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Eine Geschichte für willige Zuhörer oder – keine! Sowohl Geschichte als auch Zuhörer. Auch wird im voraus vor der Annahme gewarnt, als ob, da von einer Kammertür die Rede ist, irgendeine Pikanterie im Spiele sei. Nichts desgleichen, meine verehrten – aber ich sehe, schon bin ich allein.
Also, ich stieg in den Vorortzug, der zur ersten Feierabendstunde die Stadt verläßt. Als ich die verschiedenen kleinen Lasten auf einer Bank niedergelegt hatte, war ich im Begriffe, noch einmal auf den Bahnsteig hinauszutreten, um die paar Minuten, die das »Zügle« sich gewöhnlich zur Verspätung nimmt, draußen auf und ab zu gehen, da schlug aus dem benachbarten Abteil ein Wort an mein Ohr, das mich, ich weiß nicht warum, fesselte. Es saßen da drei Arbeiter, Maurer oder so was, die nach ihrem Dorfe zurückkehrten. Sie unterhielten sich, und eben ließ also einer das Wort fallen, das mich aufblicken machte: »Winkel und Blei«. Ich horchte hin, und der Sprecher nahm gerade im Ton einer Entgegnung das Wort wieder auf.
»Wemmer meint, mer hätt noch so e scharfs Aug – 's isch 'm nit z'traue!« sprach er mit einer ruhigen, ziemlich leise und heiser klingenden Stimme; aber es lag so viel Nachdrückliches 99 drin, daß es mich unwillkürlich auf die Bank niederzog, um womöglich mehr zu hören. Ich hatte den Instinkt, daß es hier etwas für mich zu lernen gäbe; kurz, ich beschloß zu bleiben und die Ohren zu spitzen. Und siehe da, nach einer kleinen Pause, in der einer der beiden anderen was hinzusetzte, fuhr der Sprecher fort:
»Do isch mer emol e G'schicht passiert; an die mueß i mi Lebtag denke!«
Pause; er nahm sich Zeit, und die anderen ließen sie ihm. Dann fuhr er fort:
»I han emol e Kammertür mache müesse, bi mir, in mim Hüsli.«
Das Geräusch, das Neueintretende machten, und seine leise Stimme bewirkten, daß ich die hier folgende nähere Erläuterung der Lokalität nicht im Zusammenhang hörte. Ich sag es aber hier im voraus: lieber will ich eine Lücke im Vortrag lassen, als daß ich ihn frei ergänzen und wohl verstümpern möchte. Es war nur ein Maurer, aber er erzählte einfach klassisch; es handelte sich nur um eine Kammertür, aber die behagliche Breite ohne Umständlichkeit, die epische Ruhe und vollendete Sattheit seiner Dichtung – denn eine solche war es trotz der trivialen Wahrheit der Geschichte – schufen sie mir zu einem ebenso vollendeten Kunstwerk, dem ich mit dem gleichen Entzücken, der gleichen Ergriffenheit lauschte, als ob ich einem Homeriden zuhörte, der vom Zorn des Achilles oder von den Irrfahrten des Odysseus vortrug, im edelsten Griechisch, zur Harfe, wo dieser nur gundelfingisch konnte, und das noch mit einer heiseren Stimme. So breit er vortrug, indem jeder zur Sache gehörige Umstand genügend herbeigezogen wurde, so hörte ich kein einziges überflüssiges Wort; so dicht war alles; und was davon verschluckt wurde, ward es gewiß nur für mein Ohr, durch die mannigfachen Hindernisse zu hören. Aber wie gesagt: Wo ich ihm das Wort nicht lassen kann, will ich lieber beschreiben, als ihn konstruieren.
100 »Im Anfang«, machte er also fort, »isch wohl eini do gsi« – eine Tür zwischen der zweiten Stube im Häuschen, vielleicht im Dachgeschoß. Vielleicht auf der anderen Flurseite – »aber der Schuhmacher, wo emol bi m'r gwohnt het, der het sie weg ha welle. Nämlich, er het hinte drin g'schafft, un so het's em meh Liecht gä solle. Also, er het sie usghenkt un – e Tischplatte drus g'macht!«
Schallendes Gelächter der anderen.
»He jo! 's isch en arme Kerli gsi, un het ke Tisch g'het. Was hani mache welle? – Also des Ding isch guet, der Schuhmacher wohnt e paar Jöhrli bi m'r, un des Ding isch guet! Aber noch em isch d'... izoge, e Wittfrau, un der het des Ding nit paßt: sie het wieder e Tür' hi ha welle. Jo, i mach d'r gwiß e Tür hi, hani denkt; deno ziegsch du us, un en andere kunnt un macht wieder e Tischplatte d'rus! Un des Ding geht so furt: i mach Kammertüre, un sie Tischplatte!«
Homerisches Gelächter der beiden anderen bei dieser diabolischen Perspektive (der Sänger wahrte die Ruhe), und aus den letzten Strähnen seines Lachens drehte der eine den Zwischenruf:
101 »Un gell, du hesch g'wißt, wer ei'm e Tür macht, wemmer eini will!«
»Frili!« nickte der Sänger lächelnd und fuhr in seinem Tone fort: »Wenn de abselut e Tür ha willsch, so mache d'r halt selber eini, oder loß d'r eini mache!«
Erneutes dankbares Lachen.
»Un richtig, wie der Winter komme-n-isch – un 's isch e kalte g'si, un se hat in der Stube nit warm genueg kriegt – so isch sie halt kumme un het gsait, sie well halt eini mache losse. Und wie sie des gsait het, hani denkt: nu, 's isch Winter, z'schaffe hani nüt, zahle will si's – die paar Märkli kannsch au verdiene, un sie hets so noch billiger als bim Schriner. Also des Ding isch guet, m'r henns mit enander usgmacht, und so bini halt dra gange. 's Holz ...«
Hier mußte ich aufstehen, um Bekannte zu begrüßen, die zum Glück in die andere Hälfte des Durchgangs und Doppelwagens gingen; so fing ich nur noch die Worte »Keller« und »Öpfelhurd« oder so was auf; aber es war doch daraus zu schließen, daß er die zur Tür benötigten Bretter und Latten durch Abbruch einer alten Äpfel- oder Kartoffelhürde gewann.
»Bim Küefer in d'r Werkstatt hanis schaffe derfe; er het e Hobelbank, un do hani d'Bretter g'hobelt, einkantet un ...«
Es wurde unterdessen immer voller und unruhiger, und da der Sänger jetzt bei dem allerruhigsten Abschnitte seiner Geschichte war, wo er behaglich und gründlich beschrieb, wie nun die Türe allmählich entstand, auch wo und wie das übrige Material beschafft wurde, die Beschläge und Bandeisen und die Falle, so sank auch seine ohnehin nicht laute Stimme noch tiefer herunter, und ich muß darauf verzichten zu sagen, wie alles gerichtet, gepaßt, geleimt, genagelt und genietet wurde. Aber ich wiederhole es noch einmal, und diesmal mit dem Worte des Sokrates über Heraklit: »Was ich von ihm verstand, war vortrefflich«; ich schließe daher ebenso auf das, was ich nicht verstand, oder nur 102 halb; statt der einzelnen Worte vernahm ich doch den gleichmäßigen Fluß seiner nie stockenden Rede. Nur bei einem Punkte hob sich seine Stimme etwas, aber gar nicht viel; er betonte, aber nicht auf sehr vordringliche Weise, daß der Küfer auch einen großen eisernen Winkel habe, mit dem er die Türe nach allen Seiten so winkelgerecht gebaut habe, daß sie »nit emol e Millimeter winsch« gewesen sei.
Kurz, sie sei so winkelrecht geschaffen gewesen, wie sie nur ein gelernter Schreiner oder Zimmermann hätte machen können.
»Also!« – seine Stimme rauschte wieder an – »Endlich isch mi Tür fertig!« Es entging mir, wie viele Tage er daran geschafft hatte – »scheen, glatt, sufer, winkelrecht, daß es e Fraid gsi isch! M'r packe sie also uf – im Küefer si Bue hat mir sie heimtrage helfe un auch noch irichte – d'Klobe sin natürli no do gsi – mir lupfe mi Türe, henke sie i – un – (große Spannung) Herrgottsdunnerwetter! – isch mi scheeni, suferi, glatti, winkelrechti Tür uf einer Site – drei un e halbe Santimeter hets usgmacht«
»Z'kurz!« schrien seine Zuhörer wie aus einem Munde und sprengten damit die ihnen unerträglich gewordene Spannung, in der Entzücken und Entsetzen, Grausamkeit und Mitleid wunderlich, aber süßkräftig gemischt waren. Aber:
»Nai!« – machte der Sänger in olympischer Heiterkeit – »Gott sei Dank – z'hoch! – Dees Glück!« Seine Hörer erschienen einen Augenblick lang zugleich erlöst und versteinert, bis endlich der Leichtblütigere von beiden nachstammelte:
»Herrgottsdunnerwetter – dees Glück! – Aber – wie isch des nur mögli gsi – aha, ahaaa – i merk ebbis! I merk ebbis!« lachte er verzückt, sagte es aber nicht, sondern wahrte so zart und mit einer solchen Keuschheit im Denken das halb enthüllte Geheimnis des Sängers, der harte, kalkbespritzte Mann, und ließ ihm dankbar und willig den süßen Triumph, das Rätsel zu lösen und seinen Gesang bis zur nächsten Note auszudehnen, seine Zuhörer nicht mehr durch die Lösung an sich oder durch eine neue 103 Wendung der in sich fertigen Geschichte spannend, sondern durch die Kunstform, mit der er sie zum besten gab, und die immer noch einen neuen, unerwarteten Genuß möglich machte, ja versprach: so sehr glaubte hier das Volk dem Sänger.
Der aber lehnte sich zurück, warf den Kopf hoch und rief, sich selbst genießend:
»Jo, jo! – M'r ka lange e Tür winkelrecht baue, wenn d'r Futterrahme winsch isch!«
Und ein unendliches Gelächter erhob sich. Als es sich gelegt hatte, sagte der dritte:
»Ja, de hesch halt numme-n-uf einer Site g'messe!«
»Welleweg, des hani! Uf der Klobesite! – un drei un e halbe Santimeter hets usg'macht! – Dees Glück, daß i d'höcher Sitte verwischt hab! I hätt sie wegkeie müesse!«
»Di ganz Arbet wär umesuscht gsi!« rief der zweite.
»Radikahl wegkeie!« schloß der dritte, im Tone der tiefsten Überzeugung.
Und dann versanken sie in Nachdenken, bis nach einer kleinen Weile der Erzähler noch einmal rief:
»Aber sider weiß i, wie m'r e neui Tür e-n-alte Rahme macht, daß m'r uf der Klobesite mißt un an der Fallesite!«
Und noch einmal ergoß sich eine Welle Lachens unter ihnen, und dann versanken sie eine Schattierung tiefer in Nachdenklichkeiten darüber, was es doch für kuriose Dinge im Leben gibt, und wie man – das weiß jeder Schaffer – nie auslernt!
Ich aber erhob mich, ich muß sagen, in einem kleinen Rausch von genossenem Leben und reifster Kunst; in einem Rausch, in dem ich hell und nüchtern genug blieb – und das macht die 104 Räusche selig – um so gescheit zu sein, in die andere Wagenhälfte zu gehen, um die Rundheit der genossenen Dichtung nicht in Gefahr zu bringen. Ich war satt und – nun, ich hab's gesagt – trunken!
Und nun weiß ich nicht: ist denn diese Geschichte so schön, oder kann ich so wenig vertragen, daß ich von dem voll ward? Und wer hat es mir denn am meisten angetan: die Fabel, der Sänger oder seine kostbaren Zuhörer, die Künstler im Hören und Genießen? Was frag ich: Es ist die vollendete Harmonie aller drei zu einer glücklichen Einheit. Alles war Kunst daran, Kunst der Natur. Es war – daß ich es mit einem Worte decke – es war kristallisiertes Leben. 105