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Wenn auf dem Meere der Sturm beginnt, eine schwarze Wolkenwand über dem Meere sich lagert, langsam sich nähert, wenn es dumpf in den Lüften rauscht, kurze rasche Windstöße pfeifend durch die Masten streichen, da ruft der Kapitän die Mannschaft auf; was auch zwischen ihnen liegen mag, wie ein Mann spannt sie ihre Kräfte zusammen, jeder fliegt an seinen Ort, einer steht zum Andern, gilt es ja ihrer aller Sicherheit, und was hülf es einem, wenn er auch dem Andern den Tod gönnte, müßte er ihn doch kosten vereint mit jenem. Rauscht dann der Sturm heran, schwarz und wild, und faßt er mit seiner ganzen Kraft das Schiff, er findet gefaßte Kraft, welche das Schiff zusammenhält, nirgend eine Spalte, in die er sich zwängen, eine schwache Seite, die er überwältigen kann. Das ganze Schiff gehorcht einer Kraft, und wo der Sturm es faßte, steht diese Kraft ihm entgegen und bricht seine Macht, gerettet geht es aus dem Sturm. Es ebnen sich die Wellen wieder, es wird der Himmel wieder helle. Wo aber Meuterei auf dem Schiffe ist, die Macht zersprengt ist, welche sonst die Kräfte band, die Wut größer ist als der Trieb der Selbsterhaltung, einer wider den Andern die Waffen kehrt, Keiner Sinn hat für den Todfeind aller, da faßt der Sturm die machtlose Masse, wirft sie von einer Seite zur andern, gen Himmel auf, in des Abgrunds Tiefen, begräbt sie in des Meeres schaurigem Schoße. Wenn der Sturm kömmt, ist das Zusammenfassen und Binden der Kräfte notwendig; geschieht es nicht, so ist der Untergang das Ende.
So ists aber nicht bloß mit einem Schiffe, wenn es das Rauschen des Sturmes vernimmt, so ist es auch mit einem Ehepaar, wenn Tage kommen der Not und der Bedrängnis. Da müssen die Eheleute zusammenstehen, jedes schaffen nach seiner Kraft in Liebe und Treue, das Verderben zu wenden, jedes zum Opfer bringen jede Kraft und jedes Begehren, das Erste sein wollen im Arbeiten und Entbehren und gefaßten Mutes bleiben, wie die Not auch steigen mag, dann besteht man in der Not, sie geht wohl vorüber durch Gottes gnädige Huld. Aber eben wo es anders ist, wo mit der Not der Streit beginnt, wo jedes dem Andern alle Tage seine Schuld ausmißt mit der neuen eidgenössischen Elle, jedes dem Andern die eigenen Tugenden vorgeigt und des Andern Laster, jedes dem Andern zumutet, den Wagen aus dem Kot zu heben, während es nicht bloß darauf sitzen bleibt, sondern sich noch recht schwer macht, das Andere alleine entbehren, magerer abbeißen soll, während man gelassen beim Alten bleibt, da kömmts nicht gut, da wird jedes erbittert, und zTrotz tut jedes keinen Wank und zTrotz treibt jedes seine Sache noch ärger.
So ging es hier bei Steffen und Eisi. Wie wir gesehen haben, hatte sich bei Eisi mehr das aktive Element, das herrschsüchtige, ausgebildet, bei Steffen mehr das passive, das sinnliche, bei Eisi das sich selbst bestimmende, bei Steffen das sich bestimmen lassende, oder wie der Bauer sagt, Eisi hatte die Hosen an, oder wie der Herr sagt, Steffen war unter dem Pantoffel. Der erste Ausdruck jedoch ist der richtigere, denn wenn auch in Eisi der bestimmte Wille sich aussprach, es als die Macht erschien, welche das Haus regierte, so hatte es doch nicht so viel Gewalt über Steffen, daß er seiner Lebweise entsagte und das Heft mit Kraft zur Hand genommen hätte. Eisi genierte sich nicht. Wenn es Geld brauchen wollte, so brauchte es, und wenn es schon nicht einem Postillon oder Kondukteur den Auftrag gab, wenn er die Stadt auf oder ab gehe und was Schönes sehe, so solle er es ihm kaufen, es möge kosten was es wolle, so wählte es, wenn es zum Kaufen kam, doch immer das Schönste – obs währschaft sei oder nicht, darnach fragte es nicht. Wenn jemand anders darnach fragte, so sagte es, es frage dene Sache, wo nie zrheye welle, nüt nah, si mache ihm vrfluecht längi Zyti, dLüt meine, mi vrmög nüt Neus, un so Öppis Alts werd de so dreckig, daß mes nit aluege mög, vrschwyge arüehre. Wenn es in den Sparlaun kam, so machte es der Gastig die Stücke Fleisch kleiner, die Ürti größer und füllte die Schoppen nicht bis zum Strich. Steffen machte seine Sache auch nach wie vor, trank vielleicht einige Schoppen des Tags, die Eisi nicht sehen sollte, und wenn er auch weniger von Hause ging, so geschah es nicht aus Gehorsam gegen Eisi, sondern aus Faulheit. Er war dicker geworden, und nichts ging ihm über Abhocke un e chly Sy. Darum, wenn er auch weniger fortkam, so blieb er dann, wenn er es einmal war, dest länger aus und war e chly, bis es endlich heim sein mußte. Oft ging er um Ware aus, kam aber nie bis zum Stalle, wo was Feißes sein sollte, er blieb sitzen im nächsten Wirtshause, machte dem Bauer Bescheid, er solle kommen, handelte mit ihm ungschauet: «Bring mrs dä u dä Tag, und wenns ist wied seyst, su gib dr was de seyst, aber daß es de so syg», oder: «Wenns nit ist wied seyst, su gib dr e Franke oder e Krone minger» usw. Unterdessen zahlte er Wein, war e chly, und wenn dann Bauer und Veh kamen, so war es selten, wie der Bauer es gesagt hatte, aber was dann machen? Was allfällig noch abgebranzt werden konnte, betrug selten viel. Wie oft mußte Steffen sagen: «Los, es wär mr de lieber, wenns dFrau nit vernähm, was dr ha müesse gä; si het kei Vrstang vo selligem u wott de notti i alles ycherede u tuet no wüest mit mr.»
Wenn so ein schwerer Himmel lastet über den Gemütern zweier Eheleute, so entsteht schweres, trübes Sinnen, ein eigener Gedankengang bildet sich aus. Die Gegenwart lastet schwer auf ihnen, unzufrieden sind sie mit ihr, sie sehnen sich nach Verbesserung, sie suchen vor sich in der Zukunft ein Plätzlein, ihre Hoffnung, daß es anders komme, abzustellen. Sie sehen die Schuld, daß die Gegenwart so sei, nicht in sich, sie kommen sich unschuldig vor, sie meinen, wenn sie machen könnten, wie sie wollten, es müeßt sy Seel bald anders sein. Aber –! Dieses Aber ist wohl anfänglich ein Stein, an welchem die strömenden Gedanken sich stoßen, wie an einer Schwelle der flutende Bach anfänglich sich stößt, innehält, sich aufstaucht, dann einzelne Wellen überschlagen, bis mit tosender Gewalt er über dieselbe sich stürzt. Aber, heißt es, aber, wie sollte es anders kommen, bin ich ja nicht alleine, sind die Hände mir nicht gebunden, wie sollte es anders kommen, solange da ist, von wem das Verderben kömmt, solang an keine Besserung zu denken ist? Da könnte ich lange, könnte mich töten, und es hülfe nichts. O wie unglücklich, daß mir dieses Los gefallen, aber es wird so haben sein sollen, es wird mir geordnet gewesen sein. Oh, wenn ich zurückdenke, wie ich eins gewesen bin (so denkt die Frau), wie ich es hätte anstellen können und meine Sache gut machen, und das Unglück muß mich treffen, daß ich den haben muß, gerade den, wo nichts mit ihm ist und noch alle Tage minder! Oh, warum mußte ich an die kommen (denkt der Mann), wo nichts versteht und doch alles befehlen will, wo nur die Leute vertreibt und nichts weiß als brauchen? Was habe ich von den paar tusig Pfündlene, es wär mir nützer, ih hätt die nie gseh u si o nit, es wär mir nützer, ih hätt es arms Meitschi gno, wo ke Chrüzer gha hätt, aber mr a dHang gange wär un o öppe gsi wär, daß me hätt Freud gha, bin ihm z'si, u mr dLüt is Hus zoge hätt, statt mr se z'vrtrybe! So seufzen Beide, so schlagen die Wellen plätschernd über den Stein, eine rascher, mächtiger als die andere, bis der ganze Strom darüberrauscht. Aber wenns Gotts Wille wär, daß er oder sie sterben könnte, an die Ruhe käme, ich möcht sie ihm so wohl gönne, dann müßte es anders gehen, dann wollte ich die Sache ganz anders in die Finger nehmen, so und so müßte es gehen, und wenns sein müßte, es fände sich wohl einer, der mir hülfe es machen, wie ich sinnete, und nit manch Jahr müßte es gehen, so wollten wir ganz anders zweg sein. Dann könnten die Leute sehen, an wem die Schuld gewesen, und habens die schießige Ketzer noch oft schier mit ihm haben wollen!«
Ist einmal der Gedankengang auf diesen Punkt gekommen, dann ist keine Versöhnung, Ausgleichung mehr möglich, innerlich ist zwischen den Herzen eine Kluft gerissen, die nicht mehr heilet, die wirklich täglich größer wird. Solche Gedanken können wohl hie und da wie flüchtiger Nebel über eine Seele streichen, keine Spur hinterlassen, nimmer wiederkehren. Aber gar zu gerne kehren sie wieder, fressen sich ordentlich in eine Seele ein wie eine ätzende Substanz, fressen sich ein zum Herde, auf welchem brodelt und kocht höllisches Sinnen, teuflisches Wünschen. Wir haben hier ein kaltes Blut, es wird nicht erhitzt durch südliche Sonne; wir genießen noch die unbeschreibliche Wohltat der vielhundertjährigen Angewöhnung, Mord als eine fürchterliche Sache anzusehen, von Obrigkeits wegen mit der höchsten Strafe, der Todesstrafe, belegt zu sehen. Die Sonne wird ihren Lauf kaum ändern, und ändert sie ihn, so überleben wir es nicht; aber Obrigkeiten ändern Ansichten, sind halt näher dem Nebel der Welt. Verbreitet die Obrigkeit die Ansicht ins Volk, daß Mord kein fluch- und todeswürdiges Verbrechen sei, hat Gnade und Barmherzigkeit für Giftmischerinnen, dann wird noch aus manchem Herde, wo bereits höllische Wünsche, teuflisches Sinnen brodeln und kochen, Mord zutage gekocht und gebrannt werden, im Herzen ist die Tat längst fertig, sie wird auch zutage treten, ein fait accompli werden. So weit sind wir noch nicht, an eigenmächtiges Handanlegen wird selten gedacht, ein tiefer Schauer weht die Gedanken von diesem Punkte weg. Aber man denkt doch an den Tod, hofft, der liebe Gott werde einem den Gefallen erweisen, werde das Elend ansehen und den Tod schicken zur Befreiung, ja man bittet ihn sogar darum, sei es selbst, sei es durch Kapuziner. Hat man einmal diese Hoffnung ergriffen, sie zur Stütze gemacht, dann wird das Auge eines solchen Hoffenden scharf wie das Auge eines Liebenden, es achtet auf jede Miene, merkt auf die Färbung des Gesichtes, auf Fett- und Magerwerden, auf kurzen und langen Atem, auf Essen und Trinken; wo es irgend zu bösen scheint, da denkt man: Ach jetzt, endlich, he nu so de, i Gottsname, mi wird sih müesse dry schicke. Und wenn dann das Bösen vorbeigeht, das Bessern kömmt, wie dann der bitterste Unmut nicht anders sagen kann als: «Aber nüt, aber nüt», und dann wieder spitzt und paßt, ob nirgends was Gefährliches auftauchen wolle, man auf Essen und Trinken paßt, auf Faulheit oder Arbeitsamkeit, kurz auf jede Gewohnheit! Die Eine meint, ihr Mann sei e Grüslige mit em Werche, den überschlage es einmal ungsinnet; eine Andere sagt, Ihre sei gar e Fule, sie glaub emel, er syg ful inwendig un machs nit lang; die Dritte, Ihre töt no ds Sufe, sie heyg ihms gseit, aber jetzt säg si nüt meh, wenn ers well ghebt ha, su heyg ers, si vrmög sih desse nüt, zwänge chönn si ne emel nit. Ein Mann hofft, so eine Kindbetti wüsch einmal die Frau ungsinnet, si acht sih nüt u tüey wien e Narr; ein Anderer denkt an die Auszehrung, wie si afe mageri syg wien es Schyt; ein Dritter stellt seiner Frau Kirschenwasser dar statt Branntwein, weil er gehört hat, das Kirschenwasser möge dLüt viel schneller als der Branntwein usw. Und wenn in Beiden das Gleiche kocht, die gleichen Hoffnungen gebraut werden, wie das dann gegenseitig sich betrachtet und aufpaßt, obs böse oder bessere, und jedes die Hoffnung festhält, es sei checher als das Andere und mögs allweg, wie zwei Schwinger ungefähr, die an sich rupfen und zerren und jeder den Andern auf dem Rücken sehen möchte! Und wenn es endlich an einem Orte wirklich böset, wie man dann doch aufspringt und zum Doktor, ihm sagt: «Mach was chast, ds Geld reut mih nüt», und wie man vor den Leuten nötlich tut und noch zu einem andern Doktor schickt, daß einem die Leute später nicht vorhalten könnten, man hätte das Möglichste nicht getan, wie man allem aufbietet, weil man nicht in der Leute Mäuler kommen möge! An den, der Herzen und Nieren prüfet, die Gedanken sieht, ehe sie sich regen in uns, sie rufet vor Gericht, an den Allwissenden, an den denkt man nicht. Und was helfen der Leute Mäuler dem, der vor dem Gerichte des Allwissenden steht, der die Gedanken wiegt auf heiliger Wage?
Auf diesem Punkte standen Steffen und sein Eisi zusammen. Keins dachte daran, das Andere umzubringen, irgend auf eine Weise sich an ihm zu vergreifen, aber jedes gab sich der Hoffnung hin, es nähm öppe ds Angere ungsinnet, u wenns Gott well ghebt ha, su heygs nüt drwider; wenns Gott lieber heyg as ihs, su mögs ihms vo Herze gönne.
Steffen eben hoffte, eine Kindbetti, wo Eisi gewöhnlich so unvernünftig tat, um sich groß zu machen, nehme es einmal ungsinnet, u de well er nit dschuld sy, er heygs mängist gseit, aber jetz säg er nüt meh; wenn es es well ghebt ha, su heygs es i Gottsname. Auch sagte er zuweilen, seine Frau sei dr gsüngst Mönsch vo der Welt, vom ene sellige heyg er no nie ghört. Er glaub, wenn man mit Kegelkugeln nach ihr würfe, sie kriegte nicht einmal Mose, u Dörn chönnt si fresse, si kratzete si nit emal. Aber wes de die einist agryf, su chönn me de luege, die dräyhs de zBode, er well nit guet drfür sy. Wenn dann einer sagte: «Bis du froh, daß du so e gsüngi Frau hest, es wär mänge froh drüber, we si scho nit Dörn fresse chönnt ohni Buchweh», so seufzte dann Steffen und sagte: Darüber heyg er ja gar nit gchlagt, es sei ihm ds Rechte. Wenn de aber e sellige Mönsch ume sinne chönnt, wies angere Mönsche syg, wes ne fehli. Aber da meine dann die, es sei allen wie ihnen, und wer gruchse, tryb ume Fantast.
Eisi hoffte auf Steffens fett und aufgedunsen Wesen; die nähms de einist ungsinnet, sagte es ebenfalls in seinen vertrauten Stunden. Mi heyg no nie ghört, daß sellig Lüt alt worde syge. Es syg es Übel, er chönnt drvor sy, wenn er sih meh rüehrti u dr Sach öppe o meh anähm un e weni minger nähm. Es heyg ihms scho mängist gseit un agä, es heygs düecht, es sött dur e Marmelstey dure gah. Aber es helf nüt, es helf i Gottsname nüt. U jetz sägs o nüt meh, es gäb ume Stryt u helf doch nüt. Allweg syg äs a nüt dschuld. Aber wunger gno heygs ihs scho mängist, wies Mönsche gä chönn, die doch i Gottsname alles erlyde möge, geng esse, geng sufe u no wohl sy drby, daß me ne öppe nit sövli amerk. Es heyg scho mängist gseit, wenn es ume dr zechnist Teil zun ihm näh sött es Tags wo Steffe, es vrsprengti ihs wien e Krot. U doch gseh me ne öppe nie volle, es düech eim, er syg am Abe un am Morge fast neue dr glych Schnürfli. Es heygs scho mängist düecht, es möcht ne einist o so recht kragebabivolle gseh, aber es heygs no nit chönne erlebe, u doch sufe er de öppe, wes scho nit drglyche tüey, daß es es gsecht, daß es es düecht, es sötts möge gä. Das war wahr, daß Eisi nicht tat, als sehe es jeden Schoppen, den Steffen trank; es hatte in der Beziehung fast die Gedanken, welche jener hatte, welcher seiner Frau Kirschenwasser statt Branntwein anraten wollte.
So sah es inwendig aus, äußerlich merkten andere Leute so viel nicht davon. Ob Steffen und Eisi selbst den Kampf merkten, das Passen und das Hoffen, das weiß man nicht, sie äußerten darüber sich nicht. Aber wie jeder Müller weiß, die Mühlsteine, welche aufeinander gehen, sind sehr selten gleich hart, einer ist weicher als der andere, und der weichere wird abgerieben, untauglich für den Gebrauch, bis er neu geschärft wird. Bei Menschen geht das Schärfen selten an, die Natur, welche schlaffer, schwammiger ist, kann nicht wohl gehärtet und geschärft werden, sie wird zerrieben. Wohlverstanden, hier ist von den Feuersteinnaturen, welche springen, und von den Waschlumpen, welche immer Waschlumpen bleiben, nicht die Rede.
Es ist aber doch fürchterlich, wenn ein Mensch, der kein Mühlstein ist, sondern Bewußtsein hat, es zu fühlen beginnt: der Gegenpart ist Meister, er hält besser dar, er reibt mich auf, und das, worauf er paßt und spitzt, das hat wirklich gegriffen in mir, ist zum Wurme geworden, der mich zernagt, der Gegenpart Hoffnung fördert mich dem Ziele zu, auf das sie nicht warten mag, bis ich es erreicht habe, wie da jede Kraft zusammenklappen muß, nichts mehr lebendig bleiben muß als das Gefühl, daß das Spiel bald aus sei, das Leben zwischen Tür und Angel bald ausgepreßt.
So ging es Steffen. In dem Maße, als Eisi herrschsüchtiger wurde und das Regiment führte, ward es stärker, gesünder, wenns möglich war, die Kindbettene gingen ihm immer ringer, bei seiner Beschränktheit zehrte es der Kummer nicht auf, und bei seinen innern Gedanken und Hoffnungen entstund bei ihm die Überzeugung, daß es Siegerin bleibe. Es blühte daher fast gar wie eine Rose, die Anzahl Kinder, welche es gehabt, hätte kein Mensch ihm angesehen, die Gumene wurden gewöhnlich schachmatt vor Komplimenten, welche sie der schönen Wirtin zu Füßen legten, die immer aussehe wie eine junge Tochter. Steffen aber fühlte, es habe gefehlt. Er fühlte, daß Eisi kuraschierter war und mächtiger, fühlte eine innere Gebrechlichkeit und Schwäche, welche niemand ihm ansah, welche er auch niemand bekannte, fühlte, wie in ihm wuchs der Durst, wie der zur Krankheit ward, welcher er nicht widerstehen konnte, zum eigentlichen Brande, den er löschen mußte, er fühlte, daß es nicht mehr lange auf diese Weise mit ihm gehen könne. Er übersah zudem auch besser ihren Zustand, hatte einen bessern, wenn auch nicht vollkommenen Begriff von ihrer Schuldenlast, von dem gesunkenen Werte ihrer Besitzung und dazu die Hoffnung, bessere Zeiten zu erleben, verloren. Wenns nur bald vorbei wäre, war daher sein Gedanke, schonen war dumm; bruche, was dich gut dünkt, das ist ds Best, lueg de mira, wer überbleibt! Er schonte also nicht; wott nit e Narr sy, dachte er. Die Verlegenheiten häuften sich wohl, er mußte den Gumene Obligationen ausstellen, blieb hier Geld schuldig, lieh dort einige Dublonen auf gute Worte hin, an einem andern Orte einige hundert Franken, das heißt so viel er kriegen konnte, auf einige Buchstaben. Wo die Verwandtschaft groß ist, finden sich immer Einige, welche glauben, solche Zumutungen nicht ausschlagen zu dürfen, namentlich Brüder sind in solcher Lage. Ja wir müssen bekennen, daß wir vernommen, es hätte Steffen allemal ordentlich gelächert, wenn er eine neue Schuld gemacht. Die Leute glaubten, er freue sich, daß er einer Verlegenheit entronnen sei, freuten sich selbst, daß sie ihm den Gefallen erwiesen; erst jetzt sehen sie, wie angst es ihm gewesen und wie er die Sache zu Herzen genommen, dachten sie. Hintenher dachten sie wohl: Hats ihn nicht etwa gelächert, wenn er dachte: Eisi wird luege! He nu so lueg es mira, es hets so welle, lueg es mira, wie es es de mach, es het so Freud gha drufhi! He nu so de, ih ma ihm se wohl gönne, lueg es de mira, wies usechunt! Ob er so gedacht, wissen wir nicht, aber so viele Schulden hielt er geheim, schrieb sie nicht auf, und Eisi wußte nicht darum. So manche Äußerung, die man, wie gewöhnlich, erst später in ihrer rechten Bedeutung zu erkennen glaubte, schien schließen zu lassen auf das Verlangen, da dännezcho, drus use z'chönne, Eisi dArichti z'überla von dem, welches es, wie Steffen meinte, einzig zweggekocht.
Ob er dabei nicht an seine Kinder gedacht, gedacht, was aus ihnen werden werde, verarmt, verlassen und übel gewöhnt dazu? Wir wissen es nicht, wir glauben es kaum. Steffen war, wie wir gesehen, durchaus nicht ohne Liebe zu seinen Kindern, namentlich gegen die Jüngsten, sobald sie laufen konnten und sagten: «Ätti, gimmr o; Ätti, wott o!» Da gab er ihnen, was er hatte, konnte scherzen mit ihnen, dr Narre trybe, und oft hörte man ihn sagen, das King sei ihm afe so lieb, es düech ne, er chönnt nit sy ohne dä Bueb. Aber wahrscheinlich war seine Liebe nicht viel anders als die Liebe zu einem Spielzeug. Diese Liebe unterscheidet sich von der rechten elterlichen hauptsächlich dadurch, daß sie an der gegenseitigen Zärtlichkeit sich ersättigt, durch die gegenwärtige augenblickliche Freude vollkommen befriedigt wird, während in der rechten elterlichen Liebe die elterliche Sorge ist, das Säen zur künftigen Ernte, das volle Bewußtsein, daß in der Gegenwart des Kindes Zukunft bereitet werde und daß diese Bereitung der Eltern höchstes Werk sei, eine Nachahmung der göttlichen Vorsehung in den Schranken menschlicher Schwachheit. Diese elterliche Vorsehung geht in zwei Richtungen auseinander. Die eine, die materielle, sieht im irdischen Besitz das Heil. Diesen Besitz sucht sie den Kindern zu erwerben und zu sichern mit Aufbietung aller Kräfte, sucht sie vielleicht auch zum eigenen Erwerb zu befähigen und in sie den Sinn zu pflanzen, zu bewahren das Erworbene. Das ist vielleicht eine vorherrschende Richtung dieser Zeit, bei welcher sehr oft das Kind schwer leiden muß, viel entbehren muß, sehr oft eben durch den Druck der entgegengesetzte Sinn geboren wird, der das Sprichwort wahr macht, daß der Sparer einen Güder mache. Die andere Richtung sieht das Heil nicht im äußern Besitz, sondern im Inwendigen, in innerm Reichtum, innerer Befähigung, sucht von da aus die Bahn zu des Kindes glücklicher Zukunft anzulegen. Nun gibt es in der Menschen Seele zwei Schatzkammern, oder wenn man will, zwei zu bauende Felder, die Intelligenz und das Empfinden, oder wie man im gemeinen Leben sich ausdrückt, Geist und Herz, oder Gemüt und Verstand, wie die Leute sagen.
Die Kammer, worin des Geistes Kräfte schlummern, ist offenbar die untere Kammer. Mit den erweckten Kräften, mit Denken und Wissen, Ergründen und Zusammenstellen gewinnt man Ehre in der Welt, Ruhm vor den Menschen, des Lebens Unterhalt, ja auch Reichtum, aber des Lebens Höchstes nicht.
Die Kammer, in welcher das Empfinden lebendig ist und sich reget, sie birgt das Höchste, die kostbarsten Edelsteine in der Krone unserer Kräfte, die Begeisterung, die nach dem Höchsten ringt, die Liebe, die nicht alt wird, nicht verglüht, den Frieden Gottes, der über allen Verstand geht. Wohl den Eltern, welche beide Kammern im Auge haben, in rechten Einklang beide bringen, sie haben der Kinder Zukunft wohl besorgt, sie haben sie für die Welt befähigt und doch ihre Augen auf das Ziel gerichtet, welches für jeden Christen im Himmel ist.
Wehe aber der Erziehung, wo nur des Geistes Kräfte geschärft, ins Wissen und Denken alles gesetzt wird! Diese Erziehung, wie sie leider wieder so oft betrieben wird, ist nichts als das Schleifen kalten Stahls zu einem zweischneidenden Dolche, der nur zu oft gegen den Schleifer selbst sich wendet und dessen Brust durchbohrt.
Nun aber gibt es wirklich sehr viele Eltern, welche durchaus an keinen Zusammenhang der Gegenwart mit der Zukunft ernstlich denken, die ganz vergessen zu haben scheinen, daß was der Mensch säe, er auch ernte. Gar mancher Landmann weiß recht wohl, daß wenn der Herbst gut ist, die Zeit der Aussaat, das Feld wohl gerüstet ist, die Aussaat früh und gut bestellt, die Ernte schon halb als gewonnen anzusehen ist. Aber in seinem eigenen persönlichen Leben vergißt er diesen Zusammenhang, tut, was ihn gelüstet, kümmert sich um keinen Menschen und kann am Ende nicht begreifen, warum ihn alles haßt. So geht es auch vielen Eltern. Ihr Sinnen und Trachten ist auf etwas gestellt, durch etwas gefesselt, oder sie werden durch die Umstände getrieben wie ein Mühlrad durchs Wasser, die Kinder sind Zugaben zu ihrem Leben, die ihnen bald lästig, bald lieb sind, aber in ihren Gedankenkreis gehören sie nicht, die Aufgabe ihrer Erziehung nehmen sie nie auf. Das werde sich schon machen, denken sie, es seien schon Viele durch die Welt gekommen, die dümmer seien als die, dr Vrstang werd ne scho cho, daß sis de selber ygsehye u daß es ne zSinn chömm, wie si öppe tue müesse, daß es guet chömm; so reden sie. Und wenn man ihnen was bemerkt, so sagen sie: He, mi müeß öppe luege, «aber sövli pressiert selb nit, zfrüeh treyt nüt ab, u de het o niemere sövli Angst für mih gha, ih ha selber müesse zu mr luege, si cheu de o öppe einist dGlare selber uftue.»
An die Macht der Gewohnheit, an das Lebendigwerden und Aufgehen von Eindrücken, an den Reiz des Beispiels, an das alles denkt man durchaus nicht, so wenig als man daran bei einem Spielzeug denkt, bei welchem man nur dafür zu sorgen hat, daß man es nicht fallen lasse oder sonst es zerbreche.
Unter diese Klasse gehörten Eisi und Steffen, und wenn Steffen schon seine Kinder liebte, so dachte er doch kaum an ihre Zukunft, und wenn sie ihm einfiel und wenn er dachte: U de dKing?, so wird er sicher gedacht haben: Oh, öppe viel schlimmer als jetzt wird es ihnen nicht gehen; wenn ich schon nicht mehr bin, so gibt es deswegen noch immer Leute. Die Verwandtschaft ist groß, und denen tuts sauft, eins oder das andere zu ihnen zu nehmen, dort lernen sie vielleicht arbeiten, hier hätten sie doch nichts gelernt, macht ja jedes, was es will. Und seis mira, wies well, lueg de mira Eisi, grad so hets es welle ghebt ha, su häbs es de!
Doch von einem solchen Inwendigen sich eine sichere, bestimmte Vorstellung zu machen, ist schwer, weiß es ja oft derjenige selbst nicht, wie es mit ihm steht, in welchem es so aussieht. Steffen konnte oft noch recht lustig sein und seine Händel haben wie in seinen bessern Tagen. In der Regel war er sonst schweigsamer, und oft wars, als höre er übel. Eisi behauptete aber, das sei nur Fantast, was er nicht hören solle, dafür habe er feine Ohren genug. Ungern ging er zu Bette, es war ihm allemal im höchsten Grad zuwider, daher er seine Gäste so lange wie möglich versäumte. Eisi meinte, das sei bloße Faulheit, er mög sih afe vor Füli nimme abzieh und alege. Eisi hatte erstlich keinen Begriff, wie so häufig eine gewisse Trägheit unzertrennlich mit der körperlichen Beschaffenheit verbunden ist, so daß der Wille der Menschen über diese Trägheit durchaus keine Gewalt hat, die größte Anstrengung sie nicht zu überwältigen vermag. Das sinnet man zu wenig zu Stadt und Land und begeht daher wahre Grausamkeiten, indem man Kindern und Erwachsenen körperliche oder geistige Anstrengungen zumutet, welche durchaus außer dem Kreise ihrer angegriffenen Kräfte liegen. Zweitens dachte Eisi nicht daran, daß vielleicht Steffen eine Ahnung seines Todes in sich trug, vielleicht dachte: Chunt er diesi Nacht, u wo erwachist viellicht morn?
Der wunderbare, geheimnisvolle Übergang von einer Welt Gottes in eine andere Welt Gottes, das Einschlafen hier zu einem Erwachen an einem andern Orte, was wir Tod nennen, hat etwas Schauerliches, auch für den gläubigsten Christ, der das Wesen des Himmels in seiner Seele fühlt, der die Nähe seines Gottes bereits im Herzen empfindet.
Wie da das Herz pochen muß, wenn man das Nahen fühlt, das jetzt, jetzt wie eine aufsteigende Sonne immer klarer sich kündet. Wer erinnert sich noch, als Kind vor einem Vorhang gesessen zu sein mit Zittern, Beben und brennender Ungeduld, wie ein Wonneschauer nach dem andern ihn durchrieselte, als der Vorhang zuckte, als es sich zu heben begann, wie bei dessen Aufrollen ein wunderbar Erstaunen ihn blendete, ihm Sinnen und Sehen zusammenfloß in ein unaussprechlich Erstaunen, wer erinnert sich wohl dessen noch? Das Denken nur an den Augenblick, in welchem das Irdische versinkt, das Ewige aufgeht, ist auch beim gläubigsten Christ das Beben des jüdischen Volkes, als in Blitz und Donner Jehova zu ihm reden wollte. Oder wenn wir uns vorstellen einen tiefen Denker, der sein Lebtag unerschrocken in den kühlen Nebeln der Philosophie herumgestaffelt, oder einen Würzligraber, der die Schichten durchstöbert hat bis znächst ungerus, und Beide haben nichts angenommen als real und existierend, als was sie gesehen und was sie darüber gedacht, und dabei begreiflich nicht bemerkt, wie das, was sie gedacht, der ärgste Nebel war, und sie stehen auf einmal am Rande ihrer Schichten, und ausgehen will ihnen das Denken wie einer armen Spinnerin das Öl, und sie fühlen es, wie das Leben erlöschen will, das Nichts oder das Unbekannte zu ihren Füßen sich öffnet, der nächste schwere Atemzug sie in dasselbe stürzt wie ein Schritt den Reisenden in die enge, bodenlose Gletscherspalte, bleibt da wohl auch, wenn sie bei vollem Bewußtsein sind, ihr Herz kühl und kalt, lauscht kaltblütig dem letzten schwindenden Atemzuge wie dem Fallen eines Steines, der in einen zu erforschenden Abgrund rollt, wie dem Zucken eines Frosches, an dem man das Galvanisieren erprobt? Ich denke nein. Ich denke, auch hier tauche aus der Fachverknöcherung der Mensch wieder auf, der vor dem Göttlichen bebt und nur mit heiligem Schauern den Schwellen des Allerheiligsten sich naht.
Man denke sich aber nun so einen Steffen mit seiner Halbschoppenbildung, die heute durch den Vieharzt hexen läßt, morgen Gott und Ewigkeit leugnet, heute zu einem Quacksalber schickt des Lebens wegen und morgen einige Schoppen mehr trinkt des Todes wegen, heute von Freiheit brüllt, morgen den ärgsten Zwang übt, von Bildung spricht und alle Gebildeten kreuzigen will, so einen Steffen, der im Tode keinen Trost hat, keine Hoffnung, dem aber des Lebens Last unerträglich wird, der ändern möchte, der versinken möchte in ein ewig Nichts, dem es aber doch bangt vor diesem Nichts, vor diesem Andern, da er keine Hoffnung hat als das Sprüchlein: «Allweg kann ichs nicht böser haben», und dem dieses Sprüchlein des Herzens Klopfen doch nicht stillen will, so wenig als eine abgestandene Mixtur das Fieber, man denke sich so einen Steffen um die Mitternachtsstunde, wie er zu Bette gehen sollte und doch nicht darf, weil er sterben möchte und doch nicht denken darf: Wo erwachen ih ächt, gits es hienecht oder wieder nit? Das wußte aber Eisi nicht, wie es Steffen war, wenn er nicht zu Bette konnte, das wußte niemand, wie es ihm war am letzten Abend, als er zu Bette sollte und nicht konnte und am Ende doch mußte. Es hätte nicht gemerkt, daß öppis angers sei, sagte Eisi, in der Nacht hätte er neue so wunderlig gschnürflet, aber es hätte sich dessen weiter nicht geachtet, es werd ihm wohl warm mache, hätte es gedacht. Am Morge du wohl, du heyg es gseh, was das z'bidüte gha heyg, und es heygs fast welle zrschryße. Es heygs düecht, wenns ne nume no gfragt hätte, ob er neuis well, öppe z'treiche. Es hätte sich bloß damit trösten können, daß es gedacht, er hätts gseit, wenns ne düecht hätt, er möchte neuis. Jetz gsech es wohl, es chönn nüt angers mache als sih i Gottsname dry schicke; wenn e Sach gscheh syg, su helf Wüsttun nüt meh, un ume so de Lüte wege möcht es nit Müehy ha.