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Ich beschloß ein Inserat aufzugeben, wonach eine Person gesucht wurde, die gekleidet war wie Frau Van Burnam als sie das Haus ihres Schwiegervaters verließ. Das Inserat lautete:
»Vermißt wird eine Frau, die am 18. September, morgens, ein Zimmer zu mieten suchte. Die Frau trug eine schwarz-weiß karierte Seidenbluse und einen braunen Seidenrock. Wahrscheinlich hatte sie keinen Hut auf. Sie könnte aber auch am 18. September, frühmorgens, einen Hut gekauft haben. Modistinnen, die in dieser Hinsicht Mitteilungen zu machen haben, werden gebeten, sich zu melden. Die Frau wird von ihren besorgten Verwandten gesucht. Wer Wichtiges mitzuteilen weiß, erhält eine hohe Belohnung. Briefe an T. V. Alvord, Liberty Street.«
Eine nähere Beschreibung gab ich nicht, weil ich fürchtete, die Aufmerksamkeit der Polizei zu erregen.
Ich schrieb auch folgenden Brief:
»Sehr geehrtes Fräulein Fergusson!
Ich war neulich Zeugin in der Angelegenheit, in der auch Sie eine so bedeutungsvolle Aussage gemacht haben. Ich möchte Sie nun bitten, mir einen großen Gefallen zu erweisen. Ich wünsche nämlich eine Photographie der Frau Howard Van Burnam zu besitzen, und ich bitte Sie, mir, wenn irgend möglich, eine solche zu verschaffen. Ich bin mit den Van Burnams befreundet und möchte die Familie wenigstens jetzt nachträglich, nach dem Tode der armen Unglücklichen, mit dieser aussöhnen. Hätte ich eine Photographie, so würde ich sie den jungen Damen Isabella und Caroline Van Burnam zeigen, die beide ihr Verhalten ihrer Schwägerin gegenüber schon sehr bereuen; die jungen Damen möchten gerne das Bild ihrer Schwägerin sehen.
Ich hoffe, daß Sie mir meine Bitte gerne erfüllen werden; ich versichere Sie ausdrücklich, daß ich nur durch die Absicht, Gutes zu tun, zu ihr veranlaßt werde, und zeichne, Sie verbindlichst grüßend
Amelia Butterworth.
PS. Bitte adressieren Sie 564, Avenue, p. a. Herrn J. H. Denham!«
Das war mein Gemüsehändler. Ich beauftragte ihn, mir, wenn eine Antwort käme, den Brief zugleich mit einem Scheffel Kartoffeln ins Haus zu schicken.
Meine Zofe, die schlaue kleine Lena, bekam den Auftrag, diesen Brief am andern Ende der Stadt in einen Briefkasten zu werfen. Die Annoncen trug einer ihrer Verehrer in die Zeitungsbureaus.
Während der Abwesenheit meiner Zofe versuchte ich, meinen Geist einmal auch mit anderen Dingen zu beschäftigen. Es war mir aber nicht möglich. Immer wieder kehrten meine Gedanken zu Howards Aussage und zu dem Versuch zurück, diese mit meiner Theorie in Uebereinstimmung zu bringen. Ich fand heraus, daß gerade so, wie er sich anfangs bemüht hatte, seine ersten Aussagen auf alle mögliche Weise zu stützen und aufrecht zu erhalten, er später mit derselben Hartnäckigkeit und Konsequenz das gerade Gegenteil davon behauptet und dabei die unwahrscheinlichsten Erklärungen abgegeben hatte. War nun die Frau, die ihn ins Hotel D. und später in das Haus seines Vaters begleitet hatte, wirklich Frau Van Burnam, so mußte Howard viel willenloser und gefügiger sein, als sein Auftreten und seine Worte ihn darstellten. War er mit einer anderen Frau im Hotel D. gewesen, mit der er vielleicht zu fliehen die Absicht hatte, dann erschienen alle Vorsichtsmaßregeln des Paares leicht erklärlich.
Später konzentrierte ich meine Aufmerksamkeit auf einen anderen Punkt. War Howard mit seiner Gattin im Hotel gewesen, so enthielten die Pakete, die beide auf der Straße fortgeworfen hatten, und die eine Frau aufgehoben und mitgenommen haben sollte, das schwarz-weiß karierte Seidenkleid. Konnte man diese Pakete nicht wiederfinden?
Wenn das möglich war, dann hätte Herr Gryce sie gewiß schon zutage gefördert. Aber kein schwarz-weiß kariertes Seidenkleid war gefunden worden, auch keine Frau, die, nach Howards Angabe, die Pakete weggetragen hatte. War das nicht ganz einfach zu erklären: die Frau existierte nicht. Die Pakete waren auf andere Weise fortgeschafft worden, und in den Paketen war auch kein schwarz-weiß kariertes Kleid. Aber auf welche Weise entledigten sie sich der Pakete? Ich entschloß mich, einen Spaziergang durch die betreffenden Straßen zu machen, und zwar erst gegen Mitternacht, denn nur unter ähnlichen Umständen konnte ich herausfinden, wo ein günstiger Ort in diesen Straßen war, um solche ziemlich umfangreiche Pakete rasch und sicher verschwinden zu lassen.
Aber ich konnte doch nicht um Mitternacht in den Straßen herumlaufen! Nicht daß ich furchtsam wäre, aber ich muß meinen guten Ruf wahren. Mir fiel glücklicherweise ein, daß meine Köchin über starke Zahnschmerzen geklagt hatte. Gleich stieg ich in die Küche hinab, wo sie, die geschwollene Backe mit der Hand stützend, jämmerlich stöhnte und auf Lenas Rückkehr wartete. Ich sagte zu ihr:
Ich sehe, Ihre Zahnschmerzen haben sich noch verschlimmert. Wir müssen gleich etwas dagegen tun. Wenn Lena zurückkommt, schicken Sie sie sofort zu mir herauf, ich werde dann mit ihr in die Apotheke gehen, um Ihnen etwas Schmerzstillendes zu holen.
Die Köchin wollte etwas erwidern, ich aber war schon zur Tür hinaus.
Lena war erstaunt, als ich ihr nach ihrer Rückkehr sagte, sie solle mich zur Apotheke begleiten, wo ich ein schmerzstillendes Mittel für die Köchin holen wollte. Aber da Lena ein sehr diskretes Mädchen ist, machte sie bloß die Bemerkung: »Es ist schon sehr spät!« Ich antwortete nicht darauf, so fügte sie sich, ohne weiter zu fragen.
In der 3. Avenue gibt es einen Apotheker, den ich meist mit meiner Kundschaft beehre. Dorthin lenkte ich meine Schritte, machte aber einen kleinen Umweg, um durch die 20. Straße und die Lexington Avenue zu kommen. Als wir uns der Stelle näherten, wo das geheimnisvolle Paar gesehen worden war, schaute ich mit angestrengter Aufmerksamkeit nach rechts und nach links, um mir ja keine Stelle entgehen zu lassen, wo sich etwas verbergen ließ.
Lena folgte mir wie ein Schatten. Zu sprechen wagte sie nicht. Mein nächtlicher Ausflug schien ihr jeden Mut benommen zu haben. Plötzlich faßte sie zitternd meinen Arm.
Dort kommen zwei Männer, flüsterte sie.
Ich fürchte mich nicht vor Männern, erwiderte ich kurz. Aber das war eigentlich eine große Lüge, denn an solchem Ort und unter solchen Umständen fürchtete ich mich nicht wenig vor ihnen.
Die beiden Männer, die immer näher kamen, schienen recht gut aufgelegt zu sein. Als sie aber sahen, daß wir ruhig unsern Weg verfolgten, ohne auf sie zu achten, begnügten sie sich damit, uns einige Scherzworte zuzurufen.
»Die Köchin kann Ihnen wirklich dankbar sein,« flüsterte Lena.
An der Ecke der 3. Avenue blieb ich stehen. Bis dahin hatte ich keine Stelle, wie ich sie suchte, gefunden. Würde ich in der Avenue mehr Glück haben? Ich stellte mich unter die Gaslaterne und dachte nach. Ich beachtete gar nicht Lenas Ungeduld und ihr Zerren an meinem Aermel. Ich blickte nach allen Richtungen über die Straße und wartete auf eine Inspiration. Ein eigensinniger Glaube an die Theorie, die ich mir gebildet hatte, wollte nichts von der alten Frau wissen, die auf offener Straße die Pakete aufgehoben und fortgetragen haben sollte. Es schien mir auch durchaus unannehmbar, daß das Paar die Pakete mitten auf die Straße geworfen hätte.
Straßenbahnwagen fuhren an mir vorbei. Lena zerrte immer ungeduldiger an meinem Aermel, ich aber diskutierte mit mir selbst: war es seine Frau und alles bloß ein toller Scherz, so wäre es ja möglich, daß sie wirklich die Pakete wegwarfen. Aber es war doch nicht seine Frau, sie scherzten nicht, das Spiel war ernst, mochten sie auch dabei lachen und sich amüsieren. Sie hatten gewiß versucht, sich der Sachen auf vernünftige Weise zu entledigen, damit ihr Geheimnis auch gewahrt wurde. Aber wo – wo hatten sie sie verschwinden lassen?
Mein Blick fiel auf den einzigen Laden, der noch geöffnet und erleuchtet war. Es war der Laden eines chinesischen Wäschers, und durch das Schaufenster konnte ich ihn beobachten, wie er eifrig Wäsche plättete. Ah! rief ich aus und eilte mit langen Schritten über die Straße. Lena lief mir nach.
Sie gehen ja falsch, Miß Butterworth! Das ist ja nicht der Weg!
Ich ließ mich nicht beirren, sondern ging geradeaus und blieb erst vor der Wäscherei stehen. Ich habe hier drin etwas zu tun, erklärte ich Lena. Warten Sie vor dem Laden und schauen Sie nicht so drein, als ob Sie mich für verrückt hielten.
Diese Worte beruhigten sie wohl nicht sehr; aber sie war gewohnt, mir widerspruchslos zu gehorchen. Sie wich also zurück, und ich öffnete die Tür und trat in den Laden. Der Chinese war über das Erscheinen einer Dame zu so später Stunde so verdutzt, daß auch ich unwillkürlich zurückschrak; und erst nach einer Weile, nachdem ich neuen Mut gefaßt hatte, fragte ich ihn im höflichsten Ton, der mir zu Gebote stand:
Haben nicht vor einigen Tagen ein Herr und eine dicht verschleierte Dame ungefähr um diese Stunde ein Paket Wäsche bei Ihnen abgegeben?
Sie meinen Damenwäsche? Ja! Ist noch nicht fertig. Sie sagte, sie würde nicht vor einer Woche wiederkommen.
Dann stimmt es schon. Die Dame ist plötzlich gestorben, und der Herr ist verreist. Sie werden also die Wäsche längere Zeit behalten müssen.
Na, das paßt mir nicht, ich will mein Geld. Brauche die Wäsche nicht.
Wenn Sie wollen, so nehme ich die Wäsche ungeplättet mit und bezahle gleich.
Geben Sie mir die Marke, dann kriegen Sie die Wäsche. Ohne Marke keine Wäsche!
Das war ärgerlich! Mir war aber nur darum zu tun, die Wäsche zu sehen, und ich wollte sie gar nicht besitzen; daher fand ich rasch einen Ausweg.
Ich brauche die Wäsche noch nicht, sagte ich. Ich wollte nur wissen, ob die Wäsche wirklich bei Ihnen abgegeben wurde. An welchem Tage war es denn?
Dienstag Nacht, schon sehr spät. Ein elegantes Paar. Die Dame wollte etwas sagen, der Herr aber hielt sie zurück. Ich weiß nicht, ob ich viel Stärke nehmen soll. Gewaschen ist alles. Sehen Sie – da! Und er zog einen Korb unter dem Tisch hervor! Nur geplättet ist sie noch nicht.
Ich sah wortlos zu, wie der Chinese die Wäsche im Korbe hin- und herwandte. Ich sagte mir, daß, wenn ich die Qualität der Wäsche erkennen könnte, die Frage gelöst wäre, die mich unausgesetzt beschäftigte. War es sehr elegante, sogenannte Pariser Wäsche, dann stimmte Howards Erzählung, und alle meine Theorien waren hinfällig. War die Wäsche aber gewöhnlich und einfach, so war die Identität der Frau, die sie hier abgegeben hatte, mit der Ermordeten ziemlich sicher festgestellt. Ich konnte dann mit dem Recht größter Wahrscheinlichkeit Luise Van Burnam als die Mörderin annehmen, – wenn nicht noch andere Tatsachen hinzukamen, die bewiesen, daß doch Howard der Mörder war.
Ich fühlte Lenas ängstliche Blicke auf mir ruhen, ich drehte mich deshalb um und nickte ihr beruhigend zu. Dann wandte ich mich wieder zu dem Chinesen, der mir nun einige Wäschestücke vor die Augen hielt. Das genügte mir. Die Wäsche war sehr einfach, fast ohne Stickereien noch Spitzen; ich hatte es gar nicht anders erwartet.
Ist die Wäsche gezeichnet? fragte ich.
Er zeigte mir zwei Buchstaben, die mit waschechter Tinte am Bund eines weißen Unterrockes eingeschrieben waren. Ich hatte meine Brille nicht auf, aber die Schrift war noch so deutlich, daß ich leicht die Buchstaben O und R entziffern konnte.
Als ich den Laden verließ, war meine Befriedigung so groß und zeigte sich offenbar so deutlich, daß Lena nicht wußte, was sie von mir denken sollte. Aber so erfreut ich war, vergaß ich doch nicht, daß erst das eine Paket gefunden war, und ich noch das Kleid suchen mußte.
Ich hatte mich von Lena nach der Richtung der Apotheke führen lassen, und wir überschritten wieder die Straße. Kurz vorher hatte es geregnet, und ich sah vor mir ein kleines Bächlein den Rinnstein füllen und plötzlich in dem Abzugskanal verschwinden.
Ich sagte mir, daß, wenn ich mich einer Sache entledigen wollte, ich sie gewiß in so einen Kanal werfen und mit dem Fuß oder mit einem Stock recht weit hineinzustoßen versuchen würde. Ich zweifelte jetzt nicht mehr, daß ich auch für das zweite verschwundene Paket die Erklärung gefunden hatte. Ich setzte daher beruhigt meinen Weg fort. Aber ich dachte mir, daß, wenn ich etwas zu sagen hätte, der Kanal in dieser Straße sorgfältig untersucht werden müßte.
Nach beendigtem Einkauf in der Apotheke nahm ich einen Wagen und fuhr mit Lena nach Hause, denn jetzt brauchte ich uns nicht noch einmal so unangenehmen Begegnungen auszusetzen.
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