Jeremias Gotthelf
Leiden und Freuden eines Schulmeisters – Zweiter Teil
Jeremias Gotthelf

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Achtes Kapitel.

Wie ich am Vorabend wichtiger Ereignisse stand.

Der Hochzeittag rückte immer näher. Das Gefühl, mit welchem ich ihn herannahen sah, mit welchem ich alle Abende die Tage zählte, ist ein eigenes. Ich mochte es eine freudige und ungeduldige Beklommenheit nennen, denn es ist gar seltsam gemischt, Mädeli muß es auch so gewesen sein; denn es ward allemal rot, wenn davon die Rede war. Es wäre sicher geschmäht worden, wie jene Meitscheni, welche der Schulmeister in der Kinderlehre fragte: Was ist Unkeuschheit? Bäbeli wußte es nicht, Eifi schwieg, Änni schüttelte den Kopf. Da ward der Lehrer ungeduldig und schmähte: »Was, das wüsset ihr nicht? Schämet euch, ihr seid sechzehnjährige Meitscheni u müsset no nit, was Unkeuschheit ist!«

Mädeli wehrte sich, und das machte mich böse, gleich in der ersten Woche nach dem Ausverkünden Hochzeit zu halten. Gründe gab es vor, aber keinen rechten; Mädeli hatte einen guten Grund, aber den hielt es heimlich. Das gute Meitschi wollte mir doch auch etwas geben zum Hochzeitgeschenk, und zwar, aus dankbarer Anerkennung, weil ein verlorenes Hemde uns zusammengebracht, ein Hochzeithemde und zwar ein schönes. Sage ein Hemde, denn unserem rechnet solche Dinge nicht nach halb oder ganzen Dutzenden, wie hoffährtige Hausfrauen, die, wenn aus einem halben Dutzend eines fehlt, im Stande sind, auch die andern fünf Stück bei Seite zu werfen, um nur nicht ungerad zu haben. Nun wollte Mädeli den Aufschub nicht etwa aus Saumseligkeit, weil es zu spät daran gedacht, oder aus Nifferei, weil die Näherin es ihm nicht gut genug machen konnte und alle Säume auf besondere Weise gemacht sein mußten, an welcher Nifferei Hochzeite scheitern können; sondern das arme Kind mußte das Geld dazu erst erspinnen und mußte von dem Spinnerlohn noch in die Haushaltung abgeben, und mußte noch dieses und jenes für sich anschaffen oder zurecht machen. Da kann man sich denken, daß Mädeli fleißig sein mußte. Auch sah das liebe Kind auffallend blasser aus; aber um so heller leuchteten die Augen mich an. Es mußte mir endlich doch den Grund des Aufschubes erklären, da ich gar zu ungestüm wurde, und daß es mir darum nicht weniger lieb ward, kann man sich denken.

Hie und da geschah es, daß Mädeli des Abends auch zu mir ins Haus kam, um zu sehen, was da sei, was ich gepflanzt hätte u. Das waren schöne Abende. Es ist ein ganz eigenes Gefühl, wenn unser Meitschi zum erstenmal über unsere Schwelle tritt, wenn es seine Augen schweifen läßt über unser Eigentum und wenn wir dann neben ihm sitzen auf unsern Stühlen. Es ist aber noch viel eigner das Gefühl, wenn eine Braut an unserer Seite sitzet, wenn unsere Augen zusammen gehen über Schränke, Stühle, Tisch und Bett, und wenn wir zusammen gehen durch Küche und Keller, Stube und Kammer. In süßem Ahnen schwebt vor uns in zauberischem Dämmerlichte die Zukunft; es wird uns so eng ums Herz und doch so wohl, der Mund wird gewöhnlich so schweigsam, der Blick so beredt! Der Blick redet aus den Tiefen der Seele herauf; das Innerste gibt er kund, Geheimes drückt er aus, was nicht einmal zum eigenen Bewußtsein gekommen; denn in ganz eigenem unmittelbarem Zusammenhang steht das Auge mit der Seele. Was in ihr sich regt, kann sie, ohne den Verstand zu berühren, ohne erst es in Nachdenken zu läutern, durch das Auge schicken in die Welt hinein. Der Mund gibt nur obenab, was auf der Oberfläche schwimmt, was seiner Leichtigkeit wegen obenauf getragen oder was mühselig obenauf gebracht und durch den Verstande gebürstet und geglättet worden. Da saßen wir dann Hand in Hand und Auge senkte in Auge sich, und aus den Augen sahen wir hinauf ins blaue tiefe Gewölbe, in dem der Mond so silbern leuchtet, so ehrlich drein lugt, hinter dein ehrlichen Gesichte den Schalk verbergend; denn er weiß wohl, warum er des Nachts so leise und mit so ehrlichem Gesichte über die Erde geht. Was der wohl alles zu erzählen hat! und wem erzählt er wohl alles? Ins tiefe Gewölbe verloren sich unsere Blicke, in dessen unermeßlichem Schoße unzählige Welten kreisen, geboren werden und untergehen. Und wie der Blick sich verliert im unermeßlichen Schoße, so geht durch den Blick auch die Seele hinein in jene Unendlichkeit und verliert sich in unendlichen Gedanken. So saßen wir oft zusammen in stillem Frieden, ahnungsvoll die Brust geschwellt; und dann küßten wir uns leise und jedes ging seiner Ruhe zu. Wir wußten nicht, daß man das sentimental oder empfindsam nannte. Aber wenn in dieser Zeit, wo dem Menschen seine Zukunft geboren wird, wo sie noch ruht in des Schöpfers Hand, in dieser Zeit, wo eine Seele noch eine andere will, einer nichts empfindet, als irdische Lust oder irdisches Berechnen, dann sieht es seicht oder steinern aus in seiner Seele. Dann verwundere sich keiner, wenn so einer nicht bewegt wird von unaussprechlichen Ahnungen, von einem wirklich und eigentlich göttlichen Gefühl. Beim Tiere gattet nur der Leib mit dem Leibe sich, der Mensch nimmt eine Seele in sich aus und Seelen gehen von ihm aus; das ist göttlich, ein Zeugnis seiner göttlichen Natur. Zum Golt wird jeder Mensch, wenn er in die Ehe trittet: die Ehe ist sein Reich, das er bevölkert, regiert, erhaltet, in dem er im kleinen walten will, wie Gott im großen in seinem großen Reiche. Darum ist, wer nur von Ferne seine Würde ahnet, in diesem Zeitpunkt so hoch gestimmt; traurig ist's, daß diese Stimmung nicht anhält, sie sollte durchs ganze Leben klingen. Wir konnten freilich darüber nicht reden; wir wußten nicht, was in uns sich regte so ahnungsvoll. Und so geht es sicher manchem Christeli und manchem Liseli, denen man solche Gefühle nicht zutraute.

Ein wichtiges, was wir auszumachen hatten mit einander, war der Ort, wo wir Hochzeit halten wollten, und die Art, dahin zu gelangen. Mädeli war noch nie in Bern gewesen; aber Bern war etwas weit, um zu Fuß dorthin zu gehen. Mädeli wäre nun gerne geritten (gefahren); sein Lebtag sei es noch nie geritten und es dächte doch, das müsse gar lustig sein, meinte es. Aber ich war noch nie gefahren (hatte noch kein Roß geleitet), fürchtete mich davor und sprach nicht gerne einen Bauer um Roß und Wägeli an. Mädeli stund ab von seinem Wunsche und zwar ohne bedeutendes Gewicht darauf zu legen. Es wurde ein etwa zwei Stunden weit entfernter Ort auserlesen, wo ein Wirt war, den man als gar billig rühmte.


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