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Ah – wahrhaftig schon da?« Der Wagen hielt mit scharfem Parieren der Pferde an. »Wie schade! Ich hätte noch stundenlang so mit Ihnen fahren mögen. Wahrhaftig, meine gnädigste Frau, diese Wagenfahrt war das Schönste an dem ganzen Dejeuner heute!«
Frau Ellen Rennert lachte ihr silbernes, helles Lachen.
»Wirklich? Aber nein, das glaub' ich Ihnen nicht. Das würden Sie jeder anderen Dame auch gesagt haben.« Und sie schälte sich aus der weichen Pelzdecke, in die vorhin der Herr des Wagens neben ihr sorgsam ihre Knie, ihre Füßchen im dünnen Seidenschuh und durchbrochenen Strumpf gehüllt hatte.
»Gnädige Frau, Sie kränken mich tief!« versicherte vorwurfsvoll Herr Syemondt, der junge, reiche Kunsthändler, ein Vertrauter des Hauses, aus dem sie eben kamen, und den der Hausherr gebeten hatte, Frau Rennert in seinem Wagen nach Haus zu geleiten, da sie ja – infolge der Unpäßlichkeit ihres Gatten – allein der Einladung hatte Folge leisten müssen.
»O, wie gut Sie Komödie spielen können!« scherzte übermütig die junge Frau, noch in heiterster Feststimmung. »Sie sehen wahrhaftig ganz geknickt aus.«
»Ich bin es doch auch,« versicherte Herr Syemondt und beugte sich vor, ihr tief in die leuchtenden, lachenden Augen sehend.
Ellen Rennert schmeichelte die unverhüllte Bewunderung ihres Begleiters nicht wenig. Er hatte ihr schon immer Aufmerksamkeiten erwiesen. Heute aber, als sie allein, ohne ihren Mann erschienen, war dies in ganz besonderer Weise geschehen. Und sie wußte, wie all die anderen Frauen und Mädchen sie darum beneideten. Denn der junge, noch unverheiratete Inhaber des neuen Kunstsalons, von dem bereits alle Welt sprach, war ja wegen seines Reichtums eine vielumworbene Persönlichkeit – ein Goldprinz! Glückselig die, die ihn sich einmal einfing.
Doch es reizte Ellen, ihn gerade nach ihr sich abzappeln zu lassen.
»Aber so machen Sie doch endlich auf,« befahl sie schmollend. »Wie lange soll der Kutscher denn noch warten?«
»Sie sind grausam, meine Gnädigste – ebenso grausam wie entzückend,« flüsterte Syemondt leidenschaftlich. »Aber, Ihr Wunsch ist mir Befehl!«
Er öffnete den Wagenschlag und stieg zuerst aus, half ihr dann aus dem Wagen und begleitete sie über das Trottoir bis an die Haustür.
»Ein beneidenswerter Sterblicher, Ihr Herr Gemahl!« meinte er dann scherzend, aber mit einem fast eifersüchtigen Ton auf dem kurzen Wege. »Der Glückliche, der sich nun von Ihren Feenhändchen pflegen lassen kann. Ich würde mit Wonne krank, jeden Tag, immerzu, nur um dieses Glücks teilhaftig zu werden.«
Die junge Frau lachte wieder, aber diesmal klang aus dem Glockenstimmchen ein leises Schrillen.
»Das sagen Sie jetzt! Wenn Sie aber wirklich mein Mann wären –«
»Ich müßte ja der undankbarste Mensch auf Gottes Erdboden, ein wahres Ungeheuer sein, wenn ich dieses Glück nicht tagtäglich von neuem –«
»Phrasen!« Ihre Hand zog, sich aus der weichen Hülle des Abendmantels streckend, am Glockenzuge. »Nachher klingt das alles anders!«
»Sprechen Sie aus Erfahrung, gnädigste Frau?«
Es klang scherzhaft, aber es lauerte dahinter ein interessiertes Aufhorchen.
Ellen Rennert zuckte die Achseln.
»Das ist doch eine alte Geschichte,« warf sie leicht hin. »Aus dem flötenden Seladon wird der gestrenge Hauspascha.«
Und sie hielt ihm die Hand zum Abschied hin, denn die Haustür war eben aufgesprungen.
»Nicht immer, gnädigste Frau, nicht immer!« versicherte halblaut ihr Begleiter, sich über das süß duftende, warme Händchen neigend. Und der nachdrückliche Kuß, den er darauf drückte, war wie eine heimliche, von verhaltener Leidenschaft durchglühte Beteuerung. »Es gibt auch Ausnahmen!«
»Wirklich?« fragte sie spöttelnd und entzog ihm schnell die Hand – er küßte sie ja unverschämt vertraulich. Zugleich aber sandte sie ihm, schon im Begriff, in den Hausflur einzutreten, einen leise fragenden Blick zu, von dem ihm warm ums Herz wurde.
Er machte eine beteuernde Bewegung mit heiß aufleuchtenden Augen.
Da winkte sie ihm lächelnd noch einen Gruß zu:
»Addio!«
Mit beiden Händen nahm sie dann den pelzgefütterten Mantel und die duftige Spitzenwoge ihrer Gewänder auf und huschte die breiten Marmorstufen hinauf, die in das Vestibül führten.
Als sie oben auf dem Treppenabsatz angekommen war, wandte sie sich noch einmal um und blickte durch die Glasscheiben der Haustür hinaus. Da sah sie, wie die prachtvollen Rappen des eleganten Wagens gerade anzogen, der nun unhörbar davonglitt.
Ein Seufzer hob ihr die Brust: Ach ja – wer es auch so haben könnte! Und langsamer stieg sie, in Gedanken versunken, die Stufen zum zweiten Stock, zu ihrer Wohnung, hinauf.
Oben half ihr das Mädchen aus den Hüllen.
»Ist mein Mann zu Hause?«
Frau Rennert tat diese Frage, während sie, vor dem Spiegel der Flurtoilette ihre Frisur mit den gespreizten feinen Fingerchen zurechttupfte.
»Jawohl, gnädige Frau, drüben im Atelier.«
»Im Atelier?«
Verwundert sah die junge Frau über die Schulter nach dem Mädchen hin. Um diese späte Nachmittagsstunde? Knut pflegte doch nie bei Lampenlicht zu arbeiten.
»Der gnädige Herr ist schon seit ein paar Stunden drüben. Er ging gleich ins Atelier, als er zurückkam. Das war so gegen vier,« gab die Jungfer mit einem Anflug von Vertraulichkeit Auskunft. Sie hatte natürlich heute mittag gemerkt, daß zwischen den Herrschaften etwas vorgefallen war.
»Es ist gut, Lina.«
Die junge Frau nickte dem Mädchen, das sich zurückzog, nachlässig zu. Einen Augenblick stand sie noch unschlüssig vor dem Spiegel und strich sich mechanisch das Kleid über den schlanken Hüften glatt. Dann ging auch sie nach dem Atelier hinüber.
Es brannten dort alle Flammen der Krone, und Knut saß auf einem Sessel, mehrere Skizzen auf den Knien, auf die er gedankenverloren, den Kopf in die Hand gestützt, hinsah.
Der ganze Teppich um ihn herum lag voll von Kartons und Leinwandblättern, die er aus den Sammelmappen herausgekramt hatte, in denen sie schon seit vielen Jahren dick verstaubt und fest verschnürt auf den großen Schränken der Hinterräume sich herumgetrieben hatten – »wertloses Gerümpel«, das seiner Frau immer ein Dorn im Auge gewesen war, von dem er sich aber nie hatte trennen wollen – Jugendarbeiten von ihm.
Nun hatte er plötzlich dieses Zeug hervorgesucht und brütete darüber. Was hatte das zu bedeuten? Neugierig trat die junge Frau näher.
Jetzt erst merkte Rennert, daß jemand kam, so vertieft war er gewesen. Er sah auf, erst unwillig über die Störung; als er aber seine Frau erkannte, veränderte sich der Ausdruck seiner Züge. Es erschien darauf ein ruhiger, entschlossener Ernst. Langsam schichtete er die Blätter auf seinem Schoß übereinander und legte sie auf einen Stuhl neben sich.
»Nanu? Was machst du denn hier?«
Höchst verwundert klang ihre Frage, zugleich leicht spöttisch.
Er erhob sich und wandte sich ihr voll zu.
»Das will ich dir gleich erklären.« Er sagte es nicht unfreundlich, aber mit einer ungewöhnlichen Festigkeit, so daß sie überrascht zu ihm aufsah.
»Hör' mich einmal recht ruhig an, Ellen. Ich habe sehr ernste Dinge mit dir zu besprechen.«
Ihr Blick ward immer verwunderter.
»Sieh mal, Ellen, die Szene von heute mittag hat uns beiden doch deutlich gezeigt, daß das so nicht mit uns weitergehen kann.«
»Allerdings, sehr richtig!« warf sie mit scharfer Ironie dazwischen. Der aufgespeicherte Groll gegen ihn entlud sich nun. Zugleich ließ sie sich auf dem Diwan am Kaminofen nieder, die Arme verschränkend und die Beine energisch übereinanderschlagend. Dann fuhr sie fort:
»Es war geradezu unverantwortlich von dir, wie ein Besessener aus dem Haus zu laufen, daß ich allein zur Gesellschaft gehen mußte!«
»Es wäre das ja nicht unbedingt nötig gewesen,« erwiderte Rennert ruhig. »Du hättest auch zu Hause bleiben können.«
Sie fuhr mit einem Gesicht zu ihm herum, wie wenn er ihr irgend etwas Unerhörtes zugemutet hätte.
»Aber das ist ja nur nebensächlich,« fuhr er gelassen fort, »lediglich ein Symptom, das anzeigt, daß wir an der Grenze des Erträglichen angekommen sind – ja schon darüber hinaus. Also, Ellen« – dabei trat er dicht vor sie hin – »ich bin fest entschlossen, von heute ab einen dicken Strich unter unser ganzes bisheriges Leben zu machen.«
Ellen blickte ihn groß an, ungewiß, wie das gemeint war. Er aber ließ sich neben ihr auf dem Diwan nieder.
»Ich möchte in aller Güte und Liebe mit dir darüber reden, Ellen,« fuhr er fort und griff nach der Hand seiner Frau. »Ich weiß, du wirst das, was ich dir nun sagen muß, nur schwer verstehen, vielleicht –«
Es zuckte unwillkürlich in ihrer Rechten, wie um sich freizumachen; aber er legte auch noch seine andere Hand um die ihre und umschloß sie so mit einem festen Druck.
»Ich will es ganz kurz machen. Also, ich kann nicht mehr so weiter arbeiten wie bisher, ich gehe darüber zugrunde, ich muß wieder frei werden, innerlich frei, mich zurückfinden zu echter Kunst, ich –«
Mit steigender Wärme, aus tiefbewegtem Herzen heraus sprach er zu seiner Frau. Aber diese hatte mit einem Ruck ihre Hand freigemacht und war aufgesprungen. Sie hatte nur das eine herausgefühlt, was ihr das einzig Wichtige war: Er wollte nicht mehr so weiter arbeiten. Das hieß also, die einträgliche Arbeit aufgeben, die so schönes Geld brachte! – Alles andere war in ihren Augen ja nur nichtiges Gerede, und so entfuhr es ihr denn:
»Was? du willst nicht mehr so weiter malen?«
Sie nickte heftig zu dem Bilde auf der Staffelei hinüber.
Auch er erhob sich nun.
»Nein, Ellen. Ich kann nicht. Ich sage dir ja – versteh mich doch nur – ich gehe daran zugrunde!«
Es zitterte leidenschaftlich in seiner Stimme auf.
Aber sie hörte es nicht.
»So! – Und was willst du denn malen, wenn man fragen darf?«
Aber trotz des schneidenden Hohnes in ihrer Stimme verlor er seine Ruhe nicht; nur ein Schatten leiser Trauer flog über sein Gesicht. Das war nun die Frau, die die verständnisvolle Gefährtin seines Lebens sein sollte.
»Zunächst überhaupt nichts,« gab er zur Antwort.
»Ah!«
»Erst muß ich mich wieder zu mir selbst zurückfinden, und zur Natur. Und wenn ich dann wieder male, dann muß es etwas ganz anderes sein: ernst, groß – nichts mehr von dem Firlefanz da –« er blickte verächtlich nach dem Bilde auf der Staffelei, »nur noch reine Naturstimmung, eine Landschaft, wie ich sie in Stunden der Weihe sehen werde.«
»So!« höhnte sie. »Und wer soll dir das Zeugs abkaufen?«
Sie stieß mit ihrer zierlichen Fußspitze verächtlich gegen einen der Kartons, der gerade vor ihr lag.
Ein leises Zucken zeigte sich im Geäder seiner Stirn, aber er blieb ruhig.
»Daran werde ich beim Malen überhaupt nicht mehr denken.«
»Immer besser!« Sie rang förmlich nach Luft. »Und wovon werden wir leben?«
Er schwieg einen Augenblick, um sie erst ihrer Erregung Herr werden zu lassen. Dann versuchte er es noch einmal in einem milden, versöhnlichen Ton.
»Allerdings fordere ich Opfer von dir, Ellen. Von deinem Standpunkt aus sogar schwere Opfer!« Er sah sie auffahren. »All das Leben hier, der Luxus wird aufhören, wir werden uns bescheiden einrichten müssen. Aber ich habe mir alles reiflich überlegt. Ich werde uns durch Unterricht ausreichende Einnahmen schaffen, eine Malschule, bis später –«
Aber nun war es zu Ende mit ihrer Selbstbeherrschung. Ein schrilles, hohnvolles Auflachen brach sich von ihren Lippen.
»Einschränken – bescheiden!« ahmte sie ihn hämisch nach. »Auf gut Deutsch also eine Hinterhauswirtschaft! Das mutest du mir zu! – Mir! Mir!«
Und wie eine Rasende schoß sie durch das Zimmer, die kostbare Crepe-Chiffon-Schleppe hinter sich herfegend, unbekümmert darum, daß diese an einem Diwanfuß hängen blieb und zerfetzte, hinüber zur Portiere an der Tür zum Nebenzimmer. Da krallte sie in einem Wutanfall die weißen Finger in den schweren Brokatstoff und stampfte wie ein zorntobendes Kind mit den Füßen den Boden.
Rennert blickte wortlos zu ihr hin, aber ein tief verächtlicher Zug stand um seine Mundwinkel, wie er sie so jeder Frauenwürde bar sehen mußte. Und das mildere Empfinden, das er bisher noch mit ihr als mit einem schwachen Geschöpf gehabt hatte, schwand in dieser Minute.
»Du sprichst gerade, als ob du einen verbrieften Anspruch auf ein Luxusleben hättest. Mit welchem Recht, bitte?«
Kalt klangen seine Worte zu ihr hinüber.
Da fuhr sie herum und warf ihm feindselige Blicke zu, und hochmütig kam es über ihre Lippen:
»Mit dem Recht meiner Person! Eine Frau wie ich ist zu schade für solch eine Bettlerexistenz – wenn du es dir wirklich nicht allein sagen kannst!«
Er wurde bleich.
»Die Existenz, die ich meiner Frau biete, wird stets eine würdige sein,« erwiderte er stolz. »Freilich, ein Luxus, wie ich ihn dir bisher jahrelang ermöglicht habe, wie du ihn aber von Haus aus nicht gewöhnt bist und bei unserer Eheschließung auch nicht erwarten konntest, der hört auf – von heute ab.«
Das war sie nie von ihm gewöhnt gewesen. Und plötzlich schlug sie mit ihrer Stimmung um, warf sich auf den Diwan neben der Tür und brach in heftiges Weinen aus.
Eine Weile starrte Rennert schweigend vor sich hin. Ihr krampfhaftes Aufschluchzen drang wie Mitleid heischend an sein Ohr, aber seine Miene blieb hart. Er wollte sich nicht, wie so oft schon, weich machen lassen, daß schließlich alles wieder beim alten blieb; vielleicht war es ja auch nur eine Komödie, die sie ihm vorspielte. Frauen wie sie können ja weinen, wann sie wollen.
Da wurde ihr Schluchzen immer herzzerbrechender, und plötzlich stieß sie verzweifelt hervor:
»Es ist dir ja ganz gleich, was ich leide – du liebst mich nicht mehr – mein Gott, was bin ich unglücklich!«
Es klang wie echter Schmerz.
Da sah er aus zweifelnden Augen, aber noch mit finsterer Stirn zu ihr herüber – sah, wie ihr Leib in krampfhaften Erschütterungen zuckte und ihr Kopf sich verzweifelt in das Kissen bohrte. Nun ging er zögernd zu ihr.
»Ellen« – kam es über seine Lippen und seine Hand legte sich ihr sanft aufs Haar, doch sie schluchzte nur noch mehr fassungslos auf.
Wie er so auf sie herab schaute, stiegen Erinnerungen in ihm auf, an alte Zeiten, wo er in seligem Rausch diesen Leib an sich gerissen, wo er mit zitternden Lippen gelobt hatte: »Ich will dich auf Händen tragen – immer, immer!«
Und jetzt wollte er sie von sich stoßen.
Da schoß es noch einmal warm in ihm auf. Im nächsten Augenblick saß er neben ihr, und sein Arm zog die Schmerzerschütterte zu sich an seine Brust.
»Ellen« – seine Stimme bebte in innerster Bewegung – »es soll ja alles nicht sein. Nur hilf mir doch, mich zurechtzufinden! Steh mir zur Seite, – treu und opferfreudig, wie eine rechte Frau. Dann –«
Sie fühlte, wie er weich wurde. Da umschlang sie stürmisch seinen Hals und drängte sich an ihn mit wogendem Busen.
»Knut!« Ihre tränenfeuchten Augen, ihre heißen Lippen bettelten schmeichelnd, leidenschaftlich. »Knut! Es ist ja alles doch nur eine Laune von dir – eine Stimmung, die wieder verfliegt. Nicht wahr?«
Sie sah seine Stirn sich von neuem verfinstern. Da schloß sie ihm den Mund mit atemraubenden Küssen.
»Nein – nein – sage nichts! Schweig still! – Quäl' doch deine arme kleine Frau nicht mit solchen Hirngespinsten, über die du morgen am hellen Tage selber lachst! Du hast mich doch lieb, gelt – und wenn auch nur ein ganz, ganz klein bißchen noch?«
Aber da stand er schnell auf und entzog sich ihren Liebkosungen, mit denen sie seinen Willen zu betäuben gedachte.
»Nein, Ellen, nicht so!« Und er machte sich frei von ihr, die, an ihm hängend, sich mit aufgerichtet hatte. »Zum Tändeln ist diese Stunde zu bitter ernst. Du täuschst dich, Ellen – schwer. Es ist mein felsenfester Entschluß: Ich gehe von heute ab den anderen Weg. Und nun noch einmal, zum letztenmal! Willst du mit mir gehen, als mein guter, treuer Kamerad, Ellen?«
Erschrocken starrte sie ihn an. Da fing er schon wieder davon an. Er war also wirklich besessen, unheilbar besessen von dieser wahnsinnigen Idee; durch nichts davon abzubringen! Nicht durch ihren Schmerz, nicht durch ihre Leidenschaft. Aber trotz alledem konnte sie es noch immer nicht fassen. Es war ja nicht denkbar, schon allein für ihn nicht! Er, der verwöhnte Luxusmensch, wie er da vor ihr stand, er in engen, dürftigen Verhältnissen? Sie sah nur immer die Extreme. Ganz undenkbar! Und warnend, beschwörend rief sie:
»Knut, du belügst dich ja selbst! Es ist ja nicht dein Ernst – nein, nein!«
Da durchzuckte es ihn plötzlich.
»Nicht mein Ernst? Gut – ich will es dir zeigen.«
Und schnell griff er nach dem maurischen Dolch, der zum Zigarrenabschneiden auf dem Rauchtischchen lag, das neben ihm stand. Im nächsten Augenblick war er vor der Staffelei.
»Knut!«
Grell schrie sie auf, ein Ahnen durchzuckte sie. Aber ehe sie ihm noch in den schon erhobenen Arm fallen konnte, hatte die Klinge bereits in zwei scharfen Schnitten kreuzweis die Leinwand durchsetzt. Die Arbeit zweier Monate, die ihnen Tausende hatte bringen sollen, kurz vor der Vollendung – war vernichtet, in einem Augenblick der Unvernunft.
»Du bist ja verrückt – direkt verrückt!« kreischte sie ihn an, ganz außer sich, und ihre Hände krallten sich ihm, der noch den Dolch in der Hand hielt, in besinnungsloser Wut in den Arm. Ihr Gesicht war abschreckend verzerrt, wie sie ihn mit zornfunkelnden Augen anblitzte.
Da schüttelte er sie ab, wie einer es mit einer wild gewordenen Katze tut, die ihn angefallen hat. Alles Weiche in ihm war wieder dahin, als er sie nun so in all ihrer Niedrigkeit sah – würdelos, wutrasend, nur wegen der weggeworfenen Hand voll Geld. Nein, das war nicht die Frau, mit ihm den gleichen Weg zu gehen. Also ging er ihn allein.
Durch seine abwehrende Bewegung war Ellen einige Schritte zurückgetaumelt.
»Du Elender!« schrie sie ihn keuchend an. »Dich an deiner Frau zu vergreifen!«
Er würdigte sie keines Worts, sondern ging ruhig zum Tischchen zurück, um den Dolch wieder dort hinzulegen. Das raubte ihr den Rest von Besinnung.
»Du arbeitest nicht mehr, kannst mir keine Existenz mehr bieten, und Mißhandlungen obendrein!« schrie sie außer sich. »Denkst du denn wirklich, daß ich mir das gefallen lasse? Ich gehe auf der Stelle fort – scheiden lass' ich mich von dir!«
Er blieb stehen, wo er war, den Rücken ihr zugekehrt, und stemmte die geballte Linke fest auf den Tisch.
»Tu es. Es wird das beste sein – für dich und mich.«
Die kalte Art, wie er sie abtat, ließ sie am ganzen Leibe fliegen. Es war ihr ja mit ihrer Drohung nur erst halb ernst gewesen.
»O, du! – Und dir hab' ich meine Jugend, meine besten Jahre geopfert! Ach! Hassen tu ich dich – hassen wie nichts auf der Welt!« Sie schüttelte die geballten Fäuste zu ihm hin. »Doch nun geh' ich wirklich.«
Sie eilte zur Portiere. Dort aber fuhr sie noch einmal zu ihm herum.
»Keine Sekunde länger bleibe ich in deiner Nähe. Nur eins will ich dir noch sagen: Du bist ja meiner nie wert gewesen – nie, nie! Weggeworfen hab' ich mich an dich! Pfui!«
Sie schüttelte sich wie in maßlosem Ekel vor ihm. Dann aber raffte sie sich auf; und hohnvoll, triumphierend schleuderte sie ihm ihren letzten Trumpf ins Gesicht:
»Aber Gott sei Dank! Es gibt noch Leute, die einen zu würdigen wissen – von anderem Schlage als du!«
Langsam drehte er sich nach ihr herum, wie sie ihm die Worte haßfunkelnd entgegenschleuderte. Einen Augenblick war es, als ob er ihr etwas erwidern wollte. Aber dann machte er nur eine abwehrende Handbewegung. Nein, sie war ihm nicht mehr ein Wort wert. Und stumm kehrte er ihr wieder den Rücken zu.
Da hörte er noch einen Laut fast erstickender Wut; dann schlugen die heftig beiseite geschleuderten Portieren rauschend zusammen. Seine Frau war von ihm gegangen.
Unbeweglich blieb Rennert mit gesenktem Kopf stehen. Seine Rechte spielte mit dem Dolch auf dem Tisch, den sie mechanisch wieder ergriffen hatte. Er war äußerlich in vollkommener Ruhe. Aber in seinem Inneren jagten die Gedanken und Gefühle durcheinander, und es kam ihm mit drückender Schwere zum Bewußtsein, was dieser Augenblick für sein Leben bedeutete.
Zu Ende war es – eine siebenjährige Ehe, die ihn mit dieser Frau verknüpft hatte, war auseinandergerissen. Wie nach einem Glücksstern hatten seine Hände einst nach ihr gefaßt; nun hatte er sie von sich gehen lassen, für immer. Und wie war sie gegangen! Das war das Schrecklichste. Wenn sie sich wenigstens ruhig und ernst getrennt hätten, mit einem versöhnlichen Händedruck, wie zwei Menschen, die sich eben ineinander geirrt haben und nun beim Scheiden einander das Beste wünschen. Aber in Haß und Wut war sie von ihm gegangen.
Ein Gefühl tiefer Traurigkeit überlief Rennert. Wenn er auch vorhin hart und kalt dagestanden, es kostete ihm dennoch ein Stück von seinem Innersten, daß er sie aufgab. Er hatte sie doch einmal liebgehabt! Und man ist nicht sieben lange Jahre umsonst miteinander verwachsen; da geht die Wunde tief, wenn man sich losreißt.
So stand er lange, das Haupt tief auf der Brust.
Aber dann richtete er sich auf, mit einem festen Entschluß. Nun genug davon. Das alles mußte er jetzt hinter sich werfen. Voraus den Blick und hoch den Kopf! Was diese Stunde ihm auch genommen, eins hatte sie ihm dafür gegeben – ein köstliches Gut: die Freiheit.
Da hob sich seine Brust in einem tiefen, tiefen Atemzuge, und aus den Augen brach ein Leuchten, ernst und doch froh. Noch einmal konnte er sich seinen Weg wählen, für sein Leben und Schaffen. Und diesmal – das wußte er – würde es der rechte sein!