Paul Grabein
Die Herren der Erde
Paul Grabein

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Morgen Ostern! Aber es war hier herzlich wenig davon zu spüren. Weder Baum noch Strauch weit und breit, der von dem großen Auferstehen in der Natur hätte künden können.

Mit einem enttäuschten Blick stellte es der Fußgänger fest, der auf einem Landwege zwischen den Zechen im Kohlenrevier hinschritt, einem frisch aufgeschütteten Weg, dessen Befestigungsmaterial drüben von den Bergehalden stammte, dem steinigen Abraum aus den Gruben, schwarz und der Kohle selber ähnlich. Ein düsterer Weg und eine ernste, traurige Landschaft, durch die er führte.

Volkmar Heckes fragte sich bei ihrem Anblick unwillkürlich, warum er eigentlich denn auf den absonderlichen Gedanken verfallen war, auf der Bahnstation dem Automobil nur sein Gepäck anzuvertrauen, seinerseits aber den Weg hierher zu Fuß zurückzulegen. Wußte er doch nur zu gut, daß hier nichts zu finden war, was das Auge erfreute.

Aber dennoch war ihm der Wunsch gekommen, nach der langen Trennung von der Heimat sich ihr als ein still Grüßender zu nahen. Wie man so seine Anwandlungen hat. Nun freilich blieb natürlich aber auch die Enttäuschung nicht aus – es ging ja fast immer so in solchen Fällen.

Das Bild, das Volkmar Heckes vor sich sah, tat seinem Auge weh, das sich eben noch an der vollerblühten Schönheit des Südens festgetrunken hatte. Der Expreßzug hatte ihn erst gestern von der Riviera heraufgetragen, wo er zuletzt ein paar Wochen geweilt hatte. Was für ein erbarmungsloser Kontrast dazu jetzt hier diese trostlose Ebene, soweit das Auge reichte mit Schornsteinen, Schachttürmen und Arbeitshäusern bedeckt – alles von dem einförmigen Schwarzgrau des Kohlenstaubs überzogen, der Signatur des Industriebezirks.

Langsam, mit unwillkürlich zögerndem Schritt, ging Volkmar Heckes weiter.

Jetzt tauchte zu seiner Rechten hinter einer Bodenwelle ganz in seiner Nähe eine Zechenanlage auf: Die altbekannte, charakteristische Silhouette von Maschinenhalle, Schlot, Kaue und Fördergerüst, daneben die Halde. Gleich einem riesigen, schwarzen Sarge lagerte sich dieses künstlich aufgeschichtete Tafelgebirge schwer auf das Bild hin.

Unwillkürlich stand der Wanderer einen Moment still. Sein Auge sah etwas, was ihn bewegte. Am Abhang des düsteren Berges da vor ihm streckte mitten aus dem schwärzlichen Gestein heraus, das ihn schon halb zugeschüttet hatte, ein wilder Birnbaum seine Äste hervor, von weißem Blütenschnee dicht beflockt. Es war wie ein flehender Aufschrei des Lebens, das ringsum von dem schwarzen Tod bedroht war – ein Ruf nach Schonung und Erbarmen.

Mit einem leisen Mitleid sah Volkmar Heckes auf den armen Baum. Vergebens, daß er seine Äste aus der drohenden Umklammerung zum Licht emporrang – noch ein paar Wagenladungen Berge mehr drunten aus der Grube, und auch dieses blühende Leben war erstickt wie alles andere hier im Umkreise – der Vernichtungskrieg gegen die Natur; da war nichts aufzuhalten, nichts zu retten.

In ernste Gedanken verloren setzte der einsame Wanderer seinen Weg fort. Der erste Gruß, den ihm die Heimat entbot, war nicht froh.

Nach einer geraumen Weile erst hob er den Blick wieder vom Boden. Er wußte, nun war er ja der Wegbiegung nahe, von wo aus man zum ersten Male die Zeche Willibrod sehen konnte und das väterliche Haus. Suchend ließ er den Blick nach der Stelle hingehen. Richtig, da waren schon die wohlbekannten Baulichkeiten des Werks, aber halt – was war das? Lagerte es nicht wie eine drohende schwarze Rauchwolke darüber? Und jetzt, ganz deutlich, das Aufzüngeln heller Flammen – es brannte auf dem väterlichen Besitz. Ein großes, gewaltiges Feuer mußte es sogar sein.

In plötzlichem Erschrecken war Volkmar Heckes im ersten Moment stehen geblieben. Nun aber eilte er vorwärts, voll aufgeregter, angstvoller Erwartung: Was mochte da geschehen sein? Ob nicht vielleicht sogar das Haus des Vaters selber und das Leben der Seinen in Gefahr war? Sein vorwärts hastender Schritt wurde bisweilen zum Laufen – wie wünschte er sich jetzt das so zur Unzeit entlassene Automobil herbei! –

Es war auf Zeche Willibrod, um die Zeit des mittäglichen Schichtwechsels. Still lag die Halle mit der Fördermaschine da – ein großer, weiter Raum, die Wände mit hellen Kacheln belegt – in seiner Mitte ein Riesenrad, das vom Fußboden bis zur Decke reichte und die ganze Halle mit seinen gigantischen Formen, seinen mannesstarken, eisernen Speichen völlig beherrschte. Ein Rad, wie es das Auge noch nie geschaut, wie von Kyklopen geschmiedet und nur durch ihre titanischen Kräfte zu bewegen.

Jetzt verharrte es in schwerwuchtender Ruhe, festgehalten von den Kolbenstangen der Dampfzylinder zu beiden Seiten wie von zwei ungeheuren Armen, stark wie Bäume. Blitzblank, unbarmherzig gliß der graue Stahl, aus dem sie geschweißt waren, während die Hüllen der Zylinder und das Rad selber mit ihrem tiefen Schwarz etwas düster Drohendes hatten.

Einen seltsamen Kontrast zu dem finsteren Ernst dieser gigantischen Maschine bildeten ein halbes Dutzend pokalähnlicher Gläser mit festlich blinkendem Messingfuß, die hier und da über dem Gestänge angebracht waren und in denen es verlockend topasgolden oder rubinrot leuchtete wie feurige Südweine beim heiteren Mahle – die Öle, die dem Riesenarm die Gelenke geschmeidig machten.

Noch immer lag der Koloß in starrer Ruhe. Aber sie hatte etwas Trügerisches, Unheimliches. Man ahnte die gefesselten Riesenkräfte, die sich hinter dieser Stille bargen, und erwartete mit geheimem Vibrieren der Nerven jeden Augenblick ihren vulkanischen Ausbruch.

Auch der Mann im blauen Arbeitsanzug, der, ganz allein in dem weiten Raum mit dem stählernen Ungeheuer, auf einer Art Schiffsbrücke vor einem Steuerrad stand, die Rechte am eisernen Hebel, hatte den Blick mit einem ernsten, beobachtenden Ausdruck vor sich hin auf die Maschine gerichtet wie auf einen gefesselten Feind, dem aber keinen Augenblick zu trauen war. Unbeweglich wie der eiserne Koloß stand er selber, kein Laut war vernehmbar in dem weiten Raume.

Da schrillte plötzlich ein helles, scharfes Glockensignal durch die Stille.

Mechanisch drückte die Rechte am Hebel, ein kurzes Anrucken ging durch das Rad, doch dann gleich wieder das dumpfe Aufschlagen einer Hemmung – ein zweitesmal so, ein drittes – aber nun, nach dem vierten Signalschlag ein Rasseln und Dröhnen von furchtbarer Gewalt: Der Riese war entfesselt und regte seine stählernen Kolbenarme, das Rad drehte sich, immer schneller und schneller, nun schwirrend, blitzschnell trotz seiner kolossalen Gewichtsmasse und mit einem Getöse wie ein über eine Eisenbahnbrücke hindonnernder Kurierzug – zischend, schnaubend, krachend, malmend.

Unbeweglich stand der Mann am Steuerrad, das Auge scharf auf eine Skala an der Fördermaschine gerichtet, den Teufenzeiger, über die langsam ein Stift hinglitt. Der Ernst in seinem scharf geschnittenen, fast finster dreinblickenden Antlitz war nur zu gerechtfertigt. Es war um die Stunde der Seilfahrt im Schacht – an dem Drahtseil, das sich da an dem sausenden Riesenrad abwand, hingen zwei vollbesetzte Förderkörbe, ein auf- und ein absteigender – hundert Menschenleben waren in seine Hand gegeben. Ein Moment der Unachtsamkeit, ein Überschreiten der Fahrtgrenze, und fünfzig Kameraden lagen drunten tief im Innern der Erde, begraben im Sumpf – fünfzig andere zerschmetterten im selben Augenblick oben an der Eisendecke des Schachtturmes.

Darum wich das Auge nicht von dem Teufenzeiger, der ihm genau den jeweiligen Stand der Körbe im Schacht anzeigte, die Hand nicht vom Rad, das die Fahrtgeschwindigkeit regulierte – die schwere Verantwortung seines Amtes lastete ihm unablässig auf der Seele.

Und doch, auch er war ein Mensch. Wer jahraus, jahrein so an der Fördermaschine stand, wem das nervenaufreizende, schrille Glockenzeichen und das Dröhnen des Riesenrades gewohnte Dinge geworden waren, wie allen anderen ihre Tageshantierung, der ertappte sich trotz aller Gewissenhaftigkeit doch hin und wieder dabei, daß die Gedanken von dem monotonen Drehen des Rades, von dem Gleiten des Zeigers abirrten – irgendwohin, weit ab, in entlegene Zeiten und Räume.

Vielleicht, daß durchs offene Fenster ihm unbewußt ein Hauch geweht kam, drüben von der Kokerei her, und plötzlich zuckte in dem stillen, ernsten Manne ein Erinnern auf – blitzschnell, flüchtig, aber so zum Greifen deutlich: Teergeruch, Schiffsplanken – die weite See, die er so lange Jahre als Maschinist befahren! Eine ferne, heiße Südlandssonne über dem indigoleuchtenden Meere, Palmen und weißflimmernde Häuser an der Küste, bis plötzlich der schrille Warnruf seiner Glocke ihn erschrocken auffahren ließ – die Sekunden waren dahingeflogen, die Körbe nahten sich dem Endpunkt der Seilfahrt, es war die höchste Zeit, die Geschwindigkeit zu vermindern.

Und nun, wo die Maschine wieder für eine Minute stillstand, die Körbe droben und drunten sich von Menschen leerten und eilends wieder füllten, nun fuhr sich der Mann am Rad hoch aufatmend über die Stirn. Sie war ihm feucht geworden in diesem einen Augenblick des Zusammenschreckens. Und dann kam ihm mit einem Gefühl der Erleichterung wieder zum Bewußtsein, was er sich heute schon ein paarmal in Gedanken zugerufen: Morgen ist Ostern! Zwei Tage, ledig des verantwortungsschweren Amtes, winkten ihm – zwei Tage der Freiheit ohne diese ewige Spannung, ohne den wuchtenden Druck der Verantwortung, die ihn mit der Härte schwerster gesetzlicher Ahndung bedrohte – zwei Tage, wo er einmal sein eigener Herr, wirklich Mensch war!

Und in dem finsteren Antlitz des Maschinisten zuckte es auf, ein geheimes, leidenschaftliches Wetterleuchten. Es galt dem unsichtbaren Gegner, dessen Joch er doch nur allzu deutlich fühlte: der heutigen Gesellschaftsordnung, dem Kapitalismus, der ihn wie die Millionen seiner Mitproletarier anspannte und ausnutzte.

Die Faust des Mannes in der blauen Bluse preßte sich ingrimmiger um den Griff des Hebels. Aber es würde nicht immer so bleiben! Einmal würde doch der Tag der großen Abrechnung kommen, wo die lang geknechteten Massen die Herren sein würden, und dann –!

Die leidenschaftlich erregte Phantasie schwelgte in glühenden Bildern voll gesättigten Durstes nach Vergeltung und einer imaginären Glückseligkeit, wie sie die fanatischen Propheten des Sozialismus ihm und seinesgleichen tagtäglich mit tönenden Worten verhießen, bis plötzlich das scharfe Glockenzeichen droben an der Wand ihn rauh seinen Träumen entriß und an Pflicht und Arbeit mahnte. Und von neuem begann das monotone Spiel des Riesenrades, des großen Glücks- und Schicksalsrades des Bergmannes, an dem Wohl und Wehe so vieler Menschen hingen. Ihrer Dreitausend waren ihm täglich in seine Hand gegeben.

Aber nur eine knappe Viertelstunde noch, und die Zeit der Seilfahrt war vorüber, der Kamerad von der Nachmittagsschicht löste ihn ab.

Unwillkürlich flog der Blick des Maschinisten zum hohen Fenster hinaus, ob der Erwartete nicht schon draußen herannahte. Doch niemand war im Augenblick gerade auf dem Zechenplatz zu erblicken, der von hier aus in seiner ganzen Ausdehnung zu übersehen war. Aber wie sein Auge sich schon wieder abkehren wollte, stutzte es: Kam es da drüben auf dem Lagerplatz, wo die Grubenhölzer in mächtigen Haufen aufgeschichtet waren, nicht aus einem der Stapel wie Rauch – ein kleines, weißliches Wölkchen?

Schärfer sah Maschinist Freukes zu – ganz gewiß, da brannte es, und im nächsten Moment rief er auch schon, daß es laut durch den weiten Raum schallte:

»He – Timm! Schnell, schnell!!«

Eine dumpfe Stimme antwortete wie aus weiter Ferne, und einige Augenblicke später tauchte aus der Treppenöffnung in der Ecke, wo es hinunterging zu den Maschinenanlagen im Souterrain, der Hilfsmaschinist auf, die Blechkanne mit dem Öl, das er geholt, in der Rechten.

»Wat giw dat dann – wat schraist'e so, Mensch'k?«

»Feuer – draußen auf dem Holzlager! Lauf sofort ans Telephon – Meldung zur Brandwache!«

»Brennt dat?«

Mit seinem unverwüstlichen Phlegma nahm Timm Schultgen die Mitteilung auf und reckte neugierig den Kopf zum Fenster hoch. Aber dann ging er doch zur Wand, zum Fernsprecher hin. – – –

Auf der Hauptwache der Heckesschen Zechenfeuerwehr schlug scharf das Telephon an.

Der diensttuende Wachtmeister, der im kleinen Bureauzimmer am Tisch mit dem Telegraphenapparat gesessen hatte, den Kopf in die Hand gestützt, im leisen Mittagsschläfchen, fuhr auf und stürzte an das Telephon.

»Hier Hauptwache!«

»Hier Brandwache, Zeche Willibrod. Feuer im Holzlager ausgebrochen. Mit vollem Löschzug und Dampfspritze ausrücken. Menschen nicht in Gefahr!«

»Jawohl – alarmiere sofort.«

Die Linke des Wachtmeisters hängte das Telephon wieder ein, die Rechte drückte den Knopf des Alarmsignals und im nächsten Moment schrillte schon gellend das ratternde Glockenzeichen durch den stillen Hof der Feuerwache.

Alarm!!

Drüben in der Wachtstube des ersten Stocks sprangen die diensttuenden Wehrmänner, die vor dem Kaffeetopf saßen, von den Bänken, nebenan die im Schlafsaal von ihren Matratzen. Ein aufgestörtes Durcheinander, und doch jede Bewegung zielbewußt; wenige Momente später rutschte schon der erste, fertig ausgerüstet mit Helm, Gurt, Beil und Seil, durch das Loch in der Diele der Mannschaftsstube an der Kletterstange hinunter in den Geräteraum.

Ein Ruck an einem Hebel, und sämtliche drei Torflügel der großen Wagenhalle sprangen weit auf.

Ein Wehrmann lief heraus, mit feuerrot lackiertem Fahrrad. Im Nu saß er auf und jagte voraus nach der Brandstelle. Hinter ihm brachen aus dem Dunkel der Halle die beiden Spritzen und der Mannschaftswagen, blitzblank die Kupferkessel und Metallbeschläge, von Dutzenden von kräftigen Fäusten geschoben. Gleichzeitig kamen drüben aus den geöffneten Stalltüren die Pferde, mit eilends übergeworfenem Geschirr. Aufgeregt schnaubten die Tiere, das Weiße in ihrem Auge blitzte scheu auf und ihre Eisenhufe schlugen Funken aus den Pflastersteinen im Hofe, während die Mannschaften nun wie der Blitz auf die Wagen kletterten.

Kaum vier Minuten waren verflossen nach dem Alarmzeichen, da rasselte der Löschzug schon von der Wache. In gestrecktem Galopp jagten die Pferde dahin – unheimlich schrillte der unaufhörliche Warnruf der drei Glocken durch die Luft und schreckte die Bewohner der Arbeiterhäuser an die Fenster. – – –

Aber schneller als die Wehr war das Feuer selber gewesen. Als der Löschzug nach viertelstündiger Fahrt auf dem Zechenplatz ankam, da stand dort schon ein großer Teil des Holzlagers in hellen Flammen. Vergebens hatten sich die Bewohner der Zeche mit Hilfe der Brandwache auf dem Schacht bemüht, des Feuers Herr zu werden. Auch der Brandmeister, durch das Telephon hergerufen, war schon da. Nun trat er mit hocherhobener Hand den heranrasselnden Wagen entgegen.

»Halt – Absitzen! – Pferde weg! – Schläuche an die Hydranten!«

Dem militärisch kurzen Kommando folgte nicht minder schnell und kurz die Ausführung, und bald sandte die Dampfspritze, die noch während der Fahrt angeheizt war, ihren ersten Strahl zischend in die prasselnde Glut, daß aus dem weißlich-grauen Rauchmeer eine tiefschwarze Qualmwolke aufstieg.

Der Kampf des Menschen mit dem entfesselten Element war im Gange; aber dieses schien des eifrigen Gegners zu spotten. Mit dämonisch auflodernder Lust warf es seine blutigroten Garben in die Luft, züngelte es gierig hier und dort hin, sprang von Stapel zu Stapel über – immer größer wurde der Brand, ein Meer von Flammen, ein Meer von Rauch, das zeitweilig den ganzen Zechenplatz einhüllte, so daß das Auge überhaupt nicht mehr übersehen konnte, wohin der heimtückische Feind seinen Weg nahm.

Die Lage war ernst, und Verwirrung bemächtigte sich der zahlreichen Beamten und Angestellten, die in lebhafter Erregung von dem Zechenplatz aus dem Feuer zusahen. Nach Eintreffen der Wehr hatten sie ja hier nichts mehr zu tun.

»Paßt auf – das Holzlager ist hin!«

»Das heißt rund vierzigtausend Mark.«

»Wenn's nur dabei bleibt – ich fürchte auch für unsere Kohle. Wenn das Feuer überspringt –!«

Hinten grenzte an das Lager der Grubenhölzer, nur durch die Gleise der Zechenbahn von diesem getrennt, der Lagerplatz der Kohlen. Bei den gegenwärtigen, schlechten Geschäftszeiten, bei dem geringen Absatz dieses Jahres, lagen dort Werte von über einer Million angehäuft.

»Donnerwetter, das wäre ein Schlag – selbst für einen Heckes!«

»Wo er nur bleibt? Daß er sich gar nicht sehen läßt! Hat man ihm denn nichts gemeldet?«

»Selbstverständlich, sofort. Aber er war nicht drüben in seinem Hause.«

»Verdammtes Pech! Wenn der hier wäre, käm's doch vielleicht anders.«

»Wie so? Der kann doch auch nicht mehr tun als unser Brandmeister!«

»Abwarten! Ein Mann wie der weiß sich noch immer Rat.«

»Ja, das ist wahr! Ein Deubelskerl ist er – der weiß, wo er zuzupacken hat. Wißt ihr noch damals, vor drei Jahren, wie drüben auf Schacht V die Kokerei brannte?«

»Hallo – was ist das jetzt?«

»Die Handspritze wird wieder bespannt– fährt ab!«

»Nanu – warum das? Wohin denn?«

»Wahrscheinlich rüber, nach der Kolonie, um die Arbeiterhäuser zu beschützen.«

»Ja, ja – das ist richtig. Das Holzlager geht einer Seite dicht heran.«

»Aber vorläufig tut's doch hier mehr not! Ich weiß nicht –

»St! St!«

»Was gibt's denn?«

»St! – der Alte! Da kommt er ja!«

Die Augen aller richteten sich nach drüben, wo der Warner hinwies. Dort war jetzt zu dem Brandmeister ein Mann getreten, der mit eiligen, aber doch festen Schritten herangenaht war, gerade im Augenblick, wie die zweite Spritze abfuhr. Verwundert wies er dem Wagen nach.

»Wohin geht die Spritze?«

Der Brandmeister riß die Hacken zusammen und salutierte militärisch.

»Zum Schutz der Kolonie drüben, Herr Heckes!«

Der Besitzer des Werks warf einen Blick hinüber nach den Häusern, die gerade jetzt durch eine Lücke in dem Rauch sichtbar wurden. In der Tat, sie lagen dem Brandherd nah, aber nicht in der Windrichtung. Ein zweiter, schneller Blick nach dem schwärzlichen Wolkenmeer droben, das ein Luftstoß plötzlich gewaltsam hinüberfegte, mehr nach links zu, wo die Kohlenlager waren, und seine Stirn runzelte sich.

»Unsinn!« Ein scharf mißbilligender Blick traf zugleich den noch immer vor ihm Strammstehenden. »Noch droht da keine Gefahr – aber wo anders. Zurück mit der Spritze!«

Dem Brandmeister schoß das Blut in die Schläfe.

»Zu Befehl!«

Und er schickte den Mann auf dem Fahrrad mit der Gegenorder eilends der Spritze nach.

Vor dem Zechenportal stand eine dichtgedrängte, hundertköpfige Menschenmenge, die neugierig durch das Torgitter nach dem aufregenden Schauspiel da drinnen sah – Arbeiter des Heckesschen Werks mit ihren Frauen und Kindern aus der Arbeiterkolonie nebenan. Aber auch sonst hatte der Brand, der in der Ebene hier ja weithin sichtbar war, zahlreiche Zuschauer angelockt. Ja sogar mehrere Fuhrwerke hielten vor dem Zechenportal, und eben war noch ein Auto herzugejagt gekommen, das nun so dicht wie möglich an die massive Mauer heranfuhr, und die Insassen, mehrere Damen und ein Herr, traten auf die Sitze, um besser sehen zu können.

Es geschah zur gleichen Zeit, wo auch Volkmar Heckes endlich herangekommen war. Nun bahnte er sich einen Weg durch die Menge, aber höflich, fast bescheiden, wie es seine Art war.

»Sie erlauben – ich will zur Zeche.«

Erstaunt sah man ihn an.

»Da kommt jetzt doch keiner rein. Alles abgesperrt.«

Aber dennoch machte man ihm im dichten Gedränge Platz, so gut es ging.

Langsam nur schob sich Volkmar Heckes so durch das Gewühl vorwärts. Er war jetzt dem Auto nahe gekommen und hörte die laute, ungenierte Unterhaltung seiner Insassen.

»Ein großartiges Schauspiel – nicht, Lona?«

»Wundervoll!«

»Famoser Gedanke von Ihnen, Herr Assessor, hierherzufahren. Doch endlich mal ein bißchen was Aufregendes. Man kommt ja sonst um vor Langeweile auf seinem Pütt.«

Die Umstehenden, im schlichten Gewand der Arbeit, sandten finstere Blicke hinauf zu den jungen Damen und dem Herrn da oben im Auto – alle vier in blendend weißen Tennisanzügen, über den sie in der Eile den hellen Sommermantel oder das Golfjackett geworfen hatten – in den Augen der schwer Arbeitenden nur Drohnen der menschlichen Gesellschaft, die ihr Dasein zwischen Spiel und Flirt vertändelten.

Halblaute Bemerkungen in diesem Sinne wurden in der Menge laut, die Volkmar Heckes vernahm, während er sich durchzwängte, und ein Gefühl von Beschämung überschlich ihn, wie wenn diese harte Kritik ihm selber gegolten hätte. Galt sie ihm nicht auch in der Tat? Gehörte er nicht auch zu denen, die das Leben ohne ihr Verdienst in die Sonne des Glücks gestellt hatte, während Millionen Darbender abseits im Schatten stehen mußten?

Schnell wollte er an dem Automobil vorüber, aber da hörte er sich plötzlich angerufen von einer Frauenstimme:

»Herr Heckes – sind Sie's wirklich?«

Er sah auf. Eines der jungen Mädchen droben auf dem Wagen streckte mit einer Gebärde des Erstaunens die Hand nach ihm hin. Nun erkannte er unter dem kleidsamen, feinen Panama das hübsche Gesicht – Hedwig Vermeren!

So unerwartet war die Begegnung, daß ihm eine leise Röte ins Gesicht stieg. Oder war es nur das Gefühl, daß jetzt alle die Umstehenden seinen Namen gehört, daß sie nun auch ihn als jener Klasse der Drohnen zugehörig erkannt hatten?

Unbefangen aber wandte sich die Fragerin weiter an ihn:

»Seit wann sind Sie denn wieder hier? Ich dachte, Sie säßen noch immer irgendwo an der Riviera.«

Und sie reichte Volkmar, der jetzt an das Auto herantrat, freundschaftlich die Hand zum Gruß, während sie ihn ihren Bekannten vorstellte.

»Ich komme eben von da – direkt von der Bahn.«

»Und was sagen Sie zu dem Feuer hier? Wir wollten gerade unsere Tennispartie eröffnen, als Herr Assessor Birkner mit der großen Neuigkeit ankam. Da haben wir natürlich sofort unser Töfftöff mobil gemacht und sind her – so wie wir gingen und standen!«

Mit heiterem Lachen öffnete sie den eleganten Mantel aus champagnerfarbener Bastseide, daß das schicke Tennisdreß darunter sichtbar wurde. Aber es mußte etwas in Volkmars Blick sein, wie er sie jetzt einen Moment, ohne zu antworten, ansah, das ihr plötzlich zum Bewußtsein brachte, daß für ihn jedenfalls der Brand da etwas anderes war als nur ein grandioses Schauspiel, das die Eintönigkeit des Lebens hier einmal angenehm durchbrach. Und so sagte sie denn schnell mit verändertem Ton, wie mit einer leisen Entschuldigung:

»Sie sind gewiß in Sorge wegen Ihres Herrn Vaters, obschon ja eine Gefahr für Ihre Villa nicht besteht.«

Mit einer leichten Bewegung neigte sie den Kopf zu dem parkähnlichen Garten jenseits der Straße hin, durch dessen Wipfel ein stolzer, schloßähnlicher Bau hindurchleuchtete.

»Gewiß, unser Haus ist außer Gefahr, aber es scheint doch sonst hier ernst auszusehen. Und darum verzeihen Sie wohl –«

Er verneigte sich, noch immer ernst, vor ihr.

»Selbstverständlich, lassen Sie sich ja nicht länger aufhalten!« Hedwig Vermeren reichte ihm abermals die Hand, doch diesmal mit einem leisen, heimlichen Druck, und in ihren Augen stand ein vertrautes Grüßen, wie sie hinzufügte: »Aber hoffentlich machen Sie uns recht bald in Bistorp das Vergnügen.«

Volkmar Heckes sah zu ihr auf, und es wurde ihm plötzlich wieder froh ums Herz. Das waren doch noch die alten guten, lieben Augen, die ihm so oft in der Fremde freundlich zugewinkt hatten, und seine Rechte erwiderte den heimlichen Freundesdruck.

»Ich komme gern – wenn möglich schon während der Ostertage.«

»Das wäre lieb. Also auf Wiedersehen.«

Volkmar Heckes suchte dann weiter seinen Weg durch die Menge. Allmählich kam er dem Portal der Zeche immer näher. Es war gerade der Moment, wo auf seines Vaters Geheiß die zweite Spritze, die schon drüben angefangen hatte, ihren Strahl nach den heiß gewordenen Mauern der nächstgelegenen Arbeiterhäuser zu senden, plötzlich wieder zurückgeholt worden war. Der Haufe hier vor dem Tor sah es in steigender Erregung mit an.

»Kloar – up us Arbeter kump dat ja nich an! Of use paar Lumpen mit brennt of nich – dat is Wost! Wenn de Zeche man kinen Schaden hed.«

»De verdammte Schwinhund – so'n Brandmester!«

»De Kerl hed doch kin Schuld – de hed ja grade de Spritze henschickt. Nee – de Olle is't! De hed se ja trügge kummen loaten.«

»Wat – de?«

»Natürlich – dor vörne hewt se 't ja dütlich g'nog hört!«

»So en –!« Der laute Fluch eines Dritten übertönte das haßerfüllte, rohe Schimpfwort, das sonst an Volkmars Ohr geklungen wäre. Aber auch so schon litt er schwer, und mit vermehrter Hast arbeitete er sich bis an das Portal selbst durch.

»Halt – hier kein Zutritt!«

Und die Torwache trat ihm entgegen. Aber sein Name ließ den Mann alsbald mit einer Entschuldigung zurücktreten. So kam er der Brandstelle nahe, freilich nur bis zu dem Kordon, den Wehrmänner und Beamte der Grube inzwischen auf Magnus Heckes' Befehl gezogen hatten, um jeden Unbefugten fernzuhalten. Doch konnte er von hier aus den Vater deutlich sehen, der neben dem Brandmeister und den Direktoren der Zeche stand, und seine laut befehlende Stimme war in jedem Wort zu verstehen.

»So kommen wir nicht weiter,« mit großer Entschiedenheit hörte Volkmar es den Vater erklären. Sein Blick übersah scharf die Situation: Selbst die beiden Spritzen reichten nicht aus, um das schließliche Übergreifen des Brandes nach dem Kohlenlager zu verhüten. Immer weiter fraß sich das Feuer durch die langen Reihen der Holzstapel nach jener Richtung hin, von Zeit zu Zeit durch den ihm heimlich verbündeten Wind vorwärts gedrängt.

Magnus Heckes' Auge flog über das ganze Schlachtfeld bis hinten zu der bedrohten Hauptposition. Wenn auch schon die Hölzer hier draufgingen – aber da drüben die Kohle, der Gewinn mühevoller Arbeit, die durfte ihm nicht verloren gehen – sie war nicht in wenigen Tagen wieder zu ersetzen – ihre gewaltigen Werte, deren Realisierung er unter größten Opfern für eine günstigere Konjunktur hatte aufsparen wollen, durften nicht einfach in Rauch und Flammen aufgehen.

Und Heckes' Blick erfaßte unter den buschigen Brauen hervor den wild anstürmenden Feind mit einem heißen Aufleuchten. Noch gab er nichts verloren – im Gegenteil!

Dann flog sein Auge noch ein letztes Mal scharf prüfend über das Holzlager hin – in dem flüchtigen Moment blitzschnell, aber doch ruhig und klar die Chancen des Gegenzugs erwägend, den er tun wollte. Dann war es entschieden.

»Schürmann!«

Laut klang der kurze Ruf – ein knapper Befehl – hinüber zu den Beamten der Zeche, in deren Nähe Volkmar stand.

»Herr Heckes!«

Und der Betriebsführer der Schachtanlage war mit wenigen Schritten bei dem Chef.

»Gehen Sie sofort in die Kaue hinüber. Was noch an Leuten da ist, soll her – drüben zu den Stapeln!« Er wies auf die letzten Reihen der Holzstöße, die die Grenze nach der Zechenbahn und dem Kohlenlager jenseits des Gleises bildeten. »Die Hölzer müssen weg. Wir müssen dem Feuer den Übertritt verwehren – unter allen Umständen!«

»Sehr wohl, Herr Heckes!«

Und der Betriebsführer eilte hinüber in die große Wasch- und Umkleidehalle, wo jetzt, nach dem Schichtwechsel, immerhin noch ein paar hundert Mann anwesend sein mochten von der Belegschaft, die von der Arbeit aus der Grube gekommen war.

Magnus Heckes gab inzwischen weiter seine Befehle.

»Herr Dircks,« er winkte den technischen Direktor heran, »beordern Sie unseren Zug, der drüben Kohle lädt, hierher – Ladung sofort abbrechen und hier die Hölzer aufnehmen.«

Der Direktor ging eilends zum Bureau, den Auftrag telephonisch zu erledigen.

»Brandmeister!«

»Herr Heckes!«

»Dirigieren Sie die Spritzen so, daß die Leute hier im Schutze des Strahls arbeiten können – was brennt, mag ausbrennen.«

»Zu Befehl!«

Einen Moment schöpfte Magnus Heckes Atem. Das Gesicht war ihm von der Anstrahlung durch die Feuersglut ganz gerötet und Schweiß war ihm auf die Stirn getreten. Aber er achtete nicht weiter darauf. Schon ungeduldig sah er sich nach der Kaue um.

Der Betriebssichrer kam jetzt gerade von dort zurück; aber nur wenige Leute waren hinter ihm, die nun unter der Führung eines Steigers nach der gefährdeten Stelle zu liefen.

»Nun – und die andern?« herrschte ihn Heckes an.

»Sie weigern sich, Herr Heckes,« mit verlegenem Gesichtsausdruck berichtete es Schürmann. »Sie hätten das nicht nötig – zum Feuerschutz sei ja die Wehr da, und sie hätten ihre Ruhe jetzt auch nötig, wo sie ihre acht Stunden schwerer Arbeit hinter sich hätten.«

Es mochten noch andere, feindseligere und schadenfrohe Äußerungen gegen den Grubenherrn laut geworden sein, die der graubärtige, alte Beamte nur sich scheute wiederzugeben.

»So!« In Magnus Heckes' Antlitz zuckte es auf. Einen Moment sah es aus, als ob er selbst herüber wollte, den Unbotmäßigen entgegen. Aber im nächsten Augenblick war er wieder ganz kalte Ruhe, und es war etwas Schneidendes in seinem Ton, wie er nun dem Betriebsführer befahl:

»Nehmen Sie sich zwei Steiger, postieren Sie an jeden Ausgang der Kaue einen und bestellen Sie den Leuten: Wer hier zur Hilfeleistung antritt, erhält einen vollen Schichtlohn extra – wer sich weigert, auf der Stelle seine Abkehr.«

Volkmar Heckes hörte das alles mit an. Die Worte des Vaters schallten ja laut herüber bis zu der Stelle, wo er stand. Das Rechtsgefühl in ihm regte sich peinlich. Die Leute waren ja in der Tat nicht zu dieser Hilfeleistung verpflichtet. Anderseits – hier war größte Gefahr im Anzug, die besondere Maßnahmen rechtfertigte.

Mit einem eigenen Ausdruck blickte Volkmar zu seinem Vater hinüber. Und doch – trotz aller inneren Widersprüche – der Mann da drüben mit seiner gewaltigen Energie, die vor keinem Kampf zurückschreckte, mit seinem Feldherrnblick, der ruhig und doch im Fluge inmitten des Wirrwarrs um ihn her das Richtige erspähte, er hatte etwas Packendes, Überragendes an sich. Und wenn er hart war – es mußte sein. Die Stunde hier war ein lehrhaftes Beispiel: Wer wie Magnus Heckes um große Ziele kämpfte, der konnte nicht nach jedem einzelnen fragen – vorwärts! war die Parole, und wenn auch rechts und links einer stürzte.

In dem stillen Gesicht Volkmars stand plötzlich ein Leuchten, wie er so zu dem Vater hinübersah. Er bewunderte ihn in dieser Stunde. Und gern wäre er zu ihm geeilt, hatte ihm aus diesem warmen Impulse heraus die Hand gedrückt; aber doch geschah es nicht. Er wußte ja, ein verwunderter Blick, jenes von ihm so gefürchtete, leisspöttische Lächeln würde ihn empfangen haben.

So begnügte er sich damit, ihn von seinem Platz aus mit den Blicken zu verfolgen; vielleicht daß der Vater ihn endlich hier bemerkte und ihm einen Gruß herüber nickte, auf den er stolz gewesen wäre. Aber Magnus Heckes hatte nur Auge für den Kampf, den er führte.

Die Androhung der Entlassung hatte drüben in der Kaue geholfen. Wenige Minuten später waren, wenn auch vielfach mit finsteren Gesichtern, wohl an zweihundert Mann zur Stelle, die nun unter Schürmanns persönlicher Leitung und unter Mithilfe aller Steiger die Stapel in fliegender Hast abtrugen und auf die inzwischen schon heranfahrenden Wagen des Bahnzugs verluden.

Nur einige Dutzend Hartnäckiger, meist unverheiratete junge Burschen, waren bei ihrer Weigerung verblieben. Sie führten nun draußen, vor dem Portal der Zeche, laute, erbitterte Hetzreden, ein dumpf drohendes Echo in der vielhundertköpfigen Menge weckend.

»Rut schmetten hed he us – verhüngern soll'n wi! Wi brukt doch nich to danzen, wenn de will.«

»Wat? Un jüst vör Ostern? Dat fehlt noch, so'n Schitdüwel!«

»Obers dat dröw de doch gar nich! Hed de 'n Rech, dat to verlangen?«

»Was fragt der nach den Rechten anderer!« höhnisch sagte es ein hagerer, finster blickender Mann, der Fördermaschinist Freukes; er war schon vorher von der Zeche gegangen, seinerseits also um die Entscheidung noch herumgekommen. Trotzdem machte er am lautesten seinem verbissenen Ingrimm Luft. »Der kennt nur ein Gebot, das ist sein Vorteil. Menschenrechte tritt der mit Füßen.«

»Jo – wenn use Baracken dor achter upbrennt, dor frog de nix nach, dat is dem Tute. Wenn de man sine Saukohle 'rutkrigt!«

»Die ist ihm auch mehr wert!« überlegen lächelte Freukes, daß der grimmig-höhnische Zug um seine Nasenflügel noch schärfer hervortrat. »Das ist doch kein Zufall, daß da für ein Paar Millionen Kohle auf dem Lager liegen.«

»Jo, jo – du weest ja, de schlechte Konjunktur!«

»Haha, schlechte Konjunktur! Ihr Dummköpfe – das sagt er, das läßt er euch durch die Steiger tagtäglich vorbeten, bis ihr Narren es wirklich glaubt. Aber wir – wir wissen es besser!«

Man wurde aufmerksam. Es war den Gesinnungsgenossen ja bekannt, daß Freukes als Vertrauensmann der sozialdemokratischen Partei so manches wußte, was hinter den Kulissen vorging.

»Wuso denn? Mak doch din Mul up, Kerl!«

Maschinist Freukes sah sich einen Moment um, ob in dem ihn umdrängenden Haufen auch kein unberufenes Ohr war. Dann sagte er mit etwas gedämpfter Stimme:

»Also paßt auf, ich will's euch sagen, warum er da drüben das Lager voll Kohle anhäuft bis zum letzten Winkel: Es ist was im Gange! Jetzt schon sind unsere Löhne schlecht, aber sie sollen noch mehr runtergedrückt werden, und wenn wir's uns nicht gutwillig gefallen lassen, dann soll ein Streik provoziert werden, daß wir nachher noch als die Schuldigen dastehen!«

»Wat? So is de Krom?«

Freukes nickte, sein Gesicht hatte einen fanatisch erregten Ausdruck bekommen, und seine Augen leuchteten, selber von der Glut erhitzt, die er in den anderen zu entfachen bemüht war.

»Ja, da soll's hinaus! Versteht ihr nun, warum er seine Kohle aufhäuft? Wenn's dann soweit ist, wenn der Streik da ist, dann hat er die Scheuern voll, dann kann er's in Ruhe abwarten, bis wir von Hunger und Not mürbe gemacht sind und wieder zu Kreuze kriechen – für einen Bettellohn weiter unsere Knochen für ihn zuschanden arbeiten.«

»Verdammt jo! Häst recht, Mensch'k! dat stimmt!«

»Sicher, so 'ne verflixte Kanalje, so'n Schindluder! Wenn dem man de ganze Kiste afbrennt – dat gönn ick em.«

»Ja, und jetzt müssen statt dessen unsere eigenen Kameraden ihm noch dazu helfen, den Strick zu retten, mit dem er uns nachher alle erdrosseln will.«

»Düwel noch 'n mol! Dat sallt de nich – de nich! Rin in de Zeche – wi willt denen de Ogen up maken, wi halt se trügge!«

Und schon wollten einige Hitzköpfe zum Portal hindrängen; aber Freukes hielt sie zurück.

»Ihr seid wohl nicht recht gescheit? Wollt ihr euch auch noch brotlos machen?«

»Jo, wat dann? Wi könnt doch nich still stohn un blos tokiken.«

»Sollt ihr auch nicht. Wir müssen natürlich dagegen Stellung nehmen, uns auch rüsten – aber alles wohlüberlegt. Auch wir sind schon an der Arbeit, die Interessen des bedrohten Bergmanns zu schützen. Kommt nur morgen nachmittag alle nach Wittrop ins Gesellschaftshaus zu unserer Versammlung. Es spricht Genosse Dietrichs aus Dortmund – da werdet ihr mehr hören.« –

Die vierhundert Fäuste drüben am Bahngleis taten gute Arbeit unter Magnus Heckes' Augen. Er war mit hinüber gegangen und hielt hier mit den Leuten aus, trotz der Glut des Brandes, der immer näher heranrückte, und des Qualms, der die Augen bis zu Tränen beizte. Die Wassermengen, die die Spritzen in das Feuer vor ihnen sandten, hielten wohl den Feind auf, vermochten ihn doch aber nicht niederzukämpfen. Er wand sich auf Schleichwegen von Stapel zu Stapel und plötzlich pflanzte er triumphierend sein hell aufloderndes Flammenzeichen wieder auf einer neuen eroberten Position auf.

Der Kampf war so noch immer unentschieden. Einmal war der Wagenzug schon hoch beladen mit Hölzern fortgefahren, war drüben in fliegender Eile geleert worden und kehrte nun wieder zurück, der neuen Fracht gewärtig. Gelang es, ihn abermals voll zu packen und wegzubringen, ehe die Flammen die noch hier an der Grenze stehenden Stapel erfaßt hatten, so war das Spiel wohl gewonnen – eine freie Zone zwischen das Feuer und das Kohlenlager gelegt, die ein Übergreifen des Brandes nach dort unmöglich machen würde.

Aber würde es gelingen? Äußerlich ganz ruhig, aber doch gespannt in jedem Nerven, sah Magnus Heckes auf die Leute. Würden ihre schon erschöpften Kräfte noch hinreichen – würde sie der Wille beseelen, den Sieg für ihn zu erkämpfen?

Sie packten ja wohl nun von neuem wieder zu, beluden sich mit den schweren Eichenstempeln, die gerade jetzt noch zu bewältigen waren, aber wie es ihm schien, für seine heimliche Ungeduld viel zu langsam.

Es war, als ob der Betriebsführer Schürmann, der unermüdlich die Bergungsarbeiten leitete, dem Werkbesitzer die Gedanken von der Stirn gelesen hätte.

»Vorwärts, Kinder, vorwärts – nun noch mal frisch angepackt! In einer Viertelstunde haben wir's geschafft!«

Und mit der Tat ein Beispiel gebend, griff er selbst mit an, der Mann im grauen Haar.

Das half. Die Leute packten nun doch williger zu, gaben ihre letzte Kraft her. Schon lichteten sich die Reihen der Holzstöße, die noch zu beseitigen waren. Aber da – ganz unvorhergesehen eine neue Gefahr, die kritisch werden konnte: Mitten aus einem der Stapel, ganz nahe dem Bahnkörper, sprang plötzlich eine Flamme auf. Ein vom Wind verwehter Funke mochte dort unbemerkt gezündet haben.

Ein junger Steiger, ein Mann von hoher, breitschulteriger Gestalt, der gerade in der Nähe mit seinen Leuten um die Wette bei der Räumung mitarbeitete, nahm es zuerst wahr. Mit drei Sätzen war er heran.

»Hierher, Kerls! Ran, was das Zeug hält! Es gibt auch nachher ein Fäßchen Freibier.«

Und schon riß er an den mächtigen Stempeln, die aber für seine Riesenkraft nur ein Spielzeug schienen. Schnell waren ihm ein halbes Dutzend flinker, handfester Burschen zur Seite – der junge Steiger war trotz seiner gelegentlichen Rauheit doch beliebt, er hatte ein Herz für seine Leute – und den vereinten Kräften gelang das Werk, von dem vielleicht alles abhing: Der Stempel, der schon Feuer gefaßt hatte, wurde herausgerissen – der Steiger erstickte die Flammen mit der eigenen Jacke, die er darüber warf, der kleinen Brandwunden nicht achtend, die er sich dabei zuzog – dann wurde er mit Erde bedeckt, die übrigen Hölzer des bedrohten Holzstoßes aber schleunigst auf einen der Waggons geworfen. In wenigen Minuten war alles geschehen.

Magnus Heckes' scharfem Auge war der bedeutungsvolle Vorgang nicht entgangen. Er winkte den Betriebsführer heran.

»Wer ist doch das gleich da drüben?«

»Fahrsteiger Freukes, Herr Heckes.«

»Ach richtig – der Sohn von unserem alten Freukes an der Markenkontrolle. Der Bruder ist ja wohl an der Fördermaschine?«

»Ganz recht, Herr Heckes.«

Der Grubenherr sah noch einmal hinüber zu dem jungen Riesen, der nun schon wieder an anderer Stelle am Werk war, mit gleicher Energie.

»Ein fixer Kerl – behalten Sie den Mann im Auge, Schürmann.«

Im Gesicht des Betriebsführers leuchtete es auf. Er war stolz auf seinen Beamten, dem er selber sehr wohl wollte.

»Ich werde nicht verfehlen, Herr Heckes.«

Dann ging auch er wieder an seinen Posten.

Kurze Zeit später, und das schwere Werk war gelungen – die Schutzzone zwischen dem Brandherd und dem Kohlenlager war geschaffen.

Heckes tat einen tiefen Atemzug, als er den Zug mit dem Rest der Hölzer fortfahren sah. Dann gab er den letzten Befehl zum Brandmeister hin.

»Schicken Sie jetzt die zweite Spritze hinüber zum Kohlenlager, und halten Sie es unter Wasser, bis hier der Brand völlig erloschen ist. Ich bin drüben im Bureau – für alle Fälle.«

Und er wandte sich nun von der Stätte ab. Zum erstenmal merkte er jetzt erst, wie ihm die Augen brannten von dem beizenden Qualm und daß die Haut in seinem Gesicht förmlich glühte. Er strich sich mit dem Taschentuch darüber – eine Waschung drüben würde ihm wohltun. So ging er nach dem Verwaltungsgebäude der Zeche hinüber.

Auch Volkmar Heckes wollte nun seinen Platz verlassen und dem Vater nachgehen. Jetzt würde er ja wohl Zeit auch für den Sohn haben. Doch da sah er gerade den Fahrsteiger Freukes auf sich zukommen; jetzt, wo die Gefahr abgewendet, wollte dieser hinüber zum Schachtgerüst, um einzufahren – seine Aufsicht war in der Grube vonnöten.

Volkmar hatte den alten Schulkameraden schon lange bemerkt und auch vorhin sein entschlossenes Einspringen mit freudiger Bewunderung mit angesehen. Er mußte ihm daher doch jetzt wenigstens die Hand drücken.

»Glückauf, Jupp!«

Der Angerufene, der an der Menschenmauer schnell vorübergehen wollte, sah auf und erblickte sich unvermutet dem anderen gegenüber.

»Gottverdammich! Du, Volkmar?«

Und seine Riesenhand packte im ersten frohen Erstaunen die behandschuhte Rechte des jungen Heckes im hellen Reisehandschuh. Erst die Berührung des feinen, weichen Wildleders brachte ihm zum Bewußtsein, daß seine Hand ja schwarz von Ruß und Schmutz war.

»Pardon!«

Rasch zog er seine Finger zurück und lachte, aber ein bißchen verlegen; es fiel ihm ja nun, wie er den anderen so weltmännisch gekleidet vor ihm, in dem groben Grubenanzug, stehen sah, überhaupt so mancherlei ein.

Es war nicht mehr wie früher, als sie beide noch die Schulbank zusammen drückten. Der alte Freukes hatte es ja ermöglicht, daß sein Zweiter, sein ganzer Stolz, auch aufs Gymnasium ging und sich dort sein Einjähriges holte. Er sollte es im Bergmannsberuf einmal weiterbringen als er selber.

Doch jene Zeit der Jugendkameradschaft war ja nun längst vorüber. Jupp Freukes hätte es im ersten Moment des Wiedersehens fast vergessen, was doch nicht zu übersehen war: der da vor ihm war der Sohn seines Chefs, des Magnus Heckes, dermaleinst selber der Inhaber dieses Riesenbetriebes, und er –?

Aber es war, als ob Volkmar Heckes seine Gedanken ahnte. Schnell, mit freundschaftlicher Vertraulichkeit, legte er seine Hand in den Arm des alten Jugendgefährten, unbekümmert um die Folgen für seinen hellen Reiseanzug.

»Komm,« er zog ihn beiseite, und, mit ihm zur Kaue hinübergehend, sagte er in einem Ton, dem man die Freude deutlich anhörte: »Und nun erzähl' mir: Wie ist's dir gegangen, so lange?«

Als die beiden wenige Minuten später schon wieder schieden – Jupp Freukes mußte hinauf zur Hängebank in den Förderkorb – da war auch der junge Fahrsteiger wieder ganz der alte in seiner frischen Sicherheit. Er wußte ja nun: Volkmar Heckes war immer noch der fast bescheidene, warmherzige Mensch und der treue Kamerad von ehedem. Da fand man den alten Ton ganz von selbst wieder. –

Als sich Volkmar Heckes von dem Jugendgefährten wieder getrennt hatte, schlug er den Weg hinüber zum Gebäude der Hauptverwaltung ein.

Langsam ging er die breite, kiesbeschüttete Auffahrt zu dem sehr stattlichen Bau hin, der mit seiner massiven Sandsteinfassade etwas Imponierendes hatte. Es legte sich ihm nun mit einemmal fast drückend auf die Brust – das Bewußtsein, in der nächsten Minute seinem Vater gegenüber zu stehen.

Unwillkürlich fielen ihm ähnliche Empfindungen ein, die er als Kind und als junger Mensch noch gehabt, jedesmal wenn er zum Vater beschieden wurde. Er war immer nur mit einem geheimen Herzklopfen hingegangen, als wenn er ein schlechtes Gewissen gehabt hätte.

Nun freilich war jenes dunkle Angstgefühl nicht mehr vorhanden, aber die Beklommenheit war geblieben. Wie sonderbar doch im Grunde! Als er da vorhin angesichts des Brandes zu dem Vater so mit tiefer Bewunderung und Verehrung aufgeblickt, da hatte es ihn gedrängt, zu ihm zu eilen, ihm die Hand zu pressen im Ausbruch eines warmen Gefühls – und jetzt war jenes andere mit einem Male wieder so stark.

Langsam, fast zögernd, schritt Volkmar die Stufen zur Pförtnerloge empor und wollte an dem heraustretenden Diener mit einem stummen Kopfnicken vorüber. Aber dieser trat ihm entgegen.

»Pardon – zu wem wünschen Sie? Mit wem habe ich die Ehre?«

Volkmar blickte den Mann erstaunt an. Aber dann sah er: ein neues Gesicht! Und ruhig gab er Auskunft.

»Zu meinem Vater – Bergreferendar Heckes.«

Der Diener verbeugte sich sehr respektvoll, aber dann trat er vor, als wolle er vorausgehen, um den Besuch anzukündigen.

»Schon gut,« winkte Volkmar, »es bedarf keiner Meldung,« und er wollte den Fuß auf die breite Freitreppe zum ersten Stock setzen. Aber der Diener stand noch immer vor ihm.

»Herr Referendar wollen gütigst verzeihen, aber ich habe strengsten Befehl, unter allen Umständen erst immer zu melden.«

Volkmars Stirn beschattete sich. Aber wie er den Mann näher ins Auge faßte, sah er sich auf dessen Mienen die hochpeinliche Verlegenheit malen. Und nun fügte dieser auch noch zur Entschuldigung seines befremdlichen Verhaltens in einem bittenden Tone hinzu:

»Herr Heckes halten strengstens auf wörtliche Befolgung seiner Befehle. Ich habe eventuell sofortige Entlassung zu befürchten –«

»Schon gut – so melden Sie nur!«

Froh, der peinlichen Situation zu entrinnen, sprang der Diener die Stufen vor Volkmar hinauf.

Langsam folgte dieser nach, ein eigenes, bitteres Gefühl im Herzen. So unnahbar, so gefürchtet war der Mann, den er seinen Vater nannte, daß er sich ihm wie ein Wildfremder melden lassen mußte – er, der Sohn, der nach Jahren der Trennung zum erstenmal wieder in die Heimat zurückkehrte. –

Nun stand Volkmar vor der Tür, durch die der Diener eben verschwunden war; aber nur einen Augenblick, dann war dieser schon wieder da. Weit stieß er den Flügel auf, unter tiefer Verbeugung.

»Herr Heckes lassen bitten.«

An dem großen Schreibtisch aus hellem Eichenholz saß der Vater, über ein Schreiben gebeugt, nun schon wieder ganz in seine Arbeit hier vertieft, als wäre das aufregende Schauspiel vor einer Stunde da draußen überhaupt nicht gewesen. Ohne aufzusehen, nickte er nur kurz dem Eintretenden hin.

»Setz' dich immer – bin gleich so weit.«

Volkmar Heckes ging unhörbar über den dunkelroten Läuferstoff, mit dem der Fußboden des ganzen Zimmers bespannt war und ließ sich auf einem der Ledersessel nieder. Dort saß er unbeweglich, nur seine Blicke gingen durch den Raum.

Das war noch alles so wie früher – etwas Kahles, das nüchtern und streng wirkte, war an dem Zimmer. Für seine Größe enthielt es wenig Mobiliar, nur eben das, was nötig war und dies ohne jede künstlerisch veredelte Form – alles lediglich zweckmäßig, Bureauutensilien! So waren auch die hohen Wände ohne jeden Bilderschmuck bis auf zwei Photographien in glattem Leistenrahmen – Ansichten der Stammanlagen der Heckesschen Werke.

Wie Volkmar Heckes das so wieder überschaute, schlich unwillkürlich ein leises Frösteln über ihn hin. Es ging von dem Zimmer aus genau so wie von seinem Vater selber. Und der Blick, mit dem er nun zu dem Mann am Schreibtisch hinübersah, hatte fast etwas Scheues an sich.

Wie ein Fremder kam ihm der Schreibende da vor mit seinen undurchdringlichen, scharfen Zügen, die gerade jetzt, bei der Neigung des Kopfes mit den fest aufeinandergepreßten Lippen und den tiefen, von den Mundwinkeln zum Kinn hinablaufenden Linien besonders den Eindruck einer harten Unbeugsamkeit machten. Das bis auf den altenglischen Backenbart glatt ausrasierte Gesicht ließ ja jedes Fältchen, den Aufbau der kraftvollen Muskulatur in diesem Gesicht klar erkennen.

Auch der Vater sah unverändert aus, genau so wie er ihn vor zwei Jahren verlassen hatte. Damals, als er am Sarge der toten Mutter gestanden, hatte dies kühl beherrschte, stählerne Antlitz nicht anders ausgesehen als heute. Die Erinnerung lebte wieder in Volkmar auf, wie er, den der Schmerz bis ins Innerste erschüttert hatte, damals fast mit einem dunklen Grauen auf die unbeweglichen Mienen des Vaters gestarrt hatte. War es Gefühlsleere oder eiserne Beherrschung? Aber gleichviel – ein solches Verhalten in solcher Stunde war ihm unheimlich gewesen. Das Totenbett der Mutter war so zu einer Schranke geworden, die ihn noch mehr als bisher von dem Vater trennte. Und dies Empfinden hatte ihn eben in den letzten Jahren dem Vaterhause auch in den Ferien fern bleiben lassen; die Studienreisen waren nur ein Vorwand gewesen.

Ein starkes, schnelles Hinkratzen der Feder über das Papier, das deutlich durch den stillen Raum drang – Magnus Heckes hatte seinen Namen unter das Schriftstück gesetzt. Nun legte er die Feder fort, ein Druck auf einen der Telegraphenknöpfe am Schreibtisch – das alles ohne aufzublicken, während sein Auge mit scharfem Ausdruck das Geschriebene noch einmal überflog – und alsbald trat durch die gepolsterte Tür des Nebenzimmers hinter ihm der Privatsekretär.

»Sofort zu erledigen.«

Er reichte über die Schulter hin dem blaß und überarbeitet aussehenden Manne mit den scharf funkelnden Brillengläsern, der sich nur kaum merklich vor Volkmar verneigt hatte, das Schriftstück hin, mit dem sich der Sekretär schnell wieder zurückzog. Dann, als sich die Tür geräuschlos hinter ihm geschlossen, lehnte sich Magnus Heckes in seinen Armsessel zurück, und seine Blicke ruhten nun auf dem Sohne, ein prüfendes Mustern.

»Na, da bist du ja – guten Tag!« und er nickte ihm leicht zu.

»Guten Tag, Vater.«

Volkmar erhob sich und trat heran, um dem Vater die Hand zu reichen. Dieser blieb sitzen, während er dem Sohne seine Rechte für einen Moment überließ – ein kühles, flüchtiges Hinhalten, eine Formalität ohne Inhalt. Niemand konnte sagen, daß er je von Magnus Heckes einen wirklichen Händedruck empfangen hätte. Dann deutete er auf einen Stuhl in der Nähe des Schreibtischs, auf den Volkmar sich nun niederließ, und griff nach der Zigarrenkiste, die er auch dem Sohn zuschob.

»Danke – ich rauche nicht, Vater, du weißt ja.«

»So, immer noch nicht?« Während Magnus Heckes sich die Zigarre in Brand setzte, trafen den Sohn wieder jene durchdringenden Blicke. »Na, das ist wenigstens konsequent.«

Er zerdrückte das glimmende Streichholz in der Aschenschale.

Eine Pause trat ein, für Volkmar schwer bedrückend. Alles, was er sich da vorhin zurecht gelegt hatte an herzlichen Worten für den Vater, über den Brand und sein tatkräftiges Eingreifen dabei, es war wie erstarrt, und er fühlte selber, wie gezwungen es klang, als er nun endlich sagte:

»Das war eben eine kritische Stunde da drüben, Vater.«

Magnus Heckes sah auf.

»Warst du auch dabei?«

»Ja – ich kam gerade dazu, als du die Leitung der Wehr selbst in die Hand nahmst.«

Und in Erinnerung der packenden Eindrücke vorhin wurde Volkmars Ton nun doch wärmer. Sein Blick suchte das Auge des Vaters.

Aber der schien schon wieder ganz mit seiner Zigarre beschäftigt, während er leichthin erwiderte:

»Ja, es hätte unter Umständen übel ablaufen können.«

Es war, als spräche er von den gleichgültigsten Dingen der Welt. Und wieder legte es sich erkältend auf Volkmars Brust. Er vermochte nichts zu entgegnen.

Diesmal war es der Vater, der das Schweigen durchbrach, indem er seinerseits jetzt den Sohn fragte, aber ohne eine Antwort abzuwarten:

»Nun, wie geht's denn dir? Daß du deine Referendarsprüfung bestanden, hast du mir ja angezeigt. Du wirst nun zunächst eine Zeitlang praktisch arbeiten?«

»Jawohl, Vater.«

Es klang wie die Antwort vor einem militärischen Vorgesetzten.

Magnus Heckes tat einen längeren Zug aus der Zigarre, deren feiner Duft inzwischen schon das Zimmer erfüllte; dann blies er plötzlich den Rauch von sich fort.

»Ich wünsche, daß du diese praktische Übungszeit – soweit wie möglich – hier absolvierst. Es ist nötig, daß du den speziellen Betrieb unserer eigenen Werke baldmöglichst kennen lernst. Du wirst dich also mit einer entsprechenden Eingabe an das Oberbergamt wenden. Ich werde außerdem noch privatim mit dem Berghauptmann sprechen.«

»Ganz recht, Vater.«

Magnus Heckes nahm die Zigarre wieder in den Mund, während er zugleich ein vor ihm liegendes Aktenstück aufschlug. So fragte er, die Augen auf dem Papier:

»Warst du schon drüben?«

»Nein, noch nicht – ich war zuerst zu dir gekommen.«

Der Vater nickte, ohne aufzusehen. Seine Gedanken waren bereits bei dem Schriftstück in seiner Hand.

»So gehst du wohl nun hinüber; du findest Willi auch schon dort. Ich habe noch bis zum Abendessen zu tun. Auf nachher also.«

Eine flüchtige Handbewegung, und Volkmar stand auf. Er war entlassen – die Audienz zu Ende, schnell ging er aus dem Zimmer.

Unwillkürlich schöpfte er draußen tief Atem, wie befreit von einem schweren Drucke. Aber dann wurde seine Miene doch gleich wieder ernst, und während er nun zum Wohnhaus hinüberging, senkte sich ihm der Kopf tiefer. Hier sollte er bleiben, dauernd in des Vaters Umgebung – der Gedanke war nicht geeignet, ihn froh zu stimmen. Aber was half es? Hier galt nur ein Wille, und der hatte gesprochen.



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