Ferdinand Gregorovius
Athenaïs
Ferdinand Gregorovius

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XXXI.

Wenn der Kirchenvater Hieronymus in Palästina den ersten Fall Roms unter die Gothen mit heißen Tränen beweint hatte, so mußte 45 Jahre später der Schmerz Eudokias in demselben Jerusalem über den zweiten Fall der Weltstadt noch verzweifelter sein, denn ihre Verluste waren persönliche. Die Schreckenskunde aus Rom von der Ermordung ihres Schwiegersohnes, des Kaisers, von der Schmach und der Gefangenschaft ihrer einzigen Tochter, der Kaiserin, und ihrer beiden Enkelinnen erschütterten ihre Seele und beugten sie nieder. Die Priester aber eilten, aus ihrem Gram einen dogmatischen Vorteil für die orthodoxe Kirche zu ziehen, indem sie ihn als Bresche benutzten, um in die Ueberzeugung und das Gewissen Eudokias einzudringen.

Sie stellten ihr vor, daß die Zertrümmerung des Glückes ihrer erlauchten Familie die Strafe des Himmels sei, für ihren hartnäckigen Widerstand gegen die Glaubenssätze des chalcedonischen Concils. Sie ermahnten sie, Gott durch den Uebertritt zum katholischen Bekenntniß zu versöhnen. Der Weihbischof Anastasius und andere Geistliche Jerusalems bestürmten sie so lange, bis sie erklärte, die Ansicht des berühmtesten Heiligen jener Zeit über die Wahrheit oder den Irrtum ihres monophysitischen Glaubens einzuholen.

Dieser Prophet war kein geringerer Mann als Simon Stilites, das Ideal aller Heiligkeit, aber auch alles mönchischen Wahnsinns in der Selbstkasteiung. Als Schäferknabe zu Susan in Cilicien hatte er, einem innern Rufe folgend, das Einsiedlerleben erwählt, und nach vielen peinvollen Lehrjahren in der Kunst der Asketen die unbestrittene Meisterschaft erlangt. Um sich den seiner Seele gefährlichen Huldigungen der zahllosen Menschen zu entziehen, welche aus Syrien, Persien und Armenien, aus den griechischen und römischen Ländern und von den Grenzen der Barbarei zu ihm strömten, sein Angesicht zu sehen, seine Kleider zu berühren und seinen Segen zu empfangen, hatte er sich den sonderbarsten aller Zufluchtsorte ausgedacht.

Er erbaute sich eine Säule, darauf zu leben, erst sechs Ellen hoch, dann eine immer höhere. Er verließ diesen gefährlichen Standpunkt nicht mehr, denn dort glaubte er dem Himmel näher zu sein und die Sprache der Engel zu vernehmen. Mit einer die Grenzen der Natur verhöhnenden gymnastischen Geschicklichkeit hatte er es zu Stande gebracht, nicht allein auf dem Gipfel der Säule aufrecht stehen zu bleiben, sondern die Nächte hindurch betend, mit zu den Sternen erhobenen Händen, anzudauern, oder am Tage zahllose Verbeugungen vom Kopf bis zu den Füßen herabwärts auszuführen.

Es erlöst uns fast von eigener Pein, wenn wir erfahren, daß Simon doch bisweilen seine Haltung änderte, indem er seine Gebete auch liegend verrichtete. Dies versichert wenigstens sein Biograph, derselbe ausgezeichnete Bischof Theodoret von Cyrus, welcher in den nestorianischen und monophysitischen Kämpfen namhaft geworden ist.Vita S. Simeonis conscripta per Theodoretum Ep. Cyrensem, beim Surius zum 5. Januar; und das Capitel über ihn bei Evagrius, I, c. 13.

Noch tröstlicher ist, was Evagrius berichtet, daß Simon sich ein Häuschen auf der Säule erbaut hatte; aber dies mag nur der erste schüchterne Versuch des Heiligen in seiner schwindelerregenden Kunst gewesen sein.

Der Mann der Luft stand endlich auf einer sechsunddreißig oder vierzig Ellen hohen Säule als sein eigenes lebendiges Standbild fest. Er fühlte sich dort glücklich und frei, und Niemand hat ein Recht ihn zu verhöhnen, wenn er aus seiner Höhe mit Verachtung auf die Nebel, die Laster und Eitelkeiten der Welt tief unter ihm herabsah, in welcher von tausend größeren Narren als er ein jeder auf einer Trajanssäule zu stehen glaubt. Mit Recht wurde er dort von den Pilgern des Morgen- und Abendlands als ein Wunder angestaunt. Denn sein Ruf drang über alle Länder der Welt, und Theodoret verglich den Säulenheiligen mit einer brennenden Kerze, welche auf einem hohen Kandelaber aufgestellt, ihre Stralen, wie die Sonne, in alle Erdteile versendete.Illustris lucerna tanquam super candelabrum posita.

Sein Einfluß auf die kirchlichen Angelegenheiten seiner Zeit war so groß, wie nur immer im Mittelalter derjenige des Franciscus, Dominicus oder des Abtes von Clairvaux hat sein können. Die angesehensten Personen suchten seine Vermittlung nach. Es gibt sogar einen Brief Theodosius II. an ihn, worin der Kaiser den Gebeten des Säulenmannes die Versöhnung der hadernden Parteien in der Kirche, namentlich des Johannes von Antiochia mit dem Bischof Cyrillus in aller Ehrerbietung anempfiehlt.Der Brief bei Labbé, Concil. III, 979. Denselben Kaiser, welcher um der Gerechtigkeit willen den Juden in Antiochia die ihnen von den Christen entzogenen Synagogen herzustellen befohlen hatte, bewog Simon durch einen Brief diese Vergünstigung wieder zurückzunehmen.

Der Wunderthäter hatte seinen Standort in der Nähe jener großen Stadt, und dorthin schickte die Kaiserin-Wittwe Boten, um ihn wegen ihrer Zweifel um Rat zu fragen. Wie Simon von seiner luftigen Höhe herab sich mit den Gesandten Eudokias unterreden konnte, ist nicht leicht begreiflich. Man darf vermuten, daß die Säule des Heiligen, welche von Holz gezimmert sein mochte, einen Zugang und vielleicht eine Treppe im Innern hatte, wie die Trajanssäule in Rom.

Simon las das eigenhändige Schreiben Eudokias und er ließ sich herab, dasselbe eigenhändig zu beantworten. Sein kostbarer Brief in griechischer Sprache ist uns aufbewahrt und lautet so:

»Wisse, o Tochter, daß der Teufel, welcher von dem Schatz Deiner Tugenden Kenntniß hat, Dich heimsucht, um diese wie Weizen zu sichten. Der verderbliche Theodosius, das Werkzeug all jenes Uebels, hat über Deine Gott liebende Seele Finsterniß ausgegossen und sie in Verwirrung gebracht. Doch vertraue. Denn Dein Glaube wird nicht untergehen. Aber ich wundere mich sehr, daß Du so weit herkommst Wasser zu suchen, und doch die Quelle in Deiner eigenen Nähe hast, ohne sie zu kennen. Ich meine den göttlichen Mann Euthymius. Folge dessen Weisung und Gebot, und Du wirst gerettet sein.«Der Brief bei Nicephorus, XIV, c. 13. Die Vitae des Simon Stilites und des Abts Euthymius sind die zeitgenössischen Quellen für diese Episode aus dem Leben Eudokias.

Euthymius, ein uralter, eisgrauer Seher in der Wüste, war der größeste Wunderthäter Palästinas, und unter den Einsiedlern dort der einzige, welcher von den monophysitischen Ketzereien rein geblieben war und die Usurpation des Theodosius verdammt hatte. Er lebte sechs Millien entfernt von Jerusalem in seiner Laura. Abwechselnd brachte er seine einsamen Tage auch in einem hölzernen Turme dreißig Stadien weit von jenem Kloster auf einem Hügel zu, und diesen Turm soll Eudokia selbst in der Wüste Ruban gebaut haben, um sich mit dem frommen Greise ungestört unterreden zu können.Vita S. Euthymii, p. 470. Tillemont, Mem. Eccl., XV, 779 fg.

Euthymius überzeugte die Kaiserin endlich von ihrem dogmatischen Irrtum. Sie entschloß sich diesem zu entsagen, die Decrete der Synode zu Chalcedon und der andern ihr vorangegangenen ökumenischen Concile anzuerkennen, und mit dem Bischof Juvenalis zu communiciren. Ihr Uebertritt zur katholischen Kirche geschah im Jahre 456.Le Quien, Oriens christian., S. 168. Juvenalis starb im Jahre 458.


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