eine Höhe idealer Macht, zu welcher seine erbärmliche Hauspolitik den grellsten Widerspruch bildete. Dieser Federstrich war die letzte Erinnerung an die kosmische Autorität des römischen Papsttums.
Einen hohen Geist würde solche Beziehung auf das Weltganze mit großem Sinn erfüllt haben, aber Alexander VI. dachte nur an seine Eintagsfreuden und an die Erhöhung seiner eigenen Bastarde. Das geheime Schreckbild seines Lebens war seine gekaufte Wahl. Er fürchtete, daß dieser Flecken seines Papsttums von seinen Feinden zu seinem Sturz benutzt werden könnte, zumal bei dieser allgemein empfundenen Reformbedürftigkeit der Kurie und Kirche.
Er suchte sich deshalb an eine starke Macht anzulehnen. Jetzt in enger Verbindung mit Mailand, vermählte er Lucrezia schon am 12. Juni 1493 mit Giovanni Sforza von Pesaro, dem natürlichen Sohne Costanzos, dessen Vater Alessandro ein Bruder Francescos I. gewesen war. Dies Hochzeitsfest wurde mit Pracht im Belvedere des Vatikan gefeiert, und bereits war man unter Innocenz VIII. an solche päpstlichen Familienfeste gewöhnt. Der Papst, viele Kardinäle und Bischöfe, die Gesandten Frankreichs, Mailands und Venedigs, die Magistrate Roms, 150 edle Frauen und deren Männer nahmen daran teil. Der Papst ließ silberne Schalen voll Konfekt darreichen und deren Inhalt in den Schoß der schönsten Frauen ausschütten. An der Festtafel sah man ihn und die Kardinale in absichtlich gemischter Reihe neben den Frauen sitzen, während heitere Komödien vorgeführt wurden. Alexander, so erzählte man, begleitete in Person das junge Ehepaar bis zur bräutlichen Kammer. Der Palast, in welchem Lucrezia Hof hielt und auch andere Mitglieder der Familie Borgia zu wohnen pflegten, war ein Gebäude, welches Battista Zeno, Kardinal von S. Maria von Porticu, im Jahre 1483 in der Nähe des Vatikans errichtet hatte. Zeno war aus Argwohn nach Padua gegangen, wo er später im Jahre 1501 starb, sein Palast aber an die Borgia gekommen.
Drei Tage nach jenem Fest kam Don Diego Lopez de Haro, der Botschafter Ferdinands des Katholischen, nach Rom. Er sollte wegen der neuentdeckten Länder unterhandeln, den spanischen Kirchenzehnten durchsetzen und sich über die Aufnahme der Marani (getaufte Juden) im Kirchenstaate beschweren. Gleich nach dem Falle Granadas hatte nämlich die fanatische Verfolgung der Sarazenen und Juden in Spanien durch den Inquisitor Torquemada begonnen; diese flüchteten nach vielen Ländern und selbst nach Rom, wo man ihnen die Gegend am Grabmal der Metalla zum Lager anwies. Wenn der König von Portugal, der tausende von solchen Flüchtlingen aufnahm, eine Kopfsteuer von acht Dukaten von ihnen erhob, so wird der Papst wohl das gleiche getan haben. Die Marani konnten die Fürsprache des gefangenen Sultansohnes genießen, denn Djem lebte mit den Borgia vertraut. Man sah ihn bisweilen in Gesellschaft des Papstes auf Vergnügungsritten neben dessen Sohne Johann von Gandía, welcher bei solcher Gelegenheit aus Artigkeit oder Eitelkeit türkische Kleidung trug.
Lopez de Haro beschwerte sich im Konsistorium über die Käuflichkeit aller Ämter an der Kurie, selbst der Bistümer; er erinnerte damit wohl den Papst an seine eigene Wahl; aber seine wichtigste Aufgabe war, die Folgen jener Liga abzuwenden, zumal das Gerücht von dem bevorstehenden Kriegszuge Karls VIII. alle Mächte erschreckte.
Um Alexander wieder auf die Seite Spaniens zu ziehen, wurde jetzt die Vermählung des Don Juan, Herzogs von Gandía, mit Donna Maria Enriquez durchgesetzt. Der Papstsohn, prachtvoll ausgerüstet, schiffte sich im Beginn des August in Civitavecchia nach Barcelona ein, wo er mit fürstlichen Ehren empfangen und das Hochzeitsfest gefeiert wurde.
Den König Frankreichs hatte Ludovico Sforza zu einem Zuge wider Neapel aufgefordert, da er wohl einsah, daß seine eigenen Verbindungen mit dem Papst und Venedig unzuverlässig seien. Seine Boten erhitzten die Phantasie Karls mit Vorstellungen von dem Glanz der Unternehmung, welche der Papst und viele Fürsten Italiens unterstützen würden; sie machten ihm begreiflich, daß die Eroberung Neapels die Vorstufe zu jener Konstantinopels sei. Die neapolitanischen Verbannten vom Hause Sanseverino reizten die Begier des jugendlichen Monarchen, während mailändisches Gold dessen Räte bestach. Etienne de Vesc, den Seneschall von Beaucaire, und Wilhelm Briconnet, den Bischof von S. Malò. Obwohl die Mehrzahl der Großen Frankreichs den Eroberungsplan als ein phantastisches Unternehmen verwarf, schloß doch der König einen geheimen Vertrag mit Ludovico ab. Um sich freie Hand zu schaffen, machte er Frieden mit England, trat im Januar 1493 Roussillon und Perpignan an Spanien ab und schloß am 23. Mai mit dem von ihm tief beleidigten Maximilian, Sohn Friedrichs III., den Vertrag zu Senlis. Der König der Römer, verwitwet seit dem Jahre 1482, wo Maria von Burgund, die Mutter seiner Kinder Philipp und Margareta, starb, war von Karl VIII. um seine Verlobte Anna von Bretagne schimpflich beraubt worden. Jetzt bot ihm Ludovico die Hand Biancas, der Schwester des jungen Gian Galeazzo, mit einer Mitgift von 400 000 Dukaten, unter der Bedingung, daß ihm die Investitur Mailands gegeben werde, welche die Sforza vom Reiche nicht mehr nachgesucht hatten. Staatsgründe und Habgier bewogen Maximilian, auf diese Anträge einzugehen.
Nun bemühte sich der König von Neapel, den Papst von Frankreich abzutrennen und auf seine eigene Seite zu ziehen. Er schickte im Juni Don Federigo von Altamura wieder nach Rom mit dem Auftrage, die orsinischen Händel beizulegen, ehe Peron de Basche, der Abgesandte Karls VIII., zum Papst komme. Der Prinz ging erst nach Ostia, wo er Virginius und den Kardinal Julian traf. Im Fall seine Sendung mißglückte, sollte er diesem und den anderen Kardinälen der Opposition versichern, daß die königliche Armee an den Grenzen zu ihren Diensten bereit sei. Der Widerspruch der älteren Kardinäle gegen den Papst war nämlich durch dessen Absicht, dreizehn neue für Geld zu ernennen, vermehrt worden; Julian, Piccolomini, Caraffa und Costa hatten, auch von Riario, Parma und Sanseverino unterstützt, die Kardinalsernennung bisher zu verhindern vermocht und sich geradezu an Ferrante gewendet, ihnen im Notfall mit Truppen behilflich zu sein.
Don Federigo kam im Juli nach Rom, wo ihm der spanische Botschafter eifrig zur Seite stand. Der Papst gab dessen Mahnungen, sich in die Pläne Frankreichs und Sforzas nicht einzulassen, bald Gehör und ging auf den Vorschlag ein, seinen Sohn Jofré mit Sancía, einer Tochter Alfonsos von Calabrien, zu vermählen. Nur die Hartnäckigkeit des Virginius machte Schwierigkeit, aber endlich gab auch er dem Könige wie den Gesandten von Florenz und Spanien nach und willigte in einen Vergleich. Mit dieser Angelegenheit sollte auch die des Kardinals Julian erledigt und eine Aussöhnung aller Parteien bewirkt werden. In der Tat kamen Virginius und der Kardinal am 24. Juli von Ostia nach Rom. Sie speisten beim Papst; die Verträge wurden entworfen und nach Neapel geschickt. Als nun Peron de Basche in Rom eintraf, die Investitur Neapels für seinen Herrn verlangte und dafür hohen Jahrestribut und fürstliche Versorgung der päpstlichen Kinder bot, wurde er von Alexander zurückgewiesen.
Der Vergleich wegen Anguillara ward am 16. August 1493 im Vatikan gezeichnet: Virginius zahlte 35 000 Dukaten und empfing dafür jenes kirchliche Lehn. Hierauf wurde Jofré Borgia, ein schöner Knabe von 12 bis 13 Jahren, herbeigerufen, um den Ehekontrakt mit Donna Sancía zu vollziehen. Es hieß darin, daß der Papst und der König Ferrante auf Betreiben Spaniens in Verwandtschaft zu treten willens seien; daß Don Jofré als Mitgift der Prinzessin das Fürstentum Squillace und die Grafschaft Cortiata erhalten solle. Bis Weihnachten müßte dieser Vertrag geheim bleiben; Jofré solle dann nach Neapel zur Vermählung abgehen, in Besitz seiner Lehen gesetzt werden, dort einige Monate bleiben und ohne seine Gemahlin nach Rom zurückkehren. Als Don Federigo den Ring für Donna Sancía empfing und so als Weib gelten mußte, brachen alle Zeugen in Lachen aus, und lachend umarmte ihn der Papst.
So wichtig erschien die Versöhnung mit den Orsini und mit Neapel für die Ruhe Italiens, daß einige Mächte Dankbriefe an Alexander richteten. Ascanio wurde jetzt gestürzt, und der Papst näherte sich Julian. Am 18. August gab er ihm die Erlaubnis, nach Gefallen in Rom zu bleiben oder nicht, bestätigte alle seine Privilegien und Einkünfte, behielt ihm das Bistum Lucca vor und nahm auch seinen Bruder, den Stadtpräfekten, in seinen besonderen Schutz.
Der König Ferrante glaubte sein Spiel gewonnen, seinen Thron sich gesichert zu haben: »Wenn Peron de Basche«, so schrieb er seinem eigenen Gesandten beim französischen Hofe, »nach Frankreich zurückgekehrt ist, so wird man dort viele Gedanken fallen lassen und sich über viele Täuschungen aufklären; seid guten Muts, denn zwischen mir und dem Papst herrscht die allergrößte Einigkeit.« In der Tat schien damals Alexander VI. seine Verbindungen mit Ludovico und Karl VIII. abbrechen und eine nationale Politik einschlagen zu wollen. Ein entschiedener Widerspruch des Papstes gegen die Absichten des französischen Königs, gleich von vornherein, würde diese vereitelt haben. Doch Alexander blieb seiner Natur nach stets zweideutig, und bald sollte es sich zeigen, daß er von den Verhältnissen beherrscht wurde, statt sie selbst zu beherrschen.
Die Versöhnung mit Julian Rovere, den Orsini und Neapel machte der Opposition der älteren Kardinäle ein Ende; vielleicht war ihre Zustimmung zu der beabsichtigten Kardinalsernennung einer der Artikel des Vergleichs gewesen, und sicherlich wurde sie jetzt von dem Könige unterstützt. Der Papst konnte es schon am 20. September 1493 wagen, zwölf neue Kardinäle zu ernennen, unter denen sich sein eigener Sohn befand. Ganz gewissenlos hatte er zuvor durch falsche Zeugen beschwören lassen, daß Cesare der eheliche Sohn des Dominico Arignano sei. Diese Unwahrheit war der erste Schritt zu jener verhängnisvollen Bahn, auf welche ihn die Liebe zu seinen Kindern trieb. Kein Richter, kaum ein Kardinal besaß den Mut, Einspruch zu tun, und Cesare wurde Kardinaldiaconus von S. Maria Nuova.
Den Purpur erhielt auch Alexander Farnese, Sohn Pier Luigis, aus einem alten Herrengeschlecht, welches in der tuskischen Campagna das Kastell Farnese besaß. Der nachmalige Paul III., erst Protonotar, dann Bischof von Corneto, dann Kardinal von S. Cosma und Damiano, verdankte dieses Glück seiner schönen Schwester Julia, der Geliebten des Papstes. Dieses Verhältnis war allgemein bekannt. Alexander liebte sie schon als Kardinal, und ihre Verwandtschaft mit den Orsini mochte jenen Vertrag wegen Anguillara nicht wenig erleichtert haben. Denn im Jahre 1489 hatte sich die junge Julia mit Ursinus Orsini vermählt, dem Sohne Ludovicos Orsini, des Herrn von Basanello, und der Adriana del Mila, einer nahen Verwandten des Kardinals Rodrigo Borgia. Diese Verbindung war im Palast desselben Kardinals gerichtlich geschlossen worden. Ihrem Gemahl gab der Papst nach Abschluß jenes Vertrages Carbognano und Giulianello. Ihre Schwester Gerolima war mit Pucio Pucci vermählt, welcher als florentinischer Gesandter am 31. August 1494 in Rom starb. Die noch erhaltenen Briefe dieser Frau lehren, wie innig die Verbindung Alexanders VI. mit den Farnese, zumal seit der Erhebung des Kardinals jenes Hauses war. Julia selbst wohnte wie eine Verwandte der Borgia im Palast neben dem Vatikan mit Lucrezia, der Tochter des Papstes, und mit Madonna Adriana Mila, ihrer eigenen Mutter.
Von den Römern erhielt außer Farnese noch Julian Cesarini den Kardinalspurpur. Das Haus der Cesarini, welchem der erste Kardinal dieses Namens zur Zeit des Baseler Konzils Bedeutung gegeben hatte, begann eben an Einfluß groß zu werden. Den Grund dazu hatte der Protonotar Georg gelegt, ein jüngerer Bruder jenes berühmten Kardinals und Freund der Borgia.
Diese beiden Häuser schlossen schon zur Zeit Sixtus' IV. eine enge Verbindung, denn Gian Andrea Cesarini vermählte sich am 24. Januar 1482 mit Girotama Borgia, einer natürlichen Tochter des Kardinals Rodrigo. Der neue Kardinal Julian aber war ein Bruder jenes Gian Andrea und Sohn des reichen Gabriel Cesarini, welchen Alexander VI. zum Bannerträger des römischen Volks ernannte. Dies Haus war, neben den Farnese, das einzige römische, zu dessen Emporkommen die Borgia wesentlich beigetragen haben.
In derselben Kardinalsernennung wurde Spanien vertreten durch Bernardin Carvajal, Frankreich durch Jean de la Grolaye, Abt von St. Denis, Deutschland durch Raymund Perauld, Franzose von Geburt, aber Günstling Maximilians und Bischof von Gurk in Kärnten, England durch John Morton, Venedig durch Domenico Grimani. Italiener waren ferner Antonio de S. Georgio von Mailand, Bernardino Lunate von Pavia, und Hippolyt von Este, der Sohn des Herzogs Ercole von Ferrara und der Leonora von Aragon, ein Knabe von erst 15 Jahren, von seltener Schönheit, und später durch den Glanz seiner Erscheinung, seine Üppigkeit und durch die Verse Ariostos wohlbekannt. Als der zwölfte Kardinal wird noch Friedrich Kasimir, Sohn des Königs Kasimir von Polen, aufgeführt.
Wenn man von der Erhebung Cesares absah, konnte diese Kardinalsernennung kaum getadelt werden, da sie auf verschiedene Nationen Rücksicht nahm. Nur Neapel war absichtlich übergangen worden. Die spätere Politik Alexanders, das heilige Kollegium mit Spaniern zu erfüllen, wird hier noch nicht sichtbar. Doch schuf er sich so die ersten Werkzeuge, um dann allmählich das ganze Kollegium zu knechten.
Zwei Thronwechsel veränderten unterdes die politischen Verhältnisse. Am 19. August 1493 starb Friedrich III., nachdem er fast ein halbes Jahrhundert lang ruhmlos und tatenlos regiert hatte. Sein Sohn Maximilian war schon am 16. Februar 1486 zum Könige der Römer erwählt worden, und folgte ihm jetzt auf dem deutschen Thron ohne Widerspruch. Er war der erste deutsche Monarch, der sich, einige Jahre später, erwählter Kaiser der Römer nannte, und diesen Titel führten seither selbst mit Auslassung des Zusatzes »Erwählt« seine Nachfolger im Reich, auch ohne daß sie die Krone der Cäsaren mehr nahmen. Eine neue Epoche begann, in welcher die mittelalterlichen Ideen verschwanden und die Verkettung des Deutschen Reichs mit Rom sich löste.
Wenn dieser Thronwechsel keinen Eindruck auf Italien machte, so wurde hier der Tod des Königs von Neapel zu einem Ereignis. Ferrante starb am 25. Januar 1494, bebend vor dem Orkan, den er über seine Dynastie immer schwärzer heraufziehen sah und vergebens zu beschwören versucht hatte. So schrecklich auch die lange Regierung dieses Sohnes Alfonsos I. gewesen war, so hatte er doch mit Klugheit die Monarchie aufrecht erhalten, ihr gute Gesetze gegeben und sie nach der Art aller Tyrannen jener Zeit mit mancher Blüte der Wissenschaft und Kunst geschmückt. In seiner letzten Zeit hatten ihn die Verhältnisse zum Vertreter der italienischen Nationalität gemacht: er allein hatte die Invasion des Auslandes abgewehrt und stets ein wachsames Auge auf die Bewegung der Türken gehabt. Er allein hatte auch der Politik des Papsttums eine Schranke zu setzen vermocht. Man fürchtete diesen alten, frevelhaften und schlauen Monarchen. Mit ihm starb der letzte Staatsmann unter den damaligen Fürsten Italiens.
Sein Sohn Alfonso war jetzt Erbe des unsicheren Throns, ein Mensch ohne Mut und ohne Geist, stolz und maßlos, grausam, falsch und lasterhaft. Die Bulle Innocenz' VIII. hatte ihm die Nachfolge zugesprochen, doch es bestritten sie die jetzt mehr als je drohenden Ansprüche des Königs von Frankreich. Er eilte daher, den Papst durch große Anerbietungen fest zu halten und mit ihm ein Bündnis wider Karl zu schließen. Immer voll Zweideutigkeit forderte Alexander VI. noch am 1. Februar 1494 die Christenheit auf, den König zu unterstützen, der seine Waffen gegen die Türken zu wenden beschlossen habe, aber als der französische Botschafter die Investitur Neapels für seinen Herrn begehrte, wies er ihn zurück und bestätigte den Gesandten Alfonsos. Das Konsistorium am 18. April, worin er dies tat und Johann Borgia zum Krönungslegaten für Neapel ernannte, war stürmisch; der französische Botschafter drohte sogar mit einem Konzil.
Die Kardinäle Ascanio, Lunate, Sanseverino, Colonna und Savelli bildeten mit den Franzosen eine heftige Opposition, und die Seele dieser war der tief erbitterte Julian. Er haßte Alexander, mit dem er sich nur scheinbar vertragen hatte. Er verließ die Partei Neapels, welches sich jetzt mit dem Papst eng verband. Er selbst war nach Ostia zurückgekehrt, wo er sich mit den Colonna in Einverständnis setzte, während die Orsini zu Neapel hielten. Neapolitanische Schiffe unter dem Befehl des Korsaren Villamarina kreuzten schon in der Nähe des Tiber; da verließ der Kardinal am 23. April 1494 heimlich zu Schiff Ostia, nachdem er diese Burg seinem Bruder, dem Stadtpräfekten, übergeben hatte. Er eilte über Genua nach Avignon. Karl VIII. rief ihn nach Lyon, und hier, wo er am 1. Juni mit großer Pracht empfangen wurde, bestürmte er den König mit Aufforderungen zum unverzüglichen Kriegszuge gegen Rom und Neapel. So wurde dieser berühmte Kardinal aus Haß gegen Alexander VI. zu dem verderblichsten Bündnis mit Frankreich und einer Politik getrieben, welche jedem echten Italiener als Vaterlandsverrat erscheinen mußte. In Wahrheit ist Julian Rovere, der nachmalige Julius II., das tätigste Werkzeug für das namenlose Unglück gewesen, welches über Italien hereinbrach.
Als der Papst die Flucht des Kardinals vernahm, schickte er Kriegsvolk gegen Ostia. Diese Burg ergab sich im Mai dem päpstlichen General Nicolaus Grafen von Pitigliano auf Kapitulation, welche Fabrizio Colonna vermittelte. Dem Stadtpräfekten wie seinem flüchtigen Bruder wurde vertragsgemäß Amnestie zugesichert. Die Einnahme der Burg war für den Papst hochwichtig; denn Ostia, der Tiberschlüssel zu Rom, sicherte jetzt von der See her die Verbindung mit dem König von Neapel. Alfonso war am 7. Mai durch den Legaten gekrönt, an demselben Tage Jofré Borgia mit Sancía vermählt worden. Der dankbare König ernannte den Schwiegersohn zum Fürsten von Squillace, Grafen von Curiata und Statthalter des Königreichs, den Herzog von Gandia zum Fürsten von Tricarico, zum Grafen von Claromonte, von Lauria und Carinola.
Gesandte Karls VIII. bereisten unterdes Italien, um mit Herren und Städten Bündnisse zu schließen oder doch freien Durchzug für die französische Armee zu erlangen. Den Mächtigen schmeichelten, den Schwachen drohten sie. Wenn man einige dieser französische Reden liest, glaubt man sich in die Zeiten zurückversetzt, wo i. J. 500 v. Chr. Darius seine Machtboten an die hellenischen Städte sandte, ehe die Flut der persischen Barbarei über das schöne Hellas hereinbrach. Die Antwort der Venetianer war ausweichend; sie blieben neutral. Auch die Republik Florenz erklärte, sie sei zwar Frankreich ergeben, könne aber nicht ihren Bund mit Neapel brechen. Dieses erbitterte den französischen Hof gegen Piero Medici. Zustimmend hatten sich die Herren der Grenzlande erklärt: Savoyen, Saluzzo und Montferrat; nicht minder Ercole von Ferrara, welcher auf den Beutelohn einiger Distrikte am Po begierig war.
Dagegen ist anzuerkennen, daß Alexander VI. jetzt mit Entschiedenheit gegen Frankreich auftrat. Als die Botschafter Karls, Eberhard d'Aubigny und Briconnet, am 16. Mai nach Rom kamen, gegen die Investitur Alfonsos protestierten und diese für ihren König begehrten, erklärte er, daß sie dem Sohne Ferrantes rechtmäßig erteilt sei, und daß ein Kriegszug Karls den Kirchenstaat verwirren, Alfonso aber antreiben werde, die Türken nach Italien zu rufen. Eine heftige Szene fand im Konsistorium statt; der Papst, durch die frechen Reden der französischen Gesandten außer sich gebracht, konnte nur mit Mühe besänftigt werden.
Die kleinliche Hauspolitik der italienischen Fürsten öffnete der Invasion Frankreichs die Tore Italiens. Dieses Land war im fünfzehnten Jahrhundert so glücklich gewesen, wie kaum je zuvor. Von fremden Eingriffen ungestört, hatte es eine nationale Entwicklung genommen. Nur einheimische Fürsten saßen auf seinen Thronen; denn auch Aragon hatte seinen fremden Ursprung abgestreift und das Papsttum sich als italienische Macht eingerichtet. Die Kultur und der Reichtum herrlich geschmückter Städte waren groß. Die Künste und Wissenschaften hatten das Leben Italiens durchdrungen. Die fremden Mächte blickten daher mit Begier auf das Paradies Europas, und sie fanden es unverteidigt und wehrlos. Der Verfall der bürgerlichen Tugend in den Städten, die Selbstsucht und Treulosigkeit der Fürsten, der Untergang des Wehrsystems machten Italien zur Beute des ersten besten Eroberers. Nach der Überwindung der Reichsgewalt konnte das naturgemäße Ziel der Italiener nur die vaterländische Eidgenossenschaft sein, aber sie bildete sich nicht, weil in dem ewigen Kampf der Territorialmächte um ihre eigene Gestaltung die große Nationalidee verloren ging. Diese ruhte in älteren Zeiten auf dem Bürgertum unabhängiger Städte, doch deren Freiheit war fast überall untergegangen, oder auf der moralischen Macht des Papsttums, doch dieses erregte nur Furcht oder Mißachtung, weil es in die Nepotenpolitik versunken war. Dynasten regierten einst freie Republiken nur im Sinne ihres Familienvorteils. So geschah es, daß an die Stelle von Guelfen und Ghibellinen die Parteien der Anjou und Aragon, also Frankreich und Spanien, getreten waren, und dieser neue Parteiruf bezeichnete nur noch ein dynastisches Prinzip, ja die Fremdherrschaft selbst.
Der einzige Mann, welcher das Verderben hätte abwehren können, Lorenzo Medici, war tot, sein Sohn Piero unfähig und Florenz selbst von dem Einflusse Savonarolas beherrscht, welcher das Volk mit krankhaften Visionen von einem allgemeinen Untergange entmutigte, den Zug Karls herbeiwünschte und ihn als ein Strafgericht des Himmels gegen die Tyrannen und die römische Kurie betrachtete. Der Eifer dieses Mönchs fand ein Echo in vielen Städten, wo das Volk seine Gewalthaber haßte, ohne der Freiheit fähig zu sein. Viele ersehnten die Ankunft Karls, von dem sie eine Veränderung des Zustandes erwarteten, während die Tyrannen durch ein Bündnis mit ihm Vergrößerung hofften. So kläglich ist die Ohnmacht Italiens im Jahre 1494, daß ein Despot gleich Alfonso II. als der einzige patriotische Fürst darin glänzen würde, wenn seine elende Verteidigung gegen die Invasion Karls nationale Motive gehabt hätte.
Den Plan dieser Verteidigung hatte bereits sein Vater entworfen. Den Franzosen zuvorzukommen, schickte Alfonso seinen Sohn Ferrantino mit einem Heer in die Romagna, wo er die Lombardei bedrohen sollte, während Piero Medici die Grenzen Toskanas zu behaupten versprach. Zugleich sammelte sich eine neapolitanische Flotte unter Don Federigo in Livorno, um mit den Fregosi und anderen Verbannten einen Versuch gegen Genua zu machen, welches sich in mailändischer Gewalt befand. Der Papst sollte den Kirchenstaat mit Kriegsvolk in Tuskien decken.
Am 14. Juli 1494 kam Alfonso nach Vicovaro, einem Kastell des Virginius Orsini. Hier traf er den Papst. Man beriet die gemeinschaftlichen Maßnahmen. Die Ereignisse drängten.
In Asti stand bereits Ludwig von Orleans, die französische Flotte erwartend, welche Pierre d'Urfé in Genua rüstete; aber noch schwankte der König, und nur die Mahnungen des Kardinals Julian bewogen ihn, das Zeichen zum Aufbruch zu geben. Am 29. August setzte er sich in Grenoble in Bewegung, am 2. September überstieg er den Mont Genèvre, am 3. rückte er in Piemont ein. Ein so prachtvoll gerüstetes Heer hatte Frankreich kaum zuvor gesehen. Es zählte 90 000 Mann; die Zahl der Schiffe betrug über 450. Das Fußvolk, namentlich die Schweizer, bildete die Hauptstärke, und ein furchtbarer Artilleriepark sicherte den Franzosen die Überlegenheit über die Italiener, bei welchen die Kriegsschulen der Sforza und Braccio erloschen und die Heereseinrichtung, zumal der Infanterie, veraltet waren. Den König begleiteten der Herzog von Montpensier, der Marschall von Gié, der Graf Robert de la Marche, Engilbert von Cleve, die Herren von Vendome, Luxemburg und Foix und viele andere Große. Er selbst bot an der Spitze dieser Kriegerscharen nichts weniger als den Anblick eines Helden dar: ein junger Mensch von 22 Jahren, klein und verwachsen, mit unförmlichem Dickkopf und langer Nase, mit dürren Beinen, in schwarzen Samt und Goldbrokat gekleidet, konnte er auf seinem Streitroß nur als die Karikatur eines Eroberers erscheinen. Er war tief unwissend, von Natur gutmütig, von krankhafter Ruhmsucht berauscht, und doch war diese koboldartige Gestalt das Werkzeug der Geschichte, und seine abenteuerliche Unternehmung brachte eine Umwälzung aller europäischen Verhältnisse hervor.
In keinem Moment der Geschichte erscheint der Genius Italiens so trauervoll verhüllt als in jenem Augenblick, wo Karl VIII. die Alpen herabstieg. Dieses Land hatte bisher nur die Romzüge der Kaiser erfahren, als Domäne ihrer Reichsgewalt. Der Reichsschild deckte es sogar lange Zeit gegen ausländische Angriffe; jetzt aber betrat Italien zum erstenmal nach Jahrhunderten ein fremder König als Eroberer, nur auf Grund persönlicher Ansprüche und gerufen durch selbstsüchtige Fürsten. Mit Staunen betrachtete die Welt diesen Kriegszug, mit Scham sahen ihn die für ein vergangenes Ideal schwärmende Patrioten im Deutschen Reich.
Am Anfange des September zog Karl in Asti ein, wo ihn Ludovico Sforza mit seiner Gemahlin Beatrix von Este und deren Vater Ercole begrüßten. Hier erkrankte der König an den Pocken.
Italien bewegte sich auf die Kunde seines Erscheinens, wie es sich einst bei der Ankunft Heinrichs VII. bewegt hatte. Der Papst, der König von Neapel und Pietro Medici schickten Gesandte nach Venedig, dieser Republik ihre Verwunderung auszudrücken, daß sie ruhig zusehe, wie ein fremder Monarch sich rüste, Italien zu erobern. Die Signorie antwortete ausweichend und lehnte jede Beteiligung am Kriege wider Karl ab. Sie glaubte anfangs nicht an das Unternehmen dieses Königs, und als es doch stattfand, nicht an die Hilflosigkeit Alfonsos. Keine italienische Macht erhob sich, das gemeinsame Vaterland zu retten, und bald sah Alfonso II. alle seine Verteidigungspläne zerstört. Der Versuch gegen Genua mißlang; das Schweizervolk Karls erstürmte am 8. September Rapallo mit solcher Wut, daß es die gesamte Einwohnerschaft niederhieb. Dies verbreitete Bestürzung in den Städten Italiens, denn die Italiener waren bisher gewohnt, besiegte Feinde zu plündern, dann aber für Lösegeld frei zu lassen. Mit dem Auftreten der Franzosen kam überhaupt in die Kriegführung ein Charakter wilder Unmenschlichkeit. Geschlagen und mutlos kehrte die Flotte Alfonsos nach Neapel zurück, und auch sein Heer in der Romagna wurde durch Aubigny zurückgeworfen.
Alfonso verzweifelte. Bereits bot er dem Eroberer die Abtretung eines Teiles seiner Länder und jährlichen Tribut. Selbst nach dem Halbmond blickte er um Rettung aus, denn sein Bote Camillo Pandone und der päpstliche Schreiber Bozardo waren an Bajazet geschickt worden, ihm vorzustellen, daß der König Frankreichs gegen Rom vorrücke, sich Djems zu bemächtigen, um dann diesen Prinzen nach der Eroberung Neapels auf den Thron Konstantinopels zu führen. Diese Gesandtschaft wie die berüchtigten Instruktionen Alexanders an Bozardo und seine Korrespondenz mit dem Sultan sind unzweifelhaft. Bozardo wurde nach seiner Heimkehr aus der Türkei im November vom Stadtpräfekten Giovanni Rovere in Sinigaglia festgehalten, wo der Kardinal von Gurk jene Briefschaften bei ihm vorfand. Giovanni Rovere bemächtigte sich auch der 40 000 Dukaten, welche der Sultan dem Papst durch jenen Boten schickte, weshalb ihn Alexander in den Bann tat. Später erklärte dieser, daß die Gerüchte von seinem Einverständnis mit den Türken Verleumdungen des Präfekten seien.
Sie waren dies aber nicht, denn am 20. November 1494 machte der Stadtpräfekt seinem Bruder, dem Kardinal Julian, Mitteilung von den Geständnissen Bozardos und den Instruktionen des Papstes, »welche staunenswürdige und für die Christenheit gefährliche Dinge enthielten, woraus hervorgehe, daß der Papst Djem dem Großtürken verkaufen wolle und dessen Beistand gegen Frankreich nachsuche.«
Von Asti war Karl VIII. nach Pavia gezogen, wo er sein Hauptquartier aufschlug. Dort im Schlosse lag Gian Galeazzo zum Sterben erkrankt, wie man glaubte, durch seinen Oheim vergiftet. Bei dem peinlichen Besuch, welchen der König dem Unglücklichen, seinem nahen Verwandten, machen mußte, warf sich ihm die Herzogin Isabella zu Füßen und flehte um den Schutz der Rechte ihres Gemahls. Karl hatte nur leere Worte zum Trost. Auf seinem Weitermarsch vernahm er schon in Parma, daß der junge Herzog am 22. Oktober gestorben sei. Die französischen Herren murrten laut, denn sie ahnten eine Freveltat, aber Ludovico eilte aus dem Lager des Königs nach Mailand, sich des herzoglichen Thrones zu bemächtigen. Schon hatte er das kaiserliche Investiturdiplom in Händen, denn von Maximilian, der sich am 1. Dezember 1493 mit Blanca Maria vermählt hatte, war ihm diese Belehnung soeben, am 5. September 1494 ausgestellt worden. Ein gehorsames Parlament rief ihn als Herzog aus unter Ausschließung Francescos, des erstgeborenen Sohnes des verstorbenen Sforza. Das Schicksal Isabellas war tief tragisch: ihren Vater sah sie dem Verderben nahe, ihren schuldlosen Gemahl tot, ihre enterbten Kinder dem Elend ausgesetzt. Lange Zeit lag sie im Burggemach zu Pavia auf dem harten Fußboden hingestürzt. In diesem Schloß wurde sie mit ihren Kindern eingesperrt.
Ludovico eilte jetzt Karl VIII. wieder nach, aber schon war er selbst an einem Wendepunkt seiner Staatskunst angelangt. Er kannte die Stimmen im französischen Lager, welche dem Könige rieten, Mailand zu besetzen, ehe er weiter zog. Da er selbst sein Ziel erreicht hatte, lieh er den Vorstellungen des Papstes und Venedigs Gehör. Man warnte den König vor italienischem Verrat, und schon längst war Karl gegen seinen Bundesgenossen mißtrauisch. Er zögerte, vorwärts zu gehen. Endlich entschloß er sich, statt durch die Romagna ins Neapolitanische zu rücken, die Straße nach Toskana und Rom einzuschlagen. Denn von dort kamen ihm günstige Botschaften.
Die Colonna und Savelli, welche er in Sold genommen hatte, lagerten mit 4000 Mann und 600 Pferden bei Frascati, von wo aus sie Rom bedrohten. Aber nichts erschreckte den Papst so tief, als der Fall Ostias: diese Burg überrumpelte Fabricius Colonna schon am 18. September und pflanzte auf ihr die Fahnen Frankreichs und des Kardinals Julian auf. Alexander meldete diesen Verlust dem Dogen und dem Könige Spaniens, die er um Hilfe bat. Wenn die Colonna mehr Kriegsvolk gehabt hätten, so würden sie Rom in die größte Bedrängnis versetzt haben. Ihr Plan war, die Stadt zu überfallen, den Papst festzunehmen und sich Djems zu bemächtigen. Man verriet ihren Anschlag: der türkische Prinz wurde jetzt in der Engelsburg streng bewacht. Der Papst ächtete die Colonna; die Paläste Prosperos und Estoutevilles ließ er niederreißen. Voll Furcht sah er französisches Kriegsvolk in Ostia landen; denn eilig schickte Karl am 16. Oktober einen Teil der Flotte von Genua nach der Tibermündung, wo sie Truppen in die Burg warf und dann wieder zurück segelte. Die Erhebung der Colonna im Römischen hatte wesentlich den Erfolg, daß sie Alfonso abhielt, mit ganzer Kraft in der Romagna den Franzosen entgegenzutreten.
Den wiederholten Mahnungen Alexanders, nicht weiter vorzurücken, antwortete der König Karl nicht; den zu ihm geschickten Kardinal Piccolomini ließ er nicht einmal vor. Wie hatten sich die Zeiten und die Macht des Papsttums verändert! Welche flammende Bannbullen hatten nicht frühere Päpste gegen Fürsten gerichtet, welche, wie Konradin von Schwaben, auszogen, Neapel, das Lehn der Kirche, zu erobern. Nichts dergleichen tat Alexander VI. Er war unsicher und voll Furcht vor einem Konzil, welches seine erkaufte Papstwahl richten konnte. Jetzt rief er Ascanio Sforza, der zu den Colonna gegangen war, zur Besprechung in die Stadt; für so lange Zeit, als sie dauern würde, lieferte er seinen Sohn Cesare als Geisel nach Marino, dem colonnischen Hauptquartier, und Ascanio, der am 2. November nach Rom kam, ließ sich bewegen, als Unterhändler zum König nach Toskana abzureisen.
Während nämlich Montpensier die Neapolitaner aus der Romagna zurücktrieb, zog Karl nach Toskana. Hier boten ihm Unterstützung die erbitterten Feinde von Florenz: Lucca, Siena und besonders Pisa, welches den Augenblick ersehnte, das Joch der Florentiner abzuwerfen. Zugleich erwachte in Florenz selbst die Freiheitslust; die Gegner der Medici erhoben ihr Haupt; in seinen Predigten begrüßte Savonarola Karl als Abgesandten Gottes, den neuen Cyrus und Tyrannenbändiger. Die Pässe Pontremolis fand der König unbesetzt. Fivizzano nahm er im Sturm. Auf hartnäckigen Widerstand gefaßt, staunten die Franzosen über ihr eigenes Glück. Comines rief aus, daß Gott ihr Unternehmen offenbar begünstige. Piero Medici, dessen früher exilierte Vettern Lorenzo und Johann, die Söhne Pier Francescos, sich im Lager des Königs befanden, sah den steigenden Aufruhr der Stadt und verlor die Besinnung. Er eilte zu Karl nach Sarzanella, auf die sinnloseste Weise das Beispiel der Reise seines großen Vaters nach Neapel nachzuahmen, und er bot dem Eroberer mehr, als dieser verlangte, die wohlversorgten Festungen seines Landes dar. Als der Elende hierauf nach Florenz zurückkehrte, brach am folgenden Tage, dem 3. November, der Volkssturm gegen ihn los. Piero entwich nach Bologna, seine Brüder Julian und der Kardinal Johann folgten ihm in Verkleidung nach. Durch Beschluß des Volkes wurden die Medici in die Acht erklärt.
An demselben Tag erhob sich die Stadt Pisa und nahm Karl VIII. auf, der ihre Freiheit zu schützen versprach. Gesandte der Florentiner erschienen hier vor ihm, unter ihnen Savonarola, um einen Vergleich abzuschließen; er sagte ihnen, daß er dies in Florenz selbst zu tun gedenke. Diese einst so mächtige Guelfenrepublik, welche so vielen Kaisern getrotzt hatte, ergab sich wehrlos dem Könige Frankreichs. Die Lanze in kriegerischer Haltung angelegt zog Karl dort am 17. November ein. Nur der Bürgerstolz eines einzelnen Mannes, Piero Capponis. der im Angesicht des fremden Despoten die Vertragsurkunde zerriß und dadurch bessere Bedingungen erzwang, mildert die Demütigung der Stadt. Karl versprach die Herausgabe der Landesfestungen und auch Pisas zu geeigneter Zeit, begnügte sich mit 120 000 Goldgulden, und bestand nicht auf der Rückkehr der Medici.
Am 22. November erließ er ein Manifest; er verschleierte darin seinen wahren Zweck, die Eroberung Neapels, mit dem Plan des Türkenkrieges und verlangte vom Papst freien Durchzug durch den Kirchenstaat. Dann verließ er Florenz am 28. November und erreichte am 2. Dezember Siena, um von dort ins Patrimonium Petri vorzugehen. Erst in dieser Stadt gelang es dem Kardinal Piccolomini, beim König Audienz zu erlangen, am 4. Dezember, doch was ihm dieser erwiderte, waren nur nichtssagende Worte.
In Rom war Alexander ganz ratlos. Gleich beim Beginne der französischen Invasion sah er sich in einem peinvollen Widerspruch, denn weder konnte er es mit Neapel verderben, noch den Zorn des französischen Monarchen auf sich ziehen. Wenn ein so machtvoller König mit Heeresgewalt nach Rom kam, so hatten die Feinde der Borgia gewonnenes Spiel; der Kardinal Julian begleitete den nahenden Eroberer; die Ghibellinen redeten davon, daß nach dessen Einzuge in Rom ein Konzil den lasterhaften Papst absetzen müsse. Das Bewußtsein seiner erkauften Wahl ängstigte Alexander mehr als jede andere Vorstellung; er war und blieb ein Usurpator des Heiligen Stuhls. Ostia war von französischem Kriegsvolk eingenommen; die Colonna und deren Anhänger machten Latium unsicher und reichten dem Feinde die Hand. Vermochten wohl die Orsini in Tuskien seinen Marsch aufzuhalten? Und doch wollte Alexander anfangs den Franzosen den Einzug in den Kirchenstaat mit Waffengewalt verwehren; er schickte Truppen nach Viterbo, aber diese Stadt nahm sie nicht auf. Hin- und herschwankend sah er sich nach Rettung um. Er ließ den kaiserlichen Botschafter Rudolf von Anhalt rufen und appellierte vor ihm an Maximilian, den legitimen Advokaten der Kirche, auf daß er die Rechte des Reichs gegen die französische Usurpation verteidige. Die Engelsburg rüstete er mit Lebensmitteln und Munition aus: er ließ Waffen verteilen, die Bürger zum Schutze der Stadt aufrufen. Er zog seine Truppen nach Rom und rief hierher auch den jungen Herzog von Calabrien, Virginius Orsini, den Grafen von Pitigliano und Trivulzio; denn diese Kapitäne hatten mit ihrem Volk die Romagna verlassen müssen, nachdem die Florentiner unter Annibale Bentivoglio und die Päpstlichen zur Verteidigung Toscanas und des Kirchenstaats abgezogen waren.
Am 10. Dezember rückte die neapolitanische Armee in die Stadt ein, 5000 Mann zu Fuß und 1100 Pferde stark. Dies gab Alexander Mut, einen listigen Streich gegen seine Gegner auszuführen. Am 2. Dezember war nämlich Ascanio von seiner Sendung an den König zurückgekehrt, begleitet von französischen Gesandten; ihn, die Kardinäle Sanseverino und Lunate, Prospero Colonna und Girolamo Estouteville, die er unter Gewähr ihrer Sicherheit nach Rom zur Besprechung eingeladen hatte, ließ der Papst am Tage des Einmarsches der Neapolitaner festnehmen und in die Engelsburg setzen. In der Verwirrung wurden selbst die französischen Gesandten eingekerkert, doch bald wieder freigelassen. Alexander erklärte diesen Herren, daß er dem Könige den Durchzug durch das römische Gebiet nicht gestatten wolle.
Karl war bereits nach Viterbo vorgerückt und hier am 10. Dezember eingetroffen. Kein Feind zeigte sich, nur erschrecktes Volk, welches die Städte öffnete. Die Franzosen plünderten selbst die ärmlichsten Ortschaften. Die Kunde davon, wie auch die Nachricht, daß sie Julia Farnese gefangen fortgeführt hatten, versetzte den Papst in den tiefsten Schrecken. Die Geliebte Alexanders war mit Madonna Adriana am 27. November aus dem Farnesischen Kastell Capo del Monte aufgebrochen, um sich zu ihrem Bruder, dem Kardinal, nach Viterbo zu begeben, und unterwegs auf einen Trupp Franzosen gestoßen, welche diese Frauen und ihre Begleiter nach Montefiascone führten. Auf die Kunde davon schickte der Papst einen Kämmerer an Ascanio nach Marino, ihre Freilassung zu erwirken, was auch geschah.
Er schickte Boten an Karl, ihn zu ersuchen, nicht weiter vorzugehen, vielmehr mit ihm einen Vertrag abzuschließen. Er rüstete in derselben Zeit die Verteidigung Roms. Am 16. Dezember rief er den Zeremonienmeister Burkard Johannes Burkhard (Burchard, Burcardus) 1440-1506. Er wurde in Haßlach bei Straßburg i. J. 1440 geboren, zum Geistlichen bestimmt, studierte das Recht. Im Jahre 1479 bekam er das Kanonikat an der St. Thomaskirche in Straßburg. Er siedelte aber bereits 1481 nach Rom über. Er bekam dort die Stelle eines Schreibers im päpstlichen Zeremonienamt. Unter Innocenz VIII. wurde er selbst Zeremonienmeister. Er betätigte sich schriftstellerisch. Für die Kulturgeschichte sind seine Tagebücher, die er 1483 begann, sehr wesentlich; sie sind eine wichtige Quelle für das Leben Alexanders VI. und andere Deutsche in den Palast und forderte sie auf, ihre zahlreichen Landsleute zu bewaffnen. Dieselbe Forderung stellte er an die Spanier. Burkard berief am 17. Dezember eine Versammlung von Deutschen ins Hospital der Anima. Einige Gastwirte, Kaufleute und Handwerker kamen dort zusammen und erklärten, daß sie den Befehlen des Papstes nicht gehorchen könnten, weil sie denen der Stadtkapitane folgen müßten. Vielleicht beweist nichts so sehr die grenzenlose Ratlosigkeit Alexanders als dies Konzilium in der Anima. So mutlos, so unentschlossen zeigte sich dieser Papst bis zur letzten Stunde, daß das Urteil derer, welche ihn einen kühnen Geist nennen, Verwunderung erregen muß. Er wußte nicht, was er tun sollte. Er wollte sich zu gleicher Zeit verteidigen und entfliehen. Am 18. Dezember war im Palast bis auf Bett und Tafelgeschirr alles eingepackt; alle Kostbarkeiten der päpstlichen Kapelle waren in die Engelsburg gebracht; die Pferde standen bereit. Nur die Vorstellungen der Botschafter Venedigs und Spaniens und der Kardinäle bewogen ihn, zu bleiben.
Verwundert über die Wehrlosigkeit des Kirchenstaates durchzog Karl VIII. das Patrimonium Petri. Überall setzte er Franzosen als Gouverneure ein. Von Viterbo aus hatte er La Tremouille an den Papst geschickt, die Entlassung der Neapolitaner aus Rom, Zufuhr und freien Durchzug zu verlangen; würde ihm dies verweigert, so wolle er mit Waffengewalt in die Stadt einziehen. Am 15. Dezember rückte er nach Nepi, und hier erschienen zu seinem Erstaunen die Orsini, mit ihm einen Vertrag zu schließen. Diese mächtigen Barone standen im engsten Bündnis mit Neapel; ihr Haupt Virginius, dort Großkonnetable und in die Verwandtschaft des Hauses Aragon aufgenommen, befand sich in neapolitanischen Diensten zu Rom. Gleichwohl zwang ihn die Not, dem Könige seine Burgen im Kirchenstaat zu öffnen, weshalb er seinen Bastard Karl zu ihm schickte. Am 19. Dezember wurde der König von diesem im Schloß Bracciano aufgenommen, wo er sein Hauptquartier aufschlug. Die Unterwerfung der Orsini erschütterte vollends den Mut der Neapolitaner wie des Papstes. Tief erschreckt ließ Alexander an demselben 19. Dezember den Kardinal Sanseverino frei, um ihn als Unterhändler an Karl zu senden. Er machte auch am 18. Dezember mit den Colonna Vertrag; Prospero sollte aus der Engelsburg entlassen werden, um seinen Bruder zur Herausgabe Ostias zu bewegen; er sollte im Dienst des Papstes und Alfonsos bleiben gegen 30 000 Gulden jährlichen Soldes; alle seine Kastelle sollten ihm zurückgegeben werden. Prospero ging nach Ostia, aber wie vorauszusehen war, hatte seine Sendung nicht den geringsten Erfolg. Vielmehr schickte Karl, dem sich bereits Civitavecchia und Corneto ergeben hatten, Kriegsvolk unter Louis Allegre nach jener Burg, wohin sich auch der Kardinal Julian in Person begab. Und kaum erschien er dort, so ging auch Prospero offen ins Lager des Königs über. Zugleich drang der Marschall Rieux über den Tiber gegen das Marsenland vor.
Der Schrecken wurde immer größer im Vatikan. Jede Nacht erwartete man den Feind von Ostia her. Schon streiften französische Reiter bis zum Monte Mario. Zwar standen 6000 Mann Neapolitaner in der Stadt, doch der Papst hatte ihnen die Besetzung der Engelsburg verweigert. Das Volk selbst wollte nichts von Verteidigung wissen; vielmehr schrien die Bürger, daß man sich mit dem König vertragen müsse. Noch jetzt dachte Alexander an Flucht nach Venedig; und noch am 23. Dezember wußte man im Lager des Königs nicht, ob man vor Rom als Feind oder als Freund erscheinen solle. Noch an diesem Tage schrieb der Kardinal von Gurk, welcher Karl begleitete, einen Brief nach Rom, die dortigen Deutschen, Flamländer und Burgunder mit der Versicherung zu beruhigen, daß der königliche Statthalter Montpensier den Befehl habe, das Leben und Eigentum aller Bürger, zumal der Untertanen Maximilians und Philipps von Burgund zu schonen.
Am 24. Dezember versammelte der Papst das Konsistorium, und hier erklärte er dem Herzog von Calabrien, daß der Abzug der neapolitanischen Truppen eine Notwendigkeit sei. Don Ferrantino verließ hierauf die Versammlung voll Unwillen über den Abfall des Papstes. Dieser selbst aber war in so großer Mutlosigkeit, daß er die Neapolitaner begleiten und den Prinzen Djem mit sich nehmen wollte. Er machte noch am 25. Dezember einen förmlichen Vertrag mit jenem Herzog, wonach es ihm freistehen sollte, mit seiner Kurie und dem Sultan sich ins Königreich zu flüchten. Solange er dort bliebe, sollte er 50 000 Dukaten Jahresgeld erhalten und außerdem noch 10 000 für Djem, der nach Gaeta in Sicherheit zu bringen sei, und diese Festung selbst sollte dem Kardinal Cesare Borgia übergeben werden.
An demselben Weihnachtstage schickte Karl neue Boten nach Rom, den Seneschall von Beaucaire, den Großmarschall de Gié, den Präsidenten des Pariser Parlaments de Ganay: er forderte gebieterisch den Abzug der Neapolitaner und Aufnahme wie Verpflegung des französischen Heeres, erklärte aber, daß er nichts als freien Durchzug nach Neapel begehre und die Rechte des Papstes achten wolle.
Jetzt bewilligte Alexander, was der König verlangte; er schickte an ihn den Kardinal von Monreale und entließ auch Ascanio aus seiner Haft. Der Einzug Karls wurde auf den 31. Dezember festgesetzt. Einige Kardinäle, namentlich Ascanio und Sanseverino, begehrten, daß der König neben dem Papst im Vatikan wohne, jedoch bestimmte man zu seiner Residenz den Palast bei S. Marco. Alexander nahm in den Vatikan ihrer Sicherheit wegen die Gesandten der fremden Mächte und den Kardinal von Neapel. Kein Franzose sollte den Borgo, den vatikanischen Stadtteil, betreten. Einer Kommission, bestehend aus dem Kardinal S. Denis, dem Governator und den Konservatoren, wurde die Regelung des Einquartierens und die Aufrechthaltung der Ordnung übertragen. Am 30. Dezember sollte Montpensier als französischer Gouverneur eintreffen. Unterdessen war der Herzog von Calabrien schon am 25. Dezember nach Tivoli abgezogen; da er dort nicht aufgenommen wurde, rückte er, die Ortschaften der Campagna verbrennend, weiter nach Terracina.
Die Aufregung in Rom war grenzenlos: denn nun wurde der Einzug eines fremden Königs mit seiner Armee zur Tatsache, und bereits am 27. Dezember rückten mit Erlaubnis des Papstes 1500 Franzosen ein. Die Römer stellten die Wappen Frankreichs vor ihren Türen aus, so daß die ganze Stadt damit bedeckt war. Am Morgen des 31. Dezember gingen Boten der Bürgerschaft dem König entgegen, Hieronymus Porcaro, Ascanius de Planca, Marius Millini, der Kanzler Christoforus del Buffalo, Jacobus Sinibaldi. Sie sollten ihm das Wohl der Stadt empfehlen und ihn dorthin geleiten. Mit ihnen gingen auch Abgesandte des Papstes, der Bischof von Nepi und der Zeremonienmeister Burkard. Dieser Hofbeamte fühlte in der wichtigsten Stunde weniger die Gefahr, die dem Papsttum, als diejenige, welche dem Ritual der Kirche drohte, und er eilte dem Eroberer entgegen, »ihm das Zeremoniell seines Empfanges mitzuteilen«. Karl VIII. empfing die Abgeordneten bei Galera. Porcaro, den Redner der Römer, würdigte er kaum einer Antwort; dem Zeremonienmeister bemerkte er, daß er ohne jede Feierlichkeit einziehen wolle. Er ließ ihn vier Millien weit neben sich reiten und fragte ihn voll Neugierde nach den Persönlichkeiten des Papstes und seines Sohnes Cesare. Leider hat der päpstliche Höfling in seinen Denkwürdigkeiten nicht gesagt, auf welche Weise er sich aus dieser Verlegenheit zog.
Der Einzug der französischen Truppen begann um 3 Uhr nachmittags und dauerte bis 9 Uhr abends. Der König selbst traf erst um 7 Uhr an der Porta del Popolo ein, wo sein Großmarschall dem Vertrage gemäß alle Torschlüssel der Stadt in Empfang nahm. Wie in Florenz ritt Karl in kriegerischer Haltung daher, mit angelegter Lanze. Zu seinen Seiten hatte er die Kardinäle Julian und Ascanio; hierauf Colonna und Savelli. Ein glänzendes Gefolge von Rittern und Leibwachen umgab ihn. Vorauf zogen einige tausend Schweizer und Deutsche, herrliches Fußvolk mit breiten Schwertern und langen Lanzen, in kurzen, engen und bunten Kleidern. Es folgten 5000 Gascogner, fast alle Bogenschützen, dunkle, kleine Menschen; sodann die schwer gepanzerte Reiterei, unter ihr die Blüte des französischen Adels, 5000 Pferde stark. Was die größte Bewunderung erregte, war die Artillerie: 36 Kanonen aus Bronze, jede acht Fuß lang und 6000 Pfund schwer, auf Wagengestellen, außerdem Feldschlangen und kleineres Geschütz. Der Anblick dieser Kriegerscharen, welche noch bei Fackellicht durch Rom zogen, flößte Schrecken ein, zumal die flackernde Beleuchtung Männer, Pferde und Geschütz über ihr natürliches Maß größer erscheinen ließ. Die Via Lata, der heutige Corso, war bis S. Marco hin durch Laternen und angezündete Feuer erleuchtet. Das bestürzte Volk rief: »Francia! Francia! Colonna und Vincula!«
Der König nahm seine Residenz im Palast S. Marco, der damaligen Wohnung des Kardinals Lorenzo Cibo, Erzbischofs von Benevent, welcher ihm entgegeneilte, als er abstieg, und ihn in die für ihn zugerüsteten Gemächer geleitete. Artillerie wurde um den Palast aufgefahren. 2000 Reiter besetzten Campo di Flore. Andere Truppen verteilten sich in der Stadt, deren wichtigste Punkte einzunehmen.
Der Einzug eines französischen Königs mit einem Kriegsheer war in den Annalen der Stadt ein beispielloses Ereignis. Man fürchtete den Umsturz alles Bestehenden, selbst die Plünderung Roms. Viele Bürger vergruben ihr kostbares Gut. Man fragte, was jetzt der Papst tun, der König mit ihm beginnen werde? Von Schuldbewußtsein erfüllt, saß Alexander von einigen Kardinälen umgeben im Vatikan, dessen Zugänge die Engelsburg deckte, während seine ganze Macht im Borgo nur aus 1000 Reitern und einigem Fußvolk bestand. Er blickte von dort in den Feuerschein der nächtlichen Straßen, hörte das Getöse der hin und her marschierenden Truppen Frankreichs und zitterte vor dem schrecklichsten aller Gedanken, dem an ein Konzil, vor welches ihn, so hieß es, seine Gegner unfehlbar laden würden.
Zwei Tage nach dem Einzuge warteten dem Könige Cesare Borgia und die anderen Kardinäle auf, mit Ausnahme Orsinis und Caraffas. Er empfing sie ohne Ehren. Man unterhandelte über die Grundlage eines Vertrags, wozu der Papst Carvajal, Pallavicini und Riario bevollmächtigte. Mit Kunst zu retten, was zu retten war, den Thron sich zu sichern, den Sturm von sich zu entfernen, und endlich den König zu überlisten: dies war jetzt die Aufgabe Rodrigo Borgias. Er befand sich in dem gefährlichsten Augenblick seines Lebens: ein Gefangener des mächtigsten Fürsten, dessen Geschütz die Engelsburg in wenigen Stunden zermalmen konnte: der Gegenstand des Hasses wütender Feinde, die den König umringten, während dessen Absicht noch ein Geheimnis war.
Die Kardinäle der Opposition, Julian, Gurk, Sanseverino, S. Denis, Savelli, Colonna und Ascanio bestürmten Karl, sich zum Reformator der Kirche aufzuwerfen, den Papst durch Prozeß abzusetzen, einen würdigen Mann auf den Heiligen Stuhl zu erheben. Bereits war das Dekret seiner Absetzung im Entwurf verfaßt worden. Ascanio, der Urheber der Wahl Borgias, jetzt sein erbitterter Feind, machte sich wohl Hoffnung, sein Nachfolger zu werden. Wenn Karl der VIII. der Opposition gefolgt wäre, so würde er eine größere Umwälzung in der Kirche hervorgerufen haben, als sie sein Kriegszug in Italien erzeugte. Den allerchristlichsten König schien eine höhere Hand nach Rom geführt zu haben, die verderbte Kurie zu reformieren, und sicherlich würde ihm die Welt, der man diese Reform vorenthielt, bereitwillig jene Diktatur eingeräumt haben, welche einst große Sachsen- und Frankenkaiser zum Wohle der Christenheit ausgeübt hatten. Es lag vollkommen in seiner Macht, die Kirche von Alexander VI. zu befreien, und nie würde die geschichtliche Gestalt eines Cesare Borgia sichtbar geworden sein, wenn Karl VIII. im Jahre 1495 eines großen Entschlusses fähig gewesen wäre. Aber vermochte dies ein so junger und unbedeutender Mensch, der nur an den eiteln Ruhm kriegerischer Eroberungen dachte? Sein Vertrauter Brissonet war durch das Versprechen des Kardinalshutes für Alexander gewonnen: der König lehnte die Aufforderungen der Opposition ab; er begnügte sich, vom Papst einen günstigen Vertrag zu erzwingen, und dies war die Rettung des Borgia.
Gewalttätigkeiten der Franzosen in der Stadt bewogen Alexander, am 6. Januar in die Engelsburg zu ziehen, wohin ihm die Kardinäle Caraffa, S. Anastasia, Monreale, Orsini und Cesare folgten. Dieses Kastell war von spanischen Söldnern besetzt; aber seine Mauern waren schwach; ein Stück davon stürzte kurz vor dem Einzuge des Papstes ein. Als sich solcher Sturz bald darauf wiederholte, erblickten die Feinde des Papstes darin eine himmlische Schickung.
Obwohl die Römer nichts von Verteidigung hatten wissen wollen, regte sich doch ihr Nationalgefühl, als sie einen fremden König in ihrer Stadt als Gebieter schalten sahen. Sie blickten mit Haß auf die übermütigen »Barbaren«. Franzosen nahmen gewaltsam Häuser von Bürgern in Besitz; sie plünderten schon am 3. Januar Wohnungen reicher Prälaten. Man erwürgte Römer, und Römer erdolchten wiederum Franzosen. Das französische Militärkommando ließ Galgen auf Campo di Flore aufrichten und einige Plünderer wie Römer henken. Am 8. Januar drangen Kriegsknechte in das Haus des Paul de Branca, dessen zwei Söhne sie töteten. Gascogner und Schweizer stürmten die Bank, wo Marcus Mattei erstochen wurde. Zur tiefsten Beschämung des Papstes plünderte man selbst den Palast Vanozzas, der Mutter seiner eigenen Kinder, welcher auf dem Platz Branca gelegen war.
Karl forderte die Übergabe der Engelsburg, der Papst verweigerte sie. Mit den heiligsten Reliquien, so ließ er ihm sagen, will ich mich auf die Mauer des Kastells stellen, wenn man es angreifen sollte. Zweimal ließ der König Artillerie auffahren, ohne jedoch einen Schuß abzufeuern. Wenn Alexander die Engelsburg geöffnet hätte, so würde er sich wehrlos in die Hände seines Feindes gegeben haben; er bestand daher darauf, daß Karl auf ihre Besetzung verzichte.
Der König unterhandelte fortdauernd wegen des Vertrages, während er im Palast S. Marco glänzend Hof hielt, wo die prachtvollen Säle stets von römischen Großen und Kardinälen erfüllt waren. Täglich machte dort auch der jammervolle Piero Medici seine Aufwartung. Am 13. Januar zeigte Karl VIII. sich zum erstenmal öffentlich in Rom. Von seinen Garden begleitet, ritt er oft durch die Stadt, Kirchen und Monumente zu besichtigen. Aus katholischer Religiosität besuchte er an jedem Tage eine der sieben Kirchen, Messe zu hören und Reliquien sich zeigen zu lassen. Aber die Hartnäckigkeit Alexanders versetzte die Franzosen in Ungeduld und Wut: am 13. Januar plünderte man Rom an vielen Orten; die Synagoge der Juden wurde zerstört.
Endlich kam am 15. Januar folgender Vertrag zum Abschluß: Alexander verpflichtete sich, Terracina, Civitavecchia, Viterbo und Spoleto an Karl auszuliefern, im Kirchenstaat nur ihm genehme Rektoren einzusetzen, ihm den Prinzen Djem zu übergeben, den französisch gesinnten Kardinälen und Großen Amnestie zu erteilen. Der Kardinal Cesare Borgia sollte den König als Legat auf vier Monate begleiten; Ostia dem Kardinal Julian zurückgegeben werden, die Engelsburg von den Päpstlichen besetzt bleiben.
Dieser Vertrag, zu gewaltsam, um haltbar zu sein, machte Karl VIII. zum Herrn des Kirchenstaates, aber er befreite Alexander aus seiner dringendsten Gefahr, denn feierlich versprach der König, ihn als Papst anzuerkennen und in allen seinen Rechten zu schützen. Die Kardinäle der Opposition waren tief erbittert. Voll Unmut verließen Ascanio und Lunate Rom, sich nach Mailand zu begeben. Die andern blieben widerwillig, um sich nicht vom Könige zu trennen.
Am 16. Januar fand nach vorher festgesetzter Form die erste Zusammenkunft des Königs und Papstes statt. Als sich dieser aus dem Kastell tragen ließ, erschien jener wie durch Zufall im Garten, wo der bedeckte Gang beginnt. Der Papst eilte beim dritten Kniefall des Königs auf ihn zu und umarmte ihn. Beide bedeckten ihre Häupter zu gleicher Zeit, dann gingen sie nach dem Vatikan. Der schlaue Borgia konnte mit Hohn auf den jungen Monarchen blicken, in dessen Gewalt das Papsttum, Rom und Italien sich befanden, und der aus seiner wahrhaft kaiserlichen Stellung so geringen Vorteil zog. Karl wünschte den roten Hut für Briconnet, und sofort setzte der Papst ihn diesem Günstlinge auf. Mit Genugtuung sah er dann am 19. Januar den Eroberer Italiens im Konsistorium zur Obedienz erscheinen, welche er bisher verweigert hatte. Der König küßte ihm Hand und Fuß und sprach die vorgeschriebenen Worte: »Ich bin gekommen, Euer Heiligkeit Gehorsam und Ehrfurcht zu leisten, wie das meine Vorgänger, die Könige Frankreichs, zu tun gewohnt gewesen sind.« Worauf dies der Präsident von Paris noch dahin erläuterte, daß der allerchristlichste König gekommen sei, den Papst als den Vikar Christi und Nachfolger des Apostelfürsten anzuerkennen und zu verehren.
Als zur Feier dieser Versöhnung Alexander am folgenden Tage die Messe im S. Peter las, reichte ihm der König das Weihwasser, und er nahm dann seinen bescheidenen Platz nach dem ersten Kardinalbischof ein. Er verrichtete die lächerlichen Mirakel des königlichen Hauses von Frankreich in der Kapelle S. Petronilla, und erstaunt sahen ihm die Römer zu: vielleicht verwundert, daß der große Monarch nur ihre Kröpfe, nicht die Schäden ihrer Kirche heilen wollte. Am 21. Januar gab Alexander auch dem Vetter des Königs, Philipp von Luxemburg, den Kardinalshut. Am 25. Januar ritt er mit dem Könige öffentlich durch Rom. Beide stellten so ihr inniges Bündnis zur Schau; doch keiner traute dem andern. Die Ghibellinen aber murrten. Als der Kardinal von Gurk die vertragsmäßige Absolution vom Papst holte, scheute er sich nicht, ihm in Gegenwart der Kardinäle Orsini und Riario seine erkaufte Wahl, seine Laster und die verräterische Verbindung mit den Türken vorzuwerfen.
Nur eins konnte Karl VIII. nicht erreichen: die Investitur Neapels, welche ihm der Papst verweigerte. Er war ungeduldig, nach dem Königreich aufzubrechen, wohin er bereits Truppen unter Fabrizio Colonna und Robert de Lenoncourt vorausgeschickt hatte, um die Abruzzen zum Aufstande zu bringen. Er träumte noch von einem Kriegszuge gegen Konstantinopel; die Rechte auf das Kaisertum des Ostens seien, so erklärte er, vom letzten Kaiser an die Krone Frankreichs übergegangen. Der byzantinische Kaiser Andreas lebte nämlich noch in kümmerlichen Verhältnissen in Rom, und hier hatte er am 6. September 1494 vor dem Kardinal Gurk seine Rechte auf Byzanz dem Könige Karl urkundlich abgetreten. Man erwartete wirklich den Kreuzzug Karls; man ermunterte ihn dazu durch Gedichte in Rom. Am Tage seines Abmarsches wurde ihm Djem in S. Marco ausgeliefert. Dort hörte er die Messe, speiste beim Papst und verabschiedete sich.
Er verließ Rom am 28. Januar 1495 auf derselben lateinischen Straße, auf welcher 229 Jahre früher Karl von Anjou gegen Manfred, den Sohn Kaiser Friedrich II., ausgezogen war, und wie damals, war auch jetzt der Frühling frühzeitig eingetreten. Jetzt, wie damals erschien das Unternehmen tollkühn und abenteuerlich. Es galt ein wohlgerüstetes Reich zu erobern, während sich im Rücken in jedem Augenblick offene und versteckte Feinde erheben konnten. Seit der Eroberung Otrantos hielt man Alfonso für den ersten Kriegskapitan Italiens; man glaubte ihn unermeßlich reich; und in der Tat waren die Festungen des Landes trefflich versorgt und zahlreiche Truppen in Sold genommen. Aber auch im Jahre 1495 zeigte sich die Macht Neapels nur als schreckliche Larve. Die Tyrannei erntete ihre blutige Saat.
Schon als Karl VIII. in Rom eingerückt, der Prinz von Calabrien über den Liris zurückgekehrt war, geriet das ganze Land in Gärung. Kaum erschienen die ersten Franzosen in den Abruzzen, so zog Aquila die Fahne Frankreichs auf und es erhob sich überall die Partei Anjou. Alfonso versank im Schloß zu Neapel in düstere Verzweiflung. Wenn nachts die Wellen des Meeres rauschten, glaubte er, daß sie ihm zuriefen: »Frankreich! Frankreich!« Die Bäume, die Steine, jedes Ding schienen ihm nur diesen einen Namen ins Ohr zu schreien. Erdrückt von der Last seiner Frevel und des Hasses seiner Untertanen legte der feige Despot am 23. Januar die Krone nieder. Seinen schuldlosen Sohn Ferrantino ließ er durch die Stadt reiten, ihn zum Könige ausrufen; denn dazu hatte ihm auch der Papst geraten. Dann segelte er mit seinen Schätzen nach Sizilien, um seine Schande in einem Kloster zu verbergen.
Karl vernahm diesen Thronwechsel in seinem ersten Nachtquartier zu Marino, und dorthin war ihm Cesare Borgia nachgefolgt, dem Titel nach Legat des Papstes, in Wirklichkeit Geisel für die Treue seines Vaters. Der junge Kardinal legte schon in Velletri die erste Probe von dem ab, was er in der Zukunft zu sein versprach. Nachts hüllte er sich in die Kleider eines Stallknechts, warf sich auf ein Pferd und jagte nach Rom zurück. Am Morgen des 30. Januar meldete man dem Papst, daß der Kardinal im Hause des Auditor Antonio Flores sich versteckt halte, und der Vater konnte mit dem Beweise der Tüchtigkeit seines Lieblingssohnes zufrieden sein. Vom Rom brachte sich Cesare erst nach Rignano und dann nach Spoleto in Sicherheit, während der Papst behauptete, nichts von ihm zu wissen. Jetzt erkannte der König, daß ihn der Papst hintergehe; sollte er umkehren, oder nur Truppen nach Rom schicken, um einen flüchtigen Kardinal aus Rom zurückzuholen? Er sandte Philipp von Bresse, vom Papst Rechenschaft zu fordern, und Alexander schickte mit Entschuldigungen zu ihm den Bischof von Nepi. Auch Gesandte der römischen Bürgerschaft eilten in das Lager des Königs, ihm zu erklären, daß die Stadt an diesem Vertragsbruche schuldlos sei.
In Velletri protestierten die spanischen Botschafter Juan Albion und Fonseca gegen die gewaltsame Unternehmung, zu welcher Ferdinand der Katholische im Frieden zu Barcelona nicht seine Zustimmung gegeben habe. Es fand eine heftige Szene statt: vor den Augen des Königs zerriß Fonseca jenen Friedensvertrag. Aber Karl setzte seinen Marsch fort. Nirgends hielt ihn ein Feind auf. Nur Montesortino, ein Kastell der Conti, erstürmte Angilbert von Cleve, Kapitän der deutschen Söldner. Dies geschah aus Gunst gegen die Colonna, deren Feinde die Conti waren; auch hatte Jacobus Conti Dienste in Neapel genommen. Die Besatzung des Ortes wurde niedergemacht. Da Monte S. Giovanni das gleiche Schicksal erlitt, verbreitete diese Barbarei Schrecken in allen Städten des Grenzlandes. Die Neapolitaner unter Trivulzio und Pitigliano wichen aus S. Germano nach Capua, wo sich der junge König Ferdinand zu halten hoffte. Als ihn jedoch ein Aufstand in Neapel zwang, dorthin zu eilen, unterhandelte Trivulzio mit Karl und öffnete ihm Capua. Dirginius und Pitigliano ergaben sich dem Feinde in Nola, und der zu spät nach Capua zurückkehrende Ferdinand mußte nach Neapel umkehren, wo er sich verloren sah. Am 21. Februar ging er zu Schiff nach Ischia, am 22. zog Karl VIII. unter dem Jubelruf des Volkes in die Hauptstadt des Königreichs ein. Nur die Schlösser Neapels widerstanden noch eine Weile, bis auch sie sich ergaben.
Mit Sporen von Holz, so sagte Alexander VI., haben die Franzosen Italien erobert und mit der Kreide in der Hand, ihre Quartiere damit zu bezeichnen, ohne andere Mühe als dies. Man verglich den König Frankreichs mit Alexander und Cäsar. Als er sich im Castel Capuano auf dem Thron der Anjou und Aragon niederließ, mußte er sich als der größte Monarch der Zeit erscheinen. Sein Kreuzzug nach Asien konnte jetzt ausgeführt werden, wie die edelsten Franzosen es hofften. Schon ergriff Furcht den Sultan Bajazet, denn er wußte seinen Bruder in der Gewalt des Königs Karl; aber der unglückliche Djem starb am 25. Dezember, nachdem er kaum Neapel betreten hatte. Der König befahl, seinen Tod geheimzuhalten. Man sagte sofort, daß ihm auf Befehl Alexanders Gift in einem weißen Pulver gegeben worden sei.
Karl empfing die Huldigungen des feilen Adels und Volks von Neapel und selbst der nahen Verwandten der vertriebenen Dynastie. Mit Ausnahme weniger Seestädte gehorchten ihm alle Lande des Königreichs. Er forderte jetzt die Investitur und Krönung von Alexander VI., und da sie der Papst verweigerte, hielt er am 12. Mai einen feierlichen Zug nach dem Dom S. Januarius.
Aber während er von seinem Glück berauscht sich in die Lüste Neapels versenkte, zog sich hinter ihm ein Sturm zusammen. Alle Mächte waren durch seine Eroberung tief erschreckt. Der Papst, Venedig, Ludovico, welchen die Ansprüche der Orleans auf Mailand beunruhigten, verständigten sich in der gemeinsamen Gefahr. Der König von Spanien fürchtete für Sizilien, wohin er Consalvo mit Truppen abgeschickt hatte, und auch Maximilian konnte nicht zugeben, daß Frankreich mit dem Besitze Italiens die Vorherrschaft in Europa an sich riß. Alle diese Mächte hielten einen Kongreß in Venedig, und dort schlossen sie am 31. März 1495 die große Liga zur Verteidigung ihrer Staaten. Der Türkenkrieg war der Vorwand dazu, der wirkliche in geheimen Artikeln ausgesprochene Zweck die Bekämpfung des französischen Eroberers. Mit diesem Mächtebund begann die Geschichte des neuen Europa.
Jetzt mußte Karl seinen Rückzug antreten. Montpensier machte er zum Vizekönig von Neapel, Aubigny zum Generalissimus in Calabrien; mit dem Rest des Heeres brach er am 20. Mai auf, begleitet von Trivulzio, der jetzt in seinen Diensten stand, und von den Kardinälen Julian, S. Denis, Fieschi und S. Malò. 20 000 Maultiere schleppten die Beute Neapels mit sich fort, darunter auch Kunstschätze, welche der König geraubt hatte. Es war in diesem unglücklichen Neapel, wie in Italien überhaupt, wo die Franzosen den Geist der Renaissance kennen lernten; die feine Bildung der Italiener wirkte seitdem auch auf Frankreich ein. Noch vor seinem Abmarsch hatte Karl den Grafen S. Paul nach Rom geschickt, mit dem Papst zu unterhandeln; aber trotz der dringenden Bitten der Römer, in der Stadt zu bleiben, da sie ihn in der Engelsburg verteidigen wollten, entwich Alexander schon am. 27. Mai, einen Tag nach der Ankunft des Königs in Ceprano. Den Abzug aus Rom hatte ihm Maximilian schon im März dringend angeraten. Fast zehntausend Mann, Truppen der Liga und der Kirche, begleiteten ihn nach Orvieto; es folgten ihm alle Gesandten und Kardinäle, nur John Morton von S. Anastasia blieb als Vikar in der Stadt zurück.
Montags am 1. Juni rückte Karl VIII. wieder in Rom ein, wo er dem Befehle Alexanders gemäß mit großen Ehren aufgenommen wurde. Die Konservatoren schickten ihm Abgeordnete entgegen, ihn im Namen des Papstes zu begrüßen, dann holte ihn der Magistrat und zahlloses Volk ein. Er ritt nach dem S. Peter, wo er betete. Im Vatikan zu wohnen lehnte er ab und bezog den Palast des Kardinals S. Clemente im Borgo, wo heute das Kollegium der Pönitenziare von S. Peter seinen Sitz hat. Obwohl er alle Ursache hatte, Rom feindlich zu behandeln und gegen den wortbrüchigen Papst einzuschreiten, tat er das nicht. Seine Truppen hielten diesmal sogar bessere Ordnung, zumal alle Spanier die Stadt verlassen hatten. Am Mittwoch kamen wichtige Depeschen von Mailand, worauf Karl sofort nach Isola abzog. Es begleiteten ihn Fabrizio und Prospero Colonna. Er nächtigte in Campagnano, dem Schlosse des Virginius Orsini, dann rückte er weiter nach Viterbo. Den Papst forderte er zu einer Zusammenkunft auf; er gab ihm sogar die Burgen zurück, welche er vertragsmäßig besetzt hatte, nur Ostia überlieferte er später dem Kardinal Julian. Aber Alexander wich jeder Begegnung mit dem Könige aus und begab sich am 5. Juni von Orvieto nach Perugia.
Die weiterziehenden Franzosen plünderten Toskanella, wo sie die Bevölkerung niedermetzelten; dann kam Karl am 13. Juni nach Siena und ging von dort nach Pisa. Mit lautem Wehgeschrei flehten ihn die Pisaner an, sie nicht an Florenz für Geld auszuliefern; er entschied sich nicht. Florenz vermied er. Diese Stadt, erbittert, daß er Piero Medici in seinem Lager empfangen und ihr weder Pisa noch andere Festungen zurückgegeben hatte, verschanzte sich bei seinem Nahen und nahm selbst venetianische Truppen auf. Ihre Gesandten unterhandelten mit Karl. Savonarola trat ihm in Poggibonzi entgegen, wo er ihn bitter tadelte, daß er den Florentinern die Treue gebrochen und die Welt um die von ihm erwartete Reform der Kirche getäuscht habe.
Mit tiefer Aufregung blickten die Italiener auf den Rückzug des Königs, der mit verächtlicher Sorglosigkeit die Straße seines Siegeszuges zurückmaß, während sich die Armee der Liga im Norden zusammenzog, um ihm diesen Rückzug abzuschneiden. Wenn sich diese rasch und mit aller Macht ihm entgegenwarf, so würde Vernichtung oder Gefangenschaft die gerechte Strafe des frechen Eindringlings geworden sein und Italien durch eine unsterbliche Nationaltat seine Ehre, ja seine Unabhängigkeit wiederhergestellt haben. In der Geschichte dieses Landes gab es nur wenige Momente von so entscheidender Wichtigkeit wie diesen, doch leider ging der große Augenblick durch Furchtsamkeit, Eifersucht und Ungeschick verloren.
Karl suchte Asti und die Armee Orleans zu erreichen, welcher die mailändische Stadt Novara überrumpelt und dadurch Ludovico Sforza genötigt hatte, Truppen zu deren Belagerung abzuschicken. Man ließ den König durch die Pässe bei Pontremoli ziehen, und erst am Taro bei Fornuovo sperrte ihm das verschanzte Lager der Verbündeten unter ihrem Feldhauptmann Gian-Francesco Gonzaga von Mantua den Weg.
Dieses Heer war dem Karls weit überlegen, denn die erschöpfte französische Armee zählte wenig mehr als 10 000 Mann. Im Kern war schweizerisches und deutsches Fußvolk, und mit der Kraft unseres zersplitterten Vaterlandes fochten fortan die Könige Frankreichs hauptsächlich ihre Kriege aus. Die berühmte Schlacht am Taro, am 6. Juli 1495, dauerte kaum eine Stunde. Beide Teile schrieben sich den Sieg zu; aber mehr Italiener als Franzosen bedeckten das Feld, und obwohl diese ihr Gepäck verloren, durchbrachen sie doch die ausgespannten Netze der Feinde. Sie erstürmten deren Stellung und jagten sie in die Flucht. Karl selbst focht wie ein gemeiner Soldat; auf seinem italienischen Feldzuge pflückte er nur am Taro den Lorbeer, den er nach Frankreich mit sich nahm. Die Italiener hatten nach langer Zeit wieder eine Nationalschlacht geschlagen, deren Gegenstand ihre eigene Befreiung von der Fremdherrschaft war; sie hatten tapfer gekämpft, doch nicht den gehofften Erfolg errungen, und dies entschied ihr Schicksal für die Zukunft. Glücklich und wie durch ein Wunder entronnen, erreichte Karl VIII. Piacenza und Asti.
Als sich die Sturmwolke nordwärts verzog, kehrte auch Alexander am 27. Juni nach Rom zurück. Auf Betreiben des venetianischen Botschafters Geronimo Zorzi fand er erst jetzt den Mut, ein Monitorium, ein Mahnschreiben, an den König von Frankreich zu erlassen, worin er ihn unter Androhung von Kirchenstrafen aufforderte, von jedem ferneren Angriff auf Italien abzustehen. Unterdessen belagerte die Bundesarmee den Herzog von Orleans in Novara, während Karl sich in Turin befand, und hier gelang es ihm, Ludovico Sforza von der Liga abzuziehen, indem er mit ihm am 9. Oktober den Separatfrieden von Vercelli schloß. Ludovico kam dadurch wieder in den Besitz Novaras, erlaubte aber dem Könige, Schiffe in Genua auszurüsten, ja er versprach, ihn in seinem nächsten Kriege wider Neapel zu unterstützen. Diesen Vertrag schloß Sforza ohne Wissen der Bundesgenossen; Venedig verwarf die angebotenen Artikel und der König die Bedingungen der Republik. Er selbst kehrte nach Frankreich zurück mit vielem Ruhm, mit wenigem Gewinn; denn seine Armee fand in Neapel den traurigsten Untergang.
Gleich nach seinem Abzuge war Ferdinand II. aus Messina in sein Königreich zurückgekehrt, wo sich die übermütigen Franzosen allgemein verhaßt gemacht hatten. Die Hilfe Spaniens hatte er schon in Sizilien nachgesucht, und Ferdinand der Katholische sie mit Freuden bewilligt; denn er selbst beanspruchte als Sohn Juans von Aragon, des Bruders Alfonsos I., den neapolitanischen Thron. Er schickte seinen großen General Consalvo mit Truppen nach Calabrien; auch das zu Hilfe gerufene Venedig nahm begierig einige Städte an der Meeresküste in Besitz.
Schon am 7. Juli 1495 konnte Ferdinand II. in Neapel einziehen. Prospero und Fabrizio, jetzt in seinem Solde, und Truppen des Papstes befestigten ihn dort, während Montpensier und Aubigny eine Stellung nach der anderen verloren. Jener ergab sich endlich in Atella, worauf er zu Pozzuoli am 5. Oktober 1496 starb; Aubigny aber verließ einer Abkunft gemäß im November Gaeta, um sich nach Frankreich einzuschiffen. Fast alle Franzosen hatten im Königreich Neapel ihr Grab gefunden.
Der junge Ferdinand II. genoß nur kurze Zeit sein unsicheres Glück; er starb kinderlos am 7. Oktober 1496, worauf sein edler, hochbegabter Oheim Don Federigo Graf von Altamura den Thron bestieg. Alfonso würde unter diesen Verhältnissen wohl die Regierung wieder beansprucht haben, doch schon am 10. November 1495 war er zu Mazzara gestorben.
So zerrann die ruchlose Eroberung Karls VIII. in nichts. Als ihr Niederschlag blieb jene furchtbare Lustseuche zurück, welche den Namen der Franzosenkrankheit erhielt, und sich pestartig über Europa verbreitete. Man wollte freilich wissen, daß sie aus den Paradiesen der nackten Wilden Amerikas herübergekommen war; aber tatsächlich erschien die Lues in Italien und andern Ländern gerade in der Zeit der tiefsten sittlichen Verderbnis und als deren physischer Ausdruck.
Auch in einer der schrecklichsten Tiberüberschwemmungen, welche Rom jemals erlitt, erblickte man den Zorn des Himmels. Der Fluß trat am 4. Dezember 1495 mit solcher Gewalt aus, daß er die untere Stadt durchflutete. Die Kardinäle, welche eben aus dem Konsistorium kamen, retteten sich mit Mühe über die Engelsbrücke; der Kardinal von Parma konnte nicht mehr sein Haus erreichen. Der Strom riß Paläste ein, drang in die Kirchen, wogte durch die Straßen. Man fuhr hier auf Barken, wie in den Lagunen Venedigs. Viele Menschen ertranken; die Gefangenen in Tor di Nona konnten nicht gerettet werden. Der Schaden wurde auf 300 000 Dukaten berechnet, und Briefe venetianischer Augenzeugen sagten, daß Rom sich davon nicht in 25 Jahren erholen werde. Noch heute sieht man an der Ecke eines Hauses bei S. Eustachio die marmorne Inschrift, welche die Fluthöhe jener Überschwemmung angibt.