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»Wer gut schmeert, der gut fährt«, sagt ein bekanntes Sprichwort. Man kann's aber auch machen wie der Kutscher Hasenfratz zu Dingsmünster im schneearmen Winter, als er seinen Schlitten mit Seife schmierte, um über die Steine der Rheinstraße hinwegzukommen.
»Wer gut seift, der gut schleift!« sagte er, und der Hinkende stand dabei und lachte mit; denn es war ein nettes Bild. Daß aber durch gutes Seifen, und namentlich, was man so gemeinhin »Einseifen« nennt, manches glatt wird, was vorher bedenklich rauh und haperig war, das soll dem geneigten Leser der Balbierer Fidele von Klingen zeigen, obschon er beileibe nicht etwa als allgemeines Muster und zur löblichen Nacheiferung hingestellt werden soll, sondern nur des Spaßes halber im Kalender mitmachen darf.
Klingen ist ein kleinwinziges, lustiges Grenzstädtchen, wie es deren manche im badischen Ländle gibt, und darin übt, so gut und schlecht es gehen mag, der Fidele die ehrsame Kunst der Balbiererei. Meistens geht es schlecht, weil er lange nicht der einzige ist. Denn in Klingen nagelt jeder, dem bei den jetzigen schlechten Zeiten sonst eine Bude zugemacht wird, die gelbe Schüssel an den Fensterladen und lauert den Bauern auf, die sonntags vom Wald herunterkommen, um verschiedenes für den Wochenbedarf aus der Schweiz herüberzuschmuggeln. Und hat er einem halben Dutzend oder einem ganzen die Stoppeln vom braungelben Leder heruntergeschabt, so ist er zufrieden und zieht auf den Sonnenbuck zur feiertäglichen Kegelpartie.
Bei einer solchen Konkurrenz konnte also Fideles Handwerk keinen goldenen Boden haben, sondern er mußte froh sein, wenn es einer von Nickel war, und zu allem krabbelten die Schulden 68 anfangs an ihm, wie die Maikäfer an der Linde vor seinem Hause, wenn ihr Jahr da ist. Und wenn man's recht besah, bestand eben sein Handwerk augenblicklich nur darin, seinen Gläubigern recht um den Bart zu gehen, und im Notfall, wie schon gesagt, sie fein säuberlich einzuseifen, um eine Zeitlang Ruhe vor ihnen zu haben.
Augenblicklich aber war der gefährlichste und dringlichste unter ihnen der Lochbauer von Oberach, von dem er die zwei letzten Jahre das Wintersäulein gehabt und noch keines von beiden bezahlt, sondern mit allen Ränken und Künsten und Lügen jedes Jahr von Lichtmeß auf Johanni, von Johanni auf Micheli, von Micheli auf Martini, und von Martini wieder auf Lichtmeß vertröstet hatte. Heuer aber an Lichtmeß saß der Fidele in seiner Bude und war nicht sehr fidel, und obwohl draußen ein kalter Nordwind blies und das Bürgerholz im Öfele noch nicht ordentlich brannte, war es ihm doch recht schwül. Denn pünktlich um halb neun, das wußte er, würde der Lochbauer erscheinen, sich krachend in den Lederstuhl am Fenster werfen, erst den Bart sich abnehmen lassen, den Nickel bezahlen und dann, ach Gott, nach seinem Gelde fragen. Den Fidele nach seinem Gelde fragen, als ob der's wüßte! Im Rauch hängen zwar noch ein paar verhutzelte Würste, eine Speckseite und ein Schäufele. Aber das Geld dafür und für's andere, schon Gegessene?
Bis jetzt hatte er immer wieder unter irgendwelchem Vorwande den zähen Bauern glücklich aus der Stube gebracht und so sich für ein Vierteljährlein salviert. Aber heuer? Was sagen und was vormachen?
Es wollte ihm nichts einfallen. Drum, er hatte auch einen so belegten Kopf, denn vorgestern 69 war der Brandner Philipp nach Amerika fort und hatte seinen Kameraden zu echt deutschem, brüderlichem Abschied einen soliden Rausch bezahlt.
Wie er aber nun so recht kummervoll in der Stube auf und ab ging und einmal übers andre sich durch die krausen Haare fuhr, als ob der den rettenden Gedanken so aus dem verlederten Schädel ziehen wollte, fiel sein Blick auf einen Konkavspiegel, den er erst neulich auf der Konstanzer Messe zum Juxe für seine Kunden gekauft hatte und in dem, wie wohl jeder der geneigten Leser weiß, das Gesicht des Hineinguckenden verzerrt, verschoben und verschwollen ausschaut.
Da flog ein Leuchten über sein Antlitz, das nach kurzem Besinnen sich völlig verklärte, und statt wie vorhin verstört auf und ab zu wandeln, legte er sich jetzt schmunzelnd unters Fenster, den Bauern abzupassen. Und als seine Therese hereinkam und ihn bekümmert um den schweren Fall fragen wollte, nahm er sie um die Hüfte, schwenkte sie zweimal herum, gab ihr einen schallenden Kuß und sagte:
»Liebe Frau, laß nur deinen Fidele machen. Der hat's noch immer wieder zuweg gebracht und wird's heut auch!«
Dann schob er sie zur Tür hinaus, denn der Oberacher mußte bald kommen.
Und er kam auch, ganz wie sonst, mit demselben Schritt, derselben Geste, derselben Miene, kurz, der alte Lochbauer, wie die anderen Male auch.
70 Nur der Empfang war anders.
Kaum war er unter die Tür getreten, als der Fidele erst zurückprallte, dann erschrocken auf ihn zusprang und ihn bei der Hand faßte:
»Um Gottes Willen, Lochbauer, wie schaut Ihr aus?« schrie er.
»Wie ich ausschau?« fragte der erstaunt und schon ein wenig ängstlich gemacht.
»Ja, spürt Ihr denn nichts?« schrie der Fidele noch ärger. »Ihr kriegt ja den schönsten hitzig' Rotlauf. Schon ganz geschwollen seid Ihr!«
»Den hitzig' Rotlauf? Ich? Ja, woher?« fragte der Bauer noch 71 erstaunter, und sein Gesicht brannte schon.
»Ja, da schaut einmal dadrein, in den Spiegel!« rief der Fidele, sprang danach und hielt ihn dem Bauern vor die Nase. Der sank 72 entsetzt über sein schon fürchterlich geschwollenes Gesicht in den bereit geschobenen Stuhl und starrte den Balbierer an.
»Ja, das macht leicht die Luft im Februar, zumal wo die Infullenzia wieder im Land ist!« erklärte dieser und fuhr tröstend fort: »Und wenn Ihr nicht gleich dazu tut, könnt Ihr in vier Tagen die schönste Leiche sein. Geht man aber gleich dahinter, ist's gar nicht gefährlich, und ich hab' ein ganz neues, ausgezeichnetes Mittel dagegen, direkt von Berlin; 's ist zwar nicht billig, aber es hilft, und weil Ihr's seid, Gevatter, soll's mir auf einen billigen Nachlaß nicht ankommen. Ihr habt mir auch schon manches zu Liebe getan. Haltet nur einmal still und den Kopf hoch!«
Und er legte dem geängstigten Mann geschwind ein Senfpflaster auf beide Backen, daß es ordentlich zu brennen anfing, wie nur der hitzig' Rotlauf brennen konnte, packte dann ordentlich Karbolwatte drüber und legte einen festen Wickelverband darum. – »So, und jetzt fahrt gleich heim!« sagte er dann. »Ich will mitgehen in den ›Sternen‹ und anspannen lassen. Daheim legt Ihr Euch zu Bett, bleibt acht Tage drin liegen, trinkt da den Brusttee und schwitzt recht. In vier Tagen schau ich nach und in sechs oder acht, je nachdem, nehm ich den Verband wieder ab, und ich wett' zehn Goldstück, daß Ihr dann wieder vögelewohl seid!«
Damit nahm er ihn unter den Arm und führte ihn sachte hinaus. Um den Finger hätte er ihn wickeln können.
Am Sonntag über acht Tagen kam der Fidele mit einem Mordsdampf von Oberach zurück.
»Frau!« sagte er zärtlich auf der Treppe, als ihn die Therese 73 mit Mühe hinaufgängelte, »Theres, schau mich an!«
Sie mußte trotz ihres Ärgers lachen: »Was soll ich denn schauen?« fragte sie.
»Schau mich an, und sei stolz auf deinen Fidele. Das eine Säulein ist bezahlt, er hat es mir geschenkt, für die Ku-Kur! Jetzt muß das andre auch noch he-her! Was meinst, A-Alte?«
»Geh, mach, daß du ins Bett kommst, du Spitzbub!« schalt sie freundlich und schob ihn in die Schlafkammer. Sie war stolz auf den Fidele, der das Einseifen so gut verstand, daß sein Handwerk fast doch einen goldenen Boden hatte, wenn auch nur – Talmi! 74