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Es war eine feierliche Stimmung in unsern Herzen. Auch in unserm Häuschen war es uns fast, als ob mir in der Kirche, als ob der Herr zu uns eingekehrt wäre. Eine unaussprechliche Gewalt zog mich näher zu meinem Weibchen, und zärtlicher fühlten und thaten wir nicht gegen einander in den verrufenen Flitterwochen; nur war in der Zärtlichkeit etwas gediegeneres und in unseren Gemütern klang etwas sonntäglicheres (ich weiß ihm keinen andern Namen zu geben) als anfangs. Unsere Liebe hatte sich im Feuer der Not bewährt und im Glauben geläutert und erhoben. Freilich stund ich da unendlich tief unter meinem Weibchen; aber eben das Gefühl, daß es in Glaubenskraft über mir stund, machte, daß ich mich um so fester an dasselbe schloß, mich an ihm hielt in den Stürmen, die über uns daher brausten. Da bewährte es sich gar herrlich, daß alle Dinge denen, die Gott lieben, zur Seligkeit dienen müssen. Achtet euch in der Welt eines Ehepaares, das Gott nicht liebt, wo jedes im Grunde des Herzens nur sich selbsten liebt, wie da jedes Unglück trennend zwischen sie trittet, ihre Herzen spaltet und durch diese Spaltung jedem Unglück ein dreifach Gewicht gibt. Achtet auf ein solches Ehepaar, wenn Unglück kömmt, wenn Bedrängnis einreißt, wenn ein geliebtes Kind stirbt, wenn Krankheiten sich lagern über eins oder beide, wenn Hoffnungen auseinander gehn, Wünsche brennen und nicht gelöscht werden können, wie da die Herzen bloßgelegt werden und ans Tageslicht kömmt, was man unter künstlichem Flitter, zärtlichen Blicken, süßen Worten, artigen Mienen schlau verborgen hatte. Keines trägt die Bürde gerne; glaubt das andere Schuld an derselben; glaubt, wenn sie beide sich nicht zusammengefunden, so wäre auch dieses Unglück nicht, wäre man nicht in solcher Bedrängnis; schiebt die Bürde dem andern zum Tragen hin und schüttelt sich unwillig über seinen Teil, wird verdrießlich und ärgert sich über die Art und Weise, wie das andere trägt. Dann kömmt es vom Ärger zu ärgerlichen Worten und aus beiden bildet sich das Verhältnis heraus, das besteht zwischen einem Zügel und einem Pferdefuß, der übergesprungen ist. Es entsteht eine Reibung; beide leiden, und je größer das Leiden wird, desto stärker wird die Reibung; und je heftiger die Reibung wird, desto weniger ist an ein Loskommen zu denken, wenn nicht etwa der Zügel bricht. Und wenn auch der Zügel bricht, so hat man am Bein noch ein schweres Doktern. So ist jedes Unglück für jedes sündige Gemüt ein dreifaches Unglück.
Wer will es mir wehren, wenn ich behaupten will, jede Berührung der Außenwelt mit unserm Herzen erzeuge einen chemischen Prozeß, und je nach der Beschaffenheit des Herzens erzeugen sich in ihm bei dieser Berührung Dämpfe – Stimmungen, und je nach den Dämpfen ein Niederschlag – Worte und Thaten? An diesen Dämpfen und diesem Niederschlage eben erkennt der Mensch, wes Geistes Kind er ist. – Ist das Herz ein verdorbenes, und welche sind es eigentlich nicht? so steigt bei der Berührung verdorbenes auf, zur Plage des Menschen, wie verdorbene Kinder eine Qual der Eltern sind; und diese Plage ist die Geisel, die zur Erkenntnis bringen, den Star stechen, den Menschen dahin bringen soll, daß er sein Herz zu heilen sucht. Zu dieser Heilung sind Heilmittel da, und sobald das Herz zu heilen beginnt, sobald es Gott über alles und den Nächsten als sich selbst zu lieben beginnt und sich nicht mehr zum eignen Herrgott macht, entstehen aus seiner Berührung mit der Außenwelt – andere Dämpfe, ein anderer Niederschlag. Was auch aus der Außenwelt das Herz berühren mag, je liebender das Herz wird, je süßer und lieblicher werden die Dämpfe, desto fruchtbarer und segensreicher der Niederschlag; ja, je härter die Außenwelt an das Herz schlägt, desto hellere Funken sprüht die Liebe, desto inniger werden die Stimmungen, desto herzlicher jede Äußerung in Thal und Wort. Die Heilung trägt in sich selbst den Lohn und gibt glücklichere Stimmungen und glücklichere Verhältnisse und als größtes Glück die merkwürdige Umwandlung, daß fortan Glück und Unglück, kurz, alles, was aus Gottes Hand kömmt und das menschliche Herz berührt, heiligend auf dasselbe einwirkt, statt, wie früher, als Versuchung verführend und sündigend; daß also in eigentlichem Sinne des Wortes alles zu seiner Seligkeit dienen muß. Wer ein Esel ist, wird mich um dieser Bilder willen als ein Materialist verschreien. Wer etwas witziger ist, aber doch nicht witziger, als halbwitzig, der wird diese Zeilen lesen, sie aber nicht begreifen, und nicht begreifen, daß er sie nicht begreift, oder gar wie eine gewisse Frau von einer gewissen Predigt sagen: Das berlinerlet afange. Wer aber ganz witzig ist, wird auf das allerwenigste die Bemühung nicht mißkennen, etwas recht anschaulich zu machen, was die meisten Menschen nicht verstehen und doch alle verstehen sollten: nämlich das Verhältnis unseres Herzens zur Außenwelt, und die Art und Weise, wie beide ihre Kinder zeugen und was für Kinder.
Mein Weibchen und ich plauderten nun gar oft von ernsten Wichtigeren Dingen zusammen; es war, als ob uns ein Blatt vor dem Munde weggefallen wäre. Ob diesen Reden versäumten wir unsere Arbeit nicht; das kleinste wurde um so treulicher Verrichtet. Aber diese Reden verhüteten, daß wir nicht kleinlichten unbedeutenden Dingen, Zufällen u. s. w. eine Wichtigkeit beilegten, die sie nicht hatten, eine Wirkung auf uns, die mit ihrem Werte in keinem Verhältnis stund, ihnen nicht gestatteten. Es muß jeder Mensch wichtige, wichtigere und wichtigste Dinge haben; jeder Mensch hat etwas, auf das er besonder Gewicht legt, dem er einen eigenen Einfluß auf sich gestattet und dem er anderes unterordnet. Nimmt der Mensch nun nichts an sich wichtiges in sich auf, so erhebt er eine Lumperei auf den Thron und betet sie an: eine Frau die Schweine, eine andere den Kopfputz, eine dritte die Fehler des Nächsten, eine vierte die Mägde und eine fünfte ihre Nerven; ebenso von den Männern die einen ihre magern Acker und die andern ihre dumme Person, die dritten (besonders die Diplomaten) das Essen, die vierten das Geld und die fünften ihren Stammbaum, dessen Ende man aber ohne langes Steigen in einem Schwefelholzlädelchen oder in einem Rebhäuschen finden möchte. Es achten darauf wenige Menschen; darum findet man ein so kleinlichtes Treiben in der Welt, so eng eingeschrumpfte Herzen, eine so arge Abgötterei, daß einem die Haare zu Berge stehen möchten. Das ist aber auch eine Kunst, die weder im Hopfenkranz noch von irgend einer Hopfenstange gelehrt wird, im kleinsten getreu zu sein und das höchste im Herzen zu tragen. Wir hatten einen solchen Anker, der uns oben erhielt, aber nötig; denn wir erfuhren die Wahrheit des Sprichwortes, daß selten ein Unglück allein kömmt und daß es dem Hiob nur gegangen, wie vielen andern Menschen auch. Kaum hatte sich der Schmerz um unser Mädchen verklärt zu einem wehmütigen, freundlichen Andenken, als Mädelis Vater zu kränkeln begann. Er klagte häufig über Schwindel und Mattigkeit. Man gab ihm an, ein gutes Glas roter Wein sei gut dafür. Eines Morgens setzte er sich auf sein Schuhmacherstühlchen und wollte unserm Kleinen einen Schuh sticken. Kaum hatte er den Leisten im Schuh und beugte sich auf seine Arbeit, so fiel er kopfüber in die Stube hin. Der Kleine, der ihm zugesehen hatte, erhob ein mörderlich Geschrei, und wir beide, die draußen gewesen waren, stürzten hinein und fanden den Vater bewußtlos am Boden. Mit Mühe brachten wir ihn auf das Bett und wieder zu sich; aber reden konnte er nicht mehr, der Schlag hatte ihn getroffen. Der Arzt ließ ihm zu Ader, verordnete Einreibungen; das schwindende Leben wurde festgehalten, allein der Glieder Gebrauch blieb verloren. Von ganzem Herzen willig thaten wir, was wir konnten, zügelten selbst ins Gaden hinauf, warteten ihm ab und verschafften ihm das Notwendige, was er brauchen konnte, in Speise und Trank. Auch wurde dem Kranknen, nach der Sitte in einigen Gegenden, viel gekramet, was uns einigermaßen Erleichterung verschaffte. Es ist dies eine sehr schöne Sitte; wenn der Krankne nur nicht damit oft eine Fülle von Dingen erhielte, welche im höchsten Grade schädlich sind. Wenn ein kranknes Kind z. B. neun Lebkuchen auf seinem Bette liegen hat, so kann man sich abklavieren, wie bald es gesund werden wird.
Und wie man solche Krankenbesuche sich zu Nutzen machen kann, mag man aus folgendem Beispiel lernen. Ein schlauer Fuchs, der sein Leben mit Kniffen zugebracht und eines jeglichen Schwäche zu benutzen wußte, lag schwer krank, so daß man ans Sterben dachte und er selbst auch. Aber ein Mohr ändert seine Farbe nicht. Ein ehrlich einfältig Bäuerlein besuchte ihn auch. Der Sterbende dankte gar schön, rühmte die Teilnahme der Menschen und wie viele ihn besuchen thäten. Wenn er wieder z'weg kommen sollte, so wolle er keinen vergessen, sondern einem jeden daran denken. Und damit er keinen vergesse, habe er ein Gschrist z'weg gemacht, wo jeder seinen Namen darein schreiben müsse; sie liege dort, er solle es auch thun. Das Bäuerlein, das wohl seinen Namen schreiben, aber keine Gschrift lesen, und wenn schon lesen, doch keine verstehen konnte, dachte bei sich schon an das schöne Geschenk, das er erhalten, oder an die Mahlzeit, an die er eingeladen werden könnte, und kratzte ohne Komplimente mühselig seinen Namen hin. Nach Jahren kam eine Schuldbekenntnis von 4000 Pfund zum Vorschein, in welcher das Bäuerlein mit seiner Unterschrift als Schuldner sich bekannt hatte. –
Wenn die Leute kamen und den Vater sahen, so war selten eins unter ihnen, das nicht sagte: »Dä macht's nimme lang, aber da geit's ihm guet u niemerem übel.« Das sagte man ganz ungeniert vor dem Kranknen, und recht grausig war es anzusehen, wenn er zu solchen Reden mit seinen starren verzogenen Augen die Leute ansah, ihnen zunickte und etwas röchelte. Mädeli weinte dann gewöhnlich; dann sagten ihm die Leute: »He du Göhl, plär doch nit; werche cha-n-er doch nümme, u ha cheut er ne o nit geng; we d' wieder es Ching muesch ha, wotsch de im Gade-n-obe chindbette?« Das wurde so mir nichts dir nichts verhandelt vor dem Kranknen.
Mir war es Angst wegen Mädeli, die in andern Umständen war, Tag und Nacht keine Ruhe hatte, die Haushaltung machen, die Pflanzungen besorgen sollte. Ich fürchtete, sie halte es nicht aus. Aber Gott gibt dem Menschen in der Not wunderbare Kräfte. Überhaupt liegen im Menschen viel mehr Kräfte, ein größeres Maß von Kräften und besonders eine weit größere Spannkraft, als man ahnet. Man gvätierlet im Grunde nur im Leben und mit dem Leben.
Nach ungefähr sechs Wochen widerholte sich der Schlagfluß und der liebe Gott rief den alten müden Meister zu sich. Es ist das Sterben so geheimnisreich und ahnungsvoll, daß auch die rohsten Menschen stille werden in einem Sterbezimmer, auf den Zehen gehen, den Atem leiser ziehen und nur reden in der höchsten Not. Es ist, als ob den Menschen ergreife das Wehen einer höheren Welt, als ob er fühle, diese Welt sei nahe getreten und ihre Geister walteten unsichtbar um ihn herum, lösten den verwandten Geist aus der sterblichen Hülle und führten ihn mit sich ihre Wege.
Eine Leiche hatte für mich etwas unendlich Schauerliches. Da liegt nun sie, die sterbliche Hülle, die Schale, dem Zerbrechen geweiht! Nun endlich wird man es inne, was der Leib eigentlich sei. Aber wenn man bedenkt, was diese sterbliche Hülle vorgestellt; wie sie sich selbst bargegebeu als etwas, während sie nichts war; wie viel sie bedeutet, als das thielische Leben in vollen Adern schlug; wenn man dann den eigenen Leib betrachtet und seine Ansprüche, und gedenket, daß er auch bald so liegen werde, eine abgestreifte Hülle, ein leer Futteral, ein werdend Staubhäufchen: dann bebt der Mensch in sich zusammen und beginnt zu denken an das, was in dieser leeren Hülle wohnte und in seiner noch wohnt, und welche Geister diesen Geist gelöst und seinen lösen werden, und wohin mit ihnen ziehen?
Es ist schauerlich eine Leiche zu berühren; mir läuft es dabei kalt den Rücken auf und heiß durch alle Glieder, und das Herz zuckt zusammen, als ob der Tod es bereits mit seiner eisigen Hand gefaßt hätte. Ich war daher meinem Weibchen eine schlechte Hülfe, und ein Glück für ihns war es, daß bei solchen Gelegenheiten die Nachbarsleute so aufwärtig sind. Ich hatte unterdessen auch viel zu laufen und Bescheid zu machen an alle Verwandten meiner Frau nach allen Seiten aus. Denn gar sehr zürnen würde es mancher, wenn er vergessen würde, und wenn er auch im dritten und vierten Gliede stünde.
Am Begräbnistag sah ich zum erstenmal Mädelis Geschwister alle bei einander; aber keines gefiel mir wie mein Weibchen. Sie waren auch gar kaltblütig und gleichgültig bei der Sache und gar trocken mit uns. Es ist doch ein gar ernster Gang, der Gang zum Grabe. Es scheint mir immer, als lauern im Kirchhofe eine Schar gewaltiger Gedanken auf jeden Leichenzug, die sich stürzen auf die Begleitenden und suchen, welches Herz sie erfassen mögen. Da lauert die Neue und suchet die unbarmherzigen, schnöden Herzen; da lauert die Angst auf die, welche einen Ankläger gegen sich begraben; da lauert das Grauen auf die, welche über die Gräber von Anklägern schreiten müssen; da lauert der Schrecken auf alle, welche am Zerdrücken von Herzen sind; es lauert auf die Stolzen das Gefühl ihrer Niedrigkeit, auf die Sinnlichen das Gefühl ihrer Vergänglichkeit, und auf alle ein fährt der kalte große Gedanke: ob sie etwa mit den eigenen Beinen auf dem eigenen Grabe stünden? Und hinter allen diesen Gedanken, die mit erschütternder Gewalt auf die Leichenzüge sich stürzen, kömmt leise, klingend in lieblich sanften Weisen, ein Lüftchen hergezogen und suchet nach liebenden Herzen, über welche jene Gedanken keine Macht haben, und an solche Herzen schmiegt es sich weich und leise, und flichtet dort aus den Thränen der Liebe ein strahlend Thor, das ins ewige Leben führt, und in süßen himmlischen Klängen singt das Lüftchen dem liebenden Herzen von der Auferstehung und dem Leben, von dem Widerfinden der Getreugebliebenen in des Vaters Freude.
Zu Hause bereitete uns jemand für die Verwandten das Offen; denn auch meine Frau geleitete, wie üblich, den Vater zu seiner Ruhestätte. Ich weiß eigentlich gar nicht, warum fast an allen Orten die Weiber ihre Kinder nicht auf ihrem ersten Ausgange zur Taufe geleiten, und warum sie wieder an vielen Orten die ihrigen nicht geleiten auf ihrem Heimgang. Haben sie etwa nicht nötig zu gedenken, daß fortan alle Wege, welche man das Kind trägt, führt und weiset, in Gott sich ausmünden sollen? Haben sie nicht nötig, ihrer Vergänglichkeit zu gedenken, von Zeit zu Zeit ihr Grab zu beschauen, zu bedenken, wie ihnen sein würde, wenn sie hinter dem Sarge ihres Gatten oder ihres Kindes gehen müßten, ob dann die Liebe ihre Trösterin oder die Reue und die Selbstanklage ihre Begleiterin wäre?
Schon auf dem Heimwege stichelte eines Bruders mitgekommene Frau von Teilen, und sie hätten expreß ein Wägelchen mitgenommen, um die ihnen zugefallenen Sachen mitzunehmen. Du mein Gott! Die Habseligkeiten des Begrabenen waren so dürftig, als man sich nur denken kann. Sein Bett war das beste daran, seine Kleider Bruchstücke, sein übriges Grümpel und das wenige Küchengeschirr hatte er uns allerdings zum brauchen gegeben. Mädeli und ich hatten nichts darüber geredet und Mädeli sicher auch nicht darüber gedacht. Mir hingegen war der Gedanke ans Erben gekommen, und ich glaube, es sei wirklich selten jemand, der, wenn ihm jemand stirbt, den er lieb hat, aber den er erbt, nicht auch ans Erben dächte, und sicher viele würden erschrecken, wenn vierzehn Tage nach Behändigung des Erbes die Beerbten wiederkämen. Der Vater hatte in den letztern Zeiten kein Tischgeld mehr geben können, und wir hatten nicht daran gedacht, die übrigen Geschwister oder die Gemeinde dafür anzugehen. In den letzten Wochen hatten wir große Unmuße mit ihm gehabt und auch Kosten, so daß wir wirklich geldlos waren und Fleisch und Wein für die Verwandten dem Wirt schuldig bleiben mußten.
Da hatte ich mir erstlich gedacht, seine übrigen Kinder würden gar nicht nach diesen Dingen fragen, von denen uns das Bett sehr wohl gekommen wäre; und zweitens war mir im Hintergrunde noch eine Hoffnung aufgedämmert: sie würden uns vielleicht noch etwas an unsere Auslagen geben. Solche Gedanken sind gewiß einem armen Ehemann, der Kindbetti halten muß und kein Geld hat, zu verzeihen. Könnte man in aller Menschen Köpfen alle eigennützigen, spekulativen Gedanken verfolgen, man würde ergrauen vor dem herzlosen, liebeleeren, scheußlichen, das vor unsern Augen sich aufwinden würde. Es ist ein Heil, daß wir das nicht können; unsere Augen würden erblinden, unsere Herzen würden verbluten, wenn anderer Gedanken uns offenbar, wenn wir fehen würden, wie manches Auge auf unfern Tod lauert. Der Gram würde wie ein Geier sich setzen auf unser Herz, das aber eben vielleicht ähnliche Gedanken und Gelüsten in sich wälzte. Was für Augen würden sich wohl die Menschen machen, wenn sie einander in die Seelen hineinschauen könnten, so gut als ins Gesicht? Der Schöpfer weiß wohl, warum er hier einen Vorhang gezogen hat.
Kaum waren wir heim gekommen, so fragte die Schwägerin nach dem zu teilenden Erbe. Wir wiesen vor, was da war. Sie wollte nicht glauben, daß das alles sei; ihr Mann hätte von viel mehrerem gesagt. Die übrigen Kinder, welche seit Jahren das väterliche Haus verlassen hatten, wo noch der Verdienst größer und von bessern Zeiten her manches vorrätig war, was seitdem abgegangen, muckelten auch von Hinteremachen, Verschleipfen, Verlaugnen. Die Schwägerin durchstöberte mit ihrem Manne und einer Schwester alle Winkel, um nach etwas verborgenem zu forschen. Unglücklicherweise entdeckte die letztere auf unserem Kachelbank einen Milchhafen, mit dem sie früher viel Milch geholt hatte, und erhob nun über denselben ein Geschrei, als ob ein Stier sie bereits auf den Hörnern hätte. Da sehe man, was wir für Leute seien: Bschyßhüng, wie keine auf dem Erdboden seien. »Ich wei mr erst afa sueche; wo das isch, wird no meh si!« schrie sie. Und so fingen sie an, das unterste zu oberst zu kehren und sprachen am Ende unsere ganze Habe an. Da rissen sie einen Hafen z'weg und dort eine Kelle, wollten über unsere verschlossenen Schäfte, sie einsprengen, wenn wir nicht die Schlüssel gäben. Alles müsse erlesen sein, schrie das eine; ein anderes brüllte, man müsse uns zum Eid halten, und das dritte vom Landjäger holen und Mannen, vor denen wir es eingestehen müßten, daß wir gestohlen hätten. Es war ein Höllenspektakel und der Lärm wurde immer größer. Die Leute arbeiteten sich selbst in einen Zorn und in eine Wut hinein, die kein Maß hatte. Die Vorstellung unseres Betruges wuchs wie ein Gespenst ins Unendliche; ich glaube, sie stellten sich am Ende vor, der Handel gehe um viel tausend Pfund, und wenn sie nur recht wüst thäten, so seien ganze Haufen Erbes aus uns auszupressen, wie Öl aus Steinen. Es kann wahrhaftig nichts traurigeres geben, als Streiten um ein Erbe, und doch ist gerade dieses Streiten eins der häufigsten und ein Beweis mehr von dem Eigennutz und dem Lauren auf das Erben, von dem ich früher gesprochen. Wenn um Höfe, Schlösser und Büntel Geld gestritten wird, so glaubt man das begreifen zu können, weil da es des Streitens sich lohne, es wert sei, recht wüst zu thun. Aber vermöchten es nicht gerade da am besten Brüder und Schwestern, Friede zu halten, wo viel zu teilen ist? Da sollte man doch eher etwas übersehen können. Aber eben mit dem Haben nimmt auch das Begehren zu. Das ist der Fluch, der im Golde liegt und von dem das Sprüchwort kömmt: Je mehr er hat, desto mehr hat er zu wenig. Sehr traurig, fast lächerlich und unbegreiflich will man es finden, wenn Arme um ein paar alte Leintücher, eine plätzete Pfanne, eine gespaltene Kaffeekanne und ein paar versalbete Hosen sich zanken. Ja, traurig ist's allerdings, wenn die, die die Liebe am nötigsten hätten, um so kleinlichter Dinge willen sich das für sie ohnehin bittere Leben noch mehr verbittern. Aber begreiflich ist das Ding gar sehr. Ein armer Mensch, der gar nichts anzuschaffen vermag, dem ist eine gespaltene Kaffeekanne ein gefunden Fressen und ein Bettstücki ein wahrer Schatz, zu dem er vielleicht sonst sein Lebtag nicht käme oder nur durch tausend Entbehrungen. Und einem armen Weibe kann ein Fetzen von einem Leintuch, besonders wenn es noch zu kindbetten gedenkt, eben so wichtig vorkommen, als einer reichen Bürgersfrau ein ganzer voller Lingeschaft.
Man kann sich aber nicht vorstellen, wie uns beiden bei der ganzen Geschichte war. Ein vernünftiges Wort wurde gar nicht gehört, meine Bitten, Mädelis Weinen und Anhalten nicht geachtet. Die Titel regneten immer dicker und derber auf uns ein, je ordentlicher wir uns gebürdeten. Mir kochte nach und nach auch der Zorn in meinem Innern; aber ich war so unterthänig gewohnt, so gewohnt meinen Zorn im Stillen zu verwerchen und zu verworgen, daß ich es höchstens zu einem unverständigen Brummen brachte, blaß wurde und in den Hosensäcken die Hände ballte. Mädeli bot allem auf, die Vermittlerin zu machen in aller Sanftmut und Geduld; aber es schüttete eben nur Öl ins Feuer, und je ordentlicher es that, desto unverschämter wurden die andern; ja die Schwägerin griff sogar nach unseres Kindes Bettlein und zeigte es ihrem Mann: ob das nicht auch anzusprechen sei? Da flammte aber auf einmal, wie aus einem Hause, das der Blitz getroffen, die Feuersäule, aus Mädeli der Zorn empor. Ohnehin lang, ward es noch um einen halben Schuh länger; Funken sprühten aus seinen Augen, und mit einer mir ganz fremden Stimme, fest und scharf, wo jeder Laut dem Knall einer gezogenen Pistole glich und jedes Wort die Kugel selbst war, stellte es sich plötzlich, wie der Hirsch gegen seine Verfolger. Wie ein General befahl es der Schwägerin, das Bettlein an seinen Ort zu thun; das sei von uns bezahlt; überhaupt hätte sie hier gar nichts zu reden; sie gehe die ganze Geschichte nichts an; sie solle heimgehen zu ihren Eltern und da erben, was es da zu erben geben werde, Dreck und Läuse. Dann wandte sich meine Frau von einem zum andern und hudelte sie fürchterlich. Zuerst ging es über den Götti unseres Knaben los. Von ihm hätte sie das nicht geglaubt, sagte Mädeli; er sei ihr immer der liebste Bruder gewesen; auf ihn hätte sie gebaut, wenn der Vater früher gestorben wäre; aber nun danke sie Gott, daß sie ihn nicht nötig hätte. Sie sehe nun, was auch er für einer sei. Götti sei er von diesem Kinde, und statt diesem Kinde zu helfen, wolle er ihm sein Bettchen stehlen helfen; das habe man doch von einem Götti nie erhört, so lange die Welt stehe. So fuhr sie von einem zum andern und nahm am Ende Alle in einen Klapf. Zum Erben seien sie jetzt Kinder; aber um dem Vater zu helfen, da sei keines ein Kind gewesen. Wir hätten ihn erhalten. Keines habe gefragt: Wer zahlt dafür? Krank sei er gewesen. Keines habe gefragt: Mangelt ihm etwas, können wir helfen? Gepflegt hätten wir ihn, alle Kosten bezahlt. Keines frage: Was sind wir schuldig für Mühe und Auslage? Wir hatten bös gehabt und den Vater gut gehalten. Keines danke uns dafür und statt des Dankes wollen sie uns noch die eigenen Sachen stehlen. Sie seien saubere Leute; es müsse sich in den Boden hinein schämen vor seinem Manne, daß er sehen müsse, in welche schlechte Familie er geheiratet habe, müsse sein Leben lang sich schämen, daß ich an ihrem Vater so viel gethan und doch nicht sein Kind gewesen sei, und nun solchen Dank und solchen Schaden davon haben müsse. Dabei rannen die Thränen über sein erglühtes Gesicht; aber seine Kraft brach damit nicht zusammen, sondern es sagte ihnen noch: das Fleisch, das sie gegessen, der Wein, den sie getrunken, der Sigrist, der den Vater begraben – Alles sei nicht bezahlt, und nun sollen wir unsere Habe ihnen zum Teilen hergeben und dann die Schulden bezahlen? Mädelis Zorn überwältigte seinen Verstand nicht, sondern erglühte ihn nur; darum schlug er auf die andern ein wie eine Kartätschensaat. Die Brüder verstummten zuerst und vergaßen, das Maul offen, ob der Schwester Schelten, die sie nur als ein Kind gekannt hatten, zu antworten. Länger hielten die Schwägerin und die Schwester, welche den Milchhafen gefunden hatte, aus. In abgebrochenen Zornslauten widerbelferten sie ihm; aber vor dessen geregeltem, scharfem Feuer verstummten am Ende auch ihre blinden Schüsse, und Mädeli stund da, wie eine zürnende Königin, mitten unter ihnen, ohne Krone freilich auf dem Haupte, ohne Scepter in der Hand, aber mit dem Scepter im Munde, mit der Krone in den Augen. Sie frage, so schloß sie: ob sie jetzt thun wollten, wie billig und recht? Wollten sie das nicht, dann gut, dann möchten sie auch erfahren, was wir könnten und welche Rechnung wir machten. Zuerst begann der Götti sich zu entschuldigen. Er hätte nicht gewußt, wie es wäre; wir hätten nichts gesagt und da hätte er geglaubt, die andern hätten auch etwas recht. Aber er begehre nichts Ungerechtes; was unser sei, sollten wir nur sagen, und auch, wenn wir etwas Weiteres hätten – er für ihn begehre nichts, weder was recht sei. Auch der andere Bruder sagte: er lasse sich dann nicht sagen, daß er ein Betrieger sei, und man hätte ja gesehen, daß wir des Vaters Sache unter der unsrigen hätten, und da könnte einem doch allerlei in Sinn kommen; aber er für seinen Teil begehre auch nicht mehr, als was ihm von Rechtes wegen zukomme. Die Weibsbilder sagten: was recht sei, sei recht; und was sie gesehen hätten, hätten sie gesehen; und daneben sollten wir zusehen, was wir machten; für die, wo Witwen und Waisen b'schyße, syg de e Tüfel da. Mädeli sagte: da heig es nüt z'förchte; aber er syg o für die da, wo nume näh welle u nüt gäh. We si jetz im Friede teile welle, su chönne si; wo aber nit, su sölle si nume gah u mache, was st chönne. Aber stryte well es hüt nimme mit-ne; dr Vater würd si no im Grab umchehre, wenn er wüßti, wi's gangi u wie si's ihm machte. Er heig ihm mängisch gseit, we-n-r ihns nit hätt, er wüßt nit, was afah, u es werd mr no einisch vergulte werde; »aber daß dr so wüest thue werdet, dara het er nit däicht.«
Nach langem Hin- und Herreden, nachdem jedes Stücklein siebenmal zur Hand genommen worden, nachdem Mädeli sübenmal mit der Rechnung gedroht, sagten sie endlich: ihretwegen könnten wir alles nehmen; aber wenn wir noch mehr von ihnen wollten, so könnten wir sie ansuchen. Wir seien schlechte Leute, ihnen es so zu machen, armen Waisen. Wenn sie gewußt hätten, daß das so gehen sollte, so hätten sie den Alten auch nehmen können. Am meisten belferten die Weiber und wollten nicht ohne zu erben fort. Mit diesem Gedanken waren sie hergekommen und sie gehörten zu den Weibern, die, was sie sich einmal in den Kopf gesetzt, nicht in den Füßen haben. Die Männer begriffen weit schneller den Stand der Dinge und suchten nur fortzukommen, ohne etwas zu zahlen, während die Weiber nicht abgeben wollten, sondern mit den männlichen Erben zu zanken begannen, daß sie die leydiste Sch. ßhüng syge, so fort zu gehen wie dMüs us ere Chile. Aber sie gingen am Ende doch so fort und nahmen doch viel mit sich: Groll, Haß, das quälende Mißtrauen, betrogen zu sein, die Qualen derer, die engen, eigennützigen Herzens sind, die traurigen Zeugen, daß solchen auch die Armut zur Unseligkeit dienen muß.
Sie ließen uns nichts weiters zurück als den Grümpel, und doch viel – unendlich matte, wüste Köpfe, den Schmerz, mißkannt, die Wehthat, grollend von Verwandten geschieden zu sein. Mädeli brach ordentlich zusammen aus seiner künstlichen Spannung und jammerte, was ich doch alles seinetwegen ertragen müßte. Wenn es ihm nicht wegen mir und dem Kinde gewesen wäre, so hätte es alles ertragen können. Aber da habe es müssen reden; es sei in ihns gefahren wie Feuer und hätte ihns gedünkt, es fürchte die ganze Welt nicht und es könnte und dürfte einem jeden sagen, was er wert sei. Ich konnte ihm meine Bewunderung nicht versagen; ich selbst hätte angefangen es zu fürchten, und es sei mir lieber, wenn es ihns nicht alle Tage so ankäme. In diesem Betragen lag der Trost für die erlittene Mißhandlung für uns beide. Mädeli hatte das Bewußtsein, viel gethan zu haben, und ich einen neuen Fund gemacht an meinem Weibe. Ich wußte bereits, daß es Kraft zum Tragen hatte; aber seine Entschlossenheit zum Handeln, wo die Not an Mann trittet, die hatte ich erst heute bei ihm bemerkt. Kraft hatten wir auch nötig zu unseren Schulden, die wir nicht alsobald bezahlen konnten, im Gegenteil der Gefahr ausgesetzt waren, noch neue machen zu müssen. Doch ging das besser als wir dachten. Der rote Schaden regierte im Dorfe ziemlich gefährlich, so daß ich manches Leichengebet halten mußte, und die dafür erhaltenen Emolumente halfen mir diesmal so ziemlich aus der Not. Weiß Gott, daß ich mich keines Todes freute, noch weniger ihn ersehnte, daß ich es nicht hatte wie jene Totengräbersfrau, welche den Schuldnern ihres Mannes nachlief und ihnen sagte, es komme eine grusame Krankheit, wo mehr als die halben Menschen daran stürben. Es seien aparti Herren gekommen und hätten befohlen, daß man apartigi Kirchhöfe bereit halte. Bis dahin sollten sie doch mit ihren Anforderungen Geduld haben; da habe dann, Gottlob, ihr Mann einmal recht zu verdienen und dann wollten sie alle bezahlen. Wahrscheinlich wenigstens die, welche noch lebten. Nein, so war es nicht bei nur. Aber daß ich die 7 ½ Btz. ungern genommen, mich lange gewehrt, wenn man mir mehr gab, oder Fleisch oder Brot weggewiesen hätte, wenn es mir jemand zuschickte, das könnte ich nicht sagen.