Jeremias Gotthelf
Leiden und Freuden eines Schulmeisters – Zweiter Teil
Jeremias Gotthelf

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Siebentes Kapitel.

Wie ich mit Mädeli auf Reisen gehe.

Endlich wurden die Tage länger. Der Schnee verließ die Felder; Lerchen sah man auf den Ackern wieder und in den Baumgärten die Merzenglöcklein, der Kinder Lust. Die Schuljugend wurde wilder und ungezähmter; neue Lebenslust fuhr in sie, ihr Blut schien heißer zu werden; eine Regsamkeit durchströmte sie, mit der der Schulmeister gewöhnlich seine liebe Not hat. Er bringt sie nicht vom Stöckeln weg, nicht mehr in die Stube herein, wenn sie einmal draußen sind.

In den Gärten sah man wieder Weiber; in den Baumgärten wurde bschüttet und schöne weiße Waschen hingen, in einfacher Reihe aufgespannt, damit sie desto größer schienen, allenthalben zum Trocknen an der lieben Sonne; Merzenstaub wirbelte auf den Straßen und lustig wälzten in demselben sich die Hunde.

Mit Mädeli hatte ich je länger je mehr abzureden und konnte doch nie recht mit ihm ausreden. Wir mußten ans Pflanzen denken und wußten nicht recht, was und wie viel von diesem und jenem, und wußten nicht recht, durfte Mädeli mir dabei helfen. Es schämte sich fast dessen, ehe wir verheiratet waren. Und zwischenein redete es mir immer mehr von meinen Eltern, meiner Heimat, fragte, ob ich ihnen meine Heirat geschrieben, ob sie nicht kämen, ob ich nicht hin wolle, daß ich am Ende einmal fragte, ob es etwa mit mir kommen wolle, um auch zu sehen, wo ich daheim sei. Mädeli meinte, das sei ihm gar das rechte; es hätte schon lange gedacht, es wäre doch nicht recht, wenn es sich meinen Eltern nicht anrekommandieren würde; es seien doch immer die Eltern, und sie meinten es vielleicht jetzt besser mit mir als früher. Überdies nahm es Mädeli doch auch wunder, wie unser Heimet aussehe und ob wir auf demselben wirklich Kühe und nicht etwa nur Geißen halten könnten. Überhaupt hat es für ein Mädchen immer einen ganz besondern Reiz, und besonders im Frühjahr, einen Tag frei in die Welt hinaus zu können. Reiche Mädchen fahren ein- und zweispännig; aber mit noch größerer Lust gehen arme Mädchen zu Fuß. Und wenn sie auch in den ungewohnten Lederschuhen Blattern bekommen, erst die Strümpfe, dann die Schuhe ausziehen und barfuß gehen, ja, wenn sie noch eine Bürde dazu tragen müssen, so ist ihr Herz doch wonnevoll, und noch ganz besonders, wenn ein Bräutigam ihnen vorausgeht und alle hundert Schritte einmal zurücksieht, ob sein Schätzli noch nachhinke, oder etwa schon am Hag liege.

Mir war das Ding auch ganz recht, und nur Schüchternheit war's, was mich so lange abgehalten hinzugehen. Wenn schon nicht feurige Liebe, eine gewisse Anhänglichkeit fühlte ich immer gegen meine Eltern. Auch spienzelte ich gerne mein Meitschi in meiner Heimat, und manchen Abend vor dem Einschlafen sah ich, wie die Weiber meiner Mitbürger unter die Küchenthüre schossen bei unserm Durchgehen, und hörte, wie dann eine Nachbäurin zu der andern sagte: »Ds Webers Peterli het no-n-es bravs Möntsch da; i hätt's nit glaubt, daß er es selligs überchäm.« Und mich nahm Wunder, was meine Mutter dann von ihr erzähle, und ob sie nicht rühme: es sei nicht nur eine hübsche, sondern auch eine reiche, und ihr Vater hätte sieben Gesellen und das Leder für viele Jahre voraus. Ob sie es machte, weiß ich nicht; aber gelacht habe ich oft, wenn so ein Schwiegermüetti, welcher ihr Sohn eine Braut aus einem andern Dorfe vorstellte, dann von Haus zu Haus lief, und ausstrich, wie ihr Sohn eine reiche erhalte und was er alles erwybe, und wie spärlich und ärmlich dann die Braut aufzog, und dann die Mutter mit einem reichen Vetter sich aushalf, der gar geizig sei und jetzt nichts geben wolle, sondern immer sage: man könne einst dann alles zusammen nehmen, es gebe dann nur desto besser aus.

Trotz dem Liedli kramete ich Mädelin doch noch eine Kappe und ein Fürtuch, um recht stattlich mit ihm aufziehen zu können, wurde dafür auch tüchtig ausgescholten und dann doch noch zärtlicher geküßt als sonst. Es ist ein eigenes Wesen mit Bräuten und Weibern; sie lassen sich alle gerne kramen, ja viele machen den Kram zum Maßstab der Liebe; und viele, denen am Kram viel, an der Liebe wenig liegt, geben vor, nach dem Kram müßten sie die Liebe messen. Da unterscheide nun ein Mann, woran er eigentlich ist!

Das war ein wichtiger Tag für Mädeli; so weit war es sein Lebtag nicht gekommen, daher des Abredens gar viel war, und sicher manche fast schlaflose Nacht.

Mädeli wäre um Mitternacht aufgebrochen; nur mit Mühe konnte ich es dahin bringen, daß es erst um 3 Uhr das Kaffee bereit hielt. Als ich ziemlich exakt hinkam, hatte es meiner schon lange gewartet und war z'weg, so z'weg, wie die Kinder Israel beim Auszug aus Ägypten, und hatte auch gar nichts vergessen. Z'weg sein zur abgeredeten Stunde und nichts vergessen, das ist eine gar schöne Tugend, die allen Weibern gar schön stehen würde, zwar den Männern auch. Aber es gibt halt Menschen, die nie z'weg sind, im Leben nie und auch im Tode nicht.

Am Morgen zwitschern am lustigsten die Vögel; den Tag über verstummen sie; vor dem Schlafengehen öffnen sie dann wieder ihre Schnäbelchen und schlagen bald weichmütige, bald zärtliche und bald schläfrige Triller.

Kühl war den Morgen, aber heiter der Himmel, an dessen westlichem Rande der erblassende Mond der Erde die letzten Küsse gab.

Es ward uns weit ums Herz und traulich in demselben; behaglich und vertraulich wanderten wir mit einander. Ein gewisses freudiges, unnennbares Erwarten des kommenden Tages lagerte auf unsern Gesichtern. Etwas Ähnliches fühlt jeder Reisende an schönen Morgen. Aber so ganz das gleiche fühlt nur die Braut und der Bräutigam, wenn sie zum ersten Mal allein zusammen auf den Weg sich machen, sei's zu Fuß oder zu Wagen. Sie sind nun Reisegefährten; vor ihnen liegt ein langer Weg und ein unbekannter Tag. Vereint zu Schutz und Trutz gehen sie dem Weg und dem Tag entgegen und fühlen vereint den heitersten Mut, das wonnige Bewußtsein, Lebensgefährten zu sein. Dieser Tag ist ihnen ein Vorbild ihres Lebens, der Weg die Reise durchs Leben. Möchte man denn doch die Fröhlichkeit und die Traulichkeit beim Aufmarsch den ganzen Tag bewahren, und am Abend ohne traurige Täuschungen noch inniger vereint Einkehr halten wieder in der Herberge! O wie rosig sah es an diesem ersten Reisetage in manchem Mädchenherzen aus, und aus so manchem rosigen Mädchenherz ist ein Weiberherz geworden, inwendig gallenvoll, auswendig stachlicht, wie eines Igels wohlbekannte Haut! Weiber, wer hat euch also verhexet?

Munter ging die Wechselrede und jedes redete von sich und bekannte seine Fehler, die welche es kannte nämlich, und seine Vorsätze und seine Hoffnungen, Mädeli bekannte manche Unkunde, besonders im Pflanzen; kochen hingegen könne es, wie wir es etwa haben werden, und ich brauche es nicht zu trösten, wie jene Braut, die gar bitterlich weinte, als sie mit dem neuen Mann aus der Kirche ging. Der fragte sie endlich: »Was planst?« »Ach, Gott, we-n-i ume choche chönnt, aber i cha nüt, i cha nüt!« (aus diesem Grunde könnte noch manche plären.) Da antwortete der Mann kaltblütig: »Du Göhl, deswegen plär doch nit, i ha ja nüt z'choche!« Da soll die Braut erst recht angefangen haben zu weinen. Hingegen, sagte Mädeli, könne es nähen für den Hausbrauch und das sei ihm schon manchmal komod gewesen. Aber ich solle nicht zürnen, es sei empfindlich und möge böse Blicke und böse Worte nicht ertragen; die thäten ihm gar zu weh und die dauren es dann lange, und dann halte man ihm vor, es chupe, und doch sei es gewiß nicht das Chupen, sondern das Duuren, daß man es nicht lieber habe. Ich bekannte auch; bekannte Unschlüssigkeit und ein mißtreu Wesen, das mich aber erst angekommen. Aber eine Frau solle es gut haben bei mir, meinte ich, fast wie eine Herrenfrau und viel besser als viel Bäurinnen. Zu pflanzen hätten wir nicht so viel und dann könne sie an Schatten und Scherm bleiben, und über das Geld wollten wir nur einen Schlüssel haben; was meins sei, das sei auch seins und da könne es nehmen, soviel es wolle. Wir wollten es nicht so machen, wie es mancher Herrenfrau (d. h. doch nicht bloß Pfarrersfrauen, sondern auch anderen Herrenfrauen) und auch noch Bauernweibern gehe, die jeden Kreuzer mit Angst und Not betteln müßten. Ich vergaß nur zu versprechen, daß Mädeli immer Geld genug vorfinden solle; aber an dem zweifelten wir nicht. Wir rechneten zusammen meinen Lohn, meinen Verdienst, wollten noch aus unsern Pflanzungen etwas lösen, und Mädeli meinte: so es Tusig wolle es doch wohl noch ein Tag in den andern spinnen und das mache immer einen Batzen. Wir überschlugen auch die Ausgaben und hätten fast Freudensprünge gethan, als sich jährlich wenigstens 25 Kr. Vorschlag zeigte, und doch hatte ich nur 300 Arbeitstage gerechnet, während doch nicht 65 Sonntage sind.

So schwand die Dämmerung, der Weg, wir wußten nicht wie, und im Umsehen waren wir in einem stattlichen Dorfe nur eine Stunde von meiner Heimat. Dort sah Mädeli sich immer nach etwas um, ich wußte nicht wornach, und vernahm endlich, daß es einen Krämer suche, um meinen Eltern etwas zu kramen nach üblichem Gebrauche. Nachdem es 1/2 Pfund Zucker und 1/4 Pfund Kaffee eingekauft und beim Bezahlen sich recht schämig und üblich bei Seite gedreht hatte, damit niemand sehe, wie wenige Bätzlein und wie mühselig es aus seinem Kittelsack hervorknüble, so fand ich denn doch auch billig, ihm eine Halbe zu zahlen. Und wie es auch sich eigelich machte und vorgab, es mög es wohl erlyde und es heig nüt nötig; so kam es mir doch nach, als ich voranging. Es ist nichts lustigers, als so ein Paar zu sehen, das ins Wirtshaus kömmt und wo die weibliche Hälfte sich gewöhnlich erst wehrte, meist aus Höflichkeit, aus Ernst selten. Der männliche Teil geht voraus und stößt noch manchmal im Vergeß die Thüre halb oder ganz zu, und oft, wenn er schon an einem Platze sitzt, drückt sich erst das Meitschi verlegen durch die zugehende Thüre hinein, weiß nicht recht, ob es vorwärts will oder nicht, sagt verschämt: »Gott grüeß ech!« und hat nicht ungern einen Finger im oder am Maul, weil es nicht weiß, wo es ihn sonst haben sollte.

Von da an begann es mich zu heimelen und ich hatte Mädeli tausendfältiges zu erzählen von allen Umgebungen und wer aus diesem und auf jenem Hofe wohne, und wieviel Kühe sie hätten und was das für Leute seien. Und während dem Erzählen sah ich mich immer nach bekannten Leuten um, ward immer ungeduldiger nach bekannten Gesichtern und einem bekannten Gruß. Wenn einer wieder in die Heimat kömmt, so heimelet ihn erst die Gegend, dann will er heimelige Gesichter und am Ende auch Herzen, bei denen es ihm heimelig wird. Findet er die beiden letztern nicht, dann kömmt das Heimweh auch in der Heimat. Solches Heimweh drückt schwer manches alte Herz, das nie aus der Heimat gekommen. Die mit ihm jung waren, sind heimgegangen; die, welche mit ihm die Hitze des Tages ertragen, hat der Tod in seinen Schatten gebettet, die, welche es zu seiner Hülfe, seinem Trost erzogen, sind ihm abberufen worden zu anderer Arbeit oder in der immer neu werdenden Welt ihm fremde geworden; so findet sein Auge kein heimelig Gesicht, ein Zeugnis früherer Tage, mehr, findet kein heimelig Herz mehr, bei dem ihm früher bei Leid und Freude wohl gewesen. Fremd ist's um ihn geworden. Da kömmt ihm dann das rechte Heimweh nach der rechten Heimat; unheimelig wird ihm im bekannten Lande, und er sehnt sich nach dem Lande, das kein sterblich Auge noch gesehen hat. Er weiß, dort wird ihm heimelig sein; denn dort findet er, was hier in seinem Herzen wohnte. Glücklich, wem beim Gedanken an den Himmel ein heimelig Gefühl in seinem Herzen aufdämmert! Wem aber hier nie heimelig im Herzen wohnte, was im Himmel ist, dem würde nicht heimelig im Himmel werden, auch wenn er hineinkäme. Endlich kamen die heimeligen Gesichter und sie kannten mich recht ordentlich wieder. »G, Peter, bisch du's, i hätt di bal nimme kennt; du hesch drüyt, sit i di nüt gseh ha. Isch das dy Frau? 's isch e Bravi, du hesch geng uf di Hübschi gluegt,« das war der gewöhnliche Gruß, neben dem Handlängen, welches zu unterlassen nach einigem Nichtsehen eine Beleidigung wäre, während es in der Stadt eine Beleidigung ist, d. h. bei den Herren, die sich vor dem Gemeinmachen fürchten und nichts mehr hassen, als einen Schein von Kordialität und Zutraulichkeit.

Die freundlichen Begrüßungen allenthalben thaten mir wohl. Als gar auch noch der Statthalter mir die Hand längte und sagte: ich hätte sollen mich für ihre Schule melden; sie hätten mich gerne gehabt und hätten mein Ausbleiben fast gezürnt; da ward ich ordentlich stolz und Mädeli blickte mich mit Respekt an und meinte: da müsse ich gar wohl ah sein. Ich wuchs wenigstens drei Zoll und machte mich so breit als möglich. Es ging mir aber nicht anders als verschiedenen andern Honoratioren mit verschiedenen Namen. Ich mußte oft lachen, wenn solche Standespersonen mit Visiten im Dorfe spazierten. Da traten sie viel stattlicher einher, weil sie sich mit ihren Visiten, wenn diese nämlich etwas zu bedeuten hatten, meinten und gleichsam mit ihnen sagten: ihr Leute seht, solche Leute kommen zu mir; ich muß also auch anderwärts etwas gelten und bekannt sein. Und hinwiederum, wenn die Dorfleute sie grüßten und gar den Hut zogen, so thaten sie viel freundlicher und zugleich gravitätischer, und sahen die Visiten an, fragend: ob sie denn bemerkten, wie geachtet man sei und wie gut man es mit den Leuten könne. Freilich gab es mich Honoratioren, die vor Visiten darin eine Ehre suchten, gar niemand zu kennen, gegen niemand freundlich zu sein und recht augenscheinlich zu zeigen, daß man sich um die Canaille nicht futiere und meist nur durch den Landjäger mit ihr rede. Die Popularität ist nämlich eine Münze, die nicht immer und nicht bei allen den gleichen Wert hat.

Je näher wir unserm Häuschen kamen, um so banger ward mir dennoch, trotz aller begegnenden Freundlichkeit. Ich hatte Mädelis Vater nicht eigentlich gelogen, hatte nicht aus unserm Heimwesen einen Baurenhof gemacht. Ich hatte es nicht gemacht wie jener Schelm, der seiner Braut gesagt hatte: die Sonne in B. sei seine. Als daraufhin die gute Braut in die Sonne zu B. auf die Gschaui gekommen, die Meisterschaft ergreifen, sich Kisten und Kasten öffnen lassen, dem ganzen Personal befehlen wollte, so glaubten die Wirtsleute, die Person sei verrückt. Nach einigen nicht verblümten Reden mußte endlich der Schalk bekennen, daß er unseres Herrgotts und unser aller Sonne gemeint, die zu B, auch seine sei, wie jedes andern Bürgers, und nicht das Wirtshaus zur Sonne. So hatte ich es nicht gemacht; aber im Scheine der Jugenderinnerung, in welchem alles einen größern Maßstab hat, und im Wunsche, mich recht angenehm zu machen, und im allgemeinen Drang, das eigene auszuschmücken, mochte doch manches schöner und größer geworden sein in meiner Erzählung, als es in der Wirklichkeit war. Ich ging daher immer langsamer, während Mädeli immer mehr pressierte. Es trug ein klein wenig gwundriges Herz mit sich, dachte vielleicht an eine kleine zu hoffende Ehesteuer. Wer mag sich solcher Hoffnung wohl erwehren? Es trug aber auch ein Herz voll Liebe und Freude den neuen Eltern entgegen, und solch ein Herz macht auch geschwinde Beine. So in ungleichem Schritt erreichten wir endlich unsere Umzäunung. Ach, wieviel hatte das alles sich noch verschlechtert! Die Bäume sahen aus so strub und vermieschet als möglich; das Land war noch gelb und grau, während an andern Orten alles grünte; und das Haus, Dach, Scheiben, kurz alles sah aus, wie wenn niemand da daheim wäre. Wir trafen die Mutter im Garten, der keinen Zaun mehr hatte. Auf unsern Gruß sah sie auf, sah uns lange an und sagte endlich: »Nimmt es di de o einisch Wunger, ob mr no lebe?« Sie reckte uns endlich die notdürftig abgewischte Hand, hieß uns in die Stube kommen, aber frug nicht, wer bei mir sei. Im Schopf schnefelte mein Bruder, ein großer derber Bursche; der sah uns spöttisch an und war noch einsilbiger als die Mutter. In der Stube stellte ich ihr meine Braut vor, die mit einfachen Worten bat: sie möchte sie für die Tochter halten, sie wolle sie für die rechte Mutter halten. Die Mutter meinte: es hätte mir nicht brauchen so zu pressieren, und Mädelin sagte sie: »Du hesch schint's o nit möge gwarte, bis e Ma gha hesch; du wirsch erfahre, was ds Hürate cha; me weiß nit, was e ledige Lyb wert isch, bis me ne nimme het. So het me's: we me alles a dChing ghänkt het, su laufe si vo eim u lö eim im Stich, we me se am mehrste mangleti.« Mädeli bat, sie solle doch nicht zürnen, u da heig es ere neuis gchramet. – Es hatt das ume chönne la blybe; es hatt's nit brucht. – Es syg nit dr wert, meinte Mädeli, es sng ume-n-es Zeiche. – »Je nu, so dankeigisch eineweg,« meinte die Mutter. Endlich kam aus dem Webkeller auch der Vater, bleich, hager und hustend. Er sah gar grämlich aus und klagte: wie er in seinen alten Tagen es viel böser hätte, als in den jungen, wie immer Leute da seien, wenn man zu fressen habe, aber niemand, um zu werchen. Über das ganze Haus und alle Gestalten war etwas unbeschreiblich ärmliches und verdrießliches verbreitet, und man mochte anpochen, wo man wollte, so sprang eine neue Quelle von Verdrießlichkeit auf.

Die Mutter machte ein Kaffee, und während dem Essen jammerte der Vater: er müsse nun seit dem Neujahr das Brot kaufen und die Kuh gehe schon lange gust, da bschüße kein Geld. Das war nicht um Appetit zu machen. Die Mutter, welche glauben mochte, des Vaters Klagen seien eine Art Vorwurf für sie über schlechte Haushaltung, warf ihm vor, daß er eine so schlechte Kuh gekauft. Das erzeugte häßliche Sticheleien, und die machen auch nicht Appetit. Der Bruder mischte sich auf unverschämte Weise ein und trumpfte beide Eltern ab, und – sie ließen es geschehen. Nach dem Essen sagte ihm der Vater: er solle doch ein wenig für ihn an den Webstuhl und der Junge antwortete: da wett er e Narr sy; er heig anger Sache z'thüe, als da im Webcheller z'hocke. Draußen schlich der Schlingel mit einem Büchsli den Krähen nach. Und weil man dem Schlingel nichts sagen, nicht einmal etwas zumuten durfte, so ging es desto mehr über andere los, rücksichtslos, und ich mußte ziemlich deutlich hören, daß es braver von mir gewesen wäre, daran zu sinnen, ihnen zu helfen, statt zu wyben. Das machen Eltern aber oft, daß, je mehr ein Kind sie plagt und aussaugt, je weniger sie ihm sagen dürfen, sie desto mehr über die andern Kinder herfahren, desto mehr von ihnen fordern. Sie denken nicht daran, daß sie gerade dadurch die Liebe, welche geben, helfen sollte, töten. Es wurde mir eng und heiß im engen Stübchen und Mädeli war das Weinen immer zuvorderst.

Mir thaten meine Eltern so leid und doch so weh. Ich sah, wo der Schuh sie drückte, und konnte doch nicht helfen, konnte die Säure nicht mehr entfernen aus ihren Gemütern, konnte das Verhältnis zu ihrem Kronprinzen nicht mehr herstellen, konnte das mangelnde ihnen nicht verschaffen. Was ich konnte, gab ich dem Vater im Webkeller. Er seufzte, sagte, das werde nicht viel helfen; es sei einmal so, wie es sei. Er hoffe aber, daß er bald draus könne. Doch schien ein weicheres Gefühl gegen mich ihn zu ergreifen. Er hieß mich wiederkommen, sagte zu, uns einmal zu besuchen, wenn sein Husten ihm bessere und wünschte Mädeli, daß es ihm gut gehen möge. Auch die Mutter war beim Abscheid etwas freundlicher und entschuldigte sich, daß sie Mädeli nichts zu geben hätte. Aber wenn es Kinder bekommen sollte, so wolle sie zusehen, daß sie ihm neuis machen könne. Es ist merkwürdig, wie Leute oft erst beim Abschied auftauen, und manchmal erst beim Abschied aus dem Leben.

Stumm gingen mir lange neben einander, grüßten und dankten einsilbig den Leuten, die uns noch yche z'cho hießen. Als wir vom Dorfe weg waren, fing mein Meitschi laut zu weinen an. Ich erschrak gar bitter, im Glauben, es weine getäuschter Hoffnungen wegen, es habe geglaubt, ich hätte etwas zu erben und nun gesehen, daß weniger als nichts da wäre. In diesem Sinne fing ich an zu trösten und zu entschuldigen. Aber Mädeli ließ mich nicht ausreden, sondern sagte: »Ach, Peter, glaub doch ume nit, daß i pläre, wil d'nit meh hesch, as i; du bisch mr lieber as ke Ryche. Aber we-n-i denke, daß es üs o so gah sött, daß mr enangere o so nüt chönnti verstah, u geng uf enangere stichlete, u geng es nieders sötti dSchuld sy, su wott's mr schier ds Herz zrschryße. Lieber wett i hüt no sterbe. Es chunnt mr nüt schrecklicher vor, as we zweu nüt anenangere lyde meu u eis dem angere geng seit, was ihm i ds Mul chunnt. Es düecht mi, i hätt kei fröhligi Stung meh, we du mr sellig Sache seitisch u mi so trümpftisch. Gell Peter, du versprichst mr, du wellisch mr geng alles i der Liebi säge u nit vor angere Lüte? Lue i cha alles vü dr anäh, we d' mr's i dr Liebi seist, u i will dr dHäng unter dFüeß thue; aber stichle ume nit u füehr mi nit us. Gell Peter, du wotsch mr das verspreche?« Natürlich versprach ich es. Mädeli tröstete sich nach und nach und wir sprachen recht erbaulich über den Ehefrieden und das Eheglück, und meinten, es sei unmöglich, daß wir über einander böse werden könnten jemals. Ach Gott, das sind schöne Träume: aber wenn man nur immer wieder zufrieden wird, und die Sonne nicht untergehen läßt über dem Unfrieden! Von dem Frieden, der in der Nacht geschlossen wird, halte ich nicht viel; er ist selten haltbar, so wenig wie Wasserfarbe.

Aber unser Gespräch ging langsamer allmählich, wie die Beine. Müdigkeit setzte sich in die Glieder und mit den schweren Gliedern wurde auch die Zunge schwerer, die Seele matt. Mädeli mußte Strumpf und Schuh ausziehen, seufzte schwer über spitzige Steinchen und wollte sogar einmal fast böse über mich werden, daß ich in Gedanken fortgegangen war, als es stille stehen mußte. Das gute Meitschi merkte es aber, wie schnell es fast selbst gegen unsern Vertrag gesündigt hätte. Und wir beide nahmen uns die Lehre daraus, wie nahe Leib und Seele einander angehen, und wie wunde Füße auch eine reizbare Stimmung erzeugen und wie ein matter Körper über jede Kleinigkeit die Seele unwillig machen kann. Es ist gut, wenn man das weiß; dann kann man andere schonen zur rechten Zeit und aus sich selbsten Acht haben. Weil man aber das nicht weiß, so haben Reise- und Lebensgefährten soviel Streit unter einander, besonders wenn es mühselig geht und zu Fuße, und am meisten Streit gerade wenn es am mühseligsten geht und die Tagesreise am beschwerlichsten ist. Wir erquickten uns, ruhten aus und doch sehnten wir uns sehr nach der Heimat, und erst als ihre Lichter durch die Büsche schimmerten, wachten wir wieder auf und schritten munterer und rüstiger der Herberge zu und wechselten wieder rascher die Worte. Froh waren wir beide, daß der Tag vorbei war, als wir uns küßten zum Abschied. Und doch war es nachher einer der Tage unseres Lebens, von denen wir am meisten redeten und dessen Andenken noch heute mich erfreut.


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