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Es war in dieser Zeit, daß Pulcheria eine Gemalin für ihren Bruder suchte. Die fromme Jungfrau war selbstverläugnend genug, sich vorzustellen, daß die Fortdauer der Dynastie seine baldige Vermälung nötig machte, auch wenn sie selbst dadurch in Gefahr kam, aus ihrer gebietenden Stellung durch eine Nebenbulerin verdrängt zu werden. Theodosius selber war heiratslustig geworden; er erklärte der Schwester, daß er eine Gattin aus kaiserlichem oder zum mindesten patricischem Geschlecht begehre, aber auf den Stammbaum keinen besondern Wert legen wolle, wenn die Auszuerwählende eine unbescholtene Jungfrau und von vollendeter Schönheit sei. Die byzantinischen Geschichtschreiber erzählen dies, um den Roman der Mißheirat mit einer nicht Ebenbürtigen durch diese menschlichen Ansichten des Kaisers vorzubereiten und zu erklären.
Pulcheria und Paulinus, der innigste Freund des Theodosius, hielten Musterung über die vornehme Frauenwelt Constantinopels und des Reichs, aber keiner ihrer Kundschafter fand die Gesuchte.
Nun traf es sich, daß nach Constantinopel kam mit ihren eigenen Verwandten ein Mädchen, sehr schön, hochgebildet, eine griechische Heidin, genannt Athenaïs, die Tochter des Philosophen Leontius aus Athen.Εν δὲ τω̃ μεταξὺ συνέβη ελθει̃ν εν Κων... μετὰ τω̃ν ιδίων συγγενω̃ν κόρην ευπρεπη̃, ελλόγιμον, ‛Ελλαδικὴν ονόματι ’Αθηναΐδα. – Malalas, und Chron. Paschale, welches hier statt Leontius Heraklitus schreibt. Sie suchte ihr Recht als eine von ihren Brüdern Enterbte, und fand bei einer Schwester ihres Vaters freundliche Aufnahme. Diese führte sie mit jener andern Tante, welche sie auf ihrer Reise nach Constantinopel begleitet hatte, in das Kaiserschloß zur Augusta Pulcheria. Ihr sollte Athenaïs eine Bittschrift überreichen und das von den Brüdern ihr widerfahrene Unrecht auseinandersetzen. Pulcheria sah mit Verwunderung die schöne Bittende, und sie hörte mit steigender Teilnahme ihrer Rede zu, welche sie in dem feinsten Griechisch mit wundervoller Beredsamkeit und Anmut vorzutragen wußte. Als sie von ihren Tanten vernommen hatte, daß Athenaïs die jungfräuliche Tochter eines athenischen Philosophen sei, befahl sie allen drei Frauen im Palast zu verbleiben. Sie nahm die Bittschrift, eilte zu ihrem Bruder und sagte ihm: Ich habe ein Mädchen gefunden, welches vollendet schön von Gestalt und Erscheinung ist, rein und fleckenlos und hoch gebildet, eine Hellenin und Philosophentochter.Ηυ̃ρον νεωτέραν πάνυ εύμορφον, καθαρίαν, εύστολον, ελλόγιμον... Malalas, XIV, 354. Das Chron. Paschale setzt noch andere Prädicate hinzu, wie schneeweiß, großäugig, goldblond u. s. w. Diese Worte reichten hin, die Phantasie des Theodosius zu entzünden. Er rief Paulinus herbei und bat Pulcheria, diesen und ihn selbst heimlich hinter einem Vorhange das Mädchen aus Athen sehen zu lassen. Als dies geschah, geriet Paulinus vor Bewunderung außer sich, und Theodosius wurde von so heftiger Liebe ergriffen, daß er sich mit der schönen Philosophentochter vermälte, nachdem er ihr die christliche Taufe und den Namen Eudokia hatte geben lassen.
Dies ist die älteste Gestalt der Erzählung von dem wunderbaren Glück der Athenaïs. Sie findet sich so im Chronicon Paschale, und außer sehr wenigen Abweichungen mit diesem vollkommen übereinstimmend in der Chronographie des Johannes Malalás. Da die Zeit, in welcher diese Geschichtswerke entstanden sind, nicht genau festzustellen ist, so mag es genügen zu wissen, daß ihre Anfänge nicht über das siebente Jahrhundert hinausreichen.Mau verlegt das Chron. Paschale in die erste Hälfte des 7., den Malalas in das 9. Jahrhundert. Aus Malalas sollen trotzdem Einschaltungen in das Chron. Paschale hinübergetragen sein. Prolegomena zur Bonner Ausgabe des Malalas von Dindorf. Bernhardy, I, 710, glaubt, daß der Kern solcher Kompositionen wie des Malalas und Chron. Paschale in das 10. Jahrhundert gehört.
Vor ihnen hat kein Byzantiner dies Ereigniß in gleicher Fassung erzählt. Zwei zeitgenössische Geschichtschreiber, Sozomenus und Sokrates, haben die Gemalin des Theodosius persönlich gekannt; beide haben ihre Kirchengeschichte im Jahre 439 vollendet, sie also geschrieben, als Athenaïs schon Kaiserin war. Aber Sozomenus hat ihrer weder im Text seines Werkes, noch in der wortreichen Zueignung desselben an Theodosius gedacht. Sokrates allein hat dies gethan, jedoch nur in ganz zufälliger Weise. Er spricht von ihrer Vermälung mit dem Kaiser bei Gelegenheit des von seinen Generalen über die Perser erfochtenen Sieges, zu dessen Verherrlichung auch die Kaiserin einen Panegyrikus verfaßte. »Denn sie war hochgelehrt; eine Tochter des Sophisten Leontius aus Athen, von ihrem Vater unterrichtet und in viele Wissenschaften eingeweiht. Als der Kaiser dieselbe heiraten wollte, machte sie der Bischof Attikus zur Christin, und er gab ihr in der Taufe statt des Namens Athenaïs den der Eudokia.«Er gebraucht hier dasselbe Wort ελλόγιμος, und das haben die andern Byzantiner von ihm. Καὶ δὴ καὶ η του̃ βασιλέως γαμετὴ ηρωικω̃ μέτρω ποιήματα έγραψεν. η̃ν γὰρ ελλόγιμος. Λεοντίου γὰρ του̃ σοφιστου̃ τω̃ν ’Αθηνω̃ν θυγάτηρ ου̃σα, υπὸ τω̃ πατρὶ επαιδεύθη, καὶ διὰ λόγων εληλύθει παντοίων. Ταύτην ηνίκα ο βασιλεὺς έμελλεν άγεσθαι, χριστιανὴν ο επίσκοπος ’Αττικὸς ποιήσας, εν τω̃ βαπτίζειν, αντὶ ’Αθηναΐδος Ευδοκίαν ωνόμασεν. VII, c. 21.
Diese wenigen Worte des Sokrates sind der erste und durchaus authentische Bericht über die Thatsache der Vermälung der Athenaïs mit dem Kaiser Theodosius. Aus welcher Ursache sie zu diesem Glücke gekommen sei, hat Sokrates nicht gesagt. Er erwähnt auch des Anteils der Pulcheria daran mit keinem Wort, aber diesen hebt der Kirchengeschichtschreiber Evagrius hervor, ein Syrer ans Epiphania, welcher im sechsten Jahrhundert gelebt hat. Theodosius, so erzählt er, machte auf Betreiben der Augusta Pulcheria zu seiner Gemalin die Eudokia, eine Athenerin, welche von schöner Gestalt und der Dichtkunst kundig war, nachdem sie vorher die Taufe empfangen hatte.Μέσης οι γενομένης Πουλχερίας: Evagr., I, c. 20.
Auch der Bischof Theodoretus von Cyrus, der nach 448 schrieb und ohne Zweifel Athenaïs persönlich gekannt hat, berichtet nichts von ihrer Geschichte; er schweigt überhaupt von ihr, während er den Kaiser Theodosius und seine Schwestern zum Himmel erhebt. Das Ereigniß selbst erschien den Zeitgenossen keineswegs so ungewöhnlich oder wunderbar, als es der Nachwelt erschienen ist. Die lateinischen Chronisten haben davon kaum Notiz genommen, und der Graf Marcellinus hat kurz verzeichnet, daß der Kaiser Theodosius unter dem Consulat des Eustathius und Agricola eine »Achäerin« zu seiner Gemalin genommen habe.Ind. IV. Eustathio et Agricola Coss. Theodosius Eudociam Achivam duxit: Marcellinus Comes.
Erst im siebenten Jahrhundert hat sich die Athenaïslegende so fest gestellt, wie sie in jenen beiden Byzantinern erzählt wird, und dann ist sie in viele andere Geschichtsbücher übergegangen.Theophanes (I, 129) aus dem Anfang des 9. Jahrhunderts erzählt sie nicht, sondern nur, daß Attikus Athenaïs als Eudokia getauft, und Pulcheria ihrem Bruder die Vermälung mit ihr wegen ihrer Schönheit und Klugheit angeraten habe. Nicephorus, XIV, c. 23, aus derselben Zeit, hat die Erzählung aus dem Chron. Paschale. Verkürzt gibt sie Cedrenus I, 590, im 11. Jahrhundert; ausführlich erzählt sie im 12. Jahrhundert Zonaras, XIII, 122 fg. Sie enthält nichts, was nicht wirklich geschehen sein kann.
Nachdem die Hochschule Athens längst zu einer Sage geworden war, erfand man die wunderliche Fabel von sieben athenischen Philosophen, welche die Tochter des Leontius nach Constantinopel begleitet hatten Ihre Namen sind teils römisch, teils griechisch, nämlich: Cranus, Carus, Pelops, Nerva, Silvanus, Apelles und Curvus. Kein einziger Name von philosophischem Klange befindet sich in dieser bunten Gesellschaft. Ihre Zahl ist die hergebracht mystische. Schon die ältesten Weisen Griechenlands waren sieben an Zahl, und auch die letzten Philosophen Athens, die nach der Aufhebung der platonischen Akademie durch den Kaiser Justinian an den Hof des Königs von Persien flüchteten, waren sieben an Zahl.
Die sieben weisen Begleiter der Athenaïs beehrten den Kaiser Theodosius mit ihrem Besuch, und dieser hatte die Liebenswürdigkeit sie nach dem Hippodrom zu führen. Hier legten sie eine Probe ihres Scharfsinnes ab, indem sie dem Kaiser geheimnißvolle Deutungen über manche in jenem Circus befindliche Statuen machten; denn mit vielen in Constantinopel aufgestellten Bildsäulen antiken Ursprungs waren geheime magische Zaubereien verbunden. Der Sinn der Deutungen dieser Philosophen ist rätselhaft; sie scheinen einer nach dem andern den Untergang des Heidentums zu beklagen und traurige Zeiten zu weissagen. Ihre Sehergabe erinnert an jene ihrer beiden Landsleute, von denen das Buch der Mirabilien Roms erzählt. Denn eines Tags traten zwei nackte Philosophen Phidias und Praxiteles vor den Kaiser Tiberius und offenbarten ihm seine geheimsten Gedanken. Zum Lohn ihrer Weisheit forderten und erhielten sie von ihm zwei Denkmäler in Rom, und diese sind die beiden Kolosse der Rossebändiger aus den Thermen Constantins, welche heute auf dem Quirinal stehen. Auch unter den Begleitern der Athenaïs findet sich zufällig der Name eines großen Künstlers.
Sollte aus diese Sage ein Reflex auf dem Roman der Sieben Weisen Meister, dem Syntipas oder Dolopatos gefallen sein? Sie wird von dem Byzantiner Codinus erzählt, der etwa in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts gelebt hat.G. Codinus de signis, ed. Bonn, p. 57. Aber sie findet sich auch in einer von ihm benutzten älteren Schrift, mit folgender Abweichung. Die sieben Weisen begleiten nicht Athenaïs, sondern ihre Brüder, als diese zu ihr nach Constantinopel gebracht werden, und hier dienen sie denselben als Advocaten, um den Zorn der Schwester zu besänftigen. Unter ihnen ist Cranus als Vorstand der athenischen Philosophenschule besonders ausgezeichnet. Er beträgt sich trotz seiner Würde vor dem Kaiser so albern, daß ihm der Kämmerer Narcissus eine Ohrfeige gibt, worauf der große Philosoph sich eine zweite ausbittet. und dann erst seine geistreichen Sprüche hören läßt. Hier wie dort erscheinen die sieben Weisen fast in der Gestalt von Spaßmachern und Hofnarren.Breves enarrationes Chronographicae incerto auctore, Fran. Combefisio interprete, in die Schrift De signis des Codinus aufgenommen (S. 184 der Bonner Ausgabe). Von Cranus heißt es dort: όστις καὶ λογιστὴς τὴς ’Αθηναίων φιλοσοφίας ελέγετο.